Symon Petljura

Symon Wassyljowytsch Petljura, auch Petliura oder Petlura (ukrainisch Симон Васильович Петлюра, wiss. Transliteration Symon Vasyl'ovyč Petljura; * 10. Maijul. / 22. Mai 1879greg. in Poltawa; † 25. Mai 1926 in Paris), war ein nationalistischer ukrainischer Politiker, Journalist, Literat und Publizist und von 1919 bis 1920 Präsident der Ukrainischen Volksrepublik. Er hatte als Anführer (Ataman)[1] der Petljura-Armee Pogrome zu verantworten, bei denen zehntausende ukrainische Juden ums Leben kamen.[2] Der Umfang seiner Schuld ist umstritten;[1] der Historiker Andreas Kappeler meint, dies sei eine „jüdische Sicht“[1] und bemerkt, dass Petljura kein[1] Antisemit gewesen sei. In der Ukrainie wird er wegen seines gegen die Bolschewisten gerichteten Krieges nach der heute geltenden Staatsdoktrin als „Nationalheld“[2] bezeichnet.
Leben
Petljura wurde am 22. Mai 1879 in Poltawa als Sohn von Stadtkosaken geboren. Diese Herkunft ermöglichte ihm, im Gegensatz zu den weitgehend rechtlosen Bauern, ein Studium. Petljura war im Jahre 1905 Mitbegründer der Ukrainischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei[3] und Herausgeber der Zeitschriften Slowo und Ukrajinskaja Schysn zwischen 1905 und 1909. Während des Ersten Weltkriegs diente er in der zaristischen Armee. Nach der Februarrevolution von 1917 wurde er Mitglied des neuen Parlaments, der Zentralna Rada, das im Juni die Ukraine als autonome Republik ausrief. Im Juli wurde er Generalsekretär für militärische Angelegenheiten (Kriegsminister), bald darauf besetzten jedoch deutsche Truppen die Ukraine und installierten mit dem Hetmanat unter Pawlo Skoropadskyj eine Marionettenregierung.
Nach dem Rückzug der deutschen Truppen 1918 wurde Petljura eines von fünf Mitgliedern des Direktoriums der Ukrainischen Volksrepublik und militärischer Oberbefehlshaber, 1919 dann Regierungschef. Im Russischen Bürgerkrieg kämpfte er sowohl gegen die Bolschewiki als auch gegen Teile der russischen Konservativen („Weiße“), rivalisierende Ukrainer unter Pawlo Skoropadskyj oder Nestor Machno und gegen Polen. Auf dem Gebiet der Ukraine ereigneten sich Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung der Ukraine. Für einen Teil dieser Pogrome waren Mitglieder der Milizen, die einen Teil von Petljuras Streitkräften ausmachten, verantwortlich. So drangen Soldaten der Petljura-Armee am 15. und 16. Februar 1919[2] in die Stadt Proskurow (heute Chmelnyzkyj) ein und begingen ein Blutbad an der jüdischen Bevölkerung. Die Menschen wurden, den Berichten zufolge, mit Säbeln[2] und Handgranaten[2] ermordet. Petljura führte zwar gesetzliche Strafen für Gewalt gegen jüdische Zivilisten ein und ließ einige Verantwortliche hinrichten, jedoch ohne dadurch die Gewalt aufhalten zu können, was ihm später vielfach angelastet wurde.[4] Am 29. August 1919[2] marschierten Petljuras Truppen in Kiew ein und massakrierten mehrere hundert Juden. Am folgenden Tag ging das Morden weiter. 39,9 %[2] aller ukrainischen Pogrome wurden unter dem Kommando Petljuras verübt, 31,7 %[2] der Pogrome gingen zu Lasten der Grünen Armeen, 17,2 %[2] begingen Truppen von Anton Denikin, 2,6 %[2] der Pogrome begingen Angehörige der Polnischen Armee, 8,6 %[2] begingen die Rote Armee oder abtrünnige[2] Einheiten der Roten Armee. Insgesamt gab es in der Ukraine rund 1500[2] Pogrome mit geschätzen 100.000[2] Todesopfern, weitere 100.000[2] wurden verletzt, andere wurden vergewaltigt.[2]

Nach dem Sieg der Kommunisten floh Petljura nach Polen, wo er als vorgeblich legaler Regierungschef der Ukraine anerkannt wurde und im März 1920 in Lublin ein Friedensabkommen mit der polnischen Regierung unterzeichnete, wobei er im Tausch gegen militärische Hilfe die polnischen Bedingungen für die Grenzziehung im Osten akzeptierte. Im Polnisch-Sowjetischen Krieg gelang jedoch nur eine zeitweise Besetzung von Kiew, und die Wiederherstellung der ukrainischen Unabhängigkeit scheiterte. Petljura führte nun vorübergehend von Tarnów und Warschau aus die ukrainische Exilregierung an, musste Polen jedoch aufgrund verstärkten sowjetischen Drucks 1923 verlassen und ging über Wien und Genf 1924 nach Paris. Dort gründete er die Zeitung „Tryzub“ („Dreizack“, nach dem ukrainischen Wappensymbol), die über die Aktivitäten der ukrainischen Exilregierung berichtete.[5]
Am 25. Mai 1926 wurde er während eines Einkaufsbummels in Paris von dem aus der Ukraine stammenden jüdischen Anarchisten Scholom Schwartzbard auf dem Boulevard-Saint-Michel[2] niedergeschossen und starb kurz darauf. Der Täter wurde von einem französischen Gericht freigesprochen,[1] weil er in Vergeltung für den Tod von 15 Familienmitgliedern, darunter seine Eltern, gehandelt habe.
Familie
Symon Petljura war der Onkel des späteren Patriarchen der ukrainisch-orthodoxen Kirche Mstyslaw.
Ehrungen

Nach der Auflösung der Sowjetunion im Jahre 1991 und der darauffolgenden Unabhängigkeit der Ukraine wird Petljura in seiner Heimat heute als bedeutender Politiker und als einer der Gründer der modernen Ukraine gewürdigt. Petljura wurden eine Reihe von Ehrungen zuteil. In der Hauptstadt Kiew wurde ebenso wie in seiner Heimatstadt Poltawa ein Denkmal errichtet. 2009 benannte die Stadtverwaltung von Kiew eine Straße nach ihm,[6] in der sich seit dem 21. Januar 2019[2] eine Gedenktafel befindet. In weiteren Städten wie zum Beispiel Riwne[7] oder Lwiw[8] wurden Straßen nach ihm benannt. In der Stadt Winnyzja gibt es seit dem 14. Oktober 2017[2] ein Petljura-Denkmal. Der US-Ableger der sich als konservativ-patriotisch verstehenden Jugendorganisation CYM (SUM)[9] beruft sich auf Petljura als Vorbild.[10] Seit 1993 finden in Kiew jährliche Lesungen seiner Werke statt.[11]
Literatur
- Saul S. Friedman: Pogromchik : the assassination of Simon Petlura. New York : Hart Pub. Co., 1976.
- Alain Desroches: Le Problème ukrainien et Simon Petlura. Le feu et la cendre. Nouvelles Éditions latines, Paris 1962.
- Rudolf A. Mark: Symon Petljura und die UNR. Harrassowitz, Wiesbaden 1988. ISBN 3-447-02700-2 (= Forschungen zur osteuropäischen Geschichte. Band 40, zugleich Dissertation an der FU Berlin 1988).
- Nikolai Alexejewitsch Ostrowski: Wie der Stahl gehärtet wurde, LeiV, Leipzig 2004, ISBN 3-89603-197-X.
- Matthias Vetter: Petljura, Symon. In: Handbuch des Antisemitismus, Band 2/2, 2009, S. 630f.
- David Engel: Schwarzbard-Prozess. In: Dan Diner (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK). Band 5: Pr–Sy. Metzler, Stuttgart/Weimar 2014, ISBN 978-3-476-02505-0, S. 395–400.
Weblinks
- Symon Petljura in der Online-Version der Edition Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik
- Rezensionen von Büchern über Petljura
- Rezension des Buches von Henry Abramson A Prayer for the Government: Ukrainians and Jews in Revolutionary Times
- Zeitungsartikel über Symon Petljura in den Historischen Pressearchiven der ZBW
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukrainie. In: Beck'sche Reihe. 3. Auflage. Nr. 1059. C. H. Beck Verlag, München 2009, ISBN 978-3-406-58780-1, S. 182 f.
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o p q r s Jean-Jacques Marie: Pogrome im Russischen Bürgerkrieg. In: Barbara Bauer Dororthee d’Aprile (Hrsg.): Le Monde diplomatique. Nr. 12/25. TAZ/WOZ, Dezember 2019, ISSN 1434-2561, S. 20 f. (übersetzt von Andreas Bredenfeld; Jean-Jacques Marie ist Autor des Buches L'Antisémitisme en Russie. De Catherine II à Poutine. Éditions Tallandier, Paris 2009; in diesem Artikel zitiert Jean-Jacques Marie insbesondere auch weiter: Lidia Miliakova, Nicolas Werth (Hrsg.): Le Livre des pogroms. Antichambre d'un génocide: Ukraine, Russie, Biélorussie – 1917–1922. Éditions Calmann-Lévy/Mémorial de la Shoah, Paris 2010).
- ↑ Ukrainian Social Democratic Workers' party in der Encyclopedia of Ukraine; abgerufen am 10. Mai 2017 (englisch)
- ↑ Orest Subtelny, Ukraine: A History (4th ed.), S. 363–364, University of Toronto Press, 2009, ISBN 978-1442697287
- ↑ Biographie Petljuras auf encyclopediaofukraine.com
- ↑ http://un.ua/eng/article/204626.html
- ↑ http://io.ua/113873
- ↑ http://h.ua/story/38575/
- ↑ sym.org - About SYM; abgerufen am 17. August 2021 (englisch)
- ↑ Archivierte Kopie ( des vom 24. Oktober 2005 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ http://petlura.poltava.ua/
Personendaten | |
---|---|
NAME | Petljura, Symon |
ALTERNATIVNAMEN | Симон Петлюра (ukrainisch); Petliura, Symon; Petljura, Symon Wassyljowytsch; Petlura, Symon |
KURZBESCHREIBUNG | ukrainischer Politiker |
GEBURTSDATUM | 22. Mai 1879 |
GEBURTSORT | Poltawa |
STERBEDATUM | 25. Mai 1926 |
STERBEORT | Paris |