St. Matthias (Nieder-Roden)

Die katholische Pfarrkirche St. Matthias Nieder-Roden ist ein neogotisches Kirchengebäude in Rodgau-Nieder-Roden, das zum Dekanat Offenbach im Bistum Mainz gehört und unter dem Patrozinium des heiligen Matthias steht. Die romantische Schlimbach-Orgel der Pfarrkirche ist heute eine seltene Kostbarkeit, eine musikhistorische Rarität.
Lage
Die Kath. Pfarrkirche St. Matthias in Rodgau-Nieder-Roden in der Turmstraße 5 befindet sich im historischen Ortskern von Nieder-Roden nur wenige Meter vom S-Bahnhof Nieder-Roden entfernt und ist deshalb mithilfe der S (-Bahn) 1 im Rhein-Main-Verkehrsverbund unter anderem aus Wiesbaden, Mainz-Kastel, Frankfurt am Main und Offenbach am Main sehr gut zu erreichen (mithilfe der Buslinie OF-99 des Rhein-Main-Verkehrsverbund ebenso optimal aus Langen, Dreieich und Dietzenbach). Da die Pfarrkirche direkt an der Hauptverkehrsstraße von Nieder-Roden und die Stadt Rodgau direkt an der A3 und der B45 liegt, ist sie auch mit dem Auto schnell zu erreichen. Die Parkmöglichkeiten an der Kirche sind eingeschränkt, Fahrradständer vorhanden.
Geschichte

Ende des 11. Jahrhunderts war Nieder-Roden Teil des Landkapitels Rodgau, das dem Stift St. Peter und Alexander in Aschaffenburg unterstellt war. Wegen des nahe gelegenen Benediktinerinnen-Kloster Rotaha im Rodgau entwickelte sich in Nieder-Roden schon sehr früh kirchliches Leben. Die erste Kirchweihe ist für den 15. August 1298 durch Erzbischof Gerhard II. von Eppstein belegt. [1] Das Kirchweihfest wurde dabei vom Festtag des Schutzpatrons Matthias auf den Sonntag vor Mariä Himmelfahrt verlegt. [2] Im damaligen Kirchbau von 1298 war auch der alte Wehrturm als Kirchturm mit einbezogen. Er beherrscht bis heute das Ortsbild von Nieder-Roden und steht seit vielen Jahren unter Denkmalschutz.
1425 verkauften die Grafen von Eppstein Stadt und Schloss Steinheim mit Nieder-Roden an den Mainzer Erzbischof Konrad von Dhaun. Die Nieder-Rodener Kirche wurde der Kath. Pfarrgemeinde in Ober-Roden angegliedert. 1518 kam die wertvolle Marienglocke (Zentglocke) in den alten Wehrturm.
Nach 1540 versuchte Graf Philipp IV. von Hanau-Lichtenberg lutherische Pfarrer zu präsentieren, aber auf Einspruch des Erzbischofes von Mainz wurden nach der Erweiterung des Nieder-Rodener Kirchenbaus (1542) ab 1576 wieder katholische Pfarrer eingesetzt. Als im Dreißigjährigen Krieg 1622 die Soldateska Nieder-Roden brandschatzte, trug die kleine Kirche erhebliche Schäden davon, hielt aber stand. Sie wurde nach dem Krieg vollständig restauriert. 1666 erfolgte durch den Mainzer Erzbischof Johann Philipp von Schönborn die Trennung von der Ober-Rodener Pfarrei. Die Matthiaskirche war nun wieder eine Pfarrkirche.
1866 wurde der alte Wehrturm renoviert und sein ehemals flaches Dach mit der Spitze und den vier Ecktürmchen versehen.
Bedingt durch notwendig gewordene umfangreiche Restaurierungsmaßnahmen an und in der alten gotischen Kirche aus dem Mittelalter war ein intensives Studium der Kunst der Gotik möglich. Im Zuge der Wiederentdeckung des Mittelalters durch die deutsche Romantik war man schließlich in der Lage, einen Neubau historisch getreu und täuschend echt, dem gotischen Stil imitierend, zu errichten. Deutlich geprägt von der Industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts und ihren zahlreichen neuen bautechnischen und handwerklichen Möglichkeiten entstand deshalb 1895 in der stark anwachsenden Pfarrgemeinde anstelle der inzwischen sehr baufällig gewordenen gotischen Kirche, an der Südostecke des nun frei stehenden alten Wehrturms angesetzt, ein modernes neugotisches Gotteshaus in kürzester Zeit und stilistisch aus einem Guss. Entsprechend wurde auch das Kircheninnere neogotisch (mit roter, blauer, goldener Bemalung) ausgestattet. Die Kirchweihe der heutigen Pfarrkirche St. Matthias in Rodgau-Nieder-Roden erfolgte am 27. September 1896 durch den Mainzer Bischof Haffner. Er stellte sie unter das Patrozinium des heiligen Apostels Matthias.
Die Matthiasstatue mit Buch und Beil über dem Hauptportal der Kirche wurde am Matthiastage 1897 angebracht.
Bedingt durch Kriegsschäden, durch notwendig gewordene Instandsetzungsarbeiten oder auch abwertende Urteile wurde nach 1945 die ursprüngliche Ausstattung dieser Kirche entfernt. Innenraumbemalungen wurden mit weißer Farbe übertüncht, die Bauform wieder besser sichtbar gemacht. Der neugotische Hochaltar wurde 1968 beispielsweise abgerissen und auf einen einfachen Volksaltar reduziert. [3]
Im Jahre 1982 ließ die katholische Pfarrgemeinde St. Matthias Nieder-Roden ihre Pfarrkirche aufwendig renovieren. Viele Teile des Mauerwerkes wurden restauriert. Das gesamte Kirchendach wurde neu gedeckt, der brüchig gewordene Sandstein saniert und die Fenstervergitterungen überholt. Mit der Renovierung wurde sichergestellt, dass die historischen Teile des Kirchengebäudes mit dem gotischen Wehrturm und dem spätgotischen Marienretabel erhalten bleiben. Einigen Bürgern gelang es, Teile des neugotischen Hochaltars zu retten. So konnte er rekonstruiert und im Jahr 2002 wieder aufgestellt werden.
Durch die Flucht und Vertreibung Deutscher aus Mittel- und Osteuropa 1945–1950 kam es in Nieder-Roden auch zur Ansiedelung evangelischer Christen und in der fast ausschließlich evangelischen Nachbargemeinde Dudenhofen zur Ansiedelung katholischer Christen. Diese wurden bis zum Bau ihrer eigenen Dudenhöfer katholischen Kirche 1954 seelsorgerisch von der Pfarrgemeinde St. Matthias Nieder-Roden betreut. Für die vielen katholischen Neubürger im südlich benachbarten Ort Rollwald wurde 1971 ein auf kircheneigenem Gelände errichteter Kirchenpavillon eingeweiht. Er wird bis heute von der Kath. Pfarrgemeinde St. Matthias Nieder-Roden betreut.
Baubeschreibung

Auf dem ersten Blick scheint die neugotische Kirche den gotischen Vorbildern aus dem Mittelalter verblüffend ähnlich und stilistisch perfekt, ja bis ins letzte Detail noch vollkommener nachgebaut zu sein. Bei näherem Hinsehen jedoch wirkt sie vielleicht starr, schematisch und künstlich. So sind zum Beispiel die gemeißelten Grate des Maßwerks oder des Kapitellschmucks zu scharf, um echt zu wirken. Sie sind eben nicht durch Jahrhunderte abgenutzt und verwittert. Bei der Innenausstattung erscheint das Gold am Hochaltar, den Heiligenfiguren und ihren Konsolen bzw. Baldachinen auch viel glänzender und üppiger aufgetragen als in einer gotischen Kirche des Mittelalters.
Äußerliche Merkmale der neugotischen Pfarrkirche sind der basilikale Grundriss mit drei Kirchenschiffen und Fensterreihen (Obergaden) über den zwei Seitenschiffen, der hoch aufragende, helle Chor mit großen Fenstern, die Rosetten über den Portalen und eine Fülle an Maßwerk und Wimpergen. Anders als bei den meisten neugotischen Kirchenfassaden fehlt hier allerdings eine Fülle zumeist stilisierter pflanzlicher Elemente, sogenannte Krabben und Kreuzblumen, welche in der Regel die Spitztürmchen (Fialen) und die Wimperge überziehen. Die typischen, aus Stein gemeißelten, schlanken, spitz auslaufenden flankierenden Türmchen (Fialen), die in der gotischen Architektur der Überhöhung von Wimpergen und Strebepfeilern dienten, fehlen ganz. Auf ein ausladendes Strebewerk - wie im Mittelalter notwendig - konnte durch neue Bautechniken verzichtet werden. Die perfekt vollendeten, filgranen, hoch aufragenden Kirchtürme der Neugotik sind bei dieser Pfarrkirche nur angedeutet. Es fehlt auch die typische Tympanon-Gestaltung im hochgotischen Stil. Dafür beeindruckt über dem Hauptportal der Pfarrkirche der heilige Matthias mit Buch und Beil (für sein Apostelamt) als Architekturplastik. Um ihn vor den mächtig aufragenden Wänden genügend zur Geltung zu bringen, wurde er mit einem Baldachin überhöht (Baldachinbekrönung über der freistehenden Heiligenfigur). Diese dreidimensionale Variante des Spitzbogens hebt die Statue wie ein architektonischer Rahmen hervor.
Innenausstattung
Bedingt durch Kriegsschäden, durch notwendig gewordene Instandsetzungsarbeiten oder auch abwertende Urteile wurde nach 1945 die ursprüngliche Ausstattung der neugotischen Pfarrkirche entfernt. Sie enthielt eine Fülle an Ausstattungsstücken, die im historischen Stil nachgearbeitet und mit übertriebenen Maßwerk-Verzierungen überladen waren. So war insgesamt eine düsterdunkle Ausstrahlung des Kircheninnenraumes zu beobachten. Aufgrund der kurzen Bauzeit wirkte der Innenraum andererseits auch sehr einheitlich und war geprägt durch klare Gliederung und ähnlich bleibende Details. Während der letzten Jahrzehnte rekonstruierte man einen Teil davon originalgetreu.
Hauptmerkmal der neugotischen Pfarrkirche innen war und ist seit 2002 wieder der vergoldete neugotische Hochaltar mit hohen filigranen Sprenggiebeln (Gesprenge), die eine Fülle unterschiedlich großer Heiligenfiguren tragen. Als Wächter stehen neben den beiden Erzengeln Michael und Raphael an beiden Seiten des Hochaltars lebensgroß der Diözesanpatronat Martin von Tours und der Pfarrpatronat Matthias. Andachtsbilder mit den üblichen Bildthemen aus dem Leben Jesu und Kreuzwegstationen sind im gotischen Stil nachgeahmt. Eine biblische Darstellung auf brauntonigem Gemälde im Stil der Nazarener zeigt Jesus mit langem weißen Gewand nach dem Vorbild der Jesusfigur von Thorwaldsen, dessen verkleinerte Kopien auch in vielen bürgerlichen Haushalten aufgestellt waren. An den acht Säulenkapitellen des Mittelschiffs (sie stehen symbolisch für die geistige Geburt durch die Taufe/Firmung und den neuen Bund) stehen auf Konsolen plastische Arbeiten, Heiligenfiguren mit Baldachin (Baldachinfiguren). Das sind von hinten links die Reihe herum nach hinten rechts: die Heiligen Bonifatius, Antonius, Heinrich, Elisabeth, Josef und Aloysius. Die Figuren wirken starr, glatt und schematisch, eben wie mehrfach hergestellte Industriearbeiten, nicht wie jahrhundertealte Meisterstücke aus einer Werkstatt. Dadurch, dass die Wände mit gerahmten Bildern nicht mehr überladen sind (es hängen dort nur noch die Kreuzwegstationen), kommen die Apostelleuchter bzw. Apostelkreuze mehr zur Geltung. Farbige Glasfenster sind nach gotischem Vorbild mit Maßwerk gestaltet, zeigen jedoch eher idyllische biblische Landschaften mit vielen Details und lieblich gemalten Figuren. Die Farben erscheinen nicht in der gewohnten Tiefe. Viele Weißflächen sind mit Schwarzlot bemalt. Das Deckengemälde, das Gott Vater mit Bart und strengem bis gütigem Blick sich aus einer Gloriole oder einer Wolke herabneigend zeigte, ist mit weißer Farbe übertüncht; ebenso die Wandgemälde, die in Bildserien im Stil der Nazarener ähnlich den Bibelillustrationen bekannter Künstler des 19. Jahrhunderts erschienen. So wurden die Bauformen wieder besser sichtbar gemacht. Eine Vorliebe für Engel mit Spruchbändern und Kandelabern, die bei neugotischen Kirchen in der Regel unverkennbar ist, gibt es in dieser Kirche nicht. Die Ausstattungsstücke sind allerdings, ganz typisch für Kirchen im neugotischen Baustil, rot-blau-golden bemalt. Zahlreiche Leuchter stehen vor und auf dem Altar. Das Taufbecken ist achteckig und aus Holz (oder Eisenguss?), eher wie ein normales Möbelstück, denn als liturgischer Gegenstand gestaltet.
Neugotischer Hochaltar (rekonstruiert)
Wer heute die St. Matthiaskirche betritt, dem fällt sofort der wieder hergestellte Hochaltar in der Apsis der Kirche ins Auge. "Was hier, auch nach Rückmeldung vieler Betrachter, gefangen nimmt, ist die Wärme, die dieser Altar ausstrahlt. Das Dunkelrot (die Farbe des Blutes und der Feuersglut), durchsetzt mit Gold (der Farbe des Göttlichen), bewirkt die Stimmung einer strahlenden Geborgenheit.", so der Ortspfarrer Dr. Peter Eckstein. Der Hochaltar sei im Letzten und Tiefsten ein Passionsaltar, der von der Passio Domini erzähle, was man sowohl mit Leiden des Herrn als auch mit Leidenschaftlichkeit des Herrn übersetzen könne.
Vier Altarbilder
Zunächst fallen die vier Altarbilder ins Auge. Vom Betrachter aus gesehen links außen: Die Verkündigung des Engels an Maria. Auf dem Schriftband darunter, in Latein, der Gruß des Engels an Maria: «Ave gratia plena, Dominus tecum» (Sei gegrüßt, voll Begnadete, der Herr ist mit dir.) Rechts außen: Die Geburt Christi. Passend dazu auch das Spruchband: «Et verbum caro factum est» (Und das Wort ist Fleisch geworden). Die beiden Tafeln in der Mitte zeigen uns die Gestalt, die Jesus einmal "den Größten unter allen Menschen" (vgl. Mt 11,11) genannt hat: Johannes den Täufer. Das linke innere Bild hat dabei die Predigt des Täufers zum Thema, die das Spruchband mit «Paenitentiam agite» (Kehrt um) zusammenfasst. Das rechte innere Bild zeigt die Taufe Jesu. «In te complacui» (An dir habe ich Gefallen gefunden) - diese Stimme aus der Wolke im Spruchband sagt, mit wem wir es hier zu tun haben: Mit Gottes Sohn. Diesen Satz darf aber auch jeder Mensch auf sich beziehen, denn alle Menschen sind Gottes Kinder.
Standkreuz im Expositionsaltar
Im Zentrum des Hochaltars befindet sich das Standkreuz im Expositionsaltar. Im Kreuz zeigt sich das Leiden wie die Leidenschaft Gottes in ihrer dichtesten Form: In Jesus lässt sich die Liebe Gottes von einer verständnislosen Welt kreuzigen. Und selbst hier hört sie nicht auf, zu lieben. Ohne zurückzuschlagen, ohne Rachegelüste - und ohne vom Kreuz herabzusteigen. Gerade am Kreuz begegnet uns die Liebe Gottes am klarsten: Sie ist, zeigt sich als nackte, pure Liebe. Deshalb ist gerade das Kreuz das radikalste Zeichen der Erlösung. [4]
Statue des auferstandenden Jesus
Vom Standkreuz im Expositionsaltar führt der Blick schließlich nach oben zum auferstandenen, erhöhten Herrn. Er deutet auf sein verwundetes, goldenes Heiligstes Herz. Sein Blick wendet sich dem Betrachter zu. Auch im siebenten Himmel bleibt der Auferstandene dem Betrachter zugewandt. Er trägt das Priestergewand, das an die Theologie des Hebräerbriefes: Christus ist im Himmel Mittler zwischen Gott und den Menschen. erinnert. "Erhöht" bedeutet bei ihm nicht "abgehoben". Seine Wunden und seine Verwundbarkeit hat er für den Gläubigen in den Himmel mitgenommen, wie seine Stigmata zeigen.
Zwölf Apostel auf dem Stipes
Die Zwölf Apostel im Stipes verbinden den Altar mit dem Boden der Wirklichkeit. Sie sind die Augen- und Ohrenzeugen des Jesusereignisses und stehen (nicht zuletzt mit ihrem Leben) dafür ein, dass die Gläubigen mit dieser Botschaft "nicht irgendwelchen klug ausgedachten Geschichten" folgen (vgl. 2 Petr 1,16).
Tabernakel im Zenit
Im Zenit des Hochaltars schließlich steht mit seinen goldenen Türen der Tabernakel. Hier wird aufbewahrt, was sich in jeder Eucharistiefeier unter den Gestalten von Brot und Wein geheimnisvoll verwirktlicht: Das Allerheiligste, in dem die Liebe Gottes in Jesus erneut Fleisch und Blut angenommen hat. Damit birgt der aus dem Pfarrhaus zurückgeholte Tabernakel in sich, was der ganze Altar bildhaft bezeichnet: Die Leiden(schaftlichkeit) Gottes für alle Menschen.
Geschlossener Hochaltar zur Passionszeit
Der geschlossene Hochaltar zur Passionszeit zeigt folgende Heilige: Vom Betrachter aus gesehen sind das von links nach rechts Clara, Augustinus, C. Baromaus und Barbara.
Gotisches Marienretabel

Im nördlichen Seitenschiff der Pfarrkirche befindet sich das Nieder-Rodener Marienretabel vom Meister des Babenhausener Altars: Matthias Grünewald, Hans Backoffen oder Tilman Riemenschneider haben ihn um 1520 bis 1530 für die Ev. Stadtkirche St. Nikolaus (Babenhausen) in Form eines Flügelaltars mit geschnitztem Schrein, zwei geschnitzten inneren Flügelseiten, zwei gemalten Außenseiten und einer Predella gleichermaßen als Skulptur und Relief geschaffen (Maße: 195 x 175 x 26 cm). Die Bemalung kam erst 1656 dazu. [5] Ob das Altarretabel ursprünglich für die Nieder-Rodener Kirche gefertigt wurde ist unklar. Auch der Aufstellungsort des Retabels im alten Kirchenbau ist umstritten. Zum einen herrscht die Meinung vor, das Retabel habe bis zum Abriss der Kirche 1894 auf dem Hochaltar gestanden, zum anderen wird die These vorgebracht, dass das Retabel spätestens ab 1653 auf dem Seitenaltar der alten Pfarrkirche, der der heiligen Maria geweiht war, gestanden habe. Sicher ist allein, dass 1896, mit Fertigstellung des Kirchenneubaus, das Retabel in die neu erbaute Pfarrkirche St. Matthias übertragen und aufgestellt wurde.
In der Mitte des Retabels steht die Rodgau-Madonna mit dem Jesuskind, das einen Apfel hält. Rechts neben Maria befindet sich der Kirchenpatron Matthias mit Buch und Beil, links neben Maria der Apostel Johannes mit dem Schlangenkelch. Auf den beiden Seitenflügeln sind Petrus, Paulus, Andreas und Jakobus dargestellt. An den Außenseiten der Altarflügel erkennt man die zweifigurige Kreuztragung »Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen«. Mitte des 20. Jahrhunderts war auf dem Schreinkasten eine Skulptur des Diözesanpatrons Martin von Tours zu Pferde aufgestellt. [6]. Heute gehört die Skulptur, die ins erste Viertel des 16. Jahrhunderts zu datieren ist, nicht mehr dem Retabel an und stand zunächst an der Stirnwand des linken Seitenschiffes und danach im Flur des Pfarrhauses. In der Forschungsliteratur wird oft die These geäußert, dass die Skulptur nicht zum ursprünglichen Retabelbestand gehörte. Tatsächlich wurde bis heute auf keinem Altarretabel mit Kleeblattbogenabschluss hingewiesen, auf dem sich als Bekrönung eine Skulptur befindet. Dies wäre eine sehr ungewöhnliche Lösung gewesen. Des weiteren bestehen keine stilistischen Ähnlichkeiten zwischen der Martinsskulptur und den Figuren des Altarretabels. Bezüglich des Sakramentschreines in der Predella herrscht des Öfteren die Annahme vor, dass er ein „neuer“ Einbau sei. Die Deckplatte mit der Inschrift „IHS“ ging verloren. Eine Untersuchung durch einen fachkundigen Restaurator könnte diese These bestätigen oder ablehnen.
Standorte in der Kirche
Das aus Holz geschnitzte und gefasste Marienretabel wurde 1656 und 1701/1715 restauriert, bevor es 1896 aus Babenhausen als Seitenaltar in das nördliche Seitenschiff der neu errichteten, neugotischen Kath. Pfarrkirche St. Matthias Nieder-Roden kam. 1941 bedurfte es einer weiteren Restaurierung. Aufgrund des Zweiten Weltkrieges wurde das Retabel zwischen dem 17.08.1942 und dem Kriegsende in der sogenannten Lourdes-Grotte im nördlichen Seitenschiff eingemauert. Danach wurde es wiederholt auf dem Seitenaltar aufgestellt. Von 1968 bis 1983 wurde das Retabel auf dem Hochaltar platziert. Das Ziel der Verantwortlichen war es, das Retabel den Gläubigen dadurch näher zu bringen. Seit 1999 steht das Nieder-Rodener Marienretabel wieder auf dem Seitenaltar im nördlichen Seitenschiff.
Altarfunktion
Ein Inventar aus dem Jahr 1653 bezeugt, dass es seinerzeit in dem beengten Nieder-Rodener Kirchenhaus vier Altäre gab: einen nicht näher bezeichneten Hochaltar, einen Marien-, einen Kreuz- und einen nicht geweihten Matthiasaltar. Der Marienaltar wurde 1708 vom Mainzer Weihbischof geweiht. Diese Weihe steht im Widerspruch zu dem Inventar von 1653, demzufolge der Marienaltar bereits geweiht gewesen war. Die Unsicherheit bezüglich dieser Weihe könnte darauf hindeuten, dass auf dem Altar ein neues Retabel seinen Platz gefunden hatte – eventuell der Nieder-Rodener Marienaltar. Auch Droste nimmt eine Aufstellung auf dem Marienaltar an. Im selben Jahr, 1708, wurde aber auch der Hochaltar der Kirche dem heiligen Matthias geweiht. Eventuell fand hier auch eine Umsetzung des Retabels vom Hoch- auf den Seitenaltar statt. Schlussendlich kann aber keine gesicherte Aussage getroffen werden, ob und wann das Marienretabel im alten Kirchenbau auf dem Hoch- oder Marienaltar stand.
Der Seitenaltar, auf welchem das Marienretabel 1896 Aufstellung fand, zeigt die Inschrift „MATER NIEDERRODANIS ORA PRO NOBIS“ und verweist auf ein Marienpatrozinium.
Orgel

Aufbau und Akustik
Am 23. April 1899 kam es zwischen der Kath. Pfarrgemeinde St. Matthias in Nieder-Roden und dem Würzburger Orgelbau Balthasar Schlimbach zum Vertrag über den Bau einer Orgel. Für den Preis von 7.430 Reichsmark bestellte man eine damals zeitgemäße Orgel, die in der Osternacht 1900 eingeweiht werden sollte. Die Anlieferung der neuen Orgel verzögerte sich jedoch auf Februar 1901.
Der Orgelbauer hatte die komplexe Aufgabe, das Instrument akustisch, optisch und funktional möglichst optimal aufzustellen, was jedoch durch bauliche Gegebenheiten nur begrenzt möglich war. Als nach einer Brandlegung im Hauptportal der Kirche vom November 1984 die Orgel gereinigt werden musste, nahm man die Gelegenheit wahr, den Mittelteil des Orgelprospekts rechts und links auf beide Seiten der Orgel zu versetzen, um so vom Mittelschiff aus eine bessere Sicht auf die schöne Glasrosette in der Kirchenrückwand zu ermöglichen.
Mit der Gestaltung ihres neugotischen Orgelgehäuses und ihrer Front (Orgelprospekt) bestimmt die Schlimbach-Orgel der Pfarrkirche die Atmosphäre des Kirchenraumes. Der Orgelprospekt dient zusammen mit der weiteren skulpturalen und malerischen Ausstattung und Ausgestaltung der Kirche einem architektonischen Gesamtkonzept.
Das Orgelgehäuse ist aus massivem Eichenholz und die Holzpfeifen aus Fichtenholz. Die Metallpfeifen sind aus bestem Zinn, nur die besonders hochwertigen Prospektpfeifen (das heißt die von außen sichtbaren Pfeifen in der Vorderansicht) wurden nach ihrem Ausbau im Ersten Weltkrieg durch Zinkpfeifen ersetzt.
Technische Anlage
Die Orgel ist vollmechanisch und mit Registerkanzelladen (Kegelladen) ausgestattet; alle zu einem Register gehörenden Orgelpfeifen stehen also auf einer Kanzellenlade. Der Orgelwind kann - wie bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts üblich - durch einen großen Blasebalg erzeugt werden, der mit den Füßen getreten wird. Der Kalkant (Balgtreter) ist noch einsatzbereit. Mit ihm klingt die Orgel weicher und angenehmer als mit dem nachträglich eingebauten elektrischen Gebläse (Winderzeuger).
Register und Disposition
Die Orgel wird vom Spieltisch aus gespielt. Sie setzt sich aus Teilwerken zusammen, denen jeweils eine eigene Klaviatur zugeordnet ist. Der Organist bedient die Manual genannten Klaviaturen mit den Händen, während das Pedal mit den Füßen gespielt wird. Die zwei Manuale der Schlimbach-Orgel in Nieder-Roden haben je 54 Tasten und einen Tonumfang von C bis f3. Das Pedal mit 27 Tasten weist einen Tonumfang von C bis d1 auf. Der Tonumfang ist also etwas kleiner als bei Orgelneubauten des 20. Jahrhunderts.
Das Pfeifenwerk der romantischen Schlimbach-Orgel in St. Matthias Nieder-Roden besteht aus 1.056 Orgelpfeifen, verteilt auf mehreren Pfeifenreihen, in denen jeweils Pfeifen gleicher Bauart und Klangfarbe stehen. Eine Pfeifenreihe (manchmal auch mehrere) ist zu einem Register zusammengefasst, das vom Spieltisch aus an- und abgeschaltet werden kann. Die Bedienung der 19 Register erfolgt über Registerzüge oder Manubrien genannte Knäufe, die man zum Einschalten herausziehen und zum Abschalten wieder hineinschieben muss (mechanische Traktur); daher rühren die alten Bezeichnungen „Ziehen“ und „Abstoßen“ für das Ein- und Ausschalten von Registern.
Die Zusammenstellung der 19 Orgelregister einschließlich der Spielhilfen (Koppeln etc.), nennt man die Disposition der Orgel. Sie wurde vom Orgelbauer Schlimbach beim Erstellen des Instrumentes mit dem Auftraggeber abgesprochen und bestimmt die Einsatzmöglichkeiten der Orgel.
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- Spielhilfen
- Koppeln: II/I, I/P, II/P.
- feste Registerkombinationen in Form kleiner Pedale: pianissimo (vom Manual II ausgehend), forte (vom Manual I ausgehend), tutti (vom Manual I ausgehend)
- Registerschweller (auch Walze, Rollschweller oder Crescendotritt genannt)
Geschichte
Die Schlimbach-Orgel der Pfarrkirche in Rodgau-Nieder-Roden wurde in einer Zeit gebaut, in der man sich von den Prinzipien und den Eigenheiten des früheren Orgelbaus weit entfernt hatte und versuchte, mit der Orgel die Stimmen eines Orchesters zu imitieren. Die Fußangaben der Register mit ihren vielen 16'- und 8'-Grundstimmen zeigen an, dass die Orgel nur wenige helle Töne erzeugen kann. Sie weist deshalb einen dumpfen, grundtönigen, eben romantischen Klang auf, der Klangvorstellungen und Kompositionen aus anderen Epochen als der romantischen, insbesondere des Barock, nicht mehr ganz gerecht wird. Aus diesem Grund wurden seit Kriegsende in zahlreichen Kirchen die darin vorhandenen romantischen Orgeln durch neue Instrumente ersetzt oder umgebaut, damit sie den heutigen Klangvorstellungen entsprechen. In St. Matthias Nieder-Roden geschah dies nicht, da man entweder kein Geld hatte oder dem Orgelklang einfach keine besondere Aufmerksamkeit schenkte. Somit entspricht die Orgel der Rodgauer Matthiaskirche dem romantischen Klangideal des 19. Jahrhunderts. Seit nunmehr rund 100 Jahren ist sie "praktisch unverändert und so vollständig erhalten". Von den mehr als tausend Orgelpfeifen wurden nur ganz wenige ersetzt.
Die Schlimbach-Orgel der Pfarrkirche St. Matthias in Rodgau-Nieder-Roden ist deshalb eine seltene Kostbarkeit, eine musikhistorische Rarität.
Die Restaurierung durch die Orgelbaufirma Walcker im Jahr 2000 sollte das originale Klangbild für die kommenden Jahrzehnte bewahren. Doch warme Heizluft setzt der Orgel zu (zur Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert waren Kirchen nur selten beheizt, anders als heute). Das auf kalte, feuchte Winterluft eingestellte Instrument wurde in den vergangenen Jahren durch Heizluft und Temperaturen von mehr als 16 Grad innerlich stark verschmutzt, die ledernen Teile wurden porös. Im Jahr 2014 musste die Orgel deshalb erneut restauriert werden. Dies geschah mit sehr großem Aufwand und Sorgfalt und auch mit Rückführung des Gehäuses in den Originalzustand durch den Orgelbau Rainer Müller. Diese Wartung kostete 24.500 Euro. Sämtliche Pfeifen wurden ausgebaut, von Staub und Rußpartikeln befreit und und neu gestimmt.
Glocken
Im Geläut des Kirchturms befindet sich die wertvolle Marienglocke (Zentglocke) von 1518. Diese Glocke hängt heute noch im Kirchturm. Unter Pfarrer Philipp Kern (1950-1956 Pfarrer in Nieder-Roden) wurden drei neue Glocken angeschafft, die Silvester 1950 zum ersten Mal das neue Jahr einläuteten. Die alten Glocken mussten während des Zweiten Weltkrieges zum Einschmelzen abgeliefert werden. Nur die alte Marienglocke aus dem Jahre 1518 blieb der Kirche erhalten. Von den nunmehr vier Glocken im Kirchturm ist die älteste Glocke mit einem Gewicht von 14 Zentner der »Gottesmutter Maria« geweiht und trägt die Inschrift:
„»Meister Steffan zu Frankfurt gos mich,
Maria Glock heis ich,
in Gottes Ehr laut ich.«“
Die schwerste Glocke mit einem Gewicht von 24 Zentner ist dem Kirchenpatron »St. Matthias« geweiht und trägt die Inschrift:
„»St. Matthias heiß ich,
Gottes Ehr preis ich,
um den Frieden bitt ich.«“
Von den beiden kleinen Glocken ist die 12 Zentner schwere Glocke dem Schutzpatron der Werktätigen, dem »Hl. Joseph« und die 7 Zentner schwere Glocke den »Hl. Engeln« geweiht.
Nutzung
Spätestens seit 1346 ist Nieder-Roden selbständige Pfarrei. Im 16. bis Mitte des 17. Jahrhunderts wurde Nieder-Roden teilweise von der Pfarrgemeinde Ober-Roden mit betreut. Im 16. Jahrhundert bis zum Jahre 1578 war Nieder-Roden wechselweise katholisch oder evangelisch. Seit 1578 blieb es dann katholisch. 1666 wurde die Kirchengemeinde Nieder-Roden wieder selbständige Pfarrei.
Literatur
- Helmut Simon: Chronik der Pfarrgemeinde St. Matthias Nieder-Roden. 650 Jahre Pfarrei Nieder-Roden 1346-1996. 100 Jahre Pfarrkirche St. Matthias 1896-1996, 350 S., Katholische Pfarrgemeinde St. Matthias, 1996
- Nieder-Roden Pfarrgemeinde St. Matthias: Kirche? Um Gottes Willen! Das Jahr in der Pfarrgemeinde St. Matthias Nieder-Roden: Bilder, Gedanken und Geschichten zum Leben in der Pfarrgemeinde St. Matthias Nieder-Roden, 128 S., 191 farb. Illustrationen, Verlagsgruppe Schnell & Steiner, 1. Aufl. 2014, ISBN 978-3-7954-2884-6
Weblinks
- Offizielle Website der Pfarrei St. Matthias Nieder-Roden
- Offizielle Website der Pfarrjugend St. Matthias Nieder-Roden
- Offizielle Website des Babbeltreffs St. Matthias Nieder-Roden
- Offizielle Website des Für-eine-Welt-Ladens St. Matthias Nieder-Roden
- Offizielle Website des Katholischen Kirchenchores St. Cäcilia Nieder-Roden
- Historische Schlimbach-Orgel in St. Matthias auf youtube; Michael Schultheis spielt Fughette über "BACH" von Josef Gabriel Rheinberger (1839-1901)
- Historische Schlimbach-Orgel in St. Matthias auf youtube; Michael Schultheis spielt Maestoso in d von Théophile Stern (1803-1886)
- Historische Schlimbach-Orgel in St. Matthias auf youtube; Michael Schultheis spielt Präludium in c von Christian Heinrich Rinck (1770-1846)
- Historische Schlimbach-Orgel in St. Matthias auf youtube; Michael Schultheis spielt Postludium in A von August Wiltberger (1850-1928)
- Historische Schlimbach-Orgel in St. Matthias auf youtube; Michael Schultheis spielt Nun freut euch, ihr Christen (Adéste Fidéles) von Franz Josef Stoiber (*1959)
- Nieder-Rodener Marienretabel im Online-Bildindex der Kunst und Architektur (2015)
- Angela Kappeler-Meyer: Nieder-Rodener Marienretabel (pdf); in: Mittelalterliche Retabel in Hessen. Ein Forschungsprojekt der Philipps-Universität Marburg, der Goethe-Universität Frankfurt und der Universität Osnabrück (2015)
Einzelnachweise
- ↑ Die Kunstdenkmäler in Hessen Landkreis Dieburg, S. 222; Demandt 1966, S. 138
- ↑ Simon 1996, S. 28
- ↑ Seit 1964 besteht die den versammelten Vätern des Zweiten Vatikanischen Konzils vorab zur Kenntnis gebrachte kirchliche Vorschrift, dass der Hauptaltar künftig „freistehend“ zu errichten ist, und zwar mit zwei ausdrücklich genannten Zielen: damit der Priester ihn leicht umschreiten und außerdem an ihm zum Volke hin zelebrieren kann (Instruktion Inter oecumenici vom 27. September 1964 Nr. 91). In jedem Fall soll der Altar, zugleich Zeichen des Ecksteins Christus, die „Mitte sein, auf die sich die Blicke der Versammlung richten“. Vgl. Liturgiereform von 1964
- ↑ Pfarrer Dr. Peter Eckstein zur theologischen Botschaft des Hochaltars auf der Offiziellen Website der Pfarrgemeinde St. Matthias
- ↑ Dehio Hessen II 2008, S. 621
- ↑ Ehemals gehörte der Skulptur eine kleine Bettlerfigur an, die aber vor oder um 1870 verloren ging (Die Kunstdenkmäler in Hessen Landkreis Dieburg, S. 224; Hellweg 1983, S. 26)
Koordinaten: 49° 59′ 44,12″ N, 8° 52′ 16,97″ O