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Moralischer Relativismus

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Moralischer Relativismus ist ein Teil der Philosophie. Er beschreibt, dass moralische oder ethische Aussagen nicht durch objektive bzw. generelle „moralische Wahrheiten“ reflektiert werden. Stattdessen sind sie auf soziale, kulturelle, historische oder personelle Gegebenheiten zurückzuführen. Der moralische Relativismus stellt die Behauptung auf, dass es keinen universellen Standard für moralische Regeln geben kann. Relativismus sieht moralische Werte oft nur in gewissen kulturellen Grenzen, oder dem Kontext individueller Präferenzen als anwendbar an. Eine extrem relativistische Einstellung würde das Bewerten der moralischen oder ethischen Werte von anderen Personen oder Gruppen sogar als belanglos darstellen, allerdings vertreten die meisten Relativisten eine eher eingegrenzte Version dieser Theorie. Im moralischen Relativismus gibt es keine absolute Wahrheit, intrinsisch ethische Ansichten werden eher als Abstraktionen, die je nach ethischem Blickwinkel aufgefasst werden, bewertet.

Einige moralische Relativisten wie zum Beispiel der Existenzialist Jean-Paul Sartre beschreiben subjektive Moral als Kern des eigenen moralischen Handelns.

Geschichte

Moralischer Relativismus beinhaltet Sichtweisen und Argumente, welche in manchen Kulturen bereits lange verbreitet waren, wie zum Beispiel das antike jainistische Anekāntavāda-Prinzip von Mahavira (599–527 v. Chr.). Es beschreibt, dass Wahrheit und Realität aus unterschiedlichen Sichtweisen verschieden aufgefasst werden können.[1][2]

Bereits seit Tausenden von Jahren werden relativistische Ansichten von Philosophen und Historikern vertreten. Protagoras’ Aussage „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“[3] könnte ein früher philosophischer Vorläufer des moralischen Relativismus sein, allerdings ist nicht ganz klar, ob Protagoras dies auch so im Sinn hatte. Der griechische Historiker Herodot von Halikarnassos (484–420 v. Chr.) beobachtete, dass verschiedene Kulturen ihre eigenen Glaubenssysteme und ihre Art etwas zu tun als besser denn die der Anderen ansehen.[4] Des Weiteren bezweifelten viele antike Philosophen die Existenz einer objekten Moralität, die frei von subjektiven Einflüssen ist.[5]

In der frühen Moderne stellte Baruch de Spinoza fest, dass nichts von sich aus „gut oder böse“ sei.[6] Spinozas friedliches Leben ist ein eindrucksvolles Gegenbeispiel, um die häufig genannten Vorwürfe, dass moralischer Relativismus zu einem zerstörerischen Lebensstil führen, zu widerlegen. Der Philosoph David Hume (1711–1776) lebte zur Zeit der Aufklärung und wird als Vater des moralischen Relativismus und des modernen Emotivismus bezeichnet, obwohl er selbst den Relativismus nicht unterstützte. Hume unterscheidet in seinen Werken zwischen Tatsachen und und Werten und schlägt vor, dass moralische Urteile abhängig sind von den vertretenen Werten, da sie nicht abhängig sind von verifizierbaren Fakten, sondern von unseren Gefühlen und Leidenschaften[7][8] Er bestritt die Existenz eines objektiven Standards der Moral und behauptete, dem Universum wären unsere Vorlieben und Probleme gleichgültig.[9]

Anthropologen wie Ruth Benedict (1887–1948) warnen vor Ethnozentrismus, also der psychologischen Voreingenommenheit eines Individuums gegenüber fremden Gruppen, und vor dem Heranziehen von Standards der eigenen Kultur für die Auswertung von Forschungen. Benedict sagte, dass es keine Moral gibt, lediglich Bräuche oder Sitten existieren.[10]

Philosophische Ansichten

Moralischer Relativismus steht im starken Gegensatz, zu allen Formen des moralischen Universalismus (einschließlich aller Formen des moralischen Realismus als auch des moralischen Naturalismus), von denen alle die Universalität oder Objektivität moralischer Werte enthalten: Werte, welche beide Partein wissen und beurteilen können, ob durch Überprüfungsprozesse oder durch Intuition. Andere moralische Universalisten glauben, dass die Menschheit moralisches Wissen aus externen Quellen, wie einer Gottheit oder Lehre ableitet und wiederum andere sind überzeugt, dass moralische Tatsachen aus der Natur oder Wirklichkeit resultieren. In jedem Fall bleiben jedoch moralische Tatsachen invariant, wenn die Umstände, auf die sie sich beziehen können, abweichen. Darüber hinaus sieht jede dieser Denkschulen moralische Tatsachen als objektiv und bestimmbar an.

Der moralische Relativismus lehnt die Idee einer objektiven oder universellen Moral ab, aber seine Befürworter sind sich nicht alle einig über die Natur der Moral.

Evolutionäre Perspektiven

Evolutionsbiologen glauben an Moral als natürliches Phänomen, dass sich durch natürliche Selektion auf personeller und Gruppenebene entwickelte. Die Moral und das daraus resultierende soziale Verhalten sei mit ein Grund für das Überleben und die Reproduktion der Menschheit.[11]

Arten des moralischen Relativismus

Deskriptiver Relativismus

Der deskriptive Relativismus beschreibt eine Vielfalt von normativen Vorstellungen verschiedener Kulturen, Zeiten und gesellschaftlichen Gruppen. Je nach Ausgangslage kann somit von kulturellem oder historischem Relativismus die Rede sein. Der deskriptive Relativismus fordert nicht nach der Einhaltung bestimmter Toleranzprinzipien. Es werden lediglich empirische Thesen aufgestellt, auf die allerdings keine normativen Thesen folgen. Da die Toleranzforderung an normative Thesen gebunden ist, wird sie nicht durch den deskriptiven Relativismus beschrieben, jedoch auch nicht abgelehnt, er steht der Frage nach einer Verpflichtung zu Toleranz neutral gegenüber.[12]

So genannte beschreibende Relativisten (z. B. Ralph Barton Perry [1876–1957]) akzeptieren die Existenz von Grundmeinungsverschiedenheiten über die richtige Vorgehensweise, auch wenn der gleiche Sachverhalt vorhanden ist und die gleichen Konsequenzen zu erwarten sind. Allerdings leugnen beschreibende Relativisten nicht unbedingt die Existenz einer einzigen richtigen moralischen Beurteilung bei gleichen Umständen.

Metaethischer Relativismus

Metaethische Relativisten behaupten, dass alle moralischen Urteile ihren Ursprung entweder in gesellschaftlichen oder in einzelnen Standards haben und dass kein absoluter Standard existiert, mit dem man die Wahrheit einer moralischen Aussage beurteilen kann. Zu diesem Schluss kam auch der britische Philosoph Bernard Williams (1929–2003).

Metaethische Relativisten vertreten im Allgemeinen die Ansicht, dass die beschreibenden Eigenschaften von Begriffen wie "gut", "schlecht" , "richtig" und "falsch" nicht als Universalwahrheitsbedingungen zu sehen sind, sondern eher gesellschaftlichen Konventionen und persönlichen Vorlieben entsprechen. Mit demselben Satz an nachprüfbaren Fakten werden einige Gesellschaften bzw. Einzelpersonen grundlegende Auffassungsunterschiede darüber haben, was gesellschaftliche Normen sind und was man aufgrund eigener Präferenzen tut.

Der letzte Beurteilungsstandard wird immer den gesellschaftlichen oder persönlichen Normen entsprechen und nicht einem universellen Standard. Als Beispiele dienen hier die wissenschaftlichen Standards zur Temperaturmessung bzw. zur Überprüfung von mathematischen Thesen.

Einige Philosophen behaupten, dass moralischer Relativismus zum Emotivismus oder einer anderen Art von Non-Kognitivismus führt. Diese These wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgestellt; führende Vertreter dieser These, die auch als Logischer Positivismus bekannt ist, sind Rudolf Carnap (1891–1970) und Alfred Jules Ayer (1910–1989).

Positivisten sehen einen Satz nur dann als sinnvoll an, wenn man diesen durch logische oder wissenschaftliche Untersuchung übeberprüfen und beweisen kann. Metaphysische Sätze, welche man nicht auf diese Weise überprüfen kann, sind nicht nur falsch, sondern vernachlässigbar. Moralische Urteile sind in erster Linie Ausdruck der emotionalen Vorlieben oder Zustände, frei von kognitiven Inhalten, folglich sind sie nicht Gegenstand einer Überprüfung. Als solche sind moralische Aussagen im Wesentlichen sinnlose Äußerungen oder im besten Fall Ausdruck von persönlichen Einstellungen (siehe zum Beispiel Charles L. Stevenson [1908–1979]). Nicht alle Relativisten betrachten moralische Sätze als sinnlos, viele stellen einige Behauptungen über Moral auf, die sie ohne Zweifel glauben und als sinnvoll ansehen.

Allerdings argumentieren andere Philosophen dass, da wir keine Möglichkeit haben, eine moralische Angelegenheit zu analysieren, diese im Wesentlichen bedeutungslos ist und (aus ihrer Sicht) Relativismus daher mit Emotivismus gleichzusetzen sei.

Der Ansatz, dass man moralische Urteile nicht wissenschaftlich überprüfen kann, stellt nach Meinung vieler Philosophen einen Selbstwiderspruch dar. Diesem Ansatz entspricht die Aussage "X ist bedeutungslos, wenn es nicht wissenschaftlich überprüfbar ist".

Fehlertheorie

John Leslie Mackie beschreibt seine moralischen Argumente für die Relativitätstheorie als Fehlertheorie: eine Theorie, die besagt, dass, obwohl im Kantischen objektive Werte Teil der Bedeutung der moralischen Sprache und des moralischen Denkens sind, diese objektiven Werte falsch sind.

Im ersten Teil, Ethics: Inventing Right and Wrong, verwendet er mehrere Argumente für seine Behauptung, dass objektive Werte falsch sind. Er argumentiert, dass einige Aspekte des moralischen Denkens relativ sind, und dass dies eine intrinsische Funktion erfordert. Vor allem denkt er, dass es sehr unklar ist, wie man objektive Werte auf Merkmale der natürlichen Welt supervenieren (siehe das Argument von Queerness) könnte. Darüber hinaus, glaubt er, dass es schwierig wäre, unser Wissen über "Entitätswerte" bzw. alle Konsequenzen zu begründen und zu rechtfertigen. Abschließend denkt er, dass es möglich ist zu beweisen, dass die Menschen noch immer an objektive Werte glauben würden, auch wenn diese nicht bewiesen sind bzw. es keinen Grund gäbe, daran zu glauben. Daher behauptet er, dass es möglich ist, Menschen zu täuschen oder im Glauben zu lassen, dass objektive Werte existieren.

Religiöse Kritik am moralischen Relativismus

Die Feststellungen des moralischen Relativismus stehen im Konflikt mit den Grundsätzen der meisten Weltreligionen.

Römisch-katholisch

Katholiken und weltliche Intellektuelle schreiben die Verdrängung von absoluten Werten durch den moralischen Relativismus der Nachkriegszeit Europas zu. Papst Benedikt XVI., Marcello Pera und weitere argumentierten, dass Europa nach 1960 viele traditionelle christliche Normen und Werte aufgab und mit sich ständig verändernden moralischen Regeln ersetzte. Sie beschreiben weiterhin, dass sich in dieser Zeit der Sexualakt vom reinen Mittel zur Fortpflanzung weiterentwickelte, was zu einem Rückgang der Bevölkerungszahlen führte. Das daraus entstehende Bevölkerungsvakuum in Europa wird durch Immigranten, meist aus islamischen Ländern, gefüllt, welche versuchen absolute moralische Werte wieder einzuführen.[13] Eine offizielle Antwort der römisch-katholischen Kirche auf den moralischen Relativismus findet man in der Veritatis Splendor, der zehnten Enzyklika von Papst Johannes Paul II.[14]

Viele der Hauptkritikpunkte der katholischen Kirche am moralischen Relativismus beziehen sich auf moderne Phänomene, wie zum Beispiel die selektive Abtreibung. Viele Befürworter selektiver Abtreibung unterstützen den moralischen Relativismus mit Zitaten wie „Das ist nur deine Sichtweise!“ um den Argumenten von Abtreibungsgegnern entgegenzuwirken.

Buddhismus

Bhikkhu Bodhi, ein amerikanischer buddhistischer Mönch, schrieb:

„By assigning value and spiritual ideals to private subjectivity, the materialistic world view, threatens to undermine any secure objective foundation for morality. The result is the widespread moral degeneration that we witness today. To counter this tendency, mere moral exhortation is insufficient. If morality is to function as an efficient guide to conduct, it cannot be propounded as a self-justifying scheme but must be embedded in a more comprehensive spiritual system which grounds morality in a transpersonal order. Religion must affirm, in the clearest terms, that morality and ethical values are not mere decorative frills of personal opinion, not subjective superstructure, but intrinsic laws of the cosmos built into the heart of reality.“[15]

Debatte über moralischen Relativismus

Verteidigung des Relativismus

Ein weiterer Kritikpunkt des moralischen Relativismus postuliert, dass jeder, der behauptet, es gäbe keine absolute Moral, seine Fähigkeit, die eigene Existenz zu rechtfertigen, untergräbt. Wenn also ein moralischer Relativist ehrlich ist, hat er kein Recht, den Relativismus über den Moralkodex anderer Individuen oder Kulturen zu stellen, da der Relativismus selbst eine Art Moralkodex darstellt (nämlich den, andere Moralkodizis nicht zu bewerten). Er würde sich und seine eigene Theorie also im Prinzip selbst ausschließen. Wenn moralische Relativisten behaupten würden, dass beispielsweise Sklaverei oder der Holocaust nicht unmoralisch wären (weil ja jegliche moralische Vorstellung relativ ist), so könnten sie auch nicht behaupten, dass ihr eigenes Leben in der Hand von anderen ein unmoralisches Szenario wäre. Dann könnte man allerdings argumentieren, dass das eigene Leben zwar objektiv nichts wert sei, aber der subjektive Moralkodex der meisten Menschen das Bedrohen oder Verletzen von moralischen Relativisten sowieso unterbinden würde. Dies stellt allerdings eher ein Glücksspiel dar als eine fixe Gegebenheit. Es fällt auf, dass eine Verteidigung des moralischen Relativismus schwer ist, was von Gegnern auch immer wieder als Defizit angesehen wird.

Kritik am moralischen Relativismus

Gegner des moralischen Relativismus bezeichnen diesen als mit sich selbst unvereinbar. Da er einerseits absolute moralische Werte ablehnt, andererseits die eigenen Vorstellungen zur Ansicher der Moral als absolut darstellt. So zum Beispiel der deutsche Professor Dr. Peter Zöller-Greer:

„Moralischer Relativismus ist außerden verurteilend, exklusiv und parteiisch, obwohl die Vertreter des moralischen Relativismus meinen, sie seien liberal, inklusiv und neutral. Der Moralische Relativismus ist verurteilund, weil er behauptet dass Leute, die an absolute moralische Werte glauben, falsch liegen. Der moralische Relativismus ist exklusiv, weil er den Glauben an absolute moralische Werte ausschließt und er ist parteiisch, weil die Vertreter von absoluten moralischen Werten nicht zur Partei der "richtigen Denker" gehören.“[16]

Argument der Intoleranz

Diese Theorie bezieht sich auf die Wahrscheinlichkeit für intolerantes Handeln. Moralische Relativisten behaupten, dass eine moralisch absolute Einstellung die Wahrscheinlichkeit für intolerantes Verhalten anderen Menschen gegenüber erhöht und die Verurteilung von anderen Handelsweisen verstärkt. So wurden beispielsweise sehr viele Menschen im laufe des zweiten Jahrtausends aufgrund ihrer Religion getötet, weils diese nicht mit der des derzeitig herrschenden Monarchen übereinstimmte. Heute würde wahrscheinlich jeder zustimmen, dass dieses Verhalten unmoralisch ist. Demnach ergibt sich, dass die Konsequenzen von moralisch relativistischem Handeln in jedem Fall weniger unmoralisch sind als die des moralisch absoluten Handelns.

Verbesserung und Innovation der Moral

Zu früherer Zeit wurde die Sklaverei an vielen Orten dieser Welt als durchaus akzeptabel angesehen, während sie anderorts als das große Übel bezeichnet wurde. Viele Authoren und Denker dieser Zeit hielten bereits fest, dass es wohl einen einheitlichen moralischen Standard geben müsse, um solche Dinge zu verhindern. Moralische Relativisten würden darauf entgegnen, dass dieser Standard nur dann gültig sein könne, wenn die Person selbst eine bestimmte Tatsache (in diesem Beispiel Sklaverei) bereits von sich selbst aus als unmoralisch angesehen hätte. Viele Relativisten sprechen mittlerweile auch schon davon, dass gewisse Handelsweisen moralisch falsch sind. Aber anstatt zu sagen "Sklaverei is falsch" wird die Aussage in einem eher kulturellen Blickwinkel betrachtet, so wie zum Beispiel "Sklaverei wird von unserer Gesellschaft abgelehnt". Allerdings gab es auch zu Zeiten der Sklaverei moralische Relativisten mit dieser Einstellung. In diesem Fall wäre die Aussage natürlich falsch, da Sklaverei ja von der Gesellschaft als richtig anerkannt wurde. Demnach ist es eher schwierig von einer Entwicklung oder sogar Verbesserung des moralischen Relativismus zu sprechen.

Grenzen ziehen

Es ist schwer eine Grenze zwischen Gesellschaft und Kultur zu ziehen. Die gefühlte soziale oder kulturelle Gruppierung von Personen muss nicht unbedingt mit legalen oder nationalen Gruppierungen übereinstimmen. Minderheiten eines Landes fühlen sich zum Beispiel eher in Ihre eigenen Gruppierungen und moralische Handelsweisen integriert. Obwohl diese für die Mehrheit der Bevölkerung, oder sogar Gesetze des Landes nicht als richtig gelten würden. Dies kann zum Beispiel bei religiösen Gruppierungen die Abtreibung unterstützen obwohl Gesetze dies verbieten beobachtet werden. Diese unklaren Grenzen machen es schwer moralischen Relativismus richtig einzuordnen und auch zu leben.

Eingreifen und Untätigkeit

Ein Kritikpunkt am moralischen Relativismus ist, dass Relativisten es nicht rechtfertigen können, in Gebräuche anderer Kulturen einzugreifen, da man ihnen damit seine eigene moralischen Vorstellungen aufzwingen würde. In Realität kann dieser Einwand aber nicht allen Relativisten vorgeworfen werden, da nicht alle das „Nicht-Aufzwingen“ als wesentlichen Grundsatz verstehen. Allerdings müssen die, die das „Nicht-Aufzwingen“ als Grundsatz vertreten, die Kritik annehmen, dass sie nicht gewillt wären, Unheil oder Böses zu verhindern, auch wenn sie es selbst als Übel in ihrer eigenen Gesellschaft sehen würden.

R. M. Hare

Manche Philosophen, wie zum Beispiel R. M. Hare (1919–2002), argumentieren, dass sich moralische Thesen den Regeln der menschlichen Logik unterwerfen, ungeachtet der Abwesenheit von Fakten. Sie behaupten deshalb, dass der Mensch nicht in der Lage ist, selbst gegensätzliche ethische Urteile zu fällen, wenn er denn glaubthaft bleiben will. Weder befürworten noch widerlegen sie die Existenz von moralischen Fakten, sie sagen nur, dass die menschliche Logik moralische Thesen beeinflusst. Dementsprechend folgern sie, dass ein bevorzugter, objektiver moralischer Standard existiert, wenn auch nur mit eingeschränkter Gültigkeit.[17]

Ist Relativismus in Wirklichkeit Nihilismus?

Nihilismus ist die Verneinung jeglicher Erkenntnis-, Wert- und Gesellschaftsordnung, umgangssprachlich auch die Verneinung aller positiven Ansätze. Am Relativismus wird kritisiert, dass er keine positive Moraltheorie beschreibt, da er zum Beispiel folgendes Kriterium einer positiven Moraltheorie nicht erfüllt:

  • Eine Moraltheorie sollte normativ sein, moralischer Relativismus ist im besten Fall eine Fehlertheorie.[18]

Die Kritik behauptet, dass moralischer Relativismus in Wirklichkeit moralischer Nihilismus oder einer Fehlertheorie ist und fälschlicherweise als positive Moraltheorie interpretiert wird.

Normativer moralischer Relativismus

Wenn man Relativismus als Fakt ansieht, erkenntnistheoretisch sowie moralisch, hätte man keinen Grund den Relativismus einer anderen Theorie vorzuziehen, da laut der Grundregeln des Relativismus keine objektive Wahrheit existiert. Durch diesen Grundsatz wird klar, dass der Relativismus keine einfache meta-ethische Theorie ist, sondern eine normative und es per eigener Definition nicht möglich ist, diese gegen andere Theorien abzuwägen. Relativismus und Objektivismus werden dadurch zu zwei gegensätzlichen Seiten über die Frage, ob eine objektive Wahrheit existiert.

Walter Terence Stace

Der ethische Relativismus ist Thema in The Concept of Morals von Walter Terence Stace, in dem er schrieb:

„I shall reject ethical absolutism. But I shall also reject ethical relativity. Morality, I shall try to show, is relative in the sense that it is relative to the universal needs of human nature. But it is not relative to the particular needs of particular nations, ages, or social groups. Consequently it does not vary from place to place or from time to time. Morality is universal, but it is not absolute.“[19]

Siehe auch

Literatur

  • Kurt Baier: Difficulties in the Emotive-Imperative Theory. In: Paul W. Taylor (Hrsg.): The Moral Judgement. Readings in Contemporary Meta-Ethics. Prentice-Hall, Englewood Cliffs NJ 1963, S. 153–159.
  • Klaus Beck: Relativismus und Rolle – Zur Grundlegung einer differentiellen Moralerziehung. In: Philipp Gonon, Fritz Klauser, Reinhold Nickolaus (Hrsg.): Bedingungen beruflicher Moralentwicklung und beruflichen Lernens. VS – Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-15036-7, S. 9–22.
  • Ruth Benedict: Patterns of Culture. Houghton Mifflin u. a., Boston MA u. a. 1934 (zahlreiche Ausgaben).
  • Panayot Butchvarov: Skepticism in Ethics. Indiana University Press, Bloomington IN 1989, ISBN 0-253-35321-1.
  • Ronald F. Duska: What's the Point of a Business Ethics Course? In: Business Ethics Quarterly. Bd. 1, Nr. 4, 1991, ISSN 1052-150X, S. 335–354, doi:10.2307/3857601, zitiert nach Sterling Harwood (Hrsg.): Business as Ethical and Business as Usual. Text, Readings, and Cases. Wadsworth Publishing Co., Belmont CA 1996, ISBN 0-534-54251-4, S. 11–21.
  • Gerhard Ernst: Das semantische Problem des moralischen Relativisten. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Bd. 60, Heft 3, 2006, ISSN 0044-3301, S. 337–357.
  • Gerhard Ernst (Hrsg.): Moralischer Relativismus (= Ethica. Bd. 17). mentis, Paderborn 2009, ISBN 978-3-89785-314-0.
  • Gerhard Ernst: Toleranz und/oder Relativismus. In: Lebenswelt und Wissenschaft. Sektionsbeiträge. XXI. Deutscher Kongress für Philosophie, Universität Duisburg-Essen, Campus Essen 15. bis 19. September 2008. Universität Duisburg-Essen, Essen 2008, ISBN 978-3-00-025531-1, online (PDF; 43,6 KB).
  • Richard M. Hare: Sorting out Ethics. Clarendon Press, Oxford 1997, ISBN 0-19-823727-8.
  • Gilbert Harman, Judith Jarvis Thomson: Moral Relativism and Moral Objectivity. Blackwell Publishing, Oxford 1996, ISBN 0-631-19203-4.
  • Sterling Harwood: Taking Ethics Seriously – Moral Relativism versus Moral Realism. In: Sterling Harwood (Hrsg.): Business as Ethical and Business as Usual. Text, Readings, and Cases. Wadsworth Publishing Co., Belmont CA 1996, ISBN 0-534-54251-4, S. 2–4.
  • Sterling Harwood: Against MacIntyre's Relativistic Communitarianism. In: Sterling Harwood (Hrsg.): Business as Ethical and Business as Usual. Text, Readings, and Cases. Wadsworth Publishing Co., Belmont CA 1996, ISBN 0-534-54251-4, S. 5–10.
  • David Hume, An Enquiry Concerning the Principles of Morals. A critical Edition. Edited by Tom L. Beauchamp. Clarendon Press u. a., Oxford 1998, ISBN 0-19-823500-3.
  • George Edward Moore: Principia Ethica. Cambridge University Press, 1903 (zahlreiche Ausgaben).
  • Walter T. Stace: The Concept of Morals. Macmillan Publishers, London 1937, siehe S. 1–68: Kapitel 1 und 2 mit dem Titel „Ethical Relativity.“ (Nachdruck. Smith, Gloucester MA 1975, ISBN 0-8446-2990-1).
  • Jean-Paul Sartre: Existentialism is a Humanism. In: Walter Kaufmann (Hrsg.): Existentialism From Dostoevsky to Sartre. World Publishing Company, Cleveland OH u. a. 1956 (zahlreiche Ausgaben).
  • Leo Strauss: The Rebirth of Classical Political Rationalism. An Introduction to the Thought of Leo Strauss. Essays and Lectures. Selected and introduced by Thomas L. Pangle. University of Chicago Press, Chicago IL u. a. 1989, ISBN 0-226-77714-6.
  • Edward Westermarck, The Origin and Development of the Moral Ideas. 2 Bände. Macmillan u. a., London 1906–1908.
  • Bernard Williams: Ethics and the Limits of Philosophy. Harvard University Press, Cambridge MA 1985, ISBN 0-674-26857-1.
  • David B. Wong: Moral Relativity. 1. paperback printing. University of California Press, Berkeley CA u. a. 1986, ISBN 0-520-04977-2.
  • Peter Zöller-Greer: Alles is relativ – Wirklich? (oder: Zur Rationalität des moralischen Relativismus). In: Professorenforum-Journal. Bd. 6, Nr. 2, 2005, S. 48–51, online (PDF; 73,66 KB).

Einzelnachweise

  1. Dundas, Paul (2004). „Beyond Anekāntavāda : A Jain approach to religious tolerance“. In Tara Sethia (Hrsg.), Ahimsā, Anekānta, and Jaininsm. Delhi: Motilal Banarsidass Publ. S. 123–136. ISBN 81-208-2036-3.
  2. Koller, John (2004). „Why is Anekāntavāda important?“. In Tara Sethia (Hrsg.), Ahimsā, Anekānta, and Jaininsm. Delhi: Motilal Banarsidass Publ. S. 400–407. ISBN 81-208-2036-3.
  3. Hermann Diels, Walther Kranz (Hrsg.): Fragmente der Vorsokratiker 80B1 = Platon, Theaitetos 152a.
  4. Vgl. Reinhold Bichler, Robert Rollinger: Herodot. Hildesheim u. a. 2000, S. 11.
  5. Fieser, James (2000). „Moral Philosophy Through the Ages“, ISBN 0767412982
  6. vgl. Baruch de Spinoza: Tractatus de Intellectus Emendatione: Et de Via, Qua Optime in Veram Rerum Cognitionem Dirigitur; published Macmillan 1895
  7. Treatise, p. 295
  8. Vgl. https://en.wikisource.org/wiki/Treatise_of_Human_Nature/Book_2:_Of_the_passions#Sect._III:_Of_the_influencing_motives_of_the_will.
  9. Wright, Richard (2009). Understanding religious ethics.
  10. Ruth Benedict 1959 [1934] Patterns of Culture Boston: Houghton Mifflin Company, S. 3.
  11. Michael Shermer: Transcendent Morality. In: The Science of Good and Evil, ISBN 0805075208.
  12. Vgl. http://www.dgphil2008.de/fileadmin/download/Sektionsbeitraege/14-3_Ernst.pdf
  13. Josef Cardinal Ratzinger, Marcello Pera, „Without Roots: The West, Relativism, Christianity, Islam“ (Basic Books, 0465006345, 2006).
  14. vgl. http://www.vatican.va/edocs/DEU0080/_INDEX.HTM
  15. Bhikkhu Bodhi, „A Buddhist Response to Contemporary Dilemmas of Human Existence“ Link zum Artikel bei Access to Insight
  16. Peter Zöller-Greer: Alles ist relativ - Wirklich? Professorenform-Journal, 2005, S. 51 (professorenforum.de [PDF]).
  17. Hare, Richard Mervyn (2000). „Sorting out Ethics“. In Oxford scholarship online. Oxford University Press, ISBN 0198250320
  18. vgl. http://plato.stanford.edu/entries/moral-anti-realism/moral-error-theory.html, abgerufen am 21. November 2013
  19. Walter T. Stace: The Concept of Morals. The MacMillan Company, New York, ISBN 0-8446-2990-1, S. 67.