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Anthroposophie

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Das Goetheanum in Dornach/Schweiz (erbaut 1928) ist der Sitz der Anthroposophischen Gesellschaft

Als Anthroposophie, wörtlich die Weisheit vom Menschen, Menschenweisheit, wird eine von Rudolf Steiner (1861-1925) begründete weltweit vertretene spirituelle Weltanschauung mit europäischen Wurzeln bezeichnet. Die Anthroposophie wird von den ihr Nahestehenden als eine Erkenntnislehre angesehen, die zu eigenständiger Forschung auf geistigem Gebiet anleiten soll. Steiner betonte dabei die Freiheit des Menschen, der sich von allen Formen der Bevormundung, auch religiöser, emanzipieren solle, um einen individuellen, wenngleich systematischen Zugang zu Phänomenen der „übersinnlichen Welt“ zu erlangen.

Die Impulse, die von der Anthroposophie ausgehen, umfassen so unterschiedliche Lebensbereiche wie Pädagogik/Heilpädagogik (Waldorfschule, Camphill), Medizin (anthroposophisch erweiterte Medizin), Landwirtschaft (biologisch-dynamische Landwirtschaft), Gesellschaft (Dreigliederung des sozialen Organismus), Bewegungskunst (Eurythmie) und Religion (Christengemeinschaft, selbst nicht zur Anthroposophie gehörend). Als Zentrum der Anthroposophischen Gesellschaft wurde das Goetheanum bei Basel erbaut.

Allgemeines

Steiner grenzte dabei die Anthroposophie von der Anthropologie ab. Letztere behandele dasjenige, was der Mensch durch seine Sinne und den an die Sinnesbeobachtung sich haltenden Verstand über die Welt wissen könne; ersteres dagegen sei das „Wissen des Geistesmenschen“, und es erstrecke sich auf alles, was dieser in der „geistigen Welt“ wahrnehmen könne. Von diesem Ausgangspunkt her entwickelt Steiner in der Anthroposophie eine umfassende („kosmologische“) Lehre des Menschen, die auf der Vorstellung von Karma und Wiedergeburt fußt.

Steiner selbst bezeichnet die Anthroposophie als Erkenntnisweg, bzw. als eine wissenschaftliche Methode zur Erforschung der „geistigen Welt“, die über die auf „Sinneswahrnehmung und Verstandestätigkeit gegründete Wissenschaft“ hinausgehe. Er lehnte deswegen eine feste Bezeichnung für die von ihm vertretene „Erkenntnis- und Lebenspraxis“ ab, da er dem Eindruck eines geschlossenen Lehrsystems entgegenwirken wollte. Synonym zu der Bezeichnung „Anthroposophie“ verwendete er auch andere Begriffe, wie „Geheimwissenschaft“ oder „Geisteswissenschaft“, um sein Gedankengebäude zu kennzeichnen. Den Begriff „Geisteswissenschaft“ übernahm er von Wilhelm Dilthey.

Im engeren Sinne wurde der Begriff „Anthroposophie“ von Steiner als Titel einer Fragment gebliebenen Schrift aus dem Jahre 1910 verwendet (Gesamtausgabe [GA] 45). In dieser Programmschrift wurde die Anthroposophie in Anknüpfung an Ignaz Paul Vitalis Troxler als Mittler zwischen Theosophie und Anthropologie angesiedelt. Anthroposophie ist für Steiner dabei die Schaffung eines Bewusstseins des Menschentums. Es geht ihm um die Formulierung einer umfassenden Erkenntnistheorie zur menschlichen Bewusstwerdung. Da Steiner „Ich“ und „Welt“ nicht dualistisch geschieden vorstellt, will seine Anthroposophie Anleitung zur Selbst- und Welterkenntnis des Menschen zugleich bieten. Dies ist das monistische Programm des anthroposophischen Erkenntnisweges, das – mit Friedrich Nietzsche und Max Stirner – einen freien, individualistisch geprägten Menschen voraussetzt. Der Monismus ist dabei Naturerkenntnis und zugleich Erkenntnis der geistigen Welt.

Der hier verwendete Begriff der Anthroposophie bezieht sich also auf die von Steiner begründete Erkenntnispraxis. Im weiteren Sinne nennt man aber auch die Summe von Steiners Schriften und Vorträgen und die Lebenswirklichkeit der von ihm begründeteten Anthroposophischen Gesellschaft „Anthroposophie“.

Die Anthroposophie hatte und hat viele bekennende Vertreter in der ersten Reihe des Kulturlebens, namentlich in der Kunst, darunter Joseph Beuys, Wassily Kandinsky, Christian Morgenstern, Bruno Walter und Michael Ende.

Die Herkunft des Begriffs Anthroposophie

Der Begriff „Anthroposophie“ stammt bereits aus der frühen Neuzeit. In einem anonymen Buch mit dem Titel Arbatel de magia veterum, summum sapientiae studium (1575), dem Esoteriker und Neuplatoniker Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim zugeschrieben, wird die Anthroposophie (ebenso wie die Theosophie) der „Wissenschaft des Guten“ zugerechnet und mit „Kenntnis der natürlichen Dinge“ bzw. „Klugheit in menschlichen Angelegenheiten“ übersetzt.

Anfang des 19. Jahrhunderts übernahm der Schweizer Arzt und Philosoph I.P.V. Troxler (1780-1866) den Begriff „Anthroposophie“ und ordnete ihn der Biosophie zu (Elemente der Biosophie, 1806). Im Sinne der Vorläufer der Lebensphilosophie, vor allem des Naturphilosophen Schelling, bei dem Troxler studiert hatte, sollte Biosophie „Naturerkenntnis durch Selbsterkenntnis“ bedeuten. Die Erkenntnis der menschlichen Natur nannte Troxler Anthroposophie. Die Philosophie – und alle Philosophie sei Naturerkenntnis – muss ihm zufolge zur Anthroposophie werden. Diese wird als eine „objektivierte Anthropologie“ vorgestellt, die vom „ursprünglichen Menschen“ ausgehen soll. In der menschlichen Natur vereinen sich demzufolge in einem mystischen Vorgang Gott und Welt.

Auch Immanuel Hermann Fichte verwendete den Begriff 1856 in „Anthropologie – Die Lehre der menschlichen Seele“ und bezeichnete damit eine „gründliche Selbsterkenntniss des Menschen“, die „nur in der erschöpfenden Anerkenntnis des Geistes“ liege. Wahrhaft gründlich oder ergründend könne sich der „Menschengeist“ aber nicht erkennen, ohne damit der „Gegenwart oder Bewährung des göttlichen Geistes an ihm inne zu werden“.

Der Religionsphilosoph Gideon Spicker (1872-1920), der eine „Religion in philosophischer Form auf naturwissenschaftlicher Grundlage“ anstrebte und den Konflikt zwischen Glauben und Wissen, zwischen Religion und Naturwissenschaft als das Grundproblem seines Lebens und Denkens ansah, formulierte das Programm der Anthroposophie, ebenfalls im Sinne „höchster Selbsterkenntnis“: „Handelt es sich aber in der Wissenschaft um die Erkenntnis der Dinge, in der Philosophie dagegen in letzter Instanz um die Erkenntnis dieser Erkenntnis, so ist das eigentliche Studium des Menschen der Mensch selbst, und der Philosophie höchstes Ziel ist Selbsterkenntnis oder Anthroposophie.“ (Die Philosophie des Grafen von Shaftesbury, 1872). Spickers Ideal umfasste in der Religion die Einheit von Gott und Welt als selbstverantwortete Erkenntnis unter Anwendung von Vernunft und Erfahrung.

Der österreichische Philosoph und Herbartianer Robert Zimmermann (1824-98), Schöpfer der „Philosophischen Propädeutik“, wählte die Bezeichnung „Anthroposophie“ 1882 als Titel einer Programmschrift, die ein System idealer Weltsicht auf realistischer Grundlage zu beschreiben suchte („Anthroposophie im Umriß. Entwurf eines Systems idealer Weltsicht auf realistischer Grundlage“, 1882). Zimmermann, bei dem Steiner Philosophie-Vorlesungen hörte, wollte in seinem System über die „Schranken und Widersprüche, die der gemeine Erfahrungsstandpunkt in sich trägt“, hinausgehen und eine „Philosophie des Menschenwissens“ errichten, die als Wissenschaft von der Erfahrung ausgeht, aber, wo es das logische Denken erfordert, über sie hinausreicht.

1895 übernahm Steiner, stark von Lebensphilosophie, Naturphilosophie, Idealismus und Irrationalismus beeinflusst, den Begriff Anthroposophie von Zimmermann und stützte sich dabei auch maßgeblich auf die inhaltliche Ausprägung des Begriffs bei Troxler, Fichte und Spicker. 1916 beschrieb er die Anregung durch Zimmermann: „Als es sich vor einer Anzahl von Jahren darum handelte, unserer Sache einen Namen zu geben, da verfiel ich auf einen solchen, der mir lieb geworden war, deshalb, weil ein Philosophie-Professor, dessen Vorträge ich in meiner Jugendzeit gehört habe, Robert Zimmermann, sein Hauptwerk 'Anthroposophie' genannt hat.“ (Gesammelte Aufsätze, GA 35, S. 176)

Die Anthroposophie bei Rudolf Steiner

Rudolf Steiner im Alter von 18 Jahren (1879)

Die Anthroposophie Rudolf Steiners versteht sich als eine christliche und humanistische Methode der Bewusstseinsentwicklung. Sie schöpft aus okkulten und esoterischen Quellen und umfasst Elemente des Gnostizismus und des Rosenkreuzertums. Aufgrund dieser Verbindung sehr unterschiedlicher Ströme wurde sie von Kritikern schon zu Steiners Lebzeiten etwa als synkretistische Weltanschauung, eklektischer Mystizismus oder Obskurantismus eingeordnet. Sie beinhaltet einen umfassenden („kosmischen“) Evolutionsbegriff sowie ein vielschichtiges Bild der Wiederverkörperung (Reinkarnation) und des Schicksals (Karma). Anders als in der Theosophie, aus der sie hervorging, spielt in der Anthroposophie das Christentum – in „individualisierter“ Form – eine zentrale Rolle.

Unter „Anthroposophie“ bei Rudolf Steiner versteht man zum einen seine Lehren, zum anderen den von ihm entwickelten „geisteswissenschaftlichen“ Schulungsweg, der es möglich machen soll, die theoretischen Lehren nachzuvollziehen.

Steiner selbst wollte die Anthroposophie immer als „Erkenntnisweg“ bzw. wissenschaftliche Methode zur Erforschung der „geistigen Welt“ verstanden wissen: „Unter Anthroposophie verstehe ich eine wissenschaftliche Erforschung der geistigen Welt, welche die Einseitigkeiten einer bloßen Natur-Erkenntnis ebenso wie diejenigen der gewöhnlichen Mystik durchschaut, und die, bevor sie den Versuch macht, in die übersinnliche Welt einzudringen, in der erkennenden Seele erst die im gewöhnlichen Bewusstsein und in der gewöhnlichen Wissenschaft noch nicht tätigen Kräfte entwickelt, welche ein solches Eindringen ermöglichen“ (Philosophie und Anthroposophie, GA 35).

Die anthroposophische Bewegung ist soziologisch, weltanschaulich-religiös und politisch sehr heterogen. Die Interpretation von Steiners Werk ist auch aufgrund der verschiedenen Themengebiete und des großen Umfangs (28 Schriften und ca. 5900 Vorträge) innerhalb der Anthroposophie nicht einheitlich.

Die Geschichte der Anthroposophie

Rudolf Steiner übernahm wichtige Anregungen von seinem Wiener Lehrer Robert Zimmermann, der 1895 bereits eine Anthroposophie als System idealer Weltsicht veröffentlicht hatte. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte Steiner daraus in Berlin als freier Publizist in zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen die Grundzüge der heutigen Weltanschauung. Nach zunächst noch enger Verbindung mit der Theosophie – er war Vorsitzender des deutschen Teils der Theosophischen Gesellschaft – trennte sich Steiner 1912 von ihr und gründete in Köln die Anthroposophische Gesellschaft, ohne religiösen Anspruch, aber auch in ausdrücklicher Abstandnahme von der rational-wissenschaftlichen Aufklärung.

Im gleichen Jahr wurde in Dornach bei Basel (Schweiz) das erste Goetheanum erbaut, als Veranstaltungsraum und Zentrum der Gesellschaft. Gleichzeitig begannen vielfältige Aktivitäten im sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Bereich. 1919 gründete etwa Emil Molt, Generaldirektor der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria, in Stuttgart für die Kinder seiner Angestellten die erste Waldorfschule mit anthroposophischer Ausrichtung. 1921 wurde die Pharmafirma Weleda AG gegründet, die anthroposophische und homöopathische Arzneimittel herstellt und vertreibt. 1922 gründete eine Gruppe von Theologen die Christengemeinschaft, eine Bewegung zur Erneuerung des Christentums mit anthroposophischer Ausrichtung.

Gleichzeitig formierten sich Gegner. In der Silvesternacht 1922 brannte das aus Holz errichtete erste Goetheanum bis auf seine Grundmauern nieder, vermutlich von Unbekannten in Brand gesetzt. Daraufhin entwarf Steiner ein zweites, größeres Goetheanum, das erst 1928 fertiggestellt wurde. 1923 reorganisierte sich die Anthroposophische Gesellschaft als Dachorganisation von unabhängigen Landesgesellschaften in zahlreichen europäischen Staaten; Rudolf Steiner wurde Vorsitzender und außerdem Leiter der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft. Nach Steiners Tod übernahm Albert Steffen diese Position.

Die Anthroposophie im Nationalsozialismus

Am 1. November 1935 wurde die Anthroposophische Gesellschaft wegen ihrer „Beziehungen zu ausländischen Freimaurern, Juden und Pazifisten im Deutschen Reich verboten. Schon vorher hatten alle jüdischen Mitglieder ihre Ämter in der Gesellschaft abgegeben. Ein Großteil von ihnen war ausgetreten. Nach dem Verbot bemühten sich einige Anthroposophen um eine Wiederzulassung. Diese Versuche scheiterten 1939 endgültig, als Rudolf Heß die „Gleichbehandlung mit ehemaligen Freimaurern“ anordnete. Die acht Waldorfschulen durften bis 1940 keine Einschulungen mehr vornehmen. Zwei Schulen wurden verboten (1938 Stuttgart und 1941 Dresden). Die restlichen mussten aus finanziellen Gründen schließen. Von den acht anthroposophischen heilpädagogischen Heimen wurden drei massiv bedroht, davon zwei geschlossen. Trotz dieser Repressionsmaßnahmen gab es auch Mitglieder, die sich mit dem System arrangierten oder sogar aktiv in den Gremien der NSDAP mitarbeiteten. Hohe Wertschätzung fand die biologisch-dynamische Landwirtschaft bei einigen NS-Größen, was jedoch auf deren „Ursprünglichkeit“ und nicht auf die spirituelle Begründung zurückzuführen ist.

Nachkriegszeit

Nach dem Krieg wurde die Bewegung neugegründet; Schwerpunkte ihrer Tätigkeit blieben Pädagogik, Medizin und Landwirtschaft (vgl. Demeter-Landwirtschaft). Weltweit sind zahlreiche Waldorfschulen und Waldorfkindergärten, die auf Steiners Pädagogik basieren, in Betrieb (lt. Selbstdarstellung: 877 Schulen in 57 Ländern), dazu entsprechende Studiengänge und Kurse in Waldorf-Pädagogik. Eine Bank mit anthroposophischer Zielsetzung wurde 1960 in Bochum gegründet (GLS-Gemeinschaftsbank). 1969 entstand das Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke, eine zum damaligen Zeitpunkt moderne Einrichtung. Auch die Universität Witten/Herdecke, Deutschlands einzige Privatuniversität, war ursprünglich anthroposophisch geprägt. Zur Zeit sind nach Aussagen der Anthroposophischen Gesellschaft weltweit über 10 000 anthroposophische Einrichtungen in 103 Ländern tätig.

Die anthroposophische Erkenntnispraxis

Steiners Erkenntnisse entstammten nach seinen Angaben einer ihm seit seiner Kindheit bewussten und von ihm methodisch vertieften geistig-übersinnlichen Schau (s. z.B. Akasha-Chronik). In seinem stärker philosophisch geprägten Frühwerk entwickelte er einen erkenntnistheoretischen Monismus, der wesentlich auf einer Auseinandersetzung mit Kant („Kritik der reinen Vernunft“) und dem Neokantianismus beruht. Steiner plädierte für einen „ethischen Individualismus“, der in Max Stirner und dem Anarchismus von Benjamin R. Tucker oder John Henry Mackay Verwandtes findet. Weitere Einflüsse sind Goethe, Hegel (Phänomenologie), Fichte (deutscher Idealismus), Nietzsche und Ernst Haeckel. Deren Lehren wurden von Steiner allerdings sehr selektiv, individuell bzw. eklektizistisch herangezogen und ausgelegt (s. insb. Wahrheit und Wissenschaft und Die Philosophie der Freiheit).

Ab 1902 trat Steiner eindeutig christlich und esoterisch auf. Die Frage, inwieweit dies einer Wandlung in seinem Leben (er selbst spricht von einem "Erweckungserlebnis") zuzuschreiben ist, ist – auch unter Anthroposophen – nicht entschieden. Auch wie sich die Wende philosophisch auf Steiners Gesamtwerk ausgewirkt hat, konnte bislang zumindest noch nicht abschließend geklärt werden. Nach Steiner befindet sich der Mensch (und die gesamte, also auch die geistige Welt) in beständiger Entwicklung (Evolution). Das Ziel des anthroposophischen Schulungsweges sei es, durch Meditation, Selbsterziehung und Beobachtung auf einer lebenslangen 'Suche', höhere Bewusstseinsebenen zu erreichen. Dieser Schulungsweg sei individuell auszugestalten und könne von jedem Menschen beschritten werden.

Der Mensch, der für die Anthroposophie im Zentrum steht, wird – in Anknüpfung an die Theosophie – als eine zusammengesetzte Wesenheit vorgestellt. Er besteht laut Steiner in mehreren ineinandergreifenden Ebenen, die auch als Wesensglieder bezeichnet werden: „Physischer Leib“, „Ätherleib“ oder „Lebensleib“, „Astralleib“ und „Ich“. Wichtig ist dabei: Mit 'Leib' soll bezeichnet werden, was einem Wesen von irgendeiner Art 'Gestalt', 'Form' gibt. Man soll den Ausdruck 'Leib' nicht mit sinnlicher Körperform verwechseln. (GA 9, S. 38/39)

  • Der physische Leib

Unter den Begriff „physischer Leib“ fasst Steiner den sichtbaren mineralisch-physischen Körper von Mensch, Tier, Pflanze und Stein. Dieser ist den physikalischen Begebenheiten der Erde ausgesetzt, wenn er nicht, wie bei Mensch, Tier und Pflanze noch von anderen „Leibern“ durchzogen wird. Laut Steiner zerfällt der alleinige „physische Leib“ beim Menschen, den chemischen Gesetzmäßigkeiten gehorchend, ein Prozess, der beim Tode des Menschen durch den Verwesungsprozess gekennzeichnet ist, und mit dem Tod beginnt ein Auflösungsprozess des „Leibergefüges“.

  • Der Ätherleib oder Lebensleib

Steiner hat im Laufe seines Lebens die Bezeichnung „Ätherleib“ nie als zufriedenstellend empfunden. An verschiedenen Stellen tauchen auch die Begriffe „Lebensleib“ und „Bildekräfteleib“ auf. 'Äther' bezeichnet hier etwas anderes als den hypothetischen Äther der Physik. Man nehme die Sache einfach als Bezeichnung... (GA 9, S. 38)

Der Ätherleib ist laut Steiner als übersinnlicher Teil sehr dem Physischen oder Äußerlichen verhaftet. Er soll belebender Teil des physisch-mineralischen Körpers sein. Im Gegensatz zu Letztgenanntem, der durch äußere Kräfte seine Gestalt findet, gestalte der Ätherleib aus dem Inneren des menschlichen Wesens heraus ständig den physischen Leib neu. Beim Menschen sei er auch Träger von Denkkräften und Gewohnheiten.

  • Der Astralleib

Mit dem Astral- oder Empfindungsleib reagiert der Mensch auf die Außenwelt. Dieses Wesensglied ist das Empfindende im Menschen als Teil seiner Seele, so Steiner in Theosophie. Im Astralleib erlebt der Mensch seine Begierden und Leidenschaften.

  • Das Ich

Das 'Ich' sei der eigentliche Wesenskern des Menschen, welcher demnach als ewig angesehen werden müsste, wenn man Steiners Ausführungen folgt: Denn mit seinem 'Ich' ist der Mensch ganz allein. - Und dieses 'Ich' ist der Mensch selbst. Das berechtigt ihn, dieses 'Ich' als seine wahre Wesenheit anzusehen. Er darf deshalb seinen Leib und seine Seele als die 'Hüllen' bezeichnen; innerhalb deren er lebt; und er darf sie als leibliche Bedingungen ansehen, durch die er wirkt.(GA 9,S.49) Das Ich ist nicht zu verwechseln mit dem „Alltags-Ich“, das sich dem Menschen als seine Persönlichkeit darstellt. Das Verständnis des 'Ich' in der Anthroposophie weist über dieses hinaus, es beheimatet das Geistige des Menschen. Die Sinneserscheinungen offenbaren sich dem 'Ich' von der einen, der Geist von der anderen Seite. Leib und Seele geben sich dem 'Ich' hin, um ihm zu dienen; das 'Ich' aber gibt sich dem Geiste hin, dass er es erfülle. Das 'Ich' lebt in Leib und Seele; der Geist aber lebt im 'Ich'. (GA 9, S. 50)

Nach Steiner befindet sich der Mensch auf einem Entwicklungsweg zur „Läuterung“ der beschriebenen Leiber. Ein Durchdringen der eigenen Leidenschaften, Gewohnheiten usw. durch das 'Ich' sei u.a. der derzeitige Entwicklungsweg. Das Ich wird immer mehr Herrscher über Leib und Seele. (GA 9, S. 50)

Steiner beschreibt sieben Glieder des irdischen Menschen:

  1. Den physischen Leib
  2. Den Äther- oder Lebensleib
  3. Den empfindenden Seelenleib
  4. Die Verstandesseele
  5. Die geisterfüllte Bewusstseinsseele
  6. Den Lebensgeist
  7. Den Geistesmenschen

Durch den Tod, bei dem sich die höheren Leiber vom physischen Leib trennen, löse sich zunächst der Ätherleib, später der Astralleib in einem speziellen Ablauf auf, und das Ich gehe in ein geistiges Reich ein, indem es mit Hilfe höherer Wesenheiten auf die physische Welt wirkt und sich auf dieWiedergeburt in einer veränderten physischen Umgebung vorbereitet. Diese werde auch von dem individuellen Schicksal und der konkreten Lebensgestaltung des Menschen bestimmt.

Kritik an Steiners Anthroposophie

Fehlende Wissenschaftlichkeit

Aus kritischer Perspektive handelt es sich bei Steiners als synkretistisch verstandener Weltanschauung um eine Pseudowissenschaft bzw. eine Spielart der Esoterik. Deren zentrale Begriffe zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie nicht wissenschaftlich überprüfbar sind (d.h. nicht intersubjektiv, falsifizierbar, empirisch überprüfbar und allgemein zugänglich).

Geheimwissenschaft (Okkultismus) ist eine von Steiner selbst verwendete Bezeichnung, mit der er ausdrückt, dass seine Lehre über das bloße „Verstandesdenken“ hinausgehe. An H. Blavatskys Secret Doctrine Geheimlehre anknüpfend, stellt die Geheimwissenschaft einen Kern seiner Werke aus der frühen theosophischen Phase (1902-10) dar. Fortgeschrittene Schüler seien zu übersinnlichen Wahrnehmungen imstande. Die so genannten Geheimwissenschaften errichten Denkgebäude, die nur für „Eingeweihte“ nachvollziehbar sind.

Steiner nahm für sich in Anspruch, in der so genannten Akasha-Chronik (Blavatsky) „lesen“ zu können, einer Art kosmischem Gedächtnis, in dem alles Wissen über Vergangenheit und Zukunft gespeichert sein soll. Aus dieser Quelle teilte Steiner Details über Atlantis mit, korrigierte christliche Evangelien, enthüllte Geheimnisse ägyptischer Priester oder traf Prophezeiungen, etwa über das Kommen des „Christus im Aetherischen“ in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Die von ihm begründete Anthroposophie fußt somit laut Kritikern auf dem Anspruch, über Zugang zu unumstößlichen Wahrheiten zu verfügen. Diese Wahrheiten, so Steiner, stünden jedoch nicht in einem Widerspruch zur empirischen Wissenschaft. Sie seien vielmehr intersubjektiv überprüfbar.

Allein an diesen beiden Proklamationen, so der Philosoph Sven Ove Hansson, ließen sich Steiners Aussagen falsifizieren. Erstens sei es niemandem, der auf Steiners Schulungsweg gegangen ist, bis heute gelungen, wie dieser in der Akasha-Chronik zu lesen, und zweitens ließe sich allein anhand Steiners Aussagen über Quantenphysik und Relativitätstheorie leicht zeigen, dass seine spirituellen Erkenntnisse zu anderen Ergebnissen führten, als die Experimente der modernen Wissenschaft. Diese und ähnliche Überlegungen bewogen Gegner, der Anthroposophie die selbstproklamierte Wissenschaftlichkeit - Steiner spricht mit Dilthey von Geisteswissenschaft - abzusprechen.

Rassistische Äußerungen

In Steiners weitausgreifenden Werk (das allerdings vielfach auf ungeprüften Mitschriften seiner Vorträge beruht) finden sich wiederholt Aussagen über menschliche Rassen, also völkische Ideen, wie sie auch bei Arthur Moeller van den Bruck vorkommen, den Steiner persönlich kannte, oder bei Oswald Spengler, dessen Buch „Der Untergang des Abendlandes“ er mehrfach rezensierte. Das Vorhandensein menschlicher Rassen in unterschiedlichen Entwicklungsstufen sei eine Tatsache, die sich aus seinen Forschungen ergeben habe.

Aus linksprogressiven Kreisen kam daher schon früh der Vorwurf auf, Steiners Lehre sei faschistoid (Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt 1956). Später wurde ein expliziter Rassismusvorwurf erhoben, vor allem aus dem Umfeld linker Kritik, etwa in den Publikationen Konkret und Die tageszeitung. In Steiners Werk finden sich tatsächlich vereinzelt Passagen, die besonders vor dem Hintergrund der späteren NS-Rassenpolitik problematisch sind. So griff Steiner etwa die Wurzelrassenhypothese der Theosophie auf und beschäftigte sich, wenn auch überwiegend distanziert kritisch, mit „Rassenmystikern“ wie Guido von List und Lanz von Liebenfels, die er persönlich kannte. Eine zentrale Annahme in der Theosophie ist, die menschlichen Rassen seien Stufen einer Entwicklung von niederen zu immer höheren Stadien. Dieses Ideengebäude wurde später von der Ariosophie aufgegriffen, einer ideologisch geprägten Denkrichtung, die mit spekulativen Herleitungen eine Überlegenheit von Rassen vermeintlich germanischer Abstammung gegenüber allen anderen Völkern zu beweisen suchte und laut der die „arische Heldenrasse“ die höchste Stufe zur Vollkommenheit darstelle.

1997 - im Europaratsjahr gegen den Rassismus - wurde die Verwendung dieser und ähnlicher Vorstellungen seitens der Anthroposophie Rudolf Steiners in den Blick genommen. In den Niederlanden wurde eine Kommission von Wissenschaftlern, die der Anthroposophie nahestehen, unter Leitung eines international tätigen Menschenrechtsanwaltes gebildet, die das gesamte 300 Bände umfassende Oeuvre mit 89 000 Textseiten systematisch auf entsprechende Aussagen hin überpüfte. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass davon 67 Textstellen diskriminierenden Inhalt haben, 16 enthielten Aussagen, die in den Niederlanden heute strafbar seien. Die Kommission urteilt jedoch insgesamt: „Das anthroposophische Menschenbild Rudolf Steiners steht auf der Grundlage der Gleichwertigkeit aller menschlichen Individualitäten und nicht auf einer vermeintlichen Überlegenheit der einen Rasse gegenüber einer anderen.“ Es befänden sich zwar eine Reihe sehr problematischer Äußerungen in Steiners Werk, die allerdings für die Anthroposophie nicht konstitutiv seien. Den Vorwurf des Antisemitismus wies die Kommission zurück. Sie erklärte, dass sich Steiner stets gegen Antisemitismus eingesetzt, wenngleich dessen Verbreitung massiv unterschätzt habe. Insgesamt herrschen über die Tragweite der entsprechenden Textstellen geteilte Ansichten: Während Einige darin dennoch den Beweis einer antisemitischen Gesinnung Steiners sehen, argumentieren Andere, dass allein die quantitative Auflistung (< 1 Promille) zeige, dass die Äußerungen nicht zentral für Steiners Werk gewesen sein könnten, zudem habe er sich in seinem Werk deutlich gegen antisemitische Gesinnungen ausgesprochen, wie an anderen Textstellen deutlich werde.

Die Problematik der anthroposophischen Christologie

Die anthroposophische Christologie enthält gnostische Elemente, die neben der Lehre von Reinkarnation und Karma Angriffspunkte der konfessionellen Kritik geworden sind. Zwar betont Steiner die „Wissenschaftlichkeit“ der Anthroposophie, die wertfreien Aufschluss über die unterschiedlichen Religionen der Menschheitsgeschichte geben solle: Den Religionen gegenüber kann sie [die Geisteswissenschaft,anm.] einzig und allein nur die Aufgabe haben, zu einem tieferen Verständnis der religiösen Wahrheiten zu führen. [...] Es wird so vielfach verkannt, daß die Geisteswissenschaft im Grunde auf einem ganz anderen Boden steht als irgendein Religionsbekenntniss (GA704,S. 196). Auf der anderen Seite spricht Steiner von „christlicher Wissenschaft“, was die Problematik seines Wissenschaftsbegriffs zeigt. Darin besteht das Christliche [der anthroposophischen Wissenschaft,anm.], daß man den Ausgleich sucht [...] aber ohne abergläubisch, ohne frömmelnd zu sein. (GA723,S.232) Diese religiösen Bestandteile seines Werkes werden oft kritisiert, so z.B. die eklektische Verknüpfung von Christentum und Reinkarnationslehre. So steht in der Anthroposophie die Erlösung nicht am Ende eines einzigen, sondern am Ende vieler Leben. Sie stelle sich ein, wenn sich der Mensch durch viele Verkörperungen hindurch zu einem Wesen, das einen eigenen Platz in den himmlischen Hierarchien einnimmt, entwickelt habe.

Literatur

zur Anthroposophie allgemein

  • Becker, Kurt E.: Anthroposophie.Revolution von innen, Fischer Verlag, Frankfurt, 1984
  • Ziegler, Renatus: Anthroposophie : Quellentexte zur Wortgeschichte. In: Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Heft Nr. 121, Herbst 1999 (Hrsg.: Rudolf Steiner-Nachlassverwaltung, Dornach)
  • Heisterkamp, Jens: Was ist Anthroposophie? Eine Einladung zur Entdeckung des Menschen. Dornach : Verl. am Goetheanum, 2000. ISBN 3-7235-1089-2
  • Baumann-Bay, Lydie und Andreas: Achtung, Anthroposophie! : ein kritischer Insider-Bericht. Zürich : Kreuz, 2000. ISBN 3-268-00255-2
  • Badewien, Jan: Die Anthroposophie Rudolf Steiners. München : Evangelischer Presseverband für Bayern, 1994. ISBN 3-583-50662-6
  • Barz, Heiner: Anthroposophie im Spiegel von Wissenschaftstheorie und Lebensweltforschung. Zwischen lebendigem Goetheanismus und latenter Militanz. Weinheim : Deutscher Studien-Verlag, 1994. ISBN 3-89271-458-4
  • Lutterbeck, Ernst: Anthroposophie verstehen : eine Einführung nach persönlichen Erfahrungen. Paderborn : Möllmann, 1997. ISBN 3-931156-21-4

zu Spezialthemen

  • Binder, Andreas: Wie christlich ist die Anthroposophie? Standortbestimmungen aus der Sicht eines evangelischen Theologen. Stuttgart : Urachhaus Verlag 1989. ISBN 3-87838-611-7 (2. Aufl.)
  • Kriele, Martin: Anthroposophie und Kirche. Erfahrungen eines Grenzgängers. Freiburg im Breisgau; Basel; Wien : Herder, 1996. ISBN 3-451-23967-1
  • Okruch, Stefan: Wirtschaft und Anthroposophie - Darstellung und Kritik des Konzepts Rudolf Steiners. Bayreuth : Verlag PCO, 1993. ISBN 3-925710-50-7
  • Werner, Uwe: Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus : 1933 - 1945. München : Oldenbourg, 1999. ISBN 3-486-56362-9
  • Ravagli, Lorenzo: Unter Hammer und Hakenkreuz : der völkisch-nationalsozialistische Kampf gegen die Anthroposophie. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben, 2004. ISBN 3-7725-1915-6
  • Bierl, Peter: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister : die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik. Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe. Hamburg : Konkret-Literatur-Verlag, 2005. ISBN 3-89458-242-1
Wiktionary: Anthroposophie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Anthroposophie in der Diskussion

Affirmativ

Kritisch