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Ritualmordlegende

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Darstellung eines angeblichen Ritualmordes von Juden am Kind Simon von Trient im Jahr 1475, aus der Weltchronik Hartmann Schedels von 1493

Eine Ritualmord-Legende (auch: Blutanklage, Blutbeschuldigung, Blutgerücht, englisch blood libel) sagt bestimmten gesellschaftlich abgelehnten Minderheiten Ritualmorde an Angehörigen der eigenen Gruppe, meist Kindern, nach. Sie dient zur Verleumdung, Unterdrückung und Verfolgung der behaupteten Tätergruppe. Ihre Kolporteure greifen oft unaufgeklärte Entführungen, Unglücks- und Todesfälle auf und bieten dafür Sündenböcke an. Solche Legenden sind nicht nur als im Aberglauben verwurzelte Volkssagen anzutreffen, sondern werden auch von religiösen, staatlichen, regionalen oder lokalen Interessengruppen gezielt zur Propaganda genutzt. Oft ergeben sich daraus Pogrome, Lynch- und Justizmorde.

Überblick

In der Antike verbreiteten - oft gerade gebildete - Griechen und Römer Gerüchte von rituellen Kindesmorden und Menschenverzehr, um das ihnen fremde Judentum, später auch das Christentum abzuwerten. Manche randständigen gnostischen und christlichen Sekten beschuldigten einander gegenseitig solcher Praktiken.

Im Christentum erhielten solche Vorwürfe gegenüber Juden im 5. Jahrhundert eine neue theologische Begründung aus dem Gottesmord-Dogma. Aber erst seit dem vom Katholizismus beherrschten Hochmittelalter breiteten sich Ritualmordanklagen in Europa aus und wurden nun zum festen Bestandteil der Verfolgung Andersgläubiger: vor allem von Juden, seltener auch sogenannter Ketzer und Hexen. Die angebliche Gier nach dem Blut von Christenkindern, das Juden für ihre Pessach-Mazzen bräuchten, gehört zu den hartnäckigsten Stereotypen des christlichen Antijudaismus. Solche Anklagen endeten meist tödlich für die so Beschuldigten, ihre Angehörigen und Gemeinden. Dabei wirkten eine Jahrhunderte lange kirchliche Indoktrination, Volksfrömmigkeit, durch Klimawandel, Seuchen, Kriege, Teuerungen, Missernten und feudalistische Gesellschaftsstrukturen bedingte wirtschaftliche Not, soziale Unzufriedenheit und apokalyptische Ängste zusammen.

Die antijudaistische Ritualmord-Legende entstand in England (12. Jahrhundert) und gelangte von dort über Spanien und Frankreich in den deutschsprachigen Raum (13. Jahrhundert). Von dort wanderte sie nach Italien, Polen und Litauen (16. Jahrhundert), schließlich nach Russland (18. Jahrhundert) und in das Osmanische Reich (19. Jahrhundert). Die Legende überdauerte das Zeitalter der Aufklärung; Ritualmord-Anklagen erlebten von 1800 bis 1950 in Mittel- und Osteuropa einen neuen Aufschwung. Die Nationalsozialisten benutzten sie zur Vorbereitung und Rechtfertigung des Holocaust. Wegen dieser Wirkung gilt die Fortsetzung dieses Vorwurfs als der wohl konzentrierteste Ausdruck antisemitischer Volksverhetzung.

Gegenwärtig lebt die Legende vor allem in arabisch-islamischer Propaganda gegen Juden fort. Ritualmord-Vorwürfe werden außerdem heute noch - meist von christlichen Fundamentalisten in den USA - gegen Satanisten und Abtreibungs-Befürworter[1] erhoben.

Antike

Das Judentum war die erste und lange Zeit einzige überlieferte Religion, die Menschenopfer durch Tieropfer ersetzte und religiös tabuisierte. Der Tanach, die Hebräische Bibel, verbietet sie wiederholt und streng (Ex 13,2.12f; 22,28f; 34,19f; Num 3,1ff; 18,15; Dtn 15,19). Sie gelten in der Tora als Götzendienst, Blasphemie (Lev 18,21), für die Religion der Nachbarvölker typischer „Gräuel" (Dtn 12,31; Jer 7,31; Ez 20,25; 2 Kön 3,27; 16,3 u.a.) und wurden mit Todesstrafe bedroht (Lev 20,2-5). - Auch Tieropfer reglementiert die Tora streng und verbietet Juden u.a. den Blutgenuss, da im Blut das Leben sei und dieses ausschließlich dem Schöpfergott JHWH gehöre (Gen 9,4; Lev 3,17; 7,26f; 17,10-14). Damit wurde ein Hauptgrund für Opfer - das Hingeben und Einverleiben fremder Lebenskraft - entkräftet.

Auch im Hellenismus wurden Menschenopfer zunehmend reduziert, abgewertet und verboten. Doch parallel dazu war der Vorwurf gegen Andersgläubige und Fremde, sie würden in geheimen Riten Menschen ermorden, schon in vorchristlicher Zeit ein probates Mittel zu deren Dämonisierung und Unterdrückung. Im ersten vorchristlichen Jahrhundert behauptete z.B. Damokritos, Stratege des Achaiischen Bundes, Juden würden alle sieben Jahre griechische Knaben als Opfer schlachten. Apion, Sophist aus Alexandria, schuf um 40 n. Chr. gezielt eine Reihe antijudaistischer Legenden, um den jüdischen Widerstand gegen die Vergötterung des Kaisers Caligula zu denunzieren und zu brechen. Er behauptete z.B. in einem Geschichtswerk, Antiochos IV. Epiphanes habe im Jerusalemer Tempel einen Griechen gefesselt aufgefunden, den die Juden als jährliches Menschenopfer für ihren Gott gemästet hätten.[2]Dies war Teil der im hellenistischen Bildungsbürgertum üblichen antiken Judenfeindschaft.

Einen ähnlichen Vorwurf erhoben die Mandäer in ihrer Heiligen Schrift Sidra Rabba gegen eine christliche Sekte. Auch manche Christen behaupteten, Anhänger damaliger Mysterienkulte würden ihre Kinder entführen, um deren Hälse aufzuschlitzen und ihr Blut rituell zu verwenden.

Als das Christentum um 200 im Römischen Reich immer mehr Anhänger gewann, wurden diese zunehmend regional und staatlich verfolgt. Von gebildeten Gegnern ausgestreute Gerüchte über sie besagten u.a., dass sie sexuelle Orgien feierten, Inzest und Schadenszauber praktizierten. Misstrauen erweckte besonders die christliche Eucharistiefeier, die Römer als eine Art Kannibalismus auffassten, für den Christen angeblich Neugeborene und Kleinkinder entführten, sie rituell töteten, um dann ihr Blut zu trinken und ihr Fleisch zu essen.

Diese Gerüchte stellten damalige christliche Praktiken bewusst verzerrt dar:

  • Christen adoptierten von römischen Vätern häufig ausgesetzte Neugeborene, um deren Leben zu retten und sie großzuziehen. Römer glaubten, sie sammelten diese als Material für Ritualmorde.
  • Christen verstanden die Eucharistie als reale, nicht nur symbolische Anteilgabe am heilvollen Sterben Christi und drückten dies als Essen und Trinken seines Leibes und Blutes aus. Dies fassten Römer als kannibalischen Akt auf und nahmen an, Christen würden dazu reales Menschenfleisch und Menschenblut verwenden.
  • Christen feierten oft im Verborgenen ihre Abendmahlsgottesdienste, um Römer nicht zu provozieren und keine Verfolgung auf sich zu ziehen. Römer glaubten umso mehr, dabei würden geheime okkulte und staatsfeindliche Praktiken geübt.

Patristik

Die Kirchenväter übernahmen vom Judentum das Verbot der Menschenopfer und begründeten dieses mit dem Neuen Testament: Im Kreuzestod Jesu Christi sei Gottes Versöhnung mit der Welt geschehen (Joh 3,16). Das stellvertretende Selbstopfer des Sohnes Gottes habe alle weiteren Opfer überflüssig gemacht (Hebräerbrief). Sie unterstellten Juden daher zunächst keine kultischen Menschenopfer.

Aber sie schufen neue theologische Kategorien, auf die spätere spezifisch christliche Ritualmordlegenden stützten: allen voran die These von der Kollektivschuld aller Juden am Tod Jesu und der Ablösung des erwählten Gottesvolks Israel durch die Kirche. Damit wurde das Judentum schon vor der Konstantinischen Wende religiös enteignet und auf die Rolle der unterlegenen, zum Aufgehen im Christentum bestimmten „Satanskinder" festgelegt. Dies wurde aus dem Glaubenszentrum der Christen, der Passionsgeschichte Jesu, begründet.

Nachdem das Christentum 380 in seiner orthodoxen Form Staatsreligion des Römischen Reiches geworden war, beanspruchte die Kirche auch politisch die Alleingeltung ihres Glaubens. Fast nur noch die kleine, aber allen Bekehrungsversuchen gegenüber resistente Minderheit der Juden stellte ihren Absolutheitsanspruch in Frage. Diese lehnten den Glauben an die Messianität und Göttlichkeit Jesu und Heilswirkung seines Todes ab. Sie wurden daraufhin zum Hauptfeind des Christentums erklärt und systematisch diskriminiert. Dies wurde theologisch mit der angeblichen Selbstverfluchung der Juden (Mt 27,25: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder) begründet.

Im Zuge der Befestigung und Zentralisierung der Kirchenherrschaft wurde der Glaube an die Heilkraft der christlichen Sakramente - im orthodoxen Bereich vor allem der Ikonen, im katholischen der Eucharistie - dogmatisiert. Parallel dazu wuchs die Vorstellung, die Juden wollten und müssten aufgrund ihrer erblichen Verbindung mit Satan bzw. dem Antichrist die Folter und Kreuzigung Jesu Christi ständig wiederholen.

Dies zeigt bereits der Bildfrevel, den christliche Prediger Juden andichteten, wobei sie das biblische Verbot der Abbildung Gottes ignorierten. So schrieb Athanasius von Alexandria (†373) den Juden von Berytos (Beirut) zu, Jesu Marter an einem Christusbild nachzuvollziehen. Das Bild habe begonnen zu bluten und Wunder zu wirken; dies habe die Juden zur Taufe bewegt. - Diese Legende wurde später im Mittelalter weit verbreitet und vielfach abgewandelt: etwa in der Weltchronik des Sigebert von Gembloux († 1112), aber auch im evangelischen Bereich z.B. von Hieronymus Rauscher († 1569). Sie lebt als Wallfahrtslegende in Oberried (Breisgau) bis heute fort.

Der Kirchenhistoriker Socrates Scholasticus (380 - ca. 440) berichtete in seiner Christentumsgeschichte, Juden hätten in einem syrischen Dorf einen Christenknaben gekreuzigt. Diese erste bekannte christliche Ritualmord-Beschuldigung gegen Juden sollte den Gottesmordvorwurf erneuern und bestätigen. Sie blieb aber noch ein Einzelfall ohne direkte Folgen.

Im Frühmittelalter tauchten vereinzelt Vorwürfe von Kindesentführung gegen Juden auf. So behauptete Agobard, der Erzbischof von Lyon, im Jahr 829, Juden würden von ihnen entführte Christenkinder an die Araber zur Sklavenarbeit verkaufen. Dies wurde aber noch nicht mit dem Motiv der Christusfolter und des Ritualmords verknüpft.

Hochmittelalter

Im Zeitalter der Kreuzzüge tauchte 1144 im englischen Norwich erstmals der Vorwurf auf, Juden hätten zum Pessachfest ein vermisstes christliches Kind - William von Norwich - entführt und gemartert wie Christus am Kreuz. Das Gerücht löste ein lokales Judenpogrom aus. Eine Heiligenlegende von Thomas von Monmouth legte 1173 die Grundzüge der antijudaistischen Ritualmordanklage für jahrhundertelange Nachahmung fest:[3]

Seinerzeit kauften die Juden vor Ostern ein Christenkind und taten ihm all die Martern an, die unser Gott erlitten hat; und zu Karfreitag hängten sie es an ein Kreuz wegen unseres Gottes und dann beerdigten sie es. Sie dachten, es würde nicht entdeckt werden, aber unser Gott offenbarte, daß der Knabe ein heiliger Märtyrer sei, und die Mönche nahmen ihn und bestatteten ihn zeremoniell im Kloster, und Dank unseres Gottes tut er großartige und vielfältige Wunder, und er wird St. William genannt.

Der Autor berief sich auf einen Konvertiten, der ihm die innersten Geheimnisse des Judentums verraten habe: Um sich für den Verlust ihrer Heimat und ihre Unfreiheit unter Christen zu rächen, würden Juden jährlich zur Osterzeit christliche Kinder entführen, um an ihnen auf blasphemische Weise Jesu Kreuzigung nachzuahmen und damit die Christen zu verspotten.

Die Geschichte war frei erfunden. Sie enthielt noch nicht den Vorwurf des Blutgenusses, ignorierte aber das biblische Verbot des Menschenopfers. Sie diente zur Rechtfertigung vergangener Judenpogrome und sollte wundergläubige Pilger anwerben, um so Einkünfte an den Ort der Verehrung zu bringen. Ferner ließen sich mit solchen Schauermärchen Juden allerlei ungelöste Morde, Unglücksfälle oder vermisste Kinder anlasten und soziale Unzufriedenheit kanalisieren.

Seit der Dogmatisierung der Transsubstantiationslehre durch das 4. Laterankonzil im Jahre 1215 konnte sich der Ritualmord-Vorwurf mit dem Vorwurf der Hostienschändung verbinden: Weil sich Wein und Brot bei der Eucharistie in das reale Blut und den Leib Christi verwandeln sollten, schrieb man der Hostie magische Kräfte zu. Ihr Missbrauch konnte im Aberglauben der Bevölkerung - vergleichbar mit Vorgängen des Voodoo-Zaubers - weitreichende Folgen haben.

Beide im 12. Jahrhundert aufgekommenen Anklagen bezogen ihre Motive nicht aus allgemeiner antiker Fremdenfeindlichkeit, sondern aus der Passionsgeschichte Jesu, dem Glaubenszentrum der Christen. Weitere Ritualmord-Anklagen folgten bald und wurden stets zur Karwoche oder nahe dem Pessach-Termin erhoben. Sie behaupteten in vielen Ausschmückungen immer die Folterung eines christlichen Knaben, die das Leiden Christi abbildete, so in:

  • 1168: Gloucester (England)
  • 1171: Blois (Frankreich). Dort fand aufgrund einer gefälschten Ritualmordanklage erstmals ein Prozess gegen 34 jüdische Männer und 17 Frauen statt. Man bot ihnen Straffreiheit an, falls sie sich taufen ließen. Doch sie weigerten sich mit der Begründung, ein Religionsübertritt könne das Unrecht an ihnen nach ihrem Glauben nicht ungeschehen machen. Obwohl die Anklage nicht bewiesen werden konnte, verbrannte man sie auf dem Scheiterhaufen.
  • 1179: Paris
  • 1181: London (Rodbertus); Bury, St. Edmund, England
  • 1182: Saragossa, Aragonien (Spanien)
  • 1183: Bristol, England
  • 1192: Winchester, England
  • 1244: Londoner Juden werden erneut eines Ritualmords angeklagt, aber nicht überführt und dennoch zu hohen Geldstrafen verurteilt.
  • 1250: Saragossa (Domingo de Val)
  • 1255: Lincoln (Großbritannien): Der tote Knabe Hugh wurde nahe bei dem Haus eines Juden aufgefunden. Dieser wurde gefoltert, „gestand", man habe ihn für einen Ritualmord beauftragt, wurde daraufhin durch die Londoner Straßen geschleift und zuletzt gehängt. 100 weitere Juden wurden in London wegen Ritualmords angeklagt: Einer wurde freigesprochen, zwei begnadigt, die übrigen 97 wurden mit oder ohne Verfahren gehängt.[4] - Die angebliche Marter des Knaben Hugh stellte der Engländer Matthäus von Paris († 1259) in seiner Chronik in grausamen Details analog zur Passion Jesu dar. Auf diese Legende beriefen sich Ankläger in ähnlichen „Fällen", so z.B. der Stadtprediger von Celle, Sigismund Hosemann, noch 1699 in seinem Pamphlet Das schwer zu bekehrende Juden-Hertz.

Andere Mordanklagen gegen Juden zeigen, wie sich der Vorwurf aus seinem rituellen Kontext (Knabenentführung oder -kauf, passionsähnliche Marter, Blutopfer) löste und verselbständigte. Sie tauchten nach Leichenfunden von christlich getauften Mädchen auf:

Im 13. Jahrhundert trat - parallel zur Entfaltung einer christlichen Blutmystik - neben die Analogiebildung zum Leiden Jesu immer öfter die Behauptung, Juden bräuchten Christenblut zum Einbacken in ihre Mazzen, für Zauberei oder zur Heilung ihnen angeborener Leiden. Sie seien demnach nicht nur als Nachkommen der „Gottesmörder", sondern auch von eigenen Religionsvorschriften her genötigt, solche Morde zu begehen. Diese Blutanklage tauchte erstmals auf deutschsprachigem Boden auf:

  • 1235: In Fulda kamen am Heiligabend fünf Kinder bei einem Hausbrand ums Leben. Man beschuldigte die örtlichen Juden, sie hätten zwei der Opfer zur Blutgewinnung ermordet. 34 Juden wurden am 28. Dezember ohne Verfahren und Beweise verbrannt. - Kaiser Friedrich II. ließ diesen Präzedenzfall untersuchen und stellte im Ergebnis fest:[5]
Weder im Alten noch im Neuen Testament ist zu finden, dass die Juden nach Menschenblut begierig wären. Im Gegenteil; sie hüten sich vor der Befleckung durch jegliches Blut. Dies ergibt sich aus dem Buche, das hebräisch Berechet [Thora] genannt wird, und in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Moses aus den jüdischen Gesetzen, die hebräisch Talmillot [Talmud] heißen. Es spricht auch eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit dafür, dass diejenigen, denen sogar das Blut erlaubter Tiere verboten ist, keinen Durst nach Menschenblut haben können. Es spricht gegen diesen Vorwurf seine Scheußlichkeit, seine Unnatürlichkeit und das natürliche menschliche Gefühl, das die Juden auch den Christen entgegenbringen...

Diese Klärung nützte den Juden jedoch kaum. Es kam nun zu einer Häufung und überregionalen Verbreitung von Blutanklagen:

  • 1283: Mainz. Dort wurden zehn Juden durch einen Mob ohne Verfahren umgebracht.
  • 1285: München: Dort wurden nach einem solchen Ritualmordgerücht 180 Juden - fast alle, die dort gelebt hatten - gelyncht.[6]
  • 1287: Werner von Oberwesel sollte aus religiösen Motiven von Juden ermordet worden sein. Die Legende entstand um 1288 und diente als Vorwand für blutige Verfolgungen der Juden im ganzen Rheingebiet. In Bacharach wurden deswegen 26 Juden ermordet. Heinrich Heine erinnerte in seiner fragmentarischen Erzählung Der Rabbi von Bacharach an dieses Ereignis. - Um die Leiche des Jungen entstand ein Kult: Man schrieb ihr besondere Leuchtkraft zu und weigerte sich zunächst, sie zu beerdigen. Um 1370 berichtete eine lateinische Chronik, Juden hätten ihn an den Füßen aufgehängt, um eine Hostie, die er gerade verschlucken wollte, zu erlangen. Daraufhin wurde Werner als Märtyrer mit einem Fest jedes Jahr am 19., später am 18. April verehrt. Dieser Kult wurde im Bistum Trier erst 1963 eingestellt.
  • 1294: Rudolf von Bern wurde am 17. April ermordet. Als Täter wurden die Berner Juden verantwortlich gemacht. Auch er wurde später als Märtyrer verehrt.

Zwar versuchten einige der damaligen Päpste mit Bullen die Juden vor solchen Beschuldigungen zu schützen: so Innozenz IV. (1243-1254), Gregor X. (1271-1276), später auch Martin V. (1417-1431), Nikolaus V. (1447-1455) und Paul III. (1534-1549). Doch sie hatten kaum Erfolg damit, zumal sie das Gottesmord-Dogma teilten und Blutanklagen oft von Priestern und Theologen formuliert und bekräftigt wurden. Zudem wurde das Stereotyp mittels christlicher Kunst und volkstümlichen Passionsspielen im Volksglauben verankert. Altar- und Deckengemälde in Kirchen zeigen, wie Juden den kreuzförmig ausgestreckten Leib ihres angeblichen Opfers mit Messern oder Lanzen verletzen oder schächten, ihm Blut entziehen, dieses auffangen usw.; oft auch nach einer vorherigen Beschneidung, so auf dem Herrenberger Altar von Jörg Ratgeb (1518).

Frühe Neuzeit

Im 15. Jahrhundert kamen auch Ritualmord-Vorwürfe gegen sogenannte Hexen - Männer wie Frauen - auf. Vorausgegangen waren seit dem 13. Jahrhundert „Geständnisse" u.a. von Katharern und Waldensern, die die kirchliche Inquisition mit der Folter erzwungen hatte und die bereits Teufelsanbetungen, nächtliche orgiastische Zusammenkünfte, Huldigungsrituale an einen bösen Geist und Kinderopfer beinhalteten. Solche Vorwürfe verbanden sich nun mit denen des Schadenszaubers oder der „Schwarzen Magie" zur Vorstellung von einer bedrohlichen Hexen-Ketzer-Sekte, die solche Praktiken heimlich verbreite und verabredet zur Zerstörung des Christentums ausübe. Auf diese wurden auch Motive jüdischer Herkunft wie der „Hexensabbat" (vom Schabbat) und die „Synagoge“ (für den Hexentanz) übertragen. Der Juden schon länger vorgeworfene Ritualmord an Kindern wurde als Teil dieses jährlichen Hexentreffens gedacht.[7]

Ältestes Dokument dieser Verknüpfung ist die Chronik des Hans Fründ aus Luzern von 1441, die die Begleitumstände einer Hexenverfolgung im Wallis beschrieb und dabei erstmals aufzählte, was angeblich an einem Hexensabbat geschehe: Teufelspakt, Luftflug, Herstellung und Verwendung von „Hexensalben", orgiastisches Mahl mit geraubten Lebensmitteln, Schadenszauber, ritueller Kindesmord und Kannibalismus.[8]

Im selben Zeitraum nahmen auch Ritualmord-Anklagen gegen Juden enorm zu: 30 „Fälle“ sind allein im deutschen Sprachraum dokumentiert. Sie endeten fast alle mit Pogromen und Hinrichtungen der Angeklagten. War die Anklage einmal erhoben, dann wurden die Begründungen dafür beliebig ausgetauscht, bis das durch Folter erpresste Geständnis das gewünschte Ergebnis „bestätigte“.

  • 1431 wurden nach Ritualmordanklagen die jüdischen Gemeinden von Ravensburg, Überlingen und Lindau zerstört.
  • 1451 ernannte Papst Nikolaus V. Johannes von Capistrano dazu, die Inquisition nun auch gegen Juden zu organisieren. Dieser erneuerte die Vorwürfe von Ritualmord und Hostienfrevel gegen sie, die Innozenz IV. schon 1247 zurückgewiesen hatte.
  • 1470: Ein Verhörprotokoll aus Endingen am Kaiserstuhl spiegelt die verzweifelte Suche des mit dem christlichen Aberglauben wenig vertrauten Juden Merklin nach der „richtigen“ Antwort, die seine Qual beenden würde: Er und seine Angehörigen bräuchten das Christenblut als heilsame Arznei; dann für die Fallsucht eines seiner Söhne; dann als Odor gegen ihren üblen Körpergeruch; dann als Chrisam (Salböl) für die Beschneidung. - Dieser „Blutaustausch“ „bewies“ aus Sicht seiner Ankläger endlich, dass Merklin sich die Wiederaufnahme seiner Familie in Gottes Bund durch das Blut von Erwählten anzueignen versuchte. Dies galt als todeswürdig, weil Israels Erwählung zum Bundesvolk nach der seit 70 verfestigten Substitutionstheologie durch Jesu Blutopfer beendet und den Christen übergeben worden sei, so dass die Beschneidung ihre Wirksamkeit verloren habe. Deshalb vollzogen die Christen die längst beschlossene Verdammung der Juden dann auf dem Scheiterhaufen.
  • 1475 wurde die Geschichte des Simon von Trient in ganz Deutschland und Oberitalien bekannt und besonders folgenreich:

In Trient hatten Juden und Christen bislang friedlich zusammengelebt. In jenem Jahr jedoch begann der berühmte Prediger Bernhardin von Feltre als neu ernannter Prior des Franziskanerklosters eine Serie von Hetzpredigten gegen die Juden der Stadt. Als am Gründonnerstag (23. Mai) der zwei- bis drei Jahre alte Simon verschwand, gab Feltre öffentlich den Juden die Schuld daran und prophezeite, sie würden noch vor dem bevorstehenden Osterfest ihre Bosheit beweisen. Man durchsuchte alle ihre Häuser. Der jüdische Hofbesitzer Samuel fand am Karsamstag im Bach vor seinem Haus Simons Leiche und meldete den Fund den Behörden. Diese nahmen ihn und weitere Vertreter der jüdischen Gemeinde fest.

Der Tridentiner Bischof Johannes Hinderbach leitete das zwei Jahre dauernde Verfahren; er ließ alle verfügbaren, wie üblich durch Folter erpressten „Geständnisse“ von Ritualmorden im Bodenseegebiet zusammentragen und benutzte sie dann für seine eigenen „Verhöre“. An der exzessiven Folter starben vorzeitig vierzehn der Angeklagten; die übrigen hatten gestanden. Doch ihre widersprüchlichen Aussagen und Druckwerke, die von Hinderbach noch vor Prozessende in Auftrag gab, um die Marter Simons zu illustrieren, veranlassten Papst Sixtus IV., den Fall neu aufzurollen. Er übergab einem Freund da Feltres den Vorsitz der päpstlichen Untersuchungskommission. Dieser stellte zwar fest, man habe die Juden durch Folter zum Geständnis eines Ritualmords gebracht, behauptete gleichwohl aber die Richtigkeit ihrer Festnahme und der Anklage. Diese wurde ergebnislos fallengelassen.

Parallel dazu wurden „Augenzeugenberichte“ und drastische Holzschnitte über das Leiden Simons in Umlauf gebracht. Simon wurde schließlich heilig gesprochen. Zur Verbreitung seiner Geschichte trug wesentlich die 1493 in Nürnberg gedruckte Chronik Hartmann Schedels, das Liber chronicarum, bei. Ein Standbild in Frankfurt am Main zeigte das gemarterte Kind und die Juden mit dem Teufel, um an „der Juden Schelmstück" zu erinnern. Erst 1965 stellte eine päpstliche Kommission einen „Justizirrtum" fest und hob Simons Heiligsprechung auf.

Nachdem es in Trient zu Pilgerströmen zum Grab des Simon gekommen war, erinnerte man sich auch anderswo an unaufgeklärte Todesfälle von Kindern, um eine einträgliche Heiligenverehrung in Gang zu bringen. So „entdeckte“ man in den Folgejahren weitere angebliche Ritualmorde, u.a. in:

Doch nur einige davon lösten erfolgreich einen Kult aus, so die Legende um Anderl von Rinn. Nach den Erfahrungen von Trient ließ man 1475 seine Leiche ausgraben, um zu „beweisen", dass er am 12. Juli 1462 von ortsfremden Juden zum „Märtyrlein" gemacht worden sei. Sein Leichnam wurde mumifiziert ausgestellt. Doch erst 1620 stellte der aus Trient stammende Arzt Hippolyt Guarinoni exakt 5812 Wunden daran fest: Nun wurde der angebliche Tatort, der Judenstein bei Rinn, zum bedeutenden Wallfahrtsort in ganz Tirol, Bayern und Kärnten. Jesuiten führten 1621 erstmals ein „Anderl-Spiel“ in Rinn auf, das in Orten der näheren und weiteren Umgebung nachgeahmt wurde und erheblich zum Aufschwung des Tiroler Volksschauspiels beitrug. Anderl wurde 1754 selig gesprochen; seine Gebeine wurden in der Pfarrkirche ausgestellt, seine angebliche Ermordung wurde in Figuren abgebildet und 200 Jahre lang regelmäßig szenisch aufgeführt.

Seit der Reformation trat der antijudaistische Ritualmord-Vorwurf in der kirchlichen Theologie Mitteleuropas zurück und konnte vor Gericht kaum noch durchgesetzt werden. Der Nürnberger Reformator Andreas Osiander hatte um 1540 anonym die erste exegetische und logische Widerlegung des Vorwurfs veröffentlicht: Ob es war und glaublich sey / daß die Juden der Christen Kinder heymlich erwürgen / vnd jr blut gebrauchen. Seine Schrift wurde von eines Ritualmords angeklagten Juden in Sappenfeld bei Eichstätt vor Gericht zitiert.

Dies veranlasste Johannes Eck 1541 zu einer heftigen Gegenschrift, die nochmals alle überlieferten „Beweise“ über den angeblichen religiösen Blutdurst der Juden vorführte. Doch Eck fand nun kaum noch gelehrte Unterstützer; auch katholische Theologen beriefen sich nun auf die Verwerfung der Ritualmord-Beschuldigung durch Papst Innozenz IV.. Die Sappenfelder Juden wurden freigesprochen. 1563 fand der letzte Prozess zu einer Ritualmord-Anklage vor dem Reichskammergericht statt. Dort war von einem Bedarf der Juden an Christenblut keine Rede mehr, der Angeklagte wurde freigelassen.

Neuzeit

Nach den Vertreibungen der Juden aus den meisten Städten Deutschlands bis etwa 1690 trat der Ritualmord-Vorwurf gegen Juden zurück. Doch nun kam es in Osteuropa bis in das 20. Jahrhundert hinein immer wieder zu entsprechenden Anschuldigungen, Prozessen und Pogromen. Aber auch in Westeuropa überdauerte die Legende Aufklärungsepoche und Französische Revolution. Sie lebte in ländlichen Gebieten nicht nur mündlich fort, sondern wurde durch allerlei schriftliche und bildliche Überlieferung gestützt und wachgehalten: vor allem in Form lokaler und regionaler Heiligenverehrung vermeintlicher früherer „Märtyrer“.

So waren die Wallfahrten zum Sarg des Werner von Oberwesel in Bacharach zwar 1545 beendet worden und seine Gebeine verschollen; doch bis 1834 zeigten Deckengemälden der Dorfkirche sein „Schicksal". Umgebende Orte ließen solche drastischen Darstellungen regelmäßig restaurieren, so ein Reliefbild und Altartafeln in der Spitalkirche von Oberwesel (1968 entfernt). In Trier wurde Werner 1761 in den örtlichen Heiligenkalender aufgenommen, sein angeblicher Todestag wurde bis 1963 jedes Jahr mit einer Prozession begangen. In Womrath, seinem angeblichen Geburtsort, wurde ihm noch 1911 eine neue Kapelle gewidmet, in der ebenfalls sein „Martyrium" abgebildet und als „Wernerfest" mit eigens komponierten Liedern jährlich gefeiert wurde. Sogar im Kölner Dom war er in das Chorgestühl eingeschnitzt, zusammen mit einem Judensau-Motiv.

Auch wo der Versuch, einen Kult zu stiften, weniger nachhaltig gelang - so im Fall des Johanneken von Troisdorf -, bedrohte vielerorts schon das bloße Gerücht eines Ritualmords die dorfansässigen Juden, z.B. in:

Im 19. Jahrhundert erhielt die Legende im Zusammenhang der abgelehnten Judenemanzipation ungeahnten neuen Auftrieb. Im katholischen Rheinland wurden dutzende Ritualmord-Anklagen laut, die am Niederrhein 1819, 1834 und 1891/92 zu Ausschreitungen gegen dort lebende Juden führten. In Dormagen wurde ein Mädchen am 12. Oktober 1819 Opfer einer Sexualstraftat, wie ein ärztliches Gutachten feststellte. Noch bevor die Todesursache bekannt wurde und danach griffen Mengen von Tausenden in Neuss, Grevenbroich, Hülchrath, Emmerich, Binningen (Eifel) und Rheinbrohl Synagogen, Friedhöfe und Häuser von Juden ihres Ortes an. Plünderungen jüdischer Geschäfte blieben aus. Im August und September 1819 hatten in größeren Städten und anderen Regionen die stärker ökonomisch motivierten Hep-Hep-Unruhen stattgefunden.

In Neuenhoven, Bedburdyck, Stessen (heute Ortsteile von Jüchen) kam es 1834 nach einem weiteren Sexualverbrechen an einem Jungen (15. Juli) wiederum wochenlang zu schweren Exzessen gegen Juden, diesmal auch mit Plünderungen und Mordversuchen: u.a. in Grevenbroich, Neuss, Düsseldorf, Rommerskirchen, Güsten. Die Krawalle zogen sich bis Aachen und Xanten und konnten nur durch preußisches Militär beendet werden, da die örtliche Gendarmerie vielfach nicht eingriff.

Die Vorfälle wirkten in den Folgejahren nach: 1835 wurde in Willich bei Krefeld eine Kinderleiche gefunden, woraufhin sofort das Gerücht eines jüdischen Ritualmords in Umlauf kam. Ein Handwerkslehrling versuchte, damit einen jüdischen Kaufmann vor Ort zu erpressen: Er behauptete, er habe zwei Juden im Wald bei der Ermordung des Kindes beobachtet, und verlangte „Schweigegeld". Der Erpresser wurde jedoch inhaftiert und dann als der Mörder des Kindes überführt. - 1836 fand man in Düsseldorf eine Kinderleiche; wieder wurden die Juden eines Ritualmords beschuldigt. Obwohl der Verdacht sich nicht erhärten ließ, behaupteten lokale Zeitungsartikel noch ein Jahr später: Die Art der Ermordung ließ keinen Zweifel übrig, daß er von einem Juden hingeschlachtet worden sei, um das sogenannte Christenmarterblut zu gewinnen...

1840 stand im Zeichen der international beachteten Damaskusaffäre, die weitere Ritualmordanklagen im arabischen wie europäischen Raum auslöste. Im selben Jahr wurde in Jülich ein altes jüdisches Ehepaar eine Woche lang inhaftiert, weil es einen blutigen Mordversuch an einem neunjährigen Mädchen begangen haben sollte. Dieses fanden die Behörden jedoch bald darauf unverletzt auf; das Blut war bloß aufgetragen worden. Das Mädchen gab schließlich zu, von seiner Mutter und zwei Bekannten zu der Aussage angestiftet worden zu sein. Sobald die Anklage als fingiert entlarvt war, verlor der Fall für die Presse schlagartig seinen Sensationswert, und die anfangs groß aufgemachten Berichte darüber verebbten.

1862 in Köln entstand während der Karwoche eine regelrechte Hysterie in der Bevölkerung. Ein Mann, der sein eigenes Kind an der Hand führte, wurde von einer Menschenmenge als vermeintlicher jüdischer Kindesentführer bedroht und konnte sich nur mit Mühe als der Vater ausweisen. Andere als Kindesmörder verdächtigte Personen wurden schwer misshandelt. Ein katholischer Passant, dem Kinder nachgerufen hatten, er sei „Blutjude", wurde von herbeieilenden Erwachsenen fast totgeprügelt.

Die Ritualmordanklage bildete seit etwa 1870 einen gemeinsamen Nenner zwischen christlichen Antijudaisten und rassistischen Antisemiten, die den angeblichen jüdischen „Blutdurst" aus Rasse-Eigenschaften herleiteten. Kirchliche Autoritäten wie der Bischof Konrad Martin von Paderborn unterstützten diese Allianz mit Schriften, die behaupteten, Juden bräuchten das Blut christlicher Kinder für ihre Religionsausübung. 1881 versuchte das katholische Journal La Civilta Cattolica mit einer Artikelserie dies zu „beweisen": Jedoch sei nicht das Pessach, sondern das Purimfest der Anlass für jüdische Ritualmorde. Zugleich brachte der Antisemit Max Liebermann von Sonnenberg kostenlose Broschüren mit Ritualmord-Beschuldigungen in Massenauflage in Umlauf.

In den folgenden Jahrzehnten schien die Bedrohung von Juden im Niederrheingebiet abzunehmen. 1891 jedoch kam es nach einem Leichenfund am 29. Juni in Xanten zur „Affäre Buschoff": Albert Buschhoff, der Metzger und Schächter der kleinen jüdischen Gemeinde, wurde eines Ritualmords verdächtigt. Zeugen behaupteten, sie hätten das tote Kind kurz vor der Tatzeit des Mordes vor seinem Haus spielen und dann hinein gehen sehen. Als die Behörden keinen Anlass sahen, Buschhoff festzunehmen, wurden Wohnungen und Läden von ortsansässigen Juden mit Steinen beworfen, einzelne Juden auf offener Straße misshandelt. Buschhoff bat um seine Verhaftung, um sich zu schützen und seine Unschuld zu beweisen. Die Behörden gingen darauf nicht ein, so dass er nach Köln floh. Die jüdische Gemeinde zog nun einen auswärtigen Kriminalbeamten hinzu. Dieser ermittelte, Buschhoff habe den Jungen bewusstlos geschlagen, in seine Scheune getragen und dort wahrscheinlich ermordet. Daraufhin wurde er festgenommen. Die gerichtliche Voruntersuchung ergab keine ausreichenden Indizien für einen Tatverdacht: Er wurde wieder freigelassen. Doch in ganz Deutschland führte die antisemitische Presse mittlerweile eine Kampagne gegen die Justiz, der sie vorwarf, vom Judentum beeinflusst zu sein - sonst hätte man Buschhoff längst den Prozess gemacht. Diese Sicht teilten auch große christlich-konservative Blätter.

Im April 1892 wurde Buschoff schließlich wegen Mordes angeklagt. 160 Zeugen wurden verhört; ihre Aussagen hatten sich seit den ersten Vernehmungen erheblich verändert, die Vorwürfe waren immer präziser und schärfer geworden. Doch Buschoff konnte ein lückenloses Alibi vorweisen und wurde am 14. Juli freigesprochen. Einen Tag zuvor war sein Haus in Xanten vollständig zerstört worden, seine Existenz war vernichtet und er konnte nicht mehr nach Xanten zurückkehren. - Während des Prozesses und danach kam es nicht in Xantens Umgebung, aber in denselben niederrheinischen Orten wie 1819 und 1834, vor allem den Kreisen Neuss und Grevenbroich, zu schweren judenfeindlichen Ausschreitungen. Dort wurden jüdische Friedhöfe verwüstet, Fensterscheiben eingeworfen, Bäume umgehauen, Gärten zerstört, von Juden bewohnte Häuser angezündet und versucht, die Synagoge von Grevenbroich zu sprengen. Ein Viertel der jüdischen Einwohner von Neuss verließen damals den Ort und zogen in andere Gegenden. Die übrigen waren gesellschaftlich geächtet und verarmten in den Folgejahren.

Die Fortdauer des religiösen Judenhasses im Kreis Neuss-Grevenbroich zeigte sich bei der Reichstagswahl 1893: Entgegen dem umgebenden Trend erzielte der liberal-katholische Stadtrat Clemens von Schorlemer-Lieser mit antisemitischer Hetze und Unterstützung der ansonsten im Rheinland abgelehnten preußisch-protestantischen Christlich-Sozialen Partei Adolf Stoeckers enorme Stimmengewinne. Zudem folgten der überall publizierten Affäre Buschhoff im ganzen folgenden Jahrzehnt viele weitere Ritualmord-Beschuldigungen, auch in weit entfernten und überwiegend protestantischen Regionen:

Diese Fälle fanden trotz überregionaler Berichterstattung meist nur lokale Beachtung. Doch zugleich wurden die von 1890 bis 1917 besonders häufigen Ritualmord-Beschuldigungen im zaristischen Russland und in der Habsburger K.u.K.-Monarchie stets von der deutschen Presse ausgeschlachtet und fanden meist starken Nachhall in der Öffentlichkeit.

Manche Fälle erfanden Zeitungsredakteure selbst. So erreichte der Fund der grausam zerstückelten Leiche des Schülers Ernst Winter am 11. März 1900 in Konitz (Westpreußen) erst durch gezielte Pressepropaganda besondere Aufmerksamkeit. Sogleich kam das Ritualmordgerücht auf: zuerst in der städtischen Unterschicht, dann auch im wohlhabenden Bürgertum. Ein Berliner Zeitungsverleger, Wilhelm Bruhn, schürte es gezielt mit einem „Untersuchungsausschuss", dem viele angesehene Stadtbürger angehörten. Er verfolgte in Konkurrenz zur Polizei „Spuren", die auf jüdische Täter verweisen sollten. Bald wurde der jüdische Metzger Adoph Lewy als Tatverdächtiger gehandelt. Die Presse griff jedes belanglose Detail und nachgewiesen unwahre Zeugenaussagen auf und strickte daraus Szenarien des Tathergangs. Eine Ansichtskarten-Reihe zeigte die Leichenteile, ihre Fundorte, den Beschuldigten, den später des Meineids überführten Hauptbelastungszeugen beim Beobachten der Tat, deren Ausführung als rituelles Schächten im Keller des Metzgers, die dabei Anwesenden, darunter den stadtbekannten Metzgersohn, mit Bärten, Zylindern und Gebetsriemen. Darunter standen Parolen wie „Hütet eure Kinder!“, „Den Mördern zur Warnung, den Christen zur Wahrung ihrer teuersten Güter", „blutgierige Sekte unter den Hebräern". Die Bildmotive wurden während der laufenden polizeilichen Suche nach dem Täter in Umlauf gebracht, ihr Verkauf sollte den Bau eines Grabmals für das Mordopfer finanzieren.

Nicht nur die antisemitische Presse, sondern auch gewöhnliche Zeitungen der katholischen Zentrumspartei und der Evangelisch-Lutherischen Kirche machten sich die Anklage gegen die Juden zu eigen. Die über Monate anhaltende Hetzpropaganda erzeugte eine bedrohliche Pogromstimmung, die am 10. Juni 1900 (einem Sonntag) eskalierte: Eine Menge von Tausenden sammelte sich mit Knüppeln bewaffnet auf dem Konitzer Markt, bedrängte den Bürgermeister und ließ sich auch nicht durch Warnschüsse der Gendarmerie abhalten, das Haus Lewys und die örtliche Synagoge völlig zu zerstören. Diese war schon zweimal zuvor Ziel versuchter Brandstiftung geworden. Auch in den Orten der Umgebung wie Prechlau (Kreis Schlochau) und Kamin (Kreis Strasburg in Westpreußen) kam es zu Tätlichkeiten gegen die wenigen dort lebenden Juden, die von den Behörden schutzlos gelassen wurden. Einige der Angegriffenen erkrankten schwer, andere flohen aus der Gegend und ließen ihren Besitz zurück; Gemeinden trafen sich nur noch heimlich in ihren Häusern zu Privatgottesdiensten. - Die antijüdische Stimmung hielt in ganz Westpreußen jahrelang an. Noch 1903 wurde ein älterer Jude in Stegers bei Schlochau erschlagen, nachdem er in einer Gastwirtschaft auf den Mord an Ernst Winter angesprochen worden war und jede jüdische Beteiligung daran bestritten hatte.

Die letzte Ritualmordanklage, der internationale Beachtung fand, war der Fall des Arbeiters Mendel Beilis in Kiew 1911. Hier konstruierte das zaristische Innenministerium die Anklage, um parlamentarischen Forderungen nach Aufhebung der seit Jahrzehnten gültigen antijüdischen Knebelgesetze zurückweisen zu können. Trotz fingierter „Beweise“ wurde der Angeklagte nach zweijähriger Haft 1913 schließlich von einer Jury einstimmig freigesprochen, musste aber emigrieren. Die Haltung der Staatsbehörden fand vielfache Kritik im Ausland und rückte den russischen Antisemitismus ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit. Sie trug auch zur Verständigung von konservativen und revolutionären russischen Oppositionellen in der „Judenfrage“ bei.

Zeit des Nationalsozialismus

Während des Nationalsozialismus wurde die Ritualmordlegende wiederbelebt. Das antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer", herausgegeben von Julius Streicher, benutzte sie permanent für seine besonders abstoßenden Karikaturen, um Juden als heimtückische „Blutsauger" darzustellen. „Meldungen“ und „Berichte“ über verschwundene oder tot aufgefundene Kinder wurden stets mit Hinweisen auf das „jüdische Blutritual" verknüpft. Bereits im Juli 1926 erschien aus Anlass eines Doppelmordes in Breslau ein Heft, das sich ausschließlich mit angeblichen Ritualmordfällen befasste.

Am 17. März 1929 fand man bei Manau den Jungen Karl Kessler tot auf: In der folgenden Nummer des Stürmer schrieb der Zahnarzt Otto Hellmuth als „Sonderberichterstatter" einen Leitartikel, der behauptete:[9]

Die Sektion der Leiche ergab, daß der Körper völlig ausgeblutet war. ... Damit ist der Beweis einwandfrei geliefert, daß es sich hier nur um einen jüdischen Blutmord handeln kann.

Der Untersuchungsrichter widersprach öffentlich jedem Detail des frei erfundenen Textes. Doch Hellmuth hielt im ganzen Landkreis gut besuchte Vorträge zum Thema „Blutmord in Manau - Jüdische Moral und Blutmysterien". Daraufhin wurden zahlreiche Juden der Umgebung festgenommen und mussten ein Alibi nachweisen. Am Fundort der Leiche wurde eine Tafel, später ein Gedenkstein mit der Aufschrift „Karl Kessler - Opfer eines Ritualmordes" aufgestellt. Dort hielten örtliche NS-Aktivisten nun jährlich Gedenkfeiern ab. Hellmuth stieg zum Gauleiter von Mainfranken auf und betrieb 1934 und 1937 die „Aufklärung" des Falls, um seine Verdienste für das Gau aus der Zeit vor der Machtergreifung hervorzuheben. Nach einer großen „Gedenkfeier“ am 19. März 1937 verhaftete die Gestapo neun Juden in Würzburg und Erlangen, die gestreute Gerüchte mit dem Tod des Jungen verbanden. Obwohl alle Beschuldigten ein hieb- und stichfestes Alibi vorweisen konnten, wurden sie bis November 1937 inhaftiert.

Im Mai 1939 gab der „Stürmer“ eine „Sondernummer“ zum Thema Ritualmord heraus, die wie die Chroniken des Mittelalters „historische Zeugnisse" vorführte. Ein Aufruf an die Leser, der Redaktion Materialien über ähnliche frühere oder aktuelle Fälle zuzusenden, erzielte jedoch nicht das gewünschte Echo. Neue spektakuläre Anklagen blieben aus, so dass nur die Neuauflage altbekannter Legenden blieb. Umso mehr intensivierte der Stürmer seine Hetzpropaganda mit Kriegsbeginn: Der Krieg wurde als letzter Ritualmord des „Weltjudentums“ und „Geheimplan zur Völkervernichtung“ dargestellt. So war es kein Zufall, dass NS-Pamphlete während des Krieges immer wieder den Zusammenhang betonten, den Adolf Hitler in seiner Januarrede 1939 konstruiert hatte:[10]

...Ritualmorde zu begehen, blieb dem von Natur aus niedrigen, verbrecherischen Instinkt der Juden vorbehalten - Morde, um ihrer Blutgier zu frönen, Morde, um ihren unstillbaren Haß gegen die Gojim zu befriedigen, Morde, um das Gesetz des Glaubens zu befolgen. Was muß das für ein Gott sein, der solche blutigen Opfer von seinen Anhängern verlangt? ... Noch glaubt der Jude, einen letzten Trumpf in der Hand zu haben, da es ihm gelang, den jüdischen Bolschewismus im Verein mit dem nicht minder jüdischen Kapitalismus der Engländer und Amerikaner seinen Interessen dienstbar zu machen. Aber ... der von den Juden entfesselte Krieg wird mit der radikalen Vernichtung des Judentums enden... Ein dunkles Kapitel menschlicher Geschichte, unverständlicher Dummheit und Verblendung geht damit zu Ende, und eine bessere judenfreie Zeit bricht an.

Zu diesem Zeitpunkt war der Holocaust in vollem Gang. Die Ritualmordlegende war aufgrund ihrer historischen Konstanz, Volkstümlichkeit und Verankerung im kollektiven Unbewussten hervorragend zu seiner Rechtfertigung geeignet. Hellmut Schramm gab 1943 eine 475 Seiten starke „historische Untersuchung" dazu heraus, die sich als Summe aller vorangegangenen Hetzschriften präsentierte: Der jüdische Ritualmord. Heinrich Himmler befahl nach der Lektüre dem Chef des Reichssicherheitshauptamts, Ernst Kaltenbrunner, in den von Deutschland besetzten Gebieten Nachforschungen über Ritualmorde anzustellen. Er wollte diese als Radiopropaganda benutzen. Zugleich bestellte er eine Auflage des Buchs und ließ es an die mit Massenerschießungen beauftragten Untergebenen versenden:[11]

Ich übersende Ihnen mehrere 100 Stück, damit Sie diese an Ihre Einsatzkommandos, vor allem aber an die Männer, die mit der Judenfrage zu tun haben, verteilen können.

Hitler verlangte analog zu dem Film Der Ewige Jude in den letzten Kriegsjahren einen Propagandafilm über die Damaskusaffäre, der während des Krieges aber nicht mehr gedreht werden konnte.

Ritualmord-Vorwürfe nach 1945

Europa und USA

Mit dem Ende des Nationalsozialismus waren weder der christliche Antijudaismus noch der rassistische Antisemitismus beendet. Das Pogrom von Kielce am 4. Juli 1946 wurde durch Ritualmord-Vorwürfe ausgelöst. In Deutschland wurden die jährlichen Wallfahrtsfeste für Anderl von Rinn (s.o.) erst 1954 - gegen erhebliche Widerstände des Landesbischofs und der örtlichen Bevölkerung - offiziell eingestellt und erst 1994 von Bischof Reinhold Stecher auch kirchlicherseits verboten. Er ließ ein Fresko von Anderls „Schlachtung" in der Ortskapelle übermalen.

Dennoch setzen lokale und regionale katholische Fundamentalisten zusammen mit Rechtsextremisten die Wallfahrten zum Judenstein weiter fort. Ihr Initiator ist der von Bischof Stecher suspendierte und in Österreich 1998 als Volksverhetzer verurteilte Kaplan Gottfried Melzer. Er gab bis 1993 den in der Schweiz gedruckten, in Tirol und Bayern verbreiteten Loreto-Boten heraus, ein auf antisemitischen Aberglauben spezialisiertes Wochenblättchen. Im Frühjahr 1990 erschien dort ein Sonderheft zum Thema Ritualmorde und Hostienschändungen als Werke des Hasses der Gegenkirche, in dem die Redaktion „mit allem Nachdruck“ feststellte:[12]

Das Martyrium des seligen Kindes von Rinn trägt alle Anzeichen eines jüdischen Ritualmordes an sich. Ritualmorde und Hostienschändungen stehen in einem inneren Zusammenhang: Es offenbart sich in beiden der abgrundtiefe Haß Satans gegen das von Gott geschaffene Leben, und der Haß gegen Gott selbst, der im 'Brot des Lebens' geheimnisvoll gegenwärtig ist. Satan hat seine besonderen Werkzeuge für diese Freveltaten: ... Wir müssen sie in besonderer Weise auch bei den Nachfahren jener suchen, die Jesus Christus ... ans Kreuz schlagen ließen und seine Anhänger unerbittlich verfolgten.

Sodann wärmten die Autoren der Ausgabe 36 „Fälle“ aus der bekannten mittelalterlichen und neuzeitlichen antijüdischen Hetzliteratur bis zum Jahr 1932 wieder auf, gaben sie als Fakten aus und verknüpften sie zu einer phantastischen globalen Verschwörungstheorie:[13]

Da Satan der 'Menschenmörder seit Anbeginn' (Joh 8,44) ist,
und da die kultische Verehrung Satans wesentlich zur Freimaurerei gehört [...],
und da weiters Kerntuppe und Führungsgremium der Freimaurerei sich aus Personen ausschließlich jüdischer Abstammung zusammensetzen,
muß man konsequenterweise sagen, daß die von der Spitze der Freimaurerei geplante und die von den unteren Vertretern der Freimaurerei verwirklichte Fristenlösung, dieser Massenmord an den ungeborenen Kindern (60 Millionen jährlich) als ein 'immerwährendes' und 'unaufhörliches' Menschenopfer an Satan [...] anzusehen ist. [...]
Teile der Leiber der unzähligen im Mutterschoß hingemordeten Kinder werden von den Menschen konsumiert und aufgenommen in Form von Medikamenten und Schönheitsmitteln, die aus den Leibern der Getöteten hergestellt werden. Wie lange noch wird das Blut der Gemordeten zum Himmel um Rache schreien?! Der Zweck dieses weltweiten 'rituellen Massenmordes' liegt auf der Hand: [Dadurch] sollen dem 'Herrn der Welt' die Wege gebahnt werden.

Unterstützt wird Melzer von Rechtsextremisten wie Christian Rogler und katholischen Theologen wie Robert Prantner, Autor in der von Andreas Mölzer (Berater Jörg Haiders in der FPÖ) herausgegebenen österreichischen Zeitschrift Zur Zeit, ein Ableger der Jungen Freiheit. Darin riefen auch Veranstaltungshinweise und Annoncen zum „Anderlegedenken" auf.

Auch manche obskuren Christengruppen in den USA verbreiten antisemitische Ritualmordlegenden weiterhin als Fakten, z.B. die Gruppe American Promises.[14]

Die britische Zeitung The Independent veröffentlichte 2003 einen Cartoon, der den damaligen Staatspräsidenten Israels, Ariel Sharon, beim Verzehr eines palästinensischen Babies darstellte. Der Untertitel lautete: Was ist? Habt Ihr noch nie einen Politiker gesehen, der ein Baby küsst? Der Zeichner Dave Brown beantwortete die Beschwerde der israelischen Regierung damit, dass er auf Goya's Bild Saturn opfert seinen Sohn als Vorbild der Karikatur verwies. Deren Absicht sei daher nicht antisemitisch. Er gewann für den Cartoon einen Jahrespreis der britischen Political Cartoon Society.[15]

Islamische Länder

In arabisch-islamischen Medien ist seit geraumer Zeit ein wachsender Arabischer Antisemitismus zu beobachten, in dessen Kontext die judenfeindliche Ritualmord-Propaganda inzwischen häufiger auftaucht. Dies begann mit der von Christen initiierten Damaskusaffäre 1840, die als erstes Zeichen einer globalisierten Mediengesellschaft gilt. Judenfeindliche Agitatoren versuchten die Ritualmord-Legende nach dem Vorbild christlicher Gruppen für politische Ziele zu nutzen, fanden aber in der muslimischen Bevölkerung zunächst wenig Glauben, so dass daraus selten Pogrome folgten.

Besonders in Ägypten, Jordanien, im Iran und in Saudi-Arabien sind Ritualmord-Stereotypen in den staatlich kontrollierten Medien inzwischen jedoch akzeptiert. Al Riad, die saudiarabische Regierungszeitung, schrieb z.B. am 10. März 2002:[16]

Sie [die Juden] werden bezichtigt, nichtjüdische Kinder und nichtjüdische Erwachsene an sich zu locken, sie zu schlachten und ihnen das Blut abzuzapfen. Sie werden bezichtigt, dieses Blut in die Mazzen (ungesäuertes Brot) zu verbacken...Das jüdische Volk ist verpflichtet, für dieses Fest Menschenblut aufzutreiben, damit ihre Geistlichen dieses Gebäck für die Feiertage vorbereiten können.

Im Herbst 2003 erschien zum Fastenmonat Ramadan in einem von der Hisbollah betriebenen Fernsehsender Al-Manar in Syrien eine Vorabendserie Al Shatat („Diaspora"). Eine der 29 Folgen, die Juden für nahezu alle politischen Katastrophen der Neuzeit verantwortlich machten, zeigte, wie jüdische Rabbiner an einem „Sabbatschänder“ ein „heiliges talmudisches Ritual" vollstreckten: Sie foltern den Gefesselten grausam, zwingen ihn, flüssiges Blei zu trinken, schneiden ihm ein Ohr ab und durchtrennen zuletzt seine Halsschlagader. In einer weiteren Folge wurde ein christliches Kind geschlachtet, um dessen Blut zum Backen von Mazzen zu verwenden. Im Abspann des Films wurde dem syrischen Verteidigungsministerium, dem Kulturministerium, der Archäologiebehörde und der Polizei von Damaskus gedankt. Zunächst sollte die Serie im staatlichen syrischen Fernsehen gezeigt werden und in Farsi, Englisch und Hebräisch übersetzt werden. Auf internationale Kritik hin zog die syrische Regierung diesen Plan zurück und bestritt, dass sie die Produktion unterstützt habe. Der Direktor des Senders betonte jedoch: Die Serie zeigt die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.[17]

Quellen

  1. Poppy Dixon: Eating Fetuses: The lurid Christian fantasy of godless Chinese eating "unborn children." Oktober 2000 (englisch)
  2. Jewish Encyclopedia: Apion
  3. Rohrbacher/Schmidt, Judenbilder S. 18
  4. Grundlose antisemitische Fabeln (englisch)
  5. Raimund Elfenberg, Die Bejlis-Affäre S. 12 (pdf)
  6. Andreas Heusler, Tobias Weger: Kristallnacht. Gewalt gegen die Münchner Juden im November 1938 (mit Stadtgeschichte)
  7. Rita Voltmer, Franz Irsigler: Die europäischen Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit - Vorurteile, Faktoren und Bilanzen
  8. Neue Zürcher Zeitung (26. Juli 2000): Die frühesten Dokumente zum Hexensabbat
  9. Rohrbacher/Schmidt, a.a.O. S. 355
  10. Rohrbacher/Schmidt, a.a.O. S. 358
  11. Rohrbacher/Schmidt, a.a.O. S. 359
  12. Rohrbacher/Schmidt, a.a.O. S. 360
  13. Rohrbacher/Schmidt, a.a.O. S. 362
  14. The Torture And Death of Saint Simon of Trent: Ritualmord-Propaganda der American Promises Organisation (englisch)
  15. Artikel über den Cartoon im „Independent" (englisch)
  16. MEMRI: Saudi-arabische Zeitung über die 'schrecklichen Gebräuche' der Juden zum Purimfest (15. März 2002)
  17. Michael Borgstede: Hisbollah und Syrien kooperieren: Judenhass im Vorabendprogramm

Literatur

  • Susanna Buttaroni, Stanislaw Musial: Ritualmord. Böhlau Verlag 2002, ISBN 3205770285
  • Rainer Erb: Die Legende vom Ritualmord. Metropol 1993, ISBN 392689315X
  • Hannelore Fieg: Ritualmord und Satanskultbeschuldigungen in Spätantike, Mittelalter und früher Neuzeit. Christen und Juden, Ketzer und Hexen, Diplomarbeit Universität Innsbruck 2000
  • Johannes T. Groß: Ritualmordbeschuldigungen gegen Juden im Deutschen Kaiserreich (1871-1914) Berlin: Metropol, 2002. ISBN 3932482840
  • Christoph Nonn: Eine Stadt sucht einen Mörder. Gerücht, Gewalt und Antisemitismus im Kaiserreich. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2002, ISBN 3525362676
  • Helmut Walser Smith: Die Geschichte des Schlachters. Mord und Antisemitismus in einer deutschen Kleinstadt. Wallstein Verlag, Göttingen 2002, ISBN 3892446121
  • Stefan Rohrbacher, Michael Schmidt: Judenbilder. Kulturgeschichte antijüdischer Mythen und antisemitischer Vorurteile. Rowohlt, Reinbek 1991, ISBN 3-499-55498-4 (S. 269-291: Ritualmord und Hostienfrevel; S. 304-368: Die Barbarei längst verflossener Jahrhunderte)
  • Georg R. Schroubek: Zur Kriminalgeschichte der Blutbeschuldigung. In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Nr. 65, 1985, S. 2-17

Siehe auch