Prieuré de Sion
Die Prieuré de Sion (von französisch prieuré: „Priorei“, „Kloster“ und Sion: „Zion“), oder auch Bruderschaft vom Berg Zion, wird in einigen Büchern als legendärer esoterischer und aristokratischer Geheimbund geschildert.
Die historische Priorei von Sion und die fiktive Geheimgesellschaft
Tatsächlich gab es in Orléans ein französisches katholisches Kloster mit dem Namen Prieuré de Sion, das von etwa 1100 bis 1627 existierte und dessen Mönche insbesondere die Maria Magdalena als „Unsere Frau von Zion“ verehrten. Von diesem Kloster sind keine Beziehungen zur Esoterik bekannt.
Der angebliche Geheimbund Prieuré de Sion ist mit dem historischen Kloster nicht identisch. Der späteren Verschwörungstheorie um die Prieuré zufolge rekrutierten sich ihre Mitglieder aus Überlebenden des Templerordens, nachdem dieser am 13. Oktober 1307 aufgelöst worden war. Andere Quellen sprechen davon, dass die Prieuré bereits vor den Templern existierten und ihr hochrangiges Mitglied Gottfried von Bouillon den Templerorden gründete, indem er neun Ritter nach Jerusalem schickte, um dort angeblich die Pilger zu beschützen, in Wirklichkeit jedoch in ihrem Auftrag verborgene Dokumente aus dem Innern des Herodes-Tempels in Jerusalem bergen sollte. Manche schließlich sehen in der Prieuré verräterische Renegaten des Templerordens.
Zu den Großmeistern der Prieuré de Sion sollen Angehörige des französischen und deutschen Hochadels wie der Herzog von Niederlothringen Gottfried von Bouillon gehört haben, später Wissenschaftler und Künstler wie Leonardo da Vinci, Sir Isaac Newton, Victor Hugo und Claude Debussy. Es wird auch behauptet, Michel de Notredame (Nostradamus) hätte Verbindungen zu der imaginären Geheimgesellschaft gehabt.
Die Plantard-Dokumente
Des Weiteren gab es einen Verein Prieuré de Sion, der vom Franzosen Pierre Plantard (1920–2000) am 7. Mai 1956 gegründet wurde, und dessen Statuten in Saint-Julien-en-Genevois in Hochsavoyen hinterlegt wurden. Den Namen hatte er einem Berg bei Annemasse entlehnt. Den Statuten zufolge handelte es sich um eine gewöhnliche katholische Laienvereinigung, was unter Anhängern und Verbreitern der späteren Verschwörungstheorie für Verwirrung sorgte, da der Geheimgesellschaft stets eine kirchenfeindliche Ausrichtung zugeschrieben wurde. Der Verein veröffentlichte eine Zeitschrift und bestand etwa ein Jahr lang.
Plantard wurde 1953 wegen Betrugs und Unterschlagung verurteilt. Es folgte die detaillierte Ausarbeitung der Prieuré-Verschwörungstheorie unter Mithilfe von Gérard de Sède und Philippe de Chérisey. In den 1960er Jahren begann Plantard systematisch Dokumente zu fälschen und sie glaubhaften Stellen, wie etwa Museen, unterzuschieben, wobei er in einigen Fällen sogar begleitende Echtheitszertifikate fälschte. Diese Dokumente wiesen allesamt auf eine Geheimgesellschaft Prieuré de Sion hin, die seit Jahrhunderten im Verborgenen das Geheimnis einer angeblichen Nachkommenschaft der Merowinger hüte. Zu diesen Nachkommen gehörten angeblich Otto von Habsburg und natürlich Pierre Plantard selbst. Um seine angebliche Herkunft aus dem Hochadel zu untermauern, legte Plantard sich den Namensbestandteil „de Saint-Clair“ zu und ließ sich mit „Eure Majestät“ anreden.
Plantard und seine Komplizen stellten auch eine Verbindung zwischen der angeblichen Nachkommenschaft der Merowinger und dem Mythos um die südfranzösische Ortschaft Rennes-le-Château her, der schon zahlreiche Schatzsucher begeistert hatte. Demzufolge sei in Rennes ein Schatz verborgen, entweder der Schatz des Templerordens oder derjenige des Königs Salomo. (Es stellte sich später heraus, dass das Gerücht von einem lokalen Gastwirt verbreitet worden war, der damit Touristen anlocken wollte.) Plantard behauptete nun, der Schatz sei in Wahrheit das Geheimnis um die heimlichen Merowingernachfahren. De Chérisey fälschte entsprechende Dokumente und schob sie dem Priester Bérenger Saunière unter, der das Geheimnis von Rennes in den 1910er Jahren entdeckt haben soll.
Die "Jesus-Blutlinie"
Der britische Journalist und Esoteriker Michael Baigent fügte der Verschwörungstheorie eine wichtige Komponente hinzu: Ein „Jahrtausende altes Geheimnis“ um die Nachkommenschaft Jesu, das die Kirche erschüttern würde, sollte es jemals ans Licht kommen, soll sich auf eine überlieferte Heiratsurkunde von Jesus von Nazareth und Maria Magdalena sowie eine Liste ihrer Nachkommen gründen, zu denen wiederum die Merowingerkönige gehören sollen. Diese Überlieferung trüge den Namen Sangreal (frz. sang réal = „königliches Blut“, woraus sich dann san greal oder san graal = „heiliger Gral“ ergeben habe), und wird so mit den Legenden um den Heiligen Gral in Verbindung gebracht.
Auflösung
Als 1989 der Geschäftsmann Roger-Patrice Pelat, ein Freund von François Mitterrand und angeblicher Großmeister der Prieuré de Sion, unter rätselhaften Umständen starb, wurde Plantard verhört, der etwa zeitgleich eine Neuauflage der Prieuré (die dritte nach der Vereinsgründung in den 1950er und der Fälschungskampagne in den 1960er Jahren) in Angriff genommen hatte. In diesem Verhör sagte Plantard unter Eid aus, dass es die Prieuré de Sion nicht gebe, und erklärte, alles erfunden zu haben. Die französischen Behörden durchsuchten das Haus Plantards und fanden dort zahlreiche „Urkunden“ der Prieuré de Sion, unter anderem solche, die aussagten, Plantard sei der „wahre König von Frankreich“. De Chérisey hatte sich bereits Jahre zuvor nach Rechtsstreitigkeiten mit de Sède schriftlich von der Verschwörungstheorie distanziert.
Nach Plantards Tod im Jahre 2000 verselbständigte sich der Mythos um die Prieuré zunehmend. Einer neuen Spekulation zufolge war Plantard lediglich eine Galionsfigur; die wahren Absichten der Geheimgesellschaft seien ihm nicht bekannt gewesen. Diese Spekulation, mit ebenso wenig Beweiskraft wie die vorhergehenden, betont die politischen Implikationen der Verschwörungstheorie stärker und stellt die esoterisch-religiösen Aspekte in den Hintergrund.
Einordnung
Gegen die von Anhängern der Verschwörungstheorie immer wieder aufgestellte Behauptung, die Natur der Prieuré sei aufklärerisch und kirchenkritisch, lässt sich einwenden, dass die Verschwörungstheorie wesentlich einem antichristlichen, politischen "Katholizismus" entspricht, wie er von dem französischen Nationalisten Charles Maurras (der selbst nicht religiös, sondern agnostisch und positivistisch argumentierte) propagiert wurde und auch im italienischen Faschismus eine gewisse Verbreitung fand: Die römisch-katholische Kirche sei keine christliche Glaubensgemeinschaft, sondern Nachfolgerin des römischen Reiches und somit Trägerin und Garant des Fortbestandes der romanischen Kultur.
Auf diese Weise erklären sich die einzelnen Elemente der Verschwörungstheorie:
- die hervorgehobene Rolle Maria Magdalenas, deren Verehrung als Heilige in Frankreich weit verbreitet ist,
- die Verwendung des Gralsmythos, der sich hauptsächlich in der romanischen Kultur des Mittelalters entwickelte,
- der starke Bezug auf (vorgeblich oder tatsächliche) geschichtsträchtige Orte in Frankreich, wie Montségur und Rennes-le-Château,
- das Einbringen der fränkischen Merowingerdynastie, da die vermeintliche Abstammung von den Franken dem Ursprungsmythos des französischen Adels entspricht,
- der Bezug auf die Kreuzzüge (von Plantard als Versuch Gottfrieds von Bouillon dargestellt, die "Gralsdynastie" von neuem in Jerusalem zu installieren, wie sie es zuletzt zu Jesu Zeiten gewesen sei), welche die These von der katholischen Kirche als imperiale Machtinstitution zu beweisen scheinen,
- die Verwendung antisemitischer Elemente (Protokolle der Weisen von Zion), welche die Verschwörungstheorie als rechtsgerichtet und nationalistisch charakterisieren,
- die angebliche Verbindung der Prieuré zum katholischen Großreich der Habsburger,
- sowie der Bezug auf bedeutsame historische Epochen romanischer Länder, etwa das Frankenreich, die italienische Renaissance oder die französische Résistance.
Veröffentlichungen
In Veröffentlichungen tauchte die Prieuré erstmals in den 1950er Jahren auf. Das erste Buch, das die Thematik aufgriff, erschien 1967: L'or de Rennes von Gérard de Sède.
Plantards und de Chériseys gefälschte Dokumente wurden von den BBC-Reportern Michael Baigent, Richard Leigh und Henry Lincoln, die daneben noch weitere Bücher verfasst haben, ernst genommen und im 1982 erschienenen Buch Der heilige Gral und seine Erben als mögliche historische Tatsache dargestellt. Während Baigent die "Jesus-Blutlinie" in die Verschwörungstheorie einfügte, konzentrierte sich Lincoln auf die angeblichen Geheimnisse um Rennes-le-Château. Das Autorentrio verwendete zur Untermauerung seiner Darlegung u. a. die Protokolle der Weisen von Zion.
Dieses Buch beeinflusste seinerseits zahlreiche Autoren, darunter Dan Brown, den Autor von Sakrileg (im Original The Da Vinci Code), der die Verschwörungstheorie aufgreift, und Peter Berling (Die Kinder des Gral). Umberto Eco persiflierte das Thema in seinem Roman Das Foucaultsche Pendel, in dem die Protagonisten die Beweisführung Baigents, Leighs und Lincolns benutzen, um den fiktiven „großen Plan“ einer Weltverschwörung zu entwerfen.
2006 trieb die Verschwörungstheorie eine neue Blüte: Baigent, Leigh und Lincoln bezichtigten den Bestsellerautor Brown des Plagiats und strengten einen Prozess an. Aufschlussreich ist, dass sich aus juristischer Sicht natürlich nur fiktive Plots plagiieren lassen - nicht aber geschichtliche Tatsachen. Abgewiesen wurde die Klage nur deshalb, weil den Klägern der Nachweis nicht gelungen war, dass Brown aus ihren Veröffentlichungen abgeschrieben hatte.
Liste angeblicher Großmeister der Prieuré de Sion
- Johann von Gisors
- Marie von Saint-Clair
- Wilhelm von Gisors
- Eduard von Bar
- Johanna von Bar
- Johann von Saint-Clair
- Blanche von Evreux
- Nicolas Flamel
- René von Anjou
- Jolande von Anjou
- Alessandro di Mariano Fillepi alias Sandro Botticelli
- Leonardo da Vinci
- Karl III., Herzog von Bourbon
- Ferdinand von Gonzaga
- Ludwig von Nevers
- Robert Fludd
- Johann Valentin Andreae
- Robert Boyle
- Sir Isaac Newton
- Charles Radcliffe
- Karl Alexander Emmanuel von Lothringen
- Maximilian von Habsburg-Lothringen
- Charles Nodier
- Victor Hugo
- Claude Debussy
- Jean Cocteau
- Pierre Plantard
Filme
- The History of a Mystery, BBC 1996
- Revelation, 2001
- Das Blut der Templer, Pro 7 und Highlight-Video 2004
- Terra X - Geheimakte Sakrileg, 2005
- The Da Vinci Code – Sakrileg, 2006
Literatur
Pseudowissenschaftliche Literatur
- Baigent, Michael: Die Gottesmacher. Lübbe, Bergisch Gladbach 2006, ISBN 3785722524
- Lincoln, Henry/Baigent, Michael/Leigh, Richard:
- Der heilige Gral und seine Erben. Lübbe, Bergisch Gladbach 1984, ISBN 3785703708
- Der Gral. Das geheime Wirken der Bruderschaft. Tosa Verlagsgesellschaft mbH, Wien 2004, ISBN 3854926146
Belletristik
- Baigent, Michael: Das Geheimnis der Templer. Knaur, München 1995, ISBN 342663063-X
- (Schlüsselroman über die Verschwörungstheorie.)
- Berling, Peter:
- Die Kinder des Gral. Lübbe, Bergisch Gladbach 1991, ISBN 3785706065
- Das Blut der Könige. Lübbe, Bergisch Gladbach 1993, ISBN 3785706847
- Die Krone der Welt. Lübbe, Bergisch Gladbach 1995, ISBN 3785707886
- Der schwarze Kelch. Lübbe, Bergisch Gladbach 1997, ISBN 3785708874
- Der Kelim der Prinzessin. Lübbe, Bergisch Gladbach 2005, ISBN 3785721935
- Brown, Dan: Sakrileg. Lübbe, Bergisch Gladbach 2004, ISBN 3785721528
- Hohlbein, Wolfgang:
- Das Blut der Templer. vgs 2004, ISBN 3802534360
- Das Blut der Templer II: Die Nacht des Sterns. vgs 2005, ISBN 3802534786
- Köppel, Helene-Luise:
- Die Erbin des Grals. Verlag Rütten & Loening 2003, ISBN 3352007020
- (Als der Priester Bérenger Saunière im Jahr 1886 einen unermesslichen Schatz findet und von da an ein Leben in Luxus führt, gibt es eine Zeugin: seine Haushälterin und Geliebte Marie Dénarnaud.)
- Die Ketzerin vom Montségur. Aufbau-Verlag, Berlin 2002, ISBN 374661869-X
- (Der Schatz des Salomo in Rennes-le-Château.)
- Die Erbin des Grals. Verlag Rütten & Loening 2003, ISBN 3352007020
Weblinks
- Kritische Informationen zur Prieuré de Sion (englisch)
- CESNUR: Beyond the Da Vinci Code: What is the Priory of Sion? (englisch)
- Film Das Blut der Templer bei Pro7
- Die Geschichte der Priorei und eine Liste angeblicher Großmeister
- Prieuré de Sion - Die Geschichte einer Geschichte Gesellschaft für Film- und Medienkritik e.V.