Diskriminierung
Diskriminierung (von lat.: discriminare = trennen, unterscheiden) ist die soziale Benachteiligung von Menschen wegen gruppenspezifischer Merkmale.
Einführung
Ausgangspunkt jeder Diskriminierung ist eine Unterscheidung und Bewertung von Menschen durch eine von einer Mehrheit aufgestellte gesellschaftliche Norm. Ein Maßstab dieser Unterscheidung sind gruppenspezifische Merkmale wie
- Geschlecht oder sexuelle Orientierung; siehe Sexismus, Heterosexismus
- Herkunft, Abstammung, Hautfarbe oder Ethnie; siehe Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus
- religiöse oder politische Anschauung; siehe Judenfeindlichkeit, Islamophobie, Politische Verfolgung
- körperliche oder geistige Fähigkeiten; siehe Behindertenfeindlichkeit
- soziale Herkunft, Sprache oder Alter; siehe Klassismus, Altersdiskriminierung.
In Deutschland kann diese Norm einer Mehrheitsgesellschaft etwa durch »weiß, deutsch, männlich, heterosexuell, gesund, leistungsfähig, christlich« umschrieben werden.[1] Gegenstand einer Diskriminierung ist somit meist (aber nicht ausschließlich, anders etwa bei der Benachteiligung von Frauen) eine gesellschaftliche Minderheit, die von dieser Norm abweicht.
Diskriminierung kann Ausdruck von Intoleranz und Vorurteilen sein. Diesem Vorurteilsansatz steht der Ansatz der institutionellen Diskriminierung gegenüber.
Diskriminierung kann ein Menschenrecht sein. Beispielsweise entspricht es dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (allgemeine Handlungsfreiheit), bei der Partnerwahl Menschen nach oben genannten Diskriminierungsmerkmalen zu bevorzugen. Diskriminierung ist daher immer abhängig vom Kontext der Diskriminierung und von der Machtstellung des Diskriminierenden. Der Staat etwa hat eine sehr starke Machtstellung, da er das Gewaltmonopol besitzt.
Benachteiligungen können in Einschränkungen auf allen Ebenen des Lebens stehen, insbesondere in Einschränkungen an der Teilnahme am öffentlichen Leben, in der Freizügigkeit, Ausbildung, Berufsausübung oder beim Entgelt.
Im Interessenkonflikt zwischen deutlich unterscheidbaren Gruppen (z. B. Rauchern und Nichtrauchern) ist die Grenze zwischen einer diskriminierenden (schlechterstellenden) Einschränkung der Selbstbestimmung und dem Schutz der Allgemeinheit eine Frage der Abwägung, die einer kontinuierlichen Neubewertung unterliegt. Es besteht auch ein Konflikt zwischen Religionsfreiheit, staatlicher Schulpflicht und der Einschränkung der freien Religionsausübung in der Schule.
Beispiele
Altersdiskriminierung ist eine Diskriminierung auf Grund des Lebensalters. Während sie in der Bundesrepublik Deutschland erlaubt ist, ist sie in vielen anderen Ländern verboten. Die Altersdiskriminierung zeigt sich zum Beispiel darin, dass in der Bundesrepublik Deutschland in 41% der Betriebe niemand beschäftigt wird, der älter als 50 Jahre ist. (Quelle: Altenbericht, nach "Sächsische Zeitung" vom 31. August 2005, S.2)
Diskriminierung Behinderter (Behindertenfeindlichkeit) findet heute zumeist im Bereich des freien Zugangs von Behinderten zu Dienstleistungen statt: Verweigerung des Zutritts zu Restaurants oder Weigerung eines Versicherers, einem Behinderten Versicherungsschutz anzubieten. Dies kann bei den Betroffenen oftmals zu schwerwiegenden Nachteilen führen, beispielsweise wenn ein Behinderter zusätzlich einen Unfall erleidet und wegen seiner Behinderung nicht adäquat versichert ist, weil ihn die Versicherung abgelehnt hat.
Es gab in der Geschichte mehrere „große“ Diskriminierungen, wie zum Beispiel die dem Genozid an Juden vorausgegangenen Gesetze und Verfolgungsmaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes oder der Rassismus gegenüber schwarzen Menschen in der ehemaligen Sklavenhaltergesellschaft der USA und dem ehemaligen Apartheidsregime in Südafrika.
Diskriminierung durch Vorurteile
Diskriminierende Sprache
Die Verwendung von als abwertend oder nicht neutral aufgefassten Formulierungen wird oft als diskriminierende Sprache verstanden. So wird beispielsweise anstelle von Studenten heute offiziell von Studentinnen oder Studenten gesprochen, oder – trotz linguistischer Kritik – von Studierenden. Einen feinen semantischen Unterschied macht es, ob man von „Behinderten“ spricht oder von „Menschen mit Behinderungen“. Dem Versuch einer nicht-diskriminierenden Sprachverwendung wird – zumeist von Gegnern dieser Bestrebungen – die Verhaltensweise einer Political Correctness zugeschrieben.
Problematisch an einer nicht-diskriminierenden Sprachverwendung sei, dass es nicht gelingen könne, Diskriminierung durch sprachliche Änderungen zu beseitigen, solange die Ursachen nicht beseitigt sind. Neue Bezeichnungen nähmen den Charakter der alten an, wenn der alte Sachverhalt erhalten bleibt (Euphemismus-Tretmühle). Es helfe also kaum, lediglich die Bezeichnungen zu ändern. Gewarnt wird davor, dass durch entsprechenden Sprachgebrauch Diskriminierung verschlimmert und verschleiert werden könnte.
Typische Merkmale diskriminierenden Sprachgebrauchs sind:
- Betonung von Unterschieden
- Stereotypisierung
- abfällige und aufgezwungene Bezeichnungen
Institutionalisierte Diskriminierung
Der Begriff der institutionalisierten Diskriminierung ist relativ neu. Er versteht Diskriminierungen wie Rassismus und Sexismus als Ergebnis sozialer Prozesse. Mit dem Wort institutionell wird darauf verwiesen, dass die Ursachen von Diskriminierung in einem organisatorischen Handeln stattfinden. Dieses finde statt in einem Netzwerk gesellschaftlicher Institutionen, beispielsweise dem Bildungs- und Ausbildungssektor, dem Arbeitsmarkt, der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik, dem Gesundheitswesen und der Polizei. Historisch geht der Begriff der institutionellen Diskriminierung auf die Diskussion zum institutionellen Rassismus in den USA und Großbritannien zurück.
Rolle des Staates
In den meisten Staaten der Neuzeit wird es als eine der Grundaufgaben des Staates betrachtet, seine Bürger beziehungsweise Einwohner vor Diskriminierung zu schützen, weswegen Gesetze zur Vermeidung von Diskriminierung bestehen. Auf der Grundlage relativ weit gehender entsprechender europarechtlicher Vorgaben (vgl. unten: Weblinks), die allerdings bislang nicht vollständig in deutsches Recht umgesetzt sind, bestehen in der Bundesrepublik Deutschland vor allem im Bereich des Arbeitsrechts verschiedene Anti-Diskriminierungsbestimmungen (vor allem bei Benachteiligungen wegen des Geschlechts und wegen bestehender Behinderung).
Dennoch kommt Diskriminierung in allen Staaten in den unterschiedlichsten Formen vor, wie z.B. die Wehrpflicht, wenn sie ausschließlich für Männer gilt. Jedoch sind hier enge Grenzen gesetzt. In Deutschland hat z.B. das Bundesverfassungsgericht 1995 die von allen männlichen Einwohnern zwischen dem 18. und 60. Lebensjahr, die keinen Feuerwehrdienst leisten, erhobene Feuerschutzabgabe und die bisher auf Männer beschränkte Feuerwehrdienstpflicht für verfassungswidrig erklärt.
In zahlreichen Staaten wird eine systematische Benachteiligung von Bevölkerungsgruppen staatlich organisiert und mittels der Gesetzgebung festgeschrieben. In diesem Falle erhofft sich zumeist eine herrschende Gesellschaftsgruppe Vorteile von einer solchen Diskriminierung, oder sie nimmt die Nachteile für die Minderheiten billigend in Kauf. Die Diskriminierung kann aktiv geschehen z. B.:
- Rassengesetze im Dritten Reich,
- Apartheid in Südafrika,
- Rassentrennung in den Südstaaten der USA.
Integration als Maßnahme gegen Institutionalisierte Diskriminierung
Eine mögliche Maßnahme gegen Diskriminierung ist die aktive Integration (soviel wie Einbeziehung), bei der Benachteiligungen für ausgegrenzte Personen oder Personengruppen durch gezielte Erleichterungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben (Ausbildung, Arbeit, Kultur, ...) verringert oder verhindert werden sollen. z. B.:
- Integrationsklassen für behinderte Kinder an "normalen" Schulen.
- Staatliche Zuschüsse zur Einrichtung von Behindertenarbeitsplätzen.
- Anlegen von behindertengerechten Parkplätzen, Toiletten, Gebäudezugängen, Sitzplätzen, Einstiegmöglichkeiten in Busse u.v.m.
- Beschriftungen von öffentlichen Anlagen in Brailleschrift.
- Markierung von Gefahrstellen wie z. B. Kreuzungen und Haltestellen für Sehbehinderte durch wechselnde (meist gerippte) Bodenbeläge.
Positive Diskriminierung als Maßnahme gegen institutionalisierte Diskriminierung
Unter positiver Diskriminierung (engl. affirmative action) versteht man eine bewusste Bevorzugung von Mitgliedern einer Gruppe zum Ausgleich von behaupteten oder tatsächlichen Nachteilen (Nachteilsausgleich: z.B. Quotenregelungen für Frauen und Menschen mit Behinderung, Erleichtern des Zuganges zu Universitäten für Afroamerikaner in den USA). Diese positive Form der Diskriminierung ist umstritten, da sie mindestens eine formale Benachteiligung der Menschen, die das entsprechende Merkmal nicht aufweisen, umfasst.
Ein anderes Beispiel ist der Haushaltstag, der in der Bundesrepublik Deutschland nur Frauen gewährt wurde. Als Männer gegen diese Diskriminierung erfolgreich klagten, wurde ihnen ebenfalls ein Haushaltstag zugesprochen - Letzterer wurde jedoch wenig später abgeschafft.
Psychologische Erklärungen
Streben nach einer positiven sozialen Identität
Die Theorie der sozialen Identität von Tajfel und Turner beschreibt stattfindende psychologische Prozesse, durch die ein Individuum seine soziale Identität gewinnt. Die soziale Identität umfasst den Teil des Selbstkonzepts, der aus der Identifikation mit einer oder mehreren Gruppen resultiert, also die aus Gruppenzugehörigkeiten resultierenden Vorstellungen, wer oder was man ist. Die soziale Identität resultiert jedoch nicht allein aus der Identifikation mit einer oder mehrerer Gruppen, sondern auch aus der Bewertung dieser Gruppen infolge des Vergleichs mit anderen Gruppen. Die Diskriminierung kann dann durch das Bedürfnis nach einer positiven sozialen Identität mitbedingt werden. Um eine positive soziale Identität zu erreichen:
- vergleicht man sich auf Vergleichsdimensionen, bei denen die Mitglieder der Eigengruppe besser abschneiden, als die der Fremdgruppe
- werden die Mitglieder der Eigengruppe hinsichtlich relevanter Vergleichsmerkmale tendenziell positiver wahrgenommen als die der Fremdgruppe.
Die tendenziell positivere Wahrnehmung kann durch eine selektive Informationsverarbeitung zustande kommen. Men schenkt Informationen, die die Eigengruppe positiv und solche, die die Fremdgruppe negativ darstellen, besonders viel Aufmerksamkeit, verarbeitet sie tiefer, speichert sie dementsprechend besser und erreicht dadurch eine bessere Abrufbarkeit dieser Informationen aus dem Gedächtnis. Im Sinne der Verfügbarkeitsheuristik nach Tversky und Kahnemann überschätzt man dann positive Eigenschaften der Eigengruppe und negative der Fremdgruppe aufgrund der besseren Verfügbarkeit entsprechender Informationen. Es wirken also mannigfaltige motivationale und kognitive Prozesse zusammen, die zu einer negativeren Wahrnehmung der Fremdgruppe führen. Neben den genannten dürften noch eine Vielzahl weiterer psychologischer Prozesse an dem Zustandekommen von Diskriminierung beteiligt sein, z.B. die im Folgenden kurz angesprochenen Vorurteile gegen über Mitglieder anderer Gruppen, z.B. anderer ethnischer Gruppen.
Ethnische Vorurteile
Bereits vorhandene Vorurteile haben wohl auch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Deren Ausmaß hängt von den verschiedensten Ursachen ab, um nur einige zu nennen: Familiäre Sozialisation, Cliquensozialisation, Ausmaß an Kontakten mit Ausländern, Alter, Bildungsgrad, Geschlecht, Autoritarismusneigung, Dominanzorientierung, Nationalstolz, soziale relative Deprivation, Intergruppenangst.
Das Ausmaß an Kontakten mit Ausländern verdient eine besondere Betrachtung, da dies auch einer der Interventionsansätze betrifft um ethnische Vorurteile abzubauen. Z.B. Rolf van Dick und Kollegen (2001, 2004), aber auch andere konnten zeigen, dass Vorurteile gegenüber Ausländern negativ korrelieren mit dem Ausmaß an Kontakterfahrungen. Einfacher ausgedrückt: Je mehr Kontakte man mit Ausländern hat, z.B. im Freundeskreis, desto geringer ist tendenziell das Ausmaß an Vorurteilen. Mithilfe von Pfadanalysen konnten van Dick und Kollegen zeigen, dass der Einfluss der Kontakterfahrungen auf das Ausmaß an Vorurteilen stärker ist als der Einfluss von Vorurteilen auf die Anzahl der Kontakte. Dies deutet darauf hin, dass es hier mit großer Wahrscheinlichkeit eine kausale Wirkrichtung von den Kontakterfahrungen auf das Ausmaß an Vorurteilen gibt.
Diese empirischen Erkenntnisse stehen in guter Übereinstimmung mit dem Prinzip der Dekategorisierung durch Personalisierung nach Brewer und Miller (1984). Durch direkte Kontakte bewegen sich die Selbstkategorisierungsprozesse von der Gruppenebene hinab auf die personale Ebene, weshalb die entsprechende Person nicht mehr als gleichförmiges und austauschbares Gruppenmitglied gesehen wird, sondern als unverwechselbares Individuum mit einzigartigen Merkmalen. Vorurteile können auf diese Weise widerlegt werden und sollten demnach auch abnehmen.
Siehe auch
- Allport-Skala
- Passing
- Strukturelle Diskriminierung
- Antisemitismus, Rassismus, Speziesismus, Sexismus, Heterosexismus, Klassismus, Altersdiskriminierung, Behindertenfeindlichkeit
- Lookism
- Interkulturelle Kompetenz
Quellen
- ↑ Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit e. V. (IDA-NRW), http://www.ida-nrw.de/Diskriminierung/html/fdiskriminierung.htm
Literatur
- H. Arkes, P. Tetlock (2004). Attributions of Implicit Prejudice, or "Would Jesse Jackson ‘Fail’ the Implicit Association Test?". Psychological Inquiry, Vol.15, No.4, 257-278.
- Thomas Baumer: Handbuch Interkulturelle Kompetenz (2 Bände); Verlag Orell Füssli, Zürich. ISBN 3-280-02691-1 und ISBN 3-280-05081-2
- Peter A. Berger, Heike Kahlert (Hrsg.): Institutionalisierte Ungleichheiten. Wie das Bildungswesen Chancen blockiert Weinheim und München 2005 ISBN 3-7799-1583-9
- M.B. Brewer, N. Miller (ed). (1984). Beyond the contact hypothesis: Theoretical perspectives on desegregation. In: Groups in contact: The psychology of desegregation. New York: Academic Press.
- Mechtild Gomolla und Frank-Olaf Radtke: Institutionelle Diskriminierung. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule. Leske + Budrich, Opladen 2002. ISBN 3-8100-1987-9
- Mechthild Gomolla: Schulentwicklung in der Einwanderungsgesellschaft. Strategien gegen Diskriminierung in England, Deutschland und in der Schweiz Waxmann Verlag, Münster 2005. ISBN3-8309-1520-9
- Ulrike Hormel und Albert Scherr: Bildung für die Einwanderungsgesellschaft. Strategien zur Überwindung struktureller, institutioneller und interaktioneller Diskriminierung. VS-Verlag, Wiesbaden 2004. 2. Auflage Berlin 2004 (Bundeszentrale für politische Bildung)
- H. Tajfel, J.C. Turner (1986). The social identity theory of intergroup behavior. In: S. Worchel und W.G. Austin (Hrsg.), Psychology of intergroup relations. Chicago: Nelson-Hall Publishers.
- U. Wagner, R. van Dick & A. Zick (2001). Sozialpsychologische Analysen und Erklärungen von Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Zeitschrift für Sozialpsychologie, 32, (S.59-79).
Weblinks
- Antidiskrimierungsrichtlinie 2000/78 EG als pdf-Datei
- EU-Kampagne gegen Diskriminierung
- Deutscher Antidiskriminierungsverband e.V.
- Diskriminierung Behinderter im Versicherungswesen
- European Anti-Discrimination Council
- Homepage des IDA-NRW
- Antidiskriminierungsbüro Leipzig