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Haber-Bosch-Verfahren

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Der 1921 gebaute Ammoniak-Reaktor des Haber-Bosch-Verfahrens

Das Haber-Bosch-Verfahren ist ein großindustrielles Verfahren zur Herstellung von Ammoniak aus den Elementen Stickstoff und Wasserstoff. Benannt wurde es nach seinen Entwicklern Fritz Haber und Carl Bosch. Die Ammoniaksynthese wird bei Drücken von etwa 250 bis 350 bar und Temperaturen von etwa 450 bis 500 °C durchgeführt.

Das Produkt des Verfahrens, Ammoniak, kann durch Reaktion mit Kohlenstoffdioxid zu Harnstoff oder im Ostwaldverfahren zu Salpetersäure weiterverarbeitet werden. Diese ist für die Herstellung von Sprengstoff von Bedeutung, dient in Form ihrer Salze als Düngemittel und stellt eine Voraussetzung für die Ernährung eines Großteils der Weltbevölkerung dar. Im Umweltschutz dient Ammoniak in der Rauchgasentstickung der Umwandlung der in Verbrennungsgasen enthaltenen schädlichen Stickoxide. Mittels selektiver katalytischer Reduktion werden diese zu unschädlichem Stickstoff reduziert.

Die wesentlichen wissenschaftlichen Leistungen zur Realisierung dieses Verfahrens waren zum einen die Untersuchung der zugrunde liegenden chemischen Reaktion durch Fritz Haber und Walther Nernst, zum anderen die systematische Suche nach geeigneten Katalysatoren durch Alwin Mittasch sowie die Klärung grundlegender verfahrenstechnischer Probleme für Hochdruckverfahren durch Carl Bosch. Im Zusammenhang mit dem Haber-Bosch-Verfahren vergab die Nobelstiftung 1918 den Nobelpreis für Chemie an Fritz Haber, 1931 an Carl Bosch, sowie 2007 an Gerhard Ertl, unter anderem für die vollständige theoretische Erklärung des Mechanismus der Ammoniakbildung.

Geschichte

Brot aus Luft

William Crookes

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts war durch die Arbeiten von Justus von Liebig bekannt, dass die Aufnahme von Stickstoff eine der Grundlagen für die Entwicklung von Nutzpflanzen ist.[1] Den Ackerböden wurde der notwendige Stickstoff in Form von Mist, Kompost oder durch eine bestimmte Fruchtfolge zugeführt. Das Wachstum der Weltbevölkerung im 19. Jahrhundert schuf jedoch eine gewaltige Nachfrage nach Stickstoffdüngern, die durch natürliche Quellen, etwa die Vorkommen von Guano und Chilesalpeter, oder technische Quellen wie Kokereigas nicht mehr befriedigt werden konnte.[2]

Im Juni 1898 hielt der britische Chemiker William Crookes vor der British Association for the Advancement of Science in Bristol eine Aufsehen erregende Rede, in der er zum Schluss kam, dass in den nächsten 20 Jahren die Stickstoffnachfrage das Angebot übersteigen werde und der westlichen Welt dann eine gewaltige Hungersnot drohe. Die einzige Lösung sah er in der chemischen Fixierung des Luftstickstoffs.[3] Er nannte dies eine der großen Erfindungen, die auf die Kreativität der Chemiker wartete. Der Versuch der Bindung des Luftstickstoffs in einer von Pflanzen aufnahmefähigen Chemikalie, bekannt unter dem Schlagwort „Brot aus Luft“, wurde durch Crookes Rede einer der bedeutenden Schwerpunkte der chemischen Forschung.[4]

Grundlegende Arbeiten

Fritz Haber, 1918

Im Jahr 1904 begann Fritz Haber, der zu diesem Zeitpunkt als außerordentlicher Professor für Technische Chemie in Karlsruhe arbeitete, sich mit der Berechnung des Ammoniakgleichgewichts zu beschäftigen. Die gefundene Gleichgewichtskonstante für die Synthese aus den Elementen Stickstoff und Wasserstoff entsprach bei einer Temperatur von 1000 °C und Normaldruck einer Ausbeute von unter 0,01 % und war damit zu niedrig für einen technischen Prozess. Erst bei Temperaturen von unter 300 °C und einem geeigneten Katalysator hielt er die Überführung in die Technik für möglich.[5] Dies gelang ihm kurz darauf mit Hilfe eines auf Osmium basierenden Katalysators.[6]

Der Chemiker beantragte am 13. Oktober 1908 beim Kaiserlichen Patentamt in Berlin Patentschutz für ein „Verfahren zur synthetischen Darstellung von Ammoniak aus den Elementen“, den dieses am 8. Juni 1911 mit Patent Nr. 235.421 gewährte.[7] Haber, der mittlerweile mit der BASF zusammen arbeitete, überließ der Firma das Patent zur wirtschaftlichen Nutzung.

Technische Realisierung

Carl Bosch, 1908

Die Bereitstellung der Rohstoffe Stickstoff und Wasserstoff, der in größeren Mengen bis dahin nur bei der Chloralkali-Elektrolyse anfiel, erforderte völlig neue Prozesse. Für den Bau von chemischen Reaktoren, die Wasserstoff bei hohen Drücken und Temperaturen beherrschten, gab es bis dahin keine Referenzen in der Technik. Für diese Aufgaben entwickelten Carl Bosch und Fritz Haber vollkommen neue Lösungen in vielen Bereichen der Technischen Chemie und des Reaktorbaus.[8]

Da es zu dieser Zeit noch keinen Studiengang Verfahrenstechnik gab, gründete Bosch einen interdisziplinären Arbeitsbereich Chemietechnik, in dem Maschinenbauingenieure und Chemiker zusammen arbeiteten. Da die zunächst verwendeten Stähle den Angriff durch atomar eindiffundierten Wasserstoff nicht standhielten, war die Hauptaufgabe die Erforschung von Werkstoffschäden durch Entkohlung der Kohlenstoffstähle. Dies führte schließlich zur Entwicklung hochlegierter Chrom-Nickel-Stähle, die einem Wasserstoffangriff bei den Reaktionstemperaturen und –drücken standhielten. Das von Julius Schierenbeck entwickelte Schierenbeck-Wickelverfahren, bei dem auf ein chemisch widerstandsfähiges Zentralrohr mehrere Lagen eines heißen Metallbandes aufgeschrumpft wurden, ermöglichte den Bau größerer und sicherer Hochdruckreaktoren.[9]

Alwin Mittasch entwickelte und testete parallel dazu etwa 3000 verschiedene Katalysatoren in 20.000 Versuchen auf Basis von Eisenoxid und verschiedenen Promotoren.[10] Mittasch fand, dass neben der chemischen Zusammensetzung der Basismaterialen kleine Mengen anderer Chemikalien entweder als Katalysatorgift oder als Promotoren wirken können; der Begriff des Aktivators oder Promotors geht auf Mittasch zurück.[11] Der im Jahr 2016 verwendete Katalysator entspricht noch weitgehend dem von Mittasch entwickelten Katalysator.

Im Jahr 1913 nahm die BASF erstmals eine Anlage nach dem Haber-Bosch-Verfahren im Werk Ludwigshafen-Oppau in Betrieb. Die Kapazität der Anlage betrug anfangs 30 Tonnen pro Tag.[2] Von militärischer Bedeutung war Ammoniumnitrat, ein Produkt aus Ammoniak und Salpetersäure, zur Herstellung von Sprengstoff. Die Weiterentwicklung des Verfahrens bis zur großindustriellen Anwendbarkeit wurde 1914 auf Druck des deutschen Generalstabschefs Erich von Falkenhayn forciert und es kam durch Bosch zum Salpeterversprechen.[12] Als das Deutsche Reich während des Ersten Weltkriegs durch die britische Seeblockade von natürlichen Stickstoffquellen wie Chilesalpeter abgeschnitten war, gelang es mit Hilfe des Haber-Bosch-Verfahrens, den sonst schon Ende 1914 drohenden Zusammenbruch der deutschen Munitionsproduktion abzuwenden und die Düngemittelproduktion aufrechtzuerhalten. Großanlagen wurden unter anderem in Oppau bei Ludwigshafen, Leuna und Bitterfeld durch die BASF und nach Fusion im deutschen Großkonzern I. G. Farben betrieben.[13]

Nach dem Ersten Weltkrieg

Nach dem Krieg zwang die französische Regierung die BASF zu einem Abkommen, nach dem sie sämtliche Patente und Erfahrungen des Verfahrens zu übergeben hatte, sowie beim Aufbau einer Fabrik in Toulouse helfen musste.[14] Weiterhin wurden Ammoniakanlagen in England, Italien und weiteren Ländern sowohl auf der Grundlage einer BASF-Lizenz gebaut als auch als Verfahrensvarianten mit veränderten Prozessparametern wie das Casale-Verfahren oder mit leicht modifiziertem Katalysator wie das Mons-Cenis-Verfahren.[2]

Rohstoffe

Deutsches Chemie-Museum Merseburg: Ammoniak-Synthesekammer, dahinter Gebäude der Hochdruck-Umlaufpumpe (2014)

Ammoniak entsteht in einer Gleichgewichtsreaktion aus den Elementen Wasserstoff und Stickstoff gemäß der folgenden Gleichung:

Der benötigte Stickstoff wird direkt aus der Luft entnommen. Der störende Luft-Sauerstoff wurde früher durch Reduktion mit Wasserstoff zu Wasser umgesetzt und so abgeschieden. Später erwies sich die Luftzerlegung durch das Linde-Verfahren als wirtschaftlicher.[8]

Die Beschaffung von Wasserstoff stellt den größten Posten der Produktionskosten dar. Dieser stammte zunächst aus der Chloralkali-Elektrolyse, jedoch konnten die benötigten Mengen damit nicht preiswert zur Verfügung gestellt werden.[8] Ein anderes mögliches Verfahren ist die partielle Oxidation. Dabei werden Kohlenwasserstoffe mit Sauerstoff und Wasserdampf in einem offenen Reaktor ohne Katalysator bei etwa 1100 °C vergast und das Synthesegas wie bei der Dampfreformierung weiterverarbeitet. Stickstoff wird vor Eintritt in die Ammoniaksynthese in stöchiometrischer Menge zudosiert. Wasserstoff kann weiterhin durch die Elektrolyse von Wasser gewonnen werden. Hierdurch wird mit hohem Aufwand an elektrischer Energie Wasser in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) zerlegt. Stickstoff wird dem so gewonnenen Wasserstoff in stöchiometrischer Menge zudosiert. Dieses Verfahren ist nur wirtschaftlich, wenn billige elektrische Energie zum Beispiel aus Wasserkraft zur Verfügung steht, für die es keine andere Verwendung gibt.

Winkler-Generator.

Die BASF verwendete Wassergas auf Basis der Kohlevergasung von Braunkohle mittels eines Winkler-Generators als primäre Quelle. Der Wasserstoff wird über die Reaktion von Wasserdampf mit glühendem Koks gewonnen. Die zugeführte Luft wird so dosiert, dass der Sauerstoff vollständig zu Kohlenstoffmonoxid umgesetzt wird. Der für die spätere Ammoniaksynthese erforderliche Stickstoff verblieb im Wassergas. Anschließend wurde das Kohlenstoffmonoxid mittels Konvertierung in leicht zu entfernendes Kohlenstoffdioxid oder in einer Wassergas-Shift-Reaktion zur Bereitstellung weiteren Wasserstoffs verwendet.[8]

Mit dem Aufbau von Platforming-Kapazitäten in den Vereinigten Staaten Mitte der 1950er Jahre stand eine petrochemische Wasserstoffquelle zur Verfügung, die 1956 etwa 11 % des benötigten Wasserstoffs für die Ammoniaksynthese in den Vereinigten Staaten bereitstellte.[15]

Bis zum Jahr 2000 blieb Kohle die Primärquelle für Wasserstoff, seit 2006 hat Erdgas diese Rolle übernommen. Auf die Dampfreformierung von Erdgas entfiel 2014 etwa 48 % der globalen Wasserstoffproduktion, zirka 60 % davon verwendete das Haber-Bosch-Verfahren.[16]

Katalysator

Präkursor

Erster Reaktor im Werk Oppau 1913

Der Katalysator-Präkursor besteht aus Magnetit (Fe3O4) und oxidischen Promotoren. Dies sind Stoffe, die einen Katalysator zu stärkerer Wirkung aktivieren, im Falle der Ammoniaksynthese etwa Aluminiumoxid, Kaliumoxid, Calciumoxid und Magnesiumoxid.[11] Die verwendeten Rohmaterialien müssen frei von Katalysatorgiften sein. Der Präkursorkontakt, Magnetit mit Promotoren, wird in einem Schmelzprozess hergestellt. Die Promotoren müssen in der Magnetit-Schmelze homogen verteilt sein. Dies wird durch ein anfängliches Erhitzen der Mischung auf über 3500 °C erreicht, wodurch die Schmelze niedrigviskos wird. Ein weiterer Faktor bei der Produktion der Präkursorkontakte ist die Abkühlrate der Schmelze. Schnelleres Abkühlen führt zu Katalysatoren besserer Qualität, die jedoch weniger abriebresistent sind; in der Praxis wird dennoch die schnelle Abkühlvariante bevorzugt.[17]

Reduktion des Präkursors

Die Reduktion des Präkursorkontakts wird mit Synthesegas durchgeführt. Aus dem Magnetit entsteht dabei eine hochporöse, katalytisch sehr aktive Form des kubisch raumzentrierten α-Eisens. Die Promotoren, außer Cobalt, werden nicht reduziert. Für eine optimale Katalysatorqualität muss die Reduktion in einer bestimmten Weise durchgeführt werden. Der Dampfdruck des bei der Reduktion entstehenden Wassers muss im Gasgemisch möglichst gering gehalten werden, wobei Werte von unter 3 g m−3 angestrebt werden. Kommt Wasserdampf in Kontakt mit einem bereits reduzierten Katalysator, führt das speziell in Verbindung mit hohen Temperaturen zu vorzeitiger Alterung des Katalysators durch Rekristallisation. Die Reduktion wird daher bei hohem Gasaustausch, geringem Druck und kleinstmöglichen Temperaturen durchgeführt.

In der Praxis wird die Reduktion des Katalysators direkt in der Produktionsanlage durchgeführt. Die Exothermie der Ammoniakbildung sorgt für eine schrittweise Erhöhung der Temperatur.[17] Die Reduktion von frischem, komplett oxidierten Katalysator beziehungsweise des Präkursors bis zum Erreichen der vollen Kapazität dauert 4–10 Tage.[17] Die Wüstit-Phase (FeO) wird schneller und bei geringeren Temperaturen reduziert, als die Magnetit-Phase (Fe2O3). Nach detaillierten kinetischen, mikroskopischen und röntgenspektroskopischen Untersuchungen wurde für die Reduktion das folgende Modell entwickelt:

  1. Wüstit (FeO) wird zu Beginn zu metallischem Eisen umgesetzt.
  2. Diese Reaktion führt zu einem Gradienten an Eisen(II)ionen.

Wegen dieses Gradienten diffundieren Eisen(II)ionen rasch vom Fe2O3 durch das FeO an die Grenzfläche, wo sie als Eisenkeime ausfallen. Die Diffusion wird durch Defekte im FeO ermöglicht. Die Reduktion von Fe3+ zu Fe2+ an der Magnetit-Wustit-Grenzfläche wird nicht durch direkten Kontakt mit Wasserstoff, sondern durch Ionen- und Elektronen-Diffusion verursacht. Dieser Prozess führt zu einer Schalen-Struktur.

Zusamensetzung eines Kontakts[18] % Eisen % Kalium % Aluminium % Calcium % Sauerstoff
Volumenzusammensetzung 40,5 0,35 2,0 1,7 53,2
Oberflächenzusammensetzung vor Reduktion 8,6 36,1 10,7 4,7 40,0
Oberflächenzusammensetzung nach Reduktion 11,0 27,0 17,0 4,0 41,0

In der technischen Praxis haben vorreduzierte, stabilisierte Katalysatoren einen bedeutenden Marktanteil errungen. Dies sind Katalysatoren, die bereits die volle Porenstruktur des normalen Katalysators durch Reduktion bekommen haben, wie ein aktiver Katalysator, dann jedoch noch einmal oberflächlich oxidiert wurden. Durch diese Oxidation sind sie nicht mehr pyrophor, wie es die reduzierten Katalysatoren sonst sind. Das Reaktivieren solcher vorreduzierter Katalysatoren benötigt nur 30–40 Stunden. Neben der geringen Anlaufzeit besitzen solche Katalysatoren noch weitere Vorteile, wie eine höhere Wasserresistenz und ein geringeres Gewicht.[17]

Andere Katalysatoren als Eisen

Die meisten Anstrengungen zur Verbesserung des industriellen Verfahrens zur Synthese von Ammoniak flossen in die Synthesegas-Produktion und führten dort zu bedeutenden Fortschritten. Bei der Verbesserung des Katalysators zur Ammoniak-Synthese hingegen hat es seit den 1920ern keine bedeutenden Fortschritte mehr gegeben. Der Eisenkatalysator benötigt noch immer einen hohen Druck (wenigstens 130 bar), hohe Temperaturen (400–500 °C) und große Volumen (Reaktor von wenigstens 100 m³ für eine Produktionskapazität von 1800 t/d). Nach theoretischen und praktischen Studien ist der Spielraum für weitere Verbesserungen des Eisenkatalysators begrenzt. Die theoretischen Möglichkeiten zur Energieersparnis sind hingegen gewaltig; wenn der Druck auf das Niveau der Synthesegas-Produktion gesenkt werden könnte, könnte ungefähr 1 GJ/t Ammoniak eingespart werden.[17]

Auf der Suche nach alternativen Katalysatoren wurden die meisten Metalle bereits intensiv getestet. Eine große Verbesserung brachte eine Modifizierung des Eisenkatalysators durch Cobalt um 1984. Das einzig andere, vielversprechende Element ist Ruthenium.[17] Eisen wurde aufgrund des Preises, der Verfügbarkeit, der einfachen Verarbeitung, der Lebensspanne des Katalysators und der Aktivität ausgewählt. Haber selbst wollte zunächst Osmium und Uran als Katalysatoren verwenden. Die grafische Darstellung der Adsorptionsenthalpien von Stickstoff bei verschiedenen Elementen gegenüber der Reaktionsgeschwindigkeit in einer Vulkankurve zeigt eine gute Aktivität für beide Metalle. Uran reagiert jedoch während der Katalyse zum Nitrid, Osmiumoxid ist sehr selten, flüchtig und hochgiftig, was ein Problem bei der Katalysatorherstellung ist.[19]

Nickel- und Cobalt-Katalysatoren neigen zu einer stark dissoziativen Adsorption der Stickstoffmoleküle und behindern so die Weiterreaktion zum Ammoniak; Mangan- und Chrom-Katalysatoren hingegen adsorbieren Stickstoff nur in geringem Maße. Sie sind daher weniger geeignet, Stickstoff für die Ammoniaksynthese zu aktivieren. Das Vulkandiagramm zeigt ein Optimum für Metalle der Gruppe 8 (Eisengruppe). Ein katalytisch aktives Element muss den Stickstoff auf der einen Seite dissoziativ adsorbieren, auf der anderen Seite aber nicht zu stark binden, da es sonst zu Selbstvergiftung kommt. Die Metalle links der Eisengruppe zeigen eine zu starke Bindung zu Stickstoff und vergiften sich selbst durch eine Bildung von Volumen- oder Oberflächennitriden. Metalle rechts der Eisengruppe bilden keine Bindung zu Stickstoff aus und erleichtern somit auch nicht die Dissoziation. Für Eisen beträgt die Adsorptionsenthalpie 200 kJmol−1. Sie berechnet sich aus der Differenz der Bindungsenergie der adsorbierten Atome DMN (2 x 570 kJmol−1) und der Dissoziationsenergie für gasförmigen Stickstoff (945 kJmol−1).[19]

Katalysatoren der zweiten Generation

Ruthenium-Katalysatoren werden als Katalysatoren der zweiten Generation bezeichnet, da sie bei vergleichbaren Drücken und niedrigeren Temperaturen eine höhere Aktivität zeigen. Die Aktivität des Ruthenium-Katalysators ist stark vom Katalysatorträger und den Promotoren abhängig. Als Träger kommen eine Vielzahl von Substanzen infrage, neben Kohlenstoff sind dies Magnesiumoxid, Aluminiumoxid, Zeolite, Spinelle und Bornitrid.[20] Ruthenium-Aktivkohle-Katalysatoren werden seit 1992 industriell im „KBR Advanced Ammonia Process“ (KAAP, dt. etwa weiterentwickelter Ammoniak-Prozess nach Kellogg, Brown und Root) verwendet.[21] Der Kohlenstoffträger wird teilweise zu Methan abgebaut, was die Lebensspanne des Katalysators reduziert. Um das Problem der Methanisierung zu mildern, wird der Kohlenstoff zuvor bei 1500 °C behandelt. Außerdem geht von dem fein dispergierten Kohlenstoff eine Explosionsgefahr aus. Magnesiumoxid hat sich als gute Alternative erwiesen, besonders aufgrund der niedrigen Acidität. Generell ist Ruthenium auf basischen Trägern am reaktivsten. Aufgrund der geringen strukturellen Stabilität wird reines Magnesiumoxid nicht in der Industrie verwendet. Ein Träger mit aciden Eigenschaften ist generell nicht geeignet, da er dem Ruthenium verfügbare Elektronen entzieht sowie gegebenenfalls entstehenden Ammoniak an der Oberfläche bindet.[20]

Katalysatorgifte

Katalysatorgifte reduzieren die Aktivität des Katalysators. Diese Substanzen sind entweder Bestandteil des Synthesegases oder stammen aus Verunreinigungen aus dem Katalysator selbst. Zweiteres spielt keine größere Rolle. Wasser, Kohlenstoffmonoxid, Kohlenstoffdioxid und Sauerstoff sind temporäre Katalysatorgifte. Schwefel-, Phosphor-, Arsen- und Chlor-Verbindungen sind permanente Katalysatorgifte.[17]

Inerte Bestandteile des Synthesegasgemischs wie Edelgase oder Methan sind zwar keine Katalysatorgifte im eigentlichen Sinn, reichern sich aber durch die Zyklisierung der Prozessgase an und reduzieren so den Partialdruck der Reaktanden. Dies hat einen negativen Effekt auf die katalytische Umsetzung.

Reaktionstechnik

Synthesebedingungen

Veränderung von Keq mit der Temperatur für das Gleichgewicht
N2 (g) + 3H2 (g) Vorlage:Unicode 2NH3 (g)[22]
Temperatur (°C) Keq
300 4,34 × 10−3
400 1,64 × 10−4
450 4,51 × 10−5
500 1,45 × 10−5
550 5,38 × 10−6
600 2,25 × 10−6

Die Ammoniaksynthese findet bei einem Mengenverhältnis Stickstoff zu Wasserstoff von 1 zu 3, einem Druck von 250 bis 350 bar, einer Temperatur von 450 bis 550 °C und unter Verwendung von α-Eisen als Katalysator gemäß folgender Gleichung statt:

Die Reaktion ist eine exotherme, unter Volumenverminderung ablaufende Gleichgewichtsreaktion, deren Massenwirkungskonstante Keq sich aus folgender Gleichung ergibt:

Da die Reaktion exotherm ist, verschiebt sich das Gleichgewicht der Reaktion bei niedrigeren Temperaturen auf die Seite des Ammoniaks. Weiterhin entstehen aus vier Volumenteilen der Rohmaterialien zwei Volumenteile von Ammoniak. Gemäß dem Prinzip vom kleinsten Zwang begünstigt ein hoher Druck daher ebenfalls die Entstehung von Ammoniak. Es ist ein hoher Druck notwendig, um eine ausreichende Oberflächenbedeckung des Katalysators mit Stickstoff zu gewährleisten.[23]

Der Katalysator Ferrit (α-Fe) entsteht im Reaktor durch die Reduktion von Magnetit mit Wasserstoff. Dieser ist ab Temperaturen von etwa 400 bis 500 °C optimal wirksam. Durch den Katalysator wird die Aktivierungsbarriere für die Spaltung der Dreifachbindung des Stickstoffmoleküls stark abgesenkt, dennoch sind hohe Temperaturen für eine angemessene Reaktionsgeschwindigkeit erforderlich. Bei der gewählten Reaktionstemperatur liegt das Optimum zwischen dem Zerfall von Ammoniak in die Ausgangsstoffe und der Wirksamkeit des Katalysators.[24] Das gebildete Ammoniak wird laufend aus dem Reaktionssystem entfernt. Der Volumenanteil von Ammoniak im Gasgemisch beträgt rund 20 %.

Die inerten Bestandteile, besonders die Edelgase wie Argon, dürfen einen bestimmten Gehalt nicht überschreiten, um den Partialdruck der Reaktanden nicht zu sehr abzusenken. Zur Entfernung der inerten Gasbestandteile wird ein Teil der Gases abgezogen und das Argon in einer Gastrennanlage abgeschieden.

Großtechnische Durchführung

Moderne Ammoniakanlagen erzeugen mehr als 3000 Tonnen pro Tag in einer Produktionslinie. Das Schema zeigt den Aufbau einer Haber-Bosch-Anlage.

Primärreformer Lufteinspeisung Sekundärreformer CO-Konvertierung Waschturm Ammoniakreaktor Wärmetauscher Ammoniakkondensator

Zur Herstellung von Wasserstoff mittels Dampfreformierung reagiert Methan mit Wasserdampf mit Hilfe eines Nickeloxid-Aluminiumoxid-Katalysators im Primärreformer zu Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff. Die dafür benötigte Energie, die Enthalpie , beträgt dabei .

Im Primärreformer setzt sich das Methangas nur unvollkommen um. Um die Ausbeute zu erhöhen, wird in einem zweiten Schritt im Sekundärreformer das restliche Methangas mit Sauerstoff zu Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff umgesetzt. Der Sekundärreformer wird hierzu mit Luft beschickt, wobei der für die spätere Ammoniaksynthese erforderliche Stickstoff automatisch in das Gasgemisch kommt.

In einem dritten Schritt muss das Kohlenstoffmonoxid zu Kohlenstoffdioxid oxidieren, was als CO-Konvertierung oder Wassergas-Shift-Reaktion bezeichnet wird.

Kohlenstoffmonoxid und Kohlenstoffdioxid bilden mit Ammoniak Feststoffe, so genannte Carbamate, die in kurzer Zeit Rohrleitungen und Apparate verstopfen würden. Im folgenden Prozessschritt muss daher das Kohlenstoffdioxid aus dem Gasgemisch entfernt werden. Im Gegensatz zu Kohlenstoffmonoxid kann Kohlenstoffdioxid durch eine Gaswäsche mit Triethanolamin leicht aus dem Gasgemisch entfernt werden. Das Gasgemisch enthält noch Edelgase wie Argon sowie Methan als inerte Bestandteile.

Danach wird das Gasgemisch mittels Turbokompressoren auf den benötigten Betriebsdruck komprimiert. Die entstehende Verdichtungswärme wird mittels Wärmetauschern abgeführt; sie wird zur Vorheizung von Rohgasen eingesetzt.

Im Ammoniakreaktor findet die eigentliche Herstellung von Ammoniak statt. Moderne Ammoniak-Reaktoren sind als Etagenreaktoren ausgeführt, bei denen die Kontakte als Schüttungen auf übereinander befindlichen Etagen verteilt sind. Sie werden von oben nach unten nacheinander vom Gasgemisch durchströmt. Zwischen den Etagen wird das Reaktionsgemisch mittels Wärmetauschern gekühlt.

Die Reaktionsprodukte werden für eine maximale Ausbeute laufend entfernt. Sie werden von 450 °C heruntergekühlt und das erzeugte Ammoniak kondensiert aus. Die noch nicht umgesetzten Edukte Stickstoff und Wasserstoff werden, um Frischgas ergänzt, im Kreislauf wieder dem Reaktor zugeführt.

Nach der Reaktion wird das Gasgemisch mittels Wasser, frisch zugeführten Gasen und durch verdampfenden Ammoniak abgekühlt und auskondensiert. Das Ammoniak wird dann in einem Druckabscheider abgetrennt und das nicht umgesetzte Gas mittels eines Kreislaufgasverdichters wieder auf Reaktionsdruck verdichtet.

Produkte

Das Primärprodukt Ammoniak wird zu etwa 80 % zu Dünger weiterverarbeitet, 20 % entfallen auf andere Produkte. Die wichtigsten auf Ammoniak basierenden Stickstoffdünger sind neben den gasförmigen und wässrigen Lösungen von Ammoniak das Ammoniumnitrat und Harnstoff. Dessen Produktion in einem Hochdruckverfahren geht auf Carl Bosch und Wilhelm Meiser zurück und wurde 1922 von der BASF erstmalig in Betrieb genommen.[25] Dabei reagieren Ammoniak und Kohlenstoffdioxid im ersten Schritt zu Ammoniumcarbamat:

Das entstehende Ammoniumcarbamat reagiert im zweiten Schritt weiter zu Harnstoff und Wasser:

Weitere, viel verwendete Dünger sind Folgeprodukte der Salpetersäure wie Kaliumnitrat, partiell oder vollständig mit Ammoniak neutralisierte Phosphate wie Mono-, Di- und Ammoniumpolyphosphate, Ammoniumsulfat sowie Ammoniumnitrat-Harnstoff-Lösung.[26]

Die weitere Palette der Folgeprodukte ist äußerst vielfältig und reicht von Harnstoffharzen, Sulfonamiden über Nitrobenzol und dessen Folgeprodukt Anilin in die Polyurethan- und Farbstoffchemie, Caprolactam für die Produktion von Polymeren und bis hin zu Raketentreibstoffen wie Hydrazin.

Die installierte Produktionskapazität dieses Verfahrens betrug 2014 etwa 224 Millionen Tonnen. Damit wird der Großteil des jährlich benötigten Ammoniaks mit dem Haber-Bosch-Verfahren erzeugt.[27] Aufgrund des hohen Energiebedarfs bei der Herstellung des benötigten reinen Wasserstoffs entfallen etwa 1,4 % des Weltenergieverbrauchs auf das Haber-Bosch-Verfahren. Heutzutage hat, zumindest bei der Bevölkerung der Industrienationen, etwa 40 % des im menschlichen Körper enthaltenen Stickstoffs schon einmal an der Haber-Bosch-Synthese teilgenommen.[28]

Mechanismus

Elementarschritte

Gerhard Ertl, 2007, erhielt für die Aufklärung des Mechanismus den Nobelpreis in Chemie.

Der Mechanismus der Ammoniaksynthese unterteilt sich in die folgenden sieben Schritte:

  1. Transport der Edukte aus der Gasphase durch die Grenzschicht an die Oberfläche des Kontakts
  2. Porendiffusion zum Reaktionszentrum
  3. Adsorption der Reaktanten
  4. Reaktion
  5. Desorption der Produkte
  6. Rücktransport der Produkte durch das Porensystem an die Oberfläche
  7. Rücktransport ins Gasvolumen.

Wegen der Schalenstruktur des Katalysators sind die ersten beiden Schritte schnell gegenüber der Adsorption, der Reaktion und der Desorption. Aus verschiedenen Untersuchungen ist bekannt, dass der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Ammoniaksynthese die Dissoziation des Stickstoffs ist.[17]

Die Adsorption des Stickstoffs an der Katalysatoroberfläche hängt neben den Reaktionsbedingungen von der mikroskopischen Struktur der Katalysatoroberfläche ab. Eisen weist verschiedene Kristallflächen auf, deren Reaktivität höchst unterschiedlich ist. Die Fe(111)- und Fe(211)-Flächen weisen die mit Abstand höchste Aktivität auf. Die Erklärung dafür ist, dass nur diese Flächen so genannte C7-Plätze aufweisen – das sind Eisenatome mit sieben nächsten Nachbarn.[17]

Die dissoziative Adsorption des Stickstoffs auf der Oberfläche folgt folgendem Schema, wobei S* ein Eisenatom an der Oberfläche des Katalysators bedeutet:

N2 → S*–N2 (γ-Spezies) → S*–N2–S* (α-Spezies) → 2 S*–N (β-Spezies, Oberflächennitrid)

Die Adsorption von Stickstoff ähnelt der Chemisorption des Kohlenstoffmonoxid. Auf einer Fe(111)-Fläche führt die Adsorption von Stickstoff zunächst zu einer adsorbierten γ-Spezies mit einer Adsorptions-Energie von 24 kJmol−1 und einer N-N-Streckschwingung von 2100 cm−1. Da der Stickstoff zu Kohlenstoffmonoxid isoelektronisch ist, adsorbiert er in einer On-end-Konfiguration in der das Molekül über ein Stickstoffatom senkrecht zur Metalloberfläche gebunden ist.[29][30][17] Dies wurde durch Photoelektronenspektroskopie bestätigt.[31]

Ab-initio-MO-Rechnungen haben gezeigt, dass neben der σ-Hinbindung des freien Elektronenpaars des Stickstoffs zum Metall eine π-Rückbindung aus den d-Orbitalen des Metalls in die π*-Orbitale des Stickstoffs vorliegt, welche die Eisen-Stickstoff-Bindung stärkt. Der Stickstoff im α-Zustand ist mit 31 kJmol−1 stärker gebunden. Die dadurch resultierende N-N-Bindungsschwächung konnte durch eine Verringerung der Wellenzahlen der N-N-Streckschwingung auf 1490 cm−1 experimentell belegt werden.[30]

Ein weiteres Aufwärmen der Fe(111)-Fläche, die von α-N2 bedeckt ist, führt sowohl zu Desorption als auch zum Auftauchen einer neuen Bande bei 450 cm-1. Diese stellt eine Metall-N-Schwingung dar, den β-Zustand. Ein Vergleich mit Schwingungsspektren von Komplexverbindungen lässt den Schluss zu, dass das N2-Molekül „side-on“ gebunden ist, mit einem N-Atom in Kontakt zu einem C7-Platz. Diese Struktur wird als „Oberflächennitrid“ bezeichnet. Das Oberflächennitrid ist sehr stark an die Oberfläche gebunden.[31] Daran addieren sich schnell Wasserstoffatome (Hads), die auf der Katalysatoroberfläche sehr beweglich sind.

Es bilden sich infrarotspektroskoisch nachgewiesene Oberflächenimide (NHad), Oberflächenamide (NH2,ad) und Oberflächen-Ammoniakate (NH3,ad), letztere zerfallen unter NH3-Abgabe (Desorption).[32] Die einzelnen Moleküle wurden mit Röntgenphotoelektronenspektroskopie (XPS), Hochauflösende Elektronenenergieverlustspektroskopie (HREELS) und IR-Spektroskopie identifiziert beziehungsweise zugeordnet.

Reaktionsschema

Auf Basis dieser experimentellen Befunde kann ein Reaktionsschema erstellt werden, das aus den folgenden Einzelschritten besteht:

H2 + S* ⇌ 2 Had
N2 + S* ⇌N2,ad
N2,ad⇌ 2 Nad
Nad + Had ⇌ NHad
NHad + Had ⇌ NH2,ad
NH2,ad + Had ⇌ NH3,ad
NH3,ad ⇌ NH3 + S*

So wie bei jedem Haber-Bosch-Katalysator ist bei Ruthenium-Aktivkohle-Katalysatoren der geschwindigkeitsbestimmende Schritt die Stickstoff-Dissoziation. Das aktive Zentrum ist hierfür bei Ruthenium ein sogenannter B5-Platz, einer 5-fach koordinierte Position an der Ru(0001)-Oberfläche, an der zwei Ruthenium-Atome eine Stufenkante mit drei Ruthenium-Atomen der Ru(0001)-Oberfläche bilden.[33] Die Zahl an B5-Stelle ist abhängig von Größe und Form der Ruthenium-Partikel, dem Ruthenium-Präkursor und der verwendeten Menge an Ruthenium.[20] Die verstärkende Wirkung des basischen Trägers hat die gleiche Wirkung wie der Promotoreffekt von Alkalimetallen, der hier ebenso wie beim Eisenkatalysator zum Tragen kommt.[20]

Energiediagramm

Energiediagramm

Mit dem Wissen um die Reaktionsenthalpie der einzelnen Schritte kann ein Energiediagramm erstellt werden. Mit Hilfe des Energiediagramms lassen sich homogene und heterogene Reaktion vergleichen: Aufgrund der hohen Aktivierungsenergie der Dissoziation von Stickstoff ist die homogene Gasphasenreaktion nicht durchführbar. Der Katalysator umgeht dieses Problem, da der Energiegewinn, der aus der Bindung von Stickstoffatomen an die Katalysatoroberfläche resultiert, die notwendige Dissoziationsenergie überkompensiert, sodass die Reaktion schlussendlich exotherm ist. Trotzdem bleibt die dissoziative Adsorption von Stickstoff der geschwindigkeitsbestimmende Schritt: Nicht wegen der Aktivierungsenergie, sondern vor allem aufgrund des ungünstigen präexponentiellen Faktors der Geschwindigkeitskonstante. Die Hydrierung ist zwar endotherm, diese Energie kann jedoch leicht von der Reaktionstemperatur (etwa 700 K) aufgebracht werden.[17]

Verfahrensvarianten

Casale-Verfahren

Das Casale-Verfahren wurde zu Beginn der 1920er Jahre von Luigi Casale entwickelt. Das Verfahren verwendet einen Eisen-Katalysator, arbeitet aber gegenüber dem Haber-Bosch-Verfahren mit einem Druck von etwa 800 bis 1000 bar.[34] Der Reaktor war dadurch kleiner und erlaubte durch einen internen, zentralen Wärmetauscher und die axiale Eindüsung von kaltem Gas eine gute Temperaturkontrolle.[35]

Der hohe Betriebsdruck erlaubte die direkte Kondensation von Ammoniak ohne Absorption in Wasser. Bis 1923 errichtete Casale in Europa und den Vereinigten Staaten 15 Anlagen mit einer Kapazität von etwa 80.000 Tonnen Ammoniak pro Jahr, 1927 betrug die installierte Kapazität bereits 320.000 Tonnen pro Jahr.[36] Zu dieser Zeit war Casale der einzige Wettbewerber der BASF. Insgesamt wurden mehr als 200 Ammoniakanlagen auf der Basis der ersten Technologie-Generation von Casale weltweit errichtet.[36]

Fauser-Verfahren

Das Fauser-Verfahren, benannt nach dem italienischen Elektroingenieur Giacomo Fauser, entsprach weitgehend dem Haber-Bosch-Verfahren, nutzte jedoch als Wasserstoffquelle die Elektrolyse von Wasser.[37] Die Fauser-Zelle nutzte 27 %iger Kalilauge als Elektrolyt und von Asbest umschlossene Anoden und Kathoden, die eine gute Trennung der entstehenden Gase sicherstellte. Das Verfahren wurde Anfang der 1920er Jahre von Montecatini eingeführt.[38]

Mont-Cenis-Verfahren

Das Mont-Cenis-Verfahren wurde von Friedrich Uhde entwickelt und 1926 erstmals auf der Zeche Mont Cenis in Betrieb genommen. Das Verfahren, auch Niederdruckverfahren genannt, arbeitet bei Drücken von 80 bis 90 bar und einer Temperatur von 430 °C. Der verwendete Katalysator war ein Eisencyanid-Aluminiumoxid-Katalysator, der aktiver als der von Mittasch entwickelte Katalysator war. Die milderen Prozessbedingungen erlaubten den Einsatz preiswerterer Stähle für die Konstruktion der Reaktoren.[39]

AMV-Verfahren

Imperial Chemical Industries entwickelte 1982 das AMV-Verfahren mit einen hochaktiven Eisen-Cobalt-Katalysator, der bei einem Reaktionsdruck von 100 bar und einer Temperatur von 380 °C arbeitet.[40] Cobalt ist selbst kaum katalytisch aktiv sondern dient der Stabilisierung des Kontakts durch Ausbildung von Spinell-Phasen mit dem Aluminiumoxid. Außerdem entstehen bei der Reduktion des Kontakts kleinere Eisenkristallite höherer Aktivität.[41]

Eine Weiterentwicklung des Verfahrens ist das 1988 von ICI entwickelte LCA-Verfahren (Leading Concept Ammonia), das für geringere Durchsätze bei gleichem Energieeinsatz konzipiert ist. Das Kohlenstoffdioxid, das in einer einstufigen Wassergas-Shift-Reaktion anfällt, wird durch Druckwechsel-Adsorption entfernt.[42]

Kellogg-Advanced-Ammonia-Verfahren

Im Jahr 1992 entwickelte M. W. Kellog einen Ruthenium-auf-Aktivkohle-Katalysator, der bei niedrigeren Drücken und Temperaturen arbeitet, unter dem Namen Kellogg-Advanced-Ammonia-Process (KAAP) ein.[43] Der benötigte Druck beträgt durch den aktiveren, aber teueren Rutheniumkatalysator nur noch etwa 40 bar. Als Promotoren werden Alkali- oder Erdalkalimetalle wie Cäsium und Barium verwendet.[44] Der Katalysator soll etwa 10 bis 20 mal so aktiv sein wie der herkömmliche Eisenkatalysator.

Solid State Ammonia Synthesis

Durch direkte elektrolytische Synthese von Ammoniak aus Wasser und Stickstoff unter Einsatz von elektrischer Energie wird der Umweg über Wasserstofferzeugung aus Wasser umgangen.[45] Der Wirkungsgrad ist dadurch höher. Die Bildung von Ammoniak erfolgt elektrochemisch nach folgender Gleichung:

Die Bruttogleichung der Reaktion ist:

Da Ammoniak ein energiereicher Stoff ist, wird jedoch immer noch sehr viel elektrische Energie benötigt. Dieses Verfahren ist daher nur wirtschaftlich, wenn sehr billige elektrische Energie zur Verfügung steht.

Commons: Haber-Bosch-Prozess – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur

Einzelnachweise

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  2. a b c Max Appl: Ammonia. In: Ullmann´s Encycopledia of Industrial Chemistry. S. 1-155. Wiley-VCH Verlag, 2006, DOI: 10.1002/14356007.a02_143.pub2, S. 11-13.
  3. William Crookes: Address of the President before the British Association for the Advancement of Science, Bristol, 1898. In: Science. 1898, S. 561–575, doi:10.1126/science.8.200.561.
  4. A. Hermann: Haber und Bosch: Brot aus Luft - Die Ammoniaksynthese. In: Physik Journal. 21, 1965, S. 168–171, doi:10.1002/phbl.19650210403.
  5. Fritz Haber, G. van Oordt: Über die Bildung von Ammoniak den Elementen. In: Zeitschrift für anorganische Chemie. 44, 1905, S. 341–378, doi:10.1002/zaac.19050440122.
  6. Patent US971501: Production of ammonia. Veröffentlicht am 27. September 1910, Erfinder: Fritz Haber, Robert Le Rossignol.
  7. Patent DE235421: Verfahren zur synthetischen Darstellung von Ammoniak aus den Elementen. Veröffentlicht am 13. Oktober 1908.
  8. a b c d Carl Bosch: The Development of the Chemical High Pressure Method During the Establishment of the New Ammonia Industry. Rede zur Verleihung des Nobelpreises am 21. Mai 1932.
  9. Armin Hermann, Charlotte Schönbeck (Hrsg.): Technik und Wissenschaft (Technik und Kultur). Springer, 1991, ISBN 3-540-62259-4, S. 441–442.
  10. Manfred Baerns, Arno Behr, Axel Brehm: Technische Chemie. Lehrbuch. Wiley-VCH, 2006, ISBN 3-527-31000-2, S. 623.
  11. a b A. Mittasch: Bemerkungen zur Katalyse. In: Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft (A and B Series). 59, 1926, S. 13–36, doi:10.1002/cber.19260590103.
  12. Werner Abelshauser, Wolfgang von Hippel, Jeffrey Alan Johnson: Die BASF. Von 1865 bis zur Gegenwart. C.H. Beck Verlag, 2002, ISBN 3-406-49526-5, S. 171.
  13. David Turnock: The Eastern European Economy, 1800–1989: Stages of Transformation in a Peripheral Region. Routledge Chapman & Hall, 2005, ISBN 1-4039-3287-5, S. 197.
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  16. Fangming Jin (Hrsg.): Application of Hydrothermal Reactions to Biomass Conversion. Springer, 2014, ISBN 978-3-642-54457-6, S. 221.
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