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Arnold Bendix Heine

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Arnold Bendix[1] Heine (* 22. Dezember 1847 in Herford; † 1. Februar 1923 in Wiesbaden) war ein US-amerikanischer Stickereiindustrieller deutsch-jüdischer Herkunft, der wesentlich zum wirtschaftlichen Aufschwung der schweizerischen Stadt Arbon beitrug.

Herkunft und Anfänge

Heine wurde im preussischen Herford (heute Nordrhein-Westfalen) geboren. Seine Eltern waren Bendix Heinemann Hein und Julie Lyon. 1866 wanderte er nach Corning (New York) aus. 1870 heiratete er dort Clara Falk und eröffnete einen Fancy Store, nachdem er zuvor im Bekleidungsgeschäft des Schwiegervaters gearbeitet haben dürfte. 1872 wurde er US-Bürger. 1876 zahlungsunfähig, wurde er des Betrugs angeklagt, aber offenbar nicht verurteilt. Um 1880 übersiedelte er nach New York City. Er spezialisierte sich auf die Einfuhr von Stickereiwaren aus der Schweiz, zu deren wichtigstigem Exportartikel diese damals wurden.[2] Hauptabsatzmarkt waren die USA, wo bald ebenfalls eine Stickereiindustrie entstand.[3]

Zweitgrösste Stickerei der Welt

1885 gründete Heine mit William Meyer, David Aaron und seinem Bruder Sigmund Bendix eine Kollektivgesellschaft, die 1887/88 einen Geschäftssitz in St. Gallen errichtete und bis 1896 bestand. 1897 war Jacob Rohner in Rebstein (Kanton St. Gallen) Teilhaber Heines. Die Firma A. B. Heine Co. in New York wurde Alleinimporteur der Produkte von Jacob Rohner Co., doch endete die Zusammenarbeit noch im selben Jahr.[4] Darauf gründete Heine 1898 in Arbon am Bodensee (Kanton Thurgau), wo der Industrielle Adolph Saurer Stickmaschinen herstellte, einen eigenen Fabrikationsbetrieb. 1899 lautete der Briefkopf der Firma: Arnold B. Heine & Co. Manufactures of Embroideries, Swiss Handkerchiefs, Curtains and Dotted Swisses[5]. Factories: Rebstein – Au – Arbon. 1902 traten Heines Söhne Benedict und Arthur ins Geschäft ein. 1903 wurde die Firma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, an der Heine und der Schweizerische Bankverein in Basel je zur Hälfte beteiligt waren. 1904 von den Ostschweizer Ausrüstern boykottiert, appretierte sie ihre Produkte selber. 1906 und 1907 zahlte sie 7 Prozent, 1808 8 Prozent Dividende. 1909 beschäftigte sie inner- und ausserhalb der Fabrik 5000 Personen, womit sie nach der Feldmühle in Rorschach (Kanton St. Gallen) die grösste Stickerei der Welt war.

„Was für eine enorme Arbeitsleistung der Bau eines solchen Riesenbetriebes in (…) nur zehn Jahren seitens des intellektuellen Urhebers erforderte, braucht wohl kaum erörtert zu werden.“[6]

Mehr noch als die Maschinenfabrik Saurer, die um 1910 rund 1500 Arbeitsplätze anbot, trug die Arnold B. Heine & Co. dazu bei, dass sich Arbons Bevölkerung zwischen 1890 und 1913 von 2500 auf 12 500 Einwohner verfünffachte.[7]

Ehemalige Stickerei Arnold B. Heine & Co. im Arbon. Ganz links: Villa und Arbeiterhäuser. Mit Kamin: Kohlekraftwerk. Ganz rechts: Direktionsgebäude mit Produktionshalle. Unten rechts: Teile der Maschinenfabrik Adolph Saurer. (Luftbild Werner Friedli, 1949)

Unter den grossenteils ausländischen Arbeitskräften kam es zwischen 1900 bis 1908 zu sieben Streiks. Der letzte von diesen mit fünfmonatiger Aussperrung fast der gesamten Belegschaft wurde zu einem „Ringen, wie die Schweiz es zuvor nie gekannt hatte“.[8]

Seit einer Erhöhung des Aktienkapitals im Jahr 1907 war Heine nur noch Minderheitsaktionär. Als die Geschäfte ins Stocken gerieten (u. a. wegen der Zollpolitik von US-Präsident Taft), wurde er zum Sündenbock gemacht und 1910 als Verwaltungsratspräsident, 1911 auch als Generaldirektor abgesetzt.

Erfundene Verfolgung mit der Titanic

1912 suchten der Verwaltungsratspräsident des Bankvereins, Alfons Simonius, und der Direktor der Schweizerischen Treuhandgesellschaft, Max Staehelin, Heine in New York auf, um ihm seine Aktien abzukaufen. Dabei erlebten sie den Untergang der Titanic mit, wurden aber von der Carpathia gerettet. Der Aktienkauf kam zustande; im Gegenzug erwarb Heine, dem korrekte Buchführung attestiert wurde, die New Yorker Filiale der Firma.

Gemäss einer von Konrad Hummler kolportierten Legende mit antisemitischem und antiamerikanischem Unterton floh Heine wegen Schulden bzw. mit dem Ziel der Unterschlagung von Vermögenswerten mit der Carpathia und wurde von Simonius und Staehelin mit der Titanic verfolgt.[9] Wie Günter Bäbler gezeigt hat, ist dies frei erfunden, z. B. war Heine schon im Jahr zuvor nach New York zurückgekehrt.[10]

Epilog

Der Unternehmer verkaufte seine Firma noch 1912 seinen Söhnen. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte sie 1915 Konkurs. Von 1921 bis zu seinem Tod lebte der offenbar noch immer begüterte Heine in einem Nobelhotel in Wiesbaden (heute Hessen). Die Aktiengesellschaft Stickereiwerke Arbon, wie die von ihm gegründete Firma seit 1912 hiess, stellte 1922 den Betrieb ein und wurde bis 1930 liquidiert. Die von Heine in Arbon errichteten Bauten stehen heute z. T. unter Denkmalschutz (Direktionsgebäude mit Produktionshalle, Kohlekraftwerk, Fabrikantenvilla und Arbeitersiedlung Heinehof).

Literatur

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Auch Arnold Benedikt und fälschlich Arnold Benjamin sowie Arnold Baruch. Günter Bäbler: Stickereiverstrickungen: Verfolgung mit der Titanic. In: Titanic Post. Jahrbuch 2020. Titanic-Verein Schweiz, Glattbrugg, ISBN 978-3-752-68800-9, S. 51–77, 108, hier: S. 53: „Möglicherweise dichteten antisemitische Arbeiterkreise Heine den Namen "Baruch" an, um seine jüdische Abstammung zu unterstreichen.“
  2. Günter Bäbler: Stickereiverstrickungen: Verfolgung mit der Titanic. In: Titanic Post. Jahrbuch 2020. Titanic-Verein Schweiz, Glattbrugg, ISBN 978-3-752-68800-9, S. 51–77, 108, hier: S. 55.
  3. 1890 gründete der Schweizer Johannes Bodenmann die noch bestehende Chicago Embroidery Company. (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3Dhttps%3A%2F%2Fwww.c-emblem.com~GB%3D~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D)
  4. Apellate Division of the Supreme Court of New York: Heine v. Rohner. Entscheid vom 1. Mai 1898 (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3Dhttps%3A%2F%2Fcasetext.com%2Fcase%2Fheine-v-rohner~GB%3D~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D).
  5. Getupfte transparente Stoffe.
  6. Konrad Hummler: Beginn mit dem Jahrhundert. In: Thurgauer Jahrbuch (Frauenfeld), 57/1982, S. 9–38 (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3Dhttps%3A%2F%2Fwww.e-periodica.ch%2Fdigbib%2Fview%3Fpid%3Dtjb-002%253A1982%253A57%2310~GB%3D~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D), hier: S. 31.
  7. Kurt Bünzli: Arnold Baruch Heine (1847–1923). Stickereiindustrieller. In: Thurgauer Beiträge zur Geschichte (Frauenfeld), 132/1995, S. 153–161 (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3Dhttps%3A%2F%2Fwww.e-periodica.ch%2Fcntmng%3Fpid%3Dtbg-002%3A1995%3A132%3A%3A373~GB%3D~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D), hier: S. 153.
  8. Ernst Marti: 50 Jahre Schweizerische Textil- und Fabrikarbeiter-Organisationen 1903–1953. Schweizerischer Textil- und Fabrikarbeiterverband, Zürich 1954. Der SP-Politiker Marti, 1907/08 Redaktor der Thurgauer Post in Arbon, kritisierte „das brutale Regiment und die amerikanischen Grossbeuterallüren“ Heines.
  9. Konrad Hummler: Beginn mit dem Jahrhundert. In: Thurgauer Jahrbuch (Frauenfeld), 57/1982, S. 9–38 (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3Dhttps%3A%2F%2Fwww.e-periodica.ch%2Fdigbib%2Fview%3Fpid%3Dtjb-002%253A1982%253A57%2310~GB%3D~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D), hier: S. 35 f.
  10. Günter Bäbler: Stickereiverstrickungen: Verfolgung mit der Titanic. In: Titanic Post. Jahrbuch 2020. Titanic-Verein Schweiz, Glattbrugg, ISBN 978-3-752-68800-9, S. 51–77, 108, hier: S. 62, 71.