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Rassentheorie

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Rassentheorien teilen die Menschheit in unterschiedliche Rassen ein, die hierarchisch bewertet und geordnet werden. Sie haben damit die Grundlagen für den modernen Rassismus geschaffen, die bis heute fortwirken. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde ihnen gegenüber Kritik geäußertVorlage:Ref, die nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus im Bereich der Gesellschaftswissenschaften und durch die Entwicklung der Genetik im Bereich der NaturwissenschaftenVorlage:Ref dazu führte, daß der Rassenbegriff heute weitgehend als unwissenschaftlich zurückgewiesen wird. Es gibt allerdings eine kleine Anzahl politisch überwiegend weit rechts stehender Wissenschaftler, die ihn nach wie vor verteidigen.

Geschichte

Die im 18. Jahrhundert entstehenden Rassentheorien wurden von einer Reihe von Bedingungsfaktoren beeinflußt. Die bedeutendste Rolle spielte zweifellos der europäische Kolonialismus (einschließlich der Eroberung Amerikas und des transatlantischen Sklavenhandels). Er lieferte zudem durch vermehrten Kulturkontakt fortlaufend neues Wissen über bislang unbekannte Weltteile, Völker und Sitten. Ein weiterer wichtiger Faktor war die seit Francis Bacon auf Naturbeherrschung ausgerichtete Säkularisierung der Wissenschaft. Sie führte zu verstärkten Ordnungsbemühungen hinsichtlich der sich rapide vermehrenden Erfahrungsdaten aus aller Welt. Hinzu kam, daß der Kolonialismus seinen Ausgang von Spanien nahm, das zur selben Zeit die Reconquista siegreich beendet hatte und die nationale Erneuerung mit einer auf Blutsreinheit ausgerichteten Diskriminierung von Mauren und Juden verband. In diesem Zusammenhang entwickelte sich auch der Begriff der Rasse (Conze, Sommer 1984), der den Rassentheorien schließlich das Stichwort lieferte. Er bedeutete im Spanien des 15. Jahrhunderts, von guter oder schlechter Herkunft (rraça) zu sein. In diesem Sinne wurde er auch in andere Sprachen übernommen. Im Französischen etwa diente er zur Unterscheidung des alten Erbadels vom neuen Amtsadel. Rasse war ein sozialer Begriff, der ursprünglich auf die hierarchische Ordnung unterschiedlicher sozialer Klassen verwies, die er mit dem Hinweis auf edle Abkunft und edles Blut zu legitimieren trachtete. Seine Übernahme in die Beschreibung der Bevölkerungen unterschiedlicher Weltteile war deswegen von Anfang an wertend.

Aufklärung

Vermutlich hat der französische Arzt und Forschungsreisende François Bernier (1620-1688) in seiner 1684 publizierten Arbeit Nouvelle division de la Terre, par les differentes Espèces ou Races d'hommes qui l'habitent (Neue Einteilung der Erde nach den verschiedenen Arten oder Rassen, die sie bewohnen) als erster den Rassenbegriff zur Unterteilung der die verschiedenen Weltteile bewohnenden Menschen benutzt (Stuurman 2000). Einerseits schreibt er dabei selbstbewußt: "Bisher haben die Geographen die Erde nur nach den verschiedenen Ländern oder Regionen eingeteilt, die sie auf ihr fanden. [...] Ich habe aber nicht weniger als vier oder fünf Arten oder Rassen des Menschen bemerkt, deren Verschiedenheit so deutlich ist, daß sie regelrecht als Grundlage einer neuen Einteilung der Erde dienen kann" (nach dem französischen Original, S. 148). Andererseits verwendet er den Rassenbegriff noch nicht systematisch, sondern benutzt "race" gleichbedeutend mit espèce.

Eine erste wissenschaftliche Theorie versuchte Carl von Linné im 18. Jahrhundert zu formulieren. Er teilte in seinem Ansatz zur Systematisierung der belebten Natur ab der 6. Auflage auch die Menschheit in verschiedene Rassen ein. Er verknüpfte seine biologische Systematik mit der Säftetheorie und verteilte dabei die vier Temperamente auf die einzelnen Rassen:

  • Europaeus: regitur ritibus - albus, sanguineus, torosus (vom Gesetz regiert, weiß, sanguinisch, muskulös)
  • Americanus : regitur consuetudine - rufus, cholericus, rectus (von Gebräuchen regiert, rot, cholerisch, aufrecht)
  • Asiaticus : regitur opinionibus - luridus, melancholicus, rigidus (von Ansichten regiert, blassgelb, melancholisch, steif)
  • Africanus : regitur arbitrio - niger, phlegmaticus, laxus (von der Willkür regiert, schwarz, phlegmatisch, schlaff)

Den Begriff der Rasse (Race) führte u. a. Immanuel Kant in die deutsche Sprache ein - und damit auch einen Gedanken der Über- bzw. Unterordnung: für Kant gab es vier Rassen, die sich in ihrer Bildungsfähigkeit unterschieden. An der Spitze der Vernunftbegabten standen für ihn die weißen Europäer - am unteren Ende die Indianer.

Rasse in der frühen Soziologie

Wie heute noch race im Englischen, war in Deutschland der Begriff Rasse bis ins 20. Jahrhundert hinein uneindeutig, insofern die kulturelle Ausprägung der einzelnen Ethnien nicht von der biologischen getrennt wurde, sondern oftmals ideologisch auf die biologische zurückgeführt wurde. Daher versuchten frühe Soziologen, einen sozialwissenschaftlichen Begriff von Rasse heraus zu arbeiten. Bemerkenswert ist hier vor allem Ludwig Gumplovicz, der sich dabei des Konzeptes der Gruppe bediente. Diese Ansätze fanden sich noch 1961 etwa bei W. E. Mühlmann in seinem Buch Chiliasmus und Nativismus, erloschen aber dann gänzlich.

Kolonialismus

Im Rahmen des Kolonialismus in Afrika wurden verschiedene Rassentheorien entwickelt, u.a. die Hamitentheorie, welche der deutsche Afrikanist Carl Meinhof weiterentwickelten. Ihnen zufolge sind diejenigen Völker, deren Sprache über Nominalklassen verfügt, kulturell höherwertiger als andere, weil sie sich kulturell an die abendländisch-morgenländischen Zivilisationen anschließen ließen. Diese Theorie diente dem deutschen Kolonialismus zur Auswahl von Herrenvölkern in den besetzten Territorien. Diese Lehren wurden durch Darwins Evolutionstheorie inspiriert, obgleich es laut dieser ganz eindeutig für die Natur keine höherwertigen und minderwertigen Lebensformen gibt.

19. Jahrhundert

Unter den Naturwissenschaftlern des 19. Jahrhunderts, die sich mit der Materie befassten, waren Georges Cuvier, James Cowles Pritchard, Louis Agassiz, Charles Pickering (Races of Man and Their Geographical Distribution, 1848) und Johann Friedrich Blumenbach (1752–1840). Cuvier zählte drei Rassen, Pritchard sieben, Agassiz acht und Pickering elf. Blumenbachs Einteilung, der Linnés Urtypen um eine fünfte Rasse (die braune oder malaische) erweiterte, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend akzeptiert. Blumenbach prägte auch den Begriff der kaukasischen oder weißen Rasse, die als Stammrasse anzusehen sei.

In Blumenbachs Tagen ging die Beschreibung körperlicher Eigenschaften wie Hautfarbe, Schädelprofil, usw. wie aus durchsichtigen Gründen (Kolonialzeit) selbstverständlich Hand in Hand mit der Deutung charakterlicher Eigenschaften und intellektueller Fähigkeiten. So wurden etwa die "helle Farbe" und die verhältnismäßig hohe Stirn "der Kaukasier" als körperlicher Ausdruck eines hochfliegenden Geistes und großzügigen Temperamentes gewertet. Die dunkle Haut und die leicht fliehende Stirn "der Äthiopier" galten als Pauschalbeweis einer größeren genetischen Nähe zu den Primaten, obwohl die Haut von Schimpansen und Gorillas unter dem Haar weißer ist als die der durchschnittlichen "Kaukasier".

Aus Verschiedenartigkeit wurde Verschiedenwertigkeit. Höhere, kulturschöpferische Rassen standen niederen, kulturzerstörerischen Rassen gegenüber. Es entwickelte sich eine Vielzahl miteinander konkurrierender Rassentheorien (besonders bekannt sind die von Gobineau und Chamberlain), die alle immer wieder die Europäer und später die Arier oder germanische Rasse an der Spitze der menschlichen Entwicklung sahen.

Von größtem Einfluss war in diesem Zusammenhang Joseph Arthur Graf de Gobineau mit seinem "Essai sur l'inégalité des races humaines" (Versuch über die Ungleichheit der menschlichen Rassen) 1853/55, in dem er behauptete, die treibende Kraft der menschlichen Geschichte sei die "Rassenfrage". Rassenvermischung, insbesondere mit "minderwertigen Rassen" führe zu Degeneration und Untergang von Völkern und Nationen.

Seine Theorien der rassischen Überlegenheit der Arier wirkten nachhaltig auf Richard Wagner und dessen Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain, der sie in seinem Buch "Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts" (1899) weiter ausbaute. Chamberlain stilisierte den Juden zum rassischen Antitypus des Ariers und postulierte einen historischen Endkampf, in dem es nur Sieg oder Vernichtung geben könnte.

Diese (Mach-)Werke fielen in vielfach popularisierter Form gerade im deutschsprachigen Raum auf fruchtbaren Boden. So ließ etwa der verkrachte Zisterziensermönch Adolf Lanz (alias "Jörg" Lanz "von Liebenfels") in seinen Ostara-Heftchen "blond-blaue" asische oder arische Herrenmenschen gegen "Sodoms-Äfflinge" antreten. Er erklärte die "Versklavung der Rassenminderwertigen" sei eine "ethisch und wirtschaftlich berechtigte Forderung". Diese gezielte Rassenhetze spielten bei der Genese des nationalsozialistischen Ideenkonglomerats eine entscheidende Rolle. Millionenfacher Mord war damit vorgedacht und "wissenschaftlich" begründet.

20. Jahrhundert

Rassenforscher des frühen 20. Jahrhunderts ordneten die malaische und die amerikanische Rasse wieder der mongolischen zu und kehrten somit zur 'klassischen' Dreiteilung zurück. Die Blütezeit der Rassenklassifikation, die Ende des 19. Jahrhunderts begann, erreichte ihren Höhepunkt in der Systematik Egon von Eickstedts (1934), die etwa 30 - 40 Rassen unterschied, die in 3 Rassenkreise sowie Alt- und Kontaktrassen eingeteilt wurden. Eickstedt verband mit den unterschiedlichen Rassen nicht nur verschiedene körperliche, sondern auch psychische Eigenschaften und meinte mit Hilfe von Rasseformeln den Anteil einzelner Rassen bei einem Menschen prozentgenau bestimmen zu können. Andere Anthropologen bauten auf der Klassifikation Eickstedts auf oder kamen wie der Amerikaner Carleton S. Coon wieder auf eine grobe Gliederung in drei Primärrassen oder Rassenkreise (Negroide, Kaukasoide, Sinoide) zurück.

Von Eugenikern wie den Nationalsozialisten wurde diese "Vermischung" als Degeneration definiert und versucht, sie zu unterbinden. Deren Rassentheorie bekam während der Zeit des Nationalsozialismus - im "Dritten Reich" - den Charakter einer Staatsreligion, die das öffentliche und private Leben zersetzte und die Ermordung großer Bevölkerungsgruppen - besonders von Juden, Slawen und deren Abkömmlingen diktierte.

Die Rassentheorie wurde im Auftrag und unter Kontrolle der Nationalsozialisten pseudowissenschaftlich weiter entwickelt und verfeinert. Rassentheoretiker der Nationalsozialisten waren u. a. Alfred Rosenberg, Hans F. K. Günther und Egon Freiherr von Eickstedt. Die Ideologie baute auf vielen Fehlannahmen der noch unvollkommenen Völkerkunde und Biologie auf. Z. B. wurden alle Hochkulturen, die Griechen und Römer von den Nationalsozialisten auf die "Arier" zurück geführt. Es gibt jedoch immer wieder Versuche, den Biologismus der Rassen wissenschaftlich hoffähig zu machen. Z.B. behauptete der englische Biologe John Baker in seinem umstrittenen Werk "Race" von 1974, gehirnmorphologische, Intelligenz- und Charakterunterschiede zwischen den Ethnien gefunden zu haben, und leitet daraus die Überlegenheit bestimmter "Zivilisationen" ab. Er beruft sich dabei explizit auf überholte anthropologische Theorien der biologischen Determination.

Heute wird die Menschheit nicht mehr in Rassen unterteilt. Allerdings gibt es Versuche verschiedene genetische Gruppen voneinander trennen. Das Genographic Project untersucht mit Hilfe moderner Methoden, wie sich die Menschheit, als sie von Afrika den Rest der Welt besiedelte, in immer mehr Gruppen aufspaltete. Dabei kann jeder an dem Projekt teilnehmen, indem er seine DNA Probe untersuchen lässt. Auf diese Weise kann man herausfinden, woher die eigenen Vorfahren stammen.

Verwendung von Rassemerkmalen in der Strafverfolgung

In manchen Ländern wie z. B. den Vereinigten Staaten wird der Begriff der Rasse zur Beschreibung von Personenmerkmalen verwendet. Das FBI verwendet zum Beispiel eine Klassifikation nach Rassen um das allgemeine Erscheinungsbild (wie zum Beispiel Hautfarbe, Form der Augen, Lippen, etc.) zur generischen Personenbeschreibung bei der Suche von Verdächtigen zusammenzufassen. Eine grobe Einteilung erfolgt hierbei in die vier Gruppen 'Whites', 'Blacks', 'White (Hispanic)' und 'Asian'. Bei der Einreise in die Vereinigten Staaten wird gelegentlich auch eine Klassifikation des Antragsstellers auf z.B. Visaformularen erwartet.

Scotland Yard verwendet ebenfalls "Rassemerkmale" zur Personenbeschreibung. Dabei wird folgendermaßen unterteilt: W1 (White-British), W2 (White-Irish), W9 (Any other white background); M1 (White and black Caribbean), M2 (White and black African), M3 (White and Asian), M9 (Any other mixed background); A1 (Asian-Indian), A2 (Asian-Pakistani), A3 (Asian-Bangladeshi), A9 (Any other Asian background); B1 (Black Caribbean), B2 (Black African), B3 (Any other black background); O1 (Chinese), O9 (Any other).

In vielen Ländern ist der Exekutive eine derartige Klassifikation gesetzlich untersagt.

Aufgrund von Forschungsergebnissen, welche die umstrittene Hypothese stützen, dass eine Rassenklassifikation aufgrund von DNA-Tests mit geringer Fehlerwahrscheinlichkeit möglich ist, werden in den Vereinigten Staaten auch sogenannte "biogeografische Abstammungsprofile" (biogeographical ancestry - BGA) aus DNA Proben zur Strafverfolgung eingesetzt.

Eine Sonderstellung in den Rassentheorien wird den Juden zugewiesen, die gleichzeitig als Nicht-Rasse als auch als Superrasse erscheinen:

  • die Assimilation dient den Antisemiten als ein Argument, zu behaupten, die Juden würden sich heimlich mit anderen Rassen vermischen - sie unterwandern
  • das Fortbestehen des Judentums trotz jahrtausendelanger Verfolgung wird von ihnen gleichzeitig als Anzeichen eines besonders starken Rassecharakters gedeutet

Parallel zu den biologisch argumentierenden Rassentheorien gibt es auch Ansätze, die mit anderen ethnisierenden Konzepten die Unterschiede zwischen den konstruierten Gruppen zu begründen:

  • Beseeltheit und Religiosität sind wichtige vormoderne Theorien, die z. B. von Papst Paul III. zur Versklavung der afrikanischen Bevölkerung herangezogen wurden
  • besonders im deutschen Sprachraum entwickelten sich Ansätze, die Menschheit anhand der Sprache in höhere und niedere Gruppen einzuteilen (Linguizismus);
  • Rassetheorien wie die von Gustave le Bon teilten die Menschheit in verschiedene Kulturen ein (vgl. Kulturalismus);
  • Ebenfalls auf dem Kulturbegriff aufbauend hat sich in den letzten 60 Jahren ein Rassismus ohne Rassen entwickelt, bei dem der Rassebegriff sprachlich ersetzt wird.
  • im Sozialdarwinismus können Rassen begründet werden - müssen aber nicht: auch die Unterteilung in stark und schwach genügt für die Legitimation von Unterdrückung.

Eine entsprechende Rassentheorie ohne Rassen aus unserer Zeit stellt z.B. Samuel Huntington in seiner Schrift Kampf der Kulturen dar, in der er von 7 oder 8 Kulturen spricht, die er ziemlich genau entlang der Linien entwirft, die auch die Rassentheoretiker des 19. Jahrhunderts für ihre Konstruktion genutzt haben. Und auch bei ihm erscheint das Zusammenleben unkalkulierbar gefährlich.

Kritik

Widerspruch gegen Rassentheorien gab es, seit es Rassentheorien gibt: Humanisten wie Herder, Forster oder Lichtenberg sprachen sich schon zu Kants Zeiten gegen den Rassebegriff aus.

Anthropologen wie Theodor Weitz oder Franz Boas widersprachen dem jeweils zeitgenössischen Rassismus von Chamberlain bzw. des Nationalsozialismus. Spätestens mit den Ergebnissen der UNESCO-Arbeitsgruppe von 1950 ist der Rassebegriff wissenschaftlich widerlegt.

Hinter dem Interesse, Menschen in "Rassen" einzuteilen, verbarg sich oftmals ein Herrschaftsinteresse im Sinne von "divide et impera". Heute, nach der Erfahrung mit der "Herrenrasse" und der Apartheid, gilt solch ein Interesse als Zeichen eines sehr rückständigen Menschenbilds.

Die Zahl der aufgestellten Gruppen schwankte sehr stark, wobei sich die bereits von Linné angenommenen vier Urtypen (s.u. Exkurs über die Geschichte der Rassenforschung) oder dreier großer Rassenkreise - Europide (Europa, Naher Osten, Nordafrika, Indien), Mongolide (Ostasien und Ureinwohner Amerikas) und Negride (Afrika) - besonderer Beliebtheit erfreuten. Dies wurde häufig weiter ausdifferenziert in zahlreiche Mischformen (z.B. Turanide, Australide, Mestizen, Mulatten) und Unterteilungen. So wurden beispielsweise die Europiden nochmals aufgefächert in Nordide, Osteuropide, Dinaride, Dalo-Fälide, Alpinide, Mediterranide, Armenide, Orientalide, Indide.

Zwar sind diese Klassifikationen durch die Erkenntnisse der modernen Genetik überholt, aber im alltäglichen Denken der meisten Menschen als Altlast präsent. Humangenetiker wie Luigi Cavalli-Sforza argumentieren, dass äußerliche Unterschiede wie Haut- und Haarfarbe, Haarstruktur und Nasenform lediglich eine Anpassung an unterschiedliche Klima- und Ernährungsbedingungen sind, die nur von einer kleinen Untergruppe von Genen bestimmt werden. Im Prinzip ist jede beliebige Untergruppe - theoretisch auch die Bewohner eines einzelnen Dorfes - durchschnittlich von anderen unterscheidbar. Anders ausgedrückt ist beim Menschen die Vielfalt so groß, dass es unzweckmäßig ist, diesen als Art zoologisch zu untergliedern. Dieses Argument hat bereits 1871 Charles Darwin in seinem Buch über die Abstammung des Menschen benutzt.

Cavalli-Sforza und andere Wissenschaftler sprechen von Populationen (Gruppen, die einen präzise bestimmten Raum bewohnen) - ein Begriff, der nicht biologisch, sondern statistisch definiert ist. Genetische Unterschiede zwischen Populationen lassen sich anhand einzelner Merkmale (z.B. Blutgruppen) erfassen. Dabei liegt etwa 85% der bei Menschen erkennbaren genetischen Variabilität innerhalb einer Population vor; etwa 8% betreffen Unterschiede zwischen benachbarten Gruppen und nur 7% gehen auf Unterschiede zwischen den typologisch definierten "Rassen" zurück. Genetisch betrachtet können zwei Menschen aus verschiedenen Kontinenten näher miteinander verwandt sein als Individuen einer spezifischen Gruppe, auch wenn sie z.B. eine unterschiedliche Hautfarbe haben.

Populationen sind, in gewissem Sinn, einfach statistische Blöcke, die von der Wahl der jeweiligen Variablen abhängen, wobei es keinen bevorzugten Satz von Variablen gibt. Die "populationistische" Ansicht leugnet nicht, dass es Unterschiede zwischen Menschen gibt; sie sagt aber, dass die historischen Rassekonzepte nicht besonders nützlich sind, um diese Unterschiede wissenschaftlich zu analysieren.

Im Vergleich mit vielen anderen Tierarten (etwa Primaten) zeigen Menschen eine sehr hohe genetische Ähnlichkeit. Daraus schließt man, dass vor etwa 100.000 Jahren die Menschheit nur eine geringe Populationsstärke besaß (neuere wissenschaftliche Erkenntnisse besagen, dass es um das Jahr 68.000 v.Chr. nur 2.000 Menschen gegeben hat, von denen demzufolge alle heutigen Menschen abstammen). Die geringe genetische Variabilität dieser Ausgangspopulation spiegelt sich in der genetischen Ähnlichkeit aller Menschen wider - die DNA zweier beliebiger Menschen ist sich zu 99,9% gleich.

Dass "Rasse" ein soziales, kein naturwissenschaftliches Konzept sei, sagt auch der amerikanische Genomforscher Craig Venter. Ob sich allerdings seine damit verbundene Hoffnung "ohne Rassen kein Rassismus" erfüllt, ist äußerst zweifelhaft (vgl. Rassismus ohne Rassen).

Quellen

  1. Vorlage:Fußnote
  2. Vorlage:Fußnote

Literatur

  • Barkan, Elazar: The Retreat of Scientific Racism. Changing Concepts of Race in Britain and the United States. Cambridge etc.: Cambridge University Press 1992.
  • Bernier, François: Nouvelle division de la Terre, par les différentes Espèces ou Races d'hommes qui l'habitent. Paris 1684.
  • Cavalli-Sforza, Luca und Francesco: Verschieden und doch gleich. Ein Genetiker entzieht dem Rassismus die Grundlage. München: Knaur 1996.
  • Werner Conze, Antje Sommer: Rasse. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politsch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. v. Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck. Bd. 5. Stuttgart: Klett-Cotta 1984, S. 135 - 178.
  • T. Geisen: Antirassistisches Geschichtsbuch. Quellen des Rassismus im kollektiven Gedächtnis der Deutschen, Frankfurt am Main: IKO, 1996.
  • I. Geiss: Geschichte des Rassismus, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988.
  • G. L. Mosse: Die Geschichte des Rassismus in Europa, Frankfurt am Main: Fischer, 1990.
  • L. Poliakov: Der arische Mythos. Zu den Quellen von Rassismus und Nationalismus, Hamburg: Junius, 1993.
  • Rushton, J. Philippe: Rasse, Evolution und Verhalten: eine Theorie der Entwicklungsgeschichte. Graz: Ares 2005. ISBN 3-902475-08-0
  • Stuurman, Siep: François Bernier and the Invention of Racial Classification. In: History Workshop Journal, 2000, 50, S. 1 - 21.

Siehe auch

Rasse, Rassenhygiene, Ethnisierung