Zum Inhalt springen

Waldheim-Affäre

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 8. Juni 2006 um 19:35 Uhr durch WiESi (Diskussion | Beiträge) (National). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Als Waldheim-Affäre wird die Aufdeckung der NS-Vergangenheit des ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen Kurt Waldheim durch das Nachrichtenmagazin profil im Zuge des österreichischen Präsidentschaftswahlkampfes 1986 bezeichnet. Waldheim konnte die Mitgliedschaft im SA-Reitersturm sowie im NS-Studentenbund nachgewiesen werden. Des Weiteren hat er über Einsatzgebiet und -dauer als Ordonnanzoffizier im Zweiten Weltkrieg gelogen. Wesentliche, zeitweise – mit gefälschen Faksimilien – untermauerte Unterstellungen, erwiesen sich jedoch als haltlos.

Die Aufdeckung

1986 fand in Österreich eine Wahl für das Amt des Bundespräsidenten statt. Rudolf Kirchschläger durfte verfassungsgemäß nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren.

Kurt Waldheim kandidierte für die ÖVP. Die Volkspartei sah gute Chancen, gegen den von der SPÖ unterstützten Kandidaten, Gesundheitsminister Kurt Steyrer, zu gewinnen und erstmals in der Zweiten Republik den Bundespräsidenten zu stellen. Waldheims Vorteil war seine große internationale Erfahrung als UNO-Generalsekretär. Dies versuchte man mit dem Wahlplakat „Ein Österreicher, dem die Welt vertraut“ vor der Skyline New Yorks zu unterstreichen.

Durch einen am 3. März 1986 unter der Schlagzeile „Waldheim und die SA“ vom Nachrichtenmagazin „profil“ veröffentlichten Artikel wurde bekannt, dass Waldheim in seiner kurz zuvor erschienenen Autobiographie „Im Glaspalast der Weltpolitik“ über sein Verhalten während der Zeit des Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg lückenhaft und teilweise falsch informiert hatte. Insbesondere hatte er seine Mitgliedschaft in NS-Organisationen wie dem SA-Reiterkorps und seine Tätigkeit als Ordonnanzoffizier in Saloniki von 1942 bis 1943 verschwiegen. Stattdessen hatte er behauptet, er sei an der Ostfront verwundet worden und habe die restliche Kriegszeit in Österreich verbracht.

Waldheim wies alle diese Vorwürfe (v. a. durch den Jüdischen Weltkongress) zurück. Berühmt wurde seine Äußerung: „Ich habe im Krieg nichts anderes getan als hunderttausende Österreicher auch, nämlich meine Pflicht als Soldat erfüllt.“

In der Folge wurde der Wahlkampf immer aggressiver geführt. Waldheims Anhänger sprachen von einer Schmutzkübelkampagne; nach der Auffassung seiner Gegner griff die Waldheim unterstützende ÖVP auch auf antisemitische Argumente zurück. Michael Graff, der Generalsekretär der ÖVP, meinte: „Solange nicht erwiesen ist, dass er eigenhändig sechs Juden erwürgt hat, gibt es kein Problem“. Der offizielle Slogan für Waldheim lautete: „Jetzt erst recht!“. Im 1. Wahlgang am 4. Mai 1986 verfehlte Waldheim mit 49,6 % der gültigen Stimmen knapp die absolute Mehrheit. Die Stichwahl gegen Kurt Steyrer vom 8. Juni 1986 entschied er mit 53,9 % für sich.

Folgen der Affäre

National

Unmittelbar nach Waldheims Wahl traten Bundeskanzler Fred Sinowatz und Außenminister Leopold Gratz (beide SPÖ) zurück.

Wie nachträglich (1991) durch ein gerichtliches Verfahren festgestellt wurde, hatte Sinowatz schon vor den ersten Veröffentlichungen in der Presse parteiintern – nämlich am 25. Oktober 1985 gegenüber dem burgendländischen SPÖ-Parteivorstand – davon gesprochen, man werde Österreich rechtzeitig auf „Waldheims braune Vergangenheit“ aufmerksam machen. Diese Ankündigung dürfte durch die Weiterleitung entsprechender Informationen an „profil“ in die Tat umgesetzt worden sein. Sinowatz wurde aufgrund der Leugnung, eine derartige Äußerung getätigt zu haben, wegen falscher Beweisaussage verurteilt.

Die neue österreichische Bundesregierung setzte eine internationale Historikerkommission unter dem Schweizer Hans Rudolf Kurz ein. Diese konnte keine Hinweise für eine Beteiligung Waldheims an Kriegsverbrechen finden. Es wurde aber belegt, dass Waldheim mehr gewusst hatte, als er in seiner Biografie angegeben hatte. Insbesondere wies sie Waldheim die Mitgliedschaft in SA und NSDStB nach, welche Waldheim abgestritten hatte. Die Veröffentlichung dieser Erkenntnisse 1988, kurz vor dem 50. Jahrestag des „Anschlusses“, führte zu einer Regierungskrise, da Bundespräsident Waldheim und die mitregierende ÖVP den Bericht zunächst ablehnen wollten. Schließlich beschränkte sich die Regierung unter Bundeskanzler Franz Vranitzky darauf, den Bericht einfach „zur Kenntnis“ zu nehmen.

Damit erwies sich auch die von Elan Steinberg, einem Vertreter des Jüdischen Weltkongresses (WJC), aufgestellte Behauptung, Waldheim sei „in eine Reihe mit Eichmann, Barbie und Mengele“ zu stellen, als haltlos. Bemerkenswert ist, dass auch Simon Wiesenthal im Zuge der Waldheim-Affäre in Opposition zum WJC trat und sich gegen Anschuldigungen, Waldheim sei ein Kriegsverbrecher, stellte.

Nach der Wahl Waldheims gab schließlich auch der WJC zu, dass die entscheidenden Hinweise über „Waldheims braune Vergangenheit“ aus dem Bereich der SPÖ erfolgt waren.

International

Am 25. März 1986 beantragte der Jüdische Weltkongress (WJC) die Eintragung Waldheims in die „watch list“ des amerikanischen Justizministeriums. Am 27. April 1987 wurde dem stattgegeben. Dies bedeutet u. a. ein Einreiseverbot für Waldheim als Privatperson, das bis heute besteht. Auch sonst blieb Waldheim isoliert; gern gesehener Gast war er nur im Vatikan und in arabischen Staaten.

Die schon aus seiner Zeit als UNO-Generalsekretär herrührenden guten Kontakte in die arabische Welt führten 1990 zu einem diplomatischen Erfolg: Als Saddam Hussein vor dem Beginn des Zweiten Golfkriegs zahlreiche westliche Ausländer als Geiseln in Irak festhielt, reiste Waldheim persönlich nach Bagdad und erreichte die Freilassung der Österreicher.

Aufarbeitung

Obwohl sich die emotionale Debatte in Österreich nach 1988 beruhigte und Waldheim selbst nun ausgewogenere Worte über die Rolle Österreichs im Nationalsozialismus fand, polarisierte er sein Land weiterhin. Manche Anhänger sahen Waldheim als Opfer „gewisser Kreise“ an der „Ostküste“ (eine antisemitische Chiffre); seine Gegner nahmen ihm die späte Einsicht nicht ab; damals kam die ironisch-ehrerbietige Abkürzung UHBP („Unser Herr Bundespräsident“) auf. Weit davon entfernt, zu einer über den Parteien stehenden Autorität zu werden, verzichtete Waldheim am Ende seiner ersten Amtszeit 1992 auf eine erneute Kandidatur.

Kritiker sahen im Verhalten Waldheims während des Wahlkampfs und danach ein Charakteristikum für den unbewältigten Umgang Österreichs mit der NS-Vergangenheit, der aus Verdrängen bestehe. Erst 1991 erfolgte ein eindeutiges Bekenntnis der Mitschuld Österreichs an den NS-Verbrechen durch Bundeskanzler Franz Vranitzky.

Dessen ungeachtet gilt die Waldheim-Affäre heute als Lehrbeispiel für penibel vorbereitetes, aber gescheitertes „negative campaigning“.

Literatur

  • Harold H. Tittmann: „Die Verteufelung“, eine Dokumentation der US-Rufmord-Kampagne gegen Waldheim – ISBN 3854850611