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Autonome

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Beispiel eines Symbols, das oft in der autonomen Bewegung benutzt wird. Offizielle, einheitliche Symbole gibt es bei Autonomen jedoch nicht.

Als Autonome oder autonome Gruppen werden umgangssprachlich Mitglieder bestimmter unabhängiger radikal-libertärer beziehungsweise anarchistischer Bewegungen bezeichnet.

Autonome Gruppen sind weder parteipolitisch noch sonst formal als Vereine organisiert. Untereinander bestehen lose Verbindungen und Netzwerke. Die Autonomen streben danach, auch unabhängig der bestehenden Gesellschaftsordnung, selbstbestimmte Freiräume zu schaffen. Dogmatische Etikettierungen werden von ihnen in der Regel abgelehnt. Im Überblick betrachtet, verfolgen sie antiautoritäre, sozialrevolutionäre und dem Anarchismus nahe stehende Ideale. Im Gegensatz zu der italienischen Autonomen Bewegung (Autonomia) spielen Konzepte und Praktiken des Operaismus keine primäre Rolle.

Geschichte der Autonomen in Deutschland

Die Autonomen gingen aus der Tradition bestimmter Teile der APO während der Studentenbewegung Ende der 1960er Jahre hervor. Die Neue Linke, die so genannte „Spontibewegung“ und Aktionen der „Spaßguerilla“, beispielsweise von Mitgliedern der Kommune 1 in Westberlin übten einen wesentlichen Einfluss auf Inhalte und Aktionen der deutschen Autonomen aus.

In den 1970er Jahren waren es vor allem auch Autonome, die im Ruf standen, linksterroristische Gruppen wie die RAF, die Bewegung 2. Juni und besonders die Revolutionären Zellen (RZ) und andere zu unterstützen oder mit ihnen zu sympathisieren. Tatsächlich gab es im Netzwerk der RZ eine Fraktion (insbesondere in West-Berlin), die sich selbst als sozialrevolutionär begriff und deren Mitglieder den Autonomen zugerechnet wurden.

Die ersten Zusammenhänge und Aktivitäten, bei denen sich selbst im auch heute noch gebräuchlichen Sinn als „autonom“ bezeichnende Gruppen auftraten, fielen zunehmend ab 1980 auf, vor allem in den Großstädten des nördlichen Westdeutschlands und in West-Berlin. Das erste Autonomen-Plenum bildete sich im Sommer 1980 in Berlin.Der 6.Mai 1980 ist ein wichtiges Datum in der Geschichte der Autonomen und wird von vielen als Gründungsdatum gesehen: in Bremen fand eine Rekrutenvereidigung im Weserstadion statt, wogegen es massive Proteste und heftige Ausschreitungen gab. Tausende Militarismus-Gegner (unter ihnen auch der langjährige Bremer Bürgermeister Henning Scherf , damals noch aktiver Pazifist) , unter ihnen grosse Gruppen Militanter setzten sich gegen massiven Polizeieinsatz zur Wehr.

Datei:Plakat gegen Castortransporte 01 KMJ.jpg
Aufruf/Plakat von autonomen Gruppen gegen Castortransporte 2004.

Zwischen den 1970er und 1990er Jahren bis in die Gegenwart nahmen und nehmen autonome Gruppen oft an Demonstrationen und Aktionen der neuen Sozialen Bewegungen teil, beispielsweise der Friedensbewegung oder der Anti Atomkraft-Bewegung. Massiver beteiligt waren sie zum Beispiel unter anderem an den Auseinandersetzungen und dem Widerstand gegen das Kernkraftwerk Brokdorf um 1981, die geplante Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf bis 1986, gegen den Bau der Startbahn West in Frankfurt am Main in den 1980er Jahren. Bis in die Gegenwart beteiligen sich auch viele Autonome an den Aktionen zur Behinderung der Castor-Transporte aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage in La Hague ins deutsche Endlager in Gorleben.

Je nach Zielsetzung und Inhalt der Aktionen sind Autonome von den Organisatoren der jeweiligen Demonstrationen und Aktionen mal willkommen und mal unerwünscht. Umstritten ist die Militanz einiger Autonomer bzw. deren Bereitschaft, je nach Eskalationsphase einer Demonstration oder einer anderen politischen Aktion auch Gewalt, etwa in Form von Wurfgeschossen (Steinen, Farbeiern u.a.) oder Schlägereien usw. gegen ihre Gegner, gegebenenfalls auch gegen die polizeiliche Staatsgewalt, anzuwenden.

Demonstration von Autonomen im Schwarzen Block

Um nicht erkannt zu werden, treten Mitglieder der autonomen Gruppen immer wieder geballt in Teilgruppen und vermummt als so genannter Schwarzer Block (wegen der bevorzugten schwarzen Kleidung) bei Demonstrationen auf. Der Begriff "Schwarzer Block" wird dabei von den Autonomen selbst nur ungern oder allenfalls ironisch verwendet. Geprägt hatte ihn im Jahr 1981 die Frankfurter Staatsanwaltschaft, die zahlreiche Autonome wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung namens 'Schwarzer Block'" vor Gericht bringen wollte. Das uniforme Auftreten in geschlossenen Reihen und als ein nach außen abgesicherter Block setzte sich als Strategie gegen das Vorgehen der Sicherheitskräfte durch, seitdem Helm, Schienbeinschoner, Schutzbrille, Atemmaske usw. als Schutz vor Einsatzmitteln der Polizei vom Gesetzgeber als „passive Bewaffnung“ bei politischen Demonstrationen verboten wurden. Nicht nur die Identifizierung, sondern auch die Festnahme einzelner Mitglieder soll durch das Auftreten im Schwarzen Block erschwert werden.

Schwerpunktmässig von den Autonomen besetzte Aktionsfelder bilden in der neueren Gegenwart vor allem die Hausbesetzerbewegung mit Besetzungen leerstehender ungenutzter Wohnräume (Beispiel Hafenstraße in Hamburg), die Antifa (antifaschistische Gruppen mit Aktionen gegen den Rechtsextremismus), sowie die antirassistische Bewegung, beispielsweise mit Solidaritätsaktionen mit Immigranten – etwa unter dem Motto „kein mensch ist illegal“ .

Spaltung / Antisemitismus-Debatte

Die Autonomen waren seit ihren Anfängen stets ein Schmelztiegel verschiedener Fraktionen der radikalen, ausserpalamentarischen Linken. Je nach Region und Zeit dominierte dabei die eine oder andere Richtung. So waren z.B. zeitweise Gruppen die am Anarchosyndikalismus ausgerichtete waren dominant oder es bestimmten die RAF nahen „Antiimps“ (Kurzform für Antiimperialisten) die Autonomen stark. Die Autonomen waren schon immer eine sehr heterogene Bewegung - jedoch war es den verschieden politischen Spektren möglich miteinander zu streiten und sich oft dennoch auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen. Seit 2000 / 2001 (Beginn der 2.Intifada in Israel / Palästina und Terroranschläge des 11. September 2001) zeigen sich jedoch eine sehr deutliche Spaltungstendenzen in der autonomen Szene die dazu führte das heute nicht mehr von einer Autonomen Bewegung gesprochen werden kann. Ein gemeinsames Agieren als Bewegung ist nicht mehr möglich.

Die zwei gegensätzlichen Pole werden grob als „Antideutsche“ bzw. „Antiimps“ (Kurzform für Antiimperialisten) bezeichnet. Die Spaltung entzündete sich an der Debatte um innerlinken Antisemitismus und die Positionierung im Nahostkonflikt bzw. der Bewertung des 3. Golfkriegs.
Die Positionen sind dabei beiderseits äußerst verhärtet, so dass es bei Zusammenstößen beider Fraktionen auch schon zu körperlichen Auseinandersetzungen kam.

Das „antideutsche“ Lager tritt dabei für Solidarität mit Israel ein und bewertet oft auch die entsprechende Nahostpolitik der USA positiv. Diese Haltung speist sich vor allem aus der Kritik am fundamentalistischen Islamismus und den Selbstmordanschlägen, jedoch auch aus einem gerade für Deutsche historisch hergeleiteten moralischen Zurückhaltungsgebot gegenüber dem Staat Israel.

Die „Anti-Imps“ betrachten die Politik Israel und der USA von ihrem ideologischen Standpunkt aus an sich als imperialistisch und insofern – ebenfalls moralisch – als verbrecherisch. Sie solidarisieren sich im Allgemeinen mit dem „Befreiungskampf des Palästinensischen Volkes gegen die israelische Unterdrückung“.

Die meisten Antimperialisten (Szene-Jargon „Antiimps“) verstehen sich nicht als Autonome. Zentral für ihre Weltsicht ist die Annahme, dass der Reichtum der Industrienationen auf der Ausbeutung der drei Kontinente Südamerika, Afrika und Asien basiert und der Kapitalismus damit eine geostrategische Dimension bekommen hat: Da selbst die ärmsten Bewohner der Industriestaaten (die „Metropolen“) noch von der Ausbeutung der drei Kontinente (des „Trikont“) profitieren, gibt es in den Industrieländern kein objektives Proletariat mehr, das ein materielles Interesse an einer sozialen Revolution hat. Die Aufgabe der Revolutionäre sei es daher, Befreiungsbewegungen und sozialistische Regime in den Entwicklungsländern zu unterstützen und den Militärisch-industriellen Komplex in den Industrieländern durch Sabotage oder auch Intervention in politische Bewegungen wie Friedensbewegung o.ä. zu bekämpfen. Da Klassenkampf hier auf eine mehr oder weniger militärische Auseinandersetzung reduziert wird (Guerrillakrieg im Trikont als höchste Form des organisierten Klassenkampfs), ergibt sich eine gewisse geistige Nähe zur RAF (Rote Armee Fraktion), die ihre Mitglieder in der antiimperialistischen Szene rekrutierte, wobei aber keineswegs alle Antiimps oder deren Mehrheit mit der RAF sympathisierten. Demgegenüber bezeichnen Autonome, die von der Möglichkeit einer revolutionären Veränderung in den Industriestaaten ausgehen, sich als Sozialrevolutionäre (Sozrevs). Die Position der Antideutschen findet sich abgeschwächt bei den Antinationalisten, die jede Art von nationaler Identität als Ethnisierung eigentlich sozialer Gesellschaftsverhältnisse scharf ablehnen und im Unterschied zu den Antideutschen das Verdikt eines deutschen Antizionismus nicht mit einer positiven bzw. zurückhaltenden Beurteilung der US-Politik verbinden. Beide Strömungen gibt es sowohl innerhalb als auch außerhalb der autonomen Szene, z. B. ist die Zeitschrift konkret und auch die Jungle World stark von den antideutschen und antinationalen Diskussionsprozessen beeinflusst.

Die am Anarchosyndikalismus und Anarchismus orientierten Gruppen der Autonomen lehnen unterdessen die Verwendung von Nationalflaggen sowie Solidaritätsbekundungen für Nationen und/oder nationale Befreiungsbewegungen grundsätzlich ab, da sie Herrschaft und Unterdrückung als immanenten Bestandteil des Konstruktes Nation begreifen. Diese Spielart der Autonomen ist zahlenmaessig wahrscheinlich am staerksten und grenzt sich sowohl von Antiimperialisten als auch von Antideutschen ab.

Die hier nur angedeutete Problematik und diesbezügliche Positionen werden im Wikipedia-Artikel „Antideutsche“ ausführlicher behandelt, wo sich darüber hinaus auch weiterführende Links und Literaturtipps finden.

Theorie und Inhalte

Zu den am meisten diskutierten Inhalten in Autonomen Gruppen gehören die Frage von Selbstbestimmung und Militanz.

Im Verständnis der Autonomen ist es nicht möglich, letztlich autonom ( also selbstständig im Sinne von selbstbestimmt) und unabhängig zu sein. Jeder Mensch lebe in einem Geflecht von Abhängigkeiten, was für ein soziales Wesen auch normal sei. Das Hauptaugenmerk liege auf der Frage, inwieweit diese Abhängigkeiten fremd- oder selbstbestimmt seien, wobei angestrebt wird, möglichst ohne Fremdbestimmung leben zu können. Militanz wird in den Autonomen Gruppen im Wortsinn als „kämpferisch“, nicht als „militärisch“ verstanden. Gewalt als Selbstzweck oder als inhaltsleeres Ritual wird abgelehnt. Das Gewaltmonopol des Staates wird jedoch ebenso verneint.

Ziele militanter Aktionen waren und sind neben den beschriebenen Aktionsfeldern auch Sexshops, Veranstalter von Sextourismusreisen und ähnlichem (Sexismus), Ausländerbehörden (Rassismus), Schulungszentren und Treffpunkte von Nazis (Faschismus und Neofaschismus) oder auch einzelne Betriebe, die als besonders ausbeuterisch im Umgang mit Angestellten und/oder der Natur angesehen werden (Kapitalismus).

Zu den theoretischen Grundlagen der Autonomen zählt die „triple oppression“ (Rassismus, Sexismus und Klassismus, wie z.B. in „Drei zu eins“ von Klaus Viehmann beschrieben). Diese verwirft das Bild sozialistischer und kommunistischer Klassiker, nach denen im Kapitalismus der Hauptwiderspruch liege, und für die andere Formen von Ausbeutung und Unterdrückung wie Rassismus und Sexismus nur Nebenwidersprüche darstellten. Vielmehr sei jeder Mensch Teil eines Netzes aus allen drei Gewaltformen die sich nur, je nach Lebenssituation, unterschiedlich stark ausprägen. Seit einigen Jahren erfreut sich auch die Wertkritik steigender Beliebtheit in autonomen Kreisen.

Subkulturelle Einflüsse

Ab Anfang der 1980er Jahre übte die aufkommende subkulturelle Punkbewegung mit einer Lebensstil- und Musikrichtung, die sich gegen die kommerzialisierte Rock- und Popmusik ebenso wie gegen konventionelle Mode und Lebensstilrichtungen wandte, einen prägenden kulturellen Einfluss auf große Teile vor allem der noch relativ jungen Autonomen aus. Allerdings gab es immer auch Interessenskonflikte zwischen Punks und den von ihnen so bezeichneten „Automaten“. Während in Autonomen Zusammenhängen in der Regel auch theoretische und inhaltliche Diskurse anstehen, gelten Punks als eher theoriefeindlich. Während Autonome in der Regel Wert auf eine gewisse Disziplin legen (z.B. kein Alkohol bei Aktionen und Demonstrationen, keine sinnlose Gewalt, keine Duldung sexistischen Verhaltens …), gelten Punks oftmals als undiszipliniert und unkalkulierbar. So wird z.B. sexistisches Verhalten oftmals geduldet, ohne dass Punks jedoch generell als Sexisten zu betrachten sind.

Rationale linke Theorie verband sich mit einem „abgefahren-subversiven“ Humor, der in „Organisationen“ wie den Spontilisten Ausdruck fand, die in vielen Studentenparlamenten vertreten waren und Namen führten wie „Die Rebellen vom Liang Shiang Po“, LOLA (Liste ohne lästige Ansprüche) und WAHL-Liste (Wahrhaft Alternative Hochschulliste). Die autonome Gegenkultur zeichnete sich durch eine Vorliebe für „harte“ Musik (Punk, Heavy Metal), sexuelle Promiskuität und einen oft hohen Alkohol- und Drogenkonsum aus. In dieser Szene hatte sowohl die autonome Frauenbewegung, die Männerbewegung und die Schwulenbewegung ihre Wurzeln. Ende der 80er Jahre stiegen viele Frauen aus der „gemischten“ autonomen Szene aus. Das Thema „Sexismus“ gewann an Brisanz, nach dem viele Frauen die an ihnen in der Szene begangenen „sexualisierten Grenzüberschreitungen“ und Vergewaltigungen thematisierten und Konsequenzen einforderten bzw. zogen. So warfen die Frauen in Bochum die Männer nach einer „Sexismusdiskussion“ aus dem gemeinsamen „autonomen Zentrum“ heraus und erklärten dies zum „autonomen Frauenzentrum“. Oftmals spaltete sich in den stadtweit geführten „Sexismusdiskussionen“ die Szene. Von Seiten der Kritiker und Kritikerinnen der „autonomen FrauenLesben-Szene“ wurde ihnen moralischer Rigorismus vorgeworfen. Tatsächlich blieb die autonome Szene in dieser Frage sehr vielschichtig. So begingen autonome Schwule Anfang der 90er Jahre im Rahmen der „Tunten-Terror-Tour“ vor dem Dom in Fulda ein sogenanntes „Sex-In“. Parallel wurde Vegetarismus/Veganismus zu einem Thema für Teile der autonomen Szene. Hinsichtlich der politischen Militanz fand eine starke Fraktionierung statt: Die Einen hielten an behelmten und uniform vermummten Schwarzen Blöcken als genuin autonomer Demonstrationsform fest, die Anderen erklärten dies zu einem „ritualisierten Militanzfetisch“, hatten wie beispielsweise die münsteraner Kabarett-Gruppe Blarzer Schwock hierzu ein selbstironisches Verhältnis oder entwickelten neue Aktionsformen wie Pink Silver, beispielsweise vertreten von politischen Trommelgruppen wie Rhythms of Resistance.

Siehe auch

Alternativbewegung, Anarchismus, Neue soziale Bewegungen, Schwarzer Block

Literatur

Ein „harter Kern“ der deutschen Autonomen hat eigene politisch-historische Theorieansätze entwickelt, die besonders im Umfeld der bis 1998 in Hamburg ansässigen Stiftung für Sozialgeschichte Eingang in die Wissenschaftstheorie der Geschichtsforschung fanden, hier sind z.b. Karl Heinz Roth, Götz Aly und Susanne Heim zu verorten. Vgl. hierzu die Schriftenreihen „Materialien für einen neuen Antiimperialismus“ und „Autonomie Neue Folge“ sowie Detlef Hartmann „Leben als Sabotage“. Dieser intellektuelle Flügel der Autonomen versteht sich als Nachfolger des Operaismus.