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Kleinhirn

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Datei:MRI cerebellum.jpg
MRI-Abbildung der mittleren Sagittalebene des menschlichen Gehirns. Das Kleinhirn ist violett markiert.

Das Kleinhirn (lateinisch: Cerebellum) ist ein Teil des Gehirns, der sich dem Hirnstamm hinten aufgelagert und sich unterhalb der Okzipitallappen des Großhirns in der hinteren Schädelgrube befindet. Zusammen mit dem Mesencephalon und dem Pons bildet es das Rhombencephalon.

Es ist der nach dem Großhirn zweitgrößte Teil aber vor diesem mit ungefähr 90% aller Zellen der neuronenreichste Anteil des Gehirns. Das Kleinhirn erfüllt wichtige Aufgaben bei der Steuerung der Motorik: es ist zuständig für Koordination, Feinabstimmung, unbewusste Planung und Erlernen von Bewegungsabläufen. Zudem wird ihm neuerdings auch eine Rolle bei zahlreichen höheren kognitiven Prozessen zugeschrieben.

Lage

Das Kleinhirn ist dorsal dem Hirnstamm (Pons/Brücke und Medulla oblongata/verlängertes Mark) aufgelagert und mit diesem über auf jeder Seite drei Kleinhirnstiele verbunden, durch welche die Faserverbindungen verlaufen (Pedunculus cerebellaris inferior, medius und superior). Nach oben und unten spannen sich zum Hirnstamm zwei dünne Strukturen aus weißer Substanz aus, die Kleinhirnsegel (Velum medullare superius und inferius). Zwischen Kleinhirn und Hirnstamm, also ventral begrenzt von Medulla oblongata und Pons, seitlich von den Kleinhirnstielen, dorsal von den Kleinhirnsegeln und dem Kleinhirn, liegt einer der mit Liquor gefüllten Hohlräume des Gehirns, der IV. Ventrikel oder die Rautengrube.

Das Kleinhirn wird nach oben vom Kleinhirnzelt (Tentorium cerebelli), einer Duplikatur der Dura mater überdacht, und so vom Großhirn getrennt, dessen Okzipitallappen direkt darüber liegt. Nach hinten unten liegt das Kleinhirn in der hinteren Schädelgrube, wo es mit einem als Kleinhirntonsillen bezeichneten Fortsatz nach ventral bis kurz vor das Foramen magnum reicht.

Aufbau

Beim Kleinhirn bezeichnet man wie beim Großhirn die nach außen gewandte, nervenzellhaltige Schicht als Rinde, die im inneren liegende weiße Substanz (nur Faserverbindungen, keine Zellleiber) als Mark. Im Mark zu findende Ansammlungen von Nervenzellen sind Kerne.

Makroskopisch gliedert sich das Kleinhirn in zwei Teile:

  • der Wurm (Vermis) ist eine der in der Mitte liegende, etwa ein bis zwei Zentimeter breite, sagittal einmal ganz herumlaufende Struktur,
  • die zwei Hemisphären wölben sich beiderseits des Wurms vor. Sie sind in jeder Richtung größer und breiter als der Wurm.

Zusätzlich findet sich vorne unten, an der dem Hirnstamm zugewandten Seite, vom Wurm ausgehend, zu jeder Seite ein armähnlicher Ausläufer, der wie mit zwei Tatzen endet. Das ist der Flocculus, der zusammen mit dem angrenzenden Wurmteil, dem Nodulus, zum sowohl funktionell als auch entwicklungsgeschichtlich deutlich abgrenzbaren Lobus flocculonodularis zusammengefasst wird.

Deutlich sichtbar ist die Kleinhirnrinde in regelmäßigem Abstand von fast parallel laufenden Furchen durchzogen. Sie dienen wie die Gyri des Großhirns der Oberflächenvergrößerung, verlaufen aber immer transversal (von links nach rechts) und verleihen dem Kleinhirn sein charakteristisches Aussehen. Im Querschnitt ähnelt diese aufgefaltete Anordnung einem Baum (Arbor vitae, Lebensbaum), entsprechend bezeichnet man die zwischen zwei Furchen vorgewölbten Rindenabschnitte als Folia (lat. Blätter).

Sowohl den Wurm als auch die Hemisphären kann man, einmal herumlaufend, in zahlreiche Abschnitte unterteilen, die aber wenig funktionelle Aussage haben. Lediglich die transversale Einteilung in einen oberen Lobus anterior und einen größeren, unteren Lobus posterior wird häufiger verwendet.

Im Mark des Kleinhirn unterscheidet man auf jeder Seite vier Kerne, von innen nach außen:

  • Nucleus fastigii
  • Nucleus globosus (oft zweigeteilt)
  • Nucleus emboliformis
  • Nucleus dentatus.

Die Nuclei dentati sind sehr viel größer als die anderen Kerne und auch stammesgeschichtlich am jüngsten. Nucleus globosus und emboliformis werden zusammen auch als Nucleus interpositus bezeichnet.

Zelltypen und Verschaltung der Rinde

Purkinjezellen in einem sagittalen Kleinhirnschnitt. Sie exprimieren den GFP-Abkömmling EGFP unter Kontrolle des Purkinjezell-spezifischen Promotors L7 und fluoreszieren deswegen bei Anregung mit blauem Licht.

Die Rinde lässt sich in drei Schichten einteilen, die jeweils eine charakteristische Auswahl der fünf verschiedenen Zelltypen enthalten:

  • Molekularschicht, Stratum moleculare ganz außen
  • Purkinjezellschicht, Stratum purkinjense
  • Körnerschicht, Stratum granulosum nach innen

Es gibt zusätzlich zwei verschiedene Arten von afferenten Fasern (deren Zellkörper in anderen Hirnregionen liegen) zu den Zellen der Rinde, Moosfasern und Kletterfasern. Diese beiden afferenten Fasertypen und die Körnerzellen sind exzitatorisch und glutamaterg. Alle anderen Zellen der Rinde (Purkinjezellen, Golgi-, Korb- und Sternzellen) sind inhibitorisch und GABAerg.

Die größten Zellen der Rinde sind die Purkinjezellen. Sie verfügen über einen riesigen, reich verzweigten Dendritenbaum in der Molekularschicht und sind die einzigen efferenten Zellen der Rinde, das heißt ihr Axon zieht aus der Rinde weg zu den Kleinhirnkernen.

Körnerzellen sind kleine, multipolare Zellen. Ihr Axon zieht nach oben in die Molekularschicht, spaltet sich dort auf und zieht als Parallelfaser längs der Kleinhirnwindungen durch die Dendritenbäume der Purkinjezellen. Die Zahl der Körnerzellen ist außerordentlich: 99% der Neurone des Rinde sind Körnerzellen, zudem stellt das Kleinhirn (und dort vor allem die Körnerzellschicht) 50% aller Nervenzellen des Körpers, sogar mehr als das Großhirn.

Die Verschaltung im Kleinhirn lässt sich folgendermaßen beschreiben:

  • Moos- und Kletterfasern ziehen zum Kleinhirn. Sie geben zunächst Kollateralen zu den Kleinhirnkernen ab und erregen diese.
  • Moosfasern erregen Körnerzellen.
  • Kletterfasern ziehen weiter hoch und ranken sich wie eine Kletterpflanze um die Dendriten der Purkinjezellen (genau eine Faser pro Zelle, 10-15 Zellen pro Faser) und erregen diese.
  • Die Erregung der Körnerzellen wird über die Parallelfasern in der Molekularschicht auf zahlreiche Purkinjezellen übertragen, aber auch auf Stern-, Korb- und Golgizellen.
  • Stern- und Korbzellen wirken inhibitorisch auf Purkinjezellen, Golgizellen inhibitorisch auf die Körnerzellen
  • Einzige Efferenz aus der Rinde sind die Purkinjezellen, die die Kleinhirnkerne hemmen. Die Kerne wurden am Anfang von den afferenten Fasern erregt, gleichzeitig haben die Kletterfasern die Purkinjezellen stark erregt, die nun die Kerne hemmen. Voraussetzung für die Weiterleitung der Erregung der Kerne ist der Wegfall der Hemmung durch die Purkinjezellen durch Verarbeitungsprozesse in der Rinde.

Von den Kernen schließlich gehen alle Efferenzen aus, die in andere Hirnregionen ziehen.

Detaillierter Blick auf die Zelltypen

Der Dendritenbaum der Purkinjezellen ähnelt einem Spalierobstbaum. Er ist sehr groß und reich verzweigt, bietet Platz für bis zu 200000 Synapsen. Dabei ist er nur zweidimensional ausgeprägt und steht senkrecht zu den Kleinhirnfurchen. Die Parallelfasern der Körnerzellen, die parallel zu den Windungen verlaufen, durchziehen also senkrecht zu deren Ausbreitungsrichtung zahlreiche Purkinje-Dendritenbäume. Im Gegensatz dazu wird jeder Dendritenbaum von nur einer Kletterfaser erregt, die sich allerdings wie eine Schlingpflanze emporrankt und dabei so zahlreiche Synapsen bildet, dass eine Erregung der Kletterfaser immer eine Erregung der Purkinjezelle nach sich zieht. Die Purkinjezelle integriert also erregende Impulse von zehntausenden von Parallelfasern und den Synapsen ähnlicher Größenordnung einer Kletterfaser mit den inhibitorischen Einflüssen der Korb- und Sternzellen, die ja selbst auch von Parallel- und Kletterfasern erregt werden. Die Purkinjezellen werden von einem speziellen Astrozytentyp begleitet, der Bergmann-Glia.

Die Golgi-Zellen der Körnerschicht, wesentlich seltener als Körnerzellen, besitzen ebenfalls einen großen, verzweigten Dendritenbaum, der in die Molekularschicht aufsteigt. Dort breitet er sich allerdings in allen drei Dimensionen aus. Sie werden dort von Parallelfasern erregt, zum Teil aber auch wie Körnerzellen von Moosfasern. Ihr Axon zieht nach unten zu charakteristischen Gebilden der Körnerschicht, den Glomeruli cerebellares. Hier treffen in einer Gliahülle sich verzweigende Moosfaseraxone (Moosfaserrosetten) auf die kurzen Dendriten der Körnerzellen und erregen diese mit ihrem Transmitter Glutamat. Hemmend mit GABA wirken die Axone der Golgi-Zellen, die ja ihrerseits von Parallelfasern, den Axonen der Körnerzellen erregt werden und so für negatives Feedback sorgen.

In der Molekularschicht finden sich zwei Sorten von Neuronen, Korb- und Sternzellen. Beide werden an ihren verzweigten Dendriten von Parallel- und Kletterfasern erregt und hemmen ihrerseits mit GABA die Purkinjezellen. Die Korbzellen bilden dabei mit ihrem stark verzweigten Axon um die Perikaryen der Purkinjezellen eine korbartig verflochtene Struktur, während die Sternzellen an den Dendriten der Purkinjezellen hemmen.

Neben den geschilderten klassischen Verschaltungen der Rinde finden sich auch monoaminerge Afferenzen aus der Formatio reticularis, insbesondere mit dem Transmitter Serotonin aus den Raphe-Kernen und mit dem Transmitter Noradrenalin aus dem Locus coeruleus. Sie scheinen eher modulatorische Aufgaben zu besitzen.

Bahnen

Eingänge und Ausgänge des Kleinhirns sind eng mit den jeweiligen Funktionen verwoben, die weiter unter besprochen werden.

Afferenzen

Für die Bewegungskoordination und -durchführung nötige Informationen kommen aus Rückenmark und Hirnstamm:

  • Informationen über Beschleunigung und die Lage die Kopfes aus den Hirnstammkernen des Gleichgewichtsorgans (Tractus vestibulocerebellaris)
  • über das Rückenmark direkt Informationen über Lage und Stellung der Extremitäten von Muskelspindeln, Gelenkrezeptoren und Golgi-Sehnenorganen (Kleinhirnseitenstrangbahn, Tractus spinocerebellaris anterior und posterior)
  • aus der Olive (Tractus olivocerebellaris) Information über die gerade im Augenblick zur Muskulatur laufenden Impulse des Motorkortex und anderer Areale, über vom Kleinhirn selbst ausgesannte Impulse (Rückkopplungsschleife über den Nucleus ruber, der zur Olive projiziert) und über verschiedene Informationen aus dem Hirnstamm.

Für die Planung von Bewegungen und - falls die Hypothesen zutreffen - auch die Durchführung zahlreicher weiterer kognitiver Prozesse erhält das Kleinhirn zuführende Fasern aus dem Cortex (Tractus cortico-ponto-cerebellaris). Diese Afferenzen stammen vor allem aus dem Frontal- und dem Temporallappen, zu kleinen Teilen auch aus Parietal- und Okzipitallappen. Sie verlaufen durch den Pons, den sie mit ihren Fasermassen im Wesentlichen bilden, kreuzen dort auf die Gegenseite, werden in den verstreuten pontinen Kernen umgeschaltet und verlaufen durch den breiten mittleren Kleinhirnstiel zu ihrem Ziel.

Detaillierte Betrachtung

Die pontinen Afferenzen bilden in ihrer Gesamtheit den Pedunculus cerebellaris medius. Als einzige afferente Bahn verläuft der Tractus spinocerebellaris anterior im Pedunculus cerebellaris superior, alle anderen genannten Afferenzen verlaufen im unteren Kleinhirnstiel.

Im Tractus vestibulocerebellaris laufen nicht nur sekundäre Fasern, die in den Vestibulariskernen umgeschaltet wurden, sondern auch direkte Fasern aus dem Vestibularorgan. Neben dem Lobus flocculonodularis enden Teile der Bahn auch im Ncl. fastigii und der Uvula, einem Teil des Wurms.

Die Tractus spinocerebellaris anterior und posterior leiten im wesentlichen nur Informationen aus der unteren Extremität. Für die obere Extremität gibt es zwei analoge Bahnen. Anteile der Hinterstrangbahn, die in einem Teil des Ncl. cuneatus im Hirnstamm verschaltet werden, dem Ncl. cuneatus accessorius, laufen als Tractus cuneocerebellaris zum Kleinhirn und entsprechen der posterioren Kleinhirnseitenstrangbahn. Analog zur anterioren Bahn gibt es ab dem Zervikalmark noch einen Tractus spinocerebellaris superior. Die posteriore Bahn leitet eher die hochaufgelöste Proprozeption, die Information aus der anterioren Bahn kommt eher von größeren rezeptiven Feldern.

Propriozeption aus dem Gesichtsbereich verläuft aus den Trigeminuskernen im Hirnstamm als Tractus trigeminocerebellaris zum Kleinhirn.

Efferenzen

Alle Efferenzen gehen von den Kleinhirnkernen aus (mit Ausnahmen einiger direkter Bahnen vom Lobus flocculonodularis zu den Vestibulariskernen). Das Kleinhirn sendet zu vier Hirnregionen Fasern aus:

Alle vier Bahnen haben Bedeutung für die Steuerung der Motorik: Die drei letztgenannten Hirngebiete senden eigene Bahnen zum Rückenmark. Zudem läuft über den Nucleus ruber die oben erwähnte Rückkopplungsschleife zur Olive und zurück zum Kleinhirn.

Grundsätzlich werden alle zum Cortex des Großhirn laufenden Bahnen im Thalamus umgeschaltet, auch die des Kleinhirns. Der Thalamus dient hier als Integrationszentrum für Impulse auch aus anderen motorischen Zentren (Basalganglien, Cortex selbst) und leitet die integrierten Impulse zu motorischen Cortexarealen, vor allem zum primäre motorischen Cortex weiter. Es konnte aber gezeigt werden, das die Kleinhirnefferenzen nicht auf motorische Cortexareale beschränkt sind.

Detaillierte Betrachtung

Die Bahn zu den Vestibulariskernen, die erregende Fasern aus den Ncll. fastigii und - als einzige Ausnahme - auch hemmende Fasern direkt aus der Rinde des Lobus flocculonodularis sendet, verläuft im unteren Kleinhirnstiel. Alle anderen Efferenzen verlaufen im oberen Kleinhirnstiel, kreuzen dann (Decussatio pedunculorum cerebellarium superiorum, Wernekinck), und spalten sich in einen auf- und einen absteigenden Teil auf.

Der kleinere, absteigende Teil läuft zur Formatio reticularis des Hirnstamms. Im aufsteigenden Teil verlaufen die oben geschilderten Bahnen zum Thalamus, Tractus cerebellothalamicus, und die Projektionen zum Ncl. ruber, Tractus cerebellorubralis.

Die aus den Ncll. globosus und emboliformis stammenden Anteile der zerebellorubralen Bahn enden in einem Teil des Ncl. ruber (Pars magnocellularis), der selbst direkt und indirekt über die Formatio reticularis absteigende Bahnen ins Rückenmark entsendet. Die Anteile des Tractus cerebellorubralis aus dem Ncl. dentatus enden in dem Bereich (Pars parvocellularis), der über die zentrale Haubenbahn mit dem Olivenkern verbunden ist und so die oben erwähnte Rückkopplungsschleife bildet.

Gliederung

Nach verschiedenen Kriterien lässt sich das Kleinhirn in jeweils drei bis vier Abschnitte einteilen. Am naheliegendsten ist die Einteilung nach anatomischen Abschnitten. Die funktionell bedeutendste und gebräuchliste Unterscheidung ist aber die nach den Afferenzen, bei der das Kleinhirn nach der Herkunft der zuführenden Bahnen in drei Bereiche eingeteilt wird:

  • Das Vestibulozerebellum, anatomisch der Lobus flocculonodularis, ist mit den Vestibulariskernen, den Hirnstammzentren des Gleichgewichtsorgans, verbunden,
  • das Spinozerebellum, anatomisch der Wurm und angrenzende Bereiche, empfängt u.a. Informationen über Körperstellung aus dem Rückenmark
  • das Pontozerebellum, anatomisch den seitlichen Hemisphären entsprechend, empfängt die Fasern, die über die Brücke (Pons) aus dem Großhirn kommen.

Häufig synonym gebraucht ist die Einteilung nach der Phylogenese, die sich nach der stammesgeschichtlichen Entwicklung des Kleinhirns richtet:

  • Das Archizerebellum (entspricht dem Vestibulozerebellum) ist der evolutionsgeschichtlich älteste, bei allen Vertebraten vorhandene Teil des Kleinhirn,
  • das Paläozerebellum (entspricht dem Spinozerebellum), stellt den mit der Entwicklung von Gliedmaßen verbundenen nächsten evolutionären Schritt dar, während
  • das Neozerebellum (Pontozerebellum) den Anforderungen an komplexe Bewegungsabläufe geschuldet ist und nur bei höheren Säugern vorhanden bzw. in Ausmaß und Umfang der Faserverbindungen bei Primaten und dann beim Menschen einzigartig ist.

Ein weiteres mögliches Kriterium unterteilt das Kleinhirn nach den Kleinhirnkernen, in die die jeweiligen Abschnitte projizieren. Dadurch wird das Spinozerebellum in zwei funktionell unterschiedliche Gebiete unterteilt.

Auch wenn die oben genannten Einteilungen nach den verschiedenen Kriterien synonym gebraucht werden, so sind doch die beschriebenen Gebiete fast nie völlig deckungsgleich. Ausnahme ist das Vestibulozerebellum - Archizerebellum - Lobus flocculonodularis, wo die Übereinstimmung weitgehend vorhanden ist. In den anderen Gebieten kann man oft nur eine Überschneidung in der Größenordnung von achtzig Prozent feststellen.

Afferenzen Phylogenese Anatomie Efferenzen Anatomie (andere Richtung)
Vestibulozerebellum Archizerebellum Lobus flocculonodularis Nucleus fastigii und direkt zu den Vestibulariskernen Lobus flocculonodularis
Spinozerebellum Paläozerebellum Vermis Nucleus fastigii Lobus anterior
mediale Hemisphären (auch paravermale oder intermediäre Zone) Nucleus globosus und Nucleus emboliformis
Pontozerebellum Neozerebellum laterale Hemisphären Nucleus dentatus Lobus posterior

Funktion

Gut untersucht und allgemein anerkannt ist die Rolle des Kleinhirns für Planung, Koordination und Feinabstimmung von Bewegungen, wobei die unterschiedlichen Abschnitte auch verschiedene Funktionen übernehmen. Auch bei Lernvorgängen wird dem Kleinhirn eine wichtige Rolle zugeschrieben. Zudem werden seit einiger Zeit Thesen über die Rolle des Kleinhirns bei kognitiven Prozessen diskutiert.

Motorik

Vestibulozerebellum

Dieser Kleinhirnteil erhält aus dem Gleichgewichtsorgan Information über Körperlage und -bewegung. Diese nutzt er zum einen zur Steuerung der Halte- und Stützmotorik. Zum anderen ist er verantwortlich für die Feinabstimmung fast aller Augenbewegungen, die von den verschiedenen okulomotorischen Zentren im Hirnstamm generiert werden.

Spinozerebellum

Das Spinozerebellum empfängt die Afferenzen aus dem Rückenmark, die Informationen über die Stellung von Gelenken und Muskeln geben. Außerdem erhält es kontinuierliche Rückmeldung über die zum Rückenmark und damit in die Peripherie gesendeten Bewegungssignale. Es gliedert sich nach den Efferenzen in zwei funktionell unterschiedliche Zonen. Der Vermis selbst, der in den Nucleus fastigii projiziert, ist vor allem für Stand-, Gang- und Stützmotorik verantwortlich. Die angrenzenden Hemisphärenanteile (intermediäre Zone, Projektion in Nucleus globosus und Nucleus emboliformis) sind entscheidend beteiligt an der Zielmotorik und der Bewegungsdurchführung. Diese Anteile sorgen dafür, dass eine Bewegung wie geplant abläuft, ihr Ziel exakt trifft, und sie sorgen für einen Abgleich von Efferenzen und Afferenzen, also dafür, dass die gesendeten Kommandos der tatsächlichen augenblicklichen Lage der Extremitäten entsprechen und ständig fein an die neue Lage angespasst werden. Hierunter fällt auch die für das Sprechen notwendige außerordentlich feine Abstimmung der beteiligten mimischen und Kehlkopfmuskulatur.

Pontozerebellum

Das Pontozerebellum ist funktionell mit dem Großhirnkortex verbunden. Es empfängt Signale aus vielen Bereichen, vor allem den prämotorischen Zentren im Frontallappen (prämotorischer Cortex und supplementärmotorischer Cortex). Dort entstehen Bewegungsentwürfe, die Planung einer Bewegung. Diese eher groben Entwürfe werden zu den lateralen Kleinhirnhemisphären gesendet, wo sie weiter entwickelt, fein abgestimmt, moduliert, korrigiert, mit aus Vorerfahrungen gewonnenen internen Modellen abgeglichen werden, und die geplante Aktivität der beteiligten Muskeln koordiniert wird. Hierbei hilft auch der Rückkopplungskreis über den Nucleus ruber und die Olive zurück zum Kleinhirn. Die Ergebnisse dieser Berechnungen gehen zum Thalamus, wo sie (mit den Ergebnissen des anderen großen subkortikalen motorischen Zentrums, der Basalganglien) integriert und zum motorischen Cortex weitergeleitet werden.

Lernvorgänge

Das Kleinhirn spielt eine Schlüsselrolle beim impliziten Lernen und damit für das prozedurale Gedächtnis. Das bedeutet, dass gut trainierte, automatisierte Bewegungsabläufe (für die also kein Nachdenken mehr erforderlich ist) im Kleinhirn gespeichert werden. Beispiele dafür sind die Koordination der Gesichtsmuskulatur beim Sprechen und die Bewegung der Finger beim Klavierspielen, aber auch die Koordination aller Teile des Körpers wie beim Skifahren oder Salsatanzen.

Kognitive Prozesse

Seit den achtziger Jahren wird vermehrt diskutiert, dass das Kleinhirn auch an zahlreichen kognitiven Prozessen beteiligt ist. Es werden unter anderem folgende Argumente aufgeführt:

  • Die Hemisphären des Kleinhirns sind beim Menschen so ausgeprägt wie bei keiner anderen Spezies. Evolutionsgeschichtlich geht das Wachstum des Großhirns, in dem die außerordentlichen kognitiven Fähigkeiten des Menschen angesiedelt werden, direkt einher mit dem Wachstum der Hemisphären und des Nucleus dentatus.
  • Das Kleinhirn empfängt über die pontinen Fasern eine gewaltige Menge an Informationen. Diese Stränge umfassen 200 Millionen Nervenfasern, während der Nervus opticus zum Beispiel, der die Informationen aus der Retina des Auges bringt und damit gute Teile des Großhirns beschäftigt, nur etwa 1 Million Nervenfasern umfasst.
  • Man konnte zeigen, dass die Efferenzen des Kleinhirn nicht etwa nur zu motorischen Kortexarealen gelangen, sondern auch zu vielen anderen Bereichen des Kortex.
  • Es gibt Kleinhirnläsionen im Bereich des Lobus posterior, die zu keinerlei klinischen Auffälligkeiten bei der Bewegungskoordination führen.
  • Funktionelle Untersuchungen mit modernen bildgebenden Verfahren konnten eine Aktivierung des Kleinhirns bei kognitiven Aufgaben zeigen.

Nach einer Theorie ist nur der Lobus anterior wirklich für Bewegungskoordination zuständig, während dem unteren Vermis Einfluss auf Affekt und Verhalten zugeschrieben werden. Die linke Hemisphäre (verbunden mit der rechten Großhirnhemisphäre) spielt eine Rolle im visuell-räumlichen Denken, die rechte Hemisphäre (verbunden mit der linken, sprachdominanten Hemisphäre) ist wichtig für Sprachfunktionen. Dazu paßt, das Dyslexie häufig mit einer Beeinträchtigung der Aktivität in der rechten Kleinhirnhemisphäre korreliert. Im Gegensatz zum Sprechen, was die Koordination der Sprechmuskulatur verlangt, handelt es sich hier um höhere Funktionen zur Sprachbildung wie zum Beispiel Wortfindung. Beiden Hemisphären wird zudem allgemein eine Rolle bei Exekutivfunktionen zugeschrieben.

Dennoch ist noch nicht klar, wie wichtig der Einfluss des Kleinhirns tatsächlich ist. An einigen Beispielen wird das Problem deutlich: Bei Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren ist es nicht möglich, Kleinhirntätigkeit zur Bewegungskoordination völlig auszuschließen. Gerade beim Sprechen wird das Kleinhirn tätig, so dass Aussagen über Sprachfunktionen schwierig sind. Auch gab es widersprüchliche Experimente. Bei Patienten mit Kleinhirnläsionen lassen sich zwar kognitive Veränderungen nachweisen. Diese sind aber nie wirklich schwerwiegend und es bleibt die Frage, ob nicht doch die motorischen Defizite der eigentliche Grund sind. Bei wirklich schwerwiegenden Kleinhirnläsionen ist eine kognitive Prüfung aufgrund der schweren motorischen Defizite wiederum fast nicht möglich.

Krankheitsbilder

Bei einer Schädigung oder Funktionsstörung des Kleinhirns können je nach Lage und Ausdehnung des betroffenen Areals eine Reihe von charakteristischen Symptomen auftreten. Die allgemeinste Bezeichnung und Oberbegriff für die meisten Kleinhirnsymptome ist die Ataxie.

Im Einzelnen können vorliegen

  • bei Läsionen des Vestibulozerebellums
    • durch Störung der Koordination der Okulomotorik ein Nystagmus
    • durch mangelnde Stützmotorik eine Rumpfataxie, die Unfähigkeit, die für das Stehen und Sitzen nötigen unbewussten Korrekturbewegungen der Rumpfmuskulatur ausreichend durchzuführen;
  • bei Läsion der medianen (vermalen) Zone des Spinozerebellums
    • eine Stand- und Gangataxie, ein unsicherer, wankender Stand und Gang wie beim Betrunkenen.
  • Bei Läsion der intermediären oder paravermalen Zone des Spinozerebellums steht die mangelnde Kontrolle und Koordination der Bewegungsdurchführung im Vordergrund, was sich durch eine Reihe von Symptomen äußert:
    • Störungen der Zielmotorik: Bei Hypermetrie über das Ziel hinausschießende bzw. bei Dysmetrie am Ziel vorbei treffende Bewegungen, z.B. beim Versuch mit dem Finger die Nase zu treffen.
    • Eng damit verbunden ist das Auftreten eines Intentionstremors, also eines Zitterns, das umso stärker wird, je näher die Hand dem Ziel kommt. Es wird durch nicht koordinierte und somit überschießende Korrekturbewegungen verursacht.
    • Die Unfähigkeit, schnell nacheinander und abwechselnd antagonistische Bewegungen durchzuführen, bezeichnet man als Dysdiadochokinese. Das klassische Beispiel ist der Versuch, die Handfläche schnell auswärts und einwärts zu drehen.
    • Schließlich verursacht die fehlende Feinabstimmung der komplexen zum Sprechen nötigen Motorik ein als Dysarthrie bezeichnetes Krankheitsbild, das sich durch eine undeutliche, verwaschene, manchmal unverständliche Sprache auszeichnet. Hier ist aber nur die Sprechmotorik gestört, nicht die höheren sprachverstehenden und -formenden Zentren des Gehirns.
  • Die Läsion des Pontozerebellums betrifft die Bewegungsplanung.
    • Es kann zu einer Asynergie kommen, bei der der Einsatz der einzelnen Muskeln nicht aufeinander abgestimmt und somit nicht synergistisch ist. Als Kompensation dieses Defizits kann es zur Dekomposition eines Bewegungsablaufs in Einzelbewegungen kommen, so dass zum Beispiel erst das Schultergelenk in die richtige Lage gebracht, dann der Arm gestreckt und erst dann die Hand bewegt wird, statt das parallel in einem fließenden Ablauf durchzuführen.