Sonderstimmung (Mundharmonika)

Eine Sonderstimmung ist eine vom Standard abweichende Aufteilung von Tönen in einer Mundharmonika. Dabei werden je nach Sonderstimmung verschiedene Ziele verfolgt. Eigentlich müsste es Sondertonarten heißen, da es sich nicht um die Aufteilung von Frequenzen auf Töne handelt (siehe Stimmung und Tonart). Allerdings hat sich die Bezeichnung Sonderstimmung im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt.
Warum gibt es Sonderstimmungen
Die Standard-Mundharmonika orientiert sich in ihrer Aufteilung nach den gebräuchlichen Dur-Tonarten. Hier die Stimmung einer Blues Harp, auch Richterstimmung genannt:
Overblow Eb Eb F# Bb Bb Blas-Bending Eb F# H blasen C E G C E G C E G C Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 ziehen D G H D F A H D F A Bending C# F# Bb C# Ab F A Ab Overdraw C# Ab C#
Hörbeispiel in Standard-Richter-Stimmung
Orientiert man sich nach der Tonleiter, so wird diese folgendermaßen in der Mundharmonika verteilt. Die Töne der Tonleiter wurden zur besseren Darstellung nummeriert.
ziehen 1 3 5 1 3 5 1 3 5 1 <-Tonnummer in Tonleiter Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 blasen 2 5 7 2 4 6 7 2 4 6 <-Tonnummer in Tonleiter

Durch dieses diatonische System ergeben sich Vorteile und Nachteile. Von Vorteil sind die leichtere Spielbarkeit von Begleitakkorden auf blasen (C-Dur mit Umkehrungen) und der dazugehörigen Dominante auf ziehen (G-Dur mit Umkehrungen, der G-Dominantseptakkord und danach d-Moll). Der Nachteil ist, dass ein diatonisches System nicht ohne weiteres in anderen Tonarten und Skalen spielbar ist. Auch sind für die Spieltechniken des Bending und Overblow gewisse Grenzen gesetzt. Für die Entwicklung eines neuen Systems oder einer Sonderstimmung ist es von Bedeutung, diese Nachteile auszugleichen. Dabei gibt es verschiedene Herangehensweisen. Diese reichen vom Verändern einzelner Töne bis zum Umbau des gesamten Systems. Die Gründe dafür können folgende sein:
- 1. Der Spieler möchte andere musikalische Skalen spielen, da er in anderen Stilrichtungen musiziert. Möglicherweise soll das Instrument in ethnischer Musik Verwendung finden. Dazu kann man, wenn möglich, das Richter-System auf die gewünschte Skala umstimmen. (z.B. Zigeuner-Moll und Zigeuner-Dur, Spanische Skala, harmonisch, melodisch und harmonische Moll, Kirchentonarten wie Dorisch, Arabische Skalen, Chinesische Pentatonik, 1/4 Ton Skala, usw.).
- 2. Der Spieler möchte eine Verbesserung oder Erleichterung seiner spieltechnischen Möglichkeiten, wie ein besseres Bending, besserer Overblow, oder einfacheres Spiel, durch gezieltes Einbringen von Bendingmöglichkeiten.
- 3. Der Spieler möchte, besonders bei spielerspezifischen Sondertonarten, die Mundharmonika an seine persönlichen Vorlieben oder sein „Unvermögen“ angepasst haben, (z.B. eine Harp mit Bluesskala um ihm Bending und Overblows zu ersparen) oder er braucht einfach eine Mundharmonika für Spezialeffekte.
Beispiele
Ein Beispiel für den skalenbedingten Umbau des Richtersystems ist eine Mundharmonika in harmonisch Moll. Hier ist es nur nötig, einige Töne im Richtersystem umzustimmen.
Overblow Db E Ab Db E Ab Bb Blas-Bending B D F# B blasen C D# G C D# G C D# G C Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 ziehen D G H D F G# H D F G# Bending Db Gb Bb Db E G F A E Overdraw C Eb F# A
Hörbeispiel in harmonisch moll
Ein gutes Beispiel für eine an die Spieltechnik angepasste Richterstimmung ist die Country-Stimmung. Dabei wurde lediglich im Kanal 5 ziehen der Ton um einen Halbton erhöht. Dadurch hat man auch in diesem Kanal gute Bendingmöglichkeiten. Dadurch entsteht auch ein Major7-Akkord, der sich besonders für Countrymusik eignet.
Overblow Db F Ab Db F Bb Blas-Bending Eb F# B blasen C E G C E G C E G C Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 ziehen D G B D F# A B D F A Bending Db Gb Bb Db F Ab F A Ab Overdraw Db F Ab Db
Hörbeispiel in Country-Stimmung
Ein Beispiel für den kompletten Umbau des Richtersystems ist die Diminished-Stimmung (vermindert). Hier wurden auf blasen und ziehen eine verminderte Akkordfolge aneinander gereiht. Dadurch ensteht eine Mundharmonika, die nicht auf einen Grundton festzulegen ist. Mit diesem System ist des weiteren das Bending in jedem Kanal möglich, was bei dem Richter-System nicht der Fall war. Somit kann man ein so gestimmtes Instrument chromatisch spielen.
blasen F# A C Eb F# A C Eb F# A Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 ziehen Ab H D F Ab H D F Ab B Bending G Bb Db E G Bb Db E G Bb
Hörbeispiel in Diminished-Tuning
Das Herstellen einer Sonderstimmung
Zum Herstellen einer Sonderstimmung gibt es folgende Möglichkeiten:
- 1. Das Umstimmen der betroffenen Töne in einer Standard Mundharmonika. Dies funktioniert nur, wenn die Tonaufteilung dem Richtersystem ähnlich und der Soll-Ton nicht weit vom Ist-Ton entfernt ist.
- 2. Das Auswechseln von Stimmzungen. Dies ist meist dort nötig, wo das ganze System stark vom Richtersystem abweicht. Ein Umstimmen würde die Tonzungen zu stark negativ in ihren Eigenschaften beeinflussen.
Das Herstellen der Sonderstimmung kann in manchen Fällen vom Spieler selbst vorgenommen werden. Allerdings bieten Customizer und Mundharmonikahersteller auch professionell gebaute Modelle an.
Liste einiger Sonderstimmungen
Da die Möglichkeit, Sonderstimmungen zu erstellen, fast keine Grenzen kennt, seien hier nur einige Stimmungen genannt:
Blues-Harp
Natürlich Moll
Die Stimmung natürlich Moll baut auf der natürlichen Moll Skala auf und nutzt dabei die Tonaufteilung des Richtersystems. Allerdings wird sie nicht straight gespielt, d.h. ab ersten Kanal blasen, sondern cross, also in 2. Position ab Kanal 2 ziehen. Spielt man die Mundharmonika in der 1. Position (ab 1. Kanal blasen) entsteht eine dorische Skala.
blasen C Eb G C Eb G C Eb G C Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 ziehen D G Bb D F A Bb D F A
Harmonisch Moll
Die Stimmung harmonisch Moll beginnt nicht wie die Natürlich-Moll-Stimmung im 2. Kanal ziehen, sondern wie gehabt ab dem 1. Kanal blasen. Sie baut auf der harmonischen Moll Skala auf und nutzt die Tonaufteilung des Richtersystems. Sie klingt ein wenig nach Tango oder anderen Südamerikanischen Klängen oder eben nach osteuropäischer Folklore.
blasen C D# G C D# G C D# G C Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 ziehen D G H D F G# H D F G#
Dorisch
Diese Stimmung orientiert sich an der Kirchentonart dorisch. Wie bei der Natürlich-Moll-Stimmung beginnt die Mundharmonika allerdings in der 2. Position, im 2. Kanal ziehen. Wenn man in der 1. Position, also 1. Kanal blasen spielt, entsteht eine Mixolydische Skala.
blasen C E G C E G C E G C Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 ziehen D G B D F A B D F A
Paddy Richter
Im Kanal 3 blasen ist diese Stimmung um einen Ganzton höher gestimmt, was besonders für Irish Folk nützlich ist. Daher stammt auch der Name, denn Paddy steht für den irischen Michel und Richter für die Verwandschaft mit der Standard-Stimmung. Diese Stimmung wurde vom Customizer Brendan Power eingeführt und erstmals auf seiner CD New Irish Harmonica, sowohl für diatonische als auch für chromatische Mundharmonika. Brandan hat für diese Stimmung eine Schule geschrieben: Play Irish Music on the Blues Harp.
blasen C E A C E G C E G C Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 ziehen D G H D F A H D F A
Melody Maker
Diese Stimmung ist eine Kombination aus der Country-Stimmung und der Paddy-Richter-Stimmung. Sie wurde von Lee Oskar entwickelt. Es wurde gegenüber der Richterstimmung der Ton in Kanal 3 blasen um einen Ganzton und die Töne in Kanal 5 und Kanal 9 ziehen um einen Halbton erhöht. Der Grundton der Stimmung befindet sich in Kanal 2 ziehen.
blasen C E A C E G C E G C Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 ziehen D G B D F# A B D F# A
Zirkular
Mit der Zirkularstimmung hat man die Möglichkeit, je nachdem welche Kanäle gleichzeitig gespielt werden, bis zu 12 Akkorde zu spielen. Deshalb ist es auch nicht so ganz einfach, die Tonart, für welche die Harp geeignet ist, eindeutig zuzuorden. Ab Kanal 1 Blasen beginnt mit einem G eine mixolydischer Skala. In Kanal 1 ziehen ist dagegen der Grundton für A natürlich Moll und Kanal 2 ziehen der Grundton für die Paralleltonart C-Dur. Das sind die beiden Skalen, in denen man auf dieser Harp wahrscheinlich am häufigsten spielt.
Blasen G B D F A C E G B D Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Ziehen A C E G B D F A C E
Augmented
Bekannt wurde Augmented durch Eric Chaffer aus Frankreich. Auf Blasen und Ziehen sind hier lauter übermäßige Akkorde an einander gereiht. Mit dieser Stimmung ist eine voll chromatische Tonleiter allein durch Ziehbends spielbar (siehe Diminished). Die Akkorde klingen typisch orientalisch oder spanisch.
Blasen C E Ab C E Ab C E Ab C Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Ziehen Eb G B Eb G B Eb G B D
Whole Tone
Die Idee für diese Stimmung stammt vom belgischen Extrem-Overblower Ludo Beckers. Die Ganzton-Stimmung kennt keine Halbtöne. Setzt man in jedem Kanal einen Overblow ein, ist man in der Lage voll chromatisch zu spielen. Man braucht dann, wie bei der Augmented nur 4 Patterns zu lernen, um in jeder Tonart spielen zu können.
Blasen Ab C E Ab C E Ab C E Ab Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Ziehen Bb D F# Bb D F# Bb D F# Bb
weitere Sonderstimmungen
- Zigeuner Moll
- Zigeuner Dur
- Spanisch Jüdisch
chromatische Mundharmonika
Chordomonika
Die Chordomonika vereint die Möglichkeiten eine Folge von Begleitakkorden und trotzdem auch eine chromatische Tonleiter in Einzeltönen spielen zu können.
- Blasen: C-Dur ( C E G C )
- Ziehen: G7 ( D F G B )
Mit gedrücktem Schieber:
- Blasen ergibt: F-Dur ( C F A C )
- Ziehen ergibt: D#dim7 ( D# F# A C )
Blasen mit Schieber C1 F1 A1 C2 C2 F2 A2 C3 C3 F3 A3 C4 Blasen C1 E1 G1 C2 C2 E2 G2 C3 C3 E3 G3 C4 Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Ziehen D1 F1 G1 B1 D2 F2 G2 B2 D3 F3 G3 B3 Ziehen mit Schieber Eb1 F#1 A1 C2 Eb2 F#2 A2 C3 Eb3 F#3 A3 C4
Richter
Die Richter-Chromatik-Stimmung ist wie eine Bluesmundharmonika nach dem Richtersystem aufgebaut, wie es der Name schon sagt. Hier wird die Möglichkeit geboten, daß Spieler, die sich vom Spielablauf an eine Bluesharp gewöhnt haben, eine Chromatikmundharmonika spielen können. So hat man wieder die Begleitakkorde in Kanal 1 bis 4 und benötigt zum Erzeugen der Halbtöne weder Bending-, noch Overblowfähigkeiten, sondern drückt einfach den Schieber.
Blasen mit Schieber Db0 F0 Ab0 Db1 F1 Ab1 Db2 F2 Ab2 Db3 F3 Ab3 Blasen C0 E0 G0 C1 E1 G1 C2 E2 G2 C3 E3 G3 Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Ziehen D0 G0 B0 D1 F1 A1 B1 D2 F2 A2 B2 D3 Ziehen mit Schieber Eb0 Ab0 C1 Eb1 F#1 Bb1 C2 Eb2 F#2 Bb2 C3 Eb3
Irisch
Bei einer normalen Chromatik geht der Ton um einen halben Schritt nach oben, wenn man den Schieber betätigt. In den meistens Skalen der irischen Musik klingen die schnellen Phrasierungen mit dem Schieber noch oben nicht so gut. Aus diesem Grund wird bei dieser Stimmung beim Betätigen des Schiebers der Ton um einen Halbton erniedrigt. Gleichzeitig bleibt aber die Chromatik des Instruments erhalten.
Blasen mit Schieber B0 Eb1 F#1 B1 B1 Eb2 F#2 B2 B2 Eb3 F#3 B3 Blasen C1 E1 G1 C2 C2 E2 G2 C3 C3 E3 G3 C4 Kanal 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Ziehen D1 F1 A1 B1 D2 F2 A2 B2 D3 F3 A3 B3 Ziehen mit Schieber Db1 E1 Ab1 Bb1 Db2 E2 Ab2 Bb2 Db3 E3 Ab3 Bb3
weitere Chromatik-Sonderstimmungen
- Paddy Richter
- Diminished
- Augmented
- Whole Tone
Kritik
Puristen der Standard-Richter-Stimmung und der klassischen Chromatik sehen die diversen Sonderstimmungen skeptisch. Ihr Vorwurf ist meist, daß Spieler von Sonderstimmungen sich lediglich das harte Üben von Spieltechniken ersparen wollen.
Liste von Customizern und Herstellern von Sonderstimmungen
- [1] Seite der Customizer Joe Filisko, Richard Sleigh und James Gordon
- [2] Seite des Customizers Brendan Power mit einigen Listen zu Sonderstimmungen
- [3] Seydel-Homepage mit einem großen Angebot an manufakturell gefertigten Sonderstimmungen
- [4] Seite von Lee Oskar. Er entwickelte die Medoly Maker Stimmung
- [5] Hohner bietet einige Sonderstimmungen auch als Stimmplatten zum Austauschen an
Literatur
- Steve Baker & Hermann Demmler: "Harmonikas: Typen, Techniken, Tonfolgen", Hohner/Schott ISBN 3-920468-60-0