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Schändung jüdischer Friedhöfe

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Schändung am jüdischen Friedhof in Chișinău (Moldawien) – Juni 2014
Schändung des jüdischen Friedhofs in Freudental (Kreis Ludwigsburg), 1. Oktober 2007
Antisemitisches Graffiti am jüdischen Friedhof in Katowice (Polen), 2015

Die Schändung jüdischer Friedhöfe ist ein besonders verwerflicher Ausdruck des Antisemitismus, der zeigen will, dass Juden auch im Tod keine Ruhe haben sollen. Friedhofsschändung bezeichnet das mutwillige Zerstören oder Beschädigen von Gräbern. Jüdische Friedhöfe werden weltweit geschändet. Mit Friedhofsschändungen wollen die Täter die Erinnerung zerstören, die symbolische Präsenz jüdischen Lebens tilgen und die Würde der wehrlosen Verstorbenen verletzen.[1]

Religiöser Hintergrund

Ein Grab auf einem jüdischen Friedhof (hebräisch בית-עולם Bejt ha-olam (Ewiges Haus) oder hebräisch בית קברות Bet ha-kwarot (Haus der Gräber)) ist für die Ewigkeit gedacht, was einem der fundamentalsten jüdischen Glaubensgrundsätze der Halacha entspricht. Die Erdbestattung ist vorgeschrieben und dauerhafte Totenruhe gilt als verbindlich. Anders als im Christentum darf eine Grabstätte nicht neu belegt werden. Eine Exhumierung oder Verlegung eines Grabes ist – von ganz besonderen Umständen abgesehen – nicht zulässig. Eine Störung der Totenruhe bewirkt in der jüdischen Gemeinschaft eine tiefe seelische Betroffenheit. Ein Grabstein (hebräisch מצבה Mazewa) symbolisiert die Verpflichtung, Verstorbene nicht zu vergessen.

Historie

Bereits bei Pogromen im Mittelalter wurden jüdische Friedhöfe verwüstet. So wurde beispielsweise bei Renovierungsarbeiten im September 2019 ein 700 Jahre alter jüdischer Grabstein (hebräisch מצבה Mazewa) in einer Wand in etwa drei Metern Höhe im Eingangsbereich des Sebalder Pfarrhofs in Nürnberg freigelegt. Bereits 1970 wurden die zu Treppenstufen in der Nürnberger Lorenzkirche umfunktionierten jüdischen Grabsteine aus dem 1367 zerstörten Friedhof gefunden.[2] Die meisten mittelalterlichen Friedhöfe wurden, wie die Juden selbst, Opfer der Verfolgung. Im Jahr 1520 wurde in Regensburg eine Kirche an Stelle der zerstörten Synagoge mit Grabsteinen aus dem jüdischen Friedhof gebaut. Grabsteine, die für den Bau von Kirchen, Stadtmauern und Ähnlichem verwendet wurden, hat man bereits im 19. Jahrhundert wiedergefunden, so in Breslau am Rathaus und Dom, in Erfurt 80 Stück, in Mainz 124, in Ulm 24, in Köln 36, in Speyer 38 und in Rothenburg 33.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden über 80 Prozent der damals etwa 1700 jüdischen Ruhestätten geschändet. Mit Grabsteinen jüdischer Gräber wurden Straßen gepflastert, wie beispielsweise in Krakau in der Lagerstraße des KZ Plaszow. Auch nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges gingen die Friedhofsschändungen in Deutschland weiter und machten Sicherheitsmaßnahmen nötig. Nach 1945 entbrannte ein heftiger, langjähriger Streit darüber, wer für den Wiederaufbau und die Pflege der jüdischen Friedhöfe finanziell zuständig sei.[3] Von 1945 bis 1989 gab es mindestens 1394 Übergriffe auf jüdische Friedhöfe in der BRD. Nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten sind von 1990 bis 2002 615 Schändungen jüdischer Friedhöfe in der Bundesrepublik dokumentiert, insgesamt demnach über 2000.[4]

1948 wurde Juden durch die Jordanier zum ersten Mal seit der Eroberung durch die Römer der Zutritt zur Altstadt Jerusalems einschließlich der Klagemauer und einschließlich des uralten Friedhofs am Ölberg verwehrt. 38.000 der insgesamt 50.000 Grabsteine auf dem Ölberg wurden in den Jahren 1948 bis 1967 – bis zur israelischen Eroberung Ostjerusalems im Sechstagekrieg – aus der Erde gerissen und zum Bau von Straßen und – nachweisbar – von Latrinen benutzt.[5] Arabische Einwohner haben die Grabsteine ausgegraben und das Gebiet des Friedhofs zerpflügt. Vier Straßen wurden durch die Friedhöfe gebahnt, wobei auch die Gräber von berühmten Personen zerstört wurden. Skelette wurden verstreut.[6]

Am 24. Dezember 1959 schändeten zwei junge Rechtsextreme aus den Reihen der schwarzweißroten Deutschen Reichspartei, Arnold Strunk und Franz Josef Schönen, die Kölner Synagoge. Sie wurden jedoch „nur“ wegen „Sachbeschädigung“ verurteilt – zu zehn beziehungsweise 14 Monaten Haft. In den folgenden acht Wochen wurden bundesweit 618 antisemitischer Straftaten verzeichnet, darunter zahlreiche Friedhofsschändungen. „In den Schmierereien an der Kölner Synagoge und den folgenden antisemitischen Straftaten bricht der fortlebende Antijudaismus auf, der in der Nachkriegszeit unter der Decke gehalten wurde“, kommentierte der Historiker Karl-Joseph Hummel die Straftaten. Diese Synagogen-Schändung habe zahlreiche, nicht miteinander zusammenhängende Nachahmertäter gefunden.[7][8][9]

Bei der Wiederherstellung der jüdischen Friedhöfe nach 1945 wurden die Schäden regelmäßig heruntergespielt. Freiflächen von abgeräumten Grabsteinen, zerbrochene Grabsteine, zerschlagene Inschriftentafeln zeugen jedoch sichtbar von diesen Schändungen bis in unsere Zeit.[10] Seit den 1990er Jahren war die Tendenz steigend: Jährlich kamen über 40 Friedhöfe hinzu.[1]

Deutschland seit Beginn des 21. Jahrhunderts

Schändungen bestehen oft im Zerstören und Umwerfen von Grabsteinen, Beschmieren mit Graffiti und Parolen wie „Juden raus“, „Judensau“, „Heil Hitler“, oder mit SS-Runen und Hakenkreuzen. In Deutschland gibt es etwa 2000 jüdische Friedhöfe. Die offiziellen Zahlen zu Schändungen und Vandalismus sind seit dem Jahr 2000 wieder rückläufig. 2002 hatte die Polizei 60 antisemitische Angriffe festgestellt, 2006 waren es 39. Von 2014 bis zum Ende des ersten Halbjahrs 2017 hat die Polizei nach Informationen des Tagesspiegels bundesweit 76 antisemitisch motivierte Angriffe auf jüdische Friedhöfe festgestellt. Nur in vier Fällen in den dreieinhalb Jahren gelang es, Täter zu ermitteln. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine schriftliche Anfrage von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) vom November 2017 hervor. Die magere Aufklärungsquote „spreche für mangelnde Sensibilität und Schwerpunktsetzung bei Polizei und Staatsanwaltschaft“, so Pau.[11] 2018 erfasste die Polizei bundesweit 27 antisemitisch motivierte Angriffe in diesem Bereich.[12]

Strafbarkeit

Grabschändung ist in Deutschland nach § 168 StGB als Störung der Totenruhe eine Straftat, die mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe sanktioniert wird. Wer rechtswidrig [...] Grabmäler [...] beschädigt oder zerstört, wird gemäß § 304 Absatz 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Liste geschändeter jüdischer Friedhöfe (Auswahl)

Literatur

  • Brigitte Mihok: Friedhofsschändungen. In: Wolfgang Benz, Handbuch des Antisemitismus, Band 3, Begriffe, Theorien, Ideologien; Walter de Gruyter, 2010, ISBN 978-3-11-023379-7, S. 91–96 (google.com).

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b Schändungen, DGB-Bildungswerk Thüringen. Abgerufen am 16. Dezember 2019.
  2. Nürnberg – Die alten jüdischen Friedhöfe bis zum 19. Jahrhundert, Alemannia Judaica. Abgerufen am 17. Dezember 2019
  3. Andreas Wirsching, Jüdische Friedhöfe in Deutschland, 1933–1957, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Institut für Zeitgeschichte, 2002. Abgerufen am 16. Dezember 2019.
  4. Brigitte Mihok: Begriffe, Theorien, Ideologien. Walter de Gruyter, 2010, ISBN 978-3-11-023379-7, S. 93 (google.com).
  5. Der Judische Friedhof. epubli, S. 28 (google.com).
  6. Der Ölberg in Jerusalem: Warum fortgesetzte israelische Kontrolle unerlässlich ist, heplev wordpress, 1. April 2017 Abgerufen am 25. Dezember 2019
  7. Der Judische Friedhof. epubli, S. 30 (google.com).
  8. Winfried Sträter, Hakenkreuzschmiererein in der BRD, Deutschlandfunk. Abgerufen am 25 Dezember 2019.
  9. Schändung der Kölner Synagoge vor 60 Jahren, Jüdische Allgemeine, 24 Dezember 2019. Abgerufen am 25 Dezember 2019.
  10. Jüdische Friedhöfe und Bestattungskultur in Europa, ICOMOS, Nationalkomitee der Bundesrepublik Deutschland und Landesdenkmalamt Berlin, Hendrik Bäßler Verlag, Berlin, 2011, ISBN 978-3-930388-25-7, S. 68
  11. Nur vier von 76 Angriffen auf jüdische Friedhöfe aufgeklärt, Tagesspiegel, 6. November 2017. Abgerufen am 16. Dezember 2019.
  12. 2018 wurde jede zweite Woche ein jüdischer Friedhof geschändet, katholisch.de, 3. August 2019. Abgerufen am 16. Dezember 2019.