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Schizophreniekonzepte

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Einteilungsversuche der Schizophrenie unterscheiden sich erheblich, da es sich dabei um eine vielgestaltige seelische Erkrankung handelt. Dieser Umstand wird noch komplizierter, da es im Verlauf der letzten etwa 150 Jahre eine Reihe solcher Versuche gegeben hat. Teilweise wurden sie aufgegeben, zum Teil aber blieben sie unter anderen Namen weiter bestehen. Dieser Artikel dient der Orientierung in diesem Bereich der Medizin.

Einleitung

Das Fundament

Die Grundlage unseres heutigen Verständnisses der Schizophrenie ist Emil Kraepelins Unterscheidung der „Dementia präcox“ vom „manisch depressiven Irresein“. Kraepelin hat mit dieser Unterscheidung den grundlegenden Schritt getan, die Schizophrenie von den affektiven Störungen zu unterscheiden. Sein nächster systematischer Schritt war die Unterteilung der Schizophrenie in Untertypen, insbesondere die drei Typen: paranoid-halluzinatorisch, kataton und hebephren.

Die verschiedenen Einteilungssysteme im Überblick

Ausgehend von dieser Überlegung Kraepelins, der Annahme Wilhelm Griesingers, seelische Erkrankungen seien Gehirnkrankheiten, und aufbauend auf Karl Jaspers methodologischen Überlegungen zur allgemeinen Psychopathologie wurden mit der Zeit unter anderem folgende Konzepte für die Klassifikation der Schizophrenie entworfen. Sie sind in der Psychiatrie mit den Namen ihrer „Erfinder“ verbunden:

  • Eugen Bleuler: Grundsymptome und akzessorische Symptome,
  • Kurt Schneider: Erstrangsymptome,
  • K. Conrad: Die Stadien des Wahns.
  • J.H. Jackson und Nancy C. Andreasen: positive und negative Symptome,
  • Tim J. Crow: Typ I und Typ II-Schizophrenie,
  • Gerd Huber: Basisstörung,
  • P.F. Liddle: Dimensionaler Ansatz,

Die Situation heute

Das gegenwärtige Verständnis der Schizophrenie ist vor allem aufgrund der Wirksamkeit der Neuroleptika, der Katamneseforschung und der Bestrebungen der Psychiatriereform von den Konzepten des „Neo-Kraepelianismus“ im Sinne einer biologischen Psychiatrie und der Sozialpsychiatrie geprägt. Aufgrund einer weitreichenden inhaltlichen Kritik an den bisher bestehenden Klassifikationssystemen und wegen organisatorischer Überlegungen (Vereinheitlichung der Nomenklatur, Bildung homogener Patientenpopulationen für klinische und genetische Studien, Abrechnungsmodalitäten) werden heute fast überall Patienten mit seelischen Erkrankungen nach den ICD-10- und DSM-IV-Katalogen diagnostiziert und so auch die verschiedenen Formen der Schizophrenie entsprechend eingeteilt. Die Logik dieses Klassifikationssystems wird zum Schluss dargestellt.

Emil Kraepelin und die „Dementia praecox“

Grundlage der Schizophreniekonzepte Kraepelins ist die klinisch-pragmatische Verlaufsforschung. Da ein Querschnittsbild, das Momentaufnahmen des Zustandes eines seelisch erkrankten Menschen darstellt, im Laufe der Zeit starken Schwankungen unterliegt, erschien es logisch, eine Systematik nicht auf die stark variablen Aspekte der Erkrankung zu gründen sondern auf Verlaufsbeobachtungen, von denen man sich eine größere Zuverlässigkeit der Beurteilung versprach.

Die „natürlichen Krankheitseinheiten“

Kraepelin entschied sich auch, den Gedanken der Einheitspsychose in Anlehnung an Griesinger aufzugeben, zugunsten einer rein empirischen Herangehensweise: Wenn die Verlaufsbeobachtungen Hinweise für eine Einheitspsychose ergäben, könne man den Begriff behalten, sonst müsse man ihn aufgeben. Die dritte grundsätzliche Überlegung Kraepelins ist die, sich nur an der eigenen Erfahrung zu orientieren und nicht an philosophischen oder neuroanatomischen Vorannahmen. Dies führt zu der zentralen Annahme, seelische Erkrankungen seien biologisch begründete „natürliche Krankheitseinheiten“.

An diesem Konzept der „natürlichen Krankheitseinheiten“ hielt Kraepelin Zeit seines Lebens fest, obwohl er als guter Kliniker zunehmend auch die Grenzen des Konzeptes sah: die Persönlichkeit des Erkrankten, seine Lebenssituation und die Qualität seiner sozialen Beziehungen erkannte Kreapelin als Faktoren, die den Verlauf der Erkrankung beeinflussen können. Er nannte diese Faktoren deshalb „pathoplastisch“ (krankheitsformend).

(Zunächst unterschied Kreapelin drei Erkrankungsgruppen: die Delirien, die Erschöpfungszustände und die Gruppe der „Wahnsinnigen“ und „Verrückten“. Diese Unterteilung lässt sich recht zwanglos mit dem noch heute gültigen triadischen Konzept vergleichen.

Erste Phase: Abgrenzung von traditionellen Konzepten

Bei Kraepelins Schizophreniekonzept kann man drei Phasen unterscheiden: in der frühen Periode (1880-1890) taucht bei Kraepelin der Begriff der „Dementia praecox“ noch nicht auf. Hier kritisiert er vor allem die Diagnosesysteme des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit beschrieb Kraepelin schon eine Gruppe von Kranken mit Psychosen, die zur Chronifizierung neigten.

Zweite Phase: Die „Dementia praecox“ und ihre Subtypen

In der mittleren Periode (1891-1915) beschrieb er erstmals den Unterschied zwischen Querschnitt- und Längsschnittbefund. 1893 erwähnt er erstmals den Begriff der „Dementia praecox“. Neben der „Katatonie“ und der „Dementia paranoides“ zeichne sie sich durch eine schlechte Prognose aus. Die schlechte Prognose war für ihn ein Argument zu der Annahme, die Erkrankung sei körperlich begründet. Die schlechte Prognose umschreibt er mit den Begriffen der „psychischen Entartung“ oder „Verblödung“. 1899 trifft Kraepelins erstmals die Unterscheidung zwischen „Dementia praecox“ (Schizophrenie) mit chronischem Verlauf und schlechter Prognose einerseits und „manisch depressivem Irresein“ (affektiven Störungen) mit phasenhaftem Verlauf und guter Prognose andererseits.

Dabei unterschied Kraepelin drei Formen der „Dementia praecox“: den hebephrenen, katatonen und paranoiden Untertyp. In späteren Veröffentlichungen unterschied er bis zu zehn Subtypen. Kraepelin glaubte, die „Dementia praecox“ sei durch einen organischen Krankheitsvorgang bedingt, möglicherweise sei die Erkrankung nicht einheitlich. Die Möglichkeit einer Heilung schloss er aus.

Dritte Phase: Konsolidierung

In der späten Periode ab 1916 setze sich Kraepelin mit Kritik an seinem Konzept auseinander, nahm aber keine Veränderungen mehr an seinen Überlegungen vor.

Eugen Bleuler und die Gruppe der Schizophrenien

Eugen Bleuler hat in die Diskussion um die Einteilung der Schizophrenie zwei gewichtige Argumente eingebracht. Er hat einerseits die Symptome der Krankheit genau studiert und ein heute noch brauchbares Gerüst für ihre Einteilung vorgeschlagen. Darüber hinaus hat Bleuer mit dem Begriff der „Gruppe der Schizophrenien“ eine Alternative zu Griesingers Konzept der „Einheitspsychose “ vorgeschlagen.

Primäre und sekundäre Symptome

Bleuler war ein Schüler Freuds und einer der ersten Psychiater, die versuchten, die Ergebnisse der Psychoanalyse für die Psychiatrie nutzbar zu machen. Sein bleibendes Verdienst gründet auf diesem Teil seiner wissenschaftlichen Arbeit. Bleuer stellte fest, dass die Symptome seiner Patienten sehr unterschiedlich waren und wollte deshalb nicht mehr von einer Krankheit sondern von einer Krankheitsgruppe sprechen. Zudem war es sein Ziel, eine möglichst umfassende Schizophrenietheorie zu erstellen. Er ging wie Griesinger von der Vorstellung einer somatischen Erkrankung des Gehirns aus und vermutete, dass diese Gehirnstörung unmittelbar zu den sogenannten Primärsymptomen - vor allem Denkstörungen und bestimmten körperlichen Symptomen - führt. Die aktive Auseinandersetzung des Kranken mit diesen primären Störungen führt zu den sogenannten Sekundärsymptomen der Schizophrenie: Wahn, Halluzinationen, Affektstörungen.

Primärsymptome Sekundärsymptome
Lockerung der Assoziation Zerfahrenheit, Symbolisierungen, Affektstörungen
Benommenheitszustände Störungen von Gedächtnis und Orientierung
Disposition zu Halluzinationen Automatismen
Tremor Blödsinn
Pupillendifferenzen Wahnideen
Ödeme Autismus
Katatone Anfälle Unberechenbarkeit
  Abulie
  Negativismus
  Halluzinationen, Stereotypien, Katalepsie

Grundsymptome und akzessorische Symptome

Unter diesem Stichwort führt Bleuler seine heute noch gebräuchliche Definition der vier großen A ein (Affekt, Assoziation, Ambivalenz, Autismus), die er als die wichtigsten Grundsymptome ansah. Sie sollen bei der Schizophrenie immer dann vorkommen, wenn die Erkrankung weiter fortgeschritten ist. Die so genannten akzessorischen Symptome treten nach Bleuler nur gelegentlich auf und kämen auch bei anderen Erkrankungen vor.

Grundsymptome Akzessorische Symptome
Störung der Assoziation Halluzinationen
Störung der Affektivität Wahnideen
Ambivalenz Funktionelle Gedächtnisstörungen
Autismus Katatonie
Störungen des Willens und Handelns Störungen von Schrift und Sprache
Störungen der Person  

Kurt Schneider und der phänomenologische Ansatz

Kurt Schneiders Wissenschaftskonzept

Die Unterscheidung zwischen Symptomen ersten und zweiten Ranges geht auf den Heidelberger Psychiater Kurt Schneider (1887-1967) zurück. Schneider betrachtete die Schizophrenie als eine organisch begründete Störung des Gehirns. Diese als „Somatosepostulat“ bezeichnete Annahme sah Schneider aber ausdrücklich als Modellvorstellung oder „heuristisches Prinzip“ an. Aufgrund dieser kritischen Selbstbeschränkung betrachtete er psychiatrische Diagnosen nicht einfach als Namen für objektivierbare „natürliche Krankheitseinheiten“ im Sinne Kraepelins, sondern als möglichst gut zu begründende begriffliche Konstrukte. Schneider schlug deshalb vor, im Falle psychiatrischer Erkrankungen statt von einer Differentialdiagnose eher von einer Differentialtypologie zu sprechen. Schließlich spreche man in der Medizin von Diagnosen im engeren Sinne nur dann, wenn Ätiologie und Pathogenese einer Erkrankung genau bekannt sind. Dies trifft aber im Falle der Schizophrenie bekanntermaßen nicht zu. Mit dieser pragmatischen und zugleich vorsichtigen Haltung gilt Schneider als ein Pionier der sogenannten operationalisierten Diagnostik, wie sie im ICD-10- und DSM-IV-Katalog verwirklicht wurde.

Erst- und Zweitrangsymptome

Die von ihm sogenannten Erstrangsymptome erlauben die Diagnose der Schizophrenie. Sie sind in diesem Sinne einerseits Kardinalsymptome: die Krankheit ist durch sie definiert. Andererseits lässt sich durch die Untersuchung auf Erst- und Zweitrangsymptome eine Liste diagnostischer Kriterien für die Schizophrenie aufstellen. Bei einer bestimmten Kombination solcher Befunde darf die Diagnose der Erkrankung gestellt werden.

Erstrangsymptome Zweitrangsymptome
Gedanken-Lautwerden alle übrigen Sinnestäuschungen
dialogische Stimmen Wahneinfälle
kommentierende Stimmen Ratlosigkeit
leibliche Beeinflussungserlebnisse depressive und frohe Verstimmung
Gedankenentzug erlebte Gefühlsverarmung
Gedankenausbreitung  
Wahnwahrnehmungen  
Gefühl des „Gemachten“  

Das triadische System der Psychiatrie

Auf Kurt Schneider geht auch das so genannte „triadische System“ in der Psychiatrie zurück. Es meint in Anlehnung an die so genannte Schichtenregel von Karl Jaspers die Einteilung der seelischen Erkrankungen in drei Gruppen:

  • die körperlich begründbaren Erkrankungen, wie etwa die Demenzen
  • die endogenen Psychosen
  • die Variationen normalen seelischen Erlebens

Das triadische System ist aus vielen Gründen noch gebräuchlich. Es ist Einteilungskriterium für Lehrbücher, es findet sich abgewandelt in der Anordnung der Erkrankungen im ICD-Katalog und es findet sich leicht abgewandelt im juristischen Sprachgebrauch in Deutschland, im Zusammenhang mit Fragen der Schuldfähigkeit eines Straftäters.

K. Conrad: Die Stadien des Wahns

Conrad hat in seiner klassischen Studie über die beginnende Schizophrenie fünf Stadien des Wahns beschrieben. Der Wahn beginne mit dem sogenannten Trema gewissermaßen einer Vorbereitungsphase, in dem die betreffende Person von innerer Unruhe, Angst und dem Gefühl der „Destruierung des Situationsgefüges“ geprägt sei. In der zweiten Phase, der sog. Apophänie erlebt der Wahnkranke ein abnormes Bedeutungsbewusstsein. Er kann seine Urteile bezüglich des Wahns nun nicht mehr ändern und entwickelt die Überzeugung alles drehe sich um ihn (Anastrophe). In der dritten Phase des Wahns, der Apokalyptik erlebt der Wahnkranke Zustände von schwerster Angst, manchmal rauschhaft gehobener Stimmung, akuten Halluzinationen und entwickelt einen Zerfall von Sprache und Denken. Diese akute Phase kann in einen Zustand der Konsolidierung, der vierten Phase münden. In ihm wendet sich der Kranke von der expansiven Phase seines Wahns hin zur fünften Phase, dem Residualzustand der am einfachsten als ein Zustand der Apathie beschrieben werden kann. Dieses Konzept Conrads ist unter anderem von dem Aachener Psychiater Klosterkötter (einem Schüler Gerd Hubers) ausführlich geprüft worden. Dabei stellte sich erwartungsgemäß heraus, das die Vorstellung logisch aufeinander folgender Stadien des Wahns einer empirischen Überprüfung nicht standhält, viele Wahnkranke aber dennoch einen Teil dieser Symptome zeigen.

Das Konzept der Positiv- und Negativsymptomatik nach Jackson und Andreasen

Der Arzt J. H. Jackson (1835-1911) hat erstmals die Unterscheidung zwischen positiver und negativer Symptomatik bei Psychosen vorgenommen. Als Ursachen stellte man sich Hirnschädigungen vor, die einerseits zu Defiziten führen (Negativsymptome) und andererseits zur verminderten Hemmung (Positivsymptome). Zu den Positivsymptomen zählt man üblicherweise Wahn, Halluzinationen und desorganisiertes Verhalten. Zu den Negativsymptomen zählt man Beeinträchtigungen von Denken, Antrieb und Affekt: Verlangsamung, Energielosigkeit, Desinteresse, sozialer Rückzug.

Die "sechs A" nach Andreasen

In der modernen Schizophrenieforschung wird den Negativsymptomen große Aufmerksamkeit geschenkt. Nancy Andreasen führte als Faustregel die sechs „A“ ein:

  • Alogie: die Sprachverarmung führt beispielsweise zu verlängerten Antwortlatenzen, die Patienten sind wortkarg.
  • Affektverflachung: die Verarmung der Affekte äußert sich in einer verminderten Fähigkeit „emotional mitzumachen“.
  • Apathie: hiermit ist vor allem ein Mangel an Energie und Interesse, Antriebslosigkeit und Willensschwäche gemeint.
  • Anhedonie: damit bezeichnet man die Unfähigkeit Gefühle zu empfinden.
  • Aufmerksamkeitsstörungen: den Patienten fällt es schwer sich zu konzentrieren, einen Text zu lesen, einem Gespräch zu folgen usw.
  • Asozialität: damit beschreibt man die Störung der Kontaktfähigkeit der Patienten.

Negativsymptome sind nicht einfach zu erkennen. Sie erschließen sich nicht so sehr durch eine Befragung des Patienten, sondern eher durch Beobachtung, Rekonstruktion der sozialen Anamnese und durch eine ausführliche Fremdanamnese. Zur Beurteilung des Ausmaßes der Negativsymptome sind zahlreiche Skalen entwickelt worden.

Primäre und sekundäre Negativsymptome

In der psychiatrischen Forschung wird auch zwischen primären und sekundären Negativsymptomen unterschieden. Als primäre Negativsymptome, die als eng krankheitsgebunden aufgefasst werden, sieht man vor allem die Affektverflachung und die Sprachverarmung an. Zur Gruppe der sekundären Negativsymptome, die man als Folge der Erkrankung, Konsequenz von Copingstrategien, Nebenwirkungen von Medikamenten usw. ansieht, zählt man vor allem: Anhedonie, Asozialität und Apathie. Die große Bedeutung der Negativsymptome für die Patienten besteht darin, dass sie die Lebensqualität oftmals viel nachhaltiger mindern als die Positivsymptome.

Tim Crow: akute und chronische Schizophrenie

Zu Beginn der 80iger Jahre postulierte der englische Psychiater Tim J. Crow die Existenz zweier Typen von Schizophrenie, die er Typ-I und Typ-II Schizophrenie nannte. Dabei sollte der Typ I durch akutes Auftreten, späten Erkrankungsbeginn und Vorherrschen von Positivsymptomen gekennzeichnet sein. Der Typ-II sei dagegen gekennzeichnet durch das Vorherrschen von chronisch vorliegenden Negativsymptomen und kognitiven Einbußen bei frühem Erkrankungsbeginn. Diese Unterscheidung gilt heute als nicht mehr haltbar.

Gerd Huber: Das Basisstörungskonzept

Der Bonner Psychiater Gerd Huber ist einer der bedeutendsten Psychiater in Deutschland. Er hat in drei Bereichen Pionierarbeit geleistet:

  • Seine Studien zur Ventrikelasymetrie mittels Pneumenzephalographie in den späten 50iger Jahren begründen die moderne biologische Psychiatrie im Deutschland der Nachkriegszeit,
  • Seine Katamnesestudien revidieren die auf Kraepelin zurückgehende pessimistische Einschätzung über den Verlauf der Schizophrenie,
  • Mit seinen Studien zur Psychopathologie ist er einer der Väter der empirischen psychopathologischen Forschung in Deutschland.

Huber nimmt an, das eine Reihe von Negativsymptomen die „Basis“ schizophrener Erkrankungen darstelle. Diese Symptome sollten dem vermuteten somatischen Substrat der Schizophrenie nahe stehen (substratnahe Basissymptome). Die Erforschung dieser Basissymptome erfolgt heute vor allem in der Weise, dass Jugendliche und Kinder mit seelischen Störungen auf diese Symptome ausführlich untersucht werden. Dadurch sollen einerseits Psychosen möglichst früh erfasst und andererseits Behandlungskriterien erarbeitet werden.

Der dimensionale Ansatz nach Liddle

Im Rahmen von Studien zur Negativsymptomatik entwickelte PF Liddle das Konzept von drei Subtypen der Schizophrenie. Zur Klassifikation beschrieb Liddle auch Überlegungen zum neuroanatomischen und neurophysiologischen Charakterisierung der Störungen.

Syndrom: psychomotorischen Verarmung Realitätsverzerrung Desorganisation
Läsionsort: linker dorsaler präfrontaler Kortex medialer Temporallappen rechter ventraler präfrontaler Kortex
Sprachverarmung Wahn formale Denkstörungen
Affektverflachung Halluzinationen Ablenkbarkeit
Apathie   inadäquater Affekt

Liddles Klassifikation gilt heute im allgemeinen als überholt.

Die aktuelle Situation: der ICD 10

Für das Verständnis der Diagnoseprinzipien für die Schizophrenie (und natürlich auch aller anderen seelischen Erkrankungen) nach dem ICD-10-Katalog muss man sich die Kennzeichen aktueller Klassifikationssysteme in der Psychiatrie merken. Es sind dies:

  • das Konzept der operationalisierten Diagnostik,
  • das Phänomen der Komorbidität und
  • das Prinzip der multiaxialen Diagnostik.

Operationalisierte Diagnostik

Um eine operationalisierte Diagnostik für eine Erkrankung vornehmen zu können braucht man zwei Dinge: erstens diagnostische Kriterien, also Symptome, Zeichen, Befunde, Zeit- und Verlaufskriterien im Sinne von Einschluß- und Ausschlusskriterien; zweitens Entscheidungs- und Verknüpfungsregeln für diese Kriterien. Dies lässt sich anhand eines Beispiels verdeutlichen.

Es gibt etwa zehn Symptomkriterien der „depressiven Episode“, die in zwei Gruppen geteilt werden. Dann gibt es ein Zeitkriterium (Symptome müssen mindestens zwei Wochen vorliegen) und zwei Ausschlusskriterien (Symptome dürfen beispielsweise nicht auf Alkohol- oder Drogenkonsum zurückführbar sein und es darf früher keine Euphorie vorgelegen haben). Zum Abschluss hat man drei Diagnosealgorithmen für eine leichte, mittelschwere und schwere Form der depressiven Episode. Der Algorithmus lautet dann beispielsweise: Wenn ein Mensch über mindestens zwei Wochen antriebslos und Interesselos ist und zudem Schlafstörungen hat, die nicht auf Alkohol oder Drogen zurück zu führen sind und in der Vergangenheit nie eine Euphorie bestand, darf die Diagnose einer leichten depressiven Episode im Sinne von ICD 10 F 32.0 gestellt werden.

Die Symptomkriterien werden in Lehrbüchern der Psychopathologie oder in den Handbüchern und Manualen zu psychiatrischen Skalen genau beschrieben und sind oftmals vom alltäglichen Sprachgebrauch verschieden. Die benutzen Begriffe, wie „Episode“ oder „Störung“ unterliegen ebenfalls genauen Definitionen und dürfen nicht mit Alltagsbegriffen verwechselt werden. Die Operationalisierung erfolgt unterschiedlich streng, für Forschungszwecke werden etwa strengere Kriterien angelegt.

Komorbidität

Mit dem Begriff der Komorbidität meint man das gemeinsame Auftreten verschiedener Erkrankungen. Die Diagnoseregeln des ICD 10 fordern, das man kein Symptom unterschlägt, weil es nicht zu einer Diagnose passt, sondern so viele Diagnosen stellt, wie zur Abbildung aller gefundenen Symptome notwendig sind.

Dieses Vorgehen ist keineswegs selbstverständlich, was erst im Vergleich mit historischen Konzepten klar wird. Karl Jaspers hat mit seiner „Schichtenregeln“ ein System komplexer Vorannahmen in die Psychiatrie eingeführt, das in fast allen Diagnosesystemen bis etwa 1990 gültig war. Es besagt, dass psychische Erkrankungen in Schichten angeordnet sind:

  • Auf der untersten Schicht liegen die rein organisch bedingt Erkrankungen, also etwa die Demenzen.
  • In der mittleren Schicht findet man die endogen bedingten Erkrankungen wie etwa die Schizophrenie.
  • Die oberste Schicht bilden die Neurosen.

Jede tiefer liegende Erkrankung kann theoretisch das Bild der darüber liegenden annehmen, ein Patient mit einer Demenz kann zum Beispiel einen zusätzlichen Wahn haben. Die Schichtenregel fordert nun, man müsse immer nach der „grundlegenden Erkrankung“ auf der „tieferen Schicht“ suchen und diese Diagnose stellen. Als Gründe für die Regel gelten:

  • die wichtigste Diagnose zu identifizieren,
  • die sparsamste Erklärung zu finden,
  • so genannte „reine Fälle“ zu finden.

In den modernen Diagnosesystemen geht man von solchen, zwar nahe liegenden aber dennoch empirisch nicht belegbaren Vorannahmen ab. Die Gründe dafür sind vielfältig:

  • Patienten mit mehreren Erkrankungen sind schwerer erkrankt und ihre Prognose ist ungünstiger.
  • Die Komorbidität kann Hinweise auf die Ätiologie einer Erkrankung geben.
  • Wenn man die Schichtenregel verlässt, ändern sich die Prävalenzraten: Bestimmte Diagnosen treten dann häufiger auf.

Die Einführung des Konzeptes der Komorbidität hat ergeben, das bestimmte Erkrankungen (beispielsweise Sucht oder Persönlichkeitsstörungen) häufig kombiniert auftreten. Dieses Phänomen wird unterschiedlich erklärt, etwa so, dass komorbide Erkrankungen Folge einer bestimmten anderen Erkrankung seien (Beispiel: Sucht als Folge der Angst), dass die Komorbidität auf gemeinsame Ursachen verschiedener Erkrankungen hinweist (Beispiel: Angst und Depression) oder dass die Komorbidität ein Artefakt aufgrund unscharfer diagnostischer Kriterien oder fehlerhafter Diagnosealgorithmen sei (Beispiel: abhängige Persönlichkeit und soziale Phobie).

Multiaxiale Diagnostik

Der Grundgedanke der multiaxialen Diagnostik in der Psychiatrie ist die Überlegung, alle Lebensumstände, die zum Krankheitsverlauf beitragen, formalisiert darzustellen. Der Tatsache, dass solche Lebensumstände eine große Bedeutung haben, hat schon Kraepelin mit seinem Begriff der „pathoplastischen“ Bedingungen Rechnung getragen. In den modernen multiaxialen Ansätzen ist dies systematisch ausgeführt.

Historisch gesehen gibt es drei Vorläufer der multiaxialen Diagnostik:

  • Kretschmers Überlegungen zur mehrdimensionalen Diagnostik,
  • das Zwei-Achsen-System (Symptom und Ätiologie) von Essen-Müller und Wohlfahrt von 1949,
  • das Mehrachsensystem von Rutter aus dem Jahr 1969.

Es gibt viele Ansätze zur multiaxialen Diagnostik und keine Übereinstimmung, welche Achsen notwendig sind. Aus diesem Grund soll hier lediglich der multiaxiale Ansatz nach ICD 10 dargestellt werden. Im ICD 10 gibt es für seelische Erkrankungen drei Achsen. Achse I beschreibt die klinischen Diagnosen, Achse II die so genannten psychosozialen Funktionseinschränkungen und Achse III Probleme der Lebensführung und Lebensbewältigung.

Ein fiktives Beispiel sähe ungefähr so aus:

  • Achse I: soziale Phobie
  • Achse II: schwere Funktionseinschränkung im Bereich Berufsausübung
  • Achse III: Verlust eines nahen Angehörigen in der Kindheit

Die Ergebnisse der Achsenbeurteilung können nun einerseits als ICD-Diagnosen dargestellt werden und andererseits als numerische Werte anhand von Scalen angegeben werden.

  • Achse I: ICD 10 F 40.1
  • Achse II: Global Assessment of Functioning Scale von 50, analoge Werte für den WHO-Disability Diagnostic Scale.
  • Achse III: ICD 10 Z 61.0

Auf diese Weise gelingt es, systematisch wichtige Umstände zu erfassen, die den Schweregrades einer Erkrankung aufzeigen. Darüber hinaus ist es durch die Formalisierung möglich, die erfassten Daten rechnergestützt auszuwerten und für Studien zu vergleichen. Für die psychiatrische Forschung sind multiaxiale Ansätze heute unverzichtbar.

Das Hauptproblem der multiaxialen Diagnostik ist die Vielfalt der Systeme und der mangelnde Konsens über die Verwendung der verschiedenen Typen. Dies schränkt den Wert der Verfahren, nämlich die Vergleichbarkeit für wissenschaftliche Studien, ein. Zudem zeigen manche Achsen inhaltliche Überschneidungen, sind also nicht unabhängig von einander.

Zusammenfassung

Quellen

Lehrbücher

  • Mathias Berger: Psychische Erkrankungen. Klinik und Therapie. München 2004. ISBN 3-437-22480-8
  • Gerd Huber: Psychiatrie. Lehrbuch für Studium und Weiterbildung. Stuttgart 1999. ISBN 3-7945-1857-8
  • Max Schmauß: Schizophrenie. Pathogenese, Diagnose und Therapie. Bremen 2002. ISBN 3-89599-659-9

Monographien

  • Joachim Klosterkötter (Hrsg.): Frühdiagnostik und Frühbehandlung psychischer Störungen. Berlin 1998. ISBN 3-540-64440-7

Zeitschriftenartikel

  • Martin Hambrecht et. al.: Früherkennung und Frühintervention schizophrener Störungen. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 99, Heft 44, 01.Nov.2002, Seite B 2491.
  • Robert Freedman: Schizophrenia. NEJM 2003;349: 1738-49.