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Lotte Hahm

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Charlotte „Lotte“ Hedwig Hahm (* 23. Mai 1890 in Dresden; † 17. August 1967 in Berlin) war eine prominente Aktivistin der Lesbenbewegung in Berlin zur Zeit der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und nach 1945 in der Bundesrepublik.

Hahm setzte sich für die Organisierung lesbischer Frauen und die Verbesserung ihrer sozialen Lage ein. Besonders bekannt war sie für ihre veranstalterische Tätigkeit, gemeinsam mit Käthe Reinhardt betrieb sie in den 1920er Jahren die größten lesbischen Klubs der Zeit mit bis zu 2000 Mitgliedern und 500 Teilnehmerinnen sowie verschiedene Lokale. Daneben verfasste sie Artikel, veranstaltete Vorträge, Lesungen und Ausflüge und unterstützte die Gründung lesbischer Strukturen in anderen Städten. 1929 war sie Mitgründerin der „Transvestitenvereinigung D’Eon“, der ersten deutschen Organisation von Transpersonen.

Weimarer Republik

Hahm wurde 1890 in Dresden geboren, wo sie noch 1920 eine Versandbuchhandlung betrieb.[1] In der ersten Hälfte der 1920er Jahre kam sie nach Berlin, wo sie ab 1926 als lesbische Aktivistin in Erscheinung trat. Von besonderer Bedeutung für die lesbische Szene der Stadt war ihre Gründung des „Damenklubs Violetta“, der mit bis zu rund 400 Teilnehmerinnen einer der größten lesbischen Klubs der Stadt war.[2] Der Klub war assoziiert mit dem Deutschen Freundschaftsverband, einer der großen Homosexuellenorganisationen der Zeit.[3]

Im Jahr 1929 vereinigte sich der Klub mit Käthe Reinhardts Klub „Monbijou“, im Zuge dessen wechselten Hahm und Reinhardt zur größeren Konkurrenzorganisation, dem Bund für Menschenrecht. Der Zusammenschluss der beiden großen Klubs und der Wechsel erregten großes Aufsehen in der lesbischen Szene der Zeit, in der Frauenliebe und dem DFV war von Verrat und Intrige die Rede. Zur Begründung schrieb Hahm, dass es als „grotesk“ empfunden worden wäre, dass „ein heterosexueller Mann ausgerechnet der Führer der homosexuellen Frauen sein sollte“ und zum anderen von finanziellen Unregelmäßigkeiten bei Bergmann. Sie resümierte, „daß es endlich an der Zeit sei, daß Karl Bergmann, der den Damenklub Monbijou nur zur Ausnutzung für seine persönlichen Zwecke gegründet hat, verschwindet.“[3]

Zwischen 1926 und 1929 lernte Hahm auch die zehn Jahre jüngere Käthe Fleischmann kennen, ihre langjährige Lebenspartnerin. Die Gastronomin und Lokalinhaberin, verheiratet und Mutter zweier Söhne, ließ sich 1929 scheiden und unterstützte Hahm dabei, die beiden lesbischen Lokale „Monokel-Diele“ und „Manuela-Bar“ zu eröffnen und zu betreiben.[4]

Nationalsozialismus

Als Jüdin erfuhr Fleischmann bereits seit Herbst 1932 wiederholt Störungen ihrer Lokale durch die SA, die im Rahmen antisemitischer Entrechtung durch den Staat in letzter Konsequenz dazu führten, dass Fleischmann ihre Lokale zu einem Schleuderpreis abgeben musste.[4] 1933 wurden dann alle lesbischen Lokale durch die Nationalsozialisten geschlossen, Zeitschriften verboten, offene Veranstaltungen wie bisher waren nicht mehr möglich, sodass auch Hahm nicht mehr arbeiten konnte.

Trotz der damit verbundenen Risiken bemühte Hahm sich nun gemeinsam mit Fleischmann, weiter Orte lesbischer Subkultur anzubieten. Den Damenklub „Violetta“ tauften sie verschleiernd in „Sportclub Sonne“ um, dessen Veranstaltungen bis zum Dezember 1934 im Jüdischen Logenhaus in der Joachimsthaler Straße 13 (heute die Zentrale Orthodoxe Synagoge Berlin) und 1935 in der Berliner Straße 53 stattfanden. Nach einer Denunziation[4] beobachteten am 17. Juli 1935 Beamte der Polizei und der Reichsmusikkammer dort rund 65 Frauen, bei der nachfolgenden Razzia am 24. Juli wurden 54 Frauen namentlich erfasst, weitere Veranstaltungen des Clubs wurden verboten.[3]

Hahm wurde bei dieser Veranstaltung nicht angetroffen, da sie sich laut Aussage ihrer Vertreterin in Hiddensee aufhielt, laut Aktennotiz „bekannt als Treffpunkt homos. Frauen“.[3] Dort eröffnete sie eine Pension, wahrscheinlich für lesbische Frauen.[4]

Ihr weiterer Lebenslauf im Nationalsozialismus ist nur schlecht dokumentiert und teils widersprüchlich. Möglicherweise geriet Hahm 1933 erstmals ins Blickfeld der Nationalsozialisten, laut dem Bericht einer Zeitzeugin wurde sie verhaftet, als sie vom Vater einer Freundin wegen der Verführung Minderjähriger angezeigt wurde.[3]

Gesichert ist, dass sie Anfang 1935 in das Konzentrationslager Moringen eingeliefert wurde, Akten von dort existieren jedoch nicht mehr. Mitgefangenen berichtete sie, dass sie ein Unbekannter am Alexanderplatz bat, auf seinen Koffer aufzupassen. Die Gestapo habe den Koffer durchsucht, kommunistisches Material darin gefunden und sie daraufhin verhaftet. Im Lager hat sich Hahm einer kommunistischen Gruppe angeschlossen, vermutlich wurde sie gefoltert. Über ihre Erlebnisse im KZ hat Hahm auch nach dem Zweiten Weltkrieg geschwiegen.[2]

Spätestens 1937 war Hahm dann wieder frei und arbeitete im Großraum Berlin als Textilhändlerin. Ihr Erfolg war gering, aus Geldmangel prellte sie ihren Fahrer um seinen Lohn, der sie wegen Betrugs verklagte. Hahm wurde zu einer Geld- und Haftstrafe verurteilt, letztere musste sie vermutlich nicht antreten.[4]

Mindestens 1939 knüpfte Hahm wieder an ihre früheren Aktivitäten an und gründete am Alexanderplatz im ersten Stock des Lehrervereinshauses[5] erneut einen lesbischen Treffpunkt, der allerdings nur von kurzer Dauer war.[2]

Fleischmann blieb im Verborgenen als Gastronomin aktiv, trotz der lebensgefährlichen Situation für sie. 1938 wurde sie zu Zwangsarbeit verurteilt, 1941 konnte sie fliehen und überlebte in wechselnden Verstecken, unterstützt von Hahm.[4]

Nachkriegszeit

Unmittelbar nach Kriegsende begann Hahm 1945 wieder gemeinsam mit Käthe Reinhardt aktiv zu werden. In der „Zauberflöte“ versuchten sie Bälle zu veranstalten, später wichen sie in die Oranienstraße 162 aus.[3] Im selben Jahr eröffneten Hahm und Reinhardt ein Lokal für lesbische Frauen in der Nähe des Alexanderplatzes, der Name und genaue Ort ist unbekannt. Das Lokal existierte von 1945 bis 1947 für rund eineinhalb Jahre und war damit das erste Lesben-Lokal Ost-Berlins.[6] In den 1950er Jahren lebte Hahm in der Potsdamer Straße 181.[7] 1958 war Hahm an der Neugründung des Bundes für Menschenrecht beteiligt, die jedoch scheiterte.[2]

Spätestens Ende der 1950er Jahre trennten sich Hahm und Fleischmann. In den 1960er Jahren wurde Fleischmann gefragt, ob sie einer offiziellen Ehrung Lotte Hahms für ihre Unterstützung während der NS-Zeit zustimme. Fleischmann verneinte mit der Begründung, dass sie sich im Stich gelassen fühle. 1967 starb Fleischmann in Berlin-Schöneberg, Hahm im August desselben Jahres in Berlin-Wannsee.[4]

Rezeption

Schon zeitgenössisch wurde Lotte Hahms Arbeit sehr geschätzt. Franz Scott sah Hahm im Rückblick Anfang der 1930er Jahre neben Selli Engler und der nur pseudonym bekannten Charly als eine wichtige Persönlichkeit der ersten Lesbenbewegung.[8] Bereits zum ersten Jubiläum des Klub Violetta erschienen zwei Gedichte in der Frauenliebe, eines von einer Käthe, in dem die Autorin schrieb: „So wie Du führst, stärkt sich Deine Macht,/wie ich Dich kenne, bist Du drauf bedacht,/den Klub zur vollsten Größe durchzubringen,/[...] So wird der Klub stets blühen und gedeihn,/und Du Geliebte, sollst der Führer sein.“[9] Zum selben Anlass schrieb Selli Engler: „Du. die durch edlen ernsten Fleiß ein Heim uns hast bereitet,/und die mit stolzer freier Stirn kraftvoll nur vorwärts schreitet,/Du sollst uns weiter Führer sein, Dir wollen wir vertrauen,/und auch Dein großes, hehres Werk Dir helfen auszubauen.[...] Drum, Führer, weise uns den Weg zum Guten und zum Glücke,/und bau mit uns zu aller Welt nun eine feste Brücke.“[10].

Hahm wird heute für ihre aktivistische Tätigkeit als eine der "wichtigsten Aktivistinnen der homosexuellen Subkultur insbesondere in Berlin" und "eine bedeutsame Vorkämpferin* für die Organisierung homosexueller Frauen und »Transvestiten« während der Weimarer Republik." gewürdigt. Hervorgehoben wird dabei ihr "organisatorisches Geschick, unermüdliche Energie und [..] viel Mut.[11]

Einzelnachweise

  1. Annemarie Niering: Aus den Regalen des Dresdner Stadtarchivs: Der „Damenklub Violetta“, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 16. Januar 2019, abgerufen am 19. April 2020
  2. a b c d Claudia Schoppmann: Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualität. 2. Auflage, 1997, ISBN 3-86226853-5
  3. a b c d e f Jens Dobler: Von anderen Ufern: Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Kreuzberg und Friedrichshain. 2003, ISBN 978-3-86187-298-6, S. 104–115
  4. a b c d e f g Ingeborg Boxhammer, Christiane Leidinger: Die Szenegröße und Aktivistin Lotte Hahm, in: Wir* hier! Lesbisch, schwul und trans* zwischen Hiddensee und Ludwigslust, 2019, PDF online
  5. Heike Schader: Lotte (Charlotte) Hahm (1890 - 1967). In: Ingeborg Boxhammer, Christiane Leidinger (Hrsgg.): Online-Projekt Lesbengeschichte. Berlin 2008 (lfd.), [1], Zugriff am 7. Juni 2020.
  6. Christiane Leidinger: Lesbische Existenz 1945–1969 : Aspekte der Erforschung gesellschaftlicher Ausgrenzung und Diskriminierung lesbischer Frauen mit Schwerpunkt auf Lebenssituationen, Diskriminierungs- und Emanzipationserfahrungen in der frühen Bundesrepublik (= Veröffentlichungen des Fachbereichs für die Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI). Band 34). Hrsg.: Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Berlin 2015, ISBN 978-3-9816391-5-5, S. 45.
  7. Persönlichkeiten in Berlin 1825–2006 – Erinnerungen an Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen. Hrsg.: Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Berlin 2015, ISBN 978-3-9816391-3-1.
  8. Heike Schader: Virile, Vamps und wilde Veilchen – Sexualität, Begehren und Erotik in den Zeitschriften homosexueller Frauen im Berlin der 1920er Jahre. 2004, ISBN 3-89741-157-1, S. 74–76.
  9. Käthe: Lotte! In: Frauenliebe, 1927, 2. Jahrgang Nr. 51, S. 8
  10. Selli Engler: An meine liebe Charlotte Hahm zum 1. Stiftungsfest des Damenklubs Violetta. In: Frauenliebe, 1927, 2. Jahrgang Nr. 51, S. 8
  11. Persönlichkeiten in Berlin 1825–2006 – Erinnerungen an Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen. Hrsg.: Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen. Berlin 2015, ISBN 978-3-9816391-3-1.