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Antisemitismus

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Judenfeindlichkeit ist eine pauschale Ablehnung der Juden, die sich vor allem durch die Geschichte Europas zieht. Juden sind seit mehr als 2000 Jahren weltweit sehr oft Anfeindung, Unterdrückung, Diskriminierung, Verfolgung, Vertreibung und Ermordung ausgesetzt. Diese Feindschaft richtete sich gegen:

Diese Formen von Judenfeindlichkeit mit je eigenen Hauptmerkmalen lassen sich historisch voneinander abgrenzen. Zugleich aber bestehen teilweise Überschneidungen. Dazu gehören antijüdische Stereotypen von "reichen", "geizigen", "neidischen", "verstockten", "schmarotzenden" und "hinterhältigen" Juden; verunglimpfende Karikaturen von Juden aus verschiedenen Zeiten ähneln sich. Auch die Annahme einer jüdischen Weltverschwörung kehrt immer wieder.

Ab 1933 wurde rassistischer Antisemitismus Staatsdoktrin im Deutschen Reich und gipfelte in der staatlich organisierten und industriell vollzogenen Massenvernichtung im „Holocaust“ während des Zweiten Weltkriegs.

Da die Wurzeln des Antisemitismus, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von antiker, christlicher, neuzeitlicher und gegenwärtiger Judenfeindlichkeit noch unzureichend erforscht wurden, trifft man oft eine begriffliche Konfusion an: So werden antike und mittelalterliche Judenverfolgung, aber auch heutige antizionistische und anti-israelische Haltungen oft pauschal als "Antisemitismus" bezeichnet, obwohl sie nicht rassistisch motiviert sein müssen. Dieser Begriff hat sich seit 1945 in der Antisemitismusforschung für die fundamentale Ablehnung alles "Jüdischen" eingebürgert. Damit wird jedoch der von Judengegnern ideologisch geprägte Rassenbegriff indirekt übernommen und auch dort rassistische Motive unterstellt, wo diese fehlen.

Andererseits bezog sich auch nicht rassistische Judenfeindlichkeit oft auf das Judentum als Ganzes und bekämpfte es als "Volk". Der Begriff "Judenfeindlichkeit" kann solche auf völlige Unterdrückung, Vertreibung und Ausrottung hinauslaufenden antisemitischen Tendenzen, die schon vor dem 19. Jahrhundert auftraten, übersehen und einebnen. Auch erfasst dieser unspezifische Oberbegriff noch nicht die besondere Ablehnung "des Jüdischen", die auch ohne reale Juden funktioniert. Darin deutet sich das Problem einer allgemeingültigen Definition des Phänomens an.

Gemeinsam ist allen Formen von Judenfeindlichkeit ihre Irrationalität. Juden wird gemäß dem Zitat des Patriarchen aus Lessings Nathan der Weise oft das Existenzrecht abgesprochen, einfach weil sie Juden sind:

"Tut nichts, der Jude wird verbrannt".

Das zu Grunde liegende Phantombild, das im Nationalsozialismus paranoide Dimensionen annahm, besagt: Juden sind per se verkommen, böse und verdorben. Als "typisch" für sie gilt dann alles, was diesem Negativbild entspricht; was ihm widerspricht, kann nichts mit dem Judesein zu tun haben und wird als Verstellung angesehen. Die Absurdität dieser Vorurteilsstruktur drückt ein jüdischer Witz aus den 30er Jahren aus, den Kurt Tucholsky überliefert hat. Darin sagt ein Jude zum anderen:

"Es geht wieder los, gegen die Juden und gegen die Fahrradfahrer."
"Wieso denn gegen die Fahrradfahrer?"
"Wieso denn gegen die Juden?"

Nicht zuletzt weil es dafür keine rationale Begründung gibt und die Judenfeindschaft sich seit Jahrtausenden gegenüber dem Judentum verselbständigt hat, ist sie mit Gründen, die an die Ratio appellieren, allein kaum zu überwinden.

Die Großreiche der Antike - Ägypter, Assyrer, Babylonier, Perser, Griechen, Römer - versuchten oft, den eroberten Völkern ihre Götter und Kultur aufzuzwingen. Dabei erlaubte der verbreitete Polytheismus ihnen oft einen Synkretismus: Neue Götter wurden in das eigene Pantheon aufgenommen oder man verehrte die alten Götter unter den Namen der Neuen weiter. Antike Religionspolitik war jedoch meist mit dem Gottkönigtum verbunden und von einem Staatskult überwölbt, der die unterworfenen Völker vereinheitlichen sollte.

Das Judentum sah sich seit seinen Anfängen von fremdem Völkern und ihren Göttern bedroht, denn es akzeptierte nur einen Gott als Schöpfer der ganzen Welt (Monotheismus). Das führte zu einer Reihe von religiös-politischen Konflikten in und um Israel. Die umliegenden Kulturen mutmaßten in dieser Haltung eine Abwertung ihrer polytheistischen Vorstellungen und ziehen die Juden folglich des Atheismus. So versuchte schon der Seleukide Antiochus IV. um 170 v. Chr., den Zeuskult in Israel zu etablieren. Als dies unter den Makkabäern Widerstand auslöste, versuchte er, Israels Religion und damit seine Eigenart auszulöschen.

Die neue Weltmacht Rom tolerierte zunächst die eigenständige Religionsausübung des Judentums mitsamt seinem Tempelkult. Doch in der römischen Kaiserzeit entstanden erneut Spannungen, die schließlich zum jüdischen Krieg führten. Er endete 70 n. Chr. mit der Zerstörung des 2. Jerusalemer Tempels. Damit verlor das Judentum sein religiöses und staatliches Zentrum, 135 auch seine Eigenstaatlichkeit in Palästina. In der Folgezeit verfestigten sich antijüdische Stereotypen gerade bei gebildeten Römern: Ihnen galten Juden als "Feinde des Menschengeschlechts."

Der christliche Antijudaismus

Dieser entstand seit 70 n. Chr. mit dem Christentum. Religiöse Deutungsmuster wie der "Christus-" bzw. "Gottesmord", der allen Juden Schuld am Tod Jesu gab, und die "Enterbung" des Volkes Gottes zu Gunsten der Kirche dienten anfangs der Selbstbehauptung einer jüdischen Minderheit in Israel. Sie wurden von der heidenchristlichen Mehrheit übernommen und seit 380 in eine Staatsreligion mit universalem Herrschaftsanspruch integriert.

Im Mittelalter nahm die antijüdische Kirchenpolitik Züge einer systematischen Verfolgung an. Juden wurden nach erfolglosen Missionsversuchen zwangsgetauft, später ghettoisiert und dämonisiert. Im Kontext von sozialen Missständen, Kreuzzügen und Pest führte der Aberglaube häufig zu Massakern (Pogromen) an Juden. Martin Luther empfahl 1543 in seiner Schrift "Von den jüden und iren lügen" die Ausweisung der Juden, Arbeitszwang und Verbot ihrer Religionsausübung.

Die christliche Judenfeindlichkeit war nicht rassistisch - das Denken in rassischen Kategorien war dem Mittelalter fremd -, richtete sich aber gegen alle Juden als Nachkommen der "Mörder" des Heilands. Diese religiöse Ablehnung bestimmte Theologie und Politik im christlichen Abendland bis zur Aufklärung und darüber hinaus. Sie prägt die Volksfrömmigkeit bis in die Gegenwart hinein (siehe Antijudaismus in der Neuzeit).

Der neuzeitliche Antisemitismus

Datei:AntisemitismusNSDAPJuden1933.jpg
Boykott jüdischer Geschäfte in Deutschland ab 1933

Nach der Französischen Revolution 1789 entstanden überall in Europa nationalistische Bewegungen. Das 19. Jahrhundert brachte zwar auch die beginnende Emanzipation der Juden in Europa, der Judenhass wirkte jedoch auch im aufgeklärten Bürgertum fort, suchte sich nun aber pseudowissenschaftliche Gründe. Ab etwa 1860 keimte der Rassismus auf. Auch Juden wurden nun als "Rasse" definiert. Im Kaiserreich bildete sich daraus eine politische Ideologie. Ein Konglomerat rechtsgerichteter Gruppen machte die Bekämpfung, Isolierung, Vertreibung und schließlich Vernichtung alles "Semitischen" zu seinem Programm. Gemeint waren die Juden.

Das bereitete dem Nationalsozialismus den Boden und führte zuletzt zum staatlich organisierten Massenmord (Holocaust) am europäischen Judentum.

Die durchgängige Judenfeindlichkeit in Europa führte Ende des 19. Jahrhunderts zur organisierten Suche von Juden nach einer eigenen Heimat. Diese Bewegung des Zionismus rief nach den ersten Einwanderungswellen (Alijah) eine Gegenreaktion hervor. Mit dem arabischen Aufstand 1936-39 begann der Widerstand von Palästinensern gegen jüdische Siedler. Dieser wandte sich gegen das Heimatrecht von Juden im Gebiet Palästinas und seit 1948 gegen das Existenzrecht des Staates Israel.

Dessen Politik verstärkte besonders seit dem Sechstagekrieg 1967 den Hass auf alle Juden: besonders in arabischen Ländern, aber auch in Europa und anderen Teilen der Welt. Dieser findet immer neue Nahrung durch den fortdauernden Nahostkonflikt. Dabei werden oft Motive aus dem europäischen Antisemitismus oder Antijudaismus übernommen. Dennoch muss die arabische und islamische Judenfeindlichkeit aus ihrer eigenen Geschichte heraus erklärt werden.

Der Konflikt hat auf beiden Seiten zu ideologischer Verschärfung geführt: Darum lehnen auch Juden und Bürger Israels den heutigen Zionismus ab, so wie auch Muslime und Araber den Islamismus ablehnen. Antizionismus muss also nicht prinzipielle Judenfeindlichkeit beinhalten.

Antijudaismus, Rassismus und Antisemitismus sind seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs keineswegs überwunden. Sie bestehen in Deutschland wie auch anderen Ländern weiter und zeigen sich in letzter Zeit wieder verstärkt.

In der Bundesrepublik ist ein gesellschaftliches Umfeld entstanden, das nach Untersuchungen der Antisemitismusforschung neben allgemeiner Fremdenfeindlichkeit auch die Duldung von offener Feindschaft gegen Juden und Gewaltakte gegen Synagogen oder Friedhofsschändungen begünstigt:

  • Der Geschichtsrevisionismus fälscht oder relativiert die Ursachen des Holocaust; auch die Holocaustleugnung besteht fort.
  • Ein "sekundärer Antisemitismus" gibt Juden die Schuld für gefühlte Belastungen, z.B. für die Zwangsarbeiter-Entschädigungen.
  • Israelkritik wird im Kontext aktueller Spannungen im Nahostkonflikt, im Gefolge des Irakkriegs und des Islamismus häufig zu Israel- und Judenfeindschaft verallgemeinert.
  • Antiamerikanismus, Antikapitalismus und neue Weltverschwörungstheorien verbinden sich mit alten antisemitischen Klischees.
  • Rechtsextreme Gewalt und rechtspopulistische Parteien vernetzen sich stärker und gewinnen Präsenz in Landtagen und Öffentlichkeit.
  • Ein zunehmender Teil der Gesellschaft will über 50 Jahre nach dem Kriegsende einen "Schlussstrich" unter das Thema Holocaust gezogen wissen: Bei einer Forsa-Umfrage aus dem Jahre 2003 sprachen sich 61 Prozent der 1.301 Befragten in diesem Sinne aus. Dabei wurde deutlich, dass dies mit signifikanten antisemitischen Einstellungen einhergeht.
  • Zugleich sterben die letzten überlebenden Zeitzeugen des Holocaust aus, so dass ihr persönliches Erleben die öffentliche Wahrnehmung der Vergangenheit nicht mehr beeinflussen kann.

Siehe auch

Fettmilch-Aufstand, Pogrom, Inquisition, Kreuzzüge, Pest, Dreyfus-Affäre, Protokolle der Weisen von Zion, Nürnberger Rassengesetze, Reichskristallnacht, Wannseekonferenz, Auschwitz, Theodor Herzl, Fremdenfeindlichkeit

Literatur

  • Jacob Katz: Vom Vorurteil bis zur Vernichtung. Der Antisemitismus 1700-1933, C.H.Beck 1989

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