Zum Inhalt springen

Johann Gottlieb Fichte

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 30. August 2006 um 21:42 Uhr durch 85.22.18.197 (Diskussion) (Übergang zur Philosophie). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Johann Gottlieb Fichte

Johann Gottlieb Fichte (* 19. Mai 1762 in Rammenau bei Bischofswerda; † 29. Januar 1814 in Berlin) war ein deutscher Erzieher und Philosoph. Er gilt neben Schelling, Kant und Hegel als Begründer und wichtigster Vertreter des deutschen Idealismus.

Leben

Jugendzeit

Fichtes Vater war ein armer Weber in Rammenau bei Bischofswerda. Durch eine kuriose Geschichte gelangt Fichte an eine schulische Ausbildung. Eines Tages kommt der Gutsherr Freiherr von Miltitz, der die Predigt des Sonntags verpasst hat, nach Rammenau. Fichte bemerkt diesen Gutsherrn und versichert ihm alle Predigten wiederholen zu können. Daraufhin imitiert Fichte den Pfarrer so perfekt, dass der Gutsherr in seiner Entzückung ihm seine Ausbildung an der Fürstenschule Schulpforta bei Naumburg finanziert.

Nach seiner Schulzeit zieht Fichte nach Jena zum Studium, was ihm seine finanzielle Lage aber erschwert. So wird ihm ein Stipendium verweigert, der gütige Gutsherr verstarb. Er schlägt sich mühsam mit Privatunterricht durch.

Ein rettendes Angebot aus Zürich kommt, wo Fichte Hauslehrer werden soll. Nach nicht langer Zeit wird der Pädagoge jedoch des Hauses verwiesen, da Fichte die Auffassung hatte, dass man, bevor man Kinder erzieht, zu allererst die Eltern erziehen müsse. In Zürich verliebt und verlobt Fichte sich. Nach längerer Überlegung, ob eine Heirat ihm nicht die "Flügel abschneidet", kommt es zur Eheschließung.

Nach Ende der Hauslehrertätigkeit treibt es Fichte nach Leipzig. Fichtes Plan, Prinzenlehrer zu werden, scheitert. Seine zweite Idee, eine "Zeitschrift für weibliche Bildung", ist jedem Verleger zu heikel. Trauerspiele und Novellen bringen ihm ebenfalls kein Geld.

Übergang zur Philosophie

Anno 1790 lernt Fichte die Philosophie Kants kennen, die sofort einen großen Einfluss auf ihn auszuüben beginnt. Kant inspirierte ihn zu seiner am Begriff des Ich ausgerichteten Wissenschaftslehre. Fichte sah eine rigorose und systematische Einteilung zwischen den „Dingen wie sie sind“ und „wie die Dinge erscheinen“ (Phänomene) als eine Einladung zum Skeptizismus.

1791 besucht Fichte Königsberg, wo Kant ihm einen Verleger für seine Schrift Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792) verschafft, die anonym veröffentlicht wird; das Buch gilt zunächst als ein lange erwartetes religionsphilosophisches Werk von Kant selbst. Als Kant den Irrtum klarstellt ist Fichte berühmt, und erhält einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität von Jena, den er 1794 antritt.

Erlangen, Fichtes Wohnhaus 1805

Während seiner Jenaer Professur (1794-1799) wurde er zur Zielscheibe im sogenannten "Atheismusstreit". 1799 hatte eine zunächst anonyme Streitschrift Fichtes diesen ausgelöst: Fichte wird wegen Verbreitung atheistischer Ideen und Gottlosigkeit verklagt und zum Rücktritt gezwungen. 1805 bekommt Fichte den Lehrstuhl für Philosophie in Erlangen, 1810 wird er Dekan der philosophischen Fakultät und für kurze Zeit der erste gewählte Rektor der Berliner Universität.

Fichte war spätestens seit 1794 Mitglied einer Freimaurerloge in Rudolstadt, trat allerdings nach einigen Jahren wieder aus. Auch bei der Entstehung der Gesellschaft der freien Männer hatte er einen bedeutenden Anteil. In Berlin wurde er Mitglied der deutschen Tischgesellschaft, ab Sommer 1811 deren "Sprecher" (Vorsitzender). Der sich früher als Anhänger der Französischen Revolution bezeichnende Fichte profilierte sich nun insbesondere durch die flammend patriotischen Reden an die deutsche Nation (als Text veröffentlicht bis 1808) als Gegner Napoleons.

Ein utopisches Gesellschaftsmodell - eine Art sozialistische Gesellschaft auf nationalstaatlicher Grundlage - findet sich in dem Werk Der geschlossene Handelsstaat (1800).

Er starb am 29. Januar 1814 in Berlin.

Lehre

Obwohl Fichte die kritische Philosophie Kants akzeptiert und bewundert, verwirft er die Theorie des Dinges an sich sowie die Trennung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft. Methodischer Ausgangspunkt und Grundgedanke der Wissenschaftslehre ist das Ich, welches sich durch eine ursprüngliche Tat selbst setzt und damit gleichzeitig die Objektwelt als seinen Gegenstand und sein Produkt erzeugt. Existenz und Handeln sind damit identisch, das Erkennen ist ein abgeleiteter Aspekt in diesem Prozess. Dem Ich entgegengesetzt ist das Nicht-Ich. Die Beziehung Subjekt und Objekt fasst Fichte als dialektische Einheit von Gegensätzen auf. Diese Beziehung stellt eine Tätigkeit dar. Fichtes Wissenschaftslehre lässt sich zur Rechts- bzw. Staatsphilosophie und zur Geschichtsphilosophie erweitern. Denn er sieht das Ich durch ein anderes Ich begrenzt; die Freiheit des einen bedeute die Einschränkung der Freiheit des anderen. Fichte lokalisiert hier also ein Rechtsverhältnis, das bereits aufgrund der Existenz eines Nicht-Ich entstehe. Den Staat fasst Fichte als allgemeinen Willen, dessen Zweck es sei, die Freiheit, die Rechte seiner Bürger zu schützen. Ergänzt wird das staatliche Agieren durch das sittliche Handeln des einzelnen. Die Freiheit des Ich äußert sich in sittlichem Handeln; Vernunft und Pflicht sind Fichte eins. Freiheit in der Geschichte sei die mehr oder weniger sittliche Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse der verschiedenen Völker. Fichtes Philosophie lässt sich als ethischer Idealismus bezeichnen, wenn man davon ausgeht, dass erst der Staat Rechtsverhältnisse zwischen sich und den Bürgern bzw. unter den Bürgern schafft und dabei Beschränkungen seiner Bürger zugunsten eigener materieller Zwecke vornimmt. Fichtes Gedanken übten nicht nur einen großen Einfluss auf Schelling und Hegel aus, sie beeinflussten ebenso Proudhon, Karl Marx und Ferdinand Lassalle. Seine Interpersonallehre griffen Max Weber und Jean-Paul Sartre auf.

Werke (Auswahl)

  • Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1794)
  • Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794/1795)
  • Grundlage des Naturrechts (1796)
  • System der Sittenlehre (1798)
  • Appellation an das Publikum über die durch Churf. Sächs. Confiscationsrescript ihm beigemessenen atheistischen Aeußerungen. Eine Schrift, die man zu lesen bittet, ehe man sie confsicirt (1799)
  • Der geschlossne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik (1800)
  • Die Bestimmung des Menschen (1800)
  • Friedrich Nicolai's Leben und sonderbare Meinungen (1801)
  • Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806)
  • Die Anweisung zum seligen Leben, oder auch die Religionslehre (1806)
  • Reden an die deutsche Nation (1807/1808)
  • Das System der Rechtslehre (1812)
  • Reinhard Lauth u.a. (Hgg.): Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Stuttgart- Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1961 - Heute ISBN 3-7728-0138-2

Beitrag zur Französische Revolution (1793)

Sein Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution, 1793, strotzt von Antisemitismus. Das Judentum sei ein Staat im Staate, die Juden körperlich schlaff, sie hätten einen egoistischen Handelsgeist. Sie würden die (übrigen) Bürger ökonomisch ausplündern, deshalb dürften ihnen keine Bürgerrechte zustehen. Um sich davor „zu schützen“ sei es besser, sie in „ihr gelobtes Land“ zu deportieren:

„Zwinge keinen Juden wider seinen Willen, und leide nicht, daß es geschehe, wo du der Nächste bist, der es hindern kann; das bist du ihm schlechterdings schuldig. Wenn du gestern gegessen hast, und hungerst wieder, und hast nur auf heute Brot, so gib's dem Juden, der neben dir hungert, wenn er gestern nicht gegessen hat, und du tust sehr wohl daran. – Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein Mittel, als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden, und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei. Um uns vor ihnen zu schützen, dazu sehe ich wieder kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern, und sie alle dahin zu schicken.“

Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution: siehe Weblinks

Im Kontext des Ersten Weltkrieges gewannen sowohl die Grundzüge als auch die Reden Fichtes erneut an Bedeutung, indem sie in den Dienst des nationalen Pathos und der Judenhetze gestellt wurden.

Siehe auch: Neufichteanismus.

Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806)

In den Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters entwickelt Fichte Ansichten zu einer Geschichtsphilosophie. Im Vordergrund steht eine Unterteilung der Geschichte in fünf Epochen, wobei Fichte seine eigene Epoche als das "Zeitalter der vollendeten Sündhaftigkeit" verstand, während die Grundzüge die künftigen Epochen einleiten sollten. Diese Epochenentwicklung vollziehe sich in folgenden Stufen: 1. Instinktive Vernunft; 2. Äußerlich erzwungene, jedoch nicht überzeugende Autorität; 3. Emanzipation von jeder äußeren Autorität ("vollendete Sündhaftigkeit"); 4. Rückkehr der freien, innerlichen Vernunft und 5. Verwirklichung der freien, innerlichen Vernunft in allen äußeren Lebensbereichen.

Reden an die deutsche Nation (1808)

Die Reden an die deutsche Nation verstehen sich als Fortsetzung der Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters. In den Reden ruft Fichte im Bereich der Bildung zu einer Nationalerziehung nach Pestalozzischem Vorbild auf, die das menschliche Verhältnis zur Freiheit in der Vernunft- und Werterziehung verankern soll.

Literatur

  • Fichte, Johann Gottlieb, in: Meyers Konversationslexikon, 4. Auflage 1888-90, Band 6, S. 234
  • Wolfgang Janke: Fichte, Johann Gottlieb. In: Theologische Realenzyklopädie 11 (1983), S. 157-171
  • Hans Michael Baumgartner, Wilhelm G. Jacobs: J.-G.-Fichte-Bibliographie. Frommann, Stuttgart 1968
  • Erich Fuchs (Hrsg.): J. G. Fichte im Gespräch. Berichte der Zeitgenossen. 6 Bände. Fromann-Holzboog, Stuttgart 1978-1991, ISBN 3-7728-0707-0
  • Wilhelm G. Jacobs: Johann Gottlieb Fichte. 3. Auflage. Rowohlt, Reinbek 1998, ISBN 3-499-50336-0
  • Hans Schulz: Fichte und Biester. Herausgegeben anlässlich der Zweihundertjahr-Feier der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung vaterländischer Sprache und Altertümer. Limitierte Auflage, Leipzig 1927
  • Helmut Seidel: Johann Gottlieb Fichte zur Einführung. Junius, Hamburg 1997, ISBN 3885069571
  • Hansjürgen Verweyen: Einleitung zu: J.G. Fichte: Die Bestimmung des Menschen. Auf der Grundlage der Ausgabe von F. Medicus rev. von H. D. Brandt. Hamburg: Meiner 2000. ISBN 3-7873-1449-0
  • Hans-Joachim Becker: Fichtes Idee der Nation und das Judentum, Rodopi, Amsterdam 2000. ISBN 9042015020.