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Soul

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Soulmusik oder einfach Soul bezeichnet eine Hauptströmung der afroamerikanischen Unterhaltungsmusik.

Die Musikrichtung entwickelte sich Ende der 50er Jahre aus Rhythm'n'Blues und Gospel. In den 60er Jahren war Soul fast das Synonym für schwarze Popmusik. Eng verknüpft ist die Geschichte dieser Stilrichtung mit dem Kampf der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung gegen Rassentrennung und für Gleichberechtigung.

Bedeutung und Charakteristika

Obwohl Soul später von nachfolgenden Stilrichtungen wie Funk, Disco und Hip-Hop in den Hintergrund gedrängt wurde, gilt er bis heute als einer der Hauptstile innerhalb der schwarzen Unterhaltungsmusik und erlebt immer wieder Revivals. Der Begriff Soul oder Soul Music wird seit den 90ern in einem engeren und einem weiteren Sinn verwandt. Der engere bezieht sich in der Regel auf die klassische Phase dieses Stils in den 60ern und 1970ern. In der weiteren Verwendungsweise des Begriffs bezeichnet Soul eine eigenständig neben Rock und Easy Listening stehende Gattung der modernen Populärmusik. Sie wird oft auch als Neo Soul bezeichnet. Die Hauptelemente dabei sind meist Kombinationen von rhythmisch akzentuierten Beatschleifen (Grooves) ähnlich wie beim Hip-Hop und unterschiedlich ausgeprägte Einflüsse traditioneller Soulmusik in Verbindung mit Pop.

Soulmusik hat ein breites Spektrum an Ausprägungen. Es gibt beispielsweise langsame balladenartige Liebeslieder (beispielsweise "When A Man Loves A Woman" von Percy Sledge), anheizende schnelle Stücke wie "Respect" (ein Hit von Aretha Franklin) sowie weitere Richtungen. Allgemein wird Soulmusik nach den Anteilen ihrer Gospel-Klänge, der Hervorhebung der Sänger und der Verbindung ihrer religiösen und weltlichen Züge unterschieden. Gesang oder Instrumentalsoli werden in der Regel voluminös bis expressiv dargeboten. Im kommerziellen Neo Soul entsteht ein Spannungsfeld durch die Gegenpole von Spontanität, Freiheit und Kreativität des Jazz zum kommerziellem Anpassungsdruck und zur Trendhaftigkeit des Pop. Ebenso durch die Härte, Geradlinigkeit und Kompromisslosigkeit des Rock, die der Sentimentalität, Melodramatik und Zartheit des Chanson bzw. des Easy Listening gegenübersteht.

Entstehung und Stil

Prägte die Grundlagen des Soul mit: Ella Fitzgerald 1940.

Der Soul bildete sich Mitte der 40er Jahre im Rampenlicht populärer Big Bands (Duke Ellington, Count Basie) und Harmonie-Gesangsgruppen (The Platters, The Coasters) durch die Verarbeitung von Elementen des Swing, Bebop, Blues und Gospel in der Populär- und Tanzmusik für ein Publikum aus den afroamerikanischen Bevölkerungsschichten in den Großstädten der USA, insbesondere New York, Chicago und New Orleans, heraus. Inspirierend wirkten dabei immer wieder Versuche renommierter Bluesinterpreten (John Lee Hooker, T-Bone Walker, Muddy Waters) und Jazzmusiker (Ella Fitzgerald, Lionel Hampton, Dinah Washington), den kommerziellen Erfolg ihrer Veröffentlichungen zu erhöhen, zugleich aber das Typische und Ursprüngliche ihrer Musik zu erhalten. Diese Entwicklung mündete in die Entstehung des Rhythm'n'Blues als Vorstufe des Rock'n'Roll in den frühen 50er Jahren. Während bei der Entwicklung zum Rock'n'Roll (Chuck Berry, Fats Domino, Little Richard) verstärkt auch Elemente der Country-Musik Berücksichtigung fanden und rhythmisch tendenziell der Up-Beat vorherrschte, kondensierte sich durch Hinwendung zum Down-Beat der als eigenständiges Genre wahrnehmbare Soul heraus.

Die Soulwelle der 60er Jahre fasste bereits bestehende Tendenzen innerhalb der schwarzen Musik zu einem kraftvollen, großen Strom zusammen. Musikalisch griff sie die Impulse diverser Gospel-orientierter Gesangsgruppen auf. Die neu entstehende Soulmusik kombinierte typische Gospel-Elemente wie die Gefühlsintensität des Vortrags (das sogenannte Shouting), die auf dem Call and response-Prinzip basierende Songstruktur sowie das den Takt unterstreichende, rhythmische Händeklatschen mit der musikalischen Energie und der Bandstruktur des Rhythm'n'Blues. Stilistisch markierte der Soul einen deutlichen Bruch mit der schnellen und rhythmusbetonten, jedoch ohne Anspruch auf Tiefgang daherkommenden Rhythm'n'Blues-Unterhaltungsmusik, wie sie sich seit dem Zweiten Weltkrieg etabliert hatte. Die Wiederaneignung der aus dem Süden stammenden Gospel-Tradition ging jedoch einher mit weltlichen Texten. Anstatt der im Rhythm'n'Blues gängigen Grobschlächtigkeit propagierte Soul neue Werte wie Mode und Eleganz. Nicht zuletzt betonte er auch eine andere Sichtweise des Verhältnisses der Geschlechter: War im Rhythm'n'Blues das Verhältnis zwischen Frau und Mann oft auf das Sexuelle sowie den gegenseitigen Nutzwert reduziert, thematisierten eine Reihe von Soul-Texten auch spirituelle Aspekte wie Verantwortung und Zuneigung. Verglichen mit der Rock'n'Roll-Dekade der Fünfziger, präsentierte der Soul oft ein geradezu ein realistisches und erwachsenes Bild der Geschlechterverhältnisse. Obwohl sich die Sänger und Sängerinnen dabei teilweise bis in ihr Innerstes offenbarten, blieb der Vortrag trotz allen Temperaments stets kontrolliert und unterwarf sich der Dramaturgie des jeweiligen Stücks.

Eng verknüpft war der Erfolg der neuen Musikrichtung mit den Erfolgen und Rückschlägen der Bürgerrechtsbewegung. Manifest wurde deren Bedeutung durch den Marsch auf Washington am 28. August 1963, an dem rund 250.000 Menschen teilnahmen. Die von der Bürgerrechtsbewegung langfristig anvisierte Integration der Farbigen in die weiße Mehrheitsgesellschaft drückte sich in der neuen Musikrichtung sehr unmittelbar aus. Als Blütezeit des Souls gilt nicht umsonst die Ära der Freedom Rider, deren Zivilcourage die Abschaffung der Rassentrennungsgesetze nicht unmaßgeblich mitbewirkte. Soul brachte das erstarkende schwarze Selbstbewusstsein in Schlüssel-Songs zum Ausdruck wie "Say It Loud – I'm Black And I'm Proud" von James Brown (1968) und "Respect" von Aretha Franklin (1967). Von der Bedeutung der Musik für das neue Selbstverständnis kündeten schließlich auch neue Begriffe aus der Alltagssprache wie "Soulbrother" und "Soulsister".

Stilistisch lassen sich im Sechzigerjahre-Soul zwei Hauptstränge ausmachen. Eine – der sogenannte Southern Soul – offerierte eine rauere, ungeschminktere Version und wird vor allem mit den Produktionen der beiden Labels Atlantic Records (New York) und Stax (Memphis) assoziiert. Die zweite Richtung, die sich vor allem um das Detroiter Label Motown gruppierte und gelegentlich auch als Northern Soul bezeichnet wird, favorisierte hingegen eine möglichst mainstreamtaugliche schwarze Unterhaltungsmusik und erzielte mit dieser zeitweilig immense Erfolge im weißen Massenmarkt. Eine zweite Soulwelle Anfang der Siebziger Jahre, ausgelöst durch die Produktionen des Labels Philadelphia International Records und bekannt geworden unter dem Etikett Philly Sound, baute ebenfalls auf dieses Grundkonzept.

Obwohl nachfolgende Stilrichtungen in den Siebzigern und Achtzigern den Soul in den Hintergrund drängten, gilt er bis heute als das große Bindeglied zwischen dem Rock'n'Roll, Blues und Rhythm'n'Blues der Fünfziger und dem Funk sowie der Disko-Musik der Siebziger. Auch die Hip-Hop-Welle konnte Soul relativ unbeschadet überstehen. Immer wieder recycelt und neu aufgelegt, gilt er bis heute als die beständige Pop-Hauptströmung der schwarzen Musik schlechthin.

Die Soul-Ära

Vor allem die Sechziger wurden musikalisch von der Soulmusik entscheidend mitgeprägt. Dieser Abschnitt beschreibt die wesentlichen Strömungen und Akteure.

Vom Rhythm'n'Blues zum Soul

Der Soul entwickelte sich ab Mitte der Fünfziger aus unterschiedlichen Tendenzen. Sam Cooke, Ray Charles und James Brown werden gemeinhin als die Anfänge des Soul betrachtet; insbesondere der Ray Charles-Klassiker "What'd I Say" aus den Jahr 1959 gilt als einer der wesentlichen Auslöser. Elemente des Soul waren darüber hinaus bereits bei einigen schwarzen Gesangsgruppen wie etwa den Dominoes, den Drifters und den Platters zu finden. Ebenfalls mit Gospel-typischen Elementen wartete die Musik einiger schwarzer Jazzsängerinnen auf – wie zum Beispiel Ella Fitzgerald, Nina Simone und Dinah Washington. Starke Affinitäten zum Gospel enthielt darüber hinaus auch die Musik einiger schwarzer Rock'n'Roll-Interpreten wie zum Beispiel Fats Domino, LaVern Baker und Ruth Brown.

Flankiert wurden die Veränderungen in der schwarzen Unterhaltungsmusik durch eine vom avantgardistischen Jazz her kommende Richtung. Diese beeinflusste den Hauptstrang der Unterhaltungsmusik zwar nur mittelbar, brachte allerdings gleichfalls ein Bedürfnis nach Veränderung zum Ausdruck. Ein markantes Signal war die Entwicklung hin zum Hard Bop: Eine Gruppe hochkarätiger Instrumentalisten (Cannonball Adderley, Horace Silver und Charles Mingus) entschloss sich, die von ihnen als artifiziell angesehene Weiterentwicklung des Bebop zum Cool Jazz nicht mitzuvollziehen und näherte sich stattdessen der aktuellen Rhythm'n'Blues-Musik an. Sie integrierte den Funk-Rhythmus sowie den akzentuierten, rhythmusbetonten Bläser-Stil der Unterhaltungsbands in ihre Musik und schuf so einen neuen, bald als Hard Bop bezeichneten Jazz-Stil.

Ausgelöst wurde der Soul so letztendlich von einer Reihe übergreifender stilistischer Gemeinsamkeiten. Gebündelt präsent waren diese bei einem Label, welches die Entwicklung der Rhythm'n'Blues-Szene bereits seit den späten Vierzigern begleitet hatte: Atlantic Records in New York.

Uptown Soul: Atlantic Records

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War bis 1961 bei Atlantic Records: Ray Charles

Atlantic Records wurde 1947 von Ahmet Ertegun, dem Sohn des türkischen Botschafters in den USA gegründet. 1956 stieß sein Bruder Nesushi hinzu. Entscheidend mitgeprägt wurde die Veröffentlichungspolitik des Labels durch den Präsidenten der Firma, Jerry Wexler. Atlantic publizierte eine Vielzahl von Stilen: zeitgenössische Rhythm'n'Blues-Musik ebenso wie traditionellen "Down Home"-Blues, Jazz und Pop. Mit LaVern Baker, Ruth Brown, Clyde McPhatter und Ray Charles hatte das Label Ende der Fünfziger wegbereitende Künstler unter Vertrag. Weitere Atlantic-Acts waren der aus Philadelphia stammende Solomon Burke sowie Dionne Warwick und Bobby Darin.

Insbesondere Solomon Burke konnte die Lücke, die durch den Weggang von Ray Charles 1960 entstanden war, nachhaltig füllen. Burkes Hitserie begann 1961 mit "Just Out Of Reach". Mitte der Sechziger erlebte er den Höhepunkt seiner Popularität und schrieb mit dem Stück "Everybody Needs Somebody To Love" einen Klassiker des Sixties-Soul. Burke galt zeitweilig als der "King of Rock'n'Soul", wurde später allerdings von dem noch temperamentvoller auftretenden James Brown in den Hintergrund gestellt. Als weitere Kassenschlager erwiesen sich für Atlantic Records zwei weitere Neuzugänge: Der gebürtige Detroiter Wilson Pickett ("In The Midnight Hour", "Land Of The 1000 Dances") war Mitte der Sechziger ebenfalls einer der gefragtesten Soulsänger. Zum überragenden Star von Atlantic Records wurde allerdings Aretha Franklin, die erst recht spät, 1967, unter Vertrag genommen wurde. Karrieretechnisch hatte die Tochter eines Baptistenpredigers aus Tennessee bereits einen steinigen Weg hinter sich. Ihr ausdrucksstarker Gesang sowie ihre Inbrunst machten jedoch Titel wie "Respect" (1967) zu Hymnen des Soul – und ihre Sängerin zu einer Ikone der Bewegung.

Stilistisch war der Atlantic-Sound überdurchschnittlich stark "Gospel-lastig". Eine Reihe von Atlantic-Aufnahmen entstanden in Zusammenarbeit mit der firmeneigenen Studioband um den Saxophonisten King Curtis; gelegentlich wird der Atlantic-Sound darum auch als Uptown Soul bezeichnet. Da die New Yorker Firma jedoch eng mit den Studios und Labels aus dem Süden kooperierte, subsumieren Soul-Insider den Atlantic-Sound in der Regel unter den Memphis Soul bzw. den Southern Soul.

Memphis Soul: Stax und Muscle Shoals

Die südliche Richtung des Soul wurde entscheidend geprägt von dem in Memphis ansässigen Label Stax und den in Alabama beheimateten Muscle Shoal-Studios. Typisch für den Southern Soul waren engagierte weiße Firmenchefs, die ursprünglich von der Hillbilly-, Country- und Rock'n'Roll-Musik kamen und sich nun ausschließlich dem Rhythm'n'Blues widmeten.

Stark dem Idealbild der Rassenintegration entsprach insbesondere das Stax-Label in Memphis. Gegründet hatte es 1958 der ehemalige Bankangestellte und Country-Amateurmusiker Jim Stewart. Den typischen Stax-Sound erzeugte die aus zwei Schwarzen und zwei Weißen bestehende Studioband Booker T. & the MG's. Kreative Mittelpunkte des Labels waren ab 1962 Songschreiber und Produzent Isaac Hayes sowie der Sänger Otis Redding, von dem auch die Originalversion des Aretha Franklin-Welterfolgs "Respect" stammte. Mit Hits wie "I've Been Loving You Too Young" (1965) und "Sittin' On The Dock Of The Bay" (1967) avancierte der 1967 tödlich verunglückte Sänger zum wichtigsten Star der Firma. Erfolgreiche Künstler des Labels waren neben Redding Joe Tex, Rufus Thomas und Carla Thomas, das Duo Sam & Dave, Eddie Floyd sowie die Staple Singers.

Stilistisch zeichneten sich die Stax-Produktionen durch einen recht einfach gehaltenen, ursprünglichen Sound aus. Typisch für den Stax-Sound war der orgelähnliche Einsatz der Bläser. Der Gesang hielt sich im Wesentlichen im Rahmen der Gospeltradition; auf nachträgliches Abmischen wurde meist ganz verzichtet. Zeitweilig profitieren konnte das Independent-Label von einem Vertriebsabkommen mit Atlantic Records. Inspirierend wirkte die entspannt-kreative Atmosphäre der Stax-Studios in den Sechzigern auch auf einige Interpreten des sogenannten Blue Eyed Soul: Die hier aufgenommenen Platten von Elvis Presley, Neil Diamond und Dusty Springfield werden von Musikkritikern immer wieder als herausragende Meilensteine der jeweiligen Künstler aufgeführt.

Zweite relevante Produktionsstätte des Southern Soul waren die Muscle Shoals-Studios von Rick Hall in Alabama. Neben Aufnahmen von Tommy Roe, Ray Stevens sowie dem Atlantic-Star Wilson Pickett entstand in den Muscle Shoals-Studios auch einer der Welthits der Soul Music: "When A Man Loves A Woman" von Percy Sledge. Als weiteres wichtiges Southern Soul-Label zu erwähnen ist schließlich noch die von Quinton Claunch gegründete Firma Goldwax. Bedeutendster Künstler von Goldwax war James Carr, dessen Stück "The Dark End Of The Street" von 1967 ebenfalls zu den Hitparadenerfolgen der Southern Soul-Richtung zählt.

Detroit- oder Motown Soul

Anders als Stax und vergleichbare Labels forcierte die in Detroit beheimatete Firma Motown Records von Anfang an den kommerziellen Erfolg im Pop-Mainstream. Gegründet wurde das Motown-Label 1959 von dem ehemaligen Fließbandarbeiter Berry Gordy. Mit dem Produzententeam Brian Holland, Lamont Dozier und Eddie Holland (HDH) verfügte Gordy ab 1963 auch über erstklassige Songschreiber. Als zusätzlicher Stücke-Autor und Produzent hinzu kam Smokey Robinson. Robinson war gleichzeitig Leadsänger der Motown-Gruppe The Miracles und brachte der Firma sowohl mit der Kombo Smokey Robinson & The Miracles als auch als Autor und Produzent eine Reihe von Hits ein, darunter ihren wohl bekanntesten Song "The Tears Of A Clown" aus dem Jahr 1970. In Szene gesetzt wurde der Motown-eigene Sound von der labeleigenen Studio-Band Funk Brothers.

Anders als die auf Feeling und Inspiration vertrauenden Kollegen in den Stax-Studios legte Motown Wert auf äußerste Perfektion sowie musikalischen Glattschliff. Typisch für Motown-Produktionen wurden Hits, die ins Ohr gingen und deren Schema im Wesentlichen aus einer möglichst intensiven Wiederholung von Schlüsselmelodie und Refrain bestand. Die Texte der Motown-Veröffentlichungen waren eher oberflächlich gehalten. Sie orientierten sich ebenfalls vorwiegend an den Bedürfnissen des weißen Popmarkts. Dort war das Detroiter Label zeitweilig immens erfolgreich: Im Jahr 1966 gelang 75 Prozent aller Motown-Singles der Durchbruch in die Top 100 der US-amerikanischen Charts. Aufgrund ihres Erfolgs bekam die Firma den Beinamen "Hitsville, USA". Für Anerkennung in der schwarzen Community sorgte schließlich die Tatsache, dass das Label das größte Medienunternehmen im Besitz von Schwarzen war.

Im Verlauf der Jahre kamen immer häufiger Streicher bei den Einspielungen zum Zuge. Gordy versuchte zudem, seine Künstler auch in den großen Club-Shows in Las Vegas und am Broadway unterzukriegen. Mitte der Sechziger Jahre zählte zu dem Detroiter Label die Crème der poptauglichen Soul-Künstler. Den Kontrapunkt zu dem romantischen Smokey Robinson setzten die eher temperamentvollen Temptations. Darüber hinaus standen bei Motown unterschiedliche Sangesgruppen und Einzelkünstler unter Vertrag: Martha Reeves mit ihrer Band Martha & the Vandellas, die Marvelettes, deren Stück "Please Mr. Postman" aus dem Jahr 1961 erfolgreich von den Beatles gecovert wurde, die gospelbeeinflussten Four Tops, Gladys Knight & the Pips, Marvin Gaye ("I Heard It Through The Grapevine"), die Jackson Five als rockige Soulvariante ab 1969, der später in Richtung Funk tendierende Edwin Starr, "Little" Stevie Wonder und last but not least die wohl erfolgreichste Truppe des Labels: die Supremes mit ihrer Leadsängerin Diana Ross.

Sonstige Labels und Künstler

Nicht alle Soul-Künstler der Dekade zwischen 1960 und 1970 lassen sich einem der aufgeführten Labels zurechnen. Der wichtigste von allen erarbeitete sich schon in den Sechzigern den Ruf einer Institution: James Brown. Begonnen hatte Brown mit einem erdigen, Soul-durchsetzten Rhythm'n'Blues-Stil Ende der Fünfziger. Seine Single "Please, Please, Please" aus dem Jahr 1956 trug mit dazu bei, den Soul-Boom auszulösen. In den Sechzigern wurden einige seiner Hits zu Manifestationen des neuen schwarzen Selbstbewusstseins – insbesondere die Bekennerhymne "Say It Loud – I'm Black And I'm Proud" aus dem Jahr 1968. Browns Musik blieb während der ganzen Periode archaisch und urwüchsig. Der Sänger, auch als "Soulbrother Number One" oder "The Hardest Working Man in Showbiz" bezeichnet, war – ähnlich wie Frank Sinatra für die weiße Popmusik – das Idol der schwarzen Musik schlechthin und bildete biografisch das Brückenglied zwischen dem Rhythm'n'Blues der Fünfziger und dem Funk der Siebziger.

Ein weiteres wichtiges Zentrum für die Soul-Musik war Chicago. Chicago galt als Hauptstadt des Blues und war bis in die Siebziger eines der bedeutendsten Zentren der schwarzen Musik. Anlaufstellen als Label bot hier die traditionsreiche Firma Chess sowie Okeh, ein Unterlabel des Medienmultis CBS. Mit der bedeutendste Soul-Musiker aus Chicago war Curtis Mayfield. Mit seiner Band Impressions hatte er 1961 einen Hit ("Gipsy Lady"). Im Verlauf seiner Karriere machte er außer als Sänger auch als Songschreiber von sich reden. Seine Stücke "Keep On Pushing" und "We're A Winner" wurden zu Hymnen der Bürgerrechtsbewegung. Anfang der Siebziger gelang dem sanften, religiös motivierten Künstler der Crossover in Richtung Funk mit den Blaxploitation-Soundtrack "Superfly". Weder den beiden Hauptlabels Stax und Motown noch den bisher aufgeführten Richtungen zuschlagen lassen sich einige weitere relevante Künstler. Dies gilt insbesondere für den im Bundesstaat Arkansas geborenen Al Green. Green begann seine Soul-Karriere zwar erst Ende der Sechziger, wurde im Folgejahrzehnt jedoch fast zu einer Galionsfigur der Soul Music. Eine weitere Künstlerin ist die in Pennsylvania geborene Patti LaBelle, die mit "Lady Marmelade" einen frühen Hit der Disko-Ära kreierte. Als Label aufzuführen ist schließlich auch die renommierte Jazz-Firma Verve. Stilbildend aus wirkten sich dort vor allem die Aufnahmen von Howard Tate aus dem Jahr 1967.

Eine eigene Form des Soul entwickelte sich schließlich in New Orleans. Die Musik der multikulturellen Metropole nahe der Mississippi-Mündung war immer schon mehr funky, relaxter und ausgelassener gewesen als im Rest der Vereinigten Staaten. Als Rhythm'n'Blues-Künstler stilbildend wirkte hier vor allem Fats Domino. In den Sechzigern und Siebzigern produzierte die lokale Szenen-Größe Allen Toussaint einige Soul-Acts. Geprägt wurde der Soul "made in New Orleans" von Künstlern wie Irma Thomas, den Pointer Sisters, den Strokes, Lee Dorsey ("Working At The Coal Mine") sowie, ab den Siebzigern, auch den Neville Brothers.

Das Ende der Soul-Ära

Nach 1968 ließ die Faszination für Soul-Musik nach. Insbesondere das Attentat auf Martin Luther King am 4. April 1968 und die daran anschließenden Aufstände in vielen US-amerikanischen Großstädten führten zu Desillusionierung und Resignation. Die Musik blieb; die dahinter stehende Aufbruchsstimmung verflüchtigte sich jedoch rapide. Insbesondere für den Southern Soul bedeutete das King-Attentat den Todesstoß. Stax, bereits angeschlagen durch die Kündigung des Vertriebsabkommens seitens Atlantic Records nach dem Tod von Otis Redding 1967, galt unter schwarzen Musikern zunehmend als "uncool". Die Firma hielt sich mit Studioproduktionen noch einige Jahre über Wasser und musste Mitte der Siebziger schließlich Konkurs anmelden. Auch das Paradepferd der poporientierten Soulrichtung, Motown, musste eine Reihe von Rückschläge hinnehmen. Das Komponistenteam Holland/Dozier/Holland verließ das Label und verklagte Gordy aufgrund zurückgehaltener Tantiemen. Auch Martha & The Vandellas, Glady Knight & The Pips, die Jackson Five und die Four Tops kehrten Motown den Rücken. Stevie Wonder und Marvin Gaye blieben dem Label zwar erhalten, konnten ab Anfang der Siebziger Jahre jedoch eine größere künstlerische Unabhängigkeit durchsetzen.

In Frage gestellt wurde der vorherrschende Einfluss des Soul nicht nur durch das sich abzeichnende Scheitern der Integrationsbemühungen. Neue Strömungen in der Rockmusik wie z. B. Psychedelic wirkten sich ebenfalls verändernd auf die Popmusik der Schwarzen aus. Der durch die Bürgerrechts-, Hippie- und 68er-Bewegung nicht unwesentlich mit angestoßene neue Stellenwert der künstlerischen Freiheit veränderte das Selbstverständnis zahlreicher Soul-Musiker und -Sänger. Die Soul-Musik brachte zwar auch in den Siebzigern sowie den folgenden Dekaden immer wieder bemerkenswerte Künstler, Sub-Stile und Einzel-Einspielungen hervor. Die klassische Phase dieser Musikrichtung war allerdings mit dem Ende der Sechziger unwiderruflich vorbei.

Soulmusik nach der Soul-Ära

Die Siebziger, Achtziger und Neunziger brachten eine musikalische Auffächerung in unterschiedliche Strömungen. Dieser Abschnitt gibt einen Überblick über die Hauptstationen dieser Entwicklung.

Psychedelic Soul und Funk

Die psychedelische Richtung innerhalb der Rockmusik machte sich Anfang der Siebziger in vielen Soul-Produktionen bemerkbar. Zunehmend längere, teilweise sinfonieartig angelegte Stücke mit zelebriertem Funk-Bass, Synthesizer, Streichern und akzentuiert eingesetzten Bläser-Sektionen bewegten sich auf Augenhöhe mit den Produktionen zeitgenössischer Art Rock-Bands. Den Temptations gelang mit "Papa Was A Rolling Stone" (1972) ein Paradestück dieser Richtung. Ähnlich aufwändig produziert waren auch einige Soundtracks zu Blaxploitation-Filmen wie "Shaft" oder "Superfly". Eingespielt wurden Letztere von den erfahrenen Produzenten, Musikern und Songschreibern Isaac Hayes und Curtis Mayfield.

Ausgelöst durch die Entwicklungen der Sechziger, wurde auch die Soulmusik in den Siebzigern immer sozialkritischer. Edwin Starr gelang mit dem Antikriegslied "War" (1970) der Einzug in die Hitparaden. Anders als noch im Jahrzehnt zuvor beeinträchtigten politische Aussagen in den Siebzigern nicht unbedingt die Karriere. Als anspruchsvolle Solokünstler profilieren konnten sich Anfang der Siebziger insbesondere Marvin Gaye und Stevie Wonder. Gaye gelang 1971 mit "What's Going On" ein eindrucksvoller Hit mit schwerem, funkbetontem Balladensound. Einen nachhaltigen Crossover in den weißen Popmarkt schaffte Stevie Wonder. Spätestens seit der Veröffentlichung von "Superstition" im Jahr 1972 galt Wonder als Künstler, der den Spagat zwischen Rock, Soul, Pop und Diskomusik mühelos bewältigte.

Der Haupttrend innerhalb der schwarzen Musik der Siebziger war Funk. Anders als die auf Gospel-Refrains und Popsong-Formate fixierte Soulmusik der Sechziger zelebrierte Funk den reinen Rhythmus. Kennzeichnend für den neuen Sound waren ein treibender Bass, abgehackte Gitarren-Riffs sowie akzentuiert eingesetzte Bläsersätze. Der Gesang erfüllte im Grunde lediglich die Rolle, die Darbietung der Stücke zu moderieren und ihre Wirkung emotional zu steigern. Ausgelöst wurde der Funk-Boom im Wesentlichen von Musikern und Instrumentalisten bereits bestehender Gruppierungen und Studiobands. Die ersten Versuche hin in diese Richtung vollzogen schwarze Formationen im Windschatten von Psychedelic und progressiver Rockmusik. Sly & the Family Stone waren durch das legendäre Woodstock-Festival 1969 bekannt geworden. Eine weitere Band in dieser Richtung waren die kalifornischen War, die sich zeitweilig mit dem britischen Rock-Urgestein Eric Burdon liierten. Stilprägend für den Funk war allerdings der Live-Sound von James Brown, dessen Stück "Sex Machine" aus dem Jahr 1970 die Gattung entscheidend mit begründete. Wichtige Bands des Funk wurden George Clinton mit seinen Bands Parliament und Funkadelic, die aus Chicago stammenden Earth, Wind & Fire, die Ohio Players sowie Kool & the Gang. Eine spezielle Unterrichtung des Funk war schließlich der Funk Jazz, der vor allem im Umfeld einiger Miles Davis-Musiker wie zum Beispiel Herbie Hancock entwickelt wurde. Stilprägend wirkte sich der Funk schließlich auch auf die Ende der Siebziger neu entstehende Rap- und Hip-Hop-Musik aus.


Soul bis heute

Bemerkenswert ist hier vor allem der Aufstieg von Tina Turner, Prince und Michael Jackson. Allen dreien gelang es, sich als Größen dauerhaft im Popgeschäft zu etablieren. Mit Soul hatte die Musik von Turner, Prince und Jackson zwar nur teilweise etwas zu tun. Zumindest Tina Turner und Michael Jackson hatten sich allerdings im klassischen Rhythm'n'Blues- und Soul-Metier hochgearbeitet: Tina Turner zusammen mit ihrem Ex-Mann Ike Turner als Sängerin der Combo Ike & Tina Turner, Michael Jackson als Mitglied der Motown-Teeniegesangsgruppe Jackson Five.

Die klassische Soulmusik steckte Anfang der Achtziger in einer schweren Krise.Kurzfristig lebte auch die alte Stilbezeichnung Rhythm'n'Blues neu auf – diesmal als Stilbezeichnung für neuere, tanzbare Soul-Varianten. Als längerlebig erwiesen sich allerdings allgemeinere Begriffe wie Neo Soul oder Urban Soul. Bedeutende Soul-Künstler des neuen, urban ausgerichteten Stils waren Luther Vandross, Freddie Jackson, Shirley Jones, Teena Marie und Anita Baker. Doch auch älteren Soul-Acts wie Gladys Knight & the Pips, Marvin Gaye und Bobby Womack gelang es in dieser Umbruchphase, sich mit neuen Produktionen und Stücken in Erinnerung zu bringen.

Im neuen Jahrtausend hat sich die Soul Music dezentralisiert und internationalisiert. Der Begriff "Soul" kennzeichnet heute nur noch im engeren Sinn die klassische Phase dieser Musikrichtung in den Sechzigern. In der aktuellen Umgangssprache steht er vielmehr übergreifend für eine schwarze Popmusik, die irgendwie "soulfull", also gefühlsbetont daherkommt. Auch die Rassengrenzen sind heute weniger bedeutend als früher. Obwohl Soul nach wie vor als "schwarze" Musikrichtung gilt, wird sie schon seit langem auch von nichtschwarzen Künstlern und Nachwuchs-Interpreten adaptiert.

Soulmusiker