Skeptizismus
Der Skeptizismus (von griechisch σκεπτικός, skeptikós - der Skeptiker) ist eine erkenntnistheoretische Strömung, nach der weder der Verstand (Rationalismus) noch die Erfahrung oder Wahrnehmung (Empirismus) unfehlbare Erkenntnis liefern können. Er weist Ähnlichkeiten zum Agnostizismus auf, radikal angewendet auch zum Nihilismus. Skeptizismu hinterfragt jede festgelegte Weltanschauung, vor Allem solche mit dogmatischer oder fundamentalistischer Auslegung.
Der Skeptizismus vertritt insbesondere den Standpunkt, dass zum Beweis einer Hypothese stets grundlegendere Erkenntnisse herangezogen werden müssen. Dadurch komme man zu einer unendlichen Reihe von Beweisen, deren Boden nicht zu ergründen sei. Im Gegensatz zu den Empirikern, Rationalisten und Realisten nehmen die Skeptiker also nicht an, dass es grundlegende Wahrheiten (d.h. Evidenzen) gäbe, die keines Beweises bedürfen.
Geschichte
Antike
Mit der ironischerweise dogmatischen Behauptung des Parmenides von Elea, die allgemeine Wahrnehmung der Realität sei grundsätzlich falsch, und dem daraus abgeleiteten Versuch durch Zenon von Elea, die offensichtliche Fehlerhaftigkeit aller Aussagen über Sein und Zeit argumentativ nachzuweisen, beginnt das skeptische Denken in Europa.
In der Zeit des Untergangs der griechischen Stadtstaaten lehrte der Begründer des antiken Skeptizismus, Pyrrhon von Elis, dass die Dinge völlig unerkennbar seien und man auf jedes Wissen, jedes Urteilen über sie verzichten müsse; deshalb wird der Erkenntnisskeptizismus manchmal auch als "Pyrrhonismus" bezeichnet.
Als das Römische Reich den Höhepunkt seiner Entwicklung überschritten hatte, erlebten Skeptizismus und Agnostizismus eine erneute Blüte, z.B. in den Werken des Sextus Empiricus. Er behauptete, dass der Mensch für seine Urteile keinerlei Anspruch auf Wahrheit erheben könne und deshalb feste, auf Wissen begründete Überzeugungen unmöglich, ja sogar schädlich seien.
* Vgl. ancient skepticism. Eintrag in Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
Mittelalter
Die Scholastik erzwang mit ihrer zunehmend aussichtslosen Bemühung, theologische Offenbarung und antike philosophische Überlieferung zur Deckung zu bringen, skeptische Denkansätze, die aber meist, gebrandmarkt als Häresie, unmittelbar folgenlos bleiben mussten. Erst mit Humanismus und Renaissance, deren Entstehung selbst als skeptischer Prozess verstanden werden können, fanden Fundamentalskeptiker wie Francisco Sanchez (Quod nihil scitur, 1581) begrenzte Öffentlichkeit.
David Hume
In der neueren Philosophie wurde der Skeptizismus vor allem von David Hume systematisch begründet. Die Vertreter des Skeptizismus gewannen größeren Einfluss, als das englische Bürgertum nach der Revolution mit der Aristokratie einen historischen Kompromiss einging. In seinem erkenntnistheoretischen Hauptwerk An Enquiry Concerning Human Understanding (Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand) (1748) legte Hume - anknüpfend an den Sensualismus John Lockes - dar, dass alle Bewusstseinsinhalte des Menschen auf sinnlichen Wahrnehmungen beruhen und alles Erkennen nur in Verknüpfungen von Bewusstseinsinhalten bestehe, von denen der Mensch nicht wissen könnte, ob ihnen in der Wirklichkeit etwas entspreche.
Er bestritt den objektiv-realen Charakter der Kausalzusammenhänge und betrachtete sie nur als ein subjektiv-psychologisches Ordnungsprinzip (siehe Kausalität). Nur für die mathematischen Beziehungen, die nach seiner Meinung "durch die reine Tätigkeit des Denken zu entdecken" sind, erkannte er Notwendigkeit und Gewissheit an, während "alle Ableitungen aus Erfahrungen....Wirkung der Gewohnheit" seien. So war für Hume schließlich "die Betrachtung der menschlichen Blindheit und Schwäche das Ergebnis aller Philosophie". Hume gründet seine Erkenntnistheorie auf die Behauptung, dass dem Verstand nie etwas anderes gegenwärtig sei als Sinneseindrücke (impressions). Aus diesem Grunde sei die Existenz materieller Dinge außerhalb des Bewusstseins, die objektive Realität überhaupt, nichts weiter als die Annahme, die sich aus Gewohnheit herleite. Hieraus ergebe sich - theoretisch - die Zweifelhaftigkeit der Existenz materieller Dinge und damit zugleich ihre Nichterkennbarkeit.
Immanuel Kant
Eine abgewandelte Form des Agnostizismus schuf Immanuel Kant durch seine Lehre vom unerkennbaren "Ding an sich" (siehe auch Beziehung von Ding an sich und Erscheinung). Im Unterschied zu Hume anerkannte Kant zwar die objektive Existenz der "Dinge an sich" außerhalb des menschlichen Bewusstseins, aber für ihn lag eine unüberschreitbare Kluft zwischen objektiver Realität und der Welt der Erscheinungen. Ähnlich wie Hume sprach Kant nur dem mathematischen Wissen wahrhaft wissenschaftlichen Charakter zu, weil allein dort absolute Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit herrsche, während alles empirische, auf Erfahrung basierende Wissen nur relativ, nicht unbedingt zuverlässig sei und sich nur auf die durch die Fähigkeiten der Sinnesorgane des Menschen mitbestimmten Erscheinungen beschränke.
Gegenwart
Skeptische bzw. agnostische Ansichten gegenwärtiger Erkenntnistheorie, die an die Gedanken Humes und Kants anknüpfen sind z.B. im Neukantianismus zu finden. Als Erkenntnis dürfe nur ein solches Wissen bezeichnet werden, das absolut wahr, unwiderlegbar und unbezweifelbar sei. Da aber alle unsere Kenntnisse historisch relativ, von den konkreten geschichtlichen Bedingungen des Erkenntnisprozesses abhängig sind, seien echte Erkenntnisse nicht möglich.
In die gleiche Richtung zielt auch die These von Leonard Nelson, (Über das sogenannte Erkenntnisproblem, Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie), dass jede Anerkennung einer Erkenntnis bereits ein Kriterium für deren Wahrheit voraussetze, das entweder selbst bereits eine Erkenntnis oder als richtig und anwendbar erkannt sein müsse. Dies führe zu einem inneren Widerspruch, zu einem unendlichen Regress (regressus ad infinitum). Besonders von neopositivistisch orientierten Erkenntnistheoretikern wird das "Nelsonsche Paradoxon" häufig als Stütze für ihre agnostizistischen Auffassungen und als Beweis dafür verwendet, dass man den Erkenntnisbegriff willkürlich festlegen könne.
Ein weiterer Weg, den Skeptizismus wissenschaftlich zu begründen, besteht in der Beurteilung bestimmter Ergebnisse im Bereich der physikalischen Messungen. So wird z.B. aus dem Umstand, dass aufgrund der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit bestimmte Raum-Zeit-Bereiche nicht zugänglich, das heißt nicht messbar sind, geschlossen, dass die Welt nicht durchschaubar ist. Ebenso werden die Auswirkungen des sogenannten Rauschpegels, besonders bei elektronischen Geräten, durch die bestimmte Grenzen für die Nachweisbarkeit von Signalen gegeben sind, als Widerlegung der These von der Erkennbarkeit der Welt dargestellt.
Dagegen wird eingewendet, dass daraus allenfalls eine Kritik am Rationalismus folge, der alles für vom Menschen erkennbar hält. Entsprechend realistischer Auffassung und nach Ansicht vieler Skeptiker sind jedoch sowohl Erkenntnisse als auch Unerkennbares auf der Mikroebene festzumachen. Die sog. Weltformel bzw. eine zur absoluten Wahrheit führende Epistemologie muss nach Auffassung der überwiegenden Mehrheit der Wissenschaftler Utopie bleiben.
Kritik und Skepsis am (Begriff) Skeptizismus
Insofern dass der moderne Skeptizismus (seit den 60ern vertreten durch diverse Skeptiker-Organisationen) nur die kritische Prüfung von Hypothesen fordert und nicht die Möglichkeit von Erkenntnis insgesamt verneint, erscheint vielen die schlichte Bezeichnung Skepsis angemessener. Das Ideal der kritischen Hinterfragung aller - alter wie auch neuer - Aussagen und Behauptungen wird jedoch seit den Anfängen von nahezu allen Wissenschaftsdisziplinen angestrebt. Demnach darf eine Behauptung nur als bewiesen angesehen werden, wenn rationale, stichhaltige Argumente für sie vorliegen. Zwar bedeutet das kritische Hinterfragen das ideale Vorgehen für einen überzeugten Wissenschaftler, der jedoch auch bereit sein muss, die potentielle Gefahr eines Irrtums einzuräumen und bestenfalls zu (er)kennen und sich der möglichen Selbstüberschätzung und der eigenen Unfähigkeit bewusst sein muss, alles ergründen zu können.
Zum Ismus wird Skepsis dann, wenn alles bezweifelt wird. Skeptiker berufen sich hingegen auf Descartes Postulat: Wer zweifelt, ist (sich) sicher, dass er ist. Die Selbstwidersprüchlichkeit des Skeptizismus ist in der Philosophie ebensolange bekannt wie die des Relativismus und des Nihilismus.
Die Verwendung von umstrittenen Begriffen wie etwa Pseudowissenschaft, an deren vorwiegend agitativer Verbreitung die US-amerikanische Skeptiker-Organisation CSICOP (WP:en) und u. a. deren deutsche Schwestergesellschaft GWUP mit teils abwertender und ausschließender Absicht mitgewirkt hätten, sei aus kritischer Sicht grundsätzlich fragwürdig. “Hohlen Phrasen“ und Kampfbegriffen dieser Art sprechen beispielsweise der Wissenschaftstheoretiker Larry Laudan und der Soziologe Edgar Wunder lediglich emotionales Gewicht, doch kein analytisches Gehalt zu.
Dem Rechnung tragend münzte der US-Amerikaner Dr. Ed Storms anlässslich der Dritten Internationalen Konferenz über Kalte Kernfusion (ICCF3) in Nagoya, Japan im Oktober 1992 den klinisch nicht relevanten (Kampf)begriff “pathologischer Skeptizismus“ (WP:en). Etwa zeitgleich Anfang der 90er hatte der Soziologieprofessor Marcello Truzzi † (WP:en), ein ehemaliges Gründungsmitglied der führenden US-amerikanischen Skeptiker-Organisation CSICOP im Hinblick auf deren ausweisende Tendenzen gegenüber Meta-, Para- und Pseudowissenschaften vom “Pseudo-Skeptizismus“ gesprochen, den so mancher Naturwissenschaftler praktiziere, der zwar statuieren könne, was empirisch unwahrscheinlich sei, nicht jedoch, was empirisch unmöglich ist. [1] Im Zuge einer vereinsinternen Auseinandersetzung innerhalb der GWUP verließen 1999 der Mitbegründer und damalige Redaktionsleiter von deren Publikationsorgan Skeptiker Edgar Wunder und andere Mitglieder die führende deutsche Skeptiker-Organisation. Umgestiegen auf die “Gesellschaft für Anomalistik“ prägte Wunder im Rahmen einer GWUP-kritischen Analyse schließlich den Begriff “Skeptizismus-Syndrom“. [2]
Quellen
- ↑ Marcello Truzzi: Über den Pseudo-Skeptizismus
- ↑ Edgar Wunder: Das Skeptiker-Syndrom
Literatur
- Annas, Julia / Barnes, Jonathan, The Modes of Scepticism. Ancient Texts and Modern Interpretations, Cambridge 1985.
- Brochard, Victor, Les sceptiques grecs, Paris 21932.
- Engstler, Achim, Skepsis und Wege zum Wissen. Grundpositionen von Pyrrhon bis Hegel, Würzburg 2002.
- Gigerenzer, Gerd: Das Einmaleins der Skepsis. Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken. Berlin Verlag 2002
- Goedeckemeyer, Albert, Die Geschichte des griechischen Skeptizismus, Leipzig 1905, Nachdruck Aalen 1968.
- Löwith, Karl, Wissen, Glaube und Skepsis. Zur Kritik von Religion und Theologie, Sämtliche Schriften, Bd.3, Stuttgart 1990
- Popkin, Richard H.: The History of Scepticism from Savonarola to Bayle, Revised and expanded edition, Oxford u.a. 2003.
- Ricken, Friedo, Antike Skeptiker, München 1994.
- Sommer, Andreas Urs, Die Kunst des Zweifelns. Anleitung zum skeptischen Philosophieren, München 2005.
- Weischedel, Wilhelm, Skeptische Ethik, Frankfurt am Main 1980.
- Williams, Michael (Hrsg.): Scepticism, Aldershot 1993.
Weblinks
- Eintrag in Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
- Lexikon der Philosophie: Skeptizismus
- Skeptiker Homepage der GWUP
- Committee for the Scientific Investigation of Claims of the Paranormal CSICOP USA (engl.)
- The Skeptic's Dictionary Homepage von Skepdic.com USA (englisch)
Weblinks (kritisch - vergleichend)
- Gesellschaft für Anomalistik
- Skeptiszismus.de Zusätzliche Webseite der Gesellschaft für Anomalistik beleuchtet Skeptiker-Organisationen.
- Sceptical Investigations GB (engl.)
- Skeptizismus und Esoterik: Gegenpole oder Geschwister? Diskurs zwischen Dr. Elke Stangl und Claus Fritzsche, 2002-2005