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Hannah Arendt

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Hannah Arendt (* 14. Oktober 1906 in Linden, heute Stadtteil von Hannover; † 4. Dezember 1975 in New York) war eine deutsch-jüdische Publizistin und Gelehrte, die seit 1933 in der Emigration lebte und 1951 die Staatsbürgerschaft der USA annahm. Sie war unter anderem als Journalistin und Hochschullehrerin tätig und veröffentlichte wichtige Beiträge zur politischen Philosophie. Gleichwohl lehnte sie es stets ab, als „Philosophin” bezeichnet zu werden, auch der Begriff „politische Philosophie” gefiel ihr nicht, sie bevorzugte „politische Theorie”.

Im Rückblick darf sie dennoch – nicht zuletzt auf Grund ihrer reichen theoretischen Bezüge zu Philosophen wie Sokrates, Platon, Aristoteles, Augustinus, Johannes Duns Scotus, Kant, Kierkegaard, Jaspers und Heidegger sowie den maßgeblichen Vertretern der politischen Philosophie wie Macchiavelli, Hobbes, Locke und Montesquieu – aber auch wegen ihres eigenständigen Denkens als Philosophin gelten, die aufgrund der von ihr entwickelten Theorie zum Totalitarismus, ihrer existenzphilosophischen Arbeiten und der Forderung nach einer sich politisch entfaltenden Freiheit in einer pluralistischen Gesellschaft in der Diskussion der Gegenwart eine bedeutende Rolle einnimmt.

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Hannah Arendt

Leben, Werk und Wirkung

Kindheit und Jugend

Hannah Arendt war Tochter säkularer jüdischer Eltern. Sie war tiefer als mit ihrer Geburtsstadt Linden in Königsberg verwurzelt: Nicht nur, dass ihre unmittelbaren Vorfahren zu Königsberger Familien gehörten – auch kehrten der schwer erkrankte Vater und die Mutter (geb. Cohn) in die ostpreußische Metropole zurück, als Johanna kaum drei Jahre alt war. Nach dem frühen Tod ihres Vaters (1913) wurde sie von ihrer sozialdemokratisch orientierten Mutter liberal erzogen. Religion stand für sie ganz im Hintergrund, auch wenn Arendt durch die Großeltern noch jüdische Traditionen kennenlernte. Bereits mit 16 Jahren las sie Kants Kritik der reinen Vernunft und Jaspers Psychologie der Weltanschauungen. Sie musste die Schule wegen Differenzen mit einem Lehrer nach einem Schulverweis verlassen, ging anschließend nach Berlin, wo sie ohne formalen Schulabschluss unter anderem die Guardini-Vorlesung zur christlichen Theologie besuchte, wo sie auf Kierkegard aufmerksam wurde. Zurück in Königberg, bestand sie nach intensiver Vorbereitung durch Verwandte und Bekannte als externer Prüfling vorzeitig das Abitur.

Studienzeit

Angeregt durch ihren Schulfreund Ernst Grummach nahm sie 1924 in Marburg ihr Studium auf und hörte für ein Jahr Philosophie bei Martin Heidegger und Nicolai Hartmann, Theologie bei dem evangelischen Theologen Rudolf Bultmann, außerdem Griechisch.

Der zwei­fache Familienvater Heidegger und die 17 Jahre jüngere Studentin verliebten sich ineinander; sie wechselte auf sein Zuraten im darauffolgenden Jahr den Studienort und ging für ein Semester zu Edmund Husserl nach Frei­burg im Breisgau. In Hei­delberg schließlich studierte sie ab 1926 Philosophie und promovierte 1928 über den „Liebesbegriff bei Augustin” – ebenfalls auf Heideggers Anregung hin. Ihr Doktorvater indessen war Karl Jaspers, dem sie besonders freundschaftlich verbunden blieb.

Während Arendt in Marburg wegen ihrer Beziehung zu Heidegger sehr zurückgehalten lebte und im Grund nur zu ihrem Kommilitonen Hans Jonas, mit dem sie sich angefreundet hatte und viel über Heideggers Philosophie diskutierte, sowie ihren Königsberger Freunden Kontakte hatte, weitete sich ihr Freundeskreis in Heidelberg aus. Dazu gehörten der Psychologe Karl Frankenstein, der Jungianer Erich Neumann und Erwin Loewenson, ein expressionistischer Essayist, zu dem sie auch eine kurze Beziehung hatte. Ein anderer Kreis und das Thema der Romantik erschloss sich ihr durch die Bekanntschaft und Freundschaft mit Benno von Wiese und die von Jaspers empfohlenen Vorlesungen von Friedrich Gandolf. Für ihre Dissertation wichtig war der ebenfalls zu Jaspers Freundeskreis zählende Neutestamentler Martin Dibelius. Große Bedeutung für Arendt aus der Heidelberger Zeit hatte auch Kurt Blumenfeld, der Geschäftsführer und Hauptsprecher der deutschen Zionistenorganisation, dessen Thema die Erforschung der Judenfrage und der Assimilation war. Auch Hans Jonas fand sich in Heidelberg ein, während er an seinem erstem Buch mit dem Titel Augustinus und das paulinische Problem der Freiheit arbeitete, also einem zur Dissertation von Arendt eng verwandtem Gebiet. Zu Jonas und Blumenfeld verband Arendt eine ähnlich intensive und ununterbrochene, langjährige Freundschaft wie zu Jaspers.

Heirat und Beginn der Naziherrschaft

1929 begab sich Arendt nach Berlin, um an der Veröffentlichung ihrer Dissertation zu arbeiten. Dort traf sie Günther Stern, der sich später Günther Anders nannte, und mit dem sie nach wenigen Wochen zusammenzog. Nach neun Monaten heirateten beide in Nowawes bei Berlin. Stern, bei Husserl promoviert, versuchte Zugang zu einer akademischen Laufbahn in der Philosophie zu finden und es gelang ihm, in Frankfurt bei Adorno, Horkheimer und Tillich Interesse für eine Habilitation zur Philosophie der Musik zu begründen. Nach einem kurzen Aufenthalt in Heidelberg zogen beide für ein Jahr nach Frankfurt. Während Stern an seinem Thema arbeitete, schrieb Arendt für die Frankfurter Zeitung und besuchte Seminare bei Tillich und Karl Mannheim, über dessen Buch Ideologie und Utopie sie eine Rezension verfasste. Hier wandte sie sich vor allem gegen Mannheims These, dass das Denken allein im Dienste des Handelns steht. Zugleich begann sie sich mit dem Thema der Berliner Romantik und Rahel Varnhagens zu befassen.

Nachdem sich abzeichnete, dass Sterns Arbeit vor dem Hintergrund der marxistisch geprägten musiksoziologischen Auffassung Adornos keine Anerkennung fand, zogen die Sterns wieder nach Berlin. Dort nahm Arendt unterstützt von ihrem Mann die konkrete Arbeit über die deutsche Romantik und insbesondere das Leben Rahel Varnhagens auf. Nach positiven Gutachten von Heidegger, Jaspers und Dibelius wurde die Arbeit unterstützt durch ein Stipendium der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. In der Auseinandersetzung mit der Frage der Assimilation der Juden und der dennoch bestehenden Ausgrenzung entwickelte sie eine Beziehung zur Judenfrage, der sie anhand des von Max Weber übernommenen Begriffs des Paria weiter nachging. Sie stellte diesem angeregt durch die Schriften von Bernard Lazare den entgegengesetzten Terminus des Parvenu gegenüber.

In Berlin begann sie sich stärker für Politik zu interessieren, las Marx und Trotzki und hatte neue Kontakte an der Hochschule für Politik. Vor dem Hintergrund ihrer Arbeit über Varnhagen schrieb sie eine Rezension über Die Entstehung des deutschen Bildungsprinzips von Hans Weil, veröffentlichte den Artikel zu Aufklärung und Judenfrage und eine weitere Rezension über Das Frauenproblem in der Gegenwart von Alice Rühle-Gerstel, in der sie insbesondere die Doppelbelastung der berufstätigen Frau thematisierte. Schon 1932 sah sie die Notwendigkeit der Emigration kommen, folgte aber ihrem Mann nach Beginn der Nazi-Herrschaft nicht, als dieser noch kurz vor dem Reichstagsbrand nach Paris ging. Vielmehr wurde sie nach dem Reichstagsbrand und den einsetzenden Verfolgungen selbst politisch aktiv. Vermittelt durch den Zionisten Kurt Blumenfeld war sie für eine zionistische Organisation tätig, um die beginnende Judenverfolgung zu recherchieren. Ihre Wohnung diente Flüchtlingen als Zwischenstation. Sie kam im Juli 1933 kurz in Gestapo-Haft. 1964 sagte sie im Interview mit Günter Gaus dazu: „Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude verteidigen.”

Diese Ansicht hatte Arendt bereits 1933 vertreten. Sie stand damit im Gegensatz zu vielen Deutschen mit jüdischem Hintergrund, die sich mit dem Nationalsozialismus arrangieren wollten, die neuen Herrscher manchmal sogar lobten oder die Diktatur zunächst unterschätzten. Als sie las, dass der deutsch-jüdische Germanist Eugen Rosenstock-Huessy Hitler mit Hölderlin verglich, war Arendt davon abgestoßen und wollte mit dieser Art von affirmativen, opportunistischen oder sogar begeisterten Intellektuellen nichts gemein haben. Hieraus resultierte auch der Streit mit Leo Strauss, dessen konservative Auffassungen sie strikt ablehnte, und der bis zur gemeinsamen Zeit als Professoren in Chicago reichte. Ebenso war sie von Heidegger enttäuscht, der bereits 1933 der NSDAP beitrat. Daraufhin hatte sie bis 1950 keinen Kontakt mit Heidegger.

Flucht ins Exil und zweite Ehe

Über das tschechische Karlsbad, Genua und Genf emigrierte sie 1933 zunächst nach Frank­reich: in Paris war sie in einer jüdischen Flüchtlingsorganisation aktiv. Hannah Arendt und ihr Mann hatten schon in Berlin unterschiedliche Interessen und Freundeskreise. Er mehr im kommunistischen Umfeld, befreundet mit Bert Brecht, sie immer mehr im Kontakt zu zionistischen und jüdischen Persönlichkeiten. Arendt zog zwar zu Günter Stern, sie unternahmen auch einiges zusammen, wie den Besuch der Seminare von Alexandre Kojève oder Treffen mit anderen Intellektuellen im Exil, doch die Ehe funktionierte nicht mehr. Günter Stern ging 1936 nach New York und die Ehe wurde 1937 geschieden. Ebenfalls 1937 wurde Arendt die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. 1939 glückte es ihr gerade noch, ihre 65-jährige Mutter aus Königsberg in Sicherheit zu bringen. Im Januar 1940 heiratete sie den ehemaligen Kommunisten Heinrich Blücher, der sich zum Kritiker des orthodoxen Marxismus gewandelt hatte. Vom Mai bis Juli 1940 wurde sie im südfranzösischen Lager Gurs interniert. Sie galt als „feindliche Ausländerin”. Nach fünf Wochen gelang ihr mit anderen die Flucht, als die französische Lagerverwaltung die Aufsicht vorübergehend lockerte, nachdem die Wehrmacht Paris besetzt hatte und nach Süden vorrückte. Im französischen Exil verband sie eine enge Freundschaft mit Walter Benjamin.

Immigration in die USA

Im Mai 1941 erreichten Arendt, ihr zweiter Ehemann und ihre Mutter über Lissabon New York. Arendt schrieb seit Oktober 1941 Beiträge für das deutsch-jüdische Magazin Aufbau in New York. Sie wollte das politische Bewusstsein der jüdischen Öffentlichkeit in aller Welt wecken und forderte eine selbständige jüdische Armee als Mitwirkende der Alliierten. Mit diesem Verlangen, das sie bereits vor Beginn der Massenvernichtung in den KZs formulierte, konnten sie und ihre Mitstreiter sich nicht durchsetzen.

1944-1946 war sie als Forschungsleiterin der Conference on Jewish Relations tätig. Anschließend arbeitete sie bis 1949 als Lektorin für den Salman Schocken Verlag. Von 1948 bis 1952 leitete sie die Organisation zur Rettung jüdischen Kulturguts, in deren Auftrag sie 1949 und 1950 die Bundesrepublik Deutschland besuchte.

Stellungnahme zu Palästina und Israel

Hannah Arendt schrieb Ende 1948 den Artikel Frieden oder Waffenstillstand im Nahen Osten? (veröffentlicht im Januar 1950). Darin setzt sie sich mit der Geschichte Palästinas und der Gründung des Staates Israel auseinander. Frieden kann demnach nur durch eine Verständigung und faire Vereinbarungen zwischen Arabern und Juden erreicht werden. Sie beschreibt die Einwanderungsgeschichte seit 1907 und betont, dass sich bisher beide Gruppen feindselig gegenüberstanden und sich - auch wegen der Besetzung durch die Türken und später Briten - niemals als gleichberechtigte Partner oder auch nur als Menschen angesehen haben. Während sie die „Heimatlosigkeit“ als größtes Problem der Juden beschreibt, kritisiert sie die meisten zionistischen Führer, die die Probleme der arabischen Bevölkerung übersehen hätten.

Ihre Vision ist ein binationales Palästina auf der Grundlage nicht-nationalistischer Politik, eine Föderation, die möglicherweise sogar andere Staaten des Nahen Ostens umfassen könnte. Die Einwanderung und die Vertreibung eines Teils der arabischstämmigen Bevölkerung stellt eine moralische Hypothek dar, während die auf Gleichheit und Gerechtigkeit beruhenden Kollektivsiedlungen (Kibbuzim) und die Hebräische Universität sowie die Industrialisierung auf der Habenseite stehen. Israel konnte sich von den Gesetzen des Kapitalismus befreien, da es durch Spendengelder aus den USA finanziert wird und daher nicht dem Gesetz der Profitmaximierung unterliegt. Ihre Sorge nach dem gewonnenen Krieg, der Unglück über Juden und Araber gebracht habe und alle jüdisch-arabischen Wirtschaftssektoren zerstört habe, besteht darin, dass Israel eine aggressive expansionistische Politik betreiben könnte. Doch hofft sie auf den universalistischen Geist im Judentum und auf verständigungsbereite Kräfte in den arabischen Staaten. (Israel, Palästina und der Antisemitismus, 1991, S. 39ff)

Als im Dezember 1948 der ehemalige Führer der anti-britischen Terror-Organisation Irgun Zwi Leumi Menachem Begin New York besuchte, um Spenden für seine neugegründete Herut-Partei zu sammeln, verfassten 26 Intellektuelle, darunter viele mit jüdischem Hintergrund, einen scharf formulierten Leserbrief. Zu den Unterzeichnern gehörten neben Hannah Arendt u.a. Isidore Abramowitz, Albert Einstein , Sidney Hook und Stefan Wolpe. Sie warnten eindringlich vor Begins Partei Tnu'at Haherut (die 1973/1988 in der Likud-Partei aufgegangen ist), und bezeichneten sie als rechtsradikal und rassistisch (veröffentlicht in der New York Times am 4. Dezember 1948 [1]).

Formen totalitärer Herrschaft

Ähnlich wie Ernst Cassirer mit Vom Mythos des Staates und Karl R. Popper mit Die offene Gesellschaft und ihre Feinde versuchte Arendt die Geschehnisse des Nationalsozialismus rational in einem Buch zu verarbeiten. Sie begann die Arbeiten in 1945 unter dem Arbeitstitel Elemente der Schande: Antisemitismus – Imperialismus – Rassismus. Weitere in Erwägung gezogene Titel waren Die drei Säulen der Hölle oder Eine Geschichte der totalen Herrschaft. Das Buch war weder als Geschichtsschreibung noch als kausale Begründung aus der Geschichte konzipiert, sondern eine Analyse der Ursprünge totalitärer Herrschaft in der Geschichte. Ihr Ziel war es, die Hauptelemente des Nationalsozialismus aufzuspüren, sie zurückzuverfolgen und die zugrunde liegenden wirklichen politischen Probleme zu erforschen (nach Young-Brühl, 287).

Das Buch erhielt nach mehren Zwischenentwürfen die drei Teile Antisemitismus, Imperialismus und Totale Herrschaft. Während Arendt für die beiden ersten Teile in hohem Maße auf vorhandenes Material zurückgreifen konnte, musste sie sich den Hintergrund für den dritten Teil neu erarbeiten. Den muss ich ganz neu schreiben, weil mir dazu wesentliche Dinge, vor allem auch der Zusammenhang mit Rußland , erst jetzt aufgegangen sind. (4.9.47 Arendt an Jaspers, 134). Dieser Teil entstand vor allem in den Jahren 1948 und 1949. Bis zur Veröffentlichung unter dem Titel The Origins of Totalitarism dauerte es dann bis 1951.

Die herausragende und vieldiskutierte These des Buches ist, dass sowohl Nationalsozialismus als auch Stalinismus Formen der totalitären Herrschaft sind. Ihr Nährboden ist die aus dem Kapitalismus entstandene Massengesellschaft, in der der Einzelne die Orientierung an Werten, den festen Platz in der Gesellschaft verloren hat. Als Ersatzreligion ist die totalitäre Herrschaft eine ideologische Bewegung mit dem Anspruch der absoluten Geltung.

Arendt unterschied zwischen totalitärer Herrschaft und gewöhnlichen Diktaturen. Die totale Herrschaft beziehe sich auf alle Bereiche des menschlichen Lebens und nicht nur auf die politischen. Im Nationalsozialismus habe eine völlige Verkehrung der Rechtsordnung geherrscht. Verbrechen, Massenmorde seien nicht die Ausnahme, sondern die Regel gewesen. Der Kampf um totale Herrschaft im Weltmaßstab und die Zerstörung aller anderen Staats- und Herrschaftsformen ist jedem totalitären Regime eigen... (Elemente... 1962, S.579) Dieses Werk, das heute zum Standard politischer Bildung gehört, brachte ihr einerseits viel Zustimmung ein. Vor allem in der populären Rezeption des Werkes in der Zeit des Kalten Krieges die totalitären Herrschaftsformen des Stalinismus und des Nationalsozialismus nicht nur ursächlich, sondern auch äußerlich verglichen werden, geriet es auch immer wieder in die Kritik von Teilen der politischen Linken, während andere Teile der Linken nicht nur die grundlegende Beschäftigung mit der Genese des Nationalsozialismus schätzten, sondern auch den frühen Versuch, die Verbrechen des Stalinismus zu kritisieren. Insbesondere in den USA und in Frankreich gab es Debatten, die die Entwicklung der undogmatischen Neuen Linken beförderte.

1951 erhielt Arendt die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. 1953 trat sie eine Professur am Brooklyn College (New York) an. In New York wirkte sie 1955 neben Martin Buber u.a. mit bei der Gründung des Leo Baeck Institute, einer wichtigen Dokumentations- und Forschungsstätte für die Geschichte der deutschsprachigen Juden. Die Bestände sind in elektronischer Form im Jüdischen Museum Berlin einsehbar.

Eichmann-Prozess

1961 nahm sie von April bis Juni als Reporterin der Zeitschrift The New Yorker an dem Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem teil. Daraus ging eines ihrer bekanntesten und damals sehr umstrittenen Bücher Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen hervor, welches 1963 veröffentlicht wurde. Adolf Eichmann wurde 1960 in Argentinien vom israelischen Geheimdienst gefasst und nach Jerusalem entführt. Ihre vieldiskutierte Wendung im Hinblick auf Eichmann – die „Banalität des Bösen” – wurde zu einem geflügelten Wort.

„In diesen letzten Minuten war es, als zöge Eichmann selbst das Fazit der langen Lektion in Sachen menschlicher Verruchtheit, der wir beigewohnt hatten – das Fazit von der furchtbaren »Banalität des Bösen«, vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert.” (Eichmann in Jerusalem, 2004, S. 371)

Um das Werk wurden heftige Kontroversen geführt. Insbesondere der Ausdruck Banalität in Bezug auf einen Massenmörder wurde von verschiedenen Seiten, darunter auch von Hans Jonas, angegriffen. In ihrer Einleitung zur deutschen Ausgabe 1964 erläutert Arendt den Terminus. „...in dem Bericht kommt die mögliche Banalität des Bösen nur auf der Ebene des Tatsächlichen zur Sprache, als ein Phänomen, das zu übersehen unmöglich war. Eichmann war nicht ... Macbeth ... Außer einer ganz ungewöhnlichen Beflissenheit, alles zu tun, was seinem Fortkommen dienlich sein konnte, hatte er überhaupt keine Motive.” (Ausg. 1976, S. 15f.) Niemals hätte er seinen Vorgesetzten umgebracht, er sei nicht dumm gewesen, sondern „schier gedankenlos”. Dies habe ihn prädestiniert, zu einem der größten Verbrecher seiner Zeit zu werden. Dies sei „banal”, vielleicht sogar „komisch“. Man könne ihm beim besten Willen keine teuflisch-dämonische Tiefe abgewinnen. Trotzdem sei er nicht alltäglich. „Daß eine solche Realitätsferne und Gedankenlosigkeit in einem mehr Unheil anrichten können als alle die dem Menschen innewohnenden bösen Triebe zusammengenommen, das war in der Tat die Lektion, die man in Jerusalem lernen konnte. Aber es war eine Lektion und weder eine Erklärung des Phänomens noch eine Theorie darüber.”

In einem Brief an Mary McCarthy (20.9.1969) weist Arendt darauf hin, das „die Wendung »Banalität des Bösen« als solche steht im Gegensatz zu der vom »radikal Bösen«, die ich [Arendt] im Totalitarismus-Buch benutze.“ (S. 234)

Hinzu kam die Art des Verbrechens, die nicht einfach kategorisierbar wäre. Was in Auschwitz geschah, sei beispiellos gewesen, der vom englischen Imperialismus herkommende Ausdruck „Verwaltungsmassenmord” sei der Sache angemessener als der Begriff „Genozid”.

Darüber hinaus wurde Arendt vorgeworfen, die Rolle der Judenräte zu kritisch betrachtet zu haben. Eichmann habe „Kooperation” von den Juden verlangt und sie in „wahrhaft erstaunlichem Maße” erhalten. Auf dem Weg in den Tod hätten die Juden nur wenige Deutsche gesehen. Die Mitglieder der Judenräte hätten von den Nazis eine „enorme Macht über Leben und Tod” bekommen, „so lange, bis sie selbst auch deportiert wurden.” So seien beispielsweise die Transportlisten für Theresienstadt vom Judenrat zusammengestellt worden. „Diese Rolle der jüdischen Führer bei der Zerstörung ihres eigenen Volkes ist für Juden zweifellos das dunkelste Kapitel in der ganzen dunklen Geschichte.” (S.153). Der ehemalige Oberrabiner von Berlin, Leo Baeck, einer der wichtigsten Vertreter der Juden in Deutschland, hatte geäußert, es sei besser für die Juden, über ihr „Schicksal” nicht Bescheid gewusst zu haben, da diese Erwartung des Todes nur noch belastender gewesen wäre. (S. 155)

Diese kurze Passage wurde von vielen jüdischen Organisationen besonders heftig kritisiert. In einem Brief an Mary McCarthy vom 16.09.1963 schreibt Arendt, sie habe gehört, dass die Anti-Defamation League einen Rundbrief an alle New Yorker Rabbiner geschickt habe, am Neujahrstag (Rosh ha Shana, 04.Oktober) gegen sie zu predigen. Bei der erfolgreichen politischen Kampagne gehe es darum, ein „Image“ zu schaffen, dass das wirkliche Buch zudecken werde. Sie fühlte sich machtlos gegenüber der großen Zahl der Kritiker mit Geld, Personal und Vebindungen.(Brief an McCarthy 20.09.1963)

Hannah Arendt sah es als eine „Wohltat” an, vor Gericht den „ehemaligen jüdischen Widerstandskämpfern” zu begegnen. „Ihr Auftreten verjagte das Gespenst einer allseitigen Gefügigkeit ...” (S. 159) In den „Todeslagern” wurden „die direkten Handreichungen zur Vernichtung der Opfer im allgemeinen von jüdischen Kommandos verrichtet” ... „Das alles war zwar grauenhaft, aber ein moralisches Problem war es nicht. Die Selektion .. der Arbeiter in den Lagern wurde von der SS getroffen, die eine ausgeprägte Vorliebe für kriminelle Elemente hatte.” Das moralische Problem sei das „Gran” (kleines Gewicht) Zusammenarbeit bei der Endlösung gewesen. (S. 159f)

Gershom Scholem äußerte sich einige Monate nach Erscheinen des Buches, er vermisste ein abgewogenes Urteil. „In den Lagern wurden Menschen entwürdigt und, wie Sie selber sagen, dazu gebracht, an ihrem eigenen Untergang mitzuarbeiten, bei der Hinrichtung ihrer Mitgefangenen zu assistieren und dergleichen. Und deswegen soll die Grenze zwischen Opfern und Verfolgern verwischt sein? Welche Perversität! Und wir sollen da kommen und sagen, die Juden selber hätten ihren ,Anteil’ an dem Judenmord.” (Der Zeitgeist. Halbmonats-Beilage des Aufbau, No. 208, New York, December 20, 1963, S.17f).

In ihrem Vortrag: Persönliche Verantwortung in der Diktatur, den sie 1964 und 1965 in der BRD gehalten hat, betonte Arendt erneut, dass die Veröffentlichung lediglich ein „Tatsachenbericht“ war. Ihre Kritiker und Apologeten hätten dagegen Probleme der „Moralphilosophie“ diskutiert. Mit Entsetzen habe sie u.a. vernommen: „Jetzt wissen wir, dass in jedem von uns ein Eichmann steckt.“ Der Mensch sei jedoch ein frei handelndes, für seine Taten verantwortliches Wesen. Schuld haben demnach bestimmte Personen auf sich geladen. Die Idee einer Kollektivschuld lehnte sie entschieden ab. „Wo alle schuldig sind, da ist es niemand... Ich habe es immer für den Inbegriff moralischer Verwirrung gehalten, daß sich im Deutschland der Nachkriegszeit diejenigen, die völlig frei von Schuld waren, gegenseitig und aller Welt versicherten, wie schuldig sie sich fühlten, wohingegen nur wenige der Verbrecher bereit waren, auch nur die geringste Spur von Reue zu zeigen.“

Sie stellte heraus, der Prozess gegen Eichmann sei korrekt abgelaufen. Seine Einlassung, er sei nur ein Rädchen im großen bürokratischen Apparat gewesen, ist für das juristische Urteilen irrelevant, und er wurde mit Recht hingerichtet. Im Nationalsozialismus waren alle Schichten der offiziellen Gesellschaft an den Verbrechen beteiligt. Als Beispiel gibt sie an, dass dem Massenmord eine Reihe antijüdischer Maßnahmen vorangingen, die im Einzelfall gebilligt wurden, „bis eine Stufe erreicht war, daß Schlimmeres überhaupt nicht mehr passieren konnte.“ Die Taten wurden nicht von „Gangstern, Monstern oder rasenden Sadisten begangen, sondern von den angesehensten Mitgliedern der ehrenwerten Gesellschaft“. Folglich sollten diejenigen, die mitmachten und Befehlen gehorchten, nie gefragt werden: „Warum hast du gehorcht?“ sondern: „Warum hast du Unterstützung geleistet?“

Hannah Arendt wies selbst darauf hin, dass sie diese Anforderungen eventuell nicht erfüllt hätte: "Wer hat je behauptet, daß ich, indem ich ein Unrecht beurteile, unterstelle, selbst unfähig zu sein, es zu begehen.?"(Israel, Palästina und der Antisemitismus)

Weitsichtig sah Arendt den kommenden arabischen Antisemitismus als Fortsetzung nationalsozialistischer Ideen und Taten. „Die Zeitungen in Damaskus und Beirut, in Kairo und Jordanien verhehlten weder ihre Sympathie für Eichmann noch ihr Bedauern, daß er »sein Geschäft nicht zu Ende geführt« habe; eine Rundfunksendung aus Kairo am Tag des Prozessbeginns enthielt sogar einen kleinen Seitenhieb auf die Deutschen, denen jetzt noch vorgeworfen wurde, dass »im letzten Krieg nicht ein deutsches Flugzeug je eine jüdische Siedlung überflogen und bombardiert«, hätte.“ (Eichmann, 1986, S. 81)

Als im Sommer 2000 endlich in Tel Aviv eine hebräische Ausgabe von Eichmann in Jerusalem als erstes Werk Arendts veröffentlicht wurde, flammte die Diskussion noch einmal auf. Es ging einmal um die Prozessführung, die von Hannah Arendt kritisiert worden war. Ihr wurde in diesem Zusammenhang grundsätzlicher Antizionismus vorgeworfen.[2]

Gegenüber McCarthy hatte sich Arendt am 17.10.1969 über Israel geäußert. Israel sei ein eindrucksvolles Beispiel für die Gleichheit der Menschen. Für noch wichtiger hielt sie die „Überlebens-Leidenschaft“ des jüdischen Volkes seit der Antike. Sie äußert die Angst, dass sich der Holocaust wiederholen könnte. Als Rückzugsort und wegen des unausrottbaren Antisemitismus ist Israel notwendig. Arendt betont, dass jede wirkliche Katastrophe in Israel sie mehr berühren würde als fast alles andere.

Darüber hinaus wurde, wie schon seit Erscheinen des Buches, ihre Auffassung über die Rolle der Judenräte und der Begriff der „Banalität des Bösen“ abgelehnt. Die Memoiren Eichmanns (Wojak, 2004), die seinen starken genuinen Antisemitismus zeigen, standen Hannah Arendt bei der Verfassung der Zeitungsberichte und des Buches noch nicht zur Verfügung. Heute wird in einem großen Teil der Rezeption darauf hingwiesen, dass Arendt Eichmanns Antisemitismus als Motiv unterschätzt hat.

Berufung an die Universität Chicago und Auszeichnungen

Von 1963 bis 1967 war Hannah Arendt Professorin an der University of Chicago und von 1967 bis 1975 an der Graduate Faculty der New School for Social Research in New York.

Im Jahr 1970 starb ihr Mann Heinrich Blücher.

In den USA wurde Hannah Arendt mit zahlreichen Ehrendoktoraten ausgezeichnet. Im westlichen Nachkriegs-Deutschland wurden ihr bedeutende Auszeichnungen zuteil: so 1959 der Lessing-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg und 1967 der Sigmund-Freud-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. 1975 erhielt sie den Sonnig-Preis für Beiträge zur europäischen Kultur der dänischen Regierung.

Veröffentlichungen und Auftritte in der Öffentlichkeit

Arendts Bücher und Aufsätze sind teilweise in unterschiedlichen Fassungen in englischer und in deutscher Sprache erschienen. Dies trifft beispielsweise auf Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (1955) und auf Macht und Gewalt (1970) zu. Arendt hat einige ihrer Texte selbst übersetzt und dabei verbessert, andere sind von professionellen Übersetzern übertragen und danach von Arendt korrigiert worden. Einige ihrer Werke hat ihre Freundin Mary McCarthy gegengelesen. Teilweise gab es vor dem Erscheinen der Bücher vorbereitende Artikel in Zeitschriften, vor allem in den USA, der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich. Auch in ihren Vorlesungen hat sie die Themen ihrer Werke aufgegriffen und Passagen vor der Veröffentlichung mit ihren Studenten besprochen, ebenso im Briefwechsel mit ihrem Partner und ihren Freunden. Vorträge, Interviews, die Teilnahme an Tagungen und Diskussionsveranstaltungen, insbesondere in den USA und der Bundesrepublik Deutschland, dienten der Verbreitung ihrer Gedanken.

Hannah Arendt scheute dennoch Zeit ihres Lebens persönliche Auftritte in der Öffentlichkeit. Dies äußerte sie zuletzt in ihrer Rede zur Verleihung des Sonnig-Preises in Dänemark kurz vor ihrem Tod. Im Brief an ihren Mann Heinrich Blücher vom 8.03.1955 schreibt sie dazu: „Kein Erfolg hilft mir über das Unglück »im öffentlichen Leben« zu stehen, hinweg... Was ich nicht schaffen kann, ist das auf dem Präsentierteller stehen und auf ihm dauernd verbleiben.“ Sie machte einen radikalen Unterschied zwischen „Privat und Öffentlich“ (25.5.1958 ebenda). Ihre Briefwechsel mit verschiedenen Partnern, in denen sie häufig harte Urteile über bekannte Persönlichkeiten fällte, zählte sie wohl zum Privatleben. Vor der Laudatio auf Karl Jaspers, als dieser 1958 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, hatte Arendt zunächst Skrupel die Festrede zu halten, da sie mit Jaspers eng befreundet war.

In dieser Rede in der Frankfurter Paulskirche setzt sie sich mit den Vorstellungen Öffentlichkeit, Person und Werk auseinander: Nach Cicero werde mit einer Laudatio die Würde eines Menschen, die mehr ist als die Summe seiner Werke, gefeiert und zwar nicht nur von Fachkollegen und Experten, sondern von der Öffentlichkeit. Zwar sei in der modernen Zeit das Vorurteil verbreitet, dass nur das von der Person abgelöste Werk das Objektive sei und in die Öffentlichkeit gehöre. Alles Private könne leicht pathetisch wirken. Daher sei es angemessen, nicht das Subjektive und das Objektive, sondern das Subjektive und das Personhafte zu unterscheiden. Das Subjektive an einem Werk, wie beispielsweise der Arbeitsprozess, gehe die Öffentlichkeit nichts an. In Werken, die nicht rein akademisch sind, sondern Resultate lebendigen Handelns und Sprechens, werde eine zwar erkannte aber über das eigene Bewusstsein hinausgehende Personhaftigkeit erscheinen, die römische humanitas, die Kant und Jaspers Humanität nennen. Diese Humanität könne nur erreichen, wer sein Leben, seine Person und das damit verbundene Werk dem Wagnis der Öffentlichkeit auszusetzen bereit sei.

Jaspers habe häufig den akademischen Raum verlassen und sich in der Öffentlichkeit nicht nur philosophisch, sondern auch politisch geäußert. Er habe jedoch nie im Namen einer Gruppe gesprochen. Er suchte den freien Austausch mit anderen, denn nur so sei es möglich vernünftig zu sein. Jaspers habe zur Existenzerhellung auch in Zeiten der Gewaltherrschaft beigetragen, nicht als Vertreter Deutschlands, sondern der Vernunft, die nur zerstört werden könne, wenn der letzte Vernünftige totgeschlagen sei. Arendt vertritt eine Version der geistig - freiheitlichen Person, wenn sie abschließend sagt: "Es ist das Reich der humanitas, zu dem ein jeder kommen kann aus dem ihm eigenen Ursprung. Diejenigen, die in es eintreten, erkennen sich..."

Beziehungen und Freundschaften

Neben ihrer sehr engen Partnerschaft mit ihrem Ehemann, pflegte sie geistig intensive Freundschaften u.a. mit Mary McCarthy, Karl Jaspers und auch bis zuletzt mit Martin Heidegger. Jedoch hatte letztere einen besonderen Charakter. Während sie sich mehrmals abfällig über Heidegger als Menschen äußerte, (beispielsweise in den Briefen an Blücher vom 3.01.1950 und vom 26.10.1959), schätzte sie sein philosophisches Werk ungemein. In den Jahren zwischen 1933 und 1951 hatte sie keinerlei Verbindung zu Heidegger, der der NSDAP angehört hatte. 1951 hat Arendt die Beziehung zu ihm wieder belebt, allerdings blieb sie zeitlebens ambivalent. Zu diesen Abmivalenzen zählte auch die Umdeutung der Kritik Arendts an der totalitären Herrschaft des Nationalsozialismus durch Heidegger, der in einem Brief an Marcuse sich so vollzog: "Zu den schweren berechtigten Vorwürfen, die Sie aussprechen über ein Regime, das Millionen von Juden umgebracht hat, das den Terror zum Normalzustand gemacht hat und alles, was je wirklich mit dem Begriff Geist und Freiheit u. Wahrheit verbunden war, in sein Gegenteil verkehrt hat, kann ich nur hinzufügen, daß statt Juden Ostdeutsche zu stehen hat und dann genauso gilt für einen der Alliierten, mit dem Unterschied, daß alles, was seit 1945 geschieht, der Weltöffentlichkeit bekannt ist, während der blutige Terror der Nazis vor dem deutschen Volk tatsächlich geheimgehalten worden ist." Im genauen Gegenteil sah sie in der Demokratisierung von Sein und Zeit und im Engagement für die Demokratie den Sinn ihrer Philosophie.

Philosophische und politische Theorien

Arendts Denkweg und ihr Lebensweg weisen ein hohes Maß an Übereinstimmung auf. Nach der eher noch traditionell philosophisch orientierten Dissertation über die Liebe bei Augustinus, die sie allerdings unter dem Einfluss von Heidegger und Jaspers aus existenzphilosophischer Perspektive schrieb, begann sie mit der biographischen Studie Rahel Varnhagens eine Arbeit, die autobiographische Aspekte diskutiert. Die Erfahrung des Nationalsozialismus führte zur Analyse des Antisemitismus und totalitärer Herrschaft. Das Erleben der politischen Freiheit und der selbstverantwortlichen aktiven Mitwirkung der Bürger am öffentlichen Leben in den USA ließ sie die Theorie des politischen Handelns in Vita activa entwickeln. Ähnlich wie Karl Jaspers hatte sie dabei schon früh die Probleme der Massengesellschaft und des Imperialismus als eine Globalisierung des Kapitals im Blick. In ihrem Alterswerk kam schließlich stärker das Individuum, seine Verantwortung, sein Denken, Wollen und Urteilen in das Zentrum ihrer Überlegungen.

Rahel Varnhagen

Das Thema Rahel Varnhagen hatte sich für Arendt aus verschiedenen Perspektiven eröffnet. Zunächst durch ihre Königsberger Freundin Anne Mendelssohn, eine Nachfahrin von Moses Mendelssohn, die bei Ernst Cassirer promovierte und Arendt die Person der Rahel nahe brachte. Weiterhin durch das Thema Romantik, dem sie durch ihre Beziehung zu Benno von Wiese näher getreten war. Und schließlich durch Kurt Blumenfelds Thema der Judenfrage und der Assimilation.

Arendt versuchte in dieser Arbeit weniger den rein biographischen Aspekt des Lebens von Rahel Varnhagen darzustellen, als ihr Denken und ihre gesellschaftliche Bedingtheit. Für sie war Rahels Leben die Suche nach Heimat und Freundschaft in einer Welt, die nicht der Wirklichkeit entsprach. Aufgeklärt und auf Vernunft gestützt hatte Rahel versucht, sich von ihrer religiösen Identität zu lösen. In ihrem ersten Berliner Salon verkehrten Größen wie Alexander und Wilhelm von Humboldt, Friedrich Schlegel, Friedrich Schleiermacher, Clemens Brentano, Jean Paul oder auch Louis Ferdinand von Preußen mit seiner Geliebten. Goethe war sie mehrfach begegnet. Durch die Verlobung mit Karl von Finkenstein hatte Rahel gehofft, Zugang zum preußischen Adel zu erhalten. Doch Finkenstein löste die Verlobung. Auch eine zweite Verlobung mit einem spanischen Adligen scheiterte. Beide Male spielte die jüdische Herkunft Rahels eine wesentliche Rolle. 1806 wurde der Salon infolge des Einmarsches Napoleons geschlossen. 1814 heiratete Rahel den Diplomaten Karl August Varnhagen, nachdem sie zum Christentum übergetreten war. Von 1821 bis 1832 führte sie ihren zweiten Salon mit wiederum illustren Gästen wie Heinrich Heine, Hegel, Leopold von Ranke oder Bettina von Arnim. Doch der Salon blieb eine Illusion der Gemeinsamkeit und der Integration. Außerhalb dessen blieben die Varnhagens isoliert und erhielten keine Einladungen zu den angestrebten Kreisen.

Rahel Varnhagen, die es abgelehnt hatte, neben ihrer Religion auch ihren Vornamen abzulegen, hinterließ umfangreiche Aufzeichnungen und einen großen Schriftverkehr, den Arendt auswertete, in Teilen erstmals. Ihren inneren Konflikt drückte sie sehr drastisch aus: Was ist es garstig, sich immer erst legitimieren zu müssen! Darum ist es ja nur so widerwärtig, eine Jüdin zu sein!! (RV 229). Und Arendt schlussfolgerte: Es gibt keine Assimilation, wenn man nur seine eigene Vergangenheit aufgibt, aber die fremde ignoriert. In einer im großen Ganzen judenfeindlichen Gesellschaft – und das waren bis in unser Jahrhundert hinein alle Länder, in denen Juden lebten – kann man sich nur assimilieren, wenn man sich an den Antisemitismus assimiliert. (RV 233). Die Arbeit über Rahel Varnhagen war 1933 weitgehend fertiggestellt, jedoch wegen der Emigration nicht abgeschlossen. Die beiden Schlusskapitel entstanden 1938 in der Emigration in Paris auf Drängen von Walter Benjamin und Heinrich Blücher. Hier zog Arendt die Schlussfolgerung, dass die Juden in Europa, auch wenn sie assimiliert waren, Außenseiter, Parias, blieben, weil sie ihren religiösen und kulturellen Hintergrund beibehalten hatten. Bestenfalls konnten die, deren Familien zu Geld gekommen waren, in die Rolle der Parvenüs wechseln, aber nie den Status des ungeliebten Außenseiters verlassen.

Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft

In "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" beschäftigt sich Hannah Arendt mit dem Zustandekommen und den Wesensmerkmalen des Nationalsozialismus. Das Buch gliedert sich in drei Teile: "Antisemitismus", "Imperialismus" und "Totale Herrschaft". In der deutschen Ausgabe findet sich noch ein 4. Kapitel "Ideologie und Terror". Ebenfalls erst in der deutschen Fassung befindet sich auch eine Auseinandersetzung mit der totalitären Herrschaft des stalinistischen Regimes.

Zentrales Anliegen Arendts ist die Analyse des nationalsozialistischen Terrors in seiner gesellschaftsgeschichtlichen Entstehung und die einzigartige Verschränkung und Verbindung von Antisemitismus, Rassismus und Imperialismus im Nationalsozialismus. Dazu rekonstruiert sie im ersten Teil ihres Buches die Entwicklung des Antisemitismus im 18. und 19. Jahrhundert, im zweite Teil den Verlauf und die Funktionsweise des Rassismus und des Imperialismus und im abschließenden dritten Teil den Nationalsozialismus. Es geht ihr dabei darum, nicht die Ursachen, sondern die Ursprünge des NS-Staates aufzudecken.

Arendt zeichnet hier in zwei Kapiteln den Zusammenhang des modernen Antisemitismus mit der Entwicklung der Nationalstaaten nach. Eine besondere Rolle in der Konstituierung des Antisemitismus spielt dabei der Rationalismus. Kritisch sieht sie hier die bürgerliche Wissenschaftsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts wie den Darwinismus. Aber auch den Idealismus sieht sie kritisch als Ursprung des nationalsozialistischen „Gesetzes der Natur”. Arendt: "Wenn es das Gesetz der Natur ist, Schädliches und Lebensuntaugliches zu eliminieren, so wäre es das Ende der Natur überhaupt, wenn neue Kategorien von Schädlichem und Lebensuntauglichem nicht gefunden würden; wenn es das Gesetz der Geschichte ist, dass in einem Kampf der Klassen bestimmte Klassen 'absterben', so wäre das Ende menschlicher Geschichte gekommen, wenn nicht neue Klassen sich ansatzweise bildeten, um dann von den totalitären Machthabern zum 'Absterben' gebracht zu werden. Mit anderen Worten, das Gesetz des Tötens, wonach totalitäre Bewegungen die Macht antreten, bleibt bestehen als ein Gesetz der Bewegung, selbst wenn es ihnen je gelingen sollte, die ganze Menschheit unter ihre Herrschaft zu zwingen." (Elemente u. Ursprünge, 1991, S. 709-710)

Der Antisemitismus wird hierbei im 18. und 19. Jahrhundert zu einer am Nationalismus gebundenen irrationalen Ideologie. Arendt zur Ideologie: "Man könnte sagen, daß es das Wesen der Ideologie ist, aus einer Idee eine Prämisse zu machen, aus einer Einsicht in das, was ist, eine Voraussetzung für das, was sich zwangsmäßig einsichtig ereignen soll. Jedoch haben die Verwandlung der den Ideologien zugrunde liegenden Ideen in solche Prämissen erst die totalitären Gewalthaber wirklich vollzogen." (Elemente u. Ursprünge, 1991, S. 721) Eine besondere Bedeutung für die Entwicklung dieser national-völkischen Ideologie sieht Arendt im Imperialismus, den sie mit Bezug auf die Imperialismustheorie Rosa Luxemburgs (Elemente u. Ursprünge, 2005, S. 334) für die weitere Entwicklung des Antisemitismus und des Rassismus untersucht. Währende der nationale Antisemitismus den Ausschluss der Juden aus der Nation fordert, geht es dem imperialistischen Antisemitismus nationenübergreifend um die Vernichtung der Juden. Denn aus dem Zusammenspiel von Nationalismus und Imperialismus ergebe sich, dass es für Staatenlose keinen Platz gibt. Arendts eigene Erfahrung der Staatenlosigkeit kommt hier zum Tragen.

Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Imperialismus für den Antisemitismus beschäftigt sich der zweite Teil intensiv mit den Formen des Imperialismus im 19. Jahrhundert. Arendt zeichnet die Zwänge und Funktionsweisen der kapitalistischen Produktion nach und erklärt die Notwendigkeit des Imperialismus für die Nationalstaaten. Arendt: "Und so kam es, daß zum ersten Mal die politischen Machtmittel des Staates den Weg gingen, der ihnen vom Kapital vorgewiesen war." (Elemente u. Ursprünge, 1955, S. 225) Neben der Notwendigkeit zur Expansion führt der Imperialismus gleichzeitig dazu, dass sich das Kapital seiner staatlichen Bindung entzieht. Arendt beschreibt dabei, wie der Imperialismus die politischen Räume der Gesellschaft zersetzt. Sowohl in der Außenpolitik als auch in der Innenpolitik werden Hindernisse, die der Expansion des Kapitals stören, beseitigt. Arendt stellt die Behauptung auf, dass das Poltische in dem Maße zerstört wird, wie dem Imperialismus keine Grenzens gesetzt sind. "Insgesamt aber ist von dem Element des Antisemitismus im Aufbau der totalitären Herrschafts- und Bewegungsformen zu sagen, dass es sich voll erst im Zersetzungsprozeß des Nationalstaates entwickelte, zu einer Zeit also, als der Imperialismus bereits im Vordergrund des politischen Geschehens stand." (Elemente u. Ursprünge, 1986, S. 34)

Arendt erweitert den marxistischen Imperialismusbegriff um die Funktion des Rassismus und kritisiert die Reduzierung der Auseinandersetzungen mit dem Kapitalismus auf die rein ökonomischen Fragen: "Die frühzeitige Entdeckung der rein ökonomischen Veranlassungen und Triebfedern des Imperialismus (...) hat die eigentliche politische Struktur, den Versuch nämlich, die Menschheit in Herren- und Sklavenrassen, in 'higher and lower breeds', in Schwarze und Weiße (....) einzuteilen, eher verdeckt als aufgeklärt." (Elemente u. Ursprünge, 1955, S. 209)

Arendt unterscheidet hier zwei Ausformungen des Imperialismus, den überseeischen und den kontinentalen Imperialismus. Am Beispiel der "Rassengesellschaft" in Südafrika und dem Despotismus des Kolonialismus eines Carl Peters ("Ich hatte es satt, unter die Parias gerechnet zu werden, und wollte einem Herrenvolk angehören.") verdeutlicht sie das Zusammenwirken von Rassismus und Kapitalismus im überseeischen Imperialismus. (Elemente u. Ursprünge, 1986, S. 307f. "Rasse und Bürokratie")

Der kontinentale Imperialismus findet seinen Ausdruck im völkischen Nationalismus der verspäteten Nation. Besonders die Nationen in Ost- und Mitteleuropa konnten noch auf keine national Geschichte zurück verweisen. Hier finden nach Arendt diejenigen politischen Kräfte ihre Anliegen wieder, denen es nicht gelang, sich bisher national zu emanzipieren. Hier erläutert sie wie der demokratische Volksbegriff der Aufklärung seitens der völkischen Bewegung abgelehnt und romantisch aufgeladen wird. Arendt zeigt auf, wie dieser völkische Nationalismus den Antisemitismus biologistisch, rassistisch werden lässt und den Rassismus antisemitisch und in einem Antisemitismus der Vernichtung mündet. Aus dem Völkischen Nationalismus konnte sich die Ideologie der "Volksgemeinschaft" entwickelt. (Vgl. Elemente u. Ursprünge, 1986, S. 277 f. "Völkische Verbundenheit als Ersatz für nationale Emanzipation", S. 366 f. "Der völkische Nationalismus", u.a.)

Den ausgrenzenden Charakter des Nationalismus für die Juden verdeutlicht Arendt anschaulich an den Flüchtlingsbewegungen nach dem I. Weltkrieg und der daraus resultierende Staatenlosigkeit für die Menschen. Sie macht deutlich, dass Menschenrechte für die Migranten keine Konsequenzen haben, solange ihre Rechte nicht an einer Staatlichkeit gebunden sind. Der rechtliche Status der Staatenlosen verdeutlichen für Arendt somit die Widersprüchlichkeit des Nationalstaates: Während die Migranten innerhalb des Staatsgebiet leben, stehen sie gleichzeitig außerhalb der Gemeinschaft des Rechts. Totale Herrschaft zeigt sich hier an der Nutzlosigkeit moralischer Rechte, da diese Rechte nur über die Zugehörigkeit zur Nation und zum Staat eingefordert werden können. (Vgl. Elemente u. Ursprünge, 1986, S. 426 f) "Eine Welt, die sich offenbar noch nicht davon hatte überzeugen können, dass Juden der Auswurf der Menschheit seien, würde bald eines Besseren belehrt werden, wenn Juden ohne Geld, ohne Staatsbürgerschaft und ohne Pässe in Scharen über die Grenzen gejagt werden würden." (1986, S. 425, 426) Arendt verweist hier auch auf einen Rundbrief des Auswärtigen Amtes vom Januar 1939, "also kurz nach den Novemberpogromen, an alle deutschen stellen im Ausland" er "betont ausdrücklich, dass es sich bei diesen Verfolgungen nicht sosehr darum handle, die Juden loszuwerden, als den Antisemitismus in die westlichen Länder, in denen Juden Zuflucht gefunden haben, zu tragen. Die Auswanderung von hunderttausend Juden habe in dieser Hinsicht bereits die erwünschte Resultate gezeigt; Deutschland sei an der Zerstreuung der Juden interessiert, da diese die beste Propaganda für die gegenwärtige deutsche Judenpolitik bilde. Dabei wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es im deutschen Interesse liege, die Juden als Bettler über die Grenzen zu jagen, denn je ärmer der Einwanderer sei, desto größer die Last für das Gastland." (1986, S. 426) Arendt verdeutlicht dabei ausführlich den Zusammenhang von totaliaristischer Propaganda für ihren Antisemitismus mittels einer Politik der Entrechtung der Flüchtlinge und der Gebundenheit von Rechten an eine Staatlichkeit: "Da diese Propaganda der vollendeten Tatsachen bessere und schnellere Resultate erzielen würde als alle Propagandareden zusammen, war offenbar. Denn nicht nur gelang es auf dieser Weise, die Juden wirklich zum Abschaum der Menschheit zu machen, es gelang auch, was ihm großen gesehen ungleich wichtiger für totalitäre Herrschaft war, praktisch, am Modell einer unerhörten Not für unschuldige Menschen, darzulegen, dass solche Dinge wie unveräußerbare Menschenrechte bloßes Geschwätz und dass die Proteste der Demokratien nur Heuchelei seien. Das bloße Wort "Menschenrechte" wurde überall und für jedermann, in totalitären und demokratischen Ländern, für Opfer, Verfolger und Betrachter gleichermaßen, zum Inbegriff eines heuchlerischen oder schwachsinnigen Idealismus."(1986, S. 426)


In dem Arendt die geschichtliche Entwicklung des vernichtenden Antisemitismus bis zum Nationalsozialismus in den Ursprüngen nachzeichnet lehnt sie die Sündenbocktheorie sowie die "Ventiltheorie" als Erklärung ab und verweist auf die Entwicklung des Nationalismus, der den Juden keinen eigenen Platz im Staat einräumte. "Hier sieht es nun in der Tat so aus, als hätten wir die "Sündenböcke" jener Theorien vor uns, und es ist keine Frage, dass hier zum ersten Male eine wirkliche Verlockung besteht, den Antisemitismus als etwas zu erklären, was mit der geschichtlichen Existenz der Zu den in keinerlei geartetem Zusammenhang steht. Denn an dem, was den Juden schließlich wirklich passierte, ist wohl nicht so grauenhaft einprägsam wie die vollkommene Unschuld aller, die in der Terrormaschine gefangen wurden. Über diesem berechtigten Grauen sollte man nicht vergessen, dass der Terror nur in seinem letzten Stadium sich als die Herrschaftsform des Regimes offenbart und dass diesem Stadium notwendigerweise eine Reihe von Etappen vorangehen müsse, in welchen er sich ideologisch rechtfertigen muß. Die Ideologie also muß erst einmal viele und sogar eine Majoritt überzeugt haben, bevor der Terror voll losgelassen werden kann. Für den Historiker ist entscheiden, dass die Juden, bevor sie Opfer des modernen Terrors stellten, im Zentrum der Nazi-Ideologie standen, denn nur der Terror kann sich seine Opfer willkürlich auswählen, aber nicht Propaganda und Ideologie, die Menschenüberzeugen und mobilisieren wollen." (Vgl. Elemente u. Ursprünge, 1986, S. 30)

So zeichnet Arendt nach, dass die totale Herrschaft durchaus eine passende politische Form für die Massengesellschaft darstellt: „Insofern die totalitären Bewegungen ungeachtet der Herkunft ihrer Führer, den Individualismus sowohl der Bourgeoisie wie des von ihr erzeugten Mobs liquidieren, können sie mit Recht behaupten, daß sie die ersten wirklich antibürgerlichen Parteien in Europa darstellen.” (Elemente u. Ursprünge, 1986, S. 507)

Anhand der terroristischen Staatform des Nationalsozialismus verdeutliche Hannah Arendt sowohl den radikalen Bruch mit der bürgerlichen Gesellschaft und gleichzeitig die tiefe Verwurzelung der totalitäre Herrschaft in der Geschichte Europas, der Ideologie des Antisemitismus und der imperialistischen Entwicklung.

Die phänomenologischen Beschreibungen der totalitären Herrschaft im dritten Teil ihres Buches dienten Politikwissenschaftlern anschließend dazu, Theorien des Totalitarismus zu entwickeln. Außer im Titel der amerikanischen Ausgabe findet der Begriff Totalitarismus in "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" keinerlei Verwendung.

Vita activa

Im Gegensatz zu Heidegger begründete Arendt ihr Denken von der Geburt des einzelnen Menschen her und nicht vom Tod. In ihrem 1958 erschienenen, sich hauptsächlich auf Philosophie beziehenden Werk Vita activa oder Vom tätigen Leben führt Arendt diesen Gedanken aus. Mit der Geburt beginnt die Möglichkeit, einen Anfang machen zu können. Das Individuum habe die Aufgabe, in Verbindung mit anderen Personen die Welt zu gestalten. Die Grundtätigkeiten sind laut Arendt Arbeiten, Herstellen und Handeln.

Die Arbeit dient dem Fortbestand der Gattung und sichert die Funktion des Körpers. Die Menschen versuchen, sich von der Arbeit zu befreien und sie anderen unterlegenen Personen aufzubürden. Auf diese Weise entstehen Macht, Herrschaft und Abhängigkeit, mit denen sich die Individuen auseinandersetzen müssen.

Auf der Grundlage der Arbeit, die seine Existenz sichert, beginnt der Mensch über die Endlichkeit seines Daseins nachzudenken. Um dieser Gewissheit zu entfliehen, schafft er sich eine Welt aus Dingen, die er mit Geist und Kraft aus unterschiedlichen Materialien herstellt und die seine Lebenszeit überdauern.

Die dritte Komponente stellt das Handeln dar, das sich zwischen den Individuen abspielt und gleichzeitig die Einzigartigkeit, die Verschiedenheit und Pluralität zeigt.

Denken, Wollen, Urteilen

Anlässlich der Verleihung des Lessing-Preises äußerte sich Hannah Arendt zu ihrer Gesinnung. Im Sinne Lessings sei Kritik stets das Begreifen und Beurteilen im Interesse der Welt, woraus niemals eine Weltanschauung werden könne, „die sich auf eine mögliche Perspektive festgelegt hat.” Nicht das Misstrauen gegen Aufklärung oder Humanitätsglauben des 18. Jahrhunderts erschwere das Lernen von Lessing, sondern das 19. Jahrhundert mit seiner Geschichtsbesessenheit und Ideologieverschworenheit steht zwischen uns und Lessing. Ziel ist das freie Denken „ohne das Gebäude der Tradition” mit Intelligenz, Tiefsinn und Mut. Eine absolute Wahrheit existiert nicht, da sie sich im Austausch mit anderen sofort in eine „Meinung unter Meinungen“ verwandelt und Teil des unendlichen Gesprächs der Menschen ist, in einem Raum, wo es viele Stimmen gibt. Jede einseitige Wahrheit, die auf nur einer Meinung beruht, ist unmenschlich.

1975 betonte sie in ihrer Rede zur Preisverleihung des Sonnig-Preises, wie sehr sie die USA als Rechtsstaat schätze, es handele sich dabei um die Herrschaft der Gesetze (Verfassung der USA) und nicht um diejenige der Menschen. Als amerikanische Staatsbürgerin halte sie dennoch an der deutschen Sprache fest. Sie unterstrich, wie wichtig die Rolle Dänemarks im Zweiten Weltkrieg gewesen sei, als es gelang, durch politischen Druck (auch durch den König) und Druck der öffentlichen Meinung die Juden, die sich in Dänemark aufhielten, vor der Deportation durch die Nazis zu bewahren. „Nirgendwo sonst war das passiert.”

Politisch sprach sich Arendt auf dem Hintergrund des Ungarn-Aufstands für einen Rätegedanken auf der Grundlage der Freiheit des Einzelnen aus, ein staatliches Ideal, wie es auch ihr zweiter Ehemann, ein ehemaliger Kommunist vertreten hatte. Sie ging davon aus, dass jeder Mensch zur Politik befähigt ist.

Dabei reflektiert sie das Zustandekommen von Urteilen als subjektiv. Sie bezieht sich in ihrem posthum veröffentlichten Werk Das Urteilen. Texte zu Kants politischer Philosophie, auf Kants Theorie des ästhetischen Urteils in der Kritik der Urteilskraft. Linda M.G. Zerilli beschreibt ihre Überlegungen so: „Arendt begreift das ästhetische Urteil als Vorbild für das politische Urteil. Kritisch zu urteilen bedeutet für sie, reflektierend zu urteilen, also ohne die Vermittlung eines Begriffs oder einer Regel.” Als Beispiel führt Arendt an, wenn man eine Rose als schön (Das Urteilen, S. 25; vgl. auch S. 89) bezeichne, so komme man zu dem Urteil, ohne die Verallgemeinerung, dass alle Rosen schön sind und daher diese eine auch. Es geht also nicht um eine Kategorie Rosen, sondern um eine bestimmte Rose. „Dass diese Rose schön ist, ist nicht in der Natur von Rosen begründet und damit auch keine Eigenschaft des fraglichen Objekts, sondern ein Wert, der dem Objekt vom urteilenden Subjekt zugeschrieben wird. Dies wiederum bedeutet, dass andere urteilende Subjekte anders urteilen können.” Den Versuch, die Perspektiven der anderen im eigenen Denken zu berücksichtigen, nannte sie repräsentatives Denken. Dieses Denken setzte voraus, ohne die eigene Identität aufzugeben, einen Standort in der Welt einzunehmen, der nicht der ihrige sei.

Erbe

Seit 1994 wird der Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken, finanziert von der Stadt Bremen und der Heinrich-Böll-Stiftung, vergeben.

Das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der Technischen Universität Dresden arbeitet seit 1993. Es will nach der Erfahrung von 60 Jahren Diktatur explizit Diktaturen mit totalitärem Verfügungsanspruch untersuchen. Historiker und Sozialwissenschaftler sollen auf empirischer Grundlage die politischen und gesellschaftlichen Strukturen von NS-Diktatur und SED-Regime analysieren. Die Hannah-Arendt-Forschung gehört dagegen nicht vorrangig zu den Zielen des Instituts.

In Zürich, wo Hannah Arendt 1958 den Vortrag Freiheit und Politik gehalten hat, fanden 1996 bis 2000 jährliche Hannah-Arendt-Tage statt, die sich - jeweils unter einem anderen Blickwinkel - mit ihrem politischen Denken befassten.

An der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg wurde 1999 das Hannah-Arendt-Zentrum gegründet. Es verfügt über ein Archiv mit großen Teilen aus Arendts Nachlass. Außerdem werden Hannah Arendt Studien als Buchreihe herausgegeben. Hinzu kommen Tagungen und andere Veranstaltungen zu den Werken Hannah Arendts und allgemein zur Geistesgeschichte des vorigen Jahrhunderts.

Ihre Philosophie ist die Grundlage für den Roman Fever der Französin Leslie Kaplan. Das fiktionale Werk stellt eine literarische Umschreibung von Arendts Gedanken über die Zwischenmenschlichkeit und Kommunikation, über Freiheit und Schuld dar.

Zitat

„Das den Nürnberger Prozessen zugrunde liegende Londoner Statut hat, wie bereits erwähnt, die »Verbrechen gegen die Menschheit« als »unmenschliche Handlungen« definiert, woraus dann in der deutschen Übersetzung die bekannten »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« geworden sind – als hätten es die Nazis lediglich an »Menschlichkeit« fehlen lassen, als sie Millionen in die Gaskammern schickten, wahrhaftig das Understatement des Jahrhunderts.” (Eichmann in Jerusalem 2004, S. 399)

Werke

Korrespondenz, Reden und Interviews

  • Hannah Arendt und Heinrich Blücher: Briefe 1936–1968, Piper, München, 1999; 2. Aufl. 2002 ISBN 3-492-03885-9
  • Hannah Arendt und Kurt Blumenfeld, ... in keinem Besitz verwurzelt. Die Korrespondenz, hrsg. v. Ingeborg Nordmann und Iris Pilling, Hamburg, 1995
  • Hannah Arendt und Karl Jaspers, Correspondence, 1926–1969, hrsg, v. Lotte Köhler und Hans Saner, New York 1992 (dt.: Briefwechsel 1926–1969 Piper, München, 2001 ISBN 3-492-21757-5)
  • Karl Jaspers: Wahrheit, Freiheit und Friede. Hannah Arendt:Karl Jaspers. Reden zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1958, Piper-Verlag, München
  • Hannah Arendt und Mary McCarthy, Between Friends: The Correspondence of Hannah Arendt and Mary McCarthy, 1949–1975, hrsg. v. Carol Brightman, New York, 1995 (dt.: Im Vertrauen. Briefwechsel 1949-1975, München 1995. ISBN 3-492-22475-X)
  • Hannah Arendt und Gershom Scholem, Eichmann in Jerusalem: Exchange of Letters between Gershom Scholem and Hannah Arendt. In: Encounter 22/1 (1964), S. 51–56, deutsch in: Neue Zürcher Zeitung 19.10.1963
  • Hannah Arendt und Hermann Broch, Briefwechsel 1946–1951, Frankfurt, Jüdischer Verlag, 1996; 2. Aufl. 2000 ISBN 3633541136
  • Hannah Arendt und Martin Heidegger, Briefe 1925–1976, Klostermann, Frankfurt, 1998; 3. durchgesehene und erweiterte Auflage 2002 ISBN 3465032055
  • Hannah Arendt - Uwe Johnson, Der Briefwechsel 1967 – 1975, hrsg. von Eberhard Fahlke und Thomas Wild, Suhrkamp, Frankfurt/Main 2004, ISBN 3-518-41595-6
  • Gespräche mit Hannah Arendt. Hrsg. Adelbert Reif. München 1979
  • Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten, Rede am 28. September 1959 bei der Entgegennahme des Lessing-Preises der Freien und Hansestadt Hamburg, Mit einem Essay von Ingeborg Nordmann, EVA, Hamburg 1999, ISBN 3-434-50127-4
  • Die Sonning-Preis-Rede Kopenhagen 1975, in: Text und Kritik. Zeitschrift für Literatur, Hrsg. Heinz Ludwig Arnold, 166/167, Hannah Arendt,IX/05, ISBN 3-88377-787-0

Literatur

  • Richard Albrecht, Politik und mehr: Zum 20. Todestag einer politischen Wissenschaftlerin; in: liberal, 38 (1996) 1, 91-94; ders., Politische Philosophie und/als philosophische Politik (2005); [3]
  • Seyla Benhabib: Hannah Arendt. Die melancholische Denkerin der Moderne, 1998, Originaltitel: The Reluctant Modernism of Hannah Arendt. 1996
  • Karl-Heinz Breier: Hannah Arendt zur Einführung, Hamburg: Junius 2005, 2. überarb. Auflage, ISBN 3-88506345X
  • Hauke Brunkhorst: Hannah Arendt. becksche reihe denker, Verlag C.H. Beck, herausgegeben von Otfried Höffe, ISBN 3-406-41948-8, Originalausgabe
  • Fransisco Budi Hardiman: Die Herrschaft der Gleichen. Masse und totalitäre Herrschaft. Eine kritische Überprüfung der Texte von Georg Simmel, Hermann Broch, Elias Canetti und Hannah Arendt. Frankfurt/M. u.a. (Peter Lang) 2001. ISBN 3631379293 (= Diss. München 2001)
  • Margaret Canovan: Hannah Arendt: A reinterpretation of her political thought, Cambridge University Press 1992, ISBN 0-521-41911-5
  • Elżbieta Ettinger: Hannah Arendt – Martin Heidegger (stark feuilletonistisch)
  • Joachim Fest: Begegnungen. Über nahe und ferne Freunde. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, September 2004, ISBN 3-498020889, darin Portraits von Hannah Arendt, Sebastian Haffner, Ulrike Meinhof, Dolf Sternberger, Wolf Jobst Siedler, Arnulf Baring, Golo Mann, Joachim Kaiser, Rudolf Augstein und anderen mit dem Autor Joachim Fest. Ein ausgesprochen oberflächliches Buch in Bezug auf H.A., Fest mokiert sich nur über ihre Beziehung zu Heidegger, keine Erkenntnisse zum Eichmann-Thema.
  • Paolo Flores d' Arcais: Libertärer Existenzialismus. Zur Aktualität der Theorie von Hannah Arendt. Verlag Neue Kritik, Frankfurt/Main, 1997. ISBN 3801502538
  • Daniel Ganzfried, Sebastian Hefti (Hrsg.):Hannah Arendt. Nach dem Totalitarismus. eva wissenschaft, Hamburg 1997, ISBN 3-424-52003-1 . Auswahl der Symposiumsbeiträge anlässlich der Hannah Arendt Tage in Zürich 1996
  • Ingeborg Gleichauf, Hannah Arendt, dtv, 2. Aufl. 2005 (Bibliographie aktuell, sonst identisch mit 1. Aufl.)
  • Barbara Hahn, Hannah Arendt - Leidenschaften, Menschen und Bücher, Berlin Verlag 2005, ISBN 3827005612
  • Phillip Hansen: Hannah Arendt: Politics, History and Citizenship, Standford: Standford Univ. Press: 1993, ISBN 0-8047-2145-9
  • Wolfgang Heuer: Hannah Arendt. Rowohlts Bildmonographie, Reinbek, 7. Aufl. 2004, mit aktuellen Lit.angaben bis 2003 (Primär- und Sekundärlit.) ISBN 3-499503794
  • Wolfgang Heuer: Citizen: Persönliche Integrität und politisches Handeln: Eine Rekonstruktion des politischen Humanismus Hannah Arendts, Berlin: Akademie Verlag 1992, ISBN 3-05-002189-6
  • Leslie Kaplan: Fever. Ein philosophischer Roman nach Hannah Arendts Eichmann-Buch u.a. Gedanken. (Siehe auch Reinhard Finck: Stumm ist nur die Gewalt für einen Vergleich der beiden Autorinnen)
  • Peter Kemper (Hrsg.): Die Zukunft des Politischen, Ausblicke auf Hannah Arendt, Frankfurt: Fischer Taschenbuch V. 1993, ISBN 3-596-11706-2
  • Oliver Marchart: Neu beginnen. Hannah Arendt, die Revolution und die Globalisierung., Verlag Turia + Kant, 2005, ISBN 3-85132-421-8
  • Waltraud Meints, Katherine Klinger (Hrsg.): Politik und Verantwortung. Zur Aktualität von Hannah Arendt. Hannover 2004. ISBN 3-930345-43-9
  • Maurizio Passerin d'Entrèves: The political philosophy of Hannah Arendt, London & New York: Routledge 1994, ISBN 0-415-08790-2
  • Alois Prinz: Beruf Philosophin oder die Liebe zur Welt. Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt. Beltz & Gelberg, Weinheim und Basel 1998, ISBN 3-407-78879-7
  • Adelbert Reif (Hrsg.): Hannah Arendt, Materialien zu ihrem Werk, Wien: Europaverlag 1979, ISBN 3-203-50718-7
  • Gershom Scholem: Wir waren beide nicht dabei, in: „Der Zeitgeist”. Halbmonats-Beilage des Aufbau, No. 208, New York, December 20, 1963, P. 17/18.(auch bek. unter dem Titel „Sie haben mich mißverstanden. Antworten auf Kritiken ...”)
  • Kurt Sontheimer: Hannah Arendt. Der Weg einer großen Denkerin. München: Piper Verlag, 2005, ISBN 3-49204-382-8
  • Jakob Stefan Seitz: Hannah Arendts Kritik der politisch-philosophischen Tradition – unter Einbeziehung der französischen Literatur zu Hannah Arendt. Herbert Utz Verlag Wissenschaft, München 2002, ISBN 3-831601682
  • Gary Smith (Hrsg.): Hannah Arendt Revisited: „Eichmann in Jerusalem” und die Folgen, edition suhrkamp 2135
  • Christian Volk: Urteilen in dunklen Zeiten. Eine neue Lesart von Hannah Arendts „Banalität des Bösen”. 2005 Lukas, Berlin. ISBN 3-936872-54-6 Die Einleitung ist auf der Verlagsseite online lesbar.
  • Stefan Vogt: Gibt es einen kritischen Totalitarismusbegriff? In: jour fixe initiative berlin (Hg.): Theorie des Faschismus - Kritik der Gesellschaft.
  • Irmtrud Wojak: Eichmanns Memoiren. Ein kritischer Essay, Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2001 ISBN 3-5933-6381-X, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a. M., 2004, ISBN 3-596-15726-9, ähnlich F. Kettner: Dossier Eichmannn[4]
  • Elisabeth Young-Bruehl: Hannah Arendt. Leben, Werk und Zeit. 2004, Fischer Verlag, ISBN 3-596-16010-3
  • Linda M.G. Zerilli: Einsicht in die Perspektive. Nach dem Ende aller Maßstäbe: Hannah Arendts Überlegungen zu demokratischen Urteilskraft sind von ungebrochener Aktualität, in: Frankfurter Rundschau. 07.01.06

Zum 30. Todestag

Siehe auch

Commons: Hannah Arendt – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien