Totholz
Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Biotop Totholz, siehe auch: Totholz_(Schiffbau)

Unter Totholz (Altholz; Moderholz; Biotopholz; Schlagabraum) versteht man einzelne tote Zweige, Äste, Baumstümpfe, abgestorbene, stehende (stehendes Totholz) oder umgefallene Bäume im Wasser oder auf dem Boden und bei der Holzernte nicht genutzte Stämme und deren Teile (liegendes Totholz). Das stehende Totholz ist seltener, bietet meist eine größere Amplitude an Standortfaktoren und ist daher ökologisch besonders wertvoll.
Der Ausdruck "höhlenreiche Altholzinsel" für eine gebietsweise Häufung von stehendem Totholz verdeutlich bereits Isolation durch eine intensiv menschlich genutzte Umgebung. Höhlenreiche Einzelbäume, absterbende Altbäume mit vielen Specht- und Fledermaushöhlen, bieten ähnliche Bedingungen, wie sie in diesem Artikel beschrieben werden.
Wegen des großen ökologischen Wertes und der anhaltenden Vernichtung von Totholz, stehen diese Totholz-Biotope oft unter Naturschutz. Auf Grundlage des § 30 Bundesnaturschutzgesetz können Totholz-Biotope in den Bundesländern Deutschlands "gesetzlich besonders geschützt" sein; d.h., das jegliche Veränderungen, Entnahme, Zerstörungen oder Beeinträchtigungen auch ohne die amtliche Ausweisung oder Kennzeichnung des Schutzstatus verboten und strafbar sein können.
Vorkommen, Entstehung, Formen von Totholz
Totholz entsteht auf natürliche Weise in Waldbiotopen und Gehölzbiotopen (Wald, Hecken, Knicks, Streuobstwiesen): Alterung, Waldbrand, Windwurf, Blitzschlag, durch Insektenplagen und andere Umwelteinflüsse wie schwankende Grundwasserstände etc. (vgl.: Mosaik-Zyklus-Konzept und Sukzession). Auch die Bewirtschaftung (z.B. Schneitelwirtschaft) und Nutzung von Korbweiden (Kopfweiden) zur Herstellung von Flechtwerk begünstigt die Entstehung von Totholz. Darüber hinaus gibt es auch Totholzhaufen, die von Menschen zusammengetragen wurden, z.B. am Rande von landwirtschaftlichen Flächen als nicht mehr benötigter Baumschnitt und durch Aufsammeln und Aufschichten herumliegender Äste.
In vom Menschen wenig beeinflussten Wäldern findet sich Totholz in den unterschiedlichsten Ausprägungen. Von brüchigen Stellen an Bäumen über faulende Astlöcher bis zu am Boden liegenden Stämmen und Ästen mit aufragendem Wurzelteller erscheint das Totholz in immer wieder neuen Formen. Jeder dieser Totholztypen ist noch zusätzlich charakterisiert durch Faktoren wie Zersetzungsgrad, Feuchtigkeitsgehalt oder Art des Bewuchses. Es ist die Formenvielfalt, die diesen Lebensraum so bedeutend macht, und so bildet Totholz die Lebensgrundlage für eine zum Teil noch unbekannte Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten sowie für zahlreiche Mikroorganismen.
Fehlt Totholz im Waldökosystem, ist die Erhaltung der Biodiversität nicht gewährleistet. Für Totholz, früher überall und in Massen vorhanden, gibt es heute keine Ersatzlebensräume mehr. Neben den in Mitteleuropa nicht mehr vorhandenen Urwäldern kommt Totholz häufiger in extensiv bewirtschafteten Forsten vor, wie z.B. im Plenterwald und im Auwald. Monokulturen weisen dagegen kaum Totholz auf, da wegen des hohen Schädlingsdruckes (Borkenkäfer) und wegen der Waldbrandgefahr Totholz abgeräumt wird oder gar nicht erst entsteht.
Lebensraum Totholz
Stirbt ein Baum, so zieht binnen Kurzem neues Leben in ihn ein. Totholz enthält eine Vielzahl von Organismen, die sich im Laufe der Evolution an diese Lebensstätte angepaßt haben. Viele im Totholz lebende Organismen haben sich in ihren ökologischen Ansprüchen spezialisiert.
Dies führt dazu, dass jeder Totholztyp (ob liegend oder stehend, Stamm- oder Kronenholz, Holzart), mit seiner eigenen Flora und Fauna assoziiert ist (Lebensgemeinschaften in der Rinde, im Holz, im Baummulm, in Baumhöhlen und in Sonderstrukturen wie Saftflüsse, Ameisennester oder Brandstellen ).
Viele Tiere und Pflanzen, die auf Altholz angewiesen sind, stehen auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten. Diese Arten sind in ihrer Lebensweise hochgradig auf Zerfalls- und Zersetzungsphasen von Holz angewiesen. Pilze, Flechten, Moose, Farne und viele Insektenarten, wie z. B. Ameisen, Hautflügler und Schmetterlinge finden hier ihre Habitatnische. Der überwiegende Teil unserer 1000 Wespen- und Bienenarten ist auf Alt- und Totholzstrukturen angewiesen (siehe auch Hautflügler).
Auswahl von Käfern im Totholz
Die Bedeutung des Artenschutzes ist besonders gut bei den Käfern zu belegen. So leben zirka 25 Prozent aller in der Bundesrepublik Deutschland vorkommenden Käferarten am Holz verschiedener Zerfallsstadien. Die Gruppe der xylobionten Käfer weist in der Bundesrepublik (alte Bundesländer) einen sehr hohen Anteil bedrohter Arten auf. Dieser Umstand ist wohl auf allzu sorgfältiges Entfernen von Alt- oder Totholz aus den Wäldern zurückzuführen, da die meisten Xylobionten auch totes Holz annehmen.
Viele Totholzkäfer zeigen einen ausgesprochen hohen Spezialisierungsgrad hinsichtlich der Habitatansprüche. Neben den Rinden-, Holz- und Holzpilzfressern zählen zu den xylobionten Käfern auch einige räuberische Arten, sowie an Holzstrukturen gebundene Abfallfresser, die in den verlassenen Fraßgängen anderer Insekten leben. In der großen Vielfalt der Käfer sind nicht nur Spezialisierungen nach Zersetzungsgraden und Verhalten zu beobachten, sondern auch die Spezialisierungen auf Totholz nach Baumarten (Obstbäume: siehe: Streuobstwiese) und gar nach bevorzugten Bestandteilen der Bäume. Auf Laubhölzer spezialisierte Arten (nicht Individuen) scheinen stärker vertreten zu sein - die Bevorzugung von schnellwachsenden Nadelhölzern in der Fortswirtschaft ist also dem Artensterben potenziell förderlich. Eine kleine Auswahl von Käfern im Totholz:
- vorwiegend Laubgehölze:
Hirschkäfer (Larven an morschen Wurzeln alter Eichen, Ulmen und Obstbäumen, seltener Weichhölzer; Großer Eichenbock benötigt in seiner 3- bis 5-jährigen Entwicklung zur Imago unterschiedliche Zersetzungsphasen absterbender Eichen, teilweise auch Buchen und Ulmen; Kleiner Eichenbock bevorzugt Totholz auch anderer Laubgehölze; Feuerkäfer unter der Rinde, "Nützling": Larve jagt Borkenkäfer [Zahradnik, Jiri; 1985].
- vorwiegend Nadelhölzer:
Prachtkäfer-arten (vorwiegend Nadelholz), Runzelkäfer-arten (Larvalentwicklung); der Hausbock hat in trockenem Nadelholz (Fichten) seinen natürlichen Lebensraum; die Larve des Fichtenbocks bevorzugt das Kambium von Fichten und Kiefern und verpuppt sich später im Innern des Stammes.
- vorwiegend Weichhölzer:
Moschusbock-Larven (alte Weiden, v.a. die seltenen Kopfweiden!)
- unspezialisert auf Gehölzart oder nicht einzuordnen (Familien)
z.B. der Scheinbockkäfer - seine Larven sind aber auch in schwimmendem Holz (Treibgut) und in verholzenden Teilen krautiger Pflanzen zu finden; Larven der Nashornkäfer entwickeln sich auch in Holzabfällen; Buntkäfer-arten; aus der Familie der Moosschimmelkäfer (Lathridiidae oder Dasycaridae) der Larthridius lardarius [Zahradnik, Jiri; 1985] in schimmelndem Holz (ernährt sich von Schimmelpilzen).
- Winterquartier: Marienkäfer, und viele andere "nützliche" Arten.
Auswahl von Hautflügler im Totholz
- Staubläuse ernähren sich von Pilzgewebe,Sporen, Flechten, Grünalgen und sind unter Rinden, an Baumstämmen und Totholz zu finden.
- Dungmücken (Larvalentwicklung und Fraß), Haarmücken (Fraß), Gnitzen (Larvalentwicklung),
- Larven der Tummelfliegen leben im Totholz und ernähren sich von Baumpilzen, Holzfliegen jagen Larven und Würmer
- Mauerbienen nehmen auch Ritzen im Totholz und verlassene Röhren anderer Insekten an,
- die Holzbiene legt Brutzellen in trockenem, sonnenexponiertem und leicht morschem Totholz an und überwintert im Totholz,
- die Echte Wespen benötigen Holz zum Nestbau und hängen diese Bauwerke auch in trockene Hohlräume alter Bäume
- weitere Hummeln, Bienen, Hornissen etc.
Reptilien, Vögel und Säugetiere im Totholz



Von den Insektenlarven im Holz ernähren sich die Spechte und andere heimische Vögel. Der Specht zimmert auch gerne für sein Nest Höhlen ins morsche Holz. Diese Baumhöhlen nutzen viele andere Tiere als Nistplatz , Sommer– oder Winterquartier , wie
- Fledermäuse (stehendes Totholz):
Großer Abendsegler, Bechstein-Fledermaus, Braunes Langohr, Fransenfledermaus, Wasserfledermaus in der Nähe von Gewässern (Altarme, Auwald)
- Bilche
- Baummarder
- Nicht auf Totholz angewiesen, aber Totholzproduzent (vergesellschaftet) ist der Biber
- Siebenschläfer
- Eichhörnchen
- Vögel(stehendes Totholz als Brutplatz, Altholzinseln als Nahrungshabitat):
- Amphibien und Reptilien suchen liegendes Totholz als Tagesversteck (Sonnenbad) oder zum Überwintern:
v.a. Erdkröte, Waldeidechse, Europäische_Sumpfschildkröte, besonders an Totholz in Gewässern,
- Kleinsäuger:
Liegendes Totholz stellt für Kleinsäuger ein wesentliches Strukturelement am Waldboden dar. Es bietet Deckung und Schutz,
liegende Stämme sind bevorzugte Wechsel, Höhlungen dienen als Verstecke und Nahrungsdepots, Totholzinsekten sind eine bedeutende Eiweißquelle und Pilze bereichern den Speiseplan.
Pilze im Totholz
Die Baumart verliert mit zunehmendem Alter des Totholzes an Bedeutung, und die Milieubedingungen wie Feuchtigkeit, Wärme und Zersetzungsgrad werden wichtiger. So werden die Baumkörper über Jahre hinweg von Bakterien, Käfern und Baumpilzen wie Zunderschwamm und Hallimasch zersetzt. Der entstehende Humus bedeutet Nährboden für unzählige Pflanzen. Totholz bildet also auch ein Keimbett für viele junge Bäumchen und seine Masse und Verteilung bestimmen in hohem Maße die nach dem natürlichen Zerfall neu entstehenden Bestandes- und Waldstrukturen.
Totholz im Stoffkreislauf
Verrottet ein am Boden liegender Baumstamm, werden die im Holz gespeicherten Nährstoffe mit fortschreitender Zersetzung langsam freigegeben, was zu einer Düngung bzw. Mineralisation der Nährstoffe führt (Humifizierung). Den größten Beitrag zu diesem Prozess liefern die holzabbauenden Pilze, denn allein diese Organismengruppe kann die schwer abbaubaren Holzstoffe (Lignin, Cellulose) effektiv zur eigenen Energiegewinnung nutzen. Ein mit Pilzmyzelien durchsetzter Baumstamm hat einen um das 1.5-fache erhöhten Wasser- und Stickstoffgehalt, wobei die meisten Stickstoffverbindungen aus Tierexkrementen und -kadavern stammen. Die Ausscheidungen der Pilze enthalten Zucker, Stärke und Proteine, die wiederum von weiteren Mikroorganismen genutzt werden
Mikroklimatische Besonderheiten von Totholz
Am Boden liegendes Totholz wirkt ausgleichend auf das Mikroklima: Einerseits führt die dunkle Oberfläche sowie die geringe Wärmeleitfähigkeit von Holz dazu, dass Totholz gegenüber der Umgebung zu bestimmten Zeiten eine erhöhte Temperatur aufweist. Andererseits kann Totholz seine unmittelbare Umgebung auch vor Überhitzung schützen, da es infolge des erhöhten Wassergehaltes Temperaturschwankungen auszugleichen vermag. Letzteres ist auch der Grund dafür, dass in der Nähe von liegendem Totholz der Boden weniger rasch austrocknet als an anderen Orten.
Stehendes Totholz und Totholzhaufen außerhalb des Waldes bieten thermophilen (wärmeliebenden) und heliophilen (sonneliebenden) Tier- und Pflanzenarten besondere Lebensräume. Z.B. Eidechsen sonnen sich bevorzugt an solchen trockenen und warmen Stellen; Holzwespen sind auf trockene Althölzer angewiesen. Stark vermodertes Totholz bietet durch die klimatischen Eigenschaften Erdkröten Überwinterungsmöglichkeiten.
Totholz als Bodenschutz
Schliesslich schützt ein liegender Baumstamm den Boden vor Erosion (Hangstabilisierung) und Nährstoffauswaschung. Nicht zuletzt kommt dem Totholz wichtige Bedeutung als Schnee- und Steinschlagschutz besonders in Steillagen zu und in Jungbeständen kann durch vorhandenes Totholz der Schneeschub reduziert werden.
In einigen Landschaften wurden Hecken und Knicks planmäßig mit Totholz angereichert, um deren Windschutz zur Erosionsverminderung oder zur Verbesserung ungünstiger (Küsten-)Klimate zu verbessern.
Totholz in limnischen Ökosystemen
Nicht nur in Gehölzbiotopen und terrestrischen (Land-) Ökosystemen erfüllt Totholz eine wichtige Funktion, sondern auch in süßwasserbeeinflussten Ökosystemen (limnische Ökosysteme). In Altarmen von Fließgewässern, an Flüssen und Bächen sowie in Hoch- und Niedermooren trägt es entscheidend zur Herausbildung der typischen Standortfaktoren bei.
Die natürliche Fließgewässerdynamik wird durch Gehölze und durch Totholz unterstützt: Zum einen durch Uferfestlegung und Erosionsminderung durch Schwemmgut, zum anderen werden Bereiche unterschiedlicher Strömungsgeschwindikeit geschaffen.
An Stämmen und kleinerem Treibgut staut sich das Wasser und senkt die Fließgeschwindigkeit, was zur Ablagerung von Sedimenten führt. Die abgelagerten Sedimente verringern ein Eingraben des Fließgewässers (siehe:Geschiebehunger); Totholz bringt auch einen Beitrag zur Regulierung des Grundwasserstandes. Durch die aufstauende Wirkung kann es zu einer Veränderung des Stromstriches und zu einer seitlichen Verlagerung kommen, das Mäandrieren des Gewässers wird unterstützt. Es entstehen aber auch gleichzeitig Abschnitte mit höherer Strömungsgeschwindigkeit (Entstehung von Kolken), Steilufern und Abbruchkanten. Die Strukturvielfalt (Gewässerstrukturgüte), die Wasserqualität wird durch Sauerstoffanreicherung (Selbstreinigungskraft) verbessert.
Im Wasser liegendes Totholz stellt an sich schon einen Lebensraum dar, so nutzen etwa 60 Käferarten nur solches Totholz zur Eiablage, das schon einmal im Wasser lag. Vögel benutzen aus dem Wasser ragendes Holz als Jagdplatz. Die Brückenspinne (eine Kreuzspinnen-Art, z.B., hat sich auf das Netzstellen an Totholz und anderen Gegenständen über Gewässern spezialisiert. Durch den Erhalt der Dynamik schafft Totholz aber auch neue Lebensräume. Viele Arten benötigen besondere Strömungsverhältnisse und Wasserqualitäten, wie Flusskrebse und sessile Arten. Manche Fische nutzen Strömungs- und Lichtschatten als Unterstände und Laichplätze.
In der Natur sorgt der Nachschub von Gehölzen der Flussauen, Hochwasser und der Einfluss von Tieren (allen voran des Bibers) für einen beständiges Aufkommen. Totholz und Gehölze an Gewässern werden aber auch als Gefahr angesehen. Bei einem Hochwasserereignis kann Totholz in schnell fließendem Wasser große Schäden anrichten, sich an Engstellen verkeilen und einen Strömungswiderstand herstellen, der für den Menschen katastrophale Folgen haben kann. Totholz und Gehölze werden daher im Wasserbau selten toleriert. Der Eingriff des Menschen, Flussauen zu besiedeln, sorgt für irreversible Schäden. Nur gelegentlich an kleineren Bächen wird auf Totholz als Verbau gegen Ufererosion zurückgegriffen (siehe: Ingenieurbiologie).
In [[Altarm]en und Mooren sorgen vornehmlich schwankende Grundwasserstände und Klimaeinflüsse auch auf natürliche Weise für das entstehen von Totholz. In Altarmen fördert Totholz durch Nährstoffeintrag die Verlandung und sorgt so für Stabilität und Fließgleichgewicht eines Stromes. In geringerem Maße ist Totholz auch mit an der Moorbildung beteiligt. In trockenen Jahren kann es in Mooren zu einer zeitlich begrenzten Verbuschung kommen. Kiefern, Birken und Heidekrautgewächse sterben dabei nach einem Anstieg des Grundwasserspiegels wieder ab.
Rückgang, Gefährdung, Schutz
Natur als schönes Idyll
Förstern, Waldarbeitern und Gartenbesitzern wird von der Bevölkerung oft Unverständnis entgegengebracht. Es werden Vorwürfe laut, der Wald (der Garten, die Grünanlage) sei vernachlässigt und unordentlich. Das Bild des gepflegten, aufgeräumten Waldes stammt teilweise noch aus der Zeit, als das Holz als Brenn- und Baumaterial (mittlerweile abgelöst durch andere) teilweise aus der romantischen Idee des "Waldes" als (aufgeräumte) "Natur"-Idylle, in die Begriffe wie Tod und Vergehen nicht passten. Nur "schöne" Blüten als Zeichen der Lebensfreude werden in dieser Vorstellung von Natur zugelassen. Das Liegenlassen von Ästen oder von umgestürzten Bäumen wird daher auch heute noch als Verschwendung von Rohstoffen aufgefasst oder als "ungepflegt" angesehen. Daß die Räumung eines Windwurfes aber mehr Kosten verursacht als der Erlös des beschädigten oder unreifen Holzes einbringt, wird oft nicht bedacht. Übertriebene Ordnungsliebe, eine emotional wertende Einstellung zur "fremden" Natur, die Vorstellung von einem so genannten "schönen" Waldbild sorgen auch heute noch dafür, daß Gärten, Parks und ganze stadtnahe Wälder leergeräumt werden und vielen Lebewesen die Lebensgrundlage entzogen wird.
Forstwirtschaft
Durch den Rückgang der Waldbiotope und durch die Intensivierung der Forstwirtschaft, der Wandel der Wirtschaftsformen (Verkürzung der Umtriebszeiten läßt weniger Alt- und Totholz zu), der Wandel der Landwirtschaft (Beseitigung von Hecken und Knicks) sowie die Intensivierung von "Baumpflege" in besiedelten Bereichen (Straßen-, Park- und Gartenbäume) ist Totholz selten geworden.
In den wenigsten bewirtschafteten Wäldern (Forsten) kann sich Totholz bilden, da der wirtschaftliche Zwang zur Erzielung positiver Deckungsbeiträge und auch die aus der Verkehrssicherungspflicht entstehenden Unwägbarkeiten (Erholungsnutzung der Wälder) das Fällen von hiebreifen bzw. gefährlichen Bäumen erforderlich macht. Überalterte, absterbende Bäume sind aufgrund der wirtschaftlichen Nutzung im Vergleich zu Urwäldern selten. Forstbehörden sehen sich häufig dazu gezwungen, zur Verhütung von Waldbränden Totholz periodisch zu entfernen.
Schadholz aus Windwurf als potenzielles Totholz wird meist schnellstmöglich entfernt. Neben der Zwangsnutzung dient dies der Vernichtung des Brutraumes von zur Massenvermehrung neigenden, dann forstwirtschaftlich schädlichen Insekten. Für Fichtenbestände stellen besonders die Borkenkäfer Buchdrucker (Käfer) und Kupferstecher (Käfer) eine Gefahr dar. Das Phänomen des Eichensterbens zwingt zur Entnahme von Starkholz zur Dämpfung der Ausbreitung des Eichenprachtkäfers. Einige eingeschleppte invasive Tierarten (Neozoen) können so agressiv sein, dass die Forstbehörden Kahlschläge mit anschliessendem Verbrennen des Holzes anordnen (z.B. Schweiz und Österreich).
Totholz ist im Kreislauf des Waldes unerlässlich und bietet auch Nützlingen Lebensraum. Forste sind nicht vollständig totholzfrei: in "klassischen" Wirtschaftswäldern werden Specht- und Ameisenbäume sowie einzelne, nicht mehr bruttaugliche Käferbäume sowie sonstiges Totholz als Habitatbäume dem natürlichen Zerfall überlassen - in der Regel jedoch weniger. Der massive Rückgang der Totholzbewohner, bis an den Rand des Aussterbens, ist auch eine Folge des generellen Waldrückgangs und nicht allein einer konservierenden Forstwirtschaft. Die Ansprüche des Naturschutzes an den Wald werden größer.
Mit zunehmenden Druck aus den Reihen des Naturschutzes und vor dem Hintergrund fallender Holzpreise (Importe aus Urwäldern, Regenwäldern und aus Ländern mit vorwiegend maschineller Ernte), wird der naturnahe Waldbau angestrebt. In größeren Betrieben wird der Wald in "Nullparzellen" oder "Naturwaldzellen" der natürlichen Entwicklung überlassen. Allgemein wird häufig im Rahmen des wirtschaftlich Möglichen der Umbau der Waldgesellschaften in Richtung der potenziell natürlichen Vegetation (naturnahe Artenzusammensetzung) angestrebt. In Kleinstbetrieben hingegen werden die Waldflächen aus mangelndem ökonomischen Interesse nicht selten völlig den natürlichen Prozessen überlassen und weisen hohe Totholzanteile auf.
Durch einzelbaumorientierte oder kleinflächige Waldbewirtschaftungsformen, wie z.B. dem Plentern entsteht mit vitalem Jungwuchs (Strauchschicht) eine mehr oder weniger nadelholzreiche, höhengeschichtete Waldzusammensetzung, die die massenhafte Ausbreitung von Schädlingen bremst. Zumindest der Nutzungskonflikt mit dem Totholz kann so teilweise entschärft werden.
Der Nutzungsanspruch der Erholung für den Menschen und das Siedlungswesen machen selbst vor dem naturnahen Wald nicht halt und fordern Verkehrssicherung, Waldbrandverhütung und Insektenbekämpfung. Naturschützer fordern daher die Einführung von zusammenhängenden Großschutzgebieten, in denen sich die Natur vollständig ohne Eingriffe des Menschen entwickeln kann.
Baumpflege in öffentlichen und privaten Grünflächen
In öffentlichen Grünanlagen, v.a. an Straßen, und in privaten Gärten wird Totholz meist entfernt, weil es als "häßlich" angesehen wird, oder die "Verkehrssicherungspflicht" es vermeintlich vorschreibt. Gerichte erkennen durch herabfallende Äste Geschädigten meistens einen Schadensersatzanspruch gegen den Besitzer eines Baumes zu. Von der legalen Möglichkeit, sich von dieser Pflicht zu befreien (durch entsprechende Schilder: "Betreten/Befahren auf eigene Gefahr"), machen Gartenämter und Privatleute meist keinen Gebrauch.
Problematisch bleibt bei der manchmal übertriebenen und teils auch unsachgerecht durchgeführten "Baumpflege": Es fallen eher die nicht sichtbar geschädigten belaubten Äste herab, da diese sehr viel mehr Windwiderstand bieten, während die abgestorbenen Äste am Baum bleiben. Das Abknicken von Bäumen durch Scherwinde ist selten.
Entwurzelte Bäume sind in der Regel in Stamm und Krone relativ gesund; städtischer Problembereich ist die Wurzel. Häufigste Schädigung der Stadtbäume geschieht durch die nicht sichtbare mangelnde Durchwurzelbarkeit des Untergrundes und Wurzelschäden durch Bauarbeiten und defekte Gasleitungen. Ein "Aufasten" (Absägen der unteren Äste, um zu gestalten oder ein Lichtraumprofil an Straßen herzustellen) verletzt den Baum. Durch diese Wunden können Pilze und Keime eindringen, die später zur Kernfäule und zur Beeinträchtigung der Standsicherheit führen.
Der Verzicht auf die, bzw. die Minimierung der so genannten "Baumpflege", und die Verbesserung von Baumstandorten, könnte nicht nur Steuergelder sparen, sondern auch den Biotopverbund stärken. Bei der meist großen flächigen Ausdehnung der menschlichen Siedlungen könnte hier ein wirkungsvoller Beitrag zum Erhalt von bedrohten Arten geleistet werden, wenn Landschaftsteilräume über Trittsteine auch in Städten miteinander verbunden werden können.
Jeder kann helfen
Kaum jemand darf ein Wald sein eigenen nennen und nicht alle haben einen Garten. Es gibt aber ganz konkrete Maßnahmen, mit denen fast jeder Ersatzhabitate für die bedrohten Arten bereitstellen kann.
- Als Balkonbesitzer kann man entsprechende Nisthilfen für Bienen und andere Arten schaffen. Häufig ist schon ein einfacher Lochziegel nach kurzer Zeit besiedelt. Bewährt haben sich auch Blumentöpfe aus Ton, die, mit Holzwolle gestopft, verkehrtherum und trocken aufgehängt, xylobionten Arten eine Heimat bieten können. Wen es nicht stört, kann auch einfach einige Holzscheite als Dekorationselement auf den Balkon legen.
- Gartenbesitzer, Hausbesitzer können sich Kaminholz zulegen - wenn sie gar keinen Kamin haben: um so besser! Trocken gelagertes Kaminholz wird gerne von Wildbienen u.a. genutzt.
Wer nicht auf den Baumpflege verzichten will, kann Baumschnitt, auch größere Äste und Zweige, aufschichten und verrotten lassen - gegenüber der Mulch-Technologie mittels lautem Schredder spart das auch viel Arbeit. Wem das Exteriuer eines Totholzhaufens nicht zusagt, kann z.B. mit Weißdorn auch eine Benjeshecke daraus machen.
Größere Stämme brauchen nicht zersägt werden: angelehnt oder aufrecht eingegraben können sie wertvolles, stehendes Totholz sein - und Kinder werden es als neues Spielgerät entdecken. Ein sonniger Platz eignet sich gut dafür. Sofern die Ästhetik des sich alsbald wiederbelebenden Holzes nicht zusagt, ist Phantasie gefragt. Mit Kletterpflanzen bepflanzt, als Ständer für eine Blumenampel, wird daraus auch ein Gestaltungselement mit ökologischem Wert.
Sämtliche Gartengegenstände und -bauwerke aus Holz sollten einen konstruktiven Holzschutz aufweisen. Auf die Verwendung von chemischen Holzschutzmitteln können Sie verzichten: Die Tragfähigkeit und Lebensdauer einer vernünftigen Holzkonstruktion wird häufig unterschätzt (für Bunker wird Beton empfohlen). Erfreuen sie sich stattdessen an einer lebendigen Vielfalt im eigenen Garten.
Weblinks
- Umfangreicher Artikel zum Thema Totholz von der Biologin Karin Schiegg
- NABU Gladbeck zum Thema Totholz.
- Totholz lebt! - Informationen zu Insekten, Pilzen und anderen Lebewesen, die auf Totholz in dessen verschiedenen Abbauphasen angewiesen sind.
Literatur
Zahradnik, Jiri; 1985: Käfer Mittel- und Westeuropas. Paul Parey, Berlin, 1985. ISBN 3-490-27118-1 Sächsisches Landesamt für Umwelt und Geologie - Radebeul: Besonders geschützte Biotope in Sachsen, Dresden, 1995.