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Russischer Bürgerkrieg

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Der Russische Bürgerkrieg zwischen den kommunistischen Bolschewiki (den "Roten" bzw. der von Leo Trotzki gegründeten Roten Armee) einerseits und einer heterogenen Gruppe aus Konservativen, Demokraten, gemäßigten Sozialisten (beispielsweise den sozialdemokratischen Menschewiki), Nationalisten und der Weißen Armee andererseits dauerte von 1917 bis 1920. Gemäß einer historischen Lehrmeinung folgte er auf die Oktoberrevolution. Andere Autoren setzen seinen Beginn auf den Mai des Jahres 1918. Der Krieg forderte eine große Zahl ziviler Opfer und führte zu schweren Zerstörungen. Insgesamt kostete er rund acht Millionen Menschen das Leben. Die Eingriffe der Entente-mächte und der Mittelmächte in den Konflikt trugen maßgeblich zu seiner Länge und Heftigkeit bei. Ebenso führte er zur zur Verkleinerung des russischen Territoriums, da die baltischen Staaten und Finnland im Zuge des Konflikts ihre Eigenstaatlichkeit erreichen konnten. Er endete mit dem Sieg der Roten Armee über die letzten weißen Truppen auf der Krim im November 1920 und zementierte damit die sowjetische Herrschaft über die Reste des Zarenreichs die damit in der Sowjetunion aufgingen.

Definition

Die zeitliche Eingrenzung des Bürgerkrieges ist in der westlichen wie in der russischen Geschichtsschreibung umstritten. Eine Lehrmeinung setzt den Beginn des Bürgerkriegs auf den Mai 1918, als sich die Tschechische Legion gegen die Rote Armee erhob. Diese Darstellung stellt besonders die Auswirkungen ausländischer Einflüsse auf den Bürgerkrieg heraus. Da sie allerdings die vorherigen Erhebungen gegen die neu entstandene Sowjetmacht vernachlässigt, folgt der Artikel in seiner Darstellung der letzteren Meinung um dem Leser einen vollständigen Überblick zu geben. Die Probleme der Eingrenzung der Kriegsdauer liegen im chaotischen Verlauf des Krieges begründet. Beide Seiten handelten meist ohne eine streng ausgearbeitete Strategie sondern führten ihre Kampagnen als Reaktionen auf kurzfristige Entwicklungen. Weiter verkompliziert wurde der Verlauf der Kampfhandlungen durch ausländische Interventionen und den Polnisch-Sowjetischen Krieg.

Revolutionsjahr 1917

Hauptartikel: Februarrevolution, Oktoberrevolution

Mit der Oktoberrevolution hatten die Bolschewiki die aus der Februarrevolution hervorgegangene Regierung unter Kerenski gestürzt. Drei Tage später, am 28. Oktober/10. November, versuchten sowohl Offiziersschüler in Petrograd als auch eine von außen kommende improvisierte Kosakeneinheit unter Ataman Krasnow die Revolution niederzuschlagen. Beide Versuche scheiterten an der Mobilisierung der bewaffneten Arbeiter und Matrosen der Stadt, die beide Angriffe zurückschlugen.

Nachdem die Kommunisten in der Hauptstadt ihre Macht gesichert hatten, ergab sich für die Führer der Partei ein durchaus optimistisches Bild. Die Partei der Bolschewiki hatte gegenüber den anderen politischen Organisationen als Kaderpartei wichtige strukturelle Vorteile. Die Industriestädte Zentral- und Südrusslands sowie des Baltikums verfügten über gut organisierte Parteiapparate, die das Skelett für die Machtausweitung der Bolschewiki bildeten. Als Manövriermasse dienten hierbei bewaffnete Verbände aus Arbeitern, Matrosen und rückkehrende Frontsoldaten. So konnte die Parteiführung bis zum Jahresbeginn 1918 ihre Kontrolle über das russische Kernland sicherstellen. Nach dieser Konsolidierung erfolgte der finale Schlag der Mehrheitssozialisten gegen den Parlamentarismus. In der Nacht vom 5. zum 6. Januar 1918 wurde die von Sozialrevolutionären beherrschte Nationalversammlung in Petrograd durch Rotgardisten aufgelöst.

1918 - Festigung der Sowjetmacht

Nachdem die Roten ihre Macht im Kerngebiet des ehemaligen Reiches politisch und militärisch gefestigt hatten, war es nun naheliegend, diese Macht auch in der Peripherie zu sichern. Hierbei ergaben sich bereits erste Widerstände gegen den Umsturz, die die Konfliktlinien des Bürgerkriegs vorzeichneten. Sie verliefen entlang sozialen, regionalen und nationalen Grenzen innerhalb des Vielvölkerstaats. Diese Periode des Bürgerkrieges wird als "Eisenbahnkrieg" bezeichnet, da sich die militärischen Aktionen der Roten vor allem auf Verschiebung von revolutionären Verbänden über das auf Petrograd und Moskau zentrierte Eisenbahnnetz an die verschiedenen Krisenherde stützten.

Widerstand der Kosaken

Kosakentruppen während des Ersten Weltkriegs

Die Kosaken waren unter dem Zaren eine staatstragende Minderheit. Ethnisch gesehen russisch, stellten sie eine spezielle soziale Schicht im Reich dar. Sie wurden in den Grenzregionen des Romanowstaates als Wehrbauern angesiedelt und stellten als Kavallerietruppen eine militärische Elite des Landes. Im Gegenzug für ihre Leistungen erhielten sie das Privileg der weitgehenden Selbstverwaltung und Landbesitz, den sie zum Teil selbst bearbeiteten oder an nicht-kosakische Bauern verpachteten. Aufgrund ihrer gefestigten inneren Sozialstruktur, ihres monarchistischen Ethos und auch ihrer Sonderrechte waren diese Bauernsoldaten für die marxistische Ideologie wenig empfänglich und der gewaltsamen Machtergreifung der Partei Lenins feindlich gesinnt.

Noch im Jahr 1917 versuchte der Ataman der Kosakenregion Orenburg in Sibirien, Alexander Dutow, den bewaffneten Widerstand gegen die Kommunisten zu organisieren. Er scheiterte allerdings an der Kriegsmüdigkeit der aus dem Weltkrieg heimkehrenden Wehrbauern. So konnte er keine schlagkräftige Truppe aufbauen und Orenburg wurde am 31. Januar 1918 von Rotgardisten erobert.

Gefährlicher für den sowjetischen Staat war allerdings die Erhebung der Kosaken im Dongebiet. Hier versuchte der Ex-General und Ataman Alexei Maximowitsch Kaledin, eine Streitmacht zur Restauration des Reiches aufzustellen. Er versuchte auch, durch eine „Vereinigte Regierung der Region“ die nicht-kosakische Bevölkerung für sein Vorhaben zu mobilisieren. Allerdings scheiterte er wie der Anführer der Orenburger Kosaken an der Kriegsmüdigkeit der Frontheimkehrer. Außerdem gelang es ihm nicht, die normale Bevölkerung der Region für seine Sache zu gewinnen. Die nicht-kosakischen Bauern erhofften sich von der Sowjetmacht die Auflösung der Privilegien der Kosaken und somit Landgewinn für ihre Höfe. Die Reaktion der Roten ließ nicht auf sich warten, denn das Dongebiet blockierte die Eisenbahnen in den Kaukasus und der dortige Aufruhr konnte eine Bedrohung für das wichtige Industriegebiet des Donezbeckens bedeuten. Bereits im November 1917 wurde der Volkskommissar des Kriegsministeriums Wladimir Alexandrowitsch Antonow-Owsejenko beauftragt, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Durch das Heranbringen von Arbeitern aus Petrograd, die Rekrutierung von Frontheimkehrern aus der Kaukasusfront und die Mobilisierung von Arbeitern aus dem Donezbecken gelang es ihm über den Winter, eine schlagkräftige rote Streitmacht in Stellung zu bringen. Die schwachen Kosakentruppen waren dieser nicht gewachsen; mit der Eroberung der Hauptstadt der Donregion Nowotscherkassk am 25. Februar 1918 war die Revolte beendet. Kaledin beging wegen seines Versagens und der mangelnden Unterstützung der Kosaken, Selbstmord.

Bemerkenswert für den weiteren Verlauf des Krieges war die Bildung der Freiwilligenarmee unter dem Ex-General Lawr Kornilow, der durch seinen gescheiterten Militärputsch im Juli entscheidend den Bolschewiki in die Hände gespielt hatte. Dieser Verband verfügte zwar zur Zeit der Donkampagne nur über 4.000 Soldaten, doch sollte er die Keimzelle der späteren Weißen Armee in Südrussland werden. Zunächst setzte sich die Truppe allerdings nach der Niederlage in die Steppe südlich des Dongebietes ab. Dort fand ihr Oberbefehlshaber durch einen roten Artillerietreffer am 10. April den Tod. Sein Nachfolger Anton Denikin sollte die Geschicke der konservativen Kräfte in Südrussland für das weitere Jahr bestimmen.

Nachdem der Aufstand am Don gescheitert war, wurde nun auch die letzte Kosakenregion am Kuban von den Roten unterworfen. Dort hatten sich die örtlichen Kosaken ohne einen populären Anführer von außen gegen die Sowjetmacht gewandt. Am 13. März wurde ihre Hauptstadt Jekaterinodar von roten Verbänden erobert und somit war auch die Gegenrevolte am Kuban vorerst gescheitert.

Erhebungen nationaler Minderheiten

Ukraine

Die Ukrainer stellten die größte nationale Minderheit im Zarenreich und siedelten überdies in einem geschlossenen Territorium. Schon ab dem 19. Jahrhundert hatte sich ein ukrainischer Wunsch nach nationaler Unabhängigkeit herausgebildet. Mit der Schwäche der Zentralmacht verfestigte sich dieser Anspruch auch 1917 in einer eigenen parlamentarischen Regierung, der Rada. Diese wurde zwar von ukrainischen Sozialrevolutionären und Marxisten dominiert, aber behielt trotzdem den Wunsch nach nationaler Eigenständigkeit.

Die Regierung Lenins wollte allerdings eine nationale Unabhängigkeit der Ukraine im Zeichen des Parlamentarismus nicht dulden, insbesondere da Russland von ukrainischer Nahrungs- und Rohmaterialproduktion abhängig war. Der Versuch einer politischen Lösung des Problems konstituierte sich am 4. Dezember 1917. In Kiew wurde auf Befehl aus Petrograd ein „Allukrainischer Sowjetkongress“ gebildet, der als Gegenregierung zur Rada fungieren sollte. Am gleichen Tag stellten die Bolschewiki dem ukrainischen Parlament das Ultimatum, den Sowjetkongress anzuerkennen oder militärische Gewalt in Kauf zu nehmen.

Eine Beseitigung der parlamentarischen Strukturen analog der Revolution in Russland scheiterte allerdings. Lenins Partei war in der Ukraine eher unpopulär, nur 11 % der Bevölkerung des Landes hatte bei den Wahlen zur Nationalversammlung 1917 für sie gestimmt. Dies führte dazu, dass sich die roten Parlamentarier noch am selben Tag aus Kiew nach Kharkow zurückziehen mussten. Unter der dortigen, mehrheitlich russischen Bevölkerung fanden sie größeren Anklang. Somit wurde der ehemalige zaristische Offizier und Sozialrevolutionär Murawiew von Lenin beauftragt, die Angelegenheit militärisch zu bereinigen. Die Rada verfügte zwar über die Unterstützung der städtischen Intelligentsia, aber sie schaffte es nicht, nennenswerte militärische Strukturen aufzubauen. Die Gegenwehr der improvisierten ukrainischen Einheiten brach schnell zusammen und schon am 26. Januar 1918 wurde Kiew von Rotgardisten erobert.

Finnland

Datei:JaegersInVaasa1918.jpg
Finnische Jäger in Vaasa

Hauptartikel: Finnischer Bürgerkrieg

Finnland hatte sich unter zaristischer Herrschaft eine weitgehende politische Selbstbestimmung bewahrt. Ein eigenes Parlament verwaltete das Land und war das politische Zentrum der Nation, auch im Zarenreich. Ebenso waren die Finnen von der allgemeinen Wehrpflicht im Romanowstaat entbunden. Doch auch in Finnland regte sich Sympathie für die Bolschewiki. Hierbei kam es unweigerlich zum Bürgerkrieg zwischen den „Roten Finnen“ und den „Weißen Finnen“. Die Kommunisten konnten hierbei über 100.000 Mann aufbieten und ihre Bewegung war so stark, dass Lenin es nicht für nötig erachtete, ihr Hilfe aus dem revolutionären Russland beizusteuern. Im finnischem Bürgerkrieg von Januar bis April 1918 obsiegten allerdings die zahlenmäßig unterlegenen Weißen Truppen unter Führung von General Carl Gustaf Mannerheim. Die rote Bewegung war deswegen schwach, weil es in Finnland keine Frontheimkehrer gab, auf die sich die Kommunisten stützen konnten. Die konservative Bewegung verfügte aber mit 1.200 in Deutschland ausgebildeten „Jägern“ bereits zu Beginn der Auseinandersetzungen über einen qualifizierten militärischen Kader. Im Oktober des Jahres 1918 wurde Finnland zunächst als Monarchie ein unabhängiger Staat. Im Dezember erfolgte die Umwandlung in eine demokratische Republik.

Bessarabien

Einen weiteren Rückschlag für die Bolschewiki stellte die Abspaltung der 1,5 Millionen Rumänen in Bessarabien dar. Schon im Januar 1918 bildete sich hier eine Gegenregierung, und die Moldawische Volksrepublik wurde ausgerufen. Eilig herangebrachte Rotgardisten aus Odessa wurden mit Hilfe von Truppen aus dem rumänischen Gesamtstaat zurückgeschlagen und im April 1918 erfolgte die Wiedervereinigung der Minderheit mit ihrem Heimatland. Die Regierung in Petrograd begnügte sich damit, den rumänischen Botschafter als Geisel zu nehmen und die Petrograder Goldreserve des Landes zu beschlagnahmen, und unternahm keine weitere Anstrengung, das verlorene Gebiet zurückzuerobern.

1918 - Deutsche Intervention

Unternehmen Faustschlag

Die Administration der Bolschewiki war bezüglich des weiteren Vorgehens gegenüber den Mittelmächten gespalten. Nur ein kleiner Teil der Partei, allerdings inklusive Lenins, sprach sich für einen Frieden um jeden Preis aus. Die Mehrheit der Kommunisten hielt es für unannehmbar, weite Teile des Landes an den „Imperialismus“ abzutreten. Die Konsequenz war die durch Leo Trotzki aufgestellte Formel, dass man mit dem Deutschen Kaiserreich und Österreich-Ungarn weder Krieg noch Frieden anstrebe. Dies verlautbarte Trotzki auch bei den Waffenstillstandsverhandlungen und verließ diese im Eklat.

Die OHL unter Erich Ludendorff zog daraufhin eine Fortsetzung des Krieges in Betracht, um die kommunistische Regierung in Petrograd zum Friedensschluss zu zwingen. Das Unternehmen Faustschlag sah ein Vorrücken der deutschen und k.u.k.-Truppen auf der gesamten Länge der Ostfront vor. Am 18. Februar 1918 wurde die Operation begonnen und es zeigte sich rasch, dass der Widerstand der irregulären Einheiten aus revolutionären Arbeitern und Bauern wirkungslos war. Bereits drei Tage später fiel Minsk, am 24. Februar Schitomir und am 3. März schließlich die ukrainische Hauptstadt Kiew. Einen Tag darauf willigte die Delegation unter Leitung Trotzkis in den Friedensvertrag von Brest-Litowsk ein. Lenin war es gelungen, die Partei angesichts der militärischen Niederlage von seinem Standpunkt zu überzeugen. Dieser Vertrag brachte den Deutschen die Kontrolle über die Ukraine, die Krim und Teile Weißrusslands und Südrusslands ein, womit der Vormarsch der Mittelmächte auch nach Vertragsabschluss nicht beendet wurde.

Politische Wirkung der deutschen Besatzung

Folgen des Waffenstillstands von Brest-Litowsk

Der Vormarsch der deutschen Truppen hatte die Wirkung eines Katalysators auf die politischen Spannungen zwischen den Bürgerkriegsparteien. Die Macht der Bolschewiki wurde überall dort gebrochen, wo kaiserliche Soldaten einmarschierten. Die Besetzung gab den Fraktionen, die gerade während der Konsolidierungsphase der Roten an den Rand gedrängt worden waren, neues Potential. So kam es beim deutschen Vormarsch auf der Krim zu einer Erhebung der muslimischen Krimtataren. Diese gipfelte in der Ermordung des Rates der Volkskomissare der hiesigen Sowjetrepublik.

In der Ukraine lebte der Nationalismus mit dem Einmarsch der Deutschen wieder auf. Die vorrückenden deutschen Truppen hatten schon bei der Eroberung Schitomirs Unterstützung durch ukrainische Eisenbahnarbeiter bekommen. So kehrte auch kurz nach der Eroberung Kiews die Rada wieder in die Hauptstadt zurück. Ihr parlamentarisches Wirken währte allerdings nur kurz. Sie wurde am 29. April 1918 gestürzt, da den deutschen Stellen ein marxistisch dominiertes Parlament als gefährlich erschien. Die Macht erhielt der konservative Nationalistenführer Pawlo Skoropadskyj, der fortan unter dem Titel Hetman als Diktator des Landes fungierte. Allerdings konnte er seine Herrschaft nur bis zur deutschen Niederlage im Weltkrieg aufrechterhalten. Danach übernahm wieder die Rada die Macht in der Ukraine, allerdings nur um sie zwei Monate nach dem deutschen Abzug nach der Novemberrevolution wieder an die Sowjetmacht zu verlieren.

Im Baltikum hatte die deutsche Besetzung weitergehendere Folgen. In Estland war die Popularität der Bolschewiki sehr gering und den Revolutionären misslang unter der deutschen Besatzung der Aufbau einer politischen Organisation, die dies hätte ändern können. Ebenso konnten die Konservativen die Bauernschaft durch die Enteignung deutschstämmiger Gutsbesitzer auf ihre Seite ziehen. Infolgedessen bildete sich eine nationalistische Regierung, die sich auch militärisch im Folgejahr gegen die Roten behaupten konnte. Lenin versuchte, Litauen noch durch die Bildung einer lokalen Sowjetrepublik an die Überreste des russischen Reiches zu binden. Dieser Versuch scheiterte an einer Militärintervention Polens und am Widerstand der bürgerlichen Kräfte des Landes. In Lettland erwies sich die Situation allerdings als komplexer. Dort herrschte ein labiles Gleichgewicht zwischen nationalistischen und kommunistischen Gruppen. Im Januar 1919 versuchte die Parteiführung, dies durch den Einmarsch der Roten Armee zu ihren Gunsten ausschlagen zu lassen. Die nationalistischen Kräfte gewannen allerdings nach anfänglichen Niederlagen die Oberhand. Dies war durch den Brückenschlag zwischen den nationalen Politikern und den hiesigen Baltendeutschen möglich geworden. Bis zum Mai 1919 hatten die deutsch-lettischen Freikorps unter dem Kommando des ehemaligen Generals Rüdiger Graf von der Goltz die Hauptstadt Riga unter ihre Kontrolle gebracht und somit den letzten sowjetischen Einfluss aus dem Baltikum verdrängt.

Militärische Bedeutung

In der Führung der Bolschewiki gab es zwei Lehrmeinungen, wie die Rote Armee aufgebaut werden sollte. Die Position der marxistischen Ideologie, unter anderem vertreten durch Stalin oder den ersten Oberkommandierenden Krylenko verlangte nach einer „revolutionären Armee“. Diese sollte eher die Form einer Miliz erhalten, ohne militärische Ränge auskommen und nur durch von den Soldaten gewählte Offiziere geführt werden. So war auch der Aufbau der roten Truppen seit der Revolution erfolgt. Die deutsche Offensive zeigte eindeutig das Scheitern dieser Politik. Die improvisierten Einheiten unter dem roten Stern erwiesen sich als unfähig, Gelände selbst gegen deutsche Reservetruppen der Landwehr zu behaupten. Krylenko wurde als Oberbefehlshaber abgesetzt und Trotzki wurde beauftragt, nach seinen Prämissen die Rote Armee aufzubauen. Er sah dafür den Aufbau einer regulären Armee vor, die zwar ideologisch indoktriniert, aber trotzdem nach den Maßgaben des Gehorsams und der Disziplin aufgebaut werden müsse. Das anvisierte Ziel war die Aufstellung einer Truppe aus 700.000 Soldaten bis Ende 1918. Währenddessen sollten die verbliebenen irregulären Verbände als „Vorhänge“ vor den deutschen Truppen wenigstens einen symbolischen Schutz vor einer möglichen weiteren deutschen Intervention bieten.

1918 - Konsolidierung der antibolschewistischen Kräfte

Aufstand der Sozialrevolutionäre

Gebiet unter sowjetischer Kontrolle bis Ende 1918 und Erhebungen gegen die Zentralmacht

Die junge Sowjetmacht hatte zwar die Eisenbahnfeldzüge für sich entschieden, doch durch die Invasion der Deutschen war ihre Macht zu Jahresende ebenso unsicher und fragil wie nach der Revolution. Als bestimmenden Faktor, der die Reihe der antibolschewistischen Erhebungen des Jahres 1918 einleitete fungierte wiederum ein externen Element. Die Tschechoslowakische Legion, noch unter dem Zaren vor allem aus k.u.k.-Kriegsgefangenen aufgestellt, erwies sich als erste ernste militärische Bedrohung der kommunistischen Herrschaft. Das Korps, insgesamt rund 40.000 Soldaten, war aufgrund der Widrigkeiten des Transports entlang der Transsibirischen Eisenbahn über weite Distanzen verteilt. Sie sollten in Abstimmung mit der Entente über den russischen Pazifikhafen Wladiwostok wieder nach Europa zurückgeführt werden. Doch am 14. Mai kam es zu einem tödlichen Zusammenstoß zwischen tschechischen Soldaten und ungarischen Kriegsgefangenen in Tscheljabinsk. In seiner Funktion als Kriegskommissar gab Trotzki daraufhin den Befehl, die fremden Truppen zu entwaffnen. Die Tschechoslowaken, die durch die Appeasementpolitik der Bolschewiki gegenüber den Mittelmächten immer misstrauischer wurden, verweigerten die russische Order. Daraufhin gab Trotzki – an radikale Politikformen mittlerweile gewöhnt – den Schießbefehl auf jeden bewaffneten Angehörigen der Legion. Dies erwies sich allerdings als Selbstbetrug, denn die wenigen Roten im Gebiet der Wolga und in Sibirien waren den regulär ausgebildeten Tschechen keineswegs gewachsen.

Infolgedessen gelang es einer anderen politischen Gruppe, die Tschechen für sich zu instrumentalisieren. Die Sozialrevolutionäre der Provinz Samara konnten durchziehende Elemente des fremdländischen Korps für eine Rebellion gegen die Bolschewiki gewinnen. So wurde im Juni 1918 in besagter Stadt das Komitee der Mitglieder der konstituierenden Verhandlung (KOMUTSCH) gegründet. Damit versuchten die Sozialisten, an den durch die Bolschewiki unterdrückten demokratischen Prozess einer verfassungsgebenden Versammlung anzuknüpfen, in der sie selbst die Mehrheit gestellt hatten.

Mit Hilfe der Tschechen gelang es ihnen, die Kontrolle über die Provinzen Samara und Ufa zu gewinnen und teilweise auf benachbarte Oblaste auszudehnen. Aus diesem Gebiet versuchte die sozialistische Gegenregierung eine "Volksarmee" von 30.000 Mann zu rekrutieren. Dies erwies sich allerdings als erstes größeres Problem der Administration. Da nur ca. 10.000 Freiwillige zur Verfügung standen, wurden Soldaten zwangsweise eingezogen. Dies machte die Sozialrevolutionäre unpopulär, vor allem da die Bolschewiki bisher nur auf Freiwillige zurückgegriffen hatten, und minderte die Kampfmoral der Truppen erheblich. Desweiteren vermochte das Komitee es nicht, seine anfängliche Popularität unter den Bauern in politisches Kapital umzumünzen. Andere Schichten standen ihr nicht zur Verfügung. Die Menschewiki verwahrten sich aus doktrinären Gründen einer Rebellion gegen die Sowjetmacht. Die Arbeiter konnten aufgrund der Propaganda der Petrograder Regierung der Arbeiter und Bauern nicht gewonnen werden. Die Schicht der städtischen Gebildeten und des Bürgertums war den sozialistischen Tendenzen des KOMUTSCH abgeneigt. So konnte man angesichts der politischen und militärischen Schwäche nur auf die Reaktion der roten Zentralregierung warten. Trotzki zog während des Sommers möglichst viele Soldaten aus den "Vorhängen" gegenüber den Mittelmächten ab. Bis zum Oktober 1918 verfügte die rote Armeegruppe Ost unter Michail Tuchatschewski über mehr als 100.000 Mann. Dieser rote General wollte allerdings nicht bis zur vollen Stärke warten und schlug bereits im September los. Nachdem der Versuch der Volksarmee unter Kappel misslungen war, die Bahnlinie nach Moskau zu unterbrechen, waren die Streitkräfte der KOMUTSCH weitgehend demoralisiert. Noch im September gelang den Roten die Eroberung von Kasan und Simbirsk und am 7. Oktober fiel schlussendlich Samara. Die tschechoslowakischen Einheiten waren durch die Ereignisse auch soweit entmutigt worden, dass sie sich kampflos nach Osten zurückzogen. Der örtliche Kommandant der Legion, Svec, beging darüberhinaus nach dem Fall der Hauptstadt der Bewegung Selbstmord.

Erneute Erhebung im Don-Gebiet

Nur einen Monat, nachdem die Bolschewiki das Rückgrat der Kosakenrevolte gebrochen hatten, erhoben sich die ehemaligen Wehrbauern des Zaren erneut. Am 6. Mai wurde die Hauptstadt des Kosakenstammlandes Nowotscherkassk von den Weißen erobert und die noch schwache rote Administration überrumpelt. Grund hierfür war die Erbitterung unter den Kosaken und auch der nicht-kosakischen Bevölkerung, die ein Monat Herrschaft der Roten hervorgebracht hatte. Einerseits sorgte die Zwangsrequirierungspolitik der Zentralregierung in Petrograd für einen Konflikt mit der Obrigkeit. Andererseits wirkten sich die drakonischen Methoden der roten Einheiten auf die Volksmeinung aus. Diese befolgten den Leitsatz Trotzkis, wonach Terror Mittel der Überzeugung sei, in Form von Geiselnahmen und Erschießungen.

Als maßgebliches Element erwies sich allerdings wiederum ein externer Faktor. Durch den Einmarsch deutscher Soldaten in die umliegenden Gebiete wurde die Sowjetmacht an den Orten zurückgedrängt, an denen sich kaiserliche Garnisonen befanden. Die Rebellion der Kosaken erhielt auch in der Anfangsphase Schützenhilfe von ihren einstigen Feinden. Deutsche Truppen blockierten die Eisenbahnen ins Don-Gebiet und verlangsamten so die Heranbringung roter Truppen. Ebenso wurden erbeutete russische Waffen an die Aufständischen weitergegeben. So konnte sich die Aufständischenarmee unter der Führung des Generals Pjotr Krasnow bereits im Juni auf 40.000 Bewaffnete stützen.

Diese Vorteile münzte Ataman Krasnow auch in militärische Aktionen um. Im August 1918 begann General Mamontow eine Kavallerieattacke gegen Zaryzin. Dies war der erste massierte Einsatz von Kavallerie im Bürgerkrieg und er sollte die Rote Armee veranlassen, selbst auch berittene Truppen aufzustellen. Nachdem sich Mamontow zeitweise zurückziehen musste, gipfelte ein weiteres Vorrücken der Weißen in einer Belagerung der Stadt. Die Schlacht um die Stadt dauerte bis Oktober an und wurde aufgrund der Verteidigungsanstrengungen unter dem Kommando von Josef Stalin in der kommunistischen Propaganda als Rotes Verdun verklärt. Zu Jahresende hatte die Armee der Donkosaken zwar nur geringe Teile außerhalb ihres Stammlandes halten können, doch keimte im Dongebiet noch ein weiterer militärischer Kern des Widerstands gegen die Sowjetmacht.

Als zweitgrößte Kosakenpopulation erhob sich 1918 auch die Kubanregion gegen die neuen Herrscher des ehemaligen Reiches. Die Blockade des südlichen Kubangebiets durch die vorgerückten Deutschen gab auch hierbei den entscheidenden Ausschlag. Somit war der Kuban und die Nordkaukasische Sowjetrepublik von Nachschub und Verstärkungen aus dem sowjetischen Zentralrussland abgeschnitten. Diesen Schwachpunkt versuchte der Kommandeur der Freiwilligenarmee Anton Denikin zu nutzen. Allerdings standen den 9.000 weißen Freiwilligen zwischen 80.000 und 100.000 Soldaten der Bolschewiki entgegen. Die Truppen Denikins wurden allerdings von ausgebildeten Offizieren geführt, und fast alle Soldaten hatten im Weltkrieg gedient. Die noch ohne militärisches Training irregulär aufgestellten kommunistischen Truppen wurden von einem früheren Unteroffizier geführt und hatten der Professionalität ihrer Gegner wenig entgegenzusetzen. Am Ende der im Mai begonnen Kampagne eroberten die Weißgardisten die Hauptstadt der kurzlebigen Sowjetrepublik Jekaterinodar am 18. August 1918.

Die weiße Bewegung in Sibirien

Truppen der Tschechoslowakischen Legion in Wladiwostok

Sibirien bot schon ohne die Anwesenheit antibolschewistischer Kräfte einen eher schwachen Boden für die revolutionäre Ideologie Lenins. Der Gegensatz zwischen Großgrundbesitzern und Pachtbauern war schwächer, da es weit weniger große Anwesen als in anderen Teilen Russlands gab. Ebenso stand eine größere Arbeiterschaft nicht zur Verfügung, die für die Sache des Kommunismus radikalisiert werden konnten. Gemessen an den Wahlen zur konstituierenden Versammlung waren die Sozialrevolutonäre die dominante politische Partei, während in den Städten eher konservative Elemente Rückhalt besaßen. Mit der Wendung der Tschechoslowakischen Legion gegen die Sowjetmacht wurde die dünne Patina der Parteiherrschaft über Sibirien vollends hinweggewischt. Das nichtrussische Korps brachte mit der Transsibirischen Eisenbahn die einzig mögliche Transportachse innerhalb des riesigen Landes unter ihre Kontrolle. Nach einwöchiger Belagerung eroberten die Tschechoslowaken am 25. Juni 1918 Jekaterinburg, das örtliches Verwaltungszentrum der Bolschewiki. Die vom sowjetischen Zentralrussland abgeschnittenen roten Truppen zogen sich daraufhin gen Westen zurück, soweit es ihnen möglich war. Zwei Tage später konstituierte sich in Omsk eine Provisorische Regierung Sibiriens unter P.W. Wologodski, die aus Regionalisten und Sozialrevolutionären bestand .

Neben den zivilen Intellektuellen der Städte und ausländischen Kräften ruhte die antikommunistische Bewegung aber noch auf zwei weiteren Säulen. Einerseits lehnten die Kosaken Sibiriens, die ebenso in Omsk ihr Zentrum besaßen, die Revolution ab. Andererseits befanden sich in Sibirien mehr als 8.000 entlassene Offiziere der ehemaligen Zarenarmee. Ihr auf einen ungeteilten russischen Nationalstaat konzentriertes Denken lehnte allerdings auch die Sezessionsbestrebungen der Regionalisten, wie auch die Ideen der sozialen Umwälzungen der Sozialrevolutionäre ab. Die Provisorische Regierung schaffte es den Sommer über nicht, einen Apparat aufzubauen, der die gewaltige Fläche Sibiriens administrativ durchsetzte, noch konnten sie die politischen Gegensätze zu den Konservativen überbrücken. Angesichts der Schwäche der Regierung und aus Opposition gegen ihre politischen Positionen führten die konservativen Militärs am 17. November 1918 einen Putsch durch, der zwar unblutig ablief, aber die parlamentarische Phase des Widerstands gegen die Bolschewiki endgültig beendete. An die Stelle der Provisorischen Regierung trat Admiral Koltschak, der auf ein Direktorium von Zivilisten eine Militärdiktatur gründete. Er sollte sich als nomineller Führer der weißen Bewegung hervorheben und das folgende Kriegsjahr weitgehend prägen. Sein Programm hat er selbst wie folgt zusammengefaßt:

„In den außerordentlich schwierigen Bedingungen des Bürgerkriegs nehme ich das Kreuz dieser Macht auf mich und erkläre: Ich werde weder den Weg der Reaktion gehen, noch den fatalen Weg der Parteipolitik. Ich setze als mein Hauptziel den Aufbau einer effizienten Armee, den Sieg über die Bolschewiki und das Wiederherstellen von Recht und Ordnung. So dass das Volk für sich selbst ohne Unterdrückung die Art ihrer Regierung entscheiden kann unter Erkennung der Ideale der Freiheit, die überall in der Welt verlautbart werden.“Vorlage:Ref

Diese Ablehnung des Anbietens einer politischen Vision, durch die Ablehnung der Parteipolitik, sollte sich später als einer der Gründe des Scheiterns für die Militärregierung erweisen, doch über den Winter 1918 kamen die Operationen auf beiden Seiten einstweilig zur Ruhe und Rote wie Weiße bereiteten sich auf das kommende Jahr vor.

Intervention der Entente-Mächte

Die Entscheidung Lenins, durch den Friedensvertrag von Brest-Litowsk ein bedingungsloses Appeasement gegenüber den Mittelmächten durchzuführen, führte erfolgreich zur Abwendung der militärischen Bedrohung, die die kaiserlichen und k.u.k. Truppen für die junge Sowjetmacht darstellten. Allerdings wurde durch diese prodeutsche Politik das Verhältnis zu den Entente-Staaten sehr belastet. Zur Sicherung ihrer Interessen in Russland und um einer weiteren deutsch-sowjetischen Annäherung entgegenzuwirken, wurden noch während des Weltkriegs Truppen nach Russland entsandt.

Da die europäischen Häfen Russlands an der Ostsee für die Alliierten noch nicht erreichbar waren, landete das erste britische Kontingent aus 600 Soldaten in Murmansk im Juni 1918. Dieser Hafen, fernab von den Kernlanden Russlands, wurde zwar von den Engländern besetzt, weitere Aktionen wurden allerdings nicht durchgeführt.

Gefangene Bolschewiki in Archangelsk

Ein weiteres Landungsunternehmen fand im August in Archangelsk statt. Hier landeten zuerst 600 britische und französische Truppen. Diese wurden durch ein US-Kontigent von 5.000 Mann verstärkt. Der Anlaß hierzu war die Sicherung der dortigen Waffendepots, die weder in die Händer der Deutschen noch der Bolschewiki fallen sollten. Ebenso beschworen amerikanische Politiker die Verpflichtung, der Tschechoslowakischen Legion zu Hilfe zu eilen, was allerdings aufgrund der enormen Distanz zwischen Archangelsk und den Tschechoslowaken in Sibirien eher den Charakter eines Vorwandes hatte. Der Expeditionstruppe gelang es, mehrere hundert Kilometer in Richtung des Landesinneren vorzustoßen. Die Kämpfe zwischen den Alliierten und den roten Truppen zogen sich durch das ganze folgende Jahr, ohne dass eine strategisch bedeutsame Entscheidung herbeigeführt werden konnte. Im Juli 1919 verließen die verbliebenen ausländischen Einheiten das Gebiet in Richtung Heimat, da die öffentliche Meinung, durch den Weltkrieg kriegsmüde, sich immer mehr gegen die Intervention aussprach.

US-Truppen in Wladiwostok 1918

Am längsten währte die ausländische Präsenz im größten Pazifikhafen des ehemaligen Reichs. Schon im April waren einzelne japanische und britische Verbände in Wladiwostok an Land gegangen. Ihnen folgte auch hier ein amerikanisches Expeditionskorps aus 8.000 Soldaten. Wladiwostok sollte als Nachschublinie für die sibirischen Truppen Koltschaks dienen. Dieser war aufgrund seiner antideutsche Haltung von der Entente als legitimes Staatsoberhaupt Russlands anerkannt worden. Bis zum Niedergang der weißen Bewegung 1920 blieben die ausländischen Soldaten in Sibirien. Sie wurden sogar noch durch eine 70.000 Mann starke japanische Armee verstärkt, die allerdings nie aktiv an Kampfhandlungen teilnahm.

Auch wenn die Bedeutung der Interventionstruppen von sowjetischen Historikern oft herausgestellt wurde, so war ihr militärischer Einfluss auf die Vorgänge des Bürgerkrieges marginal. Die deutsche Besetzung bis zum Kollaps des Kaiserreichs im November 1918 erwies sich als weitaus größerere Bedrohung für den Sowjetstaat als die in der Periphere stationierten kleinen Kontingente der ehemaligen Bündnispartner. Der einzig nennenswerte Einfluss der Intervention auf das Bürgerkriegsgeschehen war die Ermöglichung alliierter Lieferungen an die weißen Truppen in Sibirien und in Südrussland.

1919 - Die Niederlage Koltschaks

Militärischer Verlauf

In Sibirien und dem Ural hatte sich unter Admiral Koltschak als nominell höchstes Organ der weißen Bewegung eine Militärdiktatur herauskristallisiert. Über den Winter 1918/19 hatte sie ihre Herrschaft festigen können, da die sowjetische Regierung, nun mit Sitz in Moskau, sich außenpolitischen Zielen zuwandte. Die kommunistische Führung erwartete die Weltrevolution. Diese Erwartung wurde durch die Novemberrevolution in Deutschland noch verstärkt. So verfasste im Mai 1919 die Komintern Aufrufe, die den proletarischen Aufstand in Europa propagierten. Ein weiterer Faktor für die Passivität der Bolschewiki gegenüber der Bewegung Koltschaks war die Verkennung der Lage durch die Führer der Roten Armee. Trotzki schilderte zu Jahresbeginn 1919 die Lage an den Bürgerkriegsfronten als beruhigt und für die Kommunisten vorteilhaft.

In diesem Klima erwies sich die am 4. März 1919 begonnene Offensive der Weißen Armee Koltschaks als überraschender Schlag gegen die Sowjetmacht. Die Operation zielte auf Ufa, den zentralen Eisenbahnknotenpunkt im Ural ab. Durchgeführt wurde sie von zwei Armeen. Die Westliche Armee unter General M. W. Khanzin stieß direkt in Richtung Ufa vor. Die Sibirische Armee unter dem tschechischen General Radola Gajda befand sich 200 km nördlich und sollte von Perm aus vorstoßen. Der Sibirischen Armee gelang zwar ein Vorstoß über fast 300 Kilometer ins rote Gebiet, doch war dies strategisch zweitrangig, da sich in dem vor ihr liegenden Gebiet keine nennenswerten Städte oder Transportknotenpunkte von Bedeutung befanden. Das Vordringen der Westlichen Armee erwies sich als Schock für die rote Militärführung. Ihr gelang es am 28. April 1919, Ufa zu erobern und somit den zentralen Eisenbahnzugang zum Ural für die Roten zu sperren. Die Rote 5. Armee, die Ufa verteidigte, verlor dabei zwei Drittel ihrer Ausgangsstärke von 30.000 Soldaten. Die Eroberung der Stadt erwies sich allerdings als Pyrrhussieg. Nun hielt die Armee Khanzins einen 150 Kilometer tiefen und knapp 300 Kilometer langen Gebietsvorsprung in der Roten Front, dadurch wurden ihre Flanken exponiert. Die nördliche Armee Gajdas war zu weit entfernt, um der Armee Khanzins Hilfe leisten zu können. Am 28. April begann die Rote 1. Armee von Süden und die Rote 2. Armee von Norden einen Gegenangriff an den Flanken. Ende März hatte die, nun wieder verstärkte, Rote 5. Armee unter dem Kommando von Michail Tuchatschewski Ufa zurückerobert und die weißen Truppen standen wieder an ihren Ausgangsstellungen.

Nun hatte auch die politische Führung der Bolschewiki die Wichtigkeit der östlichen Bürgerkriegsfront erkannt. Lenin proklamierte am 29. Mai 1919 folgende These: "Wenn wir vor dem Winter nicht den Ural einnehmen, so wird die Niederlage der Revolution unvermeidlich sein." Vorlage:Ref Die bis zur Ufa-Offensive Koltschaks materiell vernachlässigte Östliche Armeegruppe der Roten wurde nun personell rasch aufgestockt. Zu Jahresbeginn umfasste sie 84.000 Mann, bis Mitte Mai hatte sich ihre Stärke auf 360.000 Mann vervierfacht. Die Gesamtzahl der kämpfenden Truppe Koltschaks belief sich zu Beginn seiner Operation auf etwa 100.000 Bewaffnete. Dementsprechend erfolgreich zeigte sich die Sommeroffensive der Roten Truppen. Am 1. Juli wurde Perm zurückerobert, die Sibirische Armee der Weißen trat daraufhin einen ungeordneten Rückzug nach Osten an. Zwei Wochen später fiel mit Jekaterinenburg das wichtigste Industriezentrum des Urals an die Roten. Am 24. Juli wurde Tscheljabinsk von der Roten 5. Armee erobert. Damit waren Koltschaks Einheiten schlussendlich aus dem Uralgebirge verdrängt worden.

Der Verlust dieser Verteidigungslinie erwies sich als Desaster für die antibolschewistische Bewegung des Admirals. Seine dritte Großformation, die Südliche Armee unter Below, die im Raum Orenburg stand, wurde dadurch von Sibirien abgeschnitten und musste mangels Nachschub im September 1919 kapitulieren. Doch auch den beiden anderen Armeen erging es nicht besser. Nach den verlustreichen Schlachten im Ural konnte der rote Vormarsch nicht mehr zum Stehen gebracht werden. Bis zum Oktober war die rote Armeegruppe auf 200 Kilometer an Koltschaks Regierungssitz Omsk herangerückt. Die Stadt fiel am 14. November kampflos an die Truppen der Bolschewiki.

Militärische Faktoren für das Scheitern

Entgegen der Zusammensetzung der weißen Truppen in Südrussland vermochte Koltschak es nicht, die Qualität seiner Armee auf ein den Roten überlegenes Niveau zu heben. Er bemängelte selbst die geringe Verbindung zwischen Mannschaften und Offizieren. Zwar verfügte er mit 17.000 Offizieren über eine beachtliche Anzahl an militärischem Führungspersonal. Aus diesem Pool waren allerdings gerade einmal 1.000 durch eine reguläre Kaderausbildung gegangen. Die Mehrheit seiner Truppenführer bestand aus im Weltkrieg in Unteroffiziersränge beförderten Wehrdienstleistenden. Doch auch die Mannschaften selbst stellten ein Problem dar. Während die Bolschewiki vor allem aus dem Reservoir der Weltkriegsveteranen schöpften und somit bereits ausgebildete Soldaten mit Gefechtserfahrung hatten, war Koltschak gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe sehr reserviert. Die weiße Administration zog fast ausschließlich die Jahrgänge heran, die nicht im Weltkrieg gedient hatten, da Koltschak die Durchdringung der Veteranen mit revolutionärer Propaganda, noch aus der Zeit des Krieges, fürchtete. Doch selbst die Ausbildung der Eingezogenen war mangelhaft und verlief zu langsam. Als Omsk an die Roten fiel, befanden sich in der Stadt annäherend 30.000 junge Wehrpflichtige, die allerdings nie ein militärisches Training erhalten hatten.

Ebenso verfügten die Sowjets mit Zentralrussland als Basis über ein größeres Bevölkerungsreservoir als das dünn besiedelte weiße Sibirien. So hatte die Rote Armee bereits zum Jahreswechsel 1918/19 eine Stärke von fast 800.000 Soldaten, was die Gesamtstärke aller weißen Armeen in Russland bei weitem übertraf. Die daraus resultierende zahlenmäßige Unterlegenheit führte dazu, daß die weißen Truppen ohne Ruhepause an der Front standen, während die Rote Armee ihre Truppen aus der Kampflinie ziehen konnte, um sie in der Etappe zu regenerieren. Dies erklärt den Zusammenbruch der weißen Kampfmoral nach dem Scheitern der Verteidigung des Urals.

Ein weiteres Problem der weißen Truppen war die Versorgung der Truppen mit Munition und Nahrungsmitteln. Weder der Ural noch Sibirien verfügten 1919 über eine intakte Kriegsindustrie und den größten Teil der ehemals zaristischen Waffen- und Munitionsreserven hatte sich im nun sowjetischen Zentralrussland befunden. Die weißen Truppen mussten daher auf die Hilfe der Entente, allen voran Großbritanniens zurückgreifen, die über den sibirischen Hafen Wladiwostok eintraf. Zwar wurden bis Jahresende auch große Mengen an Material bereitgestellt, doch der Transport durch ganz Sibirien über mehrere tausend Kilometer erwies sich als gewaltiger Hemmschuh. Zur Zeit der Ufa-Offensive und der Kämpfe im Ural hatte der Großteil der ausländischen Hilfe die Truppe noch nicht erreicht. Als sie dann verfügbar war, befanden sich die Weißgardisten bereits auf dem Rückzug. Dieses Problem wurde auf dem Nahrungssektor noch verschärft, da die weiße Armee für viele Zivilisten sorgte, die als Familienangehörige von Soldaten und Offizieren Rationen in Anspruch nahmen. So hatten zu Jahresbeginn bei einer Kampfstärke von 100.000 Mann mehr als 800.000 Personen Anspruch auf Versorgung durch die Armee. Die Ressourcen dafür wurden auf Kosten der örtlichen Bevölkerung requiriert, was die Popularität der Weißen in der Bevölkerung entscheidend minderte.

Politische Faktoren für das Scheitern

Koltschaks politisches Programm zeichnete sich während seines ganzes Wirkens durch Unbestimmtheit aus. Einerseits lehnte er zwar die Wiedererrichtung der Monarchie ab, allerdings gab er auch keine politische Vision für die Zukunft Russlands vor. Er betrachtete eine Militärdiktatur als optimale Lösung für den Übergangszustand des Bürgerkriegs. Dadurch schreckte er die Schicht der städtischen Gebildeten ab, die ein Wiedererstehen der russischen Autokratie fürchtete. Die linken Intellektuellen hatte er schon durch seinen Putsch gegen die Provisorische Regierung Sibiriens 1918 weitgehend gegen seine Bewegung aufgebracht. Gegenüber den Arbeitern blieb sein Programm vollkommen gleichgültig, was der kommunistischen Propaganda nur noch mehr Vorschub leistete. Auch die Bauernschaft, der größte Teil der russischen Bevölkerung, konnte er nicht für sich gewinnen. In den Wirren der Revolution hatte auf dem Land eine schwarze Umverteilung stattgefunden. Die Bauern hatten sich gewaltsam das Land der Gutsbesitzer angeeignet. Dies war durch Dekrete der Bolschewiki und der Sozialrevolutionäre im nachhinein legalisiert worden. Koltschak nahm zu dieser Frage keine Stellung und oft führte der Einmarsch seiner Truppen zu einer Wiedererlangung des Großgrundbesitzes durch die Adligen. Durch die Beschlagnahmung von Nahrungsmitteln verspielte die Weiße Armee noch den letzten Kredit, den sie im Bauernstand besessen hatte. Diese politische Selbstisolierung machte einerseits selbst die Truppen für die rote Propaganda empfänglich, was sich in einer hohen Zahl von Desertionen zeigte. Andererseits verhinderte es, daß die weiße Propagandaarbeit die antibolschewistische Sache zu einer Massenbewegung machen konnte.

Noch größer waren die Folgen der politischen Isolation für die Administration Koltschaks selbst. Er regierte mit Hilfe eines Rates des Obersten Herrschers in Omsk, der sich vorwiegend aus Armeeoffzieren und ehemaligen Politikern der Konstitutionellen Demokraten ("Kadetten") zusammensetzte. Da die Durchsetzung des Landes mit einem Verwaltungsapparat an mangelnder Unterstützung der Bevölkerung scheiterte, blieb diese Regierung allerdings macht- und einflusslos. Der weiße General Alexei Budberg fasste die Situation des Rates wie folgt zusammen : "Das Regime war nur eine Hülse ohne Inhalt. Die Ministerien können mit riesigen, eindrucksvollen Windmühlen verglichen werden. Sie drehen geschäftig ihre Segel, aber ohne Mühlsteine und mit einer gößteinteils kaputten oder fehlenden Maschinerie." - Vorlage:Ref

1919 - Die weiße Bewegung im europäischen Russland

Offensive Denikins

Weitester Vorstoß Denikins und Positionen Koltschaks 1919

Die Situation der weißen Bewegung in Südrussland war Anfang 1919 ambivalent. Abgeschnitten von ihrem nominellen Oberhaupt Koltschak verfolgten die südlichen Einheiten der Weißen eine vollkommen eigene militärische Strategie. Die Freiwilligenarmee hatte im Kaukasus einen durchschlagenden Erfolg erzielt. Die unter dem Kommando des Kosakenführers Pjotr Krasnow stehende Don-Armee stand allerdings nördlich von Rostow in einem Abnutzungskampf mit der roten Südlichen Armeegruppe unter General Wladimir Gittis. Die 100.000 Rotarmisten waren den 38.000 Mann der Don-Armee kräftemäßig weit überlegen. Den Mangel an Ausbildung und Disziplin versuchte die rote Militärführung durch Aktionen der Tscheka und der Militärtribunale auszugleichen. So wurden allein in einer Armee während der Kämpfe 2.000 Todesurteile ausgesprochen, von denen 150 vollstreckt wurden. Bis zum Februar 1919 war die Kosakenarmee infolge der Überlegenheit ihrer Gegner auf 15.000 Bewaffnete zusammengeschmolzen. Damit war Krasnows politisches Schicksal besiegelt. Auf Druck der eigenen Leute trat er am 15. Februar von allen Posten zurück. Er wurde durch Bogajewski ersetzt, einen Kosakenführer, der sich durch nahe Beziehungen zu Anton Denikin hervortat. Der neue Chef der Don-Armee erkannte den militärischen wie politischen Oberbefehl des weißen Generals über die Kosaken auch an. Der Abtritt Krasnows war auch außenpolitisch von Vorteil für Denikin. Krasnow hatte vor dem Ende des Weltkriegs versucht, seiner Bewegung materielle Hilfe aus dem Deutschen Reich zu verschaffen und hatte sogar versucht, diplomatische Beziehungen zu Wilhelm II. aufzunehmen. Dies hatte ihn in den Augen Großbritanniens desavouiert und somit Denikins Position noch mehr gestärkt.

Als nun unumstrittener Anführer der Weißen in der Don-Region fasste Anton Denikin sowohl die Kosaken wie auch seine eigenen Soldaten in den Streitkräften Südrusslands zusammen und delegierte die Freiwilligenarmee, der bedrängten Don-Armee Hilfe zu leisten. Die siegreiche Formation wurde daraufhin aus dem Kaukasus per Eisenbahn in das Donezkbecken verlegt und deckte nun die westliche Flanke der angeschlagenen Don-Armee. Das Kräfteverhältnis zwischen Roten und Weißen hatte sich allerdings nochmals verschärft. Beide weiße Armeen verfügten über etwa 50.000 Soldaten. Die kommunistische Südliche Armeegruppe war bis Anfang März auf über 200.000 Mann gebracht worden. Bis zum Mai war die Freiwilligenarmee unter dem General Wladimir Mai-Majewski auch durch die Roten in die Defensive gedrängt worden. Dieser antikommunistische General vermochte aber die zahlenmäßige Unterlegenheit durch das dichte Eisenbahnnetz des Donez-Industriegebiets auszugleichen. Seine Truppen pendelten zwischen gut vorbereiteten Verteidigungsstellungen und schlugen die roten Angriffe bis zum Mai zurück. Im Juni ging die Freiwilligenarmee zum Gegenangriff über und konnte sich gegen die geschwächte 2. Ukrainische Armee und die 13. Armee der Bolschewiki durchsetzen. Die beiden Armeen wurden in einen ungeordneten Rückzug getrieben und schon Ende Juni besetzten die weißen Truppen das Zentrum des russischen Teils der Ukraine, Kharkow.

Im Osten der Freiwiligenarmee wurde die angeschlange Don-Armee mit Truppen Denikins verstärkt. Das Kommando übernahm der weiße General Pjotr Wrangel, der schon in der Kaukasuskampagne siegreich eine Kavalleriedivision befehligt hatte. Wrangel gelang es, seine Truppen gegenüber den Angriffen der 10. Armee der Roten unter Jegorow zu konsolidieren. Im Mai 1919 griff er durch den geschickten Einsatz seiner Kavallerie die gegnerische Armee überraschend an ihren Flanken an. Dadurch wurden die Bolschewiki in die Defensive gedrängt und auch hier löste sich der Zusammenhalt der Armee auf. Wrangel verstärkte die Offensive und eroberte am 30. Juni 1919 das Rote Verdun Zaryzin. Mit dem Vormarsch der Don-Armee, die wenige Monate zuvor vor einer militärischen Katastrophe gestanden hatte, hatten die Kommunisten vollkommen die Initiative an ihrer Südfront verloren und Denikin bereitete sich auf größere Unternehmungen vor.

Der Zusammenbruch der roten Südfront war, vor allem nach den Kräfteverhältnissen zu urteilen, außergewöhnlich. Er kam auch für das sowjetische Oberkommando unter Trotzki überraschend. Ein Faktor für die Niederlage war, dass alle drei Armeen der Roten vor unsicherem Hinterland kämpften. Im Rücken der 2. Ukrainischen Armee und der 13. Armee sorgte der Anarchistenführer Nestor Machno für Unsicherheit. Er war im Jahr 1918 mit der Zentralregierung Lenins verbündet und sollte für sie einen Puffer zur Ukraine schaffen, doch er hatte sich zum Jahreswechsel gegen seine einstigen Verbündeten erhoben. Die 8. Armee ging auf dem Gebiet des Territoriums der Donkosaken vor. Noch Anfang März waren diese durch die Abnutzungsschlacht demoralisiert und kriegsmüde, was es Krasnow schwer machte, neue Reserven zu mobilisieren. Doch mit dem Einmarsch der Roten Armee erhoben sie sich erneut. Das Zentralkomitte der kommunistischen Partei hatte noch in einem Rundschreiben im Februar verlangt, dass gegen die Kosaken mit aller Härte durchgegriffen werden solle. Ebenso oktroyierte die Regierung ein Entkosakisierungsprogramm, hierbei sollte die nicht-kosakische Bevölkerung der Region zur politischen Macht gelangen und die ehemaligen Wehrbauern als eigenständige Schicht ausgelöscht werden. Unter anderem verbot man das traditionelle Kosakengewand und setzte örtliche Komittees ein, die diese Politik überwachen sollten. Dies gipfelte in Terror und Schauprozessen gegenüber wirklichen und vermuteten Gegnern des Regimes. Anstatt die Kosaken also ins politische System zu integrieren, gab man ihnen allen Grund, die Sowjetmacht von neuem zu bekämpfen.

Doch auch die Rote Armee selbst war nur bedingt einsatzfähig. Die Reformen Trotzkis steckten noch in den Anfängen. Der Oberkommandeur der Roten Armee richtete ein System ein, das auf ehemalige Offiziere der Zarenarmee zurückgriff, die von Politkommissaren überwacht wurden. Dieses System war Mitte 1919 noch nicht eingespielt und war unfähig, das Vertrauen der bäuerlichen Rotarmisten, die nunmehr eingezogen wurden, in die Roten Streitkräfte zu festigen. Dies äußerte sich unter anderem in einer hohen Rate von Desertionen. Ebenso gab es trotz der Zwangsrekrutierung ehemaliger Truppenführer des Weltkriegs einen großen Mangel an ausgebildetem Personal und die Rote Armee griff oft weiterhin auf Unteroffiziere der radikalisierten Soldatenmassen von damals zurück, was sich in großen organisatorischen Problemen äußerte.

Die Judenitsch-Offensive

Bau von Barrikaden in Petrograd während der weißen Offensive 1919

Während Denikins Truppen große Teile der Roten Armee im Süden banden, erwuchs dem kommunistischen Regime an der nordwestlichen Grenze des ehemaligen Reichs eine neue Gefahr. Unter der Protektion der deutschen Besatzer hatten sich im russisch-estnischen Grenzgebiet bereits 1918 weiße Militäreinheiten formiert. Mit dem Revolution in Deutschland übernahmen die Roten wieder das Territorium und die Weißen zogen sich nach Estland zurück. In diesem Staat, der seine neugewonnene Eigenstaatlichkeit durch den Kommunismus bedroht sah, "überwinterte" die weiße Nordwest-Armee. Im Mai 1919 überschritt sie mit 6.000 Soldaten unter General Nikolai Judenitsch die Grenze. Ihr gelang es binnen wenigen Wochen, ein 18.000 km² großes Territorium um die Stadt Pskow zu besetzen. Ende September erneuerte die weiße Armee ihre Offensive in Stoßrichtung Petrograd. Bis zum 21. Oktober 1919 waren Judenitschs Soldaten bis auf 30 Kilometer an die ehemalige Hauptstadt Russlands herangerückt. Angesichts der Bedrohung und der ökonomischen und propagandistichen Bedeutung der Stadt zogen die Sowjets allerdings Truppen aus der Front gegen Denikin ab. Kurz nachdem Leo Trotzki den Befehl über die Verteidigung der Stadt übernommen hatte, waren die beiden Roten Armeen im Raum Petrograd auf über 70.000 Soldaten angewachsen. Die Nordwest-Armee war zwar mittlerweile auf rund 15.000 Mann verstärkt worden, doch waren ihre Ressourcen beschränkt. Der Hauptteil der personellen Verstärkungen bestand aus desertierten Rotarmisten und war von geringer Motivation und Verlässlichkeit. Da Judenitsch, wie seine damaligen weißen Kampfgenossen, kein politisches Programm vorstellte, blieb auch die Unterstützung der Bevölkerung der eroberten Gebiete sehr begrenzt. Im materiellen Bereich gestaltete sich die Lage noch hoffnungsloser. Die Nachschubsituation war schlecht, da zu den estnischen Versorgungsbasen der Weißen kaum leistungsfähige Eisenbahnverbindungen liefen. Generell war die Armee schlecht bewaffnet, so hatte sie den 581 Geschützen der Roten nur 44 Stück entgegenzusetzen. Bereits im November standen die Weißgardisten wieder an der estnischen Grenze. Die Regierung des baltischen Landes erlaubte ihnen die rettende Einreise, entwaffnete und internierte die Russen jedoch bereits Tage nach ihrer Ankunft. Somit hatte die sowjetische Regierung Reserven für den Kampf gegen Denikin zur Verfügung, und Estland schloss im Dezember 1919 als erster Nachbarstaat Russlands einen Waffenstillstand mit den Bolschewiki.

Das Scheitern Denikins

Nach den überraschenden Gewinnen des Frühsommers 1919 setzte Denikin im Juli die Strategie seiner Verbände fest. Er plante seine drei Hauptgruppen, die Kaukasus-Armee unter Wrangel im Osten, die Don-Armee unter Sidorin im Zentrum und die Kiewer Armee Dragomirows in der Ostukraine in einer keilförmigen Bewegung auf die Hauptstadt Moskau marschieren zu lassen. Der Hauptstoß sollte im Zentrum erfolgen, hier sollte die Freiwilligenarmee unter Wladimir Mai-Majewski die Speerspitze des Angriffs bilden.

Diesem Eliteverband der Weißen gelangen auch im Herbst greifbare Erfolge. Am 20. September eroberten sie Kursk, die beiden örtlichen Roten Divisionen lösten sich fast vollständig auf. Am 14. Oktober marschierte die Freiwilligenarmee in Orel ein und befand sich nun 400 km südlich von Moskau. Auch Dragomirows Truppen gelang mit der Eroberung von Tschernigow ein Erfolg, der die Ukraine noch weiter dem Einfluss der Sowjets entzog. Mit dem Verlust von Orel machte sich zeitweilig Panik im Roten Oberkommando breit, doch es gelang ihnen schließlich wieder, die Offensive zu gewinnen. Bereits im September hatte das Oberkommando der Roten Armee begonnen, eine Schockgruppe aus loyalen Kosaken, Kavallerie und der Lettischen Schützendivision zu bilden. Diese Einheit schaffte es, Orel sechs Tage, nachdem die Weißen es betreten hatten, wieder einzunehmen. Damit wäre ein fragiles Patt erreicht gewesen, aber eine Befehlsverweigerung auf Seiten der Kommunisten entschied die Lage. Der rote General Semjon Budjonny war mit einem Kavalleriekorps östlich des Keils, den die Weißen bildeten, stationiert. Seinen Befehlen nach sollte er östlich gegen die Kaukasus-Armee Wrangels vorgehen, doch er entschied sich westlich gegen Sidorins Truppen anzugreifen. Am 24. Oktober nahmen seine Reitertruppen Woronesch ein. Durch den Verlust dieses Eisenbahnknotenpunkts war die Freiwilligenarmee als Speerspitze der Weißen vom Nachschub abgeschnitten und trat den Rückzug an. Denikin hatte die Initiative verloren und seine Offensive war somit gescheitert. Er konnte den Rückzug seiner Armee, deren Moral zusammengebrochen war, nachdem Moskau unerreichbar wurde, auch nicht mehr stoppen. Am 13. Dezember 1919 eroberten rote Truppen Kiew und bis Anfang Januar verlor Denikin das Territorium des Don-Gebiets. Rostow, die Hauptstadt des Kosakenterritoriums fiel am 7. Januar 1920. Seine letzten Truppen zogen sich fluchtartig in das Kubangebiet zurück. 37.000 Mann wurden auf englischen Schiffen von Noworossisk auf die Krim evakuiert. 60.000 blieben zurück und gingen in Gefangenschaft. Denikin selbst wurde ebenfalls evakuiert, doch angesichts seiner Niederlage hatte er jede Legitimät als Anführer der Weißen Bewegung verloren. Er verließ Russland im April 1920 und starb 1947 im amerikanischen Exil. Denikins Offensive war der Punkt des Bürgerkrieges, an denen die Rote Zentralmacht am meisten gefährdet war. Mit seiner Niederlage wurde allerdings die letzte Möglichkeit der Weißen Armee den Widerstand gegen die Bolschewiki in das russische Kernland zu tragen vertan.

Die Gründe für das Scheitern der Weißen Offensive lagen sowohl im militärischen wie auch im politischen Bereich. Denikins Truppen kämpften zu jeder Zeit gegen zahlenmäßig überlegene Kräfte. Seine Mannschaftsstärke erreichte zum Höhepunkt seiner Kräfte 99.000 Soldaten. Demgegenüber standen 150.000 Rotarmisten an der Front und über 677.000 Mann als Reserven. Seine Truppen kämpften an einer fast 1.000 Kilometer langen Front. Als Oberbefehlshaber war er sich dieser Faktoren sicher bewusst, seine Planung stützte sich auf die Annahme, breite Unterstützung aus der Bevölkerung zu bekommen. Denikin dachte, er könnte mit seinem Vormarsch einen Aufstand gegen die kommunistische Herrschaft auslösen, der seiner kleinen Armee zahlenmäßige Tiefe verleihen würde. So schlecht die Situation auch im sowjetischen Territorium war, Denikin konnte die Bevölkerung nicht auf seine Seite ziehen. Ein Faktor, der die weiße Bewegung aus der Sicht der Bauern desavouierte, war die Versorgungspraxis der Armee. Denikin hatte nicht die Ressourcen und Logistik, seine Soldaten über Hunderte von Kilometern aus seinen Nachschubbasen am südlichen Don zu versorgen. Als Reaktion darauf erlaubt er den Truppen die Selbstversorgung sprich Zwangsrequirierung von Nahrungsmitteln und anderen Gütern. Dies artete zu regelrechten Plünderungen der Soldaten aus. Wrangel beschwerte sich in einem Brief bei Denikin, worin nun noch der Unterschied zwischen den Weißen und den Bolschewiki liege, die seit 1918 im großen Stil und unter Strafandrohung Nahrung konfiszierten, um die Städte zu versorgen. Der Feldgeistliche Georgij Schawelskij äußerte sich folgendermaßen über die Übergriffe der militärisch erfolgreichsten Formation der Weißen : "Raub, Spekulation, Frechheit und Schamlosigkeit zersetzen den Geist der Armee. Eine räuberische Armee ist keine Armee, sie ist eine Bande."Vorlage:Ref

Generell machte Denikin den selben Fehler wie sein nominell übergeordneter Befehlshaber Koltschak. Er stieß weder politische Reformen an, noch stellte er ein detailliertes politisches Programm auf. Im Gegensatz zu den Bolschewiki formulierte er nicht einmal eine Vision, die seine Bewegung auf eine breite emotionale Bas stellen konnte. Er versuchte, die von ihm kontrollierten Gebiete, auf dem Höhepunkt des Vormarsches umfassten sie 42 Millionen Menschen, mit einer Militärdiktatur als Übergangslösung zu regieren. Doch selbst dieser bescheidene Anspruch schlug fehl. Durch Plünderungen, den Mangel an politischem Programm und der diktatorischen Regierungsstruktur entfremdeten die weißen Generäle die gebildete Schicht der Städte von ihrer Bewegung. Infolgedessen waren sie selbst personell nicht in der Lage, einen tragfähigen Verwaltungsapparat aufzubauen, da ihnen die Intelligenzia die Zusammenarbeit verweigerte. Die Administration der Antikommunisten blieb auch in Südrussland ineffizient und ohne breite Unterstützung. Dadurch verstärkten sich natürlich die Versorgungsprobleme der Truppen an der Front noch mehr und die Plünderungen nahmen weiter überhand.

1920 - Die weiße Armee auf der Krim

Nach der Niederlage am Don und in Sibirien erwies sich die Halbinsel Krim als letzte Basis der weißen Bewegung. Dort formte General Wrangel aus dem Kern der aus Noworossisk evakuierten Truppen die Russische Armee mit 37.000 Soldaten. Der Polnisch-Sowjetische Krieg verschaffte Wrangel in der strategisch günstigen Lage der Halbinsel Zeit, seine Verbände bis April 1920 neu zu formieren. Bereits im Juni starteten seine Streitkräfte die erste Offensive mit einem Ausbruch aus der Landenge von Perekop nach Norden. Die Verteidigung der örtlichen sowjetischen Garnisonen brach zusammen und Ende Juni wurde ein rotes Kavalleriekorps, das zum Gegenangriff angetreten war, eingekreist und fast vollständig aufgerieben. Als die Rote 13. Armee schlussendlich reagierte, waren Wrangels Truppen bereits bis an den Dnjepr herangerückt. Der Gegenangriff der Bolschewiki wurde zwar energisch vorangetrieben, erfüllt aber die Erwartungen nicht. Es gelang den Rotarmisten zwar, einen Brückenkopf nördlich von Perekop zu halten und somit die Verbindung der vorstoßenden Weißen zur Krim einzuengen. Dies hinderte Wrangels Truppen jedoch nicht, im Laufe des Sommers Mariupol und Alexandrowsk an den Ufern des Asowschen Meeres einzunehmen. Wrangel war sich aber sehr wohl bewusst, dass diese begrenzten Erfolge in der Peripherie des Reiches nur zweifelhaften Wert hatten. Mit einer im Herbst gestartete Offensive in die Kubanregion schlug der Versuch fehl, zu den ehemals weißen Kosakengebieten durchzubrechen. Mit der Überquerung des Dnjepr in Richtung Westen durch die ehemalige Freiwilligenarmee (jetzt das I. Korps der neuen Russischen Armee) unter Kutepow versuchte Wrangel im Oktober die Initiative zu behalten. Nach einer Woche mussten sich seine Soldaten aber wieder östlich über den Fluss zurückziehen.

Am 12. Oktober 1920 schloss Polen mit dem Sowjetstaat einen Waffenstillstand, der nun Truppen zum Kampf gegen Wrangel freimachte. Unter Michail Frunse wurde eine neue Südliche Armeegruppe aufgestellt. Bis Ende Oktober konnten die Roten sechs Armeen mit 133.000 Mann zusammenziehen. Diese zahlenmäßige Überlegenheit von vier zu eins konnte Frunse ausnutzen. Er trieb die Weißen Truppen von seinen Stellungen am westlichen Ufer des Dnjepr immer weiter auf die Krim zurück. Dabei verloren die Weißen mehr als 20.000 Soldaten und somit den Großteil ihrer Armee. General Wrangel hatte allerdings die Aussichtslosigkeit der Lage erkannt und hatte ihre Evakuierung vorbereitet. Bis zum 16. November wurden 146.000 Menschen, mehrheitlich Zivilisten, mit Hilfe der Schiffe der ehemals zaristischen Schwarzmeerflotte vor den heranrückenden Roten Richtung Türkei in Sicherheit gebracht. Viele Sympathisanten und ehemalige Soldaten der Weißen Armee konnten allerdings nicht mehr ins Ausland gelangen. Nach der Machtübernahme der Bolschewiki folgte eine Serie von Hinrichtungen durch die Kommunisten in der Größenordnung von mehreren Zehntausend.

Evakuierung weißer Truppen ins Ausland 1920

Bemerkenswert an Wrangels kurzer Aktivität als Führer der weißen Bewegung war seine politische Flexibiliät. Während seine Vorgänger Koltschak und Denikin an ihrer politischen Apathie scheiterten, führte Wrangel auf der Krim eine Bodenreform durch. Er enteignete die Großgrundbesitzer unter Gewährung von Entschädigungen. Ebenso strebte er Bündnisse mit allen politischen Parteien an, er versuchte sogar den Anarchisten Nestor Machno für einen antikommunistischen Feldzug zu gewinnen. Wrangel hielt zwar an der Militärdiktatur fest, doch versuchte er, auch die städtische Intelligenzija in sein System einzubinden. Seine Zugeständnisse sorgten für ein sicheres Hinterland hinter seiner Front, ein Luxus, den kein weißer General vor ihm genossen hatte.

Wrangels Position wurde noch durch die Krimtataren, die ein Viertel der Bevölkerung stellten, gestärkt. Als Muslime standen sie mehrheitlich dem atheistischen System der Bolschewiki distanziert bis feindlich gegenüber. Wrangels Kräfte waren aber bereits zu gering, um sich militärisch gegen die Rote Armee zu behaupten. Einen generellen Aufstand zu Gunsten der Weißen Bewegung konnte sein politisches Programm allerdings auch nicht entfalten. Es stellte diejenigen zufrieden, die unter weißer Herrschaft lebten; allerdings waren seine Maßnahmen, vor allem in der Landfrage, schon populistisch effektiv Jahre zuvor von den Kommunisten überholt worden.

Sein politischer Spielraum wurde noch durch die Briten eingeschränkt. Nach der Niederlage Denikins war die britische Regierung überzeugt, dass die Roten den Bürgerkrieg für sich entscheiden würden. Sie entzogen daraufhin der Weißen Armee ihre Unterstützung, rieten Wrangel von einer Offensive ab und versuchten schon während des Bürgerkriegs, diplomatische Beziehungen zu den neuen Herren im Kreml aufzunehmen.

Innenpolitik der Bolschewiki

Hauptartikel: Kriegskommunismus

Die Innenpolitik der kommunistischen Führung während des Bürgerkriegs wurde, selbst in der offiziellen Parteilinie, als Kriegskommunismus bezeichnet. Dies stellte allerdings eine Deklarierung im Nachhinein dar, da Lenin selbst den Begriff erst 1921 im Zuge der NEP verwendete. Der allgemeine Kurs der Politik des jungen Sowjetstaates wurde schon vor der akuten Phase des Bürgerkriegs eingeschlagen. Das Grundproblem der russischen Wirtschaft war der Zusammenbruch der Nahrungsmittelverteilung innerhalb des Landes. Das Handelssystem selbst war zusammengebrochen und es standen zu wenig industrielle Güter bereit, um die Bauern zum Verkauf ihrer Überschüsse zu motivieren. Bereits im Mai 1918 verkündete die Regierung die Einführung einer Nahrungsdiktatur. Diese radikale Politik umfasste das vollkommene Verbot des Privathandels im Agrarbereich und ein System festgeschriebener Preise. Das Hauptwerkzeug der Politik bestand allerdings in der oft gewaltsamen Zwangseinziehung bäuerlicher Erzeugnisse ohne Gegenleistung. Durch dieses System konnten in den ersten beiden Bürgerkriegsjahren pro Jahr maximal ein Drittel der Vorkriegsmenge an Getreide in die Städte verbracht werden. Die Maßnahme hatte eine Mangelsituation auf dem Land wie im urbanen Bereich zur Folge. Als einziger Ausgleichsmechanismus in diesem Missverhältnis erwies sich der Schwarzmarkt, der quantitiv wohl mehr Transfer zwischen Stadt und Land zu Wege brachte als die offiziellen Bemühungen der Regierung. Nach zwei Jahren der Beschlagnahmungen ohne Gegenleistung reduzierten auch viele Bauern ihre Anbauflächen. Dieses Problem wurde im November 1920 in gleicher Weise angegangen, man richtete einfach Parteikommitees ein, welche die Bauern zu einer maximalen Aussaat und damit zur Überschussproduktion zwingen sollten. Dieser Politik des Zwanges folgte nach dem Krieg eine katastrophale Hungersnot.

Auch auf kulturellem Sektor betrieb die Sowjetregierung zunehmend eine Zwangspolitik. Bereits im Februar 1919 hatte die Führung durch die Schaffung von Bildungseinrichtungen nur für Arbeiter und Bauern den Versuch gestartet sich eine loyale Elite heranzuziehen. Dadurch sollte das Bürgertum aus der Bildungselite verdrängt werden. Als weiteres seltenes Beispiel erfolgreicher Lösungen wurde im Dezember 1919 wurden für alle Analphabeten im Machtbereich der Kommunisten verpflichtende Kurse im Schreiben und Lesen eingeführt. Noch im selben Monat wurde allerdings der erste Angriff auf die Orthodoxe Kirche geführt. Agitation gegen den Klerus gehörte schon vor der Revolution zum Programm der Bolschewiki. Nach der Machtergreifung kam es auch zu Übergriffen gegen kirchliches Eigentum und Priester. Der erste Versuch das Christentum in Russland mittels administrativer Maßnahmen zurückzudrängen war das Verbot religiöser Gemeinsschaften sich durch Spenden zu finanzieren und sie damit von ihrer primären Geldquelle abzuschneiden. Interessant hierbei ist, daß die nächste Eskalatuionsstufe, nämlich Schauprozesse gegen kirchliche Würdenträger erst nach dem Bürgerkrieg folgte.

Dieselbe Gangart betrieben die Bolschewiki in der Industrie. Per Dekret wurden im Juni 1918 sämtliche größeren Betriebe verstaatlicht. Zu Beginn experimentierte die Führung auch mit der Aufsicht gewählter Arbeiter über die Fabriken. Diese Methode erwies sich allerdings als ineffizient und wurde vor Jahresbeginn 1919 größtenteils aufgegeben. Die staatlichen Zwangsmaßnahmen konnten den Niedergang der Industrie nicht aufhalten. 1920 wurden sie sogar noch verschärft, als selbst Kleinstunternehmen verstaatlicht wurden und eine allgemeine Militarisierung der Arbeit verlautbart wurde. Dies brachte die Einschränkung grundlegendster Freiheiten der Bevölkerung mit sich. Es herrschte von staatlicher Seite nun Arbeitszwand und Versäumnisse in Ausübung des Berufes konnten nach dem Kriegsrecht abgeurteilt werden. Die Radikalität ihrer Aktionen erwies sich als politischer Gewinn für die Bolschewiki, da sie mit der Enteignung der alten Elite das Wohlwollen weniger wohlhabender Gesellschaftsschichten fanden. Ökonomisch jedoch brachte sie keine Erfolge, sondern verstärkte die Krise um ein Vielfaches. Nach dem Sieg der Roten im Bürgerkrieg war die russische Wirtschaft auf einen Bruchteil der Vorkriegsleistung zusammengeschrumpft.

Russ. Produktionsziffern
in Mio. Tonnen, Quelle: Vorlage:Ref
1913 1921 Prozentual
Kohle 29,0 8,9 –64 %
Stahl 4,3 0,2 –95 %
Eisenbahnfracht 132,4 39,4 –70 %
Getreide 80,1 37,6 –53 %

Auf politischem Gebiet wurde eine radikale Entwicklung sogar noch früher nach der Revolution vorgezeichnet. Der Geheimdienst Tscheka wurde bereits im Dezember 1917 gegründet. Unter ihrem Gründer Felix Dserschinski erhielt die Tscheka weitgehende Befugnisse, inklusive des Rechts, Menschen ohne Gerichtsverfahren hinzurichten. Der Massenterror wurde als legitimes Mittel der Politik verbrämt und auch angewandt. Er betraf allerdings nicht nur politische Gegner, sondern wurde auch als Mittel der Problemlösung im ökonomischen Bereich verwendet. Im Februar 1919, als das Transportsystem des Staates weitgehend darniederlag, wurden Bauern als Geiseln genommen. Ihre Erschiessung wurde angedroht, falls die verbliebenen Dorfgenossen nicht die Eisenbahnstrecken vom Schnee räumen würden. Das System expandierte rasch und nach offiziellen Zahlen befanden sich 1919 in Russland 4.100 Konzentrationslager und weitere 7.500 Arbeitslager.Vorlage:Ref Zwar wurde die Todesstrafe im Januar 1920 formal abgeschafft, aber dieser Edikt wurde von der Geheimpolizei weitgehend ignoriert.

Lage der Bevölkerung

Erste greifbare Erscheinung des Bürgerkriegs und der Oktoberrevolution stellte eine Migrationsbewegung entlang den sich abzeichnenden Fronten dar. Angehörige der ehemaligen Oberschicht des Reiches flohen aus den städtischen Zentren des durch die Revolutionäre kontrollierten Zentralrusslands in die Peripherie. Unter der Herrschaft der Deutschen, nationaler Minderheiten oder der Weißen Armee versuchten sie sich dem Zugriff von Enteignungen und politischer Verfolgung durch die neuen Machthaber zu entziehen. Für die verbliebenen Angehörigen der ehemaligen Oberschicht ergab sich Perspektivlosigkeit. Enteignungen nahmen ihnen die wirtschaftliche Basis und das Regime der Bolschewiki benutzte die Lebensmittelzuteilungen gezielt um weiteren Druck auf die ehemalige Oberschicht auszuüben. Der Schwarzmarktverkauf des letzten Privateigentums und darauf folgend der sprunghafte Anstieg der Prostitution waren zwei Symptome dieses administrativen Klassenkampfs von oben. Doch nicht nur Adlige und das Besitzbürgertum trafen diese Maßnahmen. Ebenso wurde der städtischen Intelligenzija die ökonomische Basis durch Entlassung und mangelhafte Zuteilung entzogen. Ausgenommen waren einige wenige Intellektuelle, wie etwa Maxim Gorki, die als der Ideologie der Partei konform galten.

Doch auch die Situation der arbeitenden Bevölkerung gestaltete sich kaum einfacher. Das Zwangssystem der Lebensmittelbeschlagnahmung genügte nicht um die Städte zu versorgen. Als Folge davon versuchten täglich tausende Arbeiter als sogenannte Sackleute auf dem Lande durch Schwarzhandel ihren Bedarf zu decken. Dadurch blieben 1918 je nach Industriezweig zwischen 30% und 80% der Belegschaften ihren Arbeitsplätzen pro Tag fern. Die Arbeiter versuchten den Tauschhandel mit dem Land durch Diebstähle und Demontagen aus den eigenen Fabriken zu decken, was die brachliegende Wirtschaft noch weiter schädigte. Um dieses System für ihre Leute zu nutzen, gingen viele lokale Parteimitglieder und Arbeitervertreter dazu über diesen Tauschhandel in Kooperativen zu institutionalisieren und somit wenigstens eine minimale Produktion aufrecht zu erhalten. Dieser Versuch wurde allerdings bereits im Mai durch Lenin ausgehebelt, der jeden Privathandel und auch die kooperativen Tauschabkommen zwischen einzelnen Fabriken und Dörfern verbot. Zur Durchsetzung dieser Entscheidung ging die Regierung dazu über, durch Sperrkommandos militärische Gewalt einzusetzen. Da sie allerdings über die allein legale Methode der zentralisierten Requieriung die Bedürfnisse der Städte nicht befriedigen konnte, hielt das Phänomen während des gesamten Bürgerkriegs an. In den von den Weißen kontrollierten Gebieten war dieses Problem weniger akut, da hier das private Handelssystem von staatlicher Seite nicht unterbunden wurde. Doch besonders in kürzlich eroberten Städten trafen Terror und Erschießungen Sympathisanten und verdächtigte Sympathisanten der roten Zentralregierung.

Die ländlichen Regionen litten noch mehr unter dem Bürgerkrieg. Sowohl die Weißen wie auch die Roten deckten ihren Nahrungsmittelbedarf durch zwangsmäßige Einziehung. Auf Seiten der weißen Armeen artete dies, vor allem in den Reihen der Freiwilligenarmee, zu regelrechten Plünderungsexzessen aus. Die sowjetische Führung hingegen unterhielt bis zu 76.000 Bewaffnete in sogenannten Beschaffungstribunalen. Diese ad-hoc Einheiten zogen durch das Land und pressten nach willkürlichen Quoten Getreide von den Bauern. Geiselnahmen unter der Dorfbevölkerung und deren Ermordung bei Nichterfüllung der Forderungen waren eine gängige Praxis. Besonders drückend war die Situation für die Landbevölkerung in den umkämpften Gebieten Südrusslands und des Urals. Oft wurden Dörfer mehrmals von den jeweiligen Fronten überrollt und waren damit die politischen Repressionen beider Seiten in verschärftem Maße ausgesetzt. Je weiter die Versorgungskrise der Städte sich verschlimmerte desto mehr Druck lastete auf der Bauernschaft. Im Sommer 1918 leitete Lenin den Klassenkampf auf dem Dorf ein : „Diese Blutegel haben sich am Blut der Werktätigen volgesogen und werden umso reicher je mehr der Arbeiter in den Fabriken gehungert hat [...] Schonungsloser Krieg den Kulaken! Tod den Kulaken!Vorlage:Ref. Die Ideologie der Kommunisten versuchte die Dorfgemeinschaften in eine Klasse der wohlhabenderen Bauern als Kulaken und eine Mehrheit aus armen Bauern zu spalten. Den Kulaken sollten durch Enteignung, Freiheistentzug, sowie durch gewaltsame Übergriffe bis hin zu Erschießungen ihre angeblich beherrschende Stellung über das dörfliche Leben entzogen werden. Dieser Bestrebung wurde 1919 mit der von oben verordneten Gründung örtlicher Komittees der Dorfarmut mit Unterstützung der Tscheka Nachdruck verliehen. Diese Politik wurde allerdings 1919 aufgegeben, da sich dadurch die Nahrungssituation noch weiter verschlimmerte und die Propaganda der Roten konzentrierte sich von nun auf den Mittelbauer und versuchte nun die Dorfgemeinschaft als Ganzes anzusprechen.

Opferzahlen

Nach den Schäden und Verlusten des Ersten Weltkriegs erwies sich der Bürgerkrieg für Russland als noch größere Katastrophe. Insgesamt starben rund 770.000 Soldaten beider Seiten im Gefecht. Nach heutigen Schätzungen entfielen 80  % dieser Verluste auf die Rote Armee. Weitere rund 700.000 Kombattanten verloren während ihres Dienstes durch Seuchen ihr Leben. Die Zahl der getöteten Zivilisten durch den Terror beider Seiten ist nicht annähernd festgestellt. Die Zahl der Exekutionen durch die Roten wird in der westlichen Literatur mit Werten von 50.000 und 200.000 beziffert. Die Zahl von Menschen, die infolge staatlicher Repressionen ohne Todesurteil ihr Leben verloren, ist vollkommen unbekannt, wird aber als noch größer eingeschätzt. Der Terror seitens der Weißen ist ebenfalls ungenügend dokumentiert. Heutige Schätzungen gehen von 20.000 bis 100.000 Morden an Sympathisanten der Gegenseite aus. Dem hinzuzufügen wären noch 50.000 bis 100.000 Opfer jüdischer Herkunft, die im Zuge antisemitischer Pogrome ums Leben kamen.

Der Zusammenbruch des Wirtschaftssystems und das Chaos des Krieges forderten Millionen Opfer unter der Zivilbevölkerung durch Hunger und die Ausbreitung von Seuchen. Anhand von Bevölkerungszählungen, die bis 1923 durchgeführt wurden, lässt sich feststellen, dass im Russland des Jahres 1920 neun bis zehn Millionen Menschen weniger lebten, als im selben Gebiet zum Ende des Weltkrieges. Nach der Berücksichtigung der Emigration von circa zwei Millionen Menschen und der Hungersnot von 1921 führt dies zu einer Zahl von rund acht Millionen zivilen Opfern. Dies entspricht dem Vierfachen der Verluste des Zarenreichs im Ersten Weltkrieg.

Andere Kriegsparteien

Neben den beiden oben genannten Bürgerkriegsparteien der Weißen und der Roten gab es noch eine dritte Gruppe, die sogenannten Grünen. Bei ihnen handelte es sich meist um Bauern, die sich den Beschlagnahmungen der (roten) Versorgungsarmee widersetzten oder desertierten, sich ins Umland zurückzogen und von dort aus einen Partisanenkrieg gegen die rote Armee führten. In der Ukraine kämpfte außerdem eine bis zu 30.000 Mann starke anarchistische Partisanenarmee, ein Arm der Machnotschina oder auch Machno-Bewegung (benannt nach ihrem Anführer Nestor Machno). Die Machnotschina kämpfte zunächst gemeinsam mit den Kommunisten gegen die weiße Armee, wurde später jedoch von den Bolschewiki bekämpft, brutal unterdrückt und militärisch niedergeschlagen.

Zitatangaben

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Siehe auch

Literatur

  • Figes, Orlando : Die Tragödie eines Volkes, Berlin-Verlag, Berin, 1998 ISBN 3-8270-0243-5
  • Hildermeier, Manfred : Russische Revolution, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt, 2004 ISBN 3-596-15352-2
  • Katzer, Nikolaus : Die Weiße Bewegung in Rußland, Böhlau Verlag, Köln, 1999 ISBN 3-412-11698-X
  • Mawdsley, Evan : The Russian Civil War, Birlinn Limited, Edinburgh, 2005 ISBN 1-84341-024-9
  • Pipes, Richard : Russia under the Bolshevik Regime, Random House, New York, 1994 ISBN 0-394-50242-6

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