Geschichte der Geschichtsschreibung
Vor dem Beginn einer Geschichte der Geschichtsschreibung im heutigen Sinn, die hauptsächlich auf die griechische Antike zurückgeht, gab es bereits Ansätze von Geschichtsdokumentation in China (s.u.) sowie bei alten orientalischen Völkern, u.a. bei den Babyloniern, Assyrern, Ägyptern und Persern. Es sind insbesondere Inschriften über Herrscher erhalten, in denen ihre Taten gepriesen werden. Diese Zeugnisse, wie auch die Berichte über die Juden im Alten Testament, sind nur zum kleineren Teil historische Überlieferungen der tatsächlichen Geschichte, größtenteils handelt es sich um eine Festschreibung von politischen und/oder religiösen Absichten, d.h. um Verteidigungsschriften (Apologetik).
Antike
Die Geschichte der europäischen Geschichtsschreibung begann in der Antike, wobei angemerkt werden muss, dass uns ein Großteil der antiken Geschichtsschreibung verloren gegangen bzw. nur in Fragmenten erhalten ist.
Dabei lassen sich die epischen Gesänge von Homer aus der Ilias und der Odyssee nicht vorwiegend als Geschichtswerke definieren, auch wenn sie historischen Stoff verarbeiten - allerdings aus der Zeit ihrer Entstehung (8. Jahrhundert v. Chr.). Die Darstellungsabsicht ist primär eine künstlerische und nicht der Versuch einer genauen Wiedergabe von Geschehenem. Die Handlungen der 24 Gesänge sind dichterisch gestaltet, die Überlieferung historischer Vorgänge ist zweitrangig. Während früher unklar war, ob es überhaupt historische Bezüge gibt, ist Die Existenz Trojas durch Heinrich Schliemanns Forschungen als bewiesen anzusehen.
Zahlreiche Historiker der Moderne und insbesondere der Postmoderne halten jedoch auch noch ältere, vorwiegend literarische, religiöse, juristische oder verwaltungstechnische Texte oder Listen (nicht nur aus Europa) für Erzählungen bzw. zeitgeschichtliche Dokumentationen, die für die Geschichtsschreibung relevant sind.
Ein Teil des Alten Testaments ist als Geschichtsschreibung angelegt, z.B. das Buch der Könige und die Chronik. Doch ist die Bibel als Geschichtswerk zum großen Teil unbrauchbar. Ebenso können die Berichte über die Taten ägyptischer Pharaonen, sowie die die altorientalischen Königsinschriften als eine Art Geschichtsschreibung betrachtet werden, obwohl ihnen viele Dinge, die die spätere Geschichtsschreibung ausmachen noch fehlen. Außerdem sind sie nicht als Geschichtswerk angelegt, sinder eher als Mittel der Propagande.
Geschichtsschreibung im engeren Sinne beginnt mit den griechischen Geschichtsschreibern Herodot, Thukydides, Ephoros, Xenophon, Diodor und Polybios. Bedeutende Vertreter der römischen Geschichtsschreibung sind Titus Livius, Caesar, Velleius Paterculus, Tacitus, Sueton (dessen Biografien von Wert sind), Cassius Dio (obwohl er Griechisch schrieb) und Ammianus Marcellinus.
Hierbei lassen sich Wandlungsprozesse erkennen. Ist bei Herodot, dem Begründer der Geschichtsschreibung, im 5. Jahrhundert v.Chr. noch Historisches stark mit Mythologischem verwoben, so ist bei den Nachgenannten überwiegend eine Beschreibung des Tatsächlichen, das heißt Historischen, zu erkennen, wobei nur gelegentlich Mythen, bzw. religiöse Motive einfließen. Thukydides ist bedeutend durch seine Geschichte des Peloponnesischen Krieges, mit welchem wenige Jahrzehnte später die Politische Geschichtsschreibung beginnt. Seine Abhandlung sollte einen wissenschaftlichen Gegenpol zu Herodots Werk bilden. Xenophon ist bekannt durch seine Anabasis oder den Zug der Zehntausend in das Perserreich. Mit seiner Hellenika (Geschichte Griechenlands ab 411) schloss er direkt an das Werk des Thukydides an und begründete eine antike historiografische Tradition. Im 1. Jahrhundert v. Chr. sammelte Diodor Inhalte aus zum großen Teil verloren gegangenen Werken und schrieb eine Zusammenfassung, die nicht immer zuverlässig, aber dennoch, aufgrund der schlechten Quellenüberlieferung dieser Zeit, wertvoll ist.
In der römischen Kaiserzeit schrieben bedeutende Historiker in griechischer Sprache, wie Plutarch (Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr.), dessen historische Biografien nicht streng wissenschaftlich sind, sich aber in der Antike großer Beliebtheit erfreuten, Arrian (Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr.) und weniger als ein Jahrhundert später Cassius Dio.
Wichtig sind die Anforderungen an die eigene Arbeit. Herodot nennt sein Geschichtswerk Darlegung und Erkundung und erwähnt wiederholt sein mündliches Forschen und Fragen. Er betont, dass er nur von Zusammenhängen berichte, die er selbst erforscht habe (Historien, Prooemium I, 15; II, 19, 118). Thukydides geht noch systematischer und, wie er selbst sagt, nach dem Grundsatz der Genauigkeit vor (Thuk. I. 22,2 f.), wobei sich diese Aussage offenbar auch gegen Herodot richtete. Thukydides beanspruchte, sein Werk als „Besitz für alle Zeit“ (ktéma eis aeí) anzusehen.
Im Lateinischen tritt das Lehnwort "Historia" auf, das im Unterschied zur vorangegangenen Annalistik eine tiefere, Zusammenhänge erfassende (zeit)geschichtliche Darstellung bezeichnet (Aulus Gellius, Noctes Atticae, 5, 18).
Titus Livius, dessen Geschichtswerk über die Stadt Rom nur unvollständig überliefert ist, geht von einer Gründung im Jahre 753 v. Chr. aus, die aber ansonsten nicht belegt ist und soll die Zeit bis zum Jahr 9 v. Chr. behandelt haben. Erhaltene Werkteile reichen nur bis in die Mitte des 3. vorchristlichen Jahrhunderts. Julius Caesar beschrieb seinen Krieg in Gallien. Ebenso ist uns sein Werk über den Bürgerkrieg erhalten. Tacitus schrieb eine Geschichte Germania sowie eine nur in Teilen überlieferte Geschichte der Kaiser. Uns stehen weiterhin die Kaiserbiografien des Sueton zur Verfügung (von Augustus bis Domitian) sowie die Werke des Velleius Paterculus. Daran anschließend existieren nur wenige erzählende Quellen bzw. nur fragmentarisch erhaltene Werke. (siehe Cassius Dio).
In dem erhalten gebliebenen Teil des Geschichtswerkes Ammianus Marcellinus', dem letzen großen lateinischen Geschichtswerk der Antike, wird eine bewegte Zeit der Spätantike beschrieben, nämlich der Zeitraum von 353 bis 378 n. Chr. bis zur Schlacht von Adrianopel. Demgegenüber ist die Historia Augusta eine oft sehr unzuverlässige Quelle, geschrieben wohl von einem spätantiken nicht christlichem Autor. Allerdings bezieht die Historia teils das verlorene Werk des Marius Maximus ein und wohl auch die Enmannsche Kaisergeschichte. Nach Ammianus flachte die Geschichtsschreibung generell stark ab. Ein Beispiel dafür istZosimos um 500. Erst Prokopios von Caesarea schrieb um die Mitte des 6. Jahrhunderts wieder auf hohem Niveau allerdings in griechischer Sprache.
Im Westen des ehemaligen Imperium Romanum erlosch bald darauf die antik-historiographische Tradition, die sich im Oströmischen Reich noch bis ins 7. Jahrhundert halten konnte und erst danach einer neuen Form wich, die stärker christlich geprägt war.
Bedeutend waren auch die spätantiken Kirchengeschichten, z.B. Eusebius von Caesarea, Theodoret, Socrates Scholasticus, Sozomenos und Evagrius Scholasticus sowie die Breviarienliteratur von Aurelius Victor, Eutropius und Epitome de Caesaribus.
Bibel, Patristik
Das Alte Testament kennt den Begriff "Geschichte" oder "Historie" nicht. Der Ausdruck für "Chronik" ist dibre ha-jamin, d.h. Die Ereignisse der Tage. Die erzählenden Schriften des Alten Testaments heißen ketubim , das Geschriebene. Auch im Neuen Testament fehlt ein Wort für den Geschichtsbegriff in heutigem Verständnis.
Eine besondere literarische Form bilden die Evangelien und die Apostelgeschichte des Neuen Testaments. Gerade Lukas erweckt in seiner Vorrede zu seinem Evangelium auf den ersten Blick den Anschein, ein Werk der Geschichtsschreibung verfassen zu wollen, und so wird der Text auch im Zusammenhang mit der Apostelgeschichte missverstanden. Doch keiner der Evangelisten sah sich als Historiker. Lukas' Absicht war nicht die Dokumentation vergangener Ereignisse, er wollte vielmehr die Wahrheit und Überzeugungskraft der von ihm verkündeten Lehre aufzeigen. Andernfalls hätte sein sorgfältiges Nachgehen von Anfang an keine Kindheitsgeschichte zulassen können.(Lit.: Schürmann S. 4; Müller S. 11, 23 ff. Anderer Ansicht ist Schneider S. 122)
Eher kann die Apostelgeschichte als Geschichtsschreibung betrachtet werden, wenn man berücksichtigt, dass der Verfasser in der antiken Tradition steht, wonach es nicht auf die aufbewahrende Darstellung historischer Fakten ankam, sondern auf ein didaktisches Ziel, das mit Hilfe einer darauf hin geformten Darstellung von Ereignissen erreicht werden sollte. Im vorliegenden Fall ging es um die Darstellung des kontinuierlichen Heilswirken Gottes (Lit.: Kliesch S. 14; Schneider, S. 73 ff., 122).
In der frühen Kirche wirkte sich die Parusieverzögerung auch auf die Geschichtsschreibung aus. Die Patristik beginnt, die Zeit zwischen Jesu Tod und seiner Wiederkunft als eine Zeit der Entwicklung und des Wachstums zu einem Ende hin zu deuten. Schon der 1. Clemensbrief entwickelt den Gedanken einer Reifezeit. Diese Reife- und Erziehungszeit wird in Perioden parallel zur Schöpfung der Welt innerhalb von sieben Tagen eingeteilt. So werden im Barnabasbrief die sieben Schöpfungstage auf die Weltgeschichte bezogen: Sechs Jahrtausende sind bereits vergangen, das siebte Millennium sei durch Jesus eingeleitet worden. Mit dem achten Tag werde die neue Welt beginnen. Daneben steht die Vier-Reiche-Lehre, die auf Daniel zurückzuführen ist.
Die Geschichtsschreibung der Patristik unternimmt den Versuch, Voraussagen über die Zukunft zu machen. Sie vertritt einen Glauben an die Wiederkunft Christi und seine tausendjährige Herrschaft auf Erden, d.h. einen Chiliasmus in seiner prämillenaristischen Spielart. Die Wiederkunft und das Jüngste Gericht wurden für das Jahr 1000 vorausgesagt.
Die Kirchengeschichtsschreibung diente zunächst der Apologie: Die bruchlose Sukzession der Bischöfe sollte die Reinheit der Lehre beweisen, weil die Häretiker eine solche Kontinuität nicht aufweisen konnten. Diese Auffassung vertraten Clemens von Rom, Tertullian und Irenäus von Lyon. Aus dem gleichen Grund unternahm es Euseb, nach den Vorarbeiten von Julius Africanus, die profane Chronographie mit der Heilsgeschichte zu verbinden und so eine christliche Weltgeschichte, das Chronikon zu verfassen. In seiner späteren Historia ecclesiastica schrieb er, dass er als erster bemüht gewesen sei, die vorliegenden Bruchstücke früherer Autoren wie Blumen auf den Fluren des Geistes zu sammeln und in historischer Darstellung zusammenzufügen (Patrologiae cursus completus, Series I: Ecclesia Graeca 20, 51). Das Werk beginnt mit dem uranfänglichen Logos, widmet sich dann den auf Christus hinverweisenden Zeichen und berichtet, dass die Menschheit zur Zeit des Römischen Reiches würdig gewesen sei, den Logos zu empfangen und endet mit der Regierung Konstantins, unter der sich die Kirche erstmals frei entfalten konnte.
Auf Veranlassung des Augustinus von Hippo schrieb Orosius seine historia contra paganos (Geschichte gegen die Heiden). Der historische Stoff wird detaillierter geschildert und zudem nach dem Vorbild Eusebs in das Schema der vier Weltreiche gebracht, wobei das Imperium Romanum das letzte der Endzeit gewesen sei. Nach dem Untergang des römischen Reiches wird das Endreich als von den Römern auf die Germanen übergegangen (translatio imperii) gedacht. Der heilsgeschichtliche Rahmen bleibt weitgehend bestimmend, wenn er auch allmählich in den Hintergrund tritt.
Diese Art der Geschichtsschreibung beruht auf einem transzendenten Ordnungsschema. Obwohl die Autoren betonen, das vorgefundene Material kritisch überprüft zu haben, werden dieser vorgegebenen Ordnung die Fakten untergeordnet. Auswahl und Gewichtung der Darstellung ergeben sich aus dem Primat der Religion. Eine davon unabhängige Geschichtsschreibung, wie sie in der Antike in Ansätzen entwickelt worden ist, wird bedeutungslos.
Mittelalter
Die Geschichte als Wissenschaft nahm keinen besonderen Platz im Kanon der artes liberales ein. Augustinus von Hippo und Isidor von Sevilla siedelten die Geschichte bei der Grammatik an. Die Grammatik diene dazu, die Quellen zu verstehen und helfe dabei, sich das Geschehene zu vergegenwärtigen (Lit.: Melville S. 91).
Die Geschichtsschreibung des Mittelalters unterschied sich erheblich von der antiken Historiographie, auch wenn sie an die spätantike Tradition anküpfte, die das römische Reich als das letzte Weltreich der Geschichte verstanden hatte. Die Geschichtskonzeption bezog sich, wie schon die der Patristik, auf die eschatologische Erwartung des Jüngsten Gerichts, war damit endlich und stand unter dem Einfluss Gottes.
Wichtig für das Verständnis der mittelalterlichen Historiographie ist das Geschichtsverständnis des Isidor von Sevilla im 7. Jahrhundert. Demnach musste der Geschichtsschreiber die Wahrheit berichten und sich auf vergangene Ereignisse beziehen. Ebenso ging es darum, Einblick in den göttlichen Heilsplan zu erhalten bzw. ihn zu verstehen. Er unterschied zwischen Ephemeriden (Tagebüchern), Kalendarien (Berichte, die einige Monate umfassen) und Annalen (Berichte über mehrere Jahre). Die Historia umfasste den Zeitraum vieler Jahre(Lit.: Borst 1966).
Die mittelalterliche Rhetorik verlangte den wahrheitsgetreuen Bericht über seinen Gegenstand, die notitia rerum. Der Anspruch der Rhetorik an die Historia zeigt sich in den Begriffen vera, brevis, dilucida, probabilis (wahr, kurz, deutlich, plausibel). Der Forderung nach Plausibilität wurde entsprochen, wenn die Umstände angegeben und ein sinnvolles Ganzes, gegebenenfalls durch die Annäherung unterschiedlicher Informationen, erstellt wurde. Beda Venerabilis hielt es im ersen Drittel des 8. Jahrhunderts für das wahre Gesetz der Geschichtsschreibung, das allgemein bekannte Erzählgut (fama) zu sammeln und der Nachwelt zur Unterrichtung weiterzugeben. Andere legten Wert auf die Unterscheidung zwischen dem Gerücht und der gesicherten Nachricht, z.B. Rudolf von Fulda im 9. Jahrhundert.
Standen am Anfang auch oft Volkserzählungen, beispielsweise der Franken, Goten und Angelsachsen, im Mittelpunkt, kamen bald auch die Tatenberichte der Päpste hinzu. Durch die Karolingische Renaissance wurde der Blick für die Antike wieder geschärft.
Haupttypen der Geschichtsschreibung waren Biografien, Annalen, Chroniken und Tatenberichte, wobei die Unterschiede teilweise fließend waren. Als Chronisten traten beispielsweise Gregor von Tours und Thietmar von Merseburg hervor, die in lateinischer Sprache schrieben. Annalen verfasste Lambert von Hersfeld im 11. Jahrhundert ebenfalls auf Latein. Zunächst waren es vornehmlich Mönche oder Geistliche am Hofe, die durch die Kenntnis der Schrift diese Quellen abfassten.
Laut Hugo von Sankt Victor (um 1128) ist eine wesentliche Voraussetzung für die Geschichtsschreibung die Prüfung der Tatsachen in Bezug auf die Zeit, den Ort und die beteiligten Personen. Die Schilderung soll den Gang der Zeiten in einem kontinuierlichen Zusammenhang darstellen. Hugo sowie vor ihm Einhard und Regino von Prüm betonten, dass die Auswahl des Stoffes nach der Wichtigkeit und Würdigkeit der Ereignisse oder Personen sowie nach seiner Eignung, lehrreiche Exempla für ein gelungenes Leben zu bilden, vorgenommen werden müsse.
Durch die Kreuzzüge wurde der geographische Horizont erweitert. Wichtige Chronisten für diese Zeit sind unter anderem Fulcher von Chartres und Wilhelm von Tyrus. Im Hochmittelalter erfreuten sich im deutschen Reich vor allem die Weltchroniken großer Beliebtheit, die das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen mit dem Imperium Romanum gleichsetzten und es wie Bischof Otto von Freisings "Chronica sive Historia de duabus civitatibus" im Sinne der stauferfreundlichen Propaganda in den göttlichen Heilsplan einordnete. Der Geschichtstheologe Joachim von Fiore legte im 12. Jahrhundert insbesondere biblische Exegesen vor und bezog sie auf die zukünftige Heilsgeschichte. Im 13. Jahrhundert wurde eine große Menge des historischen Materials zusammengestellt. Lange blieb die schematische und trockene Chronik des Martin von Troppau Hauptquelle der Geschichtskenntnis. Später traten Historiker wie Jean Froissart, Giovanni Villani, Matteo Villani, Matthäus von Paris, Salimbene von Parma u.a. hervor, die überwiegend aus dem weltlichen Bereich stammten.
Die Chroniken der Städte gewannen an Bedeutung. Nicht unerwähnt bleiben soll der Venetianer Marco Polo, der als der erste Reiseberichterstatter gilt. Die Authentizität seiner Beschreibungen bleibt bis heute allerdings umstritten.
Im Spätmittelalter machte sich die Hinwendung der Humanisten zur Antike bemerkbar, die mit dem Versuch verbunden war, religiöse Geschichte und weltliche Geschichte zu trennen.
Oströmische Geschichtsschreibung
Anders als im mittelalterlichen lateinischen Westen war im byzantinischen Kaiserreich der Adel des Lesens und Schreibens in der Regel mächtig. Es liegen byzantinische Quellen vor, die nicht von Geistlichen verfasst wurden. Beispielsweise schrieb in der Spätantike Prokopios von Caesarea ein umfassendes Werk über die Regierungszeit Justinians I., das auf hohem Niveau verfasst war, anders als beispielsweise das Werk des Zosimos, der einige Jahrzehnte vor Prokopios schrieb. An Prokop schloss das Werk des Agathias an, ohne jedoch das Niveau Prokops zu erreichen. Schließlich sind Menander Protektor, Theophylaktos Simokates und Johannes Malalas zu erwähnen. Für die Zeit von der Mitte des 7. bis ins 9. Jahrhundert existieren vor allem von Geistlichen erstellte Quellen. (vgl. auch Theophanes).
Im 12. Jahrhundert verfasste Anna Komnena, die Tochter Kaiser Alexios I., eine Geschichte ihres Vaters in ihrer Gefangenschaft unter Kaiser Manuel I. Wichtig ist diese Quelle als Zeugnis für den Ersten Kreuzzug. Sie schildert die Ankunft der Lateiner in Konstantinopel, die Probleme während ihres dortigen Aufenthaltes und die Lösungen, die ihr Vater fand. In dieser Abhandlung verherrlicht die Tochter ihren Vater und beschreibt die als Franken bezeichneten Lateiner. Darüber hinaus existieren Quellen von Georgios Sphrantzes, Michael Psellos und Niketas Choniates.
Humanismus - Aufklärung
Das besondere Interesse an Kunst und Wissenschaft der Antike gab der Geschichtswissenschaft ab dem 15. Jh. einen neuen Stellenwert. Sie wurde zu einer Disziplin, die neben der Dokumentation von Ereignissen, Rhetorik und Poesie umfassen und zur sittlichen Festigung des Menschen anhand von Beispielen aus der Antike beitragen sollte. Die profane Historiographie löste sich aus der Sichtweise der Kirche. Niccolò Machiavelli entwickelte Anfang des 16. Jahrhunderts hingegen eine Geschichtsschreibung, die sich nicht mit moralischen Fragen beschäftigte, sondern vielmehr aus pragmatischer Sicht die machtpolitischen Instrumente zur Erhaltung und Festigung der jeweiligen Herrschaftsform beschrieb und die Ursachen der Zwietracht zwischen den Völkern aufzeigen wollte.
Auch die Reformatoren schätzten die Bedeutung der Geschichtskenntnis hoch ein. Sie griffen jedoch wiederum auf die Religion zur moralischen Unterweisung zurück, die durch historischen Beispiele Beispiele belegt werden soll. Nach Luther und Melanchthon soll die Geschichte "Gottes Werk, das ist Gnad und Zorn beschreiben". Allerdings ist bei Luther eine entscheidende Akzentverschiebung gegenüber derr mittelalterlichen Geschichtsschreibung zu beobachten: Gottes Macht war demnach nirgends unmittelbar sichtbar, da sie in Larven und Mummerei verborgen wunderlich regiert und nur den Gläubigen erkennbar sei.
Die Theorie der vier Weltreiche geriet im 16. und 17. Jahrhundert durch die neuen Kenntnisse über die Geschichte Asiens ins Wanken. Bedeutsam war die Gliederung des Raumes in Erdteile und am Ende des 17. Jahrhunderts die der geschichtlichen Zeitabläufe in Antike, Mittelalter und Neuzeit. Seit Christoph Cellarius (1638 – 1707) setzte setzte sich die Einteilung in Altertum, Mittelalter und Neuzeit endgültig durch. Er unterschied zwischen der Geschichte Europas und des Mittelmeerraums in historisch datierbaren Zeiträumen von Alter Geschichte, Mittelalterlicher Geschichte und Neuere Geschichte. Diese Periodisierung wird heute als wesentliche methodische Voraussetzung für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte angesehen.
Auch die Datierung des Beginns der Geschichte ab Erschaffung der Welt geriet ins Wanken, da die Bibel einerseits verschiedene Datierungen zulässt, andererseits nicht mehr als geschichtliches Werk betrachtet wurde Außerdem passten die sehr alten orientalischen Kulturen nicht in das bisher gewählte Schema. Versuche, astronomisch einen Anfangspunkt zu gewinnen, schlugen fehl, und in Europa wurde die noch heute gebräuchliche Zählung "ante Christum natum" eingeführt. Die Geschichtsschreibung dieser Zeit ist durch die zeitliche und die räumliche Entgrenzung charakterisiert. Die Historia mundi zerfiel in die Historia profana et politica und die Historia sacra et ecclesiastica oder divina. Diese wurde zur theologischen Disziplin gerechnet.
An den Herrscherhöfen der frühen Neuzeit diente die Staats- und Reichshistoriographie als Schule der Staatsdiener und der Erziehung der Fürsten, erklärte die Rechtslage der Territorien und legitimierte Macht- und Herrschaftsansprüche. Die Kirchengeschichtsschreibung hatte den Wahrheitsanspruch der jeweiligen Konfession zu begründen, so im 16. Jahrhundert Matthias Flacius für die evangelische, Cesare Baronius für die katholische Kirche. Zudem existierte eine Hofhistoriografie, die die Angehörigen der Herrscherhäuser beschrieb.
Da die Wahrheit der Geschichtsschreibung nicht mehr am christlichen Dogma gemessen werden konnte, wurden wissenschaftliche Kriterien erforderlich, wozu methodische und wissenschaftstheoretische Überlegungen anzustellen waren. Die Orientierung an den exakten Wissenschaften (Mathematik, Physik) und die Enttäuschung über die romanhaft plaudernde und aus unterschiedlichen Motiven verzerrte Geschichtsschreibung führte an der Wende zum 18. Jahrhundert zum Skeptizismus bzw. Pyrrhonismus (d.h. ethischer Skeptizismus) beispielsweise Jean Hardouins und Friedrich Wilhelm Bierlings. Die Geschichte sei ein „einziger Betrug“.
Renaissance
Ausgangspunkt für Petrarcas Histographie im 14. Jahrhundert war das Vorbild der Antike. Er versuchte, antike geschichtliche Beispiele auf die Gegenwart anzuwenden (viri ilustres). Dafür wählte er die monographische Form oder reflektierte über wichtige Ereignisse (res memorandae). Petrarca verstand die Geschichte als Exemplum. Er nahm auf Moralvorstellungen beruhende Bewertungen vor. Geschichtsschreibung müsse den Menschen ermuntern und ihm Beispiele für sein Handeln geben. Er nahm keine Quellenkritik vor, sondern folgte der Quelle, die ihn am meisten überzeugte. Entscheidend für die Entwicklung der Geschichtsschreibung war, dass bei Petrarca der Mensch in den Mittelpunkt der Geschichte rückt und somit Gott verdrängt.
Eine ansatzweise auf wissenschaftlichen Grundlagen betriebene Geschichtsschreibung lässt sich erst seit dem 15. Jahrhundert im Zeitalter des Renaissance-Humanismus bei den italienischen Humanisten feststellen. Dazu zählen: Enea Silvio de' Piccolomini, von dem u. a. eine Geschichte Böhmens existiert und Flavio Biondo mit seinen Büchern über die Topographie des antiken Roms.
Im 16. Jahrhundert waren die Discorsi und Fürst Niccolò Machiavellis nicht nur philosophische Anleitungen zur Leitung eines Staates, sondern aufgrund ihrer historischen Begründungen auch Abhandlungen der Geschichtsschreibung. Machiavelli schrieb als Auftragsarbeit der Stadt auch eine Geschichte von Florenz bis zu Lorenzo de Medici, die durch Alfred von Reumont ins Deutsche übertragen wurde. Diese Arbeit gilt als das erste Werk der modernen Geschichtsschreibung. Neben Macchiavelli ist Francesco Guicciardini hervorzuheben. Seine Geschichte Italiens blieb jahrhundertelang unangefochten gültig. Erst im 19. Jahrhundert wurden durch quellenkritischen Untersuchungen Leopold von Rankes einige Unrichtigkeiten bei Guicciardini nachgewiesen.
Ein anderes Beispiel bildet die Weltchronik von Hartmann Schedel. Deren Wert liegt allerdings hauptsächlich in den Illustrationen. Siegmund von Herberstein schrieb in dieser Zeit die Geschichte des Moskowiter Reiches.
Reformationszeit
Die zeitgenössischen Geschichtsschreiber äußerten sich häufig einseitig polemisch gegen oder für die Reformation. Gegen Martin Luther schrieben u. a. Johannes Sleidanus, Johann Mathesius und Johannes Cochläus. Das Urteil der späteren katholischen Geschichtsschreibung bezieht sich jahrhundertelang auf die Lutherbiografie des Cochläus: Historia Ioannis Cochlaei de actis et scriptis Martini Lutheri Saxonis : chronographice ex ordine ab anno domini M.D.XVII. vsq. ad annum M.D.XLVI inclusine, fideliter descripta et ad posteros denarrata. - Colonia : Baumius, 1568, wie erst im 20. Jahrhundert Adolf Herte feststellte. Erst mit Hertel und Joseph Lortz begann in der katholischen Geschichtsscheibung eine Annäherung an Luther.
Aufklärung
Seit dem 18. Jahrhundert wird Geschichte zum Gegenstand akademischer Lehre. Bis dahin fehlte für Geschichtsschreibung ein institutionalisierter Rahmen.
Zu dieser Zeit galt die Philosophie als entscheidende Wissenschaft, mit der auch die Geschichte, die man als Universalgeschichte begriff, zu erklären sei. Friedrich von Schiller stellte dazu in seiner Antrittsvorlesung in Jena die Frage: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? In den Universitäten waren bis dahin neben philosophischen, noch vorwiegend theologische Gesichtspunkte für die Geschichtsschreibung von Bedeutung.
In Deutschland verfasste dagegen Gottfried Arnold 1699 und 1700 die Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie mit dem Anspruch, "nichts, was zum ganzen Begriff der historischen Wahrheit dient, auszulassen, zu bemänteln, zu verdrehen oder zu verkehren" (Vorrede § 1). Vom pietistischen Gesichtswinkel aus unterzog er die offizielle Kirchengeschichtsschreibung einer radikalen Kritik und kam zu dem Ergebnis, dass die verfolgten Ketzer die eigentlichen Träger des christlichen Glaubens gewesen seien. In Frankreich kämpfte Voltaire gegen die Kirchenautorität und gegen die Geschichtsklitterung zur Rechtfertigung von politischen Ansprüchen.
Man dachte hinsichtlich einer Geschichtsphilosophie häufig in ästhetischen Kategorien. Die Kulturgeschichtsschreibung dieser Zeit ist unverkennbar davon gekennzeichnet. Die Geschichte wurde einem philosophischen Vernunftbegriff untergeordnet. Die klassischen Fortschrittstheoretiker Frankreichs R. J. Turgot, Comte, M.A. Condorcet begriffen den Entwicklungsgang der Menschheit als einen dreistufigen zielgerichteten Prozess, der vom Naturzustand über Wissenschaft und Technik zum perfekten Menschen führe.
In England vertrat David Hume den "natürlichen Fortschritt der Menschheit". In Deutschland hingegen blieb noch längere Zeit Leibniz bestimmend, der an der theologischen Ausrichtung der Geschichtsschreibung festhielt. Laut Leibnitz ist die Geschichte der Spiegel der göttlischen Vorsehung. Doch die verfeinerte Bibelkritik führte auch hier zu einem Umdenkungsprozess, der sich in Lessings Zweifel, "dass zufällige Geschichtswahrheiten zugleich ewige Vernunftwahrheiten" sein sollten, ausdrückte (Über den Beweis des Geistes und der Kraft 1777). Seine Lösung war, die Vernunft sei selbst geschichtlich gewachsen, göttliche Offenbarung und menschliche Vernunft stünden in einem wechselwirkenden Prozess.
Man deutete die Geschichte auf der Grundlage eines Vernunftbegriffes. Programmatisch thematisierte Voltaire in seinem "Essai sur l'histoire génerale et sur les moeurs et l'esprit des nations, depuis Charlemagne jusqu'à nos jours." nicht politische Konflikte und Prozesse, sondern Kunst, Sitte, Gesellschaft und Familie. In seinem Wörterbuchartikel "Histoire" beschäftigte er sich nicht mit politischer Geschichte und ließ nur die "histoire des arts" gelten. Auch d'Alembert und Rousseau stimmten mit ihm darin überein, dass Gegenstand der Geschichtsschreibung die Entwicklung des Menschengeschlechts als universelle Kulturentwicklung sei.
Vor allem die Geschichtsschreibung in der Zeit der Spätaufklärung war von diesen Vorstellungen geprägt. Der Vernunftbegriff ist untrennbar mit dem Namen des Philosophen Immanuel Kant verbunden, der für das Zeitalter der Aufklärung insgesamt von außerordentlicher Bedeutung ist. In seinem 1784 verfassten Beitrag Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht und später in seiner Schrift Zum ewigen Frieden (1795) legte er seine Politische und Geschichtsphilosophie dar. Kant sieht in der Geschichte keine göttliche Absicht, sie ist vielmehr ein Abbild des freien Menschen. Daher gibt es in der Geschichte keine unabdingbare regelmäßige Entwicklung etwa in Richtung Fortschritt, Glückseligkeit oder Vollkommenheit. Dennoch sieht Kant einen Plan in der Natur, wodurch die Geschichte einen Leitfaden erhält und als teleologisch, d.h. auf ein Ziel gerichtet, betrachtet wird. Das Recht dient dem Zusammenleben vernünftiger Menschen. Es gewinnt an Einfluss und mündet in einer republikanischen freiheitlichen Verfassung, die das Ende der Geschichte bedeutet, wenn auch für das friedliche Zusammenleben der Staaten untereinander Gesetzte erlassen worden sind.
Zu den wichtigsten Historikern dieser Zeit gehört neben August Ludwig von Schlözer und Justus Möser, Johann Joachim Winckelmann, der als Begründer der Klassischen Archäologie gilt. Winckelmann stelle als Erster die griechische Kunst in einen kulturgeschichtlichen Zusammenhang. Er betrieb Geschichte hauptsächlich als Kunstgeschichte.
Friedrich August Wolf entwickelte einen kulturgeschichtlichen Ansatz zur Beschreibung des Klassischen Altertums, der eher philologisch orientiert war. Damit wurde er zum Begründer der Klassischen Altertumswissenschaft, abgesehen von dem Italiener Flavio Biondo im 15. Jahrhundert, der bald nach seinem Tode vergessen, erst von Georg Voigt und seine Schule (z.B. Alfred Masius) gewürdigt wurde. Außerdem können Friedrich von Schiller und Johann Gottfried Herder als Geschichtsschreiber der Aufklärung im o.g. Sinne gelten.
Die Geschichtsschreibugn war nicht mehr wie zuvor eine Schule für Politiker und Staatsdiener, sondern wurde zur Schule für den Weltbürger. Die Idee der Einheit der Menschheit zeigte sich auch in den Neuerscheinungen: Hießen die Geschichtsbücher vorher Historien / Geschichten der Menschheit u.ä., setzte sich im 18. Jh. der Kollektivsingular durch: Historie / Geschichte der Menschheit. Hier wurde die Einheit des Beschreibungsobjektes programmatisch angezeigt. Der Ausdruck "Historie" verschwand allmählich und machte dem Begriff "Geschichte" Platz, der von der Etymologie her eher geeignet schien, den zusammenhängenden Bewegungsablauf zu erfassen.
Weiterhin ist Edward Gibbon von Bedeutung, der mit seinem Werk Decline and Fall of the Roman Empire großen Einfluss auf das Geschichtsbild vom Untergang Westroms ausübte. Seine Ansichten wurden von der modernen Forschung in großen Teilen korrigiert.
Auch aufgeklärte Monarchen, wie König Friedrich II. von Preußen und Kaiserin Katharina II. von Russland waren wichtig für die Historiographie. Noch heute einflussreich sind die französischen Aufklärer Diderot mit seiner Enzyklopädie des Weltwissens und Montesquieu mit seinen geschichtsphilosophischen und staatstheoretischen Schriften.
Geschichte als Gesamtschau und Erzählungen der Vergangenheit hatte gegenüber dem wissenschaftlichen kritischen Quellenstudium insgesamt noch das Primat. Unverkennbar hat die Geschichtswissenschaft, wie sie sich im Laufe des 19. Jahrhunderts als eigenständige wissenschaftliche Disziplin herausbildete, in der Aufklärung ihre Wurzeln. Bis dahin betrachtete man Geschichte als Teil der Theologie, der Rechts- bzw. Staatswissenschaften oder der Philosophie. Eine historische Rechtsschule im Sinne einer Geschichtsphilosophie gibt es erst mit Friedrich Carl von Savigny und Karl Friedrich Eichhorn im beginnenden 19. Jahrhundert.
Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts
Deutschland
Im deutschen Idealismus nimmt das Problem der Geschichte die zentrale Stellung ein. Schelling sah die Geschichte bezogen auf die gesamte Gattung "Mensch". Der Idealismus versuchte, das gesamte Seiende aus einem Prinzip zu begreifen und bezog die spekulativ konzipierte Geschichtsvorstellung auf das historische Wissen. Das führte zur Annahme einer "hypothetischen Geschichte", die ein Leitfaden sein sollte. Es wurde scharf zwischen einer bloßen Faktensammelei, der so genannten "Historie" und der Darstellung von Zusammenhängen auf der Grundlage der Philosophie als Disziplin der Einheit, des Wahren und Unveränderlichen, unterschieden. In dieser Richtung gaben Fichte, Schelling und Schleiermacher die Methodik der Geschichtsschreibung vor, bis Hegel in seiner Geschichtsphilosophie die Sammlung von Einzelfakten und die übergreifende Darstellung des Geschichtsprozesses in einen dialektischen Zusammenhang stellte.
Während im Mittelpunkt der Aufklärung der eher unhistorische Begriff der Vernunft stand, leitete Hegel ein geisteswissenschaftliches Zeitalter ein, das sich vorangig mit geschichtlichen und anderen Entwicklungen befasste. Geschichte definiert Hegel als: „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“. Im menschlichen Bewusstsein war zunächst nur einer frei, z.B. der Pharao. Später gab es eine Gruppe von Freien gegenüber einer anderen Gruppe von Unfreien, beispielsweise im antiken Griechenland. Das Christentum habe das Bewusstsein vermittelt, dass der Mensch als Mensch frei sei.
Hegel unterschied drei unterschiedlich gewichtete Formen der Geschichtsschreibung: In der ursprünglichen Geschichtsschreibung schreibt der Autor im wesentlichen über seine eigenen Erlebnisse und Erahrungen. Dabei sei der Geist des Verfassers und der Geist der Handlungen, von denen er erzählt ein und derselbe.
Den zweiten Typ nannte er die reflektierende Geschichtsschreibung. Sie setzt einen zeitlichen Abstand voraus, wodurch der Geist Geschichtsschreibers nicht mehr in der Sache sei. Hegel bildete vier Untergruppen dieser reflektierenden Geschichtsschreibung: Die allgemeine Geschichte stellt große Zusammenhänge kompilatorisch zusammen und macht sie überschaubar. Die pragmatische Geschichte zielt auf Belehrung ab. Die kritische Geschichte untersucht die Glaubwürdigkeit der Quellen. Die Begriffs-Geschichte hingegen benutzt zur Systematisierung ihrer Darstellung allgemeine Gesichtspunkte wie Kunst, Recht, Religion.
Hinzu kommt als dritte Form die philosophische Geschichtsschreibung. Sie thematisiert die Weltgeschichte und verfolgt in ihr die Entwicklung der Vernunft. Die Weltgeschichte hat einen Endpunkt, der dialektisch aufgehoben, zugleich einen Anfang darstellt.
Nach 1830 stand die deutschsprachige Geschichtsschreibung größtenteils in Auseinandersetzung mit der Philosophie Hegels und seiner Nachfolger. In der Geschichtsphilosophie wurden die Gedankengebäude und Definitionsversuche der Rechtshegelianer, der Linkshegelianer und der spekulativen Theisten erörtert, die selbst keine Geschichtswerke verfasst haben, jedoch die Geschichtsschreibung mit ihren neuen Ideen beeinflussten.
Es entstanden verschiedene Historiographien: die "Philosophiegeschichte", "Politische Geschichte" (Ludwig Feuerbach, Bruno Bauer), "Sozialgeschichte" , Wirtschaftsgeschichte usw. Universalistische Weltgeschichten wurden kaum noch veröffentlicht. Man versuchte, sich jeglicher Konstruktion zu enthalten. Laut Feuerbach genügt die Aufzeichnung der Fakten, um die Geschichte durch sich selbst erklären zu können.
Karl Marx und Friedrich Engels entwickelten die „wissenschaftliche“ Geschichtstheorie des Historischen Materialismus, auf die sich zunächst soziale und politische Bewegungen und Parteien, später auch kommunistische Regime beriefen. Es entstand nach und nach eine Marxistische Geschichtsschreibung, deren Autoren unterschiedliche Positionen bezogen und beziehen, sich jedoch über die geschichtsoptimistische Annahme eines notwendigen und möglichen Fortschritts der Menschheit einig sind.
D. F. Strauss schrieb im Zusammenhang seiner Leben-Jesu-Forschung, der Zweck sei nicht, eine vergangene Geschichte zu ermitteln, sondern dem menschlichen Geist zu künftiger Befreiung von einem drückenden Glaubensjoch behilflich zu sein.
Die theoretischen Überlegungen Hegels und seiner Nachfolger wurden in der so genannten Historischen Schule der Geschichtsschreibung aufgegriffen. Geschichte wurde nunmehr zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin an den Universitäten. Wurde das 18. Jahrhundert als "philosophisches Jahrhundert" bezeichnet, so nannte man das 19. Jahrhundert häufig das "historische Jahrhundert". Bei allen Unterschieden im Einzelnen waren sich die deutschen Historiker weitgehend darin einig, einerseits auf die historische Tradition zurückzugreifen, sich aber andererseits nicht schematisch darauf zu beziehen. Viele wendeten sich gegen die "ungeschichtliche" abstrakte Aufklärung, gegen das revolutionäre Jakobinertum, aber auch gegen den Feudalismus und den Traditionalismus. Vielmehr wurde der Fokus auf Staat und Nation gerichtet, die mehr Bedeutung in der geschichtlichen Forschung und Darstellung erhalten sollten. Diesem Ziel verschrieben sich Friedrich Carl von Savigny, Heinrich von Sybel und Leopold von Ranke. Der Mensch wurde nicht mehr aus der Perspektive der Aufklärung als vernunftbegabtes Wesen gesehen, sondern in Beziehung zu Volk, Staat und Nation gesetzt. Ziel wurde die wahre Erkenntnis des eigenen Zustandes als Bewusstwerden der eigenen nationalen Eigentümlichkeit. Diese im Extremfall von vehementem deutschen Nationalismus geprägte Geschichtsschreibung beschäftigte sich beispielsweise mit der Erforschung des germanischen Rechts, der deutschen Verfassungsgeschichte, der mittelalterlichen Regesten und Dichtung. Diesen Aufgaben widmeten sich Johann Friedrich Böhmer mit seiner Herausgabe der "Regesta imperii" und Jacob Grimm mit den "Deutschen Rechtsaltertümern" und der "Geschichte der deutschen Sprache". Heinrich von Treitschke postulierte am Ende des 19. Jahrhunderts, die Idee des Volkstums sei die bewegende Kraft der zeitgenössischen Geschichte. Der Staat sei das als unabhängige Macht rechtlich geeinte Volk. Ranke vetrat eine politisch nationale Geschichtsschreibung. Demnach verhalten sich Geschichte und Politik zueinander wie theoretische und praktische Philosophie. Der Althistoriker Theodor Mommsen war sein Kontrahent im so genannten Antisemitismus-Streit. Die Parole: Die Juden sind unser Unglück, geht auf Treitschke zurück.
Parallel zu der auf die deutsche nationale Politik bezogenen Geschichtsschreibung existierte weiterhin die in der Tradition Herders stehende Darstellung des Menschlich-Allgemeinen in der Historiographie. Wilhelm von Humboldt war der Auffassung, die Geschichtsschreibung bewirke höchste Menschlichkeit durch das tiefste Studium des Menschen. "Wie die Philosophie nach dem ersten Grunde der Dinge, die Kunst nach dem Ideale der Schönheit , so strebt die Geschichte nach dem Bilde des Menschenschicksals in treuer Wahrheit, lebendiger Fülle und reiner Klarheit". Neben Humboldt waren diesem Anspruch auch Barthold Georg Niebuhr, Georg Gottfried Gervinus, und Johann Gustav Droysen verpflichtet.
Leopold von Ranke (siehe auch: Historismus) schließlich setzte sich die "Reine Schau" zum Ziel. Er betrachtete Geschichte als Teilhabe am göttlichen Wissen. Historiker sollen demnach die Objektivität und Sachbezogenheit der Gottheit anstreben, die gesamte Menschheitsgeschichte überschauen und jede Bevölkerung als gleich wert betrachten. Die Geschichtsschreibung ist demgemäß ihrer Natur nach universell. H. v. Sybel verteidigte 1858 die Gründung der "Historischen Zeitung" damit, dass mit jedem Jahr die Geschichte in Deutschland mehr zum politischen Ferment der allgemeinen Bildung werde und die Stellung einnehme, die vorher die Philosophie eingenommen habe.
Frankreich und England
In Frankreich und England erlangte der frühe Positivismus mit seinem ungebrochenen Fortschrittsglauben Einfluss auf die Geschichtsschreibung, der über verschienene andere dogmatischere Besonders Auguste Comte gab die neue Richtung vor. Nicht theologisches oder metaphysisches Denken, sondern allein der l'esprit positiv sei in der Lage, eine Erklärung der gesamten Vergangenheit in Übereinstimmung mit den konstanten Gesetzen der individuellen und kollektiven Natur des Menschen zu leisten. Alle großen Epochen seien Entwicklungsphasen, deren Verlauf und Ende auf ehernen Gesetzen beruhe.
John Stuart Mill führte die Gedanken Comtes fort. Demnach leiste die Geschichtsschreibung bei richtiger Fragestellung die Aufzeichnung empirischer Gesetze gesellschaftlichen Lebens. Diese empirischen Gesetze seien keine Naturgesetze, da dafür ihre Datenbasis zu klein sei. Sie seien nur dann als echte Gesetze zu betrachten, wenn sie an wissenschaftliche und psychologische Gesetze vom Menschen angekoppelt werden könnten. Der liberale utilitaristische Denker ging davon aus, dass Staaten nur auf der Basis menschlicher Freiheit gedeihen könnten, während in Systemen der Barbarei despotische Regimes angemessen sein können.
Ch. Darwin postulierte, dass die Erforschung der Evolution Einfluss auf die Menschheitsgeschichte haben werde. Diese Theorien machte sich der englische Historiker H. Th. Buckle in seinen Schriften zu eigen. Er forderte konsequent ein naturwissenschaftliches Studium und die Kenntnis der Statistik für den Historiker.
Geschichtsschreibung außereuropäischer Kulturkreise
Auch andere Kulturkreise haben Formen einer umfassenden Geschichtsschreibung entwickelt. Insbesondere in China und in der islamischen Welt existiert eine lange Tradition der Geschichtsschreibung. Die ältesten Überlieferungen der Geschichte Chinas sind mehr als 3.000 Jahre alt. Es handelt sich um Werke, deren Autoren nicht namentlich bekannt sind, die jedoch bereits eine Dokumentation der verwendeten Quellen enthalten. Erst Sima Guang mit Zizhi tongjian aus dem Jahre 959 legte eine präzise Beschreibung der historiografischen Methoden vor. (vgl. auch Sima Qian und Ban Gu in der Zeit der Han-Dynastie sowie Fa-Hien in der Zeit der Jin-Dynastie um 337 - um 422).
Die islamische Geschichtsschreibung (ilm at-tarich) ist religiösen Ursprungs. Geschichte galt als Traditionswissenschaft, deren Auftrag die unverfälschte Überlieferung zentraler religiöser Inhalte war. Dazu bedienten sich die arabischen Historiker ausgefeilter Methoden der Quellenkritik, die auf so genannten "Überliefererketten" (Isnad) aufbaut. In späterer Zeit findet man zunehmend auch Werke säkularen Inhalts. Die arabische Geschichtsschreibung ist auch in Bezug auf die persische Geschichte (Sassaniden) von Bedeutung, siehe vor allem die Universalgeschichte des Tabari Anfang des 10. Jahrunderts.
Siehe auch
- Zur europäischen Geschichtsschreibung vom 19. Jahrhundert an siehe: Geschichte der Geschichtswissenschaft (dort auch eine weiterführende Literaturliste)
- Geschichtsschreibung
- Historiker
- Geschichtswissenschaft
- Historiographie
Literatur
- Arno Borst: Das Bild der Geschichte in der Enzyklopädie des Isidor von Sevilla. In: Deutsches Archiv 22 (1966).
- Klaus Kliesch: Apostelgeschichte. Stuttgart 1986. ISBN3-460-15351-2
- Jürgen Malitz: Das Interesse an der Geschichte. Die griechischen Historiker und ihr Publikum. In: Purposes of History. Studies in Greek Historiography from the 4th to the 2nd Centuries B.C. Proceedings of the International Colloquium Leuven, 24–26. May 1988. Hrsg. von H. Verdin, G. Schepens und E. De Keyser, Leuven 1990, S. 323–349, hier online.
- Gert Melville: Wozu Geschichte schreiben? Stellung und Funktion der Historie im Mittelalter. In: Theorie der Geschichte 4: Reinhard Koselleck: Formen der Geschichtsschreibung. München 1982.
- Paul-Gerhard Müller: Lukasevangelium. Stuttgart 1986. ISBN 3-460-15331-8.
- Volker Reinhardt (Hrsg.): Hauptwerke der Geschichtsschreibung, Kröner, Stuttgart 1997.
- G. Scholtz: Geschichte. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 3. Darmstadt 1974
- Heinz Schürmann: Das Lukasevangelium. In: Herders theologischer Kommentar zum Neuen Testament Bd. III. Freiburg i. Br. 1969.