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Flüchtlingspolitik (Deutschland)

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Als Flüchtlingspolitik wird die Gesamtheit der rechtlichen Vorgaben und der Praxis des Umgangs eines Staates (hier: Deutschlands bzw. seiner Vorgängerstaaten) mit Flüchtlingen und Asylbewerbern bezeichnet, die in den Staat einreisen oder sich dort dauerhaft aufhalten wollen bzw. sollen.

Geschichte der Flüchtlingsaufnahme bis 1990

Heiliges Römisches Reich seit der Reformation

Mit der Durchsetzung des Grundsatzes „Cuius regio, eius religio“ im Augsburger Religionsfrieden wurde im Heiligen Römischen Reich die Grundlage für den Typus des Glaubensflüchtlings geschaffen, der der „falschen“ Konfession angehörte und deshalb in ein Gebiet floh, dessen Landesherr dem eigenen Glauben angehörte. So wurde z.B. Köln während des Dreißigjährigen Krieges zum Fluchtort von Katholiken, unter ihnen auch hohen Würdenträgern.[1]

Brandenburg hatte Mitte des 17. Jahrhunderts durch den Dreißigjährigen Krieg etwa die Hälfte seiner Bevölkerung verloren, in der Uckermark waren sogar über 90 Prozent menschenleer. Um die Verluste auszugleichen, war das Land auf Zuwanderung zwingend angewiesen. Aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus wurden deshalb Fachkräfte aus der Landwirtschaft und Handwerker angeworben. Es wurden aber auch Menschen aufgenommen, die aus religiösen Gründen aus ihrer Heimat fliehen mussten: zum Beispiel die aus Frankreich vertriebenen Hugenotten, die aufgrund des Edikts von Potsdam nach Brandenburg kamen, und später auch zu anderen Ländern der Verwandschaft des Preussenkönigs, z. B. nach Ansbach-Bayreuth.[2], und der größte Teil der Lutheraner aus Salzburg, die 1731/32 im Königreich Preußen eine neue Heimat fanden. Die 1750 gegründete Kolonie Nowawes (Potsdam-Babelsberg) ist ein Beispiel für die Ansiedlung lutherischer und reformierter Glaubensflüchtlinge aus Böhmen.[3]

Glaubensflüchtlinge (Exulanten) aus dem Habsburgerreich wanderten vor dem Erlass des Toleranzpatents (1781) auch in andere protestantische Gebiete des Heiligen Römischen Reichs aus.

Während der Französischen Revolution flohen französische „Konterrevolutionäre“ in deutschsprachige Gebiete. Die erste Emigrationswelle in der ersten Hauptphase erfolgte unmittelbar nach den Ereignissen im Juli und August 1789. Zu den Emigranten des Sommers 1789 gehörte vor allem der Hochadel, besonders die direkte Verwandtschaft des Königs, sowie Teile des hohen Klerus und der Militärführung. Die zweite Welle setzte im Sommer 1790 mit dem Inkrafttreten der Gesetze zur Abschaffung des Feudalsystems und der Zivilkonstitution ein. Wiederum waren insbesondere Adlige, Geistliche und Offiziere unter den Emigranten. Eine dritte Welle begann schließlich nach dem 21. Juni 1791, dem Tag der gescheiterten Flucht König Ludwigs XVI. nach Varennes. Die zweite Hauptphase der Emigration vollzog sich nach den Septembermorden 1792 und der zunehmenden Radikalisierung der Revolution nach der Hinrichtung des Königs im Januar 1793. Es wanderten nun auch immer mehr Angehörige des Dritten Standes aus. Darunter waren viele ehemalige Anhänger der Revolution, teilweise sogar Girondisten, die mit den neuen Kräften in Paris gebrochen hatten oder inzwischen politischer Verfolgung ausgesetzt waren. Kleinere Auswanderungswellen wurden nach dem Ende der Terrorherrschaft durch den royalistischen Aufstand vom 5. Oktober 1795 in Paris, dessen Niederschlagung unter dem Kommando Napoleons erfolgte, und den Staatsstreich vom 18. Fructidor (4. September 1797) hervorgerufen.[4]


Kaiserreich und Weimarer Republik

Im Kaiserreich und in der Weimarer Republik war Deutschland eines der bevorzugten Länder für Juden, die aus Osteuropa, Ostmitteleuropa und Südosteuropa vor Pogromen und Diskriminierungen flohen.[5][6][7] Die erste große Welle ostjüdischer Flüchtlinge erreichte Deutschland als Folge der russischen Revolution und Gegenrevolution in den Jahren 1904/05. Mit dem Ersten Weltkrieg, der Polen in einen Hauptkriegsschauplatz verwandelte, setzte die zweite große Welle ostjüdischer Auswanderung ein. Diese Welle richtete sich infolge der Blockade der Mittelmächte hauptsächlich nach Mitteleuropa, nach Deutschland und Österreich. Hunderttausende polnischer Juden wanderten nach Wien und Berlin: Kinder einer fremden Kultur, mit einem fremden Jargon, fremden Sitten und fremden Auffassungen. Sie kamen meist als Flüchtlinge, verarmt und gezwungen, auf jede Weise ihr Leben zu fristen.[8] Allerdings gibt es keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass Ostjuden aus ihren Herkunftsgebieten eine verstärkte Neigung zur Kriminalität mitgebracht hätten.[9]

Die Historikein Anne-Christin Saß fand heraus, dass in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre sich Berlin von einem Ort der gestoppten Zuwanderung von Juden, die eigentlich in die USA oder nach Westeuropa hatten weiterziehen wollen, zum "world jewish center" entwickelt habe.[10] Dieser Wandel verstärkte nicht nur antisemitische Ressentiments der politischen Rechten, sondern löste auch Abwehrreaktionen bei voll integrierten, teilweise sogar an die deutsche Kultur assimilierten „Westjuden“ aus.[11]

Aufnahme von geflohenen und vertriebenen Deutschen und „Displaced Persons“ 1945–1949

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kamen nach einer Volkszählung im Jahr 1950 12,5 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus den abgetrennten deutschen Ostgebieten in die vier Besatzungsgebiete und nach Berlin. Zusätzlich gelangten drei Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus der Tschechoslowakei, 1,4 Millionen aus dem Polen der Vorkriegsgrenzen, 300.000 aus der bis 1939 unter der Verwaltung des Völkerbunds stehenden Freien Stadt Danzig, knapp 300.000 aus Jugoslawien, 200.000 aus Ungarn und 130.000 aus Rumänien nach Deutschland.[12] Vor allem in den Dörfern stießen diese Flüchtlinge und Vertriebenen oft auf Ablehnung der Alteingesessenen.

Im August 1952 wurde zur Entschädigung für die Vermögens- und Stellenverluste der Vertriebenen das sogenannte Lastenausgleichsgesetz erlassen. Die Rechtsstellung von „Vertriebenen“, „Heimatvertriebenen“, „Sowjetzonenflüchtlingen“ und Spätaussiedlern regelt das am 5. Juni 1953 in Kraft getretene Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz (BVFG).

Eine Sonderrolle in der Geschichte der Flüchtlingspolitik in Deutschland spielen die sogenannten „Displaced Persons“ der Zeit nach 1945. Die meisten von ihnen waren im Zuge des Zweiten Weltkriegs, vor allem als Zwangsarbeiter, nach Deutschland verschleppt worden. Nach einer großzügigen Definition galten auch befreite Kriegsgefangene, nach Kriegsbeginn freiwillig nach Deutschland gekommene Osteuropäer und vor der sowjetischen Armee Geflüchtete als „DPs“, sofern sie nicht zur Gruppe deutscher Vertriebener gehörten.[13] „DPs“ sollten (und wollten überwiegend auch) repratriiert, d.h. in ihre Herkunftsländer zurückgebracht werden. Bürger der Sowjetunion wurden auch gegen ihren Willen repatriiert; Polen und Balten sowie die Zwangsarbeiter aus den Teilen Weißrusslands und der Ukraine, die vor dem Krieg auf polnischem Staatsgebiet gelebt hatten, hatten aber die Wahl, ob sie in ihre Heimat zurückgehen, in ein anderes Land emigrieren oder in Deutschland bleiben wollten.[14] Da im östlichen Europa überall stalinistische Diktaturen errichtet wurden, waren viele „Displaced Persons“, insbesondere solche, die der Kollaboration mit den nationalsozialistischen Besetzern ihres Herkunftslands verdächtig waren, bestrebt, Deutschland nicht zu verlassen, da sie in ihrem Heimatland hohe Strafen zu erwarten hatten. Beispielsweise starb der ehemalige lettische General und spätere General der Waffen-SS Rūdolfs Bangerskis 1958 im Exil in Oldenburg (Oldb). Vom bundesdeutschen Gesetzgeber werden „Displaced Persons“ „heimatlose Ausländer“ genannt. Ihre Rechtsstellung auf der Grundlage des „Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet“ vom 25. April 1951[15] ähnelt der anerkannter Asylberechtigter.

In der Regensburger Ganghofersiedlung (dem ehemaligen „Göring-Heim“ der Nazis) entstand zwischen 1945 und 1949 auf Initiative der Amerikaner eine Siedlung für etwa 5000 „displaced persons“ aus der Ukraine.[16] Ähnliche Siedlungen entstanden auch andernorts in Deutschland. Kontakte zu Deutschen außerhalb der Lager bzw. Siedlungen gab es kaum oder sie waren oberflächlicher Natur. 1950 kommentierte die Rheinische Post die Auflösung eines mit Displaced Persons belegten „Polenlagers“ in Solingen mit der Bemerkung, endlich sei es vorbei mit der „polnischen Wirtschaft“; anstelle des „Nachkriegs-Schandflecks“ werde „bald wieder bergische Sauberkeit in der verschandelten Gegend herrschen“.[17] Zusätzlich waren die Ukrainer-DPs vielerorts schon deshalb unbeliebt, weil sie angesichts der damaligen Notsituation als bevorrechtigt angesehen wurden, zum Teil aus ehemaligen Nazi-Helfern bestanden und kleinkriminelle Banden bildeten, die den damals für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Schwarzmarkt beherrschten.[16]

Flüchtlinge aus der DDR in der Bundesrepublik Deutschland

Von der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 bis in den Juni 1990 verließen über 3,8 Millionen Menschen den Staat, davon viele illegal und unter großer Gefahr. Eingeschlossen sind in diese Zahlen auch 480.000 seit 1962 legal ausgereiste DDR-Bürger. Etwa 400.000 kehrten im Laufe der Zeit wieder in die DDR zurück.[18] Nicht in der genannten Statistik berücksichtigt sind Deutsche, die vor dem 7. Oktober 1949 in die westlichen Besatzungszonen Deutschlands bzw. nach West-Berlin oder in die am 23. Mai 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland geflohen sind.

Ausländische Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland 1949–1990

Aufgrund der Erfahrungen deutscher Emigranten, die auf der Flucht vor Nationalsozialisten auf ein Land angewiesen waren, das sie als Flüchtling aufnahm, wurde 1948/1949 in das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland als Artikel 16 die folgende lapidare Bestimmung aufgenommen: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. Damit verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland, poltisch Verfolgten ein Aufenthaltsrecht zu gewähren.

Die zweite rechtliche Grundlage für die Asylpolitik der Bundesrepublik Deutschland bildet die 1951 verabschiedete und 1954 in Kraft getretene Genfer Flüchtlingskonvention (amtlich Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genannt), das weltweit gültige Mindeststandards für den Umgang mit Flüchtlingen vorgibt. Der Personenkreis, der von dieser Konvention erfasst wird, wird Konventionsflüchtlinge genannt.

Von der DDR aufgenommene Flüchtlinge

In den Jahren der deutschen Teilung flohen politisch Verfolgte aus Griechenland, Chile, Angola, Mosambik, El Salvador und Nicaragua auch in die DDR. Allerdings hatten sie dort nur wenig Kontakt mit der Bevölkerung im Alltag, weil sie kaum mit ihr lebten, sondern in speziellen Wohnheimen untergebracht waren.

Flüchtlingspolitik 1990–2015

Jüdische Kontingentflüchtlinge seit 1990

Nach 1990 kamen als Kontingentflüchtlinge Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Mit ihnen gelang es, dort wieder jüdisches Leben zu entwickeln, wo die jüdischen Gemeinden im Nationalsozialismus (fast) ausgelöscht worden waren.

Europäische Flüchtlings- und Asylpolitik

Aus der Sicht des Jahres 2008 teilte die Bundeszentrale für politische Bildung die Geschichte der Migrations- und Asylpolitik zunächst der Europäischen Gemeinschaften, später der Europäischen Union seit 1957 in drei Phasen ein:

  1. 1957-1990: koordinierte Politik der Mitgliedstaaten
  2. 1990-1999: zwischenstaatliche Zusammenarbeit
  3. 1999-heute (2008): Migrationspolitik als echte Gemeinschaftsaufgabe[19]

Literatur

  • Klaus J. Bade: Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart München: Verlag C.H. Beck 2000. ISBN 3-406-46720-2.

Einzelnachweise

  1. Michael Palomino: Köln im 30-jährigen Krieg. Geschichte in Chronologie
  2. Hermann Schäfer: Gebildete Migranten machten Preußen zur Großmacht, In: Die Welt. 15. Dezember 2015
  3. Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung: Willkommenskultur. Februar 2015
  4. Matthias Winkler: Die Migranten der Französischen Revolution in Hochstift und Diözese Bamberg. Bamberger Historische Studien. Band 5. University of Bamber Press 2010, S. 41
  5. Ostjuden in Deutschland. Jüdisches Museum Berlin
  6. Tobias Brinkmann: Jüdische Migration. Europäische Geschichte Online. 3. Dezember 2010
  7. Jochen Oltmer: »Verbotswidrige Einwanderung nach Deutschland«: Osteuropäische Juden im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. In: Aschkenas – Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden. 2007, H. 1, S. 97 – 121
  8. R.N. Coudenhove-Kalergi: Judenhass von heute. Kapitel „Westwanderung der Ostjuden“. Wien / Zürich 1935
  9. Andrea Ehrlich: Das Schtetl – Wirtschaftliche und soziale Strukturen der ostjüdischen Lebensweise. hagalil.com. 1996
  10. Thomas Medicus: Berlin als Zentrum und Jerusalem Europas. In: Die Welt. 12. April 2012
  11. Ludger Heid: Ostjuden in Deutschland: Nur wenige fühlten sich ihnen verwandt. In: Die Zeit. 3. April 1987
  12. Klaus J. Bade / Jochen Oltmer: Normalfall Migration: Texte zur Einwandererbevölkerung und neue Zuwanderung im vereinigten Deutschland seit 1990. Bundeszentrale für Politische Bildung 2004. Kapitel Migration im Kalten Krieg (online)
  13. Vom Zwangsarbeiter zur Displaced Person. Geschichts@tlas Niedersachsen
  14. Stiftung „Erinnerung Verantwortung Zukunft“: Nach dem Dritten Reich: Displaced Persons und "Repatriierte".
  15. Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz / juris GmbH: Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet
  16. a b Eine kleine Ukraine in Regensburg. In: Slavische Spuren (Hrsg.: Europaeum. Ost-West-Zentrum der Universität Regensburg). 2014. S. 19–29
  17. Behandelt wie ein drittklassiges Pack. In: Der Spiegel. Ausgabe 32/1983. 8. August 1983
  18. Bettina Effner, Helge Heidemeyer (Hrsg.): Flucht im geteilten Deutschland. Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, be.bra verlag, Berlin 2005, S. 27f.
  19. Petra Bendel / Marianne Haase: Wann war das? Geschichte der europäischen Migrationspolitik bis heute. Bundeszentrale für politische Bildung. 29. Januar 2008