Neue Soziale Bewegungen
Neue Soziale Bewegungen entstanden zunächst in Westeuropa und Nordamerika mit dem Abflauen der 1968er-Studentenbewegungen und der APO seit Ende der 1960er Jahre. Ab Mitte der 1990er Jahre weiteten sich diese Bewegungen mit dem Erstarken der internationalen globalisierungskritischen Bewegung auch zunehmend auf Länder der so genannten "Dritten Welt" aus.
Die Protestbewegungen der 1960er Jahre hatten zusammen mit den Jugendkulturen und Subkulturen dieser Zeit, wie beispielsweise der Flowerpower- oder Hippiebewegung, ein neues politisch-soziales Bewusstsein und eine neue kulturelle Identität begründet. Getragen wurden die neuen Bewegungen zunächst vor allem von der Jugend aus den bürgerlichen Mittelschichten der Wohlstandsgesellschaften. Diese wandte sich gegen traditionelle kulturelle, moralische und gesellschaftspolitische Wertvorstellungen der Elterngenerationen, die oft als verlogen und heuchlerisch kritisiert wurden.
Bei alledem wohnte den Neuen Sozialen Bewegungen meist dennoch ein gewisser moralischer Wertekonservativismus inne, der sich mit einer allgemeinen antikapitalistischen Gesellschaftskritik verband, in der neben anderem insbesondere die Verschwendung der natürlichen Ressourcen der Erde und die Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums thematisiert wurden. Politisch-ideologisch war in den Bewegungen ein breites und buntes Spektrum an Weltanschauungen vertreten, die von anarchistischen über sozialistische bis hin zu besonders in der Ökologie- und Anti-Atomkraftbewegung zeitweise auch (latent) rechtsextremen (Minderheits)Positionen reichten.
Es gab und gibt unterschiedliche Organisationsgrade der neuen sozialen Bewegungen. Sie reichen von informellen selbstorganisierten kleinen lokalen und regionalen Basisgruppen ohne Vereinsstatus bis hin zu teils großen überregionalen, bisweilen auch internationalen Verbänden und (nicht-staatlichen) Organisationen. In neuerer Zeit hat sich für diese staats- und regierungsunabhängigen Organisationen der englische Begriff "nongovernmental Organizations" (NGOs) eingebürgert. Ihrem Wesen nach agieren die politisch aktiven neuen sozialen Bewegungen in der Regel als Außerparlamentarische Opposition, und versuchen als solche Einfluss auf lokale, regionale, nationale und auch internationale Bereiche von Politik, Kultur oder Wirtschaft zu gewinnen. In ihren Mitteln und Aktionen berufen sich die meisten Gruppen und Organisationen auf das Prinzip der Gewaltfreiheit, die teilweise unterschiedlich radikal ausgelegt wird. Dabei schließen manche Aktivisten gegebenenfalls auch Sabotage und andere, militantere Aktionsformen mit ein. Vereinzelt kam und kommt es bei verschiedenen Aktionen, vor allem in Auseinandersetzungen, bei denen von staatlicher Seite Polizei gegen die Aktivitäten der neuen sozialen Bewegungen eingesetzt wird, auch zu personenverletzender Gewalt.
siehe auch: APO, Studentenbewegung, 68er-Bewegung, Alternativbewegung, Hippie, Autonome, Soziale Bewegung
Spirituelle Sinnsuche; Alternative Lebens- und Wirtschaftsformen
Innerhalb der Neuen Sozialen Bewegungen wurde mit alternativen Formen des Zusammenlebens experimentiert. Viele Gruppen suchten ein sinnerfüllteres Dasein in einem vermeintlich einfacheren Leben auf dem Lande. Insbesondere in den USA, aber auch anderswo wurden Landkommunen gegründet, in denen ein Leben im Einklang mit der Natur gesucht wurde. Dabei spielte auch die Hinwendung bzw. Wiederentdeckung animistischer Naturreligionen, beispielsweise derjenigen der nordamerikanischen Indianer, eine zunehmende Rolle bei der Entwicklung einer neuen Spiritualität, zu der auch buddhistische und hinduistische Elemente in einer teils verfremdeten westlichen Auslegung beitrugen. In ihrer Sinnsuche wendeten sich große Teile aus dem Umfeld der neuen sozialen Bewegungen der 1970er und 1980er Jahre von den Lehren der christlichen Kirchen ab, wodurch weitere esoterische Inhalte verschiedenster Prägungen Einfluss auf deren Klientel gewannen, was mittel- bis langfristig auch zu einer gewissen Entpolitisierung der Bewegungen, zumindest Teilen davon, beitrug.
Mit der Gründung genossenschaftlich orientierter Landwirtschaftsprojekte entstanden auch neue landwirtschaftliche Betriebe, in denen nicht-hierarchische Strukturen vorherrschten, und wo vorrangig ökologische Bewirtschaftung betrieben wurde. Im Lauf der 1970er und 1980er Jahre wurden auch in anderen Wirtschaftsbereichen selbstverwaltete Betriebe aufgebaut, in denen nach ähnlichen Grundsätzen gearbeitet wurde. Mitte der 1980er Jahre kam es in der Bundesrepublik Deutschland zur Gründung der Ökobank, die das Geld ihrer Anleger unter anderem in sanfte, ökologische Technologien und in sozial gerechten, nicht ausbeuterischen Wirtschaftszweigen investieren sollte.
Nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Städten bildeten sich Kommunen und Wohngemeinschaften, aus denen heraus alternative Modelle zu herkömmlichen Formen der sozialen Gemeinschaft entwickelt wurden - auch außerhalb und unabhängig von traditionellen kleinfamiliären Bezügen. Dabei kam es auch zu einer verstärkten Enttabuisierung der Sexualität (siehe auch sexuelle Revolution). Mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen wurde offener und toleranter umgegangen, zumindest herrschte im Umfeld der neuen sozialen Bewegungen ein entsprechender Anspruch vor. Allerdings war die neue sexuelle Freizügigkeit im Allgemeinen nicht gar so stark ausgeprägt, wie dies in manchen konservativen Medien jener Zeit oft mit einer Mischung aus Faszination und moralischer Empörung behauptet wurde.
Der Begriff "Alternativbewegung" wurde zu einem Synonym für die Neuen Sozialen Bewegungen. Die gesuchten und teilweise gefundenen Alternativen hatten Auswirkungen auf Soziologie, Psychologie, Pädagogik, Medizin, Religion, Politik und andere gesellschaftliche Bereiche, in denen mittelfristig teilweise grundlegende kulturelle Wandlungsprozesse innerhalb der westlichen Industriegesellschaften in Gang gesetzt wurden.
siehe auch: Alternativbewegung, Kommune (Lebensgemeinschaft)
Teilbewegungen
Sehr schnell bildeten sich unterschiedliche Teilbewegungen mit größeren und kleineren, kurz- und langlebigen Organisationen und Vereinigungen heraus, die sich speziellen Einzelthemen (One Issue-Movements) besonders widmeten. Untereinander gab es Vernetzungen und oft auch themenübergreifende Verbindungen, insbesondere zwischen der Okölogie-, Anti-Atomkraft- und der neuen Friedensbewegung.
Neue Frauenbewegung, Schwulen- und Lesbenbewegung
Im gesellschaftlichen und geschlechtlichen Bereich traten beispielsweise die neue Frauenbewegung und die Schwulen- und Lesbenbewegung der Homosexuellen mit einer bis dahin nicht gekannten Offensivität an die Öffentlichkeit. Mit zunehmendem Erfolg, wenn auch bis dato nicht abgeschlossen, schafften es diese Bewegungen, das traditionelle geschlechtliche Rollenverständnis in Frage zu stellen und teilweise aus ihren Jahrhunderte-, wenn nicht Jahrtausende alten Rollenfestlegungen auszubrechen, bzw. gegebene Diskriminierungsschemata zu überwinden, indem sie sich zum Teil immer offensiver zu ihrem vermeintlichen Randgruppenstatus bekannten, bzw. auch aus ihm heraus traten.
Die bis in die 1970er Jahre hinein in Deutschland noch vorherrschende Kriminalisierung der Homosexualität wurde überwunden. Der Kampf der Schwulen und Lesben führte bis hin zur zumindest gesetzlichen Anerkennung der Homosexuellen-Ehe in der neueren Gegenwart.
Die neue Frauenbewegung propagierte ein verstärktes Selbstbewusstsein des weiblichen Teils der Gesellschaft, mehr Selbstbestimmungsrechte und Mitwirkungsmöglichkeiten der Frauen in Politik, Kultur und Wirtschaft. Mit der Zeitschrift "Emma" in der Bundesrepublik Deutschland wurde von Alice Schwarzer und anderen ein bedeutendes Medium geschaffen, das sich für die Rechte der Frau und gegen überholte Rollenklischees einsetzte. Sie trat außerdem zum Beispiel für die Reform bzw. Abschaffung des Abtreibungsparagraphen § 218 ein ("Mein Bauch gehört mir") und startete die "PorNo"-Kampagne gegen die Ausbeutung und Vermarktung des weiblichen Körpers, insbesondere im Rotlichtmilieu und der Pornographie sowie in der Werbung und anderen Medien.
Obwohl Frauen in vielen Bereichen noch immer gegenüber Männern benachteiligt sind, wurden im Lauf der Jahre doch viele bislang reine Männerdomänen aufgeweicht. Der Anteil der Frauen in leitenden Positionen von Industrie und Wirtschaft und in der Politik hat zugenommen. In den meisten demokratischen politischen Parteien Deutschlands gibt es inzwischen eine mal mehr, mal weniger hohe Frauenquote, durch die sich verschiedene Organisationen verpflichtet haben, das Engagement von Frauen zu fördern.
siehe auch: Frauenbewegung, Emanzipation, Christopher Street Day, Emma, Alice Schwarzer, Homosexualität
Ökologiebewegung, Anti-Atomkraftbewegung
Ebenfalls aus der Alternativbewegung heraus etablierte sich zunehmend ein neues Bewusstsein für ökologische Zusammenhänge. Die Verschmutzung und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen Wasser, Erde und Luft durch herkömmliche technologische Entwicklungen wurde ab den 1970er Jahren verstärkt durch die Ökologiebewegung ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Aus der Ökologiebewegung entwickelten sich auch große international agierende Organisationen wie etwa Greenpeace oder deren radikalere deutsche Abspaltung Robin Wood in den 1980er Jahren, die durch spektakuläre öffentlichkeitswirksame Aktionen Umweltskandale aufdeckten, teilweise behinderten oder auch verhinderten.
Ein Teil der Ökobewegung, die Anti-Atomkraftbewegung (siehe Atomkraftgegner) thematisierte die Gefahren für Mensch und Umwelt, die nicht nur von der militärischen, sondern gerade auch von der zivilen Nutzung der Atomenergie ausgingen. Auftrieb und Unterstützung durch breitere Bevölkerungsschichten erhielt die Anti-Atomkraftbewegung durch aufsehenerregende Unfälle und Katastrophen in einigen Atomanlagen wie zum Beispiel im US-amerikanischen Harrisburg und besonders nach der Explosion, dem GAU ("Größter anzunehmender Unfall") des ukrainischen Kernkraftwerks von Tschernobyl 1986.
Seit den 1970er Jahren war es vor allem in Westeuropa und insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland zu teilweise massiven Demonstrationen und Aktionen gegen bestehende und geplante Standorte von Atomkraftwerken (beispielsweise Whyl, Brokdorf in Deutschland, Zwentendorf in Österreich), Wiederaufbereitungsanlagen (WAA in Wackersdorf) oder Endlagerstätten (Gorleben) mit wechselndem Erfolg gekommen. An den entsprechenden Standorten, besonders bei den Auseinandersetzungen um Brokdorf 1982 und Wackersdorf bis 1986 war es mehrmals zu regelrechten Schlachten zwischen Demonstranten und polizeilicher Staatsgewalt gekommen. Bis in die Gegenwart werden die Castor-Transporte mit den abgebrannten radioaktiven Brennelementen etwa aus der französischen Wiederaufbereitunsanlage von La Hague ins deutsche Endlager nach Gorleben regelmäßig von manchmal auch militanten Atomkraftgegnern der Autonomen Szene behindert, was wiederholt massive Polizeieinsätze zur Sicherung der Transporte zur Folge hatte.
siehe auch: Atomkraftgegner, Ökologie, Umweltschutz, Greenpeace, Robin Wood, BUND
Neue Friedensbewegung
Ab Mitte der 1970er Jahre, insbesondere Anfang der 1980er Jahre wuchs eine Neue Friedensbewegung rasch an. Mitte der 1970er Jahre richtete sich ihr Protest gegen die Entwicklung der Neutronenbombe (1976), der eine Wiederbelebung der Ende der 1950er Jahre begründeten Ostermarschbewegung nach sich zog. Zwischen 1979 und Mitte der 1980er Jahre wuchs die neue Friedensbewegung zu einer Massenbewegung heran. In ihrem Widerstand gegen die Stationierung der neuen US-amerikanischen Mittelstreckenraketen Pershing II und Cruise Missiles (Marschflugkörper) im Rahmen des NATO-Doppelbeschlusses als Ausgleich gegen die sowjetischen SS 20-Raketen, verband die Friedensbewegung spektakuläre Großdemonstrationen auch mit Aktionen des zivilen Ungehorsams wie Sitzblockaden vor Militär- und Atomwaffenstandorten, Verweigerungskampagnen und anderem. Getragen wurde die Friedensbewegung von einem sehr breiten Spektrum, das von kirchlichen Basisgruppen über Gewerkschaften bis hin zu radikalpazifistischen und grundsätzlich antimilitarischen Gruppen aus einem sozialistischen bis anarchistischen Umfeld reichte. Ende der 1980er Jahre ebbte die Friedensbewegung wieder ab, erlangte aber ab den 1990er Jahren in Deutschland zeitweise immer wieder eine gewisse Bedeutung im Protest gegen die Kompetenzerweiterung der Bundeswehr und die nach dem Ende des kalten Krieges von den USA und ihren europäischen Alliierten geführten Kriege im Irak 1991, im Kosovokrieg in Jugoslawien 1999, sowie im Zuge des von US-Präsident George W. Bush proklamierten so genannten "Krieges gegen den Terrorismus" nach dem 11. September 2001 in Afghanistan 2002 und besonders gegen den 3. Golfkrieg der USA, Englands u.a. Alliierter 2003 gegen den Irak. Dieses bislang letzte große Aufflackern der deutschen und auch internationalen Friedensbewegung hatte mit mehreren Millionen Demonstranten weltweit eine breite globale Resonanz.
siehe auch: Friedensbewegung, Pazifismus, Graswurzelbewegung
Bürgerinitiativbewegung
Mit der Ökologie- und Anti-Atomkraftbewegung nahmen in den 1970er und 1980er Jahren die Gründungen von Bürgerinitiativen (BIs) sprunghaft zu. So entwickelte sich vor allem auf kommunalen und regionalen Ebenen eine relativ breite Bürgerinitiativbewegung in der Bundesrepublik Deutschland. Neben ökologischen Themen des Umweltschutzes wurden vor Ort auch zunehmend weitere soziale, kulturelle, verkehrspolitische und andere Projekte von den BIs aufgegriffen.
Ein verbreitetes Motto der BIs war: "Global denken, lokal handeln !"
Unter anderem wurden durch direkte Bürgerbeteiligung, zum Beispiel im Rahmen von kommunalen Bürgerentscheiden, Umgehungsstraßen um Wohngebiete, Fußgängerzonen oder Tempo 30-Zonen, Kindergärten, Jugendzentren und andere soziale Treffpunkte gefordert und teilweise durchgesetzt. Des Weiteren kam es zur Verhinderung verschiedener als problematisch angesehener Bau- / Straßenbauprojekte, Tunnels, der Verhinderung der Zerstörung von Naherholungsgebieten usw..
Stärker als im überregionalen Bereich waren in den basisnahen BIs auch bis dahin eher wenig politisch engagierte Bürger beteiligt.
Bundesweit bildete der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) den Dachverband der ökologisch orientierten BIs. Dieser arbeitete eng mit dem 1975 gegründeten Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) zusammen.
Verschiedene Bürgerinitiativen erlangten auch überregional und bundesweit politische Aufmerksamkeit und Bedeutung. Neben den großen Atomstandorten Whyl, Gorleben, Wackersdorf, Brokdorf u.a. war es beispielsweise Anfang der 1980er Jahre auch der Widerstand der Bürgerinitiative in Mörfelden-Walldorf gegen den Bau der Startbahn West des Frankfurter Rhein-Main-Flughafens, der zeitweise Zehntausende von Demonstranten aus ganz Deutschland mobilisieren konnte. Sie protestierten auch gegen die militärische Nutzung der geplanten Startbahn. Der Wald des vogesehenen Baugeländes wurde besetzt und in einem Hüttendorf eine Dauerpräsenz der Startbahngegner eingerichtet. Vom Hüttendorf aus kam es immer wieder auch zu militanten und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei, die noch einmal bei der letztlichen Räumung des Dorfes durch die Staatsgewalt eskalierten. Trotz des massiven Widerstands konnte der Bau der Startbahn West nicht verhindert werden.
siehe auch: Bürgerinitiative, BUND, Atomkraftgegner
Dritte Welt-Initiativen und -Solidaritätsgruppen, Antiimperilistische Bewegung; Globalisierungskritiker
Dritte Welt-Solidaritätsgruppen entwickelten sich im Anschluss an die Studentenbewegung der APO aus der antiimperialistischen Szene um die "Neue Linke" und anderen Gruppen. Sie solidarisierten sich mit den revolutionären Befreiungsbewegungen der Entwicklungsländer, insbesondere in den Staaten Süd- und Mittelamerikas. Damit wandten sie sich zugleich auch gegen den von ihnen so genannten us-amerikanischen "Neoimperialismus". In Westdeutschland bildete der in den 1970er Jahren gebildete "Bundesverband entwicklungspolitischer Aktionsgruppen" (BUKO) eine Art koordinierenden losen Dachverband dieser meist nicht hierarchisch in Vereinen strukturierten Initiativen.
Beispiele internationaler politischer Solidaritätsbestrebungen
Nach dem Militärputsch in Chile 1973, bei dem der demokratisch gewählte sozialistische Ministerpräsident der Unidad Popular, Salvador Allende, gestürzt wurde und um´s Leben kam, und General Augusto Pinochet eine Militärdiktatur errichtete, waren es auch Dritte Welt-Gruppen, die im Westen die Rolle der USA, ihrer Geheimdienste und amerikanischer Konzerne bei der Unterstützung des Putsches und der Diktatur publik machten.
1979 unterstützten antiimperialistische Gruppen die sandinistische Revolution der FSLN (siehe Sandinisten) unter Daniel Ortega gegen die Somoza-Diktatur in Nicaragua. Lateinamerika-Solidaritätskommitees bildeten unter anderem auch internationale Brigaden, die nach Nicaragua reisten und dort für die Revolution tätig waren. Die Brigaden halfen zum Beispiel mit, die Infrastruktur und medizinische Versorgung des Landes zu sichern.
Mit der umstrittenen Kampagne "Waffen für El Salvador" wurde in den beginnenden 1980er Jahren die linke Guerillabewegung FMLN gegen die Rechtsdiktatur im vom Bürgerkrieg geschüttelten El Salvador, dem kleinsten Land Mittelamerikas, unterstützt. Nach der Ermordung des dortigen Bischofs Oscar Romero, eines Vertreters der Befreiungstheologie, durch staatsterroristische Banden, gesellten sich auch zunehmend kritische christliche Gruppen zu den internationalistischen Solidaritskomitees.
1994 galt die Unterstützung den auch schon dezidiert globalisierungskritischen Zapatistas, die im Bundesstaat Chiapas in Südmexiko bei einem mehrjährigen Aufstand mehr Selbstbestimmungsrechte für die vornehmlich indianische Bevölkerung und ein Ende der wirtschaftlichen Bevormundung und Ausbeutung forderten.
Des weiteren setzte sich die internationale Solidaritätsbewegung für das Ende des rassistischen Apartheitsregimes in Südafrika ein. Sie forderte die Freilassung des ANC-Führers Nelson Mandelas und setzte sich in den 1980er Jahren für den Boykott südafrikanischer Waren ein. Durch den internationalen Druck kam es Anfang der 1990er Jahre zum demokratischen Wechsel in Südafrika. Mandela wurde nicht lange nach seiner Freilassung zum Staatspräsidenten Südafrikas gewählt.
Beispiele politisch kontroverser Einschätzungen in der internationalistischen Bewegung
Bei der Einschätzung der politischen Vorgänge in Asien, im Nahen und Mittleren Osten gab und gibt es stärker als bei anderen Kontinenten kontroverse, teils entgegengesetzte Meinungen innerhalb der Bewegung. Der Sturz des Schahs im Iran 1979 wurde zunächst einhellig begrüßt. Nach der Einführung des islamistischen Fundamentalismus durch Ayatholla Khomeini und seiner Unterdrückung der Volksmujaheddin wandten sich die Anhänger der iranischen Revolution im Westen schnell von ihr ab. Auch das Pol Pot-Regime der 1970er Jahre wurde von fast allen internationalistischen Gruppen wegen seiner blutig-grausamen Umsetzung abgelehnt. Unterschiedlich bewertet wurde der Kampf der Kurden für einen eigenen Staat. Zwar wurde der Bürgerkrieg der Türkei gegen die Kurden und die Unterdrückung der kurdischen Kultur und der PKK als revolutionäre Partei verurteilt. Allerdings standen viele einem radikalen kurdischen Nationalismus auch kritisch gegenüber. Noch weiter auseinander gingen die Meinungen in der internationalistischen Bewegung bei der Einschätzung der PLO in Israel / Palästina. Relativ einig war man sich in der Unterstützung der Forderung eines eigenen palästinensischen Staates neben Israel. Die Methoden der PLO, die in den 1970ern und später auch terroristische Anschläge beinhalteten wurden von Teilen der Bewegung legitimiert, von vielen anderen wurden sie jedoch abgelehnt. Ebenfalls sehr unterschiedlich fällt die neuere Entwicklung seit der Ministerpräsidentschaft Ariel Sharons in Israel aus. Der Krieg Israels gegen die Palästinenser findet zwar kaum Unterstützung; jedoch werden die Selbstmordanschläge aus den Reihen der Hamas und anderer radikaler Palästinensergruppen sehr kontrovers beurteilt. Für die einen sind es legitime Verzweiflungstaten eines unterdrückten und militärisch unterlegenen Volkes, für die anderen nicht mehr vertretbare terroristische Akte. In neuerer Zeit wird vor allem innerhalb der deutschen antiimperialistischen Bewegung in diesem Zusammenhang auch ein Antisemitismus-Streit geführt. Sympathisanten der Hamas und teilweise auch Kritikern der israelischen Regierung werden auch mehr oder weniger deutliche antisemitische Tendenzen vorgeworfen.
Wirtschaftliche und Soziale Standpunkte, Globalisierungskritik
Einer der Schwerpunkte der antiimperialistischen und Dritte Welt-Solidaritätsgruppen war das Thema Nord-Süd-Konflikt, dem nach Ansicht der Anhänger der Solidaritätsbewegung eine ungerechte Weltwirtschaftordnung zugrunde lag und liegt. Sie warfen den Industriestaaten des Nordens vor, ihren Wohlstand auf Kosten der Dritten Welt zu begründen und auszubauen.
Gefordert wurden andere Prioritäten in der Entwicklungshilfe, etwa die Förderung einer stärkeren Binnenorientierung der Wirtschaft in den Entwicklungsländern, um die dortige Importabhängigkeit auszugleichen. Außerdem wurden neben vielen anderen Maßnahmen Abschaffung und Verbot von Kinderarbeit, gerechtere Entlohnung vor allem der Landarbeiter, die vielerorts noch unter feudalistischen Strukturen arbeiteten, sowie eine Entschuldung der bei IWF und Weltbank hoch verschuldeten Staaten gefordert.
Mit dem Aufbau von 3. Welt-Läden wurde versucht, durch Direktabnahme von Produkten aus den Entwicklungsländern aus selbstverwalteten Betrieben und Kooperativen einen fairen Handel mit den entsprechenden Ländern zu propagieren und wenigstens ansatzweise umzusetzen. Insbesondere Kaffee, Tee, Südfrüchte und andere regionale Produkte wurden in Europa von den Initiativen zu Preisen angeboten, die den Produzenten eine bessere und damit gerechtere Entlohnung ihrer Arbeit gewährleisten sollten.
Nach dem Zerfall des kommunistischen Ostblocks und damit dem Ende des Kalten Krieges um 1990 kam es zusehends zu einer Öffnung des Weltmarkts im Zuge des so genannten "Neoliberalismus". Von dieser Öffnung profitierten insbesondere weltweit operierende Konzerne, die sich teilweise zu weltbeherrschenden Wirtschaftsriesen fusionierten. Forciert wurde die wirtschaftliche Globalisierung durch eine technologisch revolutionäre Entwicklung vor allem in der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) und der Telekommunikation, die besonders der Computerbranche und anderen neuen Technologien zugute kam. Der weltweite Handel und Börsenspekulationen in globalem Maßstab wurden und werden dadurch extrem vereinfacht.
Diese neue Phase des Kapitalismus hatte und hat grundlegende verändernde Auswirkungen sowohl auf die Sozialsysteme (Sozialabbau) in den Industriestaaten als auch und vor allem auf die wirtschaftlich und finanziell von den reichen Staaten abhängigen Länder der Dritten Welt. Mit dem zunehmenden Reichtum der großen Konzerne wuchs und wächst die Armut breiter Bevölkerungsschichten - nicht nur, aber vor allem in den Entwicklungsländern. Damit nimmt auch das soziale Gefälle zwischen Nord und Süd weiter zu.
Diese Entwicklung der wirtschaftlichen Globalisierung führte seit Mitte der 1990er Jahre, ausgehend unter anderem auch vom Aufstand der Zapatistas in Südmexiko, zu einer bis heute anwachsenden weltweiten globalisierungskritischen Bewegung, wobei sich die Kritik und der Widerstand im Wesentlichen gegen die sozialen und ökonomischen Folgen der Globalisierung von oben richtet, der die Bewegung eine soziale Globalisierung oder besser Internationalisierung von unten entgegenzusetzen versucht. In dieser Bewegung finden sich sehr viele verschiedene politische und ideologische Meinungen und Spektren mit entsprechend unterschiedlichen Schwerpunkten, Konzepten und Vorstellungen wieder.
Insbesondere während der Weltwirtschaftsgipfel der Industriestaaten, der so genannten G 8-Gipfel und anderen politischen und ökonomischen Zusammenkünften von Vertretern der mächtigen Staaten des Nordens kam es seit Ende der 1990er Jahre regelmäßig zu teilweise massiven Demonstrationen gegen die entsprechende Politik der Industrieländer, der WTO (Welthandelsorganisation), des IWF (Internationaler Währunsfonds) und der Weltbank, so zum Beispiel 1999 in Seattle in den USA oder 2001 beim G 8-Gipfel in Genua / Italien. Dort ging die Polizei teils unverhältnismäßig hart gegen auch friedliche Demonstranten vor. Einer der Demonstranten wurde bei den Polizeieinsätzen erschossen. Viele andere wurden zeitweise inhaftiert und / oder trugen bei Misshandlungen durch die Staatsgewalt teilweise schwere Verletzungen davon.
Seit 2001 treffen sich auf der Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftforum in Davos / Schweiz und anderen Wirtschaftsgipfeln globalisierungskritische Einzelpersonen, Gruppen und Organisationen beim Weltsozialforum, um politische, soziale und wirtschaftliche Konzepte und Strategien gegen die Globalisierung des Neoliberalismus und Kapitalismus zu entwerfen und zu diskutieren. Das Weltsozialforum tagte in den Jahren 2001 bis 2003 in Porto Alegre / Brasilien, 2004 in Bombay / Indien. Zusätzlich tagen regionale Sozialforen, die entsprechend dem Weltsozialforum auf einzelne Kontinente und Länder bezogene Arbeit leisten. Zuletzt tagte beispielsweise das europäische Sozialforum im November 2004 in Paris / Frankreich.
An all diesen Foren beteiligt ist auch die 1998 in Frankreich gegründete, international agierende und regional vernetzte Vereinigung Attac, die bis heute einen regen Zulauf an Mitgliedern verzeichnet. Attac wurde zuerst bekannt durch die Forderung nach Einführung der "Tobin-Steuer" auf Finanztransaktionen. Die Attac angeschlossenen Gruppen und Organisationen widmen sich in verschiedenen Arbeitsgruppen bis heute zunehmend um weitere Themengebiete der Globalisierung bis hinunter auf lokale und regionale Bereiche.
siehe auch: Internationalismus, BUKO, Globalisierung, Globalisierungsgegner, Globalisierungskritik, ATTAC, Antiimperialismus, Weltsozialforum, Neoliberalismus
Weitere Teilbewegungen, Gruppen, Themenbereiche
siehe auch: Liste sozialer und politischer Bewegungen
Neue soziale Bewegungen in Osteuropa
Auch in den kommunistischen Staaten Osteuropas entstanden während des kalten Krieges, zumindest in Ansätzen und mit zeitlicher Verzögerung gegenüber dem Westen, neue soziale Bewegungen, die sich an den westlichen Bewegungen orientierten, beispielsweise der Friedens- und Ökologiebewegung. Die entsprechenden Bewegungen waren in diesen Ländern jedoch weit größeren Repressalien ausgesetzt als im Westen und wurden zumeist von den jeweils regierenden Staatsparteien unterdrückt, zumal dann, wenn sie sich gegen die herrschende Regierungspolitik wandten. Im Großen Ganzen war der Einfluss der Ostbewegungen auf die politische Kultur und politische Entscheidungen in Osteuropa eher gering. Jedoch bildeten entsprechende Bewegungen und Gruppen hie und da durchaus auch Keimzellen für die sich verstärkenden Bürgerrechtsbewegungen der späten 1980er Jahre, die schließlich auch zu Massendemonstrationen für allgemeine politische Reformen führten, welche letztlich den Sturz der kommunistischen Ein-Parteien-Systeme des Ostblocks am Wechsel zu den 1990er Jahren und damit das Ende des kalten Krieges mit herbei führten.
In der DDR bildete sich Anfang der 1980er Jahre vor allem unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine staatsunabhängige Friedensbewegung heraus, die sich als Symbol das Motto und Bild "Schwerter zu Pflugscharen" wählte und auch die Aufrüstung der Warschauer Pakt-Staaten kritisierte. Vielen ihrer Anhänger, die sich zu dieser Bewegung bekannten, etwa indem sie das Symbol als Aufnäher an der Kleidung trugen, drohten Verhaftungen, Verhöre, Berufsverbot und andere Repressionen. Trotz der Unterdrückung der Friedensbewegung im eigenen Land, unterstützte die SED-Regierung die neuen sozialen Bewegungen, insbesondere die Friedensbewegung, im Westen, deren Massenwirkung sie für eigene propagandistische Zwecke ausnutzte.
Trotz allem erlangte die staatsunabhängige Friedensbewegung der DDR einen gewissen Zulauf und Bekanntheitsgrad. Die evangelischen Kirchen boten den Anhängern der "Schwerter zu Pflugscharen"-Bewegung eine weniger kontrollierte Nische, unter deren Dach sie sich treffen und Aktionen organisieren konnten.
Ebenfalls unter dem Schutz der Kirche vergrößerte sich eine staatskritische Bürgerrechtsbewegung in der DDR, die Ende der 1980er Jahre zu einer Massenbewegung heranwuchs. Der Druck der zunehmenden Demonstrationen, die unter der Parole "Wir sind das Volk" durch die Städte zogen, veranlasste die Staatsführung der DDR, am 9. November 1989 die Mauer zu öffnen; eine Maßnahme, die schließlich das Ende der DDR und deren Auflösung in der Bundesrepublik Deutschland einleitete. Einige alternative Gruppen, vor allem "Bündnis 90" schlossen sich nach der Wiedervereinigung den westdeutschen Grünen an und bildeten gemeinsam mit ihnen die fusionierte Partei Bündnis 90/Die Grünen. Allerdings blieben dieser neuen Partei im Osten Deutschlands nach 1990 nennenswerte Wahlerfolge versagt.
siehe auch: Kalter Krieg, Bürgerrechtsbewegung
Parteigründungen; Die Grünen
Bis in die 1980er Jahre wurden in den meisten Staaten Westeuropas und Nordamerikas "Grüne" Parteien gegründet. Diese verstanden sich zunächst als parlamentarisches Spielbein der Neuen sozialen Bewegungen, insbesondere der Öko-, der Friedens- und der Frauenbewegung, wo sie ihre Wurzeln und ihr Standbein sahen, und aus denen sich ihr Wählerpotenzial vornehmlich rekrutierte.
Eine Vorreiterrolle bei den entsprechenden Parteigründungen spielten dabei die westdeutschen Grünen. In der Bundesrepublik Deutschland bildeten sich bereits ab Mitte der 1970er Jahre "grüne", "bunte" und "alternative" Wahlbündnisse und -Listen, die sich den Zielen der Ökologie- und anderer Bewegungen verpflichtet sahen. Diese traten zunehmend in Kommunalwahlen an. 1979 wurden zum ersten mal Grüne Kandidaten ins Europaparlament gewählt.
Als Bundespartei wurden "die Grünen" am 1. Januar 1980 gegründet. In der Partei war zuerst noch ein sehr breites Spektrum an auch gegensätzlichen politischen und ideologischen Strömungen von links bis rechts vertreten. Die politische Rechte um Herbert Gruhl, dem Ökobauern Baldur Springmann und anderen, konnte sich nicht lange bei den Grünen halten. Sie bildeten bald eigene Vereinigungen, die jedoch auf längere Sicht politisch relativ bedeutungslos blieben. Die wohl bekannteste konservative Ökopartei war die von Herbert Gruhl in München gegründete Ökologisch Demokratische Partei (ÖDP)
Die Grünen schafften als neue parlamentarische Kraft 1983 das erste Mal den Einzug in den deutschen Bundestag. Drei Jahre zuvor waren sie noch an der 5 %-Hürde gescheitert. Viele Anhänger der Neuen sozialen Bewegungen hatten damals noch die SPD unter Helmut Schmidt als so genanntes "kleineres Übel" gewählt, um Franz Josef Strauß (CSU) als Bundeskanzler zu verhindern.
Nach der Trennung vom rechten Flügel blieben die 1980er Jahre auch während der parlamentarischen Arbeit von teilweise heftigen parteiinternen Konflikten bei den Grünen geprägt, die auch in der Öffentlichkeit ausgetragen wurden. Im Wesentlichen bildeten sich zwei Flügel der Partei heraus: Die so genannten "Fundis" (Fundamentalisten) und die "Realos" (Realpolitiker).
Die "Fundis" vertraten eine Position der radikalen, auch systemkritischen und gegenüber den etablierten Volksparteien möglichst kompromisslosen Opposition. Sie hielten an den basisdemokratischen Prinzipien des Rotationsprinzips und der Trennung von Amt und Mandat fest. Die "Realos" dagegen strebten mit einer entsprechenden Kompromissbereitschaft zunehmend auch Regierungsbeteiligungen an und kritisierten die genannten, zunächst gemeinsam getragenen Prinzipien zum Teil als auf Dauer unrealistisch und politisch unprofessionell.
In Folge der Konflikte traten im Lauf der Jahre einige prominente Wortführer der Partei aus den Grünen aus. Bei den "Realos" war dies beispielsweise Otto Schily, der zur SPD wechselte. Bei den "Fundis" war es 1989 eine relativ große Gruppe der so genannten Ökosozialisten um Thomas Ebermann, Rainer Trampert und Christian Schmidt. 1991 folgte ihnen mit Jutta Ditfurth eine der Mitbegründerinnen der Grünen.
Ditfurth gründete in Frankfurt am Main die Partei "Ökologische Linke", die jedoch bundesweit keinen parlamentarischen Einfluss gewinnen konnte. Von außerhalb der Grünen kritisierte Jutta Ditfurth in verschiedenen Publikationen konservative Tendenzen und die Entfernung von den einstigen Inhalten in ihrer ehemaligen Partei.
1986 waren die Grünen mit Joseph Fischer als Umweltminister das erste Mal an einer Landesregierung in Hessen beteiligt. In den 1990er Jahren etablierten sich die Grünen zusehends, und schafften 1991, nachdem sie 4 Jahre zuvor im Bund unter die 5 %-Hürde gefallen waren, den Wiedereinzug in den Bundestag - nach ihrer Vereinigung mit einem Teil der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung zur Partei "Bündnis 90/Die Grünen".
Trotz zunehmender Kritik von Teilen der Neuen sozialen Bewegungen, die ihnen vorwarfen, sich zusehends von ihrer Basis zu entfernen, konnten Bündnis 90/Die Grünen ihr Wählerpotenzial stabilisieren und gelangten schließlich 1998 in der Koalition mit der SPD mit an die Bundesregierung, die in ähnlicher Konstellation 2002 bestätigt wurde.
In der Regierung trugen die Grünen einige - gemessen an ihrem ursprünglichen, zum Beispiel pazifistischen Selbstverständnis - problematische Entscheidungen mit: So beispielsweise die deutsche Beteiligung am Kosovokrieg 1999 und anderen späteren internationalen Einsätzen der Bundeswehr - etwa im Rahmen des von US-Präsident George W. Bush proklamierten "Krieg gegen den Terrorismus". Auch manche andere, von den Grünen als Erfolg dargestellte Maßnahmen wie etwa der 1999 beschlossene Beginn des Ausstiegs aus der Atomenergie wurden kritisiert. Für große Teile der Anti-Atomkraft-Bewegung stellte der Ausstieg in der vorliegenden Form einen faulen Kompromiss mit der Atomindustrie dar, unter anderem, weil er zu langfristig angelegt war.
Bedingt durch die kritisierten Entscheidungen kam es seither die ersten Male dazu, dass Neue soziale Bewegungen auch gegen die Grünen, die einst von ihnen aus der Taufe gehoben worden waren, auf die Straße gingen. Im Zuge der deutschen Kriegsbeteiligung am Kosovokrieg und anderen internationalen militärischen Einsätzen kam es seit Ende der 1990er Jahre zu größeren Austrittswellen enttäuschter Grüner aus der Partei.
siehe auch: Die Grünen, Bündnis 90/Die Grünen
"New Age", Psychoszene, Esoterik, Innere Emigration
Parallel zu den Neuen sozialen Bewegungen entwickelten sich aus vielen ihrer Teilbewegungen heraus, vor allem in und aus der Neuen Frauenbewegung, der Ökologie- und der Friedensbewegung, mehr oder weniger stark ausgeprägte esoterische Strömungen, welche von Anfang an eine Begleiterscheinung der Neuen sozialen Bewegungen waren.
Die Esoterik beeinflusste insbesondere diejenigen, die außer den politischen Forderungen auch andere persönlicher geprägte Ziele hatten, und die in den Neuen sozialen Bewegungen auch eine Art "innere Heimat" und spirituelle Sinngebung suchten. Daneben führten die Konflikte, die es auch in den Bewegungen gab, bei manchen früher oder später zu einem Gefühl der Ausgebranntheit und Enttäuschung, was nicht selten zu einer Abwendung von den politisch motivierten Zielen und einer Hinwendung zu vermeintlich tiefgehenderen, oft auch religiös ausgerichteten Inhalten führte. Die Verklärung der Natur als mystischer Begriff beförderte zusätzlich entsprechende Tendenzen.
Unzufrieden mit den von vielen als starr, konservativ und überholt empfundenen Strukturen der christlichen Kirchen, entstand oft ein spirituelles Loch, das durch esoterische Inhalte gefüllt wurde.
Ab der 1970er Jahre entwickelte sich die "New Age"-Bewegung, die den Paradigmenwechsel eines neuen gesellschaftsumspannenden Zeitalters, des "Wassermann-Zeitalters" verkündete, welches das "Fische-Zeitalter" ablösen sollte.
Die auch von der "New Age-Bewegung" gepriesenen esoterischen Gedankenmodelle boten eine sehr breite und zunehmend unüberschaubar werdende Palette an meist irrationalen und oft auch dezidiert antirationalen Inhalten und Praktiken, die das Bedürfnis nach Sinn, Glück, körperlicher und seelischer Gesundheit vermeintlich zu erfüllen versprach. Es entstanden verschiedene quasi-religiöse Sondergruppen, (verschiedentlich auch Sekten genannt) und Psychogruppen, die traditionelle religiöse und spirituelle Inhalte verschiedener Religionen miteinander vermischten - unter anderem mit Elementen aus Christentum, Hinduismus, Buddhismus und verschiedenen animistischen Naturreligionen. Zeitweise kam es im religiösen und psychologischen Bereich zu einem Boom von größeren und kleineren Sekten und Psychogruppen wie etwa der Sanyassin-Bewegung um deren Guru Bhagwan Shree Rajneesh, den Hare Krishna-Jüngern, womit nur einige wenige Beispiele genannt sind.
Hinzu kamen neue psychotherapeutische Praktiken, insbesondere entlehnt aus der humanistischen Psychologie der USA, okkultistische Methoden, die Wiederbelebung der im 19. Jahrhundert entstandenen Theosophie und den anthroposophischen Thesen Rudolf Steiners.
Neue, "sanfte" Heilmethoden wie die Homöopathie und die Behandlung mit Naturheilmitteln wurden wiederbelebt. Auch fragwürdige Heilpraktiker, vorgebliche "Schamanen" und "Heiler" oder "Neue Hexen", die mit Pendeln, "Aura-Healing", Handauflegen, "Weißer Magie" und anderen, oft sehr obskuren und skurrilen Praktiken eine technisierte und verwissenschaftlichte Medizin ergänzen oder gar ablösen wollten, erhielten Zulauf von enttäuschten Patienten der herkömmlichen Schulmedizin. Vielversprechend erschien an der Alternativmedizin eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Menschen, die ihn nicht nur als biologisches Ersatzteillager sah.
Bis in die Gegenwart existiert ein seit Mitte der 1970er Jahre stetig gewachsener Markt an psychologischen, esoterischen und okkulten Lebenshilferatgebern, in denen die verschiedensten Lehren und vermeintlichen Weisheiten erfolgreich vermarktet werden. Sie reichen von Astrologie Bach-Blütentherapie über Engelsglauben, nicht-physikalischen Mondeinflüssen (Lunatismus) auf alles mögliche, Reiki, Reinkarnation, Ufologie, Tai Chi, Tarot bis hin zu Yoga und Zen-Buddhismus.
Der Einfluss der Esoterik und mit ihr einhergehender in sich geschlossener Gedankengebäude und Ideologien trug langfristig zu einer gewissen Entpolitisierung und Vereinzelung von Teilen der neuen sozialen Bewegungen bei und führte bei vielen ehemals politisch aktiven Menschen zur Flucht in eine Neue Innerlichkeit, sozusagen einer Inneren Emigration, wie ein Vorwurf der weiterhin politisch Aktiven lautet.
siehe auch: Esoterik, New Age, Okkultismus, Sekte, Alternativmedizin
Literatur
- Roland Roth, Dieter Rucht (Herausgeber): "Neue Soziale Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland"; Campus-Verlag 1987, ISBN 3-593-33823-8
- Ingrid Karsunke, Karl Markus Michel (Heraugeber): "Bewegung in der Republik 1965 bis 1984 - Eine Kursbuch-Chronik" 2 Bände, Lizenzausgabe Rotbuch-Verlag 1985, ISBN 3-88022-712-8
- Georg Haasken, Michael Wigbers: "Protest in der Klemme - Soziale Bewegungen in der Bundesrepublik"; Verlag Neue Kritik 1986, ISBN 3-8015-0205-8
- Rainer Buck: "Bürger machen Politik - Einflußnahme-Strategien-Bürgerinitiative"; Beltz-Verlag 1991, ISBN 3-407-30550-8
- Matthias Horx: "Die wilden Achtziger - Eine Zeitgeist-Reise durch die Bundesrepublik"; Carl Hanser Verlag 1987, ISBN 3-446-14971-6
- Matthias Horx: "Aufstand im Schlaraffenland - Selbstertkenntnisse einer rebellischen Generation"; Carl Hanser-Verlag 1989, ISBN 3-446-15393-4
- Jutta Ditfurth: "Entspannt in die Barbarei - Esoterik, (Öko-)Faschismus und Biozentrismus"; Konkret Literatur Verlag 1996, ISBN 3-89458-148-4
- Colin Goldner: "Die Psychoszene" - erweiterte und überarbeitete Neuauflage 2000; Alibri Verlag, Aschaffenburg 2000, ISBN 3-932710-25-8
- Hermann-Josef Beckers, Helmut Kohle (Herausgeber): "Kulte, Sekten, Religionen - Von Astrologie bis Zeugen Jehovas"; Pattloch-Verlag Augsburg 1994, ISBN 3-629-00636-1
- Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen - Fakten Hintergründe Klärungen"; 3. Auflage, Herder Verlag Freiburg im Breisgau 1990, ISBN 3-451-21408-3