Schwarzbuch Kapitalismus
Das Schwarzbuch Kapitalismus ist ein 1999 erschienenes Buch von Robert Kurz, das sich kritisch mit der Geschichte und der Zukunft des Kapitalismus auseinandersetzt.
Einführung
Den Ausgangspunkt des Werkes bildet die These, dass der Kapitalismus auf eine ausweglose Situation zutreibe. Die Marktwirtschaft werde mit ihren Produktivitätssprüngen – Automatisierung und Globalisierung - nicht mehr fertig. Der Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten sinke, die Arbeitslosigkeit nehme zu und der Ausweg in die Dienstleistungsgesellschaft erweise sich als Illusion.
Kurz analysiert auf ca. 800 Seiten die Geschichte des Kapitalismus von ihrem Beginn im 16. Jh. bis in die Gegenwart. Sie sei geprägt durch drei große industrielle Revolutionen: die Ersetzung der menschlichen Muskel- durch Maschinenkraft in der ersten, die Rationalisierung der menschlichen Arbeitskraft in der zweiten und die Automatisierung, wodurch die menschliche Arbeitskraft überflüssig gemacht werde, in der dritten industriellen Revolution.
Der zentrale Begriff in Kurz’ Werk ist der von Marx übernommene Begriff der „abstrakten Arbeit“. Damit charakterisiert Kurz die Unterwerfung unter eine Form des Produzierens, die letztlich sinnvergessen sei, da es auf ihre Inhalte nicht mehr ankomme. Zweck des Produzierens ist letzlich die „Verausgabung von Arbeitskraft schlechthin“ und ihre Auslieferung an den „abstrakten Selbstzweck des Geldes“, was Kurz als eine „fremdbestimmte, jenseits der eigenen Bedürfnisse und außerhalb der eigenen Kontrolle liegenden Tätigkeit“ bezeichnet. Auch die großen gesellschaftlichen Emanzipationsbewegungen der Neuzeit - die bürgerlichen Revolutionen und die Arbeiterbewegung - konnten sich von dieser Denkweise letztlich nicht freimachen.
Diese Selbstunterwerfung des Menschen unter den ökonomischen Prozess der Geldvermehrung hat für Kurz zu dem geführt, was er als „die schöne Maschine“ bezeichnet. Kurz versteht darunter die „systemische Selbstregulation“, einen „völlig unpersönlichen“ und „blinden“ Mechanismus“, der als quasi „Naturgesetzlichkeit“ unreflektiert vorausgesetzt werde. Das einzige „Ziel“ der „schönen Maschine“ sei die „Verwertung des Werts“, die unaufhörliche Anhäufung von „Geld“ und „Quanten abstrakter Arbeit“. Ihr Mechanismus sei letztlich selbstzerstörerisch und berge die Gefahr einer „Entzivilisierung der Welt“.
Um eine neue, andere Alternative wieder denken zu können, muss seiner Meinung nach zuerst der als Naturfaktum auftretende, „scheinbar ahistorisch gewordene Kapitalismus“ historisiert werden. Ein solche „Rehabilitierung“ der Geschichte zu leisten, ist das Anliegen seines Buches.
Inhalt
Prolog
Kurz beginnt mit der Feststellung, dass das kapitalistische Gesellschaftssystem sich so absolut gesetzt habe „wie noch kein Gesellschaftssystem in der menschlichen Geschichte“ vor ihm. Dies drücke sich nicht nur durch eine Verfälschung, sondern durch den Versuch einer vollkommenen Auslöschung seiner Geschichte aus. Es wolle so einen „homo oeconomicus“ schaffen, der „in einer ewigen Gegenwart von Markthandlungen“ lebe. Um in diesem Kontext eine neue Alternative wieder denken zu können, müsse zuerst der scheinbar „ahistorisch gewordene Kapitalismus“ historisiert werden. Erst dann sei eine „Überwindung der Marktwirtschaft“ und der Beginn einer „anderen Geschichte“ möglich.
Kapitel 1: Modernisierung und Massenarmut
Kurz versucht anhand verschiedener empirischer Beispiele seine Ausgangsthese zu belegen, dass der Kapitalismus bezüglich der Wohlfahrtssteigerung eine „verheerende“ Gesamtbilanz aufweise. Kurz konzidiert zwar, dass durch den Kapitalismus die Entwicklung der Produktivkräfte „ungeheuer beschleunigt“ wurde. Eine Steigerung der Wohlfahrt war für ihn damit jedoch „merkwürdigerweise immer nur zeitweilig verbunden“, begrenzt auf „bestimmte soziale Segmente und Weltregionen“. Der Kapitalismus sei niemals imstande gewesen, die von ihm hervorgebrachten Potenzen für eine Verbesserung des Lebens aller Menschen anzuwenden - ein Defizit, das für Kurz im Wesen der Marktwirtschaft begründet liegt.
In der kapitalistischen Frühgeschichte seit dem 16. Jahrhundert und auch in dem Vierteljahrtausend von 1750 bis heute sei es der großen Mehrzahl der Menschheit „in nahezu jeder Hinsicht schlechter gegangen als im 14. und 15. Jahrhundert“. Das frühkapitalistische Europa sei eine „Danteschen Hölle der Verelendung“ gewesen, nur vergleichbar mit den „Zuständen im heutigen Afrika (ebenfalls einem Schreckensprodukt des Kapitalismus)“. Die fremdbestimmte Arbeitszeit der Massen war während der Modernisierungsgeschichte im Vergleich zu allen vorkapitalistischen Gesellschaften exorbitant erhöht worden. Der Lebensstandard im industrialisierten 19. Jahrhundert hatte gerade einmal wieder das Niveau des hohen Mittelalters erreicht, „ohne auch nur im entferntesten an den spätmittelalterlichen Standard des 15. Jahrhunderts heranzukommen“. Das Lebensniveau in vielen Ländern der Dritten Welt liege selbst heute noch weit unter dem ihrer vorkolonialen und vorkapitalistischen Geschichte.
Kapitel 2: Die schwarze Utopie der totalen Konkurrenz
Mit dem Beginn des 17. Jh. entwickelte sich nach Kurz ein Gesellschaftmodell der „totalen Konkurrenz“, dessen zugrunde liegendes Welt- und Menschenbild „für das gesamte westliche Denken der Moderne bis zum heutigen Tag hegemonial werden sollte“.
Das aufstrebende marktwirtschaftliche Unternehmertum sicherte sich eine starke gesellschaftliche Stellung, fühlte sich jedoch gleichzeitig „nicht mehr an die traditionelle Struktur der autoritären Hierarchie gebunden“. Zur Legitimierung seiner spezifischen Interessen sah es sich daher genötigt, seine eigene „Herrschaftsideologie“ hervor zu bringen.

Der „große Stammvater des Liberalismus“ ist für Kurz Thomas Hobbes. Hobbes fasse den Menschen als ein prinzipiell egoistisches Wesen auf, das um seine individuelle Selbsterhaltung kämpft. Der von Hobbes postulierte Naturzustand des Menschengeschlechts ist der „Krieg aller gegen alle“ („bellum omnium contra omnes“), der in Reinkultur überall dort vorzufinden ist, wo es noch keine „institutionelle Zähmung“ gibt. „Freiheit“ besteht für Hobbes darin, „zu kaufen und zu verkaufen und miteinander Handel zu treiben“, nicht etwa in der Möglichkeit, „sich nach eigenen Bedürfnissen und Vereinbarungen kooperativ zu verhalten“. Die menschliche Gesellschaft wird von ihm als „eine Gesellschaft von Ungeheuern“ betrachtet, weswegen es einer übergeordneten Macht, des Staates, bedarf, der den „menschlichen Raubaffen zur negativen Gesellschaftlichkeit zähmen sollte“. Dieser Rechtfertigungsgedanke des „absoluten Staates“ aufgrund der missratenen „menschlichen Natur“ findet sich laut Kurz bis heute.
Die Wendung des Konkurrenzstrebens zu einer positiven Eigenschaft - was Kurz als „Umwertung aller Werte“ bezeichnet - wurde durch Bernard Mandeville vorgenommen. Der Mensch wird von ihm im Prinzip als faul, egoistisch und geldgierig betrachtet; durch die gegenseitige Konkurrenz können aber diese unschönen Eigenschaften eine Gesellschaft im Endresultat zu einer „blühenden Gemeinschaft“ machen. Im Umgang mit den Armen und Schwachen wird das „Mit-Fühlen und Mit-Leiden bei Unglück und Elend anderer“ zu einem Gefühl der „schwächlichsten Gemüter“, vor allem der Frauen und Kinder erklärt, dem die Männer des Marktes nicht nachgeben dürfen. Selbst „die Alten, Kranken und Schwachen, die Blinden und Lahmen“ sollen noch „in die Verwertungsmaschine des Kapitals“ eingespannt werden, um „das Letzte an Reserven aus ihnen herauszuholen“.
Übertroffen werde dieser Zynismus nur noch von de Sade, der die Ideologie vom „Recht des Stärkeren“ in einer radikalisierten Gestalt bis hin zum Mord vertritt. Im Umgang mit den Armen und Schwachen steigert sich de Sade in einen „existentiellen Hass“ hinein, indem er selbst noch gegen die kümmerlichste Staatsfürsorge der Armenhäuser hetzt. Jegliches soziale Mitleid wird von ihm als eine negative „Natureigenschaft“ der Frau gebrandmarkt. Sie wird „als Hündin des Mannes“ und als Sexmaschine herabgewürdigt, wobei er die Sexualität auf einen puren physiologischen Akt reduziert, um sie von allen gefährlichen emotionalen Elementen zu reinigen und sie „gewissermaßen in einen (analog zum kapitalistischen Produktionsprozess) maschinellen Vollzug zu verwandeln“.

Immanuel Kant stelle zu seinen kapitalistischen Vorgängern insofern noch eine Steigerung dar, als bei ihm die Konkurrenz egoistischer Einzelner als Entwicklungsgesetz der Menschheit schlechthin genommen und auf ein geradezu göttliches Gesetz zurückgeführt wird. Kant betrachtet den Mechanismus des weltumspannenden Kapitals „als ein Werk der ‚Hand Gottes‘“, als „Resultat eines von göttlicher Vorsehung bestimmten Gesamtzusammenhangs, einer ‚höheren Natur‘ des Systems“.
Der Gedanke des „weisen Schöpfers“ bei Kant führe zu dem der „unsichtbaren Hand“ in der Theorie von Adam Smith. Das Bild von der „unsichtbaren Hand“ zeigt nach Kurz, „wie das Weltbild der modernen Ökonomie systematisch auf dem der mechanischen Physik aufbaut“. Smith beteuert, dass „durch den besessenen Aktivismus der kapitalistischen ‚Macher‘ die größtmögliche Verbesserung und die bestmögliche Verteilung“ erzielt werde, so dass sich jede Kritik erübrigt. Die Bedeutung der Befriedigung der sinnlichen Bedürfnisse wird herabgesetzt, „um die unabhängige und für sich seiende ‚Schönheit der Ordnung‘ und den Glanz der ökonomischen ‚Maschine‘, der regelmäßigen und harmonischen Bewegung des Systems‘ zu verherrlichen“. Smith entwickelte das Weltbild der modernen Ökonomie, das letztlich auf dem der mechanischen Physik aufbaut. Dies war die Geburtsstunde der Nationalökonomie, deren Tätigkeit für Kurz darin besteht, die kapitalistische Ökonomie mit dem Anspruch der Naturwissenschaft zu erforschen und gleichzeitig ihre eigene Existenznotwendigkeit stets aufs neue zu „beweisen“.

Als letzten „Stammideologen“ des Liberalismus sieht Kurz Jeremy Bentham. Bentham propagiert das ethische Prinzip des „größtmöglichen Glücks für die größtmögliche Zahl“. Dieses Prinzip interpretiert den Kapitalismus als eine Gesellschaft, „die jedem Menschen das Recht gibt bzw. geben sollte, ‚sein Glück zu machen‘“ wie es auch in der Formel des „pursuit of happiness“ (Streben nach Glück) der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika Eingang gefunden hat. Maßstab, wie dieser Nutzen objektiv gemessen werden könne, ist letztlich das Geld. Das Prinzip der allgemeinen Glücksmaximierung darf bei Bentham aber nicht dazu führen, dass das Eigentumsrecht in irgendeiner Weise angetastet wird; die Umverteilung nach unten sei von Übel und gehe an die Substanz des Reichtums.
Kurz geht auf Benthams Konstrukt des Panopticons ein, dessen Prinzipien sich im späteren Fabriksystem wiederfinden. Das Panopticon sollte ein „Haus der Beobachtung und Kontrolle“ sein, „anwendbar auf alle Einrichtungen, in denen Personen jeder beliebigen Art unter Kontrolle gehalten werden sollen; insbesondere auf Besserungsanstalten, Gefängnisse, Werkstätten, Manufakturen und Fabriken, Armenhäuser, Irrenhäuser, Krankenhäuser und Schulen“. „Die Insassen sollen stets sichtbar sein, während der ‚Inspektor‘ für sie unsichtbar bleibt“. Die „Arbeitskraft der Insassen soll optimal ausgenutzt werden, als Einübung und Vorbild für die ganze Gesellschaft“.
Zur Lösung des Problems, „wer die ‚Inspektoren‘ inspizieren und die Erzieher erziehen soll“, schlägt Bentham vor, „die panoptischen Anstalten einschließlich der Gefängnisse zu privatisieren und von Privatkapitalisten gewinnbringend betreiben zu lassen“. „Mit den freiberuflichen Inspektoren sollen Verträge geschlossen werden, die eine ‚durchschnittliche Todesrate pro Jahr‘ festlegen, die nicht überschritten werden darf“.
Kapitel 3: Die Geschichte der Ersten industriellen Revolution
Die Durchsetzung des betriebswirtschaftlichen Kalküls
Mit der Durchsetzung des Liberalismus’ gegenüber dem Absolutismus in der Ersten industriellen Revolution kamen die großen Gesellschaftstheorien zu einem Ende, da die „kapitalistische Aufklärungsvernunft“ die erreichten Grundlagen nicht mehr „gefährden“ wollte. Hegel erklärte den Weltgeist in seiner Person und dem konstitutionellen preußischen Staat für „zu sich gekommen“. Man machte sich nun daran, das warenproduzierende System „auszubauen, zu versittlichen und die Einsicht in ihre Notwendigkeit zu verallgemeinern“. Die „kapitalistische Selbstzweck-Maschine“ wurde „als selbstverständlich vorausgesetzt“ und das bürgerliche Denken „verlegte seinen Schwerpunkt zunehmend auf die Organisations- und Naturwissenschaft“. Die „Mängel und Fehler“ in der „besten aller möglichen Welten“ (Leibniz) sollten „durch technokratische Intelligenz“ behoben werden.
Mit der größer werdenden Anzahl kapitalistischer Unternehmen machte sich aber „die Konkurrenz als ‚stummer Zwang‘ (Marx) geltend“. Die Marktteilnehmer wurden zu einer permanenten Produktivkraftentwicklung genötigt, um das eigene Angebot marktfähig zu halten. Mit dem Konkurrenzprinzip begann bereits zu Anfang der Industrialisierung ein Kampf um die Preise und eine Art „Standortdebatte“ um die günstigsten Arbeitslöhne. Die „durchaus realen Zwänge der beginnenden internationalen Konkurrenz wurden als Mittel der sozialen Erpressung benutzt, um die Textilarbeiter auf ein noch tieferes Armutsniveau zu setzen“.
Aus dieser Entwicklung wurde aber nicht die Schlussfolgerung der Unhaltbarkeit der kapitalistischen Produktionsweise gezogen. Vielmehr hoffte man auf eine „naturwissenschaftlich-technische Erlösung, die doch irgendwann einmal aus den Maschinenkräften selber kommen sollte“. Der noch kaum als solcher identifizierte Kapitalismus wurde als „gesellschaftliches Naturereignis“ betrachtet. Er stand vor dem Paradoxon, dass er einerseits eine „bis dahin niemals für möglich gehaltene Arbeitsersparnis durch das Maschinenwesen“ erreichte, diese aber andererseits „nicht als Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt und als Lösung der sozialen Probleme in Erscheinung treten“ konnte. Der Produktivitätsgewinn wurde „restlos für die Konkurrenz verausgabt“, um zusätzliche Marktanteile zu gewinnen bzw. bestehende zu halten. Kurz führt dies auf die „Vernunft“ der Betriebswirtschaft zurück, die nur auf den Konkurrenzvorteil bedacht ist. Dies hat zur Folge, „dass die einen gänzlich ‚arbeitslos’ und von allen Subsistenzmitteln abgeschnitten werden, während für die anderen, vermeintlich Glücklicheren, die ihre ‚Arbeitsplätze’ behalten, sich umgekehrt die Arbeitszeit sogar verlängern und die Arbeitsintensität erhöhen kann“. Die kapitalistische Produktionsweise gerät dadurch in einen „unlösbaren logischen Selbstwiderspruch“, da sie einerseits die „abstrakte Arbeit“ in ökonomische Werte verwandelt, andererseits aber menschliche Arbeit fortlaufend „durch technisch-wissenschaftliche Agenzien“ ersetzt und so die Substanz der „Wertschöpfung“ selbst aushöhlt.
Opfer und Revolten

Kurz beschreibt die Auswirkungen des betriebswirtschaftlichen Kalküls zu Beginn der Ersten industriellen Revolution. Es kam zu einer ersten technologisch forcierten, strukturellen Massenarbeitslosigkeit, die vor allem die untergehenden handwerklichen Produzenten betraf. In ganz Europa wurde das Textilhandwerk durch die billige englische Fabrikware ruiniert. Das Verlagswesen und damit die abhängige Heimindustrie wurden durch Fabriken mit großen, immer häufiger dampfgetriebenen Maschinenaggregaten ersetzt. Die Folge waren Arbeitslosigkeit und die soziale Verödung ganzer Landstriche.
Nur ein Teil der arbeitslosen ehemaligen Textilproduzenten fand im entstehenden Fabriksystem eine neue Existenz. Es entstand eine neue Kategorie von „arbeitenden Armen“: das Fabrikproletariat. Das betriebswirtschaftliche Kalkül erzwang gerade durch die arbeitssparenden Maschinen „ein drakonisches Arbeitsregime“. In vielen Fällen wurden erwachsene Männer arbeitslos, während Kinder und Frauen zu Niedriglöhnen in den industriellen Fabriken beschäftigt wurden.
Diese „Opfer“ des Gesellschaftsumbruchs (von der Agrar- zur Industriegesellschaft) wurden aber nicht widerstandslos hingenommen. Es kam zu Sozialrevolten.
Den Kern der Revolten bildete die seit der Ersten industriellen Revolution von England ausgehende neue Bewegung der „Maschinenstürmer“ oder „Ludditen“ – v.a. in den Hauptzentren Nottingham und Yorkshire. Ihre Mittel waren Streiks, Demonstrationen, Brandstiftungen, Plünderungen, Drohbriefe und die Zerstörung von Maschinen und Fabrikeinrichtungen. Kurz beurteilt die Ludditen als zwar einerseits rückwärtsgewandt, da sie die alte handwerkliche Lebenswelt und damit teilweise auch deren soziale Beschränktheit wiederherstellen wollten. Auf der anderen Seite klagten sie aber „elementare und universelle Bedingungen menschlicher Freiheit ein, die durch das kapitalistische Markt- und Fabriksystem von Grund auf zerstört wurden“: „überlieferte Dorfrechte“, „rechtliche Gleichheitsvorstellungen“, ein kulturelles Muster, „das einen ‚Rhythmus von Arbeit und Muße’ ebenso einschloß wie die Vorstellung eines ‚gerechten Preises‘ und eines ‚angemessenen Lohnes‘“, was „völlig unvereinbar war mit den blind-mechanistischen Gesetzen eines sogenannten Arbeitsmarktes.“
Auf dem Kontinent waren die sozialen Revolten hauptsächlich durch die sog. „Brotunruhen“ gekennzeichnet, die durch Handwerker, Fabrik- und Manufakturarbeiter und Teile der Landbevölkerung getragen wurden. Sie spielten sich in einer Epoche ab, die später in Deutschland „Biedermeier“ genannt wurde, ein Begriff, der für Kurz die soziale Ignoranz der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland ausdrückt: er stelle eine „Krisenverdrängung“ und „Vernebelung der wirklichen Geschichte“ dar, „in der die Realexistenz des sozialen Kriegs- und Belagerungszustands zum Randphänomen der ‚notwendigen’ Modernisierungsopfer degradiert“ wurde. An dieser „Mentalität des deutschen Mittelstands“, „noch auf jede Krise seiner marktwirtschaftlichen Religion und ihrer Heiligtümer einerseits mit beinharter Besitzstandswahrung, andererseits mit sentimentaler Verniedlichung und Verdrängung“ zu reagieren, habe sich bis heute nichts geändert.

Das Bevölkerungsgesetz von Malthus
Die anschwellende Massenarmut und Massenarbeitslosigkeit wurde als permanente Bedrohung und Anklage gegen die Marktwirtschaft empfunden. Die „Endlösung“ des Problems kam aus England, in Gestalt des wirtschaftsliberalen Pfarrers Thomas Robert Malthus (1766-1834). Malthus entwickelte – unter Fortführung der Phantasien des Marquise de Sade - das sogenannte Bevölkerungsgesetz, das für Kurz den ersten großen Schritt zur „Biologisierung der gesellschaftlichen Krise“ darstellt. Malthus entnahm aus der biologischen Natur „willkürlich die ‚dauernde Neigung aller Lebewesen, sich weit über das Maß der für sie bereitgestellten Nahrungsmittel zu vermehren’“ und übertrug diese auf den Menschen. Wenn diese Neigung nicht gehemmt werde, „verdoppele sich die Bevölkerung alle 25 Jahre und nehme somit in geometrischer Progression zu, während die Lebensmittel bestenfalls in arithmetischer Reihe vermehrt werden könnten“.
Damit wird für Kurz „die kapitalistisch erzeugte künstliche Armut“ auf ein Naturgesetz zurückgeführt, das zwar wie Malthus selbst zugegeben hatte, „nur unter kapitalistischen Bedingungen gilt“, die aber als „natürlich“ und „unabänderlich“ betrachtet werden.
Die Märzrevolution von 1848 und das Entstehen der Sozialdemokratie
Der im 19. Jh. in Deutschland entstehende Nationalismus hatte Kurz zufolge seine Ursache darin, dass der Liberalismus nun die beiden „Pole“, Staat und Markt, selber besetzen wollte. Auf der Suche nach einer „identitätsstiftende Konstruktion“ fand er die Nation, ein Begriff für einen „nirgends eindeutig definierbaren Zusammenhang, der bestimmte geografische Einheiten und kulturelle Gemeinsamkeiten wie die Sprache in einer vorher nicht bekannten Art und Weise als primäres Aktionsfeld und äußere Begrenzung für die ‚schöne Maschine’ und ihren staatlichen Moderator absteckte“.
Die aus diesem Geist des Nationalismus resultierende Revolution von 1848 war ein „Zweifrontenkrieg“ des liberalen Bürgertums sowohl gegen den Absolutismus der fürstlichen Kleinstaaterei als auch gegen eine drohende Sozialrevolte. Die Zielrichtung der Studentenschaft ging auf Mitbeteiligung und Mitsprache an der Politik, auf Freiheitsrechte und Ausbau der Verfassung - soziale Verantwortung verspürten sie nach Kurz nicht.
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Karl Marx und Friedrich Engels - die beiden herausragendsten Vertreter „verwandelter“ liberaler Intellektueller |
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Die historische Niederlage des Liberalismus gegen den deutschen Absolutismus in der März-Revolution war für Kurz der maßgebliche Grund, der dazu beitrug, „die entstehende Linke (bzw. den späteren Sozialismus) für immer an die Probleme des Liberalismus zu fesseln und in eine lange historische Sackgasse hineinlaufen zu lassen“. Der moderne Sozialismus entstand aus Reformgruppen der unterbürgerlichen Schichten, organisiert in sogenannten Arbeitervereinen“, die Kurz als „eine Art sozialpolitische Sonntagsschule der bürgerlichen Philanthropie“ bezeichnet. Sie wurden meist „von freisinnigen Bürgern guten Willens geführt“ und verfolgten letztlich den Zweck, „auf die unterbürgerlichen Schichten [...] Einfluss zu nehmen, sie auch außerhalb der Fabriken zu ‚erziehen’, ihnen [...] Grundbegriffe der ‚Volkswirtschaftslehre’ beizubringen, die Sozialrevolte zu verhindern oder zu dämpfen und die Widersprüche und Restriktionen des Kapitalismus einseitig auf den absolutistischen Konservatismus zurückzuführen“.
Einige dieser „liberalen Intellektuellen“ wurden allerdings durch ihre Erfahrungen „umgedreht“ - allen voran Karl Marx und Friedrich Engels. Die historische Alternative, die sich aus der Verbindung dieser neuen revolutionären Intellektuellen mit den Sozialrevolutionären ergeben konnte, wurde jedoch verpasst. Marx hatte sich zwar stets mit Sympathie für die sozialen Aufstände der „Maschinenstürmer“ geäußert, deren Impuls aber „im wesentlichen als eine Verirrung gegen ‚die Produktivkräfte’ betrachtet“. Kurz wirft dem Marxismus die Übernahme des „positivistischen, technisch-naturwissenschaftlich verkürzten Fortschrittsbegriff des Liberalismus“ vor. Ein radikale Kritik an der Modernisierungsgeschichte und ihres gewandelten Arbeitsbegriffs sei auch in der „Linken“ bis heute ausgeblieben.
Kapitel 4: Das System der nationalen Imperien
Gründerschwindel und Große Depression
Nach 1850 setzte v.a. im Deutschen Reich ein Aktienboom ein. Dieser erreichte in der sog. Gründerzeit (1871 - 73) seinen Höhepunkt. Die „immer hektischer und unseriöser werdenden Aktiengesellschaften schossen wie die Pilze aus dem Boden“. Die Eisenbahn- und Immobilienspekulation nahm „absurde Dimensionen“ an. Als Folge stieg die Wohnungsnot in Städten wie Berlin dramatisch an. Die Kluft zwischen „obszönem Spekulationsreichtum und wieder zunehmender Massenarmut“ wurde immer größer. Die spekulative Mentalität ging quer durch alle Schichten, „auch wenn sie insgesamt nur jenen kleinen Teil der Bevölkerung erfassen konnte, der überhaupt über liquide Mittel verfügte“.
Die Folge der Spekulationswelle war der große „Gründerkrach“ von 1873, eingeleitet durch den Zusammenbruch der Wiener Kreditanstalt. „Zahlreiche Familien wurden vollständig ruiniert, darunter auch solche der alteingesessenen ‚guten Gesellschaft’“. Rund „ein Drittel des deutschen Nationalvermögens“ ging verloren. In Berlin „standen Zehntausende Wohnungen leer, und unzählige Hausbesitzer konnten ihre Bankkredite nicht mehr zurückzahlen“. Zahlreiche Banken gingen pleite. Der Zusammenbruch war breiter als in allen früheren Finanzkrisen, aber er schnitt noch nicht so tief in das gesellschaftliche Leben ein, weil Deutschland und Österreich als Zentren des europaweiten Bebens immer zu großen Teilen agrarisch strukturiert waren und der Industriekapitalismus erst einen Teil des gesellschaftlichen Territoriums besetzt hatte. In ganz Europa ging die stürmische Industrialisierung für nahezu zwei Jahrzehnte bis Anfang der 90er Jahre in eine schleichende Stagnation über, die später als „Große Depression“ bezeichnet wurde.
Vater Staat
Das Gesetz der zunehmenden Staatstätigkeit
Der „Gründerkrach“ veranlasste immer mehr „kapitalistische Wirtschaftssubjekte“ nach dem Staat zu rufen. Es folgte eine Rückkehr zum Schutzzoll-System und zu einer zunehmenden Staatstätigkeit. Diese ergab sich „nicht bloß aus dem wachsenden Rechts-, Verwaltungs- und Exekutivbedarf“. Vielmehr fordert für Kurz der industrielle Kapitalismus generell „logistische Strukturen, die nicht selbst wieder kapitalistisch nach den Gesetzen rein betriebswirtschaftlicher Rationalität betrieben werden können, weil sie sonst ihre Aufgabe als gesamtgesellschaftliche Voraussetzung der Produktionsweise als solcher nicht mehr erfüllen würden“. Da der Staat im liberalkonservativen Verständnis selber „kein gewinnproduzierender ‚Unternehmer‘ mehr sein konnte, sondern diese Funktion der ‚schönen Maschine’ den Privaten überlassen hatte“, entstand „ein ‚Finanzierungsproblem’ seiner wachsenden Aufgaben in der industriellen Marktwirtschaft“. Unter den Bedingungen der Industrialisierung wuchs der Geldbedarf des Staates, wobei als einzige Möglichkeit die Besteuerung von „Markteinkommen“ blieb, „um Investitionen und Konsum als Motoren des Wachstums nicht zu ruinieren“. So blieb „dem neu entstandenen industriekapitalistischen Regulationsstaat nichts anderes übrig, als sich über seine regulären Einnahmen hinaus zu verschulden“. Diese Tatsache formulierte der zeitgenössische Ökonom Adolph Wagner als das Gesetz der zunehmenden Staatstätigkeit.
Der Sozialstaat

Da der Liberalkonservatismus nicht wieder in eine ähnliche Lage wie zu Beginn des Jahrhunderts mit seinen sozialen Revolten geraten wollte, war er nun „geneigt, dem Staat eine gewisse soziale Verantwortung zu übertragen - selbstverständlich in seiner Eigenschaft als Leviathan, also untrennbar vermengt und verbunden mit seiner Repressionsfunktion“. Kurz bezeichnet dies als „Wiederverheiratung“ des Liberalismus mit dem „absolutistischen Apparat“. Diese fand zwar in allen wichtigen Ländern Europas statt, „am meisten aber in Deutschland, wo die verspätete Konstitution des bürgerlichen Nationalstaats ja ‚von oben’, also formell durch die alte dynastische Macht selbst vollzogen worden war“.
Die „blanke Naturgesetzlichkeit des Marktes“, der man „insgeheim nicht mehr völlig vertrauen mochte“, sollte durch „staatlich gemanagtes Sozialwesen“ ergänzt werden. In der Sprache Bismarcks sah man sich genötigt, „dem Staate ein paar Tropfen socialen Oeles im Rezepte beizusetzen“. Kurz zufolge entstand so ein neuer „Paternalismus“, der nicht mehr die Rolle eines Leviathans spielte, sondern nun als „Vater Staat“ zu firmieren begann. Bismarck fuhr „eine klassische Doppelstrategie: Parallel zum Verbotsdruck nach alter leviathanischer Manier machte seine Regierung in einer ‚klassisch’ gewordenen Weise mit den paternalistischen sozialstaatlichen Überlegungen des Liberalkonservatismus ernst und brachte eine Art ‚weiße Revolution’ von oben in der Sozialgesetzgebung hervor, die zum Prototyp des modernen Wohlfahrtsstaates im 20. Jahrhundert werden sollte“. Bismarck wurde bei seiner Sozialgesetzgebung nach Ansicht Kurz „selbstverständlich weniger von philanthropischen Erwägungen als vielmehr von machtpolitischem Kalkül geleitet. Schon 1880 hatte er festgestellt, seine geplante Sozialgesetzgebung solle ‚in der großen Masse der Besitzlosen die konservative Gesinnung erzeugen, welche das Gefühl der Pensionsberechtigung mit sich bringt’“. Dabei löste aber „die Bismarcksche Sozialgesetzgebung alle Ansätze einer selbstbestimmten und emanzipatorisch selbstverwalteten ‚gegenseitigen Hilfe’ der Lohnarbeiter ab“.
Kurz bezweifelt die Wirksamkeit der Anfänge des modernen Sozialstaats, „zumindest wenn man Maßstäbe einer ernsthaften Besserstellung der ‘arbeitenden Armen’anlegt“. Es sei „lediglich der Schritt vom beispiellosen Massenelend zu einer ‚normalisierten’ Massenarmut […] ‚gelungen’“.
Sozialistischer Absolutismus
In dieser Situation der „Entfesselung des industriellen Schneeballsystems“ wuchs die Sozialdemokratie in der Epoche der nationalen Imperien zur gesellschaftlichen Kraft an. Sie entfaltete für Kurz den ihr eigenen inneren Widerspruch: „nämlich einerseits abstrakt die soziale Emanzipation gegen die ‚Ungerechtigkeiten’ des Kapitalismus zu propagieren und andererseits diese Emanzipation in den blind übernommenen kapitalistischen Kategorien selbst vollziehen zu wollen“. Ein wichtiger Grund ist für Kurz die Herkunft der Sozialdemokratie aus dem Liberalismus. Von großer Bedeutung war aber auch der „qualitative Wandel in der Massenbewegung“. Die liberalen Arbeitervereine, aus denen die Sozialdemokratie entstammte, richteten sich nicht mehr „gegen die kapitalistischen Zumutungen als solche“, wie dies noch in den Massenrevolten in den Anfängen der Industrialisierung gewesen war. Als die Sozialdemokratie in der Zeit von 1850 bis zum l. Weltkrieg allmählich eine Massenbasis gewann, konnten „die Arbeiterpopulationen, die nun bereits in zweiter oder dritter Generation im Fabriksystem arbeiteten, keine kollektive Erinnerung an relativ bessere vorkapitalistische bzw. vorindustrielle Zustände mehr imaginativ besetzen“. Sie hatten „sich weitgehend an die Fabrikdisziplin gewöhnt“, was sich selbst „bis in die Organisation der ‚Freizeit’ hinein“ ausgewirkt habe. Kurz bezeichnet die Arbeiterschaft daher drastisch als „vom Kapitalismus ‚verhausschweinte’ Arbeiterklasse“. Der „als Fernziel angestrebte sozialistische Staat“, der ein „vermeintlich ganz anderer“ sein sollte, rückte dabei in „eine ferne und unwirkliche Zukunft“.
Panzerkreuzer und Raubnationalismus

Das neue Verhältnis von Staatsapparat und Ökonomie konnte „nicht auf die inneren Verhältnisse der entstandenen Nationalökonomien beschränkt bleiben“. Es entstand ein „ökonomischer Konkurrenzkampf der Nationen“, der „die staatliche Außenpolitik zu einem ökonomischen Parameter“ machte.
Der Staat wurde zum „politisch-ökonomischen Großsubjekt der Konkurrenz nach außen“ - in der Sprache von Marx zu einem „ideellen Gesamtkapitalisten“. Er fungierte als „Hilfs-, Garantie- und Durchsetzungsmacht“ „seiner Unternehmen“. Die zwischenstaatlichen und außenwirtschaftlichen Verhältnisse wurden „zur ‚freien Wildbahn’ der leviathanischen Raubmonster“, der Krieg zur „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (Carl von Clausewitz).
Es entstand ein Rüstungswettlauf, „der alle früheren militärischen Anstrengungen bei weitem übertreffen sollte“. Die „forcierte Rüstung fand nun auf der technologischen Höhe des Industriekapitalismus statt, der neue oder ‚verbesserte’ Vernichtungstechniken und Waffensysteme hervorbrachte“.
Kurz ist der Ansicht, dass der „im wahrsten Sinne des Wortes ‚irre’ Aufwand“ für die Aufrüstung und Kolonialisierung sich nicht „gelohnt“ habe – ein Faktum, das „gerade die marxistische Imperialismustheorie niemals wahrhaben“ wollte. Die „koloniale Expansion ebenso wie die maritime Rüstungspolitik“ seien nur als irrationale Fortsetzung der „wahnhaften“ Struktur der „abstrakten Arbeit“ auf dem Gebiet der Außenpolitik zu begreifen. Das Faktum, dass „am Ende nicht einmal ein gesamtkapitalistisch profitables Resultat herauskam“, erscheine dadurch, „dass im Namen der räuberischen kolonialen Eroberungspolitik Millionen von Menschen umgebracht, verstümmelt und erniedrigt, ganze Länder verwüstet und durch Raubbau ruiniert wurden“ , nur in einem „um so grelleren Licht“.
Die Rolle der Arbeiterbewegung
Auch die Arbeiterbewegung war auf die „bürgerlichen Formen der Nation und der Demokratie fixiert“, womit sie schon den „Keim des Sozialimperialismus“ in sich trug. Die deutsche Sozialdemokratie hatte zwar im Reichstag regelmäßig gegen das Budget für den Flottenbau gestimmt, doch rührte dies hauptsächlich daher, dass „die sozialistischen und gewerkschaftlichen Apparate von den imperialistischen Eliten weiterhin aus der staatlichen Mitverwaltung ausgegrenzt wurden, und weniger aus einer wirklich prinzipiellen Gegnerschaft“. Bereits im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 war „schon nahezu ein halbes Jahrhundert vor dem Ersten Weltkrieg deutlich geworden, wo die Sozialisten beiderseits des Rheins wirklich standen, nämlich auf der Seite ihres jeweiligen kapitalistischen ‚Vaterlandes’- bereit zum Brudermord“.
Hinter der „Fassade des offiziellen Antikolonialismus“ kamen „in allen wichtigen sozialistischen Parteien Europas immer stärkere Signale einer Annäherung des Interesses an die imperialistische Expansion, die von einer stärker werdenden Minderheit bei den internationalen Sozialistenkongressen offen befürwortet wurde“. Große Teile der Sozialdemokratie betrachteten den Kolonialismus „nicht als grundsätzlich verdammenswert, sondern eher im Gegenteil als Moment jener ‚zivilisatorischen Mission’ des Kapitalismus, von der Marx in ganz anderem Zusammenhang gesprochen hatte“.
Kapitel 5: Die Biologisierung der Weltgesellschaft

Eine zentrale Entwicklung im 19. Jh. ist für Kurz der Darwinismus und die daraus folgende „Biologisierung der Weltgesellschaft“. Dabei trage Charles Darwins „biologistische Welterklärung“ den typischen Charakter der Leistungen der modernen Naturwissenschaft: „Eine wirkliche große Entdeckung verschmolz vollständig mit einem irrationalen ideologischen Impuls und unreflektierten Interessen des kapitalistischen Fetisch-Systems, um sich schließlich mit einer enormen Zerstörungskraft aufzuladen“.
Der Kampf ums Dasein
Kurz sieht Darwin in der Tradition der Aufklärung und ihrem Programm der „Vernaturwissenschaftlichung“ und „Entzauberung“ der Welt. Der Widerspruch zwischen „naturwissenschaftlicher Freigeisterei und konservativ-klerikaler Gesinnung“ sei aber ein bloßer „Familienzwist innerhalb des Liberalismus und seiner herrschenden Eliten“ gewesen. Die Freigeister hätten keine echte Aufklärung im Sinne gehabt. Sie „wollten entweder die naturwissenschaftliche Scheinaufhebung der Religion für die Eliten reservieren, während ‚das Volk‘ aus disziplinarischen Gründen weiterhin mit christlicher Glaubensdemut gefüttert werden sollte“. Oder die Ersetzung der Religion durch die Naturwissenschaft sollte „die rohe Form einer äußerlichen Gängelung der Massen durch die raffiniertere Form einer massenhaften Selbst-Disziplinierung ablösen, nunmehr nach angeblich ‚naturwissenschaftlichen’ und sogar biologischen Gesetzmäßigkeiten“.
In letzterem Sinne sei auch die Lehre Darwins zu verstehen. Darwin glaubte, den Mechanismus für die Evolution der Arten darin gefunden zu haben, „dass die jeweils ‚zu große’ Anzahl der Lebewesen einer Art einen ‚Kampf ums Dasein’ führt, aus dem nur die Lebenstüchtigsten als Sieger hervorgehen und somit durch ‚Auslese’ (Selektion) eine allmähliche Veränderung und Höherentwicklung bewirken“. Der Schritt, diese Lehre „auf die Gesellschaft zurückzuprojizieren und darin eine wunderbare ‚naturwissenschaftliche’ Rechtfertigung für die kapitalistische Konkurrenz und ihre existenz- und lebensvernichtende Wirkung zu erkennen“ habe keiner großen theoretischen Anstrengung“ mehr bedurft. Dieser – bereits bei Darwin grundgelegte - „Sozialdarwinismus“ entwickelte sich dann sehr bald zu einem Instrument, das von „imperialistischen Ideologen wie Friedrich Naumann, Walter Rathenau oder Max Weber“ benutzt wurde, um „die deutschen Weltmachtansprüche“ zu formulieren.

Menschenzucht und Fortpflanzungshygiene
Für Kurz verbinden sich Darwinismus und Kapitalismus in dem Gedanken der „biologischen Sozialtechnologie“, einer Methode, „der Natur auf die Sprünge zu helfen und die gesellschaftlich-soziale ‚Zuchtwahl’ bewusst zu beschleunigen und gewissermaßen zu vollstrecken“. Sie hatte sich vor dem Hintergrund des Imperialismus zu einer „Flut sozialdarwinistischer Ideen und Organisationen zur Utopie der ‚Menschenzüchtung’ für den kapitalistischen ‚Kampf ums Dasein’ und zwecks Überlebensfähigkeit der eigenen Nation gesteigert“. Diese Bewegungen hatten sich unter dem Namen „Eugenik“ als „menschenzüchterische Bewegungen für ‚nationale Erbgesundheit’ vor allem in den angelsächsischen Ländern und in Deutschland“ gebildet und „bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Bestand“ gehabt. Die Wissenschaft menschlicher Zuchtwahl sollte „nach den Prinzipien der wissenschaftlichen Landwirtschaft“ entwickelt werden.
Sehr rasch haben sich – so Kurz – „auch die entsprechenden Vorstellungen einer negativen Selektion“ gebildet, wozu bereits Darwin in seinem Buch über die „Abstammung des Menschen“ die Stichworte lieferte. Grundlage dieser Vorstellung war die Auffassung einer biologischen Determination sozial-moralischer Eigenschaften. Diese führte dazu, dass „die Sieger im erbärmlichen Wettkampf der ökonomischen Konkurrenz sich als die auch biologisch höherwertigen Menschen, geradezu als von der Natur selbst determinierte ‚Übermenschen’ definieren konnten; ein Terminus, den nicht zufällig Nietzsche in derselben Zeit erfand“.
Der Sozialdarwinismus forderte nun „für die Ausschaltung der ‚biologisch Minderwertigen’ einen bewussten naturwissenschaftlichen Selektionsmechanismus der Gesellschaft ein“. Das betraf zum einen die „Kriminellen“, indem es nun erlaubt war, „Wurzeln der Kriminalität“ nicht mehr mit den „kapitalistischen Zumutungen“ in Verbindung zu bringen, sondern sie „mit naturwissenschaftlicher Weihe bequemerweise als biologische Erbeigenschaft“ zu definieren. Zum anderen sollten auch alle „im kapitalistischen Sinne Arbeitsunfähigen“ ausselektiert werden: „ körperlich oder geistig Behinderte, chronisch Kranke, Verkrüppelte usw.“.
Der eigentliche Grund dieser Denkweise ist nach Kurz zum einen im „irrationalen Kern der modernen Naturwissenschaften selbst“ zu suchen, die „eben keineswegs bloß äußerlich vom abstrakten und destruktiven Selbstzweck der kapitalistischen Produktionsweise befallen sind“. Zum anderen stelle sie eine „Reaktionsbildung auf die verinnerlichten Anforderungen der kapitalistischen Konkurrenz in allen ihren Erscheinungsformen“ dar. Wenn man den Sozialdarwinismus kritisieren wolle, müsse man letztlich das Konkurrenzprinzip selbst und damit den „zugrundeliegenden fetischistischen Mechanismus der ‚schönen Maschine’“ kritisieren. Seine Ideen seien „nicht irrationaler als der Kapitalismus und seine Marktwirtschaft selbst; sie können sich in ihren mörderischen Konsequenzen stets auf den real mörderischen Charakter des kapitalistischen ‚Kampfes ums Dasein’ berufen“.
Das aus der Ideologie des Sozialdarwinismus resultierende „Eugenik“–Programm lief „zunächst auf eine biologistische Bevölkerungspolitik hinaus, die sich als ‚Fortpflanzungshygiene’ definierte. Während die ‚Minderwertigen’ und ‚Entarteten’ notfalls gesetzlich und mit Polizeigewalt daran gehindert werden sollten, sich fortzupflanzen, galt es andererseits als gesellschaftspolitisches Ziel, ‚erbgesundes’ Menschenmaterial nach landwirtschaftlichen Gesichtspunkten zusammenzuführen“. Im Zusammenhang mit dem Eugenik-Programm wurde auch die These vom „physiologischen Schwachsinn des Weibes“ aufgestellt – so der Titel der im Jahr 1900 erschienenen Abhandlung des „berüchtigten wilhelminischen Neurologen Paul Julius Möbius“. Der Hintergrund sei der Gedanke einer „gewissen Unzuverlässigkeit und gleichzeitigen Inferiorität des weiblichen Menschenmaterials“ gewesen, das „wegen seiner Bereitstellung für die ‚abgespaltenen’, von der Kapitallogik nicht voll zu erfassenden Bereiche eben auch weniger in den Kriterien der kapitalistischen Weltmaschine aufgehen konnte“.
Rassenkampf und Weltverschwörung

Mit dem Darwinismus verband sich außerdem der moderne Rassismus. Dieser war „bis dahin noch eher kulturtheoretisch motiviert“ und erhielt nun „mit dem Kriterium der Hautfarbe bereits ein biologistisches Merkmal“.
Schon „die großen Aufklärungsphilosophen mit Kant an der Spitze“ seien Anhänger einer Rassenideologie gewesen. So mussten bei Kant „unter dem Aspekt der Kampagne gegen die ‚Faulheit’ zwecks ‚Verfleißigung’ (Industrialisierung) des Menschenmaterials […] ‚die Neger’ als Negativexempel herhalten“. Es herrschte die Auffassung vor, dass „die Afrikaner aber auch zu gar nichts zu gebrauchen seien und von Natur aus kujoniert werden müßten“. Bei Hegel wurde „die Kultur der ‚Neger’ als die unterste, vorzivilisatorische Phase des entäußerten ‚Weltgeistes’“ abgestempelt. In Frankreich kreierte Auguste Comte eine „einschlägige Stadientheorie der Menschheit, die von der angeblichen Menschenfresserei der ‚Wilden’ bis zu den ‚Auserwählten oder [...] den Vortrab der Menschheit’ reicht, der ‚den größeren Teil der weißen Rasse oder die europäischen Nationen (umfaßt)’“. Daran anschließend erfand der französische Diplomat und Publizist Joseph Arthur Graf de Gobineau den „ Mythos der ‚arischen Edelrasse’“.
Durch die Verschmelzung mit dem Darwinismus nahm laut Kurz „die Rassentheorie einen unmittelbar biologistischen Charakter an, der ihren von Haus aus wahnhaften und destruktiven Charakter gewissermaßen verdoppelte“. Houston Stewart Chamberlain lieferte mit seinem Bestseller Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts eine Interpretation der „gesamten Geschichte einschließlich der Kunstformen nach ‚rassischen’ Gesichtspunkten“. „Der Kampf um die „Rassenreinheit avancierte so zum ideologischen Zielkorridor für das beginnende 20. Jahrhundert, mit mehr oder weniger tiefgreifendem Einfluß in ausnahmslos allen kapitalistischen Ländern und Modernisierungsgesellschaften.“
Aus der Verbindung von Darwinismus, und Rassenwahn bildete sich „eine dualistische Rangordnung des imperial-kapitalistischen Systems auf allen Ebenen heraus: biologisch elitäre Herrenmenschen, ‚weiße Rasse’, ‚erbgesunde’ Normalos, kampfkräftige Männer auf der einen Seite; zu beherrschendes und biologisch inferiores Menschenmaterial, ‚Entartete’ und Kranke, geborene Verbrecher, Frauen, ‚farbige Rassen’ auf der anderen Seite“.
Die Verkörperung des Bösen
Für Kurz entwickelte sich eine Gesellschaft des „darwinistischen und rassistischen Wahns“, die „sich ihrer selbst nicht bewusst“ war und „sich in pseudo-naturgesetzlichen, selbstzweckhaften Denk- und Handlungsformen“ bewegte. Sie benötigte daher „die Idee eines als fremd und äußerlich gedachten ‚Bösen’, um die verdrängten, nicht ins Bewußtsein integrierten Momente des eigenen Selbst zu bannen“. Diese Funktion der „Verkörperung seiner eigenen Negativität“ konnte nicht durch die „inferioren Menschenkategorien“ eingenommen werden, da diese dafür „nicht satisfaktionsfähig genug“ waren; es wurde vielmehr „eine ‚böse Gegenrasse’ von ‚negativen Übermenschen’“ benötigt, die sich „in Gestalt der Juden“ fand. Kurz verweist an dieser Stelle auf die „lange Tradition“ einer solchen Interpretation des Bösen bis ins Mittelalter. Dieser „religiöse Affekt des Mittelalters wandelte sich zum modernen Antisemitismus, der diesen Affekt auf das säkularisierte, quasi-religiöse Bezugssystem der kapitalistischen Weltmaschine übertrug und die Negativität der Verwertung des Werts als ‚jüdisches Wesen’ definierte: Was schlecht ist an der Herrschaft des Geldes, das muß ‚jüdisch‘ sein“. In der Verschmelzung des Antisemitismus’ mit dem Darwinismus erschien nun „die postulierte Negativität des Jüdischen, seine Definition als Macht des Unheimlichen in der Moderne […] als biologische „Rasseneigenschaft“. Es verbreitete sich die Paranoia einer „phantastischen ‚jüdischen Weltverschwörung’“ - exemplarisch bei Houston Stewart Chamberlain. Dieser habe „das ‚fremde jüdische Wesen’ […] in die unentrinnbare Objektivität der ‚dämonischen Gegenrasse“ verwandelt, „deren Mitglieder nicht subjektiv zu tadeln sind, da sie nur ihrer biologischen Natur gemäß handeln“. Gerade diese „pseudo-naturwissenschaftliche ‚Anerkennung’ des imaginierten ‚Rassengegners’“ lasse „letzten Endes nur noch die Logik der physischen Vernichtung offen, da eine menschliche Verständigung mit den stummen „Gesetzen des (fremden) Blutes“ nicht mehr möglich ist“. Hier bestehe eine „Analogie zu den stummen, nicht verhandelbaren Gesetzen von Markt und Konkurrenz“.
Der sozialistische Antisemitismus
Kurz sieht auch in der Tradition des Sozialismus antisemitische Tendenzen, die bis auf die utopischen Frühsozialisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückgeführt werden könne. Bereits Charles Fourier wähnte „die kapitalistische Ausbeutung vor allem durch Handel und Wucher verursacht“. Mit seiner 1808 erschienenen Schrift „Theorie des quatre mouvements“ habe er ein antisemitisches Weltbild vertreten und sogar „gegen Bürgerrechte für Juden“ geeifert.

Pierre-Joseph Proudhon, einer der Begründer des Anarchismus, „reduzierte den Begriff des Kapitalismus auf das zinstragende Kapital der reinen Geldverleiher, dessen ‚Bedingung der Möglichkeit‘ er im Charakter des Geldes als einer privilegierten Ware angelegt sah, die demzufolge ‚deprivilegiert’ werden müsse“. Er „wollte deshalb ein sogenanntes ‚Arbeitsgeld’ einführen, das auf der direkten Verrechnung von Arbeitsquanten beruhen und den ‚arbeitslosen’ Zinsgewinn von Geldkapitalisten unmöglich machen sollte“. Proudhon sei nicht in der Lage gewesen, „die ‚abstrakte Arbeit’ des warenproduzierenden Systems [..] als Kern des Kapitals selber [zu] erkennen“. Seine Theorie kritisierte „den Kapitalismus nur so weit, wie es die antisemitische Umdeutung der inneren Widersprüche dieser Gesellschaftsform erlaubt“ und sei daher auch immer wieder „in die hetzerische Sprache des Wahns vom eingeborenen jüdischen Geldmenschen und Weltverschwörer“ verfallen.
Der ausschließliche Hass gegen die „Zinsknechtschaft“ sei untrennbar verbunden gewesen mit einer antisemitischen Hetze, die „bis tief in die Arbeiterbewegung hinein“ ihre Wirkung zeigte. Kurz erwähnt an dieser Stelle Rudolf Steiner und Silvio Gesell, die er als Teil einer „antisemitisch-zinskritische Schnittmenge“ bezeichnet, aus der „schließlich der Nationalsozialismus aufschießen sollte“.
Auch bei Marx macht Kurz eine „antisemitische Schieflage“ aus. Er und der marxistische Hauptstrom der Arbeiterbewegung nach 1848 wollte zwar „nicht mehr bloß das zinstragende Leih- und das Handelskapital, sondern den Kapitalismus als Produktionsweise insgesamt kritisieren“. „Aber weil dabei trotzdem der positive Begriff der ‚abstrakten Arbeit’ beibehalten und nur das privatkapitalistische industrielle Regiment durch ein staatsbürokratisches ersetzt werden sollte, blieb die Haltung gegenüber dem antisemitischen Syndrom notwendigerweise ambivalent“. Marx hatte zwar - im Unterschied zum Arbeiterbewegungs-Marxismus – „theoretisch ein widersprüchliches und streckenweise kritisches Verhältnis zur Kategorie der ‚Arbeit’“ und bezeichnete die Fixierung auf das zinstragende Kapital als „Volksvorurteil und Ausdruck des Kapitalfetischs“; doch habe er „immer wieder in Richtung einer Identifikation von ‚Geld überhaupt’ oder ‚Schacher’ und ‚Wucher’ mit dem ‚jüdischen Wesen’“ polemisiert. Im Unterschied zu Fourier und Proudhon habe Marx allerdings „den Juden“ als bloße „Metapher“ für die Geldherrschaft genommen und führte diese nicht auf ihn zurück.
Kapitel 6: Die Geschichte der Zweiten industriellen Revolution
Kurz charakterisiert den Beginn des 20. Jahrhunderts als eine „eigentümliche schizophrene Mischung aus Fortschrittsgläubigkeit und Untergangsphantasie, technokratischem Machbarkeitsdenken und biologistischer ‚Veterinärphilosophie’, Staatsräson und Marktkonkurrenz, individuellen Ansprüchen und wahnhafter Kollektivsubjektivität von ‚Nation’ und ‚Rasse’“. Diese Mischung sollte nun zur Entladung „der unbeherrschbar gewordenen Spannungen in und zwischen den imperialen Mächten drängen“.
Die aus der Agrargesellschaft überkommenen traditionellen Bindekräfte der Gesellschaft lösten sich immer schneller auf, was „Ratlosigkeit und irrationale Unrast“ zurückließ. Die Ideen und Programme der sozialistischen Arbeiterbewegung wurden „hohl und als vermeintliche historische Alternative unglaubwürdig“, da sie von Grund auf „mit den kapitalistischen Denkformen, Handlungsmustern und Interessenkategorien kontaminiert“ waren.
Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts
Mit der Entfesselung des Ersten Weltkriegs begann für Kurz - in Anlehnung an George F. Kennan - die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“. „Als die Explosion erfolgte, waren sich die wenigsten darüber im klaren, zu welch einschneidenden gesellschaftlichen Veränderungen diese bis dahin größte Katastrophe der an Krisen und gesellschaftlichen Gesamtunfällen reichen Modernisierungsgeschichte führen würde“. Die erste Reaktion war eine ungeheure Begeisterungswelle. Die Explosion wurde „wie eine Erlösung empfunden“. Kurz interpretiert dies als Hoffnung auf „eine Erneuerung und Verjüngung der Welt“, die sich „nicht mehr anders als in der Form einer nationalen Kriegsbegeisterung äußern konnte“; dies zeige „den Grad der Demoralisierung und geistigen Verkommenheit an, den die menschliche Gesellschaft durch ihre Unterwerfung unter die Gesetze der Konkurrenz bereits erreicht hatte“. „Das ganze Wutpotential einer von Grund auf repressiven Gesellschaftsordnung, das die nationalisierten Massen in sich hineingefressen hatten, durfte sich nun entladen - nach außen“.

Umso heftiger musste nach Kurz nun „die ‚innere Einheit“ der ‚nationalen Schicksalsgemeinschaft’ beschworen werden“. So erklärte Wilhelm II. am 1. August 1914 : „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“. Für die Liberalen „bedurfte es eines solchen Appells natürlich gar nicht“, da diese „allesamt die imperialistische Konkurrenzpolitik aus tiefstem Herzen selber propagiert und sogar konzeptionell ausgearbeitet“ hatten. Der Aufruf war v.a. an „die jüdischen Staatsbürger und die Sozialdemokratie“ gerichtet. Die „Mehrzahl der jüdischen Oberschicht, der Akademiker, Wissenschaftler und Führungskräfte der Wirtschaft [trat] die nationalistische Flucht nach vorn an“. Auch die Arbeiterbewegung und die Sozialdemokratie stimmten „in das schauerliche nationale Kriegs- und Einheitsgeheul ein“ – unter dem der Vorwand eines „‚Verteidigungskrieges’ gegen ‚Aggressoren’“. „Die Kriegskredite wurden bewilligt und die wenigen Abweichler des äußersten linken Flügels mit der 1916 ins Gefängnis geworfenen jüdischen Marxistin Rosa Luxemburg an der Spitze verfemt“. Nur eine Handvoll Intellektueller ließ sich „durch den allgemeinen Wahn nicht mitreißen und versuchte von unterschiedlichsten Positionen aus eine Opposition gegen den Krieg literarisch zu formulieren“ – wie z.B. Karl Kraus, Ricarda Huch, Stefan Zweig und Franz Werfel.

Der Erste Weltkrieg bewirkte nach Kurz ein Aufblühen des „Sozialdemokratismus“: „Endlich war er bei sich und zu sich gekommen, durfte mitmischen und die ‚Götterdämmerung der bürgerlichen Welt’ (Bebel) als seinen eigenen lang ersehnten demokratischen Eintritt in eben diese Welt mit Blutorgien feiern“. Weil die Sozialdemokraten ihren „Blutzoll treu entrichtet und sich als Fleisch vom Fleische der kapitalistischen Welt bewiesen hatten, wurde ihnen nun der lang ersehnte Eintritt in die Zentren der Macht oder doch wenigstens in deren Vorhallen und Hinterhöfe gewährt[...]. Die bislang ausgegrenzten Sozialistenführer mutierten zu staatsmännischen Juniorpartnern der ‚schönen’ Maschine, die sie bis heute geblieben sind“. In Frankreich und Belgien „traten führende Funktionäre der Arbeiterbewegung als Minister in die Kriegskabinette ein“; in Deutschland war die Mehrheitssozialdemokratie „im informellen Beratungsgremium des ‚Interfraktionellen Ausschusses’ […] gerngesehenes und eifriges Mitglied“. So formte sich die Idee des Sozialismus als „Kapitalismus plus sozialistische Teilhabe in leviathanischen Formen“ weiter aus.
Henry Ford und die Geburt der Auto-Gesellschaft
Eine Wurzel des Ersten Weltkrieges war nach Kurz auch die Zukunftsangst „der kapitalistischen Funktionseliten selber“. Die lange Stagnationsperiode der Gründerzeitkrise, die erst nach 1890 ihr Ende gefunden hatte, war nur in ein mäßiges Wachstum übergegangen. Um die kapitalistische Produktionsweise auch in „Friedenszeiten“ zu einem „gesellschaftlich flächendeckenden System“ zu machen, musste der Übergang in „eine neue Stufe der kapitalistischen Systementwicklung“ vollzogen werden: „zu bisher nicht dagewesenen Formen der Massenproduktion und des Massenkonsums“.
Dies stellte Kurz zufolge eine schwere „Hürde“ für den Kapitalismus dar, dessen „innere Struktur“ nicht auf die „Produktion von Konsumtionsmitteln“, sondern auf „Investitionen“ ausgerichtet sei – wesentlich bedingt durch seine „mentalitätsgeschichtliche Wurzel“ im Protestantismus. Dieser gebot „dem um seine Rechtfertigung vor Gott besorgten Menschen, einerseits buchstäblich wie ein Blöder zu malochen und Schätze aufzuhäufen zum Zeichen seiner Gotteserwähltheit, andererseits aber diese Früchte nicht sündhaft zu genießen, sondern sie in verkniffener dünnlippiger Knauserigkeit aufzusparen und in Mittel neuer Selbstzweck-‚Arbeit’ auf höherer Stufenleiter zu verwandeln - ad infinitum“.

Das Automobil eignete sich nun nach Kurz Auffassung am ehesten, „den Konsum in einen strukturell verselbständigten Selbstzweck zu verwandeln und damit der Logik der Weltmaschine anzugleichen“; denn im „Unterschied zu den meisten Gegenständen des sinnlichen oder kulturellen Genusses konnte dieser Konsum nämlich nicht im Gebrauch seiner Inhalte aufgehen, sondern erforderte eine derart flächendeckende materielle, organisatorische und soziale Logistik, dass er geeignet war, sich zu einer zwanghaften und verinnerlichten Benthamschen ‚Verhaltensspur’ zu entwickeln, die das System der Disziplinierungen in bis dahin unbekannte Dimensionen auszuweiten versprach. Zweitens war die mechanisierte Mobilität von allen Formen des Konsums dem Charakter eines Investitionsgutes am ähnlichsten und von daher auch im ökonomischen Sinne das am meisten geeignete Mittel, um den Menschen selbst noch im Konsum jede Eigensinnigkeit auszutreiben und sie zum Werkzeug ihres Werkzeugs zu machen“.
Die beiden „legendären Figuren“ waren dabei der Automobilfabrikant Henry Ford und der Rationalisierungs-Ingenieur Frederick Winslow Taylor. Ford führte in seiner 1903 gegründeten „Ford Motor Company“ jene entscheidenden Neuerungen ein, die den Industriekapitalismus des 20. Jahrhunderts prägen sollten. Für ihn „ging es einzig und allein darum, im Interesse seiner Weiterentwicklung die Widersprüche von Investitionslogik und Konsumlogik, Massenproduktion und relativer Unterkonsumtion mangels Kaufkraft aufzulösen“. Er wollte mittels Kostensenkung den „‚lag’ zwischen produktiver Potenz und Massenkaufkraft“ überwinden, „ohne die selbstzweckhafte Akkumulationslogik des Kapitals zu beeinträchtigen“.
Ford richtete die Aufmerksamkeit der betriebswirtschaftlichen Rationalität auf einen bisher vernachlässigten Bereich: „die Arbeitsorganisation selbst und die Flussgeschwindigkeiten innerhalb ihres Ablaufs“. Auf keine Arbeit sollte „mehr Kraft als absolut notwendig“ verwendet werden. Das bedeutete „eine geradezu ungeheuerliche Verdichtung der Arbeit weit über den bisherigen Verdichtungsgrad durch das Maschinensystem hinaus. Das ‚philanthropische Wunder‘ einer gleichzeitigen Verbilligung der Produkte, Erhöhung der Löhne und Verkürzung der Arbeitszeit erklärt sich also allein daraus, dass den Arbeiterinnen in Wahrheit wesentlich mehr Lebensenergie abgezapft wird, als sie in Form der konsumistischen ‚Wohltaten’ an Gratifikationen zurückerhalten“. Um der „‚Drückebergerei’ zu Leibe zu rücken“, führte Taylor Zeit- und Bewegungsstudien, mit denen alle Tätigkeiten in Teilabläufe zerlegt und genau durchgecheckt wurden.
Ford erfand die „Montagebahn“ oder, wie es später genannt wurde, das „berüchtigte Fließband“ - ein Prinzip, das er „bezeichnenderweise den Schlachthöfen von Chicago abgeschaut“ hatte.
Weltwirtschaftskrise
Voraussetzungen
In den 20er Jahren (Roaring Twenties) schien eine „neue Epoche eines weltweiten Kapitalismus von Massenproduktion und Massenkonsum“ anzubrechen. Der sog. „weiße Sozialismus“ von Ford „schlug sich in einer beginnenden kommerziellen Massenkultur nieder“.
Der strukturelle Umbruch der Zweiten industriellen Revolution wurde aber „überlagert von der bis dahin größten und verheerendsten sozialökonomischen Transformationskrise“. Auf die erste politisch-militärische folgte die zweite, nämlich „ökonomische ‚Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts’“.
Trotz „einer neuen Qualität und Quantität des Massenkonsums durch das ‚investive Konsumtionsmittel‘ Automobil“ war der entstandene Fordismus noch nicht in der Lage, nahtlos an die Erste industrielle Revolution anschließen. „So lagen Straßenbau, Energieversorgung, technologische Netzwerke für die neuen Medien und den Automobilismus weit hinter den Produktionsmethoden Fords zurück, und die dafür notwendigen gesamtgesellschaftlichen Investitionskosten konnten weder von der Privatwirtschaft noch von den durch die Kriegskosten erschöpften Staaten rasch genug aufgebracht werden. Nicht zuletzt benötigte der Fordismus einen intakten Weltmarkt und eine weitergehende internationale Verflechtung, um die Kapazitäten einer durchrationalisierten Industrie durch weltweite Absatzmärkte flexibel ausnutzen zu können, statt auf nationale Binnenmärkte beschränkt zu bleiben“.
Zu dieser mangelhaften „gesamtgesellschaftlich greifenden Implementierung des Fordismus“ kamen „die Kriegslasten und Kriegsfolgen hinzu“. Diese dürfen aber nicht als „außerökonomische“ Faktoren interpretiert werden, da „der Weltkrieg gerade aus der ‚Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln‘ zwischen den kapitalistischen Nationalökonomien hervorgegangen“ sei.
Inflation
Während des Krieges hatte die Staaten bereits „die Gold-Bindung der Währungen gekappt“ und den „Weg von Anleihen und staatlicher Kreditaufnahme in einer bisher unbekannten Dimension beschritten“. Aber auch „die ungeheuren Staatsanleihen reichten bei weitem nicht aus, um die industrielle Kriegsmaschine zu finanzieren“. „Die in großem Maßstab abgekoppelte Geldschöpfung ohne ‚Deckung‘ durch die kapitalistische Realakkumulation konnte nur zu einer Entwertung des Geldes selber führen - ein als Inflation bezeichneter Vorgang“.
Der finanziell ruinierte Staat versuchte, „die ungeheuren Schulden bei seinen Bürgern (und teilweise auch im ‚befreundeten‘ Ausland) durch hemmungsloses Anwerfen der Notenpresse zu bedienen“. Dem stand ein durch die Kriegslasten drastisch vermindertes ziviles Warenangebot gegenüber. „Der ‚monetäre Rückstau‘ verwandelte sich in eine Flut des irregulären Geldes, die über die Gesellschaft hereinbrach und die Warenpreise immer schneller in die Höhe trieb. Die im Lauf des 19. Jahrhunderts mit seiner allgemeinen Goldbindung der Währungen selbst in der Wirtschaftswissenschaft vergessene inflationäre Krise des Geldes erfaßte nahezu ganz Europa“.

In Deutschland stiegen die Preise „bis in groteske Dimensionen an“. Die Folge war „eine völlige Zerrüttung des Geldsystems. Die tiefe Irrationalität des Kapitalismus brach in seiner geheiligten Grundform hervor und machte den Fetischismus dieses Gesellschaftssystems bis zur Lächerlichkeit sichtbar. Wie in einem verrückten Märchen wurden plötzlich alle Millionäre und Milliardäre, aber gerade dadurch ruiniert“.
„Besonders in Deutschland drohte die Selbstzerstörung des Geldes bei weiterhin geltenden kapitalistischen Produktionsbedingungen in die offene Hungerkatastrophe der großen Städte zu führen, weil die Bauern sich zunehmend weigerten, Lebensmittel gegen wertloses Geld zu liefern und andererseits der Naturaltausch zwischen Stadt und Land nur begrenzt funktionieren konnte“. „Die Vernichtung eines Großteils der bürgerlichen Geldvermögen führte zu einem beispiellosen Massenruin der bisher ‚staatstragenden’ mittelständischen Schichten und Milieus“.
„Während die Massen und große Teile des Mittelstands verelendeten, spreizte sich eine kleine Schicht von spekulativen Krisengewinnlern in der obszönen Präsentation ihres luftigen Reichtums; und gerade diese Schicht von Neureichen war es, die mitten im Massenelend die Anfänge des technokulturellen ‚Konsumismus’ am weitestgehenden realisieren konnte und die Imaginationen des Zeitgeistes bestimmte“.
Nirgendwo gab es „eine emanzipatorische Alternative“ gegen das „kapitalistische System“; die sozialistischen und kommunistischen Parteien blieben weiterhin „den kapitalistischen Grundkategorien verhaftet“. Stattdessen „blühten die Ressentiments, niedrigen Instinkte und irrationalen Krisenerklärungen auf“; die Folge war eine „populistische ‚Spekulantenhetze’ quer durch das Parteienspektrum“.
Besonders in Deutschland „weckte die Mischung aus Krisenangst, phantasmagorischen Projektionen und Spekulantenhatz den alten, tiefsitzenden Dämon des Antisemitismus“. „Zum ersten Mal in der Modernisierungsgeschichte entstand in Gestalt der ‚Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei’ (NSDAP) eine rechtsradikale Massenbewegung mit fundamental antisemitischer Selbstlegitimation, die den linken sozialistischkommunistischen Parteien nicht nur Konkurrenz machte, sondern sie sogar überflügeln konnte“.
„Die große Krise ließ in der ganzen Welt antisemitische, rassistische und sozialdarwinistische Stimmungen emporkommen, deren ideelle Grundlagen ja seit Aufklärungszeiten von den liberalen Stammvätern selbst gelegt worden waren; aber nur in Deutschland formierte sich eine politische Massenpartei mit genug antisemitischer Legitimation, die durch demokratische Wahlen zur Macht gelangen konnte“.
Spekulationswelle und deflationäre Krise
Den Regierungen gelang es, „mit drastischen Sparmaßnahmen (um den Preis eines Abwürgens der ‚Inflationskonjunktur’), mit Währungsreformen (um den Preis der endgültigen Vernichtung großer Vermögensmassen) und mit einer teilweisen Rückkehr zum Goldstandard (um den Preis einer eingeschränkten Handlungsfähigkeit des Kreditsystems) die Inflation erst einmal zurückzudrängen“. Diese Maßnahmen liefen „darauf hinaus, dass sich die Staaten bei ihren Bürgern als Gläubigern gewaltsam entschuldeten und damit einen gewaltigen Verarmungsschub auslösten“.
Mit der scheinbaren Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage setzte nun eine „fieberhafte Industrietätigkeit“ ein; die „Produktion stieg, doch nur von einer sehr niedrigen Basis; sie blieb immer noch um vieles unter dem Vorkriegsstand, während die Produktivität abnahm“. Der „Aufschwung fand vor allem im Reich der Spekulation statt“, wo „die erwartete Prosperität der Zweiten industriellen Revolution in einer für die tatsächlichen Verhältnisse völlig irrealen Dimension vorweggenommen“ wurde.
Die Folge war eine beispiellose Spekulationswelle auf den „Aktien- und Immobilienmärkten“ – v.a. in den USA, „die ja offenbar alle Voraussetzungen hatten, um zur ‚Lokomotive’ einer Weltkonjunktur der Zweiten industriellen Revolution zu werden“.
Zahlreiche „Aktienkünstler“ taten sich zusammen, „um den Preis für eine bestimmte Aktie hochzutreiben, und durch gemeinsames Kaufen und Verkaufen die Aufmerksamkeit auf diese Aktie lenkten. Hatten sie auf diese Weise das Interesse von Unschuldigen, Gierigen und Leichtgläubigen geweckt, verkauften sie ihre Aktien zu dem beträchtlich höheren Preis“ [1].
Neben diesem „Spekulationspool sammelte sich ein wachsendes Heer von Kleinspekulanten […]. Zwar konnte selbst in den USA nach wie vor nur ein Teil der Bevölkerung auf Erspartes zurückgreifen; aber das genügte, um eine allgemeine spekulative Mentalität zu erzeugen und das Zocken an der Börse zum ‚Volkssport’ zu machen, zumal es möglich war, daran bei mangelnder eigener Liquidität mit Hilfe von Krediten teilzunehmen“.
Die Blase des „fiktiven Kapitals platzte ebenso wie 1873 – „nur der Knall war lauter und die Folgen verheerender. Der berühmte ‚Schwarze Freitag’ […] sah den Zusammenbruch der New Yorker Börse. Es war der bis heute größte Crash in der Geschichte“. „Der Spekulationswelle folgte eine beispiellose Selbstmordwelle, die jahrelang anhielt. Der aus dem Fenster springende ruinierte Spekulant wurde zu einer Art mythischer Figur im Bewußtsein der Zeitzeugen und der Nachwelt“. „Die einst von Adam Smith als segensreich gepriesene ‚unsichtbare Hand’ des Marktes schlug wie ein außer Kontrolle geratener Roboter das gesellschaftliche Leben kurz und klein. Denn der Ruin der Spekulanten nach dem ‚Schwarzen Freitag’ war nur der Auftakt zur bislang größten Depression der kapitalistischen Geschichte. Die vom Crash schwer getroffenen US-Banken mußten reihenweise ihre Geldanlagen aus dem Ausland zurückziehen, besonders natürlich aus Europa. Damit rissen die internationalen Kreditketten. Urplötzlich erwiesen sich immer mehr Kredite als ‚faul’, weil die Gläubiger, Sparer und Anleger um ihr Geld fürchteten und es schnellstmöglich einzutreiben versuchten, während umgekehrt die Schuldner ihre Kredite durch Spekulationsverluste und rasch zurückgehende reale Produktion nicht mehr bedienen konnten“.

Der Prozess der Abwärtsspirale „verlief in mehreren Schüben, jedesmal durch neue Zusammenbrüche von Banken eingeleitet […]. Besonders betroffen vom Abzug ausländischer Gelder war Deutschland, dessen Nettoinvestitionen in den Jahren vor 1929 zu fünfzig Prozent mit ausländischen, vor allem US-amerikanischen Krediten finanziert worden waren […]. Reihenweise bankrottierten Industrieunternehmen oder fuhren ihre Produktion drastisch zurück. In den USA stieg die Arbeitslosenquote auf 25 Prozent, in Deutschland auf über 40 Prozent. Ähnliche Größenordnungen wurden überall in der industrialisierten kapitalistischen Welt erreicht. Aber auch die agrarischen und rohstoffproduzierenden Länder wurden durch den drastischen globalen Rückgang von Produktion und Kaufkraft in den Strudel der Krise gerissen. Und überall sackte das Sozialprodukt dramatisch ab; in den USA um 30 Prozent und in Deutschland um mehr als 50 Prozent“.
Das Ergebnis dieser zweiten und größeren Welle der Weltwirtschaftskrise war ein „globaler deflationärer Schock“. „In den USA irrten nahezu mittellose Massen in ihren Ford-Autos, dem einzigen noch verbliebenen Besitz, hilflos durch das Land auf der Suche nach Gelegenheitsjobs, um ein wenig Essen und Benzin zu verdienen […]. Außer diesen bizarren mobilen Slums entstanden in den Vorstädten auch riesige neue Elendsviertel, die nie mehr ganz verschwinden sollten“. „In allen großen Industriestaaten schwoll die Zahl der Hungernden wieder an“.
Kurz zieht das Fazit, dass die Wirtsschaftskrise binnen kürzester Zeit die sozialen Standards wieder „auf das Niveau des 18. und frühen 19. Jahrhunderts“ zurückfallen ließ. „Dieser kapitalistische Alptraum machte natürlich auch vor der Kultur und selbst vor den minimalsten zivilisatorischen Errungenschaften nicht halt. Reihenweise wurden Schwimmbäder, Theater und kulturelle Institutionen geschlossen, die Etats der Bibliotheken und des gesamten Bildungswesens, der Krankenhäuser und der medizinischen Versorgung brutal zusammengestrichen. Die Entzivilisierung der gesamten kapitalistischen Welt nahm Ausmaße an, wie sie selbst noch in der ersten, inflationären Phase der Krise niemand für möglich gehalten hätte“
Diktaturen und „Krieg der Welten“
Kurz bezeichnet es als „Selbstbetrug“ und „Geschichtsklitterung“ der „bürgerlich-demokratischen Ideologie, dass sie die nun folgende dritte Runde der Weltkatastrophe im Übergang zur Zweiten industriellen Revolution von den innerkapitalistischen Widersprüchen möglichst weitgehend abzulösen sucht“. Die Kennzeichnung der Nazi-Diktatur als „Absturz einer westlich geprägten Zivilisation in eine Barbarei ohnegleichen“ (Mommsen), „wie eine typische Konsensformulierung nicht nur unter zeitgenössischen Historikern lautet, blockt von vornherein die Frage nach einem inneren Zusammenhang, einem gemeinsamen Kontext oder einer gemeinsamen Grundlage von Marktwirtschaftsdemokratie und Nazi-Verbrechen oder überhaupt staatsterroristischen Krisen und Modernisierungsdiktaturen der jüngeren Vergangenheit ab, in der das barbarische Moment der ‚westlich geprägten Zivilisation’ selber aufscheinen könnte“. Die Diktaturen des 20. Jh. würden in der bürgerlichen Erklärungsweise als das schlechthin „Andere“ und „Fremde“ behandelt, „das aus den Tiefen der Geschichte emporgestiegen ist und die dunkle, antizivilisatorische Seite des Menschen überhaupt repräsentiert“. Kurz hält dieses „Konstrukt“ für so „offenkundig projektiv und manichäisch, dass es verdächtig an die Struktur der Nazi-Ideologie selbst erinnert“. Bei einer Betrachtung der gesamten Modernisierungsgeschichte liege es nahe, „Kapitalismus, Liberalismus und Marktwirtschaftsdemokratie nicht als übergreifendes Positivum zu verstehen“, sondern als „negative und repressive Zwangsvergesellschaftung durch die monströse ‚schöne Maschine’ der ‚Verwertung des Werts’“.
Die Diktaturen des 20. Jahrhunderts wurzeln für Kurz in der kapitalistischen Produktionsweise und seien „Erscheinungsform jener ‚eigentlichen und modernisierenden Revolution des liberalen Kapitalismus’ selbst“. „Aus dieser negativen, kritischen Perspektive kann besonders Auschwitz nur als die nicht mehr zu überbietende äußerste Konsequenz der liberalen Ideologie in der Tradition von Hobbes, Mandeville, de Sade, Bentham, Malthus u. Co. verstanden werden“, deren „Naturalisierung und Biologisierung des Sozialen“ „eine historische Schicht von Auschwitz“ darstelle.

Kurz spricht von „einer Art Dr.-Jekill-und-Mr.-Hyde-Identität von Demokratie und Diktatur“. Die westliche Nachkriegsdemokratie sei „nichts anderes als die fortentwickelte und zur ‚zweiten Natur’ objektivierte Diktatur einer fetischistischen, in Wahrheit der menschlichen Vernunft hohnsprechenden Gesellschaftsmaschine“. In den Diktaturen des 20. Jahrhunderts habe sich „nur der liberale Terror des Frühkapitalismus auf höherer Stufenleiter der Entwicklung und mit verschobenen ideologischen Legitimationsmustern“ wiederholt. Schon in der Doktrin von Hobbes sei „die Identität von Liberalismus und Diktatur enthalten“ gewesen. Der „‚ökonomische Terror’ des Kapitalismus sollte verinnerlicht werden, bis schließlich das Menschenmaterial reif dafür gemacht wäre, eine demokratische Exekution dieses Terrors an sich selbst zu vollstrecken“.
Kurz weist an dieser Stelle darauf hin, dass die „friedliche Marktwirtschaft“ „in ihren objektivierten Wirkungen mehr Menschen- und nicht zuletzt Kinderopfer gefordert hat (und weiterhin fordert) als sämtliche äußeren Repressionen und Kriege aller modernen Diktaturen zusammengenommen“. Trotzdem würden „nur die letzteren Opfer als solche gezählt, während die ersteren in neutral dargestellten Statistiken gar nicht als Opfer erscheinen“. „Weil die Verbindung von Täter und Opfer nur bei äußerer Gewaltanwendung eine unmittelbare und direkt einsichtige ist, während die ökonomische Gewalt in ihren gesellschaftlichen Vermittlungen verschwindet und in der liberalen Ideologie als ‚Naturgesetzlichkeit’ erscheint, können sich die Täter und Exekutoren der ‚unsichtbaren Hand’ sogar als politische Moralisten aufspielen, die sich nicht einmal entblöden, die Welt zu Mitleid und Hilfe für die Opfer ihres eigenen Tuns in seiner blinden Gesamtresultante aufzufordern. Sie können sich dabei auf die massenhafte Verinnerlichung der kapitalistischen Pseudo-Natur […] verlassen und erkennen sich selber nicht mehr als die Verbrecher und Exekutoren eines diktatorischen Zwangs, die sie real sind“.
Der „Staatskapitalismus“ der Sowjetunion
Kurz betrachtet die Geschichte der „staatskapitalistischen Sowjetunion“ als „Prototyp der staatsökonomischen ‚nachholenden Modernisierung’ im 20. Jahrhundert“. Die Sowjetunion stand seiner Ansicht nach in einer doppelten „historischen Zwangslage“:
- Sie konnte „keinen grundsätzlich anderen Entwicklungspfad mehr einschlagen als den vom westlichen Kapitalismus vorgezeichneten, auch wenn sie sich kapitalismuskritisch legitimierte“. Die Sowjetunion war konfrontiert mit der „Präsenz des kapitalistisch vorausgeeilten Westens“, „und zwar nicht nur in technischer Hinsicht“; vielmehr „war auch das ‚Weltbewußtsein’ bereits ein kapitalistisch geformtes, das von kapitalistisch geprägten Medien kapitalistische Kategorien und Kriterien in die Intelligenz aller Weltregionen getragen hatte“. Der Marxismus der Sowjetideologie war so in der Sicht Kurz „keineswegs allein ein Produkt der russischen ‚Unterentwicklung’ unter dem Zarenregime, sondern vor allem eine Erscheinungsform des kapitalistisch domestizierten sozialistischen und Arbeiterklassen-Bewußtseins im allgemeinen (daher auch die Emphase der ‚Westernization’ bei Lenin und Stalin)“.
- Sie konnte „in einer von den Standards des zeitgenössischen Kapitalismus bestimmten Welt“ nicht einfach bloß denselben Prozess, den der Westen durchgemacht hatte, „mit derselben Geschwindigkeit wiederholen“, sondern musste „auf dem Niveau des 20. Jahrhunderts einsteigen“. Dieser Prozess musste „unter hohem Kapitaleinsatz bereits als industrieller stattfinden [...] in den Formen eines Protofordismus“.
Kurz ist daher der Meinung, dass das, was „heute als ‚Verbrechen des Kommunismus’ […] aufgelistet wírd“, nichts anderes gewesen sei als „die zeitlich komprimierte Wiederholung der frühkapitalistischen Schrecken“. „Die Hungersnot der frühen 30er Jahre mit Millionen von Toten war die Folge einer rigiden Industrialisierungspolitik, deren Kosten besonders aus der großen Masse der Landbevölkerung herausgepreßt wurden“. „Die Menschenopfer der sowjetischen Industrialisierung waren „einem gewaltsamen Aufbau von (staats)kapitalistischen Industriesystemen und der Durchsetzung von Normen der ‚abstrakten Arbeit’“ geschuldet. Zur selben Zeit, als „der vorausgeeilte Westen im Strudel der Weltwirtschaftskrise versank und die Irrationalität eines entwickelten Kapitalismus sich an der massenhaften Stillegung der Produktion erwies, hatte die Sowjetunion hohe Wachstumsraten. Die aus der Bevölkerung herausgepreßten Mittel verwandelten sich in Geldkapital, mit dem im Ausland Investitionsgüter für die Industrialisierung eingekauft wurden“.
Die Sowjetunion hoffte darauf, „sich mit den Methoden frühkapitalistischer Grausamkeit an die Spitze der Weltentwicklung setzen zu können. Sie tat das mit der Emphase einer historischen ‚Berechtigung’, nämlich mit dem Willen der Nachzügler, sich nicht zum abhängigen und ausgebeuteten Hinterland der kapitalistischen Zentren degradieren zu lassen. Dieser Impuls, im Namen eines gleichberechtigten Eintritts in den industriellen Weltmarkt die Gegenwart der Zukunft aufzuopfern, trug dazu bei, den Leiden und Grausamkeiten einen relativen ‚Sinn’ zu verleihen und ihre mörderischen Konsequenzen zu verdrängen“.
Kurz konstatiert allerdings in der „sowjetischen ‚nachholenden Modernisierung’“, und in der Ideologie der „Arbeiterbewegung und der Linken überhaupt“ ein bis heute „uneingelöstes Moment“: den „Traum“ von der „freien und bewussten Selbstorganisation“, „von dem Marx einst gesprochen hatte und der sich nur dann einlösen läßt, wenn eine soziale Bewegung, die sich nicht mehr als das sich selbst verkaufende Vieh der Arbeitsmärkte definieren läßt, und eine theoretische Kritik des modernen Fetischsystems zusammenkommen“.
Der Begriff des „‚Sowjet’“ verweise auf diesen „sozialen Impuls, der rasch wieder verschwand und von den Brutalitäten der ‚nachholenden Modernisierung’ aufgesaugt wurde“. Es handelte sich „ursprünglich um die ‚Räte’, die Selbstverwaltungsorgane der Produzenten mit einem Anspruch, […] alle gesellschaftlichen Angelegenheiten, den Einsatz der Ressourcen und modernen Produktivkräfte, einem Diskussions- und Entscheidungsprozess unter Beteiligung aller Gesellschaftsmitglieder zu unterwerfen. Dieser Anspruch einer umfassenden Selbstorganisation brach sich in der russischen Revolution nicht allein an einer mangelnden Entwicklung der Produktivkräfte, sondern mehr noch daran, dass das ‚Weltbewußtsein‘ unter Einschluß der sozialistischen Arbeiterbewegung bereits durchgehend kapitalistisch kontaminiert war“. Eine „bewusste Diskussion und gemeinsame Entscheidung über die Verwendung der Ressourcen ausgerechnet in den Kategorien einer blinden, selbstzweckhaften Gesellschaftsmaschine ist jedoch eine logische und praktische Unmöglichkeit. Insofern war es nicht einfach die Aushebelung der Räte durch die ‚Parteidiktatur‘, die das Projekt der gesellschaftlichen Selbstverwaltung zerstört hat [..], sondern die Fesselung des Massenbewusstseins selber in den Formen kapitalistischer Reproduktion“.
Im weiteren Verlauf der Entwicklung der Sowjetunion „degenerierten“ die Räte „schnell zu einer bloßen Attrappe der Selbstorganisation, indem die gesellschaftliche Reproduktion jener fordistischen Zielsetzung unterworfen wurde, welche die staatssozialistischen Protagonisten bereits verinnerlicht hatten“.
Die Keynesianische Revolution
Nach der Weltwirtschaftskrise glaubte - so Kurz - fast niemand mehr „an die Doktrin der ‚unsichtbaren Hand’“. Es herrschte „in nahezu allen politischen und ideologischen Lagern eine ‚Atmosphäre der Feindschaft gegenüber dem Kapitalismus’ […], die aus bitteren Erfahrungen genährt war“.
Nach Kurz bezog sich aber diese „‚Kapitalismuskritik’ der Zwischenkriegszeit nirgendwo auf den Kapitalismus als (warenproduzierendes) Selbstzweck-System, sondern immer nur auf seine vergangene, obsolet gewordene Form des 19. Jahrhunderts“. „Die kapitalistischen Grundkategorien waren im Massenbewusstsein ebenso wie in der theoretischen Reflexion bereits [..] verinnerlicht“.
Die „Kritik“ drückte sich aus im Übergang „zu einer allgemeinen staatsökonomischen Regulation, zum Staat als wesentlichem Wirtschaftssubjekt“. Für die USA stellte „Roosevelts New Deal den tiefsten Einschnitt in ihre Wirtschaftsgeschichte dar“. Roosevelt ging es mit diesem Programm darum, „das durch die Krise fast halbierte Einkommen der ländlichen Farmerbevökerung zu stabilisieren. Dies geschah in einer Weise, wie sie auf dem Agrarsektor immer wieder angewendet worden ist und heute z. B. das absurde Gesamtkunstwerk der Landwirtschaftspolitik in der Europäischen Union bestimmt: nämlich durch Reduktion des Angebots, um die Preise für Agrarprodukte künstlich hoch zu halten. In der Form staatlicher Regulation bedeutete dies, Prämien für die Reduzierung der Anbaufläche aus Staatsfonds zu zahlen“.
Ansonsten gehörte zu den Maßnahmen des New Deal „vor allem die Finanzierung öffentlicher Arbeiten. Dabei handelte es sich wie in Nazi-Deutschland und in der Sowjetunion vor allem um Projekte der Infrastruktur wie Straßen, Staudämme und Kraftwerke; die staatsökonomischen Ansätze der Krisenbewältigung gingen so Hand in Hand damit, die bislang unzureichenden logistischen Rahmenbedingungen für die Zweite industrielle Revolution zu schaffen, insbesondere für den Massenkonsum von Automobilen und neuen Medien“.
In Nazi-Deutschland wurden die staatsökonomischen Eingriffe „weitaus stärker als im New Deal vorangetrieben“. Die Hitler-Administration legte „eine ganze Reihe von ‚Arbeitsbeschaffungsprogrammen’ auf“. Diese standen dabei „von vornherein im Zeichen von Aufrüstung und Kriegsvorbereitung“.
Der „fordistische Durchbruch“ war „nicht anders als mit den mehr oder weniger stark wiederbelebten Finanzmethoden der Kriegswirtschaft anzusteuern. Damit wurden die Grundlagen für einen neuen, diesmal längerfristigen Umschlag des deflationären in einen inflationären Zyklus gelegt, in dem sich der kapitalistische Selbstwiderspruch bewegen und seine absolute Schranke noch einmal hinausschieben konnte“.

Parallel zu diesen Konjunkturprogrammen schuf der britische Ökonom John Maynard Keynes „die dazugehörige Theorie des ‚Deficit spending’“. Keynes zog „aus den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise den Schluss, das bis dahin gültige ‚klassische’ Saysche Theorem, dass das Angebot seine eigene Nachfrage schafft (also eine sich selbst überlassene ‚unsichtbare Hand’ der Märkte automatisch zum ‚Gleichgewicht’ der Vollbeschäftigung führen muß), sei falsch - oder zumindest nur ein Sonderfall in den ‚Wechsellagen’ der kapitalistischen Ökonomie. Keynes stellte demgegenüber fest, dass der Fall eines ‚negativen Gleichgewichts’ weit unterhalb der Vollbeschäftigung eintreten kann, sobald in einer Gesellschaft ‚zuviel’ Kapital akkumuliert worden ist, als dass es einen ausreichenden Anreiz zur realen Reinvestition geben könnte“.
Kurz bemerkt kritisch, dass Keynes selbst zugegeben habe, dass „es sich bei seiner Theorie „im Grunde nur um einen ‚Aufschub‘ der absoluten Grenze kapitalistischer Produktion handeln kann. Ebenso unfreiwillig enthüllt er die Absurdität der dem Kapitalverhältnis inhärenten Logik“. So prägte Keynes sogar das „‚Bonmot‘, besser als in der Krise gar nichts zu tun sei es, ‚leere Bierflaschen mit Zehnpfundnoten in stillgelegten Bergwerken zu vergraben und sie von Unternehmern wieder ausbuddeln zu lassen‘“.
„Die erste große Runde des ‚Keynesianismus‘ mündete in einen neuen Rüstungswettlauf, den Hitlers Turbo-Rüstung und offene Kriegsvorbereitung eingeleitet hatte. Da die zivile fordistische Basis noch weitgehend fehlte und auch nicht aus sich heraus durchgesetzt werden konnte, war wieder einmal der Krieg der Vater aller Dinge. Nur so konnte [...] der fordistische Durchbruch erzielt werden. Hitler war gewissermaßen der Exekutor dieser mörderischen ‚List‘ einer Geschichte, die ihr dunkelstes Kapitel zu schreiben begann“.

Der Zweite Weltkrieg, „der eigentliche Durchbruch der Zweiten industriellen Revolution, übertraf an Vernichtungskraft die erste, die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bei weitem. [...] Und wieder ‚glänzte‘ der industrielle Krieg auf dem nunmehr fordistischen Niveau durch eine Beschleunigung von technischen Innovationen: Radar und Düsenflugzeug, Raketen als Vorstufe der Raumfahrt und nicht zuletzt Kernenergie und Atombombe erschienen als technologische Speerspitzen einer genuin kapitalistischen Horrorform der Produktivkraftentwicklung“. Kurz zieht das Resümee:
- „Dieser neuerliche Triumph der ‚schönen Maschine‘ kostete insgesamt 55 Millionen Menschen das Leben, große Teile Europas und Asiens wurden verwüstet. Aber merkwürdig: Die abermaligen und ungeheuerlichen ‚Kosten der Modernisierung‘, die quantitativ wie qualitativ allen bisherigen Terror und Horror des Kapitalismus übertrafen, riefen kein geistiges Echo der tiefen Erschütterung mehr hervor wie noch die Urkatastrophe des Ersten Weltkriegs. Die zweite blutige Geburt der fordistischen Welt ging intellektuell und kulturell auf eine gespenstisch stumme Weise vor sich. Es war, als liefe das bis ins Mark demoralisierte Menschenmaterial geradezu gleichgültig und bereits roboterhaft kalt durch eine Feuerwand in den kommerziellen, endgültig entgeistigten Stumpfsinn des kommenden trostlosen Konsumparadieses hinein. Ahnungsvoll heißt es in einer zeitgenössischen Verszeile von Karl Kraus: Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte“.
Kapitel 7: Das System der totalitären Weltmarkt-Demokratien
Nach dem Zweiten Weltkrieg schien - so Kurz - der Kapitalismus wie „ein Phönix aus der Asche“ emporzusteigen. Es hatte den Anschein, dass die „Weltmaschine auf einmal ganz gegen ihren bisherigen Lauf tatsächlich so etwas wie ein ‚goldenes Zeitalter’“ hervorbringen würde. Alle kapitalistischen Zentren „erlebten diese Nachkriegsprosperität in größerem oder geringerem Umfang. Auch für die übrige Welt schien sich damit eine positive Perspektive zu eröffnen“.
In Deutschland, „wo der Fall ein besonders tiefer gewesen war, prägte sich sogar das Zauberwort vom ‚Wirtschaftswunder’ ein; eine verdächtige Begriffsbildung, die schon anzeigt, dass es sich um eine außergewöhnliche, für das herrschende System eigentlich anomale und daher auch vorübergehende Erscheinung handeln mußte“.
Der Übergang zum Nachkriegsfordismus
Strukturveränderungen
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm v.a. die Beschäftigung in der Landwirtschaft drastisch ab, was „auf deren weitgehende Industrialisierung und ‚Vermarktwirtschaftlichung’ zurückzuführen ist“. Der Anteil „der sogenannten Dienstleistungen oder des ‚tertiären Sektors’“ explodierte. Die „gesamtgesellschaftliche ‚Erwerbsquote’ (im Sinne kapitalistischer Reproduktion) nahm [..] stark zu, was wiederum bedeutet, dass von einem industriellen Arbeitsplatz weniger Personen ohne kapitalistische Erwerbstätigkeit abhingen. Oder anders ausgedrückt, dass die Bevölkerung insgesamt in einem höheren Maße der kapitalistischen Gesellschaftsmaschine ausgeliefert war“.
Bis ca. 1950 war „der Markt kein einheitlich kapitalistischer, sondern die großen nationalen und internationalen Märkte waren verschränkt mit lokalen ‚Familienmärkten’ ohne Dominanz kapitalistischer Kriterien der ‚abstrakten Arbeit’; andererseits war der durchschnittliche Haushalt immer noch in vieler Hinsicht eine ‚Wirtschaft’“, die auch selber Bedarfsgüter produzierte“.
Der Nachkriegs-Fordismus schuf nun eine „flächendeckende Erzeugung und Distribution aller Gebrauchsgüter durch das fordistische Industriekapital und seinen ‚Arbeitsstaat’“ und brachte diesen „traditionelle Sektor“ fast völlig zum Verschwinden. „Die jetzt erst massenhafte Kreation der neuen Konsumgegenstände von Automobilen sowie Unterhaltungs- und Haushaltselektronik [...] ging also mit der sukzessiven Vernichtung der hauswirtschaftlichen Elemente von Subsistenzproduktion und der bedarfswirtschaftlichen lokalen Familienproduktion einher“.
Voraussetzungen
Die Durchsetzung der „Zweiten industrielle Revolution“ als „allgemeine sozialökonomische Reproduktionsform“ hatte nach Kurz „den Zweiten Weltkrieg und die damit verbundenen Elemente der diktatorischen ‚Arbeitsschlacht’“ zur Voraussetzung. Dort wurden erst die technischen, organisatorischen und der notwendige „Durchdringungsgrad von Staatsverwaltung und Wirtschaft“ geschaffen. Es galt nun, „die kriegswirtschaftlichen Strukturen diesmal nicht wieder abzubauen oder bloß halbherzig weiterzuführen, sondern sie über die numerische Steigerung der Staatsquote am Sozialprodukt hinaus in ‚zivilökonomische’ Regulationsformen zu überführen und zu einem dauerhaften System auszubauen“.
Kapitalistischer Totalitarismus
Der totalitäre Markt
Kurz sieht die „Zweite industriellen Revolution“ wesentlich durch den Begriff des „Totalitären“ gekennzeichnet. Kurz wirft den gängigen Totalitarismus-Theorien vor, dass in ihnen der Begriff „totalitär“ nur im „staatlich-politischen“ Sinne definiert werde, „während der ökonomische völlig ausgeblendet bleibt. Danach kann es einen totalitären Staat geben, aber anscheinend keinen totalitären Markt, keine totalitäre Ökonomie, keine totalitäre Produktionsweise - ein Denken, dessen Axiom darin besteht, dass eigentlich nur Staat und Politik in den Bereich des Gesellschaftlichen fallen, während die Ökonomie in guter liberaler Tradition der ‚Natur’ angehört und insofern aus der Gesellschaftstheorie im strengen Sinne herausfällt“.
Kurz wendet dagegen ein, dass der politische Totalitarismus seine Grundlage in einem ökonomischen habe. So sei „sowohl die stalinistische als auch die Nazi-Diktatur ebenso wie der italienische Faschismus auf dem Boden des warenproduzierenden Systems entstanden“ und gehörten „der Durchsetzungsgeschichte der Zweiten industriellen Revolution“ an.
Diese Diktaturen dürften „nicht nur als Durchgangsstadien der kapitalistischen Demokratie selber betrachtet werden, sondern auch als Momente eines übergreifenden Totalitarismus, der seine Wurzel im ökonomischen Zentrum des Kapitalverhältnisses hat. Insofern wäre die liberale Weltmarkt-Demokratie nicht die Überwindung und nicht der Gegensatz totalitärer Herrschaft, sondern ihre Vollendung“.
Für Kurz sind die tiefer liegenden Ursachen des politischen Totalitarismus „zum einen in den ökonomischen Formbestimmungen von nunmehr ‚totaler Kommerzialisierung‘, ‚totaler Konkurrenz‘, ‚totaler Arbeit‘ etc.“ zu suchen, „zum andern in den sachlichen, stofflich-materiellen, bis zur Mikro-Ebene des Alltags reichenden Ablagerungen dieser totalitären kapitalistischen Daseinsform“. In diesem Sinne sind für Kurz „eigentlich erst die marktwirtschaftlichen Nachkriegs-Demokratien wirklich totalitäre Gesellschaften zu nennen, weil die fordistische Versachlichung des totalitären kapitalistischen Anspruchs erst in dieser Zeit und in dieser Form zum flächendeckenden Systemzusammenhang ausgereift war“.
Totale Mobilmachung
„Kapitalistische Totalisierung“ ist für Kurz „nicht möglich ohne eine entsprechende Mobilisierung“, die im großen gesellschaftlichen Maßstab auch erst nach dem Zweiten Weltkrieg möglich wurde.
In den Nachkriegsdemokratien zeigte sich die „totale Mobilmachung“ in der - unter dem „pausenlosen Trommelfeuer der Werbung“ erfolgendenden - Aufforderung zu sich „ständig steigernden, immer unsinnigeren Warenkonsum“, „Leistung“ und „Konkurrenz“. In „einer endlosen Aufeinanderfolge von neuen Produkten und Produktionsprozessen, neuen Konstellationen der Konkurrenz, der sozialen und politischen Regulation usw. werden stets von neuem bisherige Inhalte und Verfahrensweisen obsolet gemacht, um die Menschen auf den ökonomischen Imperativ zu fixieren und sie ‚auf Trab‘ zu halten“.

Die neue „weiße Ware“
Vor allem die Frauen waren von dieser „Mobilmachung“ betroffen. Sie wurde ermöglicht durch die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende „massenhafte Kreation“ der neuen Haushaltselektronik. Als „treibendes Motiv“ der Technisierung und Rationalisierung der Haushalte sei dabei aber „nicht die Arbeitsentlastung der Hausfrau auszumachen, sondern die Ausnutzung technischer Möglichkeiten und Absatzchancen“. Durch die „Industrialisierung der Hausarbeit“ „gelang das Kunststück, dass viele Frauen gleichzeitig ‚Hausfrauen‘ und Berufstätige sein konnten“. Es ging daher „in Wahrheit darum, einerseits auch die Frauen in die fordistische totale Mobilmachung einzubeziehen und andererseits trotzdem die ‚abgespaltenen‘ sozialen Bereiche weiterhin als ‚der Frau‘ zugewiesene zu erhalten, ja diese Bereiche sogar selber noch indirekt zu Feldern der industriellen Akkumulation zu machen. Für die Frauen nahm die Mobilisierung auf diese Weise einen paradoxen Charakter an: Die Industrialisierung der Hausarbeit erleichterte es, dass ihre Arbeitskraft nun zusätzlich industriell verwurstet werden konnte; umgekehrt mußten sie ihrerseits industrielle Lohnarbeit aufnehmen, um sich die ‚weiße Ware‘ der hauswirtschaftlichen Produktionsmittel überhaupt leisten zu können! Unter dem Strich kam eine größere statt geringere Belastung als vorher heraus - eine Absurdität, die schon von Anfang an den industriekapitalistischen ‚Fortschritt‘ gekennzeichnet hatte und die nun in der realisierten Zweiten industriellen Revolution auch das Terrain der geschlechtlichen Funktionsteilung erfaßte“.
Das Automobil
Den „eigentlichen Drive“ erhielt der Nachkriegs-Fordismus „erst durch die endlich gelingende Vermassung des Automobils“. Bereits „die Nazis waren in das Auto verliebt, nachdem der ‚Führer‘ den Stellenwert der Massenmotorisierung bereits programmatisch festgelegt hatte. Es war Hitlers persönliche Idee, die deutsche Herrenrasse mit einem ‚Volkswagen für alle‘ zu beglücken, der Henry Fords ‚Modell T‘ nachempfunden sein sollte. Der berühmte VW Käfer war ein ganz typisches Nazi-Projekt [...]. Das deutsche ‚Jedermannsauto‘ wurde zusammen mit der dazugehörigen Autobahn unter großem Aufwand als nationales Bedürfnis propagiert.“.
Die Liebe der Nazis zum Auto sagt für Kurz viel über das Auto selbst: „keinesfalls handelte es sich dabei um eine neutrale Zeiterscheinung und Entwicklungsgeschichte. In der totalen Automobilmachung fand gewissermaßen das faschistische Element in allen fordistischen Gesellschaften, auch in den Nachkriegs-Demokratien, seinen zentralen Ausdruck“.
Kurz sieht als Konsequenz der „totalen Automobilmachung“ eine „Militarisierung des Alltags“. „Der alltägliche ‚Berufsverkehr‘, der ‚Wochenendverkehr‘ und die touristischen Blechlawinen in der Urlaubssaison übersetzen die motorisierte Mobilmachung von Armeen in die zivile Gesellschaft als militärähnliche kommerzielle Mobilisierung“. Der Verkehrsstau, „in dem sich die totale Automobilmachung ad absurdum führt, wird durchaus als kriegsähnliches ‚Erlebnis‘ gewertet“.

Für Kurz sind es aber „nicht bloß Analogien und metaphorische Bezüge, die sich zwischen der militärischen Mobilmachung der Weltkriege und der zivilen totalen Automobilmachung in den Nachkriegs-Demokratien herstellen lassen. Auch buchstäblich tobt der unerklärte Dritte Weltkrieg auf den Straßen der Welt. Nach groben Schätzungen sind im Laufe dieses Jahrhunderts etwa siebzehn Millionen Menschen durch Autos getötet worden; wahrscheinlich sind es noch weitaus mehr, weil in einschlägigen Statistiken meistens nur die unmittelbar auf der Straße Getöteten erfaßt werden [...]. Noch weitaus größer ist die Zahl der Verletzten und dauerhaft Verstümmelten, die permanent aus dem Dritten Weltkrieg des Individualverkehrs hervorgehen wie zuvor nur aus den großen militärischen Schlachten. Der einstmals gesunde Mensch als beinloses oder querschnittsgelähmtes Wesen im Rollstuhl ist die schauerliche Fortsetzung des ‚Autofahrers’ - das mechanische Rad wird zum Körperteil des verstümmelten fordistischen Cyborg“.
Kurz bringt diese „Menschenopfer“ an die „schöne Maschine“ in einen quasi-religiösen Zusammenhang. Sie seien „weitaus zahlreicher und grausamer als alle archaischen Blutrituale zusammengenommen“, würden aber trotzdem als „Normalität und abstraktes Schicksal“ hingenommen. Letzte Ursache dieses Prozesses sei „die abstrakte Akkumulationslogik des Kapitals“, die „zwangsläufig auch die permanente Tötung und Verstümmelung von Menschen kraft des überwältigenden ökonomischen Imperativs legitimieren“ müsse. „Auf der Höhe des fordistischen Vollkapitalismus ist dieser Imperativ identisch geworden mit einer generellen ‚Vorfahrt‘ des Zentralgutes Automobil, die nicht nur buchstäblich über Leichen rollt, sondern auch über die Rechtsverhältnisse und die Psyche der automobilen Individuen“. Auch die „indirekten Folgen der totalen Automobilmachung - Smog und Ozonbelastung - mit ihren negativen Auswirkungen auf den menschlichen Körper“ würden „kaltschnäuzig als ‚hinzunehmende Notwendigkeit‘ dargestellt“.
Totalitärer Freizeitkapitalismus
Kurz bezeichnet die „Idee, dass die kapitalistische Menschheit aufgrund der gigantisch gesteigerten Produktivität immer mehr ‚Freizeit’ und ‚Spaß’ haben werde“ als die vielleicht „eigentümlichste Verblendung des gesellschaftlichen Bewußtseins“. Die mit der fordistische Prosperität einhergehende „Arbeitszeitverkürzung“ sei „selbst immanent und rein quantitativ betrachtet“ aus folgenden Gründen „stark zu relativieren“:
- Sie beschränkte sich „auf jene wenigen kapitalistischen Zentralmächte, die bis heute den Weltmarkt dominieren [...]. Für die große Mehrzahl der Menschheit in den staatskapitalistischen Ländern nachholender Modernisierung und in den ‚Entwicklungsländern’ der Dritten Welt blieben die überlangen Tages-, Jahres- und Lebensarbeitszeiten bestimmend“.
- Es gab selbst „innerhalb der kapitalistischen Zentralmächte ein starkes Gefälle; denn in den angelsächsischen Ländern des klassischen Wirtschaftsliberalismus wurden die Arbeitszeiten auch unter ‚linken’ Regierungen nicht so stark gesenkt wie im kontinentalen Westeuropa. Ganz zu schweigen von Japan, dem neuen kapitalistischen Zentrum und Weltmarktgewinner im asiatischen Raum, wo [...] früh-kapitalisische Zustände niemals ganz verschwunden sind“.
- Die Arbeitszeitverkürzung war „an die Epoche der Prosperität gebunden; mit der Verlangsamung des Wachstumstempos musste sich zwangsläufig die betriebswirtschaftliche Rationalität gegen jede weitere Schmälerung der tariflichen und gesetzlichen Arbeitszeit sperren und den Trend sogar wieder umkehren“.
- Die „mäßige Arbeitszeitverkürzung“ wurde um ein Vielfaches überkompensiert „durch die Verdichtung der Arbeitszeit“. „Die Methoden der ‚Arbeitswissenschaft’ und Fließfertigung wurden in der Ära der fordistischen Prosperität nicht nur erstmals im großen gesellschaftlichen und globalen Maßstab angewendet, sondern auch ständig verfeinert. Die derart verstärkte Auspressung des Menschenmaterials war es eigentlich, die den großen Akkumulationsschub der Nachkriegszeit trug; die Arbeitszeitverkürzung fiel demgegenüber nur minimal ins Gewicht“.
Neben dieser „quantitativen Relativierung der verkürzten Arbeitszeit“ analysiert Kurz nun den „Charakter der scheinbar frei disponiblen Zeit selbst“. „Allein der Ausdruck ‚Freizeit’ verweist schon auf die Ursprünge in den Irrenhäusern des 18. Jahrhunderts, auf eine bloße Restzeit jenseits der Domestizierung des Menschenmaterials in Fabrik und Büro. Aber die fordistische Mobilmachung lief genau darauf hinaus, auch diese Restzeit des Lebens noch kapitalistisch zu instrumentalisieren“. Im „Freizeitkonsum“ setzte sich „mittels fordistischer Verkehrsmittel, Medien und Spielgeräte die kapitalistische Konditionierung fort. War die ‚Freizeit’ bis zur Jahrhundertmitte noch ein mehr oder weniger unbestimmter Raum außerhalb des Kapitals und seiner Zugriffe gewesen, so bemächtigten sich Totalisierung und Mobilmachung nun auch dieser Sphäre“.
Die sozialistische und gewerkschaftliche Arbeiterbewegung hatte „aus dem Geist der Domestizierung heraus schon die Formen der ‚abstrakten Arbeit’ in die ‚Freizeit’ transformiert und in ihren einschlägigen sekundären Kultur-Organisationen ein Verhalten eingeübt, das nur noch kommerzialisiert zu werden brauchte. Die Automobilmachung und der daran anschließende Wochenend- und Ferien-Tourismus bildeten ideale Ansatzpunkte, um die totalitäre kapitalistische Einbindung auf die Sphäre der ‚Freizeit’ auszudehnen. Das war auch den Nazis bewußt, die bezeichnenderweise als Unterabteilung der ‚Deutschen Arbeitsfront’ die Freizeitorganisation ‚Kraft durch Freude’ (KdF) gründeten. Auch in dieser Hinsicht brachte schon der Nationalsozialismus in staatstotalitären Formen die kommerzielle Nachkriegsdemokratie auf den Weg und begründete die erst seit den 50er Jahren ganz entfalteten Strukturen eines neuartigen Freizeitkapitalismus, der in den USA bereits in voller Blüte stand“.

In den fordistischen Nachkriegs-Demokratien entwickelte sich – „ausgehend vom Auto als Freizeitmittel“ - der Massentourismus. „Der Traum vom Reisen und von genußvoller Welterfahrung wurde zum Alptraum, die Wunscherfüllung zum grausamen Zerrbild. Denn indem sich die Mobilmachung derart auf die ‚Freizeit’ ausdehnte, wurde diese in eine gespenstische Verlängerung des betriebswirtschaftlichen Funktionsraums verwandelt. Die fabrikmäßige Organisation der ‚Freizeit’, wie sie KdF ansatzweise vorweggenommen hatte, übersetzte den entsinnlichten Arbeitstakt nahtlos in einen Freizeittakt. Der tägliche ‚Feierabend’, das Wochenende und der lächerlich knappe Jahresurlaub spuckten die Menschen nun bloß noch von einem Funktionsraum des Kapitals in den anderen. Indem auch das private Leben, die Interessen und Gewohnheiten der Menschen außerhalb des abstrakten Arbeits-Raums in ein (zunehmend individualisiertes) Bedienen von Maschinen aller Art transformiert wurden, gab es endgültig keinen sozialen Raum außerhalb der kapitalistischen Konditionierung mehr. Somit erlosch auch weitgehend (wenngleich keineswegs vollends) die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit für den kapitalistischen Charakter dieser bedingten Lebensform, die keine alternativen Verhaltens- und Genußweisen mehr zuließ, weil der gesamte gesellschaftliche und individuelle Lebensraum gemäß der kapitalistischen ‚Zweckform’ umgewälzt wurde“. Kurz bezeichnet dies als „Fortsetzung der Arbeit mit anderen Mitteln“.
Die totalitäre Demokratie
Kurz ist der Ansicht, dass auch die Demokratie ein totalitäres Element enthalte. So seien auch die „staatstotalitären Schrittmacher der Weltkriegsepoche“ auf ihre Weise demokratisch gewesen. Im Unterschied „zu den liberalkonservativen Regimes des 18. und 19. Jahrhunderts“ hatten sie „die ‚arbeitende Volksmehrheit’ ganz bewußt in die politische Mobilisierung einbezogen, weil sie erkannt hatten, dass die zuerst im totalen Krieg erscheinende neue Stufe der kapitalistischen Entwicklung ohne eine paradoxe ‚selbstverantwortliche’ Teilhabe der atomisierten Massen an ihrer eigenen Verheizung als Material für die ‚höheren Zwecke’ nicht mehr zu haben war“.
In diesem Sinne „interpretierte Ludendorff auch den nunmehr massendemokratisch aufgeladenen Begriff des ‚Volkes’, der ja sowohl von den Nazis wie von der staatskapitalistischen Sowjetunion und den späteren östlichen ‚Volksdemokratien’, aber eben bis heute auch von den ‚freien’ westlichen Demokratien strapaziert wurde und wird“.
Der Hintergrund Ludendorffs sei die „Benthamsche Erkenntnis“ gewesen, dass „das Menschenmaterial des Verwertungsprozesses in keiner anderen Staatsform so widerspruchslos und kostengünstig an der Leine geführt werden kann wie in der Demokratie“. Der Grund sei „im Widerspruch der beiden kapitalistischen Vergesellschaftungs-Pole von Ökonomie und Politik, von Markt und Staat angelegt“ komme „in der Demokratie am reinsten zum Ausdruck“. Denn „einerseits wird der abstrakte Anspruch erhoben, dass die Gesellschaft sich selbstbewußt über ihre gemeinsamen Angelegenheiten verständigt und darüber rationale Entscheidungen trifft (‚Demokratie’). Andererseits jedoch handelt es sich bei dieser Gesellschaft ja gleichzeitig und erklärtermaßen um die mechanische Selbstregulation eines verselbständigten Systemzusammenhangs, dessen stumme Funktionsgesetze zur Pseudo-Naturtatsache sedimentiert sind“.
In Wahrheit werde das gesellschaftliche Leben letzten Endes „gar nicht durch die Diskussion und bewußte gemeinsame Entscheidung der demokratischen Gesellschaftsmitglieder gesteuert.
Denn die demokratischen Prozeduren von freier Meinungsäußerung, politischer Willensbildung und freien Wahlen sind den Wirkungen der ‚Gesellschaftsphysik’ von anonymen Märkten nicht etwa vor-, sondern nachgeschaltet. Alle Entscheidungen demokratischer Institutionen stellen somit keine autonome Verfügung über den sinnvollen Einsatz der gemeinsamen Ressourcen dar, sondern sie sind immer schon präformiert durch die Automatik des ökonomischen Systems, die als solche eben gerade nicht demokratisch verhandelbar ist, weil sie einer unausweichlichen ‚Natur’ zugeordnet wird“.
Hinter den „drei Gewalten“ der staatlich-politischen Sphäre, Legislative, Exekutive und Judikative steht nach Kurz „immer schon eine stumme ‚vierte Gewalt’ - die strukturelle Gewalt des totalitären Marktsystems; also die Regulations- und Realisationssphäre der Kapitalverwertung“. Seit Rousseau firmiere „dieser ökonomische Götze, der jeder demokratischen Prozedur spottet, in der politischen Theorie unter dem Namen des abstrakten ‚Gemeinwohls’. Weil die Gesellschaft paradoxerweise ausschließlich als politische betrachtet wird und die herrschende Produktionsweise als solche unter die gleichsam außergesellschaftliche ‚Natur’ fällt, kann sich die demokratisch postulierte ‚Volkssouveränität’ logischerweise nicht auf die ‚vierte Gewalt’ der Kapitalverwertung und ihres Marktmechanismus erstrecken“.
Der „totalitäre Charakter der fordistischen Demokratie“ zeige „sich aber nicht nur indirekt in der vorausgeschalteten totalitären Diktatur des ökonomischen Imperativs“, sondern auch in der „bürokratische Menschenverwaltung von der Wiege bis zur Bahre“. Der „fordistische Vollkapitalismus samt Vollmotorisierung, infrastruktureller Logistik und sozialstaatlicher Flankierung verlangte eine umfassende staatliche und betriebliche Administration, die weit über jede frühere Verwaltungsdichte hinausging“. Die demokratische „Weiterentwicklung der kriegswirtschaftlichen Strukturen“ brachte „geradezu monströs anschwellende Apparate der Regulation und Kontrolle hervor, die von den Prozessen politischer Willensbildung nur ganz oberflächlich und immer schwächer berührt werden konnten“. Kurz ist der Ansicht, dass „die bürokratischen Apparate des demokratischen Staates und der Weltmarkt-Konzerne die Verwaltungsdichte und die Zugriffsmöglichkeiten selbst der staatstotalitären Diktaturen in der ersten Jahrhunderthälfte bei weitem“ übertreffen. Dies durchgängige Kontrolle falle nur weniger auf, da mit „der Umpolung des totalitären Anspruchs vom Staat auf den Markt“ die „Kontroll- und Verwaltungsapparate genauer und fast geräuschlos auf die Mechanismen der Marktkonkurrenz abgestimmt werden“ konnten.
Der kurze Sommer des Wirtschaftswunders
Die Zeit des sog. in der zeiten Hälfte der 50er Jahre einsetzenden „Wirtschaftswunders“ beurteilt Kurz als eine nur historisch kurze Phase der Prosperität, in der „Wohlstand für alle“ „zwar nicht als umfassende Realität, aber doch als Perspektive in einem konsumkapitalistisch kontaminierten Sinne wenigstens für die Bevölkerungsmehrheit in den westlichen Zentren gelten konnte“.
Relativierung
Für Kurz muss der Begriff des „Wirtschaftswunders“ allerdings schon „rein immanent betrachtet“ aus zwei Gründen relativiert werden:
- Der Konsumreichtum war „für den durchschnittlichen Menschen niemals anders als bescheiden zu nennen. Überwältigend war der Eindruck der Konsumflut nur gemessen an den vorherigen Erfahrungen von einem halben Jahrhundert kapitalistischer Weltkatastrophen“.
- Selbst in den „reichsten kapitalistischen Industriestaaten auch in dieser Epoche der Prosperität [wurde] ein Bodensatz von Armut niemals gänzlich abgebaut [..]; schon gar nicht in den USA, der neuen ersten Welt- und westlichen Führungsmacht“. Die „in der Weltwirtschaftskrise neu gebildeten Slums [verschwanden] nur teilweise; es gab ausgedehnte Armutsgebiete im Süden, vorwiegend in Alabama und Mississippi, und große Teile der schwarzen Bevölkerung im ganzen Land sind überhaupt niemals aus Armutsverhältnissen herausgekommen. Dasselbe gilt für bestimmte englische und französische Randbezirke und ländliche Regionen, für den italienischen Mezzogiorno usw“. „Auch in der wirtschaftswunderbaren BRD bis Mitte der 70er Jahre hielt sich hartnäckig eine gewisse Armutspopulation als gar nicht so kleine Randgruppe [..]: vorwiegend Menschen aus den sogenannten ‚strukturschwachen’ Gebieten im ländlichen Raum, Rentner und vor allem alleinstehende Rentnerinnen (‚Altersarmut’), Delinquente, Heimkinder und andere Opfer zerrütteter Verhältnisse im sozialen Mikrobereich. Schon damals wurden eine halbe Million Obdachlose im Wunderland gezählt“.
Kurz entscheidende Kritik ist jedoch, dass „die reale Erfahrung des fordistischen Massenkonsums [..] sich weitgehend auf jene Handvoll Industriestaaten [beschränkte], in denen die Zweite industrielle Revolution wirklich flächendeckend greifen konnte. Der größte Teil der kapitalistischen Peripherie ist nie über partikulare Ansätze des Fordismus hinausgekommen. Das gilt insbesondere für die sogenannte Dritte Welt in Asien, Afrika und Lateinamerika“.
Ende des Wirtschaftswunders
Gegem Ende der 70er Jahre war bereits wieder das Ende des „Wirtschaftswunders“ erreicht, was zu einem „Absturz des Wachstums“ in allen kapitalistischen Ländern führte.
Kurz sieht die Ursache darin, dass die neuen Industrien den „traditionellen Sektor“ nun „weitgehend aufgesaugt hatten“, die „fordistische Dynamik“ sich damit zunehmend erschöpfte und die Rationalisierung allmählich begann, „die Anwendung menschlicher Arbeitskraft auszudünnen“.
Der Rückgang des Wachstums wurde überlagert „von einem zusätzlichen Problem, in dem sich auch das Schicksal des Keynesianismus beschließen sollte. Keynes hatte das ‚deficit spending’ zusätzlicher öffentlicher Investitionen und Sozialleistungen eigentlich als bloße ‚Anschubhilfe’ auf Krisensituationen beschränken wollen, während in der Prosperität mittels Geldpolitik eine Investitionslenkung eher vorsichtig über das Zinsniveau laufen sollte. Aber das genaue Gegenteil war der Fall. Obwohl sich die meisten Regierungen der Nachkriegszeit, darunter auch die konservativliberale in der BRD, gar nicht offiziell zu Keynes bekannten, betrieben sie exzessiven Keynesianismus - allerdings verkehrt herum: Mitten in der Prosperität sattelte der Staat noch drauf durch zusätzliche Investitionen“.
Kurz zieht daher die Schlussfolgerung, dass das „Wirtschaftswunder“ „eigentlich gar kein vollständig sich selbst tragender Boom“ gewesen sei, sondern „bereits vor seinem Höhepunkt angeheizt von staatlichen ‚Pyramidenprojekten’; nicht zuletzt natürlich durch die ‚autogerechte’ Betonierung und Versiegelung der Welt. Der Wachstumsgehalt der Zweiten industriellen Revolution hätte auf dem Boden der endogenen Kapitalakkumulation allein niemals so weit tragen können, wie es mit Hilfe der überproportionalen staatlichen Investitionstätigkeit möglich wurde“. So sei in dieser Phase der relative Anteil der Investitionen am Sozialprodukt gesunken, während der der staatliche Anteil an den Investitionen gleichzeitig anstieg.
Diese zusätzlichen Staatsausgaben „konnten trotz des Booms schon frühzeitig nicht mehr aus den laufenden Steuereinnahmen gedeckt werden; sie liefen bereits weitgehend über ein ‚deficit spending’“. Kurz weist in diesem Zusammenhang, die Schlußfolgerung „aus konservativ-liberalem Munde“ zurück, „dass die Gesellschaft nicht über ihre Verhältnisse leben dürfe“: Diese „ominösen ‚Verhältnisse‘ sind ja die irrationalen des kapitalistischen Selbstzwecks; und nicht ‚über’ diese Verhältnisse zu leben heißt nichts anderes, als um so schneller erst recht an die Schranken der Krise zu stoßen. Natürlich kann eine Gesellschaft rein stofflich-materiell gesehen gar nicht über ihre Verhältnisse leben, wenn sie lediglich ihre wirklich vorhandenen menschlichen und sachlichen Ressourcen in Bewegung setzt. Solange das bedingende Moment dieser Verhältnisse aber die auf sich selbst rückgekoppelte Akkumulationsbewegung des Geldes ist, muss die Gesellschaft immer wieder und auf historisch wachsender Stufenleiter über ihre monetären Verhältnisse leben, um ihre angeschwollenen Produktivkräfte auch nur teilweise in Bewegung halten zu können“.
Nach Ansicht Kurz’ konnte durch das „aufgesattelte ‚deficit spending’“ das Ende der Phase der Nachkriegsprosperität „noch einmal um ein Jahrzehnt hinausgeschoben werden“. Die Konsequenz war aber, dass der Kapitalismus nun begann, „in einen neuen inflationären Zyklus einzutreten“. Die Inflation blieb „zwar gedämpft, aber sie machte sich als ‚schleichende’ […] bemerkbar“. Es entstand des neue Phänomen der „Stagflation“, einer Parallelität von sinkenden Wachstumsraten und steigender Inflation.
In dieser „Stagflation“ „wuchs auch die Arbeitslosigkeit wieder an [2]. Die Zeit der fordistischen ‚Vollbeschäftigung’ war zu Ende“. Das „gesamte warenproduzierende Weltsystem wurde von der zunehmenden ‚Beschäftigungskrise’ erfasst“.
Kurz bezeichnet es als „merkwürdig, wie ignorant sich das offizielle gesellschaftliche Bewußtsein gegenüber dem beobachtbaren Ende der fordistischen Expansion verhielt“. Der „Beginn einer neuen Systemkrise“ wurde nicht erkannt. „Zu sehr war das Bewußtsein auf die zuvor erlebte Epoche der Prosperität fixiert. So schob man die neuen Krisenerscheinungen lieber auf die sogenannten „Ölpreisschocks“ von 1973/74, mit denen das Kartell der erdölexportierenden Länder (OPEC) damals die Welt der Mobilmachung überraschte“. Dieser war nach Kurz natürlich „nicht die Ursache, sondern nur der Anlaß dafür, dass das kapitalistische Weltsystem erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg von einer schweren Rezession geschüttelt wurde“. „Der kurze Sommer des Wirtschaftswunders war auch ‚der kurze Traum immerwährender Prosperität’ [..], den niemand für ausgeträumt halten mochte“.
Weltzerstörung und Bewusstseinskrise
Am Wendepunkt des fordistischen Booms „wurde auch deutlich, dass die Mobilmachung der Zweiten industriellen Revolution eine neue Dimension der Krise gerade als Folge der Prosperität hervorgebracht hatte: die umfassende Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen“. Kurz führt diese Entwicklung auf die „Die Logik der ‚abstrakten Arbeit’ und die damit verbundene betriebswirtschaftliche Externalisierung von Kosten (auf die Gesamtgesellschaft, die Zukunft und eben auch auf die Natur)“ zurück. Diese „hatte den Kapitalismus von Anfang an gleichgültig gegen qualitative Inhalte und damit auch gegen die Eigenlogik der natürlichen Umwelt gemacht“.
Schon der junge Friedrich Engels hatte bei seiner Analyse der „Lage der arbeitenden Klasse“ „die Gewässer der englischen Fabrikstädte als ‚widerliche Kloaken’ beschrieben“. „Solange der Kapitalismus noch nicht flächendeckend den gesellschaftlichen und natürlichen Raum beherrschte, war diese Seite seines Zerstörungspotentials zwar schon sichtbar, aber sie erschien noch nicht als umfassende Bedrohung und trat hinter die sozialökonomischen Probleme zurück. Erst zusammen mit der fordistischen Totalmobilmachung verschwand dann nicht nur der ‚traditionelle Sektor’ der Reproduktion, sondern auch die Natur wurde nun total der abstrakten betriebswirtschaftlichen Vernutzungslogik ausgeliefert“.
Anfang der 70er Jahre „thematisierten Gruppen von Wissenschaftlern die ‚Begrenztheit der natürlichen Ressourcen’, die durch den industriellen Raubbau gefährdet schienen. In der ‚Ölkrise’ wurde diese Drohung handgreiflich, als während der sonntäglichen Fahrverbote die Straßen und Autobahnen gespenstisch ausgestorben dalagen und der ewige Motorenlärm einmal verstummte. Erstmals wurden die ‚Grenzen des Wachstums’ nach einer gleichnamigen Studie des ‚Club of Rome’ (Meadows 1972) weltweit debattiert. Darin kam vor allem das Verhältnis von endloser Akkumulationslogik und natürlichen Rohstoffen zur Sprache“.
„Aber in dieser Kritik honoriger Wissenschaftler kam der destruktive Charakter betriebswirtschaftlicher Rationalität bestenfalls indirekt vor; und nicht etwa als Charakteristikum des modernen warenproduzierenden Systems, sondern als bedauerliche Nebenwirkung der ‚Industriegesellschaft’ schlechthin, womit wieder einmal die negative gesellschaftliche Abstraktion des auf sich selbst rückgekoppelten Geldes hinter der technologischen Erscheinung verschwand. Außerdem ließen Dennis Meadows und der ‚Club of Rome’ offen, ob nicht etwa das eigentliche Wachstumsübel in der Zunahme der Weltbevölkerung liege - womit passend zum Beginn eines neuen kapitalistischen Krisenzyklus und verpackt in scheinbar kritische Worte das Terror-Argument des Pfarrers Malthus wieder hervorgeholt wurde“.
Seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre hatte sich die „‚ökologische Krise’ ständig verschärft. Rasch wurde deutlich, dass das Problem keineswegs nur in der langfristigen Erschöpfung der Rohstoffe besteht. Die blind sich voranfressende Weltmaschine verbrauchte nicht nur zu viel fossile Brennstoffe, Metalle usw. auf Kosten zukünftiger Generationen, sondern verseuchte und zerstörte in erschreckend großem Maßstab die elementaren natürlichen Lebensgrundlagen: Boden, Atmosphäre, Wasser und ökologische Binnensysteme (tropische Regenwälder, Alpen, Nordsee, Mittelmeer, Baikalsee usw.). In den 80er Jahren zeigten die Menetekel paradigmatischer industrieller Großkatastrophen in Seveso (Italien), Bhopal (Indien) und Tschernobyl (Ukraine) die im Fordismus erreichte Potenz des warenproduzierenden Systems zur Weltzerstörung an; nicht etwa nur im militärischen Sinne eines möglichen Atomkriegs, sondern durch den ganz ‚normalen’ alltäglichen Betrieb der zum totalen Weltsystem angewachsenen ‚schönen Maschine’“.
„Die offizielle Gesellschaft nahm die Debatte über die Grenzen und destruktiven ökologischen Folgen des ‚Wachstums’ nur auf, um das Problem besser verdrängen zu können“. Die Ursache der ökologischen Katastrophe „teils ‚kulturkritisch’ und mit seichter Moral zerredet, teils in die unverbindliche Propaganda einer angeblichen ‚Versöhnung von Ökonomie und Ökologie’ überführt. Alle Teileinsichten blieben folgenlos, weil die ‚schöne Maschine’ ja definitionsgemäß ihren blinden Lauf verfolgt“.
„Trotz aller Beschwichtigungs- und falschen Versöhnungsideologien konnte die Erschöpfung der Zweiten industriellen Revolution nicht völlig geleugnet werden. Ende der 60er Jahre machte sich ein massives ‚Unbehagen im Fordismus’ bemerkbar. Die Angst vor den kommenden Krisen trieb aus dem sozialen Inneren der Weltmarkt-Demokratien erste Schübe eines neuen Rechtsradikalismus hervor, der sich zunächst in den alten politischen Formen parlamentarisch geltend machte“.
„Andererseits entwickelte sich eine weltweite Jugend- und Studentenbewegung, die in vieler Hinsicht gegen das herrschende System aufbegehrte“. „Erstmals seit vielen Jahrzehnten gab es (besonders in Frankreich und Deutschland) wieder so etwas wie den Versuch, eine authentische Reformulierung der Marxschen fundamentalen Kapitalismuskritik zu wagen. Der ‚Pariser Mai’ schien das System in seinen Grundfesten zu erschüttern. 1968 erschien ein Band mit Texten der Revolte, in dem der deutsche Studentenführer Rudi Dutschke in lange nicht mehr vernommenen Worten den Fetischcharakter der totalitären kapitalistischen Warenwelt attackierte“.
„Die revoltierenden Studenten träumten von einer Welt, die - vom kapitalistischen Selbstzweck der ‚schönen Maschine’ erlöst - die Produktionstätigkeit auf vielleicht zwei oder drei Stunden am Tag reduzieren würde. Sie begriffen die Universität als Ort der Subversion, der Gesellschaftskritik und der Muße für selbstbestimmte Zwecke, die den Gegensatz zur öden bürgerlichen Karriere für den kapitalistischen Betrieb entfalten sollte“. „Für einen historischen Augenblick kam wirklich das vom Arbeiterbewegungs-Marxismus […] verdrängte Zentrum der Marxschen radikalen Kritik an Warenform und ‚abstrakter Arbeit’ zum Vorschein. Aber auch diesmal wurde Karl Marx nicht abgeholt“.
Kurz ist der Ansicht, dass die „Bewegung von 1968 im Sinne der sozialen Emanzipation restlos gescheitert ist“. Dies habe seinen Grund vor allem darin, dass sie „die Linie der Kritik an ‚abstrakter Arbeit, Warenfetisch und betriebswirtschaftlicher Rationalität’ nicht weiter und bis zu Ende verfolgte, um zu einem negativen, aufhebenden Begriff des kapitalistischen Selbstzweck-Zusammenhangs zu kommen. Statt dessen kam sie auf die schiefe Bahn der ‚Politik’ und fiel rasch derselben demokratischen Illusion zum Opfer wie schon die alte Arbeiterbewegung. Als Rudi Dutschke den ‚langen Marsch durch die Institutionen’ propagierte, war das durchaus noch subversiv gemeint. Aber im Sinne ‚demokratischer Politik’ konnte daraus nur der Marsch heim ins System werden“.
Kapitel 8: Die Geschichte der Dritten industriellen Revolution
Visionen der Automatisierung
Die Dritte industrielle Revolution hat für Kurz ihre technologische Basis in der Elektronik und den Informationswissenschaften. Die mit ihr verbundene Automatisierung führt seiner Ansicht nach „zu einer qualitativ neuen Stufe der Massenarbeitslosigkeit und damit der Systemkrise“. Das Hauptproblem bestehe darin, „daß die dauerhaft und strukturell „Überflüssigen“ aus dem System des „Geldverdienens“ und der Konkurrenz ausgestoßen werden, ohne dass dieses System aufhört, ihre Existenzbedingung zu sein.“
Kurz setzt sich an dieser Stelle mit Keynes und Hannah Arendt auseinander. Diese waren beide von einem Ende der Arbeitsgesellschaft ausgegangen, das zu einer drastischen Reduktion der Wochenarbeitszeit führen könnte. Beide Autoren sahen darin nur ein psychologisches und kulturelles Problem, „die Frage, ob die von der vorausgesagten Dritten industriellen Revolution ‚freigesetzten‘ Massen imstande sein werden, sinnvoll mit der sorgenfreien Muße umzugehen, die ihnen von der kapitalistischen Entwicklung beschert werden wird“.
Für Kurz entgeht es Keynes und Arendt aber völlig, dass „die betriebswirtschaftliche Rationalität von Grund auf unfähig ist, die Automatisierung in eine entsprechende Abnahme der ‚abstrakten Arbeit’ zu übersetzen“. Diese Rationalität agiere wie ein „betriebswirtschaftlicher Kalkulationsroboter“, der noch den „letzten übriggebliebenen Arbeiter am liebsten rund um die Uhr hetzen [würde], während er die ‚Überflüssigen’ ausspuckt und ihnen im Prinzip kein Stück Brot mehr gönnt“. Die logisch einzig mögliche Verlaufsform der Automatisierung im Kapitalismus sei „Massenarbeitslosigkeit“ , die hier niemals massenhafte genussvolle Muße, sondern „Massenarmut oder in letzter Konsequenz sogar Massensterben“ bedeutet. „Genau diese von Anfang an der betriebswirtschaftlichen Rationalität inhärente Logik ist es, die sich bei einer weitgehenden Automatisierung Bahn brechen und die bisherigen Kompensationsmechanismen des industriellen Wachstums außer Kraft setzen müßte.“
Das „Ende der Arbeitsgesellschaft“ ist Kurz zufolge als eine „soziale und ökonomische Großkrise“ zu lesen. Es gehe hier nicht etwa nur um eine vorübergehende Krise, sondern um einen „wirklichen historischen Systemzusammenbruch“, „denn die ‚Arbeit‘, die ausgeht, ist ja nichts anderes als die fetischistische Substanz des Kapitals selbst“.
Wegrationalisierung des Menschen
Für die Dritten industriellen Revolution waren im Wesentlichen zwei Innovationen maßgebend: eine neue Form von „Steuerungswissenschaft“, die Kybernetik und „eine neue Art von Maschine, um die Kybernetik überhaupt im großen Maßstab wirksam zu machen und die Dritte industrielle Revolution auf den Weg zu bringen“, die elektronische Rechenmaschine.
Auch hier war nach Kurz Ansicht der Krieg „der Vater aller kapitalistischen Dinge“. Der Zweite Weltkrieg hatte die Entwicklung der Rechenmaschine beschleunigt, da mit ihr Geschoßbahnen berechnet, feindliche Nachrichten-Codes entschlüsselt und der Bau der Atombombe ermöglicht werden sollte. Der entscheidende technische Durchbruch gelang 1948 mit der Erfindung des Transistors in den Bell-Laboratorien. Ende der 50er Jahre entstand schließlich durch die Integration mehrerer Transistoren der Mikrochip.
Parallel zum Aufstieg der mikroelektronischen Revolution entwickelte sich „die technologische oder auch inzwischen als ‚strukturell’ bezeichnete Massenarbeitslosigkeit“, die „seit Beginn der 80er Jahre immer unerbittlicher anstieg“. „Die Arbeitslosigkeit war insofern eine strukturelle geworden, als sie nicht mehr in Korrespondenz mit dem konjunkturellen Zyklus an- oder abschwoll, sondern unabhängig davon kontinuierlich wuchs“. Dieses Problem hatte sich zum „gesellschaftlichen Hauptproblem gemausert, zu einer globalen Dauerkrise, die alle anderen Probleme überlagerte oder zunehmend überhaupt erst hervorbrachte“.
Kurz setzt sich mit den Lösungsversuchen des zeitgenössischen Liberalismus zu dieser Problematik auseinander. So habe z.B. Dahrendorf „darauf hingewiesen, dass die ‚eigentliche’ Ursache der Misere die ‚zu große’ Höhe der Reallöhne“ sei. „Hätte es nicht die ‚folgenschwere Entwicklung’ von ‚sozialen Rechten’, Erhöhung des Lohnniveaus, Verbesserung des Arbeitsschutzes usw. gegeben, wären also die alte Arbeiterbewegung und der Sozialstaat nicht so ‚erfolgreich’ (in Wirklichkeit mit nur sehr mäßigen Ergebnissen) gewesen, dann gäbe es eigentlich gar kein Problem“.
Kurz hält diese Argumentation für „absurd“. Selbst rein systemimmanent könne die radikale Absenkung des Niveaus von Reallöhnen und Sozialleistungen „keinen Ausweg bieten“. Die massenhafte Rückkehr der ‚arbeitenden Armen’ müsste „auf dem historisch erreichten Niveau der Akkumulation die kapitalistische Produktionsweise selbst dann und aus rein objektiven ökonomischen Gründen in die Luft sprengen, wenn es keinerlei soziale Gegenwehr gäbe“ . Es würde „schlicht ausgeblendet“, „wie unabdingbar und unhintergehbar die mühsam auf den Weg gebrachte Kohärenz der industriellen Massenproduktion, des Masseneinkommens in der Geldform und des Massenkonsums von Waren bereits für die Existenz des Kapitalismus selbst geworden“ ist.
Selbst wenn aber die „Rückkehr zum radikal mikroökonomischen Standpunkt und damit die Absenkung der Reallöhne tatsächlich auch im makrökonomischen Maßstab funktionieren könnte“ wären die Zumutungen für den Lohnarbeiter grotesk. Diese wären gezwungen, mit den Rationalisierungs-Potentialen der Dritten industriellen Revolution in einen „Kostenwettbewerb“ und damit in eine Art Abwertungswettlauf zwischen ihren eigenen Löhnen und den Preisen der neuen Steuerungs-Technologien einzutreten. Die einzige Möglichkeit, ihre „Beschäftigung“ zu sichern, bestünde darin, den technischen Fortschritt aufzuhalten, „indem sie freiwillig ihr eigenes Lebensniveau immer tiefer herunterschrauben“.

Die „einzig vernünftige Konsequenz“ bestünde für Kurz darin, im Einklang mit dem technischen Fortschritt „mehr Muße für alle einzuklagen, bei voller Beteiligung aller an den Früchten der ungeheuer angewachsenen Produktivität. Diese einzig vernünftige Schlußfolgerung ist jedoch auf dem Boden betriebswirtschaftlicher Rationalität absolut unmöglich“.
Kurz zieht das Fazit, dass „die Dritte industrielle Revolution in knapp zwei Jahrzehnten die größte Weltkrise seit 1929 heraufbeschworen hat. In die kapitalistischen Zentren kehrte die endgültig überwunden geglaubte Massenarbeitslosigkeit zurück, und in der Peripherie ist zusammen mit der ‚abstrakten Arbeit’ auch die Geldwirtschaft in vielen Ländern bereits zusammengebrochen“. Die „besondere Qualität“ der Dritten industriellen Revolution zeige sich „in einer gewissermaßen finalen Mobilisierung des kapitalistischen Selbstwiderspruchs“. „Die in der Ersten und Zweiten industriellen Revolution nach schweren Transformationskrisen einsetzende kompensatorische Bewegung bleibt trotz aller Beschwörungen aus“, da „die Mikroelektronik insgesamt weitaus mehr ‚abstrakte Arbeit’ überflüssig macht, als durch die Verbilligung ihrer Produkte und die damit einhergehende Ausdehnung der Märkte neu entstehen kann“. „Das Verhältnis von Produkt- und Prozess-Innovation hat sich umgekehrt - die neuen, zusätzlich in den Massenkonsum eingehenden Produkte werden von den Potentialen der ‚Wegrationalisierung’ überholt“.
Individualisierung der Krise und Kampf gegen Gewerkschaften und Sozialstaat
Mit der Dritten industriellen Revolution ist für Kurz „der kapitalistische Selbstwiderspruch vollkommen unlösbar geworden“. Seine „kompensatorsche Dynamik“ - in der Form des Sozialstaates und des Keynesianismus’ - hat sich erschöpft. Zur Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems bleibe nur noch die „Rückkehr zu einem radikal mikroökonomischen Standpunkt“. Die Gesellschaft solle vollständig in „atomisierte individuelle Kalküle“ aufgelöst werden, um „auf diese Weise die Krise vermeintlich unsichtbar zu machen“.

Die nun einsetzende Individualisierung der Krise zeige sich vor allem an der Arbeitskraft, die nun „ohne jede Einschränkung“ als Ware von individuellen Anbietern behandelt wird. Die Arbeitsmärkte werden in individuelle Angebotsmärkte verwandelt, wobei „nicht nur der Sozialstaat, sondern auch die Existenz der Gewerkschaften grundsätzlich in Frage“ gestellt wird. So hatte Milton Friedman schon 1962, noch mitten im fordistischen Boom, eine „marktschädliche“ Wirkung der Gewerkschaften festgestellt, „indem sie in vielen Fällen das Lohnniveau über die vom Markt gegebene Höhe anheben“. Die Gewerkschaften hätten damit „der Allgemeinheit und der Gesamtheit der Arbeitnehmer geschadet, indem sie das Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt störten“ und somit die Lohnarbeiter selber ins Elend stürzten[5].

Was Friedman theoretisch vorgedacht hatte, setzten Ronald Reagan, Margret Thatcher und in ihrem Gefolge nahezu alle Regierungen der Welt in die Praxis um. Für Margret Thatcher stand „die Arbeitslosenrate in direktem Verhältnis zur Macht der Gewerkschaften“. Die Gewerkschaften hätten „die Arbeitsplätze vieler ihrer Mitglieder zerstört, indem sie für ungenügende Leistungen völlig überhöhte Lohnforderungen stellten, so dass die britischen Produkte nicht mehr wettbewerbsfähig waren“[6].
Als Folge der Kampagne gegen die Gewerkschaften und gegen das „historisch-moralische“ Lohnniveau sind „in den wichtigsten Industrieländern und weltweit die Arbeitslöhne seit Beginn der neoliberalen ‚Gegenrevolution‘ sowohl relativ als auch absolut gesunken“. Trotzdem sinkt die „Beschäftigung“ weiter, „während ihre Struktur sich mit jedem neuen Schub von Krise und weiterer Lohnsenkung immer mehr in Richtung der prekären, ungesicherten Billiglohn- Verhältnisse verschiebt“. Auf jeden dieser Schübe gebe es von Seiten der „kapitalistischen Funktionseliten immer nur dieselbe Antwort: Noch mehr ‚Lohnzurückhaltung‘, noch mehr Billiglohn, bis das ‚Gleichgewicht‘ der Arbeitsmärkte auf Biegen und Brechen erreicht ist - das sich aber selbst auf Hungerniveau nicht mehr einstellen wird“. Das materielle Lebensniveau der Massen solle zunehmend durch eine Kombination von Billiglohn und „natürlicher Arbeitslosigkeit heruntergedrückt werden, „aus keinem anderen Grund, als um ‚das System‘ nicht zu gefährden, das diese unsinnige Logik hervorbringt“.
Kurz sieht dabei die Gewerkschaften in einer prekären Situation. Auf der Höhe der Dritten industriellen Revolution sei „paradoxerweise selbst systemimmanente Gegenwehr nur noch möglich, indem das System selbst zur Disposition gestellt wird. Damit sind die Gewerkschaften mit ihrem Latein am Ende“. Ihr Handlungsspielraum habe sich „immer nur auf die historische Expansion der kapitalistischen Anwendung von „Arbeitskraft“ beziehen können, die den Arbeitsmärkten durch die zyklische Bewegung hindurch ein aufsteigendes, langfristig dominierendes Moment der ‚Nachfrage‘ verlieh. Nur in dieser Konstellation war gewerkschaftliche Solidarität und Aktionsfähigkeit bei gleichzeitiger Akzeptanz der Systemgrundlagen möglich. In der neuen Konstellation einer dauerhaften und stetig weiter anschwellenden strukturellen Massenarbeitslosigkeit kehrt sich das Verhältnis jedoch um: als übergreifendes Moment durch den Zyklus hindurch wird auf den Arbeitsmärkten langfristig das ‚Angebot‘ dominierend. Permanentes Überangebot von Arbeitskraft bei einer von Haus aus strukturell schwachen Position der Anbieter hebelt zwangsläufig die Gewerkschaften als Faktor grundsätzlich aus“.
Die Konsequenz wäre für Kurz eigentlich „die freiwillige Selbstauflösung der gewerkschaftlichen Organisationen“. Um selbst die bloße Existenz ihrer Organisation zu erhalten, „müssten die Gewerkschaften über ihren eigenen Schatten springen und die gesamte Hypothek ihrer Geschichte abschütteln“. Dem stehe aber das Bewusstsein der Mitglieder und das der Funktionäre entgegen, das sich dabei gegenseitig bedingen würde. Die Gewerkschaftsfunktionäre „bilden selber längst eine Abteilung der kapitalistischen Funktionseliten“, während die Basis der Mitglieder weit von jedem Gedanken an Gegenwehr entfernt sei. Ihre Konditionierung auf die „abstrakte Arbeit“ über viele Generationen hinweg und die Verinnerlichung der kapitalistischen Kriterien bildeten einen „gewaltigen Bewusstseinsblock, der jedenfalls nicht im Rahmen der herkömmlichen gewerkschaftlichen Strukturen und Denkweisen durchbrochen werden kann“.
Die neue Massenarmut
Für Kurz haben „die Krisenschübe der 80er und 90er Jahre im Verein mit den Auswirkungen des staatlichen Rückzugs aus der sozialen Verantwortung und des neoliberalen Kreuzzuges die größte Welle der Massenverarmung seit dem frühen 19. Jahrhundert ausgelöst“.
Der größte Teil der „sogenannten Dritten Welt wurde vollständig ruiniert, zuletzt sogar die
wenigen südostasiatischen Länder, in denen die nachholende Industrialisierung gelungen zu sein
schien“. In den „Zerfallsstaaten“ der ehemaligen Sowjetunion und in ganz Osteuropa, „wo jahrzehntelang ein vollindustrielles System in staatskapitalistischen Formen existiert hatte, wenn auch mit einem im Vergleich zum Westen niedrigeren Konsumniveau“, „wurden binnen weniger Jahre die erreichten Standards in allen Lebensbereichen vollständig weggenommen. Im Westen selber sind es inzwischen ganze Regionen und von Jahr zu Jahr größere Bevölkerungsgruppen, die ein ähnlich traumatisches Absinken in die Massenarmut erleben, allerdings von einem höheren Lebensstandard aus“.
Kurz zufolge könne daraus vernünftigerweise „nur der Schluß gezogen werden, dass das globale kapitalistische System mit seiner ‚unsichtbaren Hand“ des blinden Marktmechanismus bei der ‚Allokation der Ressourcen’ […] gerade nach seinem vermeintlichen ‚Sieg’ über den Staatskapitalismus vollkommen versagt hat“.
Einkommen
Gemäß des Weltbank-Bericht von 1999 sei „die Zahl der Menschen, die mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen muss, kontinuierlich“ gestiegen. Der marktwirtschaftliche Verarmungsprozess in den industrialisierten Ländern habe dabei „ein relativ höheres Tempo angenommen [..] als in der ohnehin schon vom Massenelend gezeichneten Dritten Welt“. Dies gelte „vor allem für die ehemaligen staatskapitalistischen Länder des Ostens, aber inzwischen eben auch für die westlichen Kernländer selbst. In Europa lebten nach Angaben der EU schon 1996 mindestens 150 Millionen Menschen in Armut“.
Mit der „Verschiebung der noch vorhandenen ‚Beschäftigungsverhältnisse’ in Richtung Billiglohn, wie sie die USA vorexerzierten“, hat sich der Begriff der „Erwerbsarmut“ eingebürgert. „Das bedeutet, dass selbst Löhne für Vollzeitarbeit kein Leben oberhalb der Armutsgrenze mehr erlauben - ein zumindest in Europa (West wie Ost) noch vor 15 oder 20 Jahren undenkbarer Zustand“. Zu den „Erwerbsarmen“ kommen die Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und „verdeckten Armen“, die ihre Berechtigung zur Sozialhilfe nicht in Anspruch nehmen. Die „am meisten verelendete Kategorie bilden dabei all diejenigen, deren ‚Arbeitskraft’ nicht einmal mehr potentiell oder nur in eingeschränktem Maße vernutzbar ist: Kinder, Alte, Behinderte, psychisch Kranke, Gefangene“.
Kinder
Die Kinderarbeit in der Dritten Welt habe rapide zugenommen. Auch in der BRD müssen „nach Angaben des Deutschen Kinderschutzbundes 700000 Kinder unter 15 Jahren arbeiten. „In Kneipen, Läden, Bauernhöfen, Gärtnereien, auf Märkten usw. wird unter dem zunehmenden Konkurrenzdruck verstärkt kindliche Arbeitskraft im Familienverband eingesetzt. Am häufigsten aber müssen Kinder von Sozialhilfeempfängern, besonders von Alleinerziehenden, illegale Beschäftigungsverhältnisse eingehen“.
In den USA stirbt alle fünf Tage „ein arbeitendes Kind, wie aus einer amtlichen Statistik hervorgeht. Rund 200000 Minderjährige werden jedes Jahr an ihrem Arbeitsplatz verletzt“ [7].
Das Phänomen der Straßenkinder habe sich „ebenfalls von der Dritten in die Erste Welt ausgedehnt. In Russland leben heute mindestens zwei Millionen Kinder auf der Straße. Nicht besser steht es in den USA und Großbritannien, wo neben der offen sichtbaren Bildung von neuen Slums auch die Straßenkinder immer stärker das Bild der Städte prägen. In der BRD sind die bereits sprichwörtlichen Berliner Straßenkinder zum Massenphänomen geworden“.
Hunger
Die 90er Jahren haben „zusammen mit der exorbitanten Steigerung der Produktivkräfte“ auch zu einem weltweiten Anschwellen des Hungers geführt. Das Phänomen „des nicht mehr natur-, sondern gesellschaftsbedingten Hungers habe „den Kapitalismus niemals verlassen, nur war es in Zeiten des fordistischen Booms in die Peripherie abgedrängt worden“. Kurz übt dabei Kritik an der Vielzahl von Hungerhilfs-Organisationen, die niemals Kritik „an jenem globalen warenproduzierenden System“ üben würden, das „durch seine absurden Restriktionen den Hunger überhaupt erst hervorbringt. Deshalb „blieben all die vielen Hilfsmaßnahmen auch ohne jeden nachhaltigen Nutzen und wurden von der Logik des Weltmarkts überrollt. 1996 mußte die Welternährungskonferenz feststellen, dass auf der ganzen Erde 840 Millionen Menschen hungern. Wahrscheinlich waren es schon damals weitaus mehr. Inzwischen dürften es nach den neuen Armutsschüben in Osteuropa, Asien, Lateinamerika und im Westen selbst über eine Milliarde Menschen sein, die nicht mehr genug zu essen bekommen“.[8]
In den USA seien „nach offiziellen Angaben des Landwirtschaftsministeriums […] Millionen von Menschen unterernährt, vor allem Kinder“. In Großbritannien kehrten „bei den Kindern der neuen Unterschicht die alten Mangelkrankheiten des 19. Jahrhunderts“ zurück“, während sich der Staat bei der Nahrungsmittelhilfe zunehmend verhärtet. Bereits für Margret Thatcher boten sich „Einsparungen bei den Schulmahlzeiten und der Schulmilch [...] als erstes an“ [9].
Medizinische Versorgung
Ähnliche Tendenzen gebe es bei der medizinischen Versorgung. „In den USA, wo es keinerlei gesetzliche Krankenversicherung gibt, ist ein Großteil der Bevölkerung medizinisch völlig ungesichert. Selbst Mittelständler werden bei größeren Krankheiten völlig ruiniert; Menschen der Unterschicht bekommen nur ‚das Nötigste‘ an Hilfe und sind dann für immer verschuldet“. Aber auch in Ländern mit gesetzlicher Krankenversicherung könne „der ‚Kostenfaktor’ immer weniger in marktwirtschaftlichen Kategorien abgebildet werden. Die Schere geht auch in dieser Hinsicht auseinander: während die medizinischen Kosten steigen, fallen die Einkommen der Versicherten. Im Zuge der allseitigen neoliberalen Privatisierung konzentrieren sich die privaten Kassen auf die Besserverdienenden“. Die gesetzliche Krankenversicherung werde dagegen überall zur „Armenkasse“.
Dieser Trend in den westlichen Ländern werde „vom Rest der marktwirtschaftlichen Welt nur insofern übertroffen, als es in den meisten östlichen und südlichen Ländern (Ausnahme: Kuba) medizinische Hilfe sowieso nur noch gegen Cash gibt. Wer kein Geld hat, wird einfach seinem Schicksal überlassen und darf auf der Straße sterben“. Die „Zweiklassenmedizin“ sei in der BRD „längst alltägliche Praxis; und in anderen westlichen Ländern sowieso“. Obwohl alle medizinischen Ressourcen überreichlich vorhanden sind, gelangen sie immer weniger zu den herausgefallenen Menschenmassen, weil sie wie alle anderen Dingen des Lebens in irgendeiner Form durch das Nadelöhr der kapitalistischen Ökonomie hindurchmüssen. Gerade in dieser Hinsicht wird buchstäblich der menschliche Körper und sein Leben unter ‚Finanzierungsvorbehalt’ gestellt“.
In einer „zunehmenden Zahl von Fällen“ würde „die Geldarmut sogar dazu ausgenutzt, die Armen als regelrechte Organbanken für die Besserverdienenden auszuschlachten“. Als „medizinisches Menschenschlachthaus“ biete sich dabei die „vom Weltmarkt ruinierte Dritte Welt“ geradezu an, wohin „in den 90er Jahren ein sogenannter ‚Nierentourismus’ eingerissen“ sei [10] - für Kurz das wohl „letzte noch denkbare Stadium der Angebotsökonomie“.
Altenpflege
Die allgemeine „Dehumanisierung des kapitalistischen Medizin- und Gesundheitswesens“ setze sich auch „in der Art und Weise fort, wie mit geistig oder körperlich Behinderten und vor allem mit pflegebedürftigen Alten umgegangen wird, Menschen also, die auf keinen Fall mehr eigenständig als Marktsubjekte agieren und die für gar nichts mehr ausgenutzt werden können“. Allein schon die Existenz von Alten- und Pflege-„Heimen“ zeige, dass „die Verwertungsmaschine im Laufe ihrer Entwicklung den Menschen immer weniger Zeit gelassen hat, je mehr sie die Produktivkräfte entwickelte, so dass selbst nächste Angehörige nicht von vertrauten Personen gepflegt werden können, wenn sie als ausgelaugtes Menschenmaterial der Beherrschung ihrer Körperfunktionen verlustig gehen“. „Für viele in der marktwirtschaftlichen Tretmühle vor sich hin strampelnde Einzelkämpfer hat selbst die eigene Mutter, ist sie erst einmal hinter den Mauern irgendeiner Anstalt verschwunden, nur noch den Status einer Art entfernten Verwandten, die man allmählich aus den Augen verliert“.
Dass das alles auch ganz anders geregelt werden könnte, komme niemandem mehr in den Sinn. „Human wäre es einzig und allein, dass Pflegebedürftige im Kreis vertrauter Menschen ihr Leben zu Ende leben können - und dass die Gesellschaft die Mittel und den Zeitfonds dafür bereitstellt, dass das geschehen kann, ohne dass jemand durch diese Pflegetätigkeit aus allen anderen Interessen und Tätigkeiten völlig herausgerissen wird, sich isoliert und dabei auch noch verarmt“.
Aber selbst „auf dem Weg in die Dehumanisierung“ mache sich „das soziale Auseinanderbrechen der Gesellschaft noch in drastischer Weise bemerkbar“. „Während die Besserverdienenden ihre zu entsorgenden Angehörigen in Luxus-Altenverwahranstalten abschieben können, nehmen die Altenheime für die verarmten Massen unter dem zunehmenden ‚Kostendruck’ KZ-ähnlichen Charakter an“.
Zukunftsperspektiven
Kurz sieht mit „der fortschreitenden Dehumanisierung des Kapitalismus“ einen „demokratischen Gulag“ heraufziehen. Dieser Gulag gliedere sich in drei Abteilungen.
- Die erste Abteilung bestehe „aus den Anstalten der Menschenverwahrung und Einschließung, in denen immer mehr überflüssige, delinquente oder sonstwie unverwertbare Menschen verschwinden und die selber zu einem gewaltigen Kostenfaktor angeschwollen sind: Gefängnisse, Zuchthäuser, Drillanstalten, ‚Heime’ aller Art, Armenkliniken, psychiatrische Anstalten etc.“
- Die zweite, „mittlere und größte Abteilung besteht aus den Massen der Arbeitslosen und Herausgefallenen, die von der demokratischen Armuts- und Krisenverwaltung bürokratisch ‚auf Trab’ gehalten, drangsaliert, gedemütigt und zunehmend auf Hungerrationen gesetzt werden“
- Die dritte Abteilung bildeten „die teilweise sogar aus der Statistik herausgefallenen Obdachlosen, Straßenkinder, Immigranten, Asylbewerber und sonstigen Illegalen, die ganz am Rande der Gesellschaft vegetieren und nicht einmal mehr durchgehend verwaltet werden, sondern nur noch sporadisches Objekt von Polizei- und gelegentlich sogar Militäreinsätzen (oder in manchen Ländern von privaten Todesschwadronen) sind“.
Epilog
Das Schlusskapitel des Buches endet in der pessimistischen Prognose, dass „der ‚Bewusstseinssprung‘ nicht mehr vollzogen wird, der für eine neue soziale Emanzipationsbewegung erforderlich wäre“, die zu einer Überwindung des Kapitalismus' führen könnte. Dieser sei aber dennoch nicht überlebensfähig, da der Funktionsmechanismus der „schönen Maschine“ nicht verändert werden könne. Kurz befürchtet als Konsequenz „die unaufhaltsame Entzivilisierung der Welt, wie sie jetzt schon überall sichtbar wird“. Als einzige Handlungsalternative sieht er in einer solchen Situation „eine Kultur der Verweigerung“. Diese bedeute, „jede Mitverantwortung für ‚Marktwirtschaft und Demokratie‘ zu verweigern, nur noch ‚Dienst nach Vorschrift‘ zu machen und den kapitalistischen Betrieb zu sabotieren, wo immer das möglich ist“.
Rezeption
Das Buch fand bei seinem Erscheinen ein sehr unterschiedliches Echo. Während es in der „Zeit“ als „die wichtigste Veröffentlichung der letzten zehn Jahre in Deutschland“[11] bewertet wurde, bezeichnete es die „Süddeutsche Zeitung“ als „Sammelsurium fragwürdiger Analogien und anmaßender Urteile“[12].
Die "Jungle World" [13] meint: "Ein Problem am »Schwarzbuch Kapitalismus« ist nämlich, dass verschiedene - in sich meist durchaus gerechtfertigte - Kritiken des Kapitalismus mit einander vermischt und auf einen Punkt zurückgeführt werden, die abstrakte Arbeit, die Wertproduktion. So wird Kurz' schon vor zehn Jahren formulierte richtige und seinerzeit neue These vom im Weltmaßstab ausbeutungsunfähig gewordenen Kapitalismus mit einer Kulturkritik vermengt, die nicht nur grob vereinfachend und unoriginell, sondern vor allem auch falsch ist."
Die Wochenzeitung "Freitag" [14] kommt zu folgendem Urteil: Die "grundlegende Systemkritik steht auf einem sehr wackeligen theoretischen Fundament." Kurz beanspruche, "Geschichte zu rehabilitieren", obwohl er "weder Historiker" sei, noch "seine Methode eine historische". Die "Methode, aus der Geistesgeschichte nach Belieben Rosinen herauszuklauben für den jeweils passenden Gebrauch", sei "durchgängig." Es bestehe "ein erstaunlicher Widerspruch zwischen seiner grandiosen Überzeugtheit in seine Idee und der kläglichen Argumentation." Kurz halte von empirischem Material wenig, es bleibe "der Eindruck, dass die Zitate nur Ornamente einer fixen Idee sind. Sein allseitiger Ableitungsanspruch führen letztlich zu einer groben Verzerrung der historischen Sicht."
Anmerkungen
- ↑ Zitiert nach John Kenneth Galbraith: Die Geschichte der Wirtschaft im 20. Jahrhundert. Ein Augenzeuge berichtet, Hamburg 1995.
- ↑ Vgl. dazu Werner Bührer: Wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik, in: Informationen zur politischen Bildung, Heft 270: Deutschland in den 70er/80er Jahren, 2001 - dort insbesondere das Kapitel "Tiefpunkt 1975"
- ↑ Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben, München, München 1958, S. 11 f.
- ↑ Dahrendorf: Wenn der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht, in: Matthes, Joachim (Hrsg.): Krise der Arbeitsgesellschaft? 21. Deutscher Soziologentag, Opladen 1983, S. 25 ff.
- ↑ Milton Friedman: Kapitalismus und Freiheit, Stuttgart 1962, S. 163f.
- ↑ Margret Thatcher: Downing Street No. 10. Die Erinnerungen, Düsseldorf 1993, S. 395.
- ↑ zitiert nach David Foster: Alle fünf Tage stirbt ein arbeitendes Kind. Trotz gesetzlichen Verbotes arbeitenin den Vereinigten Staaten sogar Vierjährige, Associated Press (AP) 1997.
- ↑ Vgl. dazu die Zahlen in:definitionen: Was ist Hunger? (taz vom 11.6.2002, S. 3)
- ↑ Margret Thatcher: Die Erinnerungen 1925-1979, Düsseldorf 1995, S. 215.
- ↑ vgl. Der Spiegel 46/1996.
- ↑ Hans-Martin Lohmann in: Die Zeit, 51/1999 (PDF-DATEI) bzw. Online
- ↑ Michael Birnbaum in: SZ, siehe Wer hat Angst vorm schwarzen Buch? (SZ-Rezension)
- ↑ Diedrich Diederichsen, Das Holzspielzeug der Linken in: Jungle World vom 5. April 2000
- ↑ Balduin Winter, Die Gedanken sind frei - Des Ableitungsfanatikers Robert Kurzens Katzenkonzert auf die Marktwirtschaft in: Freitag 05, 26.01.2001
Literatur
- Robert Kurz: Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft. Ullstein, München 2001, ISBN 3-548-36308-3
Siehe auch
- Wertkritik, Wert
- Marxismus, Postmarxismus, Kommunismus
- Industrielle Revolution, Zweite industrielle Revolution, Digitale Revolution, Soziale Frage
Weblinks
- Schwarzbuch Kapitalismus - das Buch komplett als e-book zum Download (PDF-Datei; ca. 2,5 MB)
- Debatte über das Buch: "Das wundersame Überleben der unmittelbaren Subjekte", eine Kritik von Udo Wolter; "Sozialrevolten und Subjektkritik", eine Replik von Ernst Lohoff
- http://home.pages.at/der-stoerenfried/zeitung/a02/10.htm
- http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/5659/1.html
- Rezension in der ZEIT
- R. Kurz: "Schwarzbuch Kapitalismus - ein Abgesang auf die Marktwirtschaft": Die Intellektuellenfibel für den Abgesang auf Kapitalismuskritik eine marxistische Rezension des Buches in der Nummer 3/2000 der Zeitschrift "GegenStandpunkt"