Ernst Fraenkel (Politikwissenschaftler)
Ernst Fraenkel (* 26. Dezember 1898 in Köln; † 28. März 1975 in Berlin) war ein deutsch-amerikanischer Jurist und Politikwissenschaftler.
Leben
Biografie bis 1933
Familie, Schulzeit und Erster Weltkrieg
Fraenkel wuchs als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie zunächst bei seinen Eltern in Köln auf. Nach dem Besuch der Kreuzgassen-Vorschule wechselte er 1908 auf das Gymnasium Kreuzgasse. Sein älterer Bruder Maximilian (* 1891) und sein Vater Georg (* 1856) starben 1909. Seine Mutter Therese Fraenkel, geborene Epstein (* 1864), starb 1915. Nach dem Tod der Mutter zog Ernst zusammen mit seiner Schwester Martha (1896–1976) zu Joseph Epstein, einem Onkel mütterlicherseits, nach Frankfurt am Main und besuchte dort die Musterschule, an der er im November 1916 das Notabitur ablegte.[1]
Im November 1916 meldete sich der 18-Jährige als Kriegsfreiwilliger. In seiner Einheit lernte er den späteren Reformpädagogen Adolf Reichwein kennen und rettete ihn, als dieser am 5. Dezember 1917 bei schweren Kämpfen an der Westfront lebensgefährlich verletzt wurde. Am 1. April 1918 endete für Fraenkel der Fronteinsatz, weil er durch eine Handgranate verletzt wurde. 1918 wurde er Mitglied des Darmstädter Soldatenrates, verstand sich aber nicht als Revolutionär.[2]
Studium
Nach seiner Entlassung aus der Armee im Januar 1919 hatte Fraenkel zunächst vor, Geschichte zu studieren, entschied sich nach Einwirken seines Onkels Joseph aber für das Jurastudium (mit Geschichte im Nebenfach). Hauptsächlich studierte er an der jungen Frankfurter Universität, Zwischensemester absolvierte er in Heidelberg und Tübingen. Während seines Studiums in Frankfurt lernte er Franz Neumann und Leo Löwenthal kennen; gemeinsam gründeten sie 1919 eine Gruppe sozialistischer Studenten. 1921 trat Fraenkel in die SPD ein. Sein politisches und berufliches Vorbild war der Jurist Hugo Sinzheimer. Als Sinzheimer, der an der Erarbeitung der Weimarer Verfassung mitwirkte, 1919 in Frankfurt die erstmals vergebene Arbeitsrechtsprofessur erhielt, verteidigten Fraenkel und seine Freunde dessen Antrittsvorlesung gegen protestierende völkische und antisemitische Studentengruppen. Bei Sinzheimer studierte Fraenkel zusammen mit Neumann, Hans Morgenthau, Otto Kahn-Freund und Carlo Schmid. Das Studium des modernen Arbeitsrechts bot Fraenkel wichtige Erkenntnisse über das Verhältnis von Recht, Gesellschaft und Staat, die unter anderem für seine spätere Analyse des Nationalsozialismus grundlegend waren. Im Dezember 1921 legte Fraenkel sein Erstes Staatsexamen ab, im Dezenber 1923 promovierte er bei Sinzheimer zum Thema Der nichtige Arbeitsvertrag, im Januar 1925 bestand er das Zweite Staatsexamen. Seine Referendariatszeit (Januar 1922 bis Juli 1924) verbrachte er in Weilburg und Frankfurt am Main.[3]
Anwalt und Gewerkschaftstätigkeit

Als Volljurist arbeitete Fraenkel zunächst in einer Kanzlei in Saarbrücken. Im Frühjahr 1926 trat er in die Dienste des Deutschen Metallarbeiter-Verbands (DMV), indem er in Bad Dürrenberg an der neu gegründeten Wirtschaftsschule des DMV Mitglieder von Betriebsräten insbesondere in Rechtsfragen unterrichtete. Zugleich publizierte Fraenkel Aufsätze zu arbeitsrechtlichen und rechtskulturellen Fragen.[4]
Anfang 1927 beendete Fraenkel seine Lehrertätigkeit und eröffnete in Berlin eine Anwaltskanzlei. Seine guten Kontakte zum DMV, seine Publikationen zu Fragen des Arbeitsrechts sowie seine Dozententätigkeit an der Deutschen Hochschule für Politik (Berlin) und der Akademie der Arbeit (Frankfurt am Main) halfen ihm bei der Etablierung der Kanzlei. Nach Fertigstellung der neuen Zentrale des DMV in Berlin verlegte Fraenkel seine Kanzlei in das Gebäude. Gemeinsam mit Franz L. Neumann betrieb er dort eine Sozietät und betätigte sich als Syndikus der Gewerkschaft.[5] Zudem vertrat er in der Endphase der Republik den Vorstand der SPD.[6]
Am 24. Dezember 1932 heiratete Ernst Fraenkel Hanna Pickel (1904–1975), die er in Bad Dürrenberg kennengelernt hatte.[7]
Im Dritten Reich und im Exil
Anwaltstätigkeit und Widerstand
Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums verbot jüdischen Anwälten, Mandaten vor Gericht zu vertreten. Auch Fraenkel war davon betroffen. Am 11. Mai 1933 gelang es ihm jedoch, durch das sogenannte „Frontkämpferprivileg“ seine Wiederzulassung bei Gericht zu erhalten. Sein Sozius Franz Neumann war am Vortag nach Großbritannien geflüchtet.[8]
Fraenkel betätigte sich im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Hier knüpfte er vor allem Kontakte zu Mitgliedern des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds (ISK). Er publizierte anonym im Organ dieser Gruppe, der „Sozialistischen Warte“, unter anderem einen Aufsatz zum „Sinn illegaler Arbeit“.[9] Er hielt ebenfalls Kontakt zu Alwin Brandes, Richard Teichgräber, Heinrich Schliestedt und weiteren Personen aus der Führung des mittlerweile verbotenen Metallarbeiter-Verbands, die Untergrundarbeit organisierten.
Zu seinen legalen Tätigkeiten gehörte die Beratung und anwaltliche Vertretung von Verfolgten des NS-Regimes. Dadurch befand sich Fraenkel im Visier der Gestapo. Am 20. September 1938 entzog er sich einer drohenden Verhaftung – sein Name fand sich auf einer entsprechenden Liste – indem er ein Flugzeug nach London bestieg. Seine Frau Hanna folgte ihm am 13. November desselben Jahres.[10]
Exil in den USA
Nach kurzem Aufenthalt bei Otto Kahn-Freund in London schiffte sich das Ehepaar Fraenkel im November 1938 in Southampton ein, um in die Vereinigten Staaten zu emigrieren. Versuche Fraenkels, eine Beschäftigung an der New School for Social Research zu erhalten, schlugen fehl. Nachdem ihm eines der begehrten Stipendien des American Committee for the Guidance of Professional Personnel[11] bewilligt wurde, nahm Fraenkel im Herbst 1939 ein Studium des amerikanischen Rechts an der University of Chicago Law School auf. Am 10. Juni 1941 bestand er die Prüfung und erhielt den Titel Doctor of Law. Das Ehepaar wohnte während der Studienzeit Ernst Fraenkels im Chicagoer Stadtteil Hyde Park nahe des Campus.
Seit seiner Ankunft in den USA arbeitete Fraenkel zugleich an der umfassenden Überarbeitung eines langen Manuskripts, das den NS-Staat analysierte. Es wurde zur Jahreswende 1940/41 unter dem Titel The Dual State (→ Der Doppelstaat) veröffentlicht. Der Autor unterschied in seiner Studie den Normenstaat, dessen Handeln sich an Gesetzen orientiere, vom Maßnahmenstaat, der sich an politischen Zweckmäßigkeitsüberlegungen ausrichte und gegen als Feinde des Regimes definierten Bevölkerungsgruppen vorging.[12]
Der mittlerweile Staatenlose – die NS-Behörden hatten Ernst Fraenkel im Juni 1940 ausgebürgert – trat am 1. Oktober 1940 eine Stelle in einer Washingtoner Rechtsanwaltskanzlei an. Fraenkel sollte daran mitwirken, amerikanische Vermögensansprüche im vom Zweiten Weltkrieg geprägten Europa durchzusetzen. Dieses Beschäftigungsverhältnis wurde im Januar 1941 bereits wieder gelöst, denn der Kriegseintritt der USA ließ diese Arbeit aussichtslos erscheinen.
Das Ehepaar Fraenkel zog von Washington, D.C. nach Forest Hills, New York. Erneut versuchte Ernst Fraenkel, an der New School for Social Research tätig zu werden, möglichst als Sozial- bzw. Politikwissenschaftler. Wieder blieb er dabei erfolglos. Allerdings gelang es ihm, an der Free French University (École Libre des Hautes Études), die unter dem Dach der New School angesiedelt war, in den Jahren 1942 bis 1944 Kurse zu leiten, in denen europäische Juristen in das amerikanische Recht eingeführt wurden. David Riesman und der an der New School arbeitende Hans Staudinger halfen beim Arrangieren dieser Dozententätigkeit. Den wesentlichen Teil seines Lebensunterhalts betritt Fraenkel zunächst jedoch durch Beschäftigungen bei zwei Flüchtlingsorganisationen: der von Rudolf Callmann geleiteten American Federation of Jews from Central Europe[13] sowie einer von Paul Tillich geführten Selbsthilfeorganisation für Emigranten.[14] Die Anstellung bei diesen Flüchtlingsorganisationen dauerte allerdings nur wenige Monate an.[15]
Von 1942 bis 1943 übernahm Fraenkel einen von der Carnegie Endowment for International Peace[16] finanzierten Forschungsauftrag. Er sollte untersuchen, welche Schlussfolgerungen aus der Besetzung des Rheinlands nach dem Ersten Weltkrieg für eine zukünftige Okkupationspolitik in Europa zu ziehen waren. 1944 erschien die Abhandlung Fraenkels unter dem Titel Military Occupation and the Rule of Law. Diese Arbeit verhalf seinem Autor zu einer Anstellung bei US-Behörden, für die er zwischen 1944 und 1951 tätig sein sollte.[17] Zunächst gehörte Fraenkel von 1944 bis 1945 in Washington, D.C. zu den Angestellten der Foreign Economic Administration (FEA).[18] Seine Vorgesetzte war Hedwig Wachenheim.[19] Konkret beschäftigte er sich im Rahmen von Planungen zur Nachkriegsbesetzung der Achsenmächte mit Fragen des Justizwesens. Fraenkels Dienststelle arbeitete sehr eng mit der Forschungsabteilung des Office of Strategic Services zusammen.[20] In die Zeit dieser Beschäftigung fiel der Erwerb der amerikanischen Staatsbürgerschaft (15. August 1944).[21]
Als die FEA im Herbst 1945 aufgelöst wurde entschied sich Fraenkel, nicht nach Deutschland zurückzukehren, obgleich Otto Suhr, mit dem Fraenkel seit vielen Jahren eng befreundet war, ihn darum bat, und viele Exilanten nun als Mitarbeiter von US-Besatzungsbehörden dorthin zurück gingen. Aufgrund der erlittenen Repressalien und der Informationen über den Holocaust gelangte Fraenkel zu der Auffassung, dass eine Rückkehr für ihn als Juden unmöglich sei.[22]
Berater in Korea
Ende 1945 trat Fraenkel eine Stelle als Berater amerikanischer Behörden in Korea an.[23] Er sollte dort beim Wiederaufbau des Landes helfen, nachdem 1945 die japanische Okkupation beendet war und das Land unter der Schutzherrschaft der USA und der Sowjetunion stand. Fraenkel schien dafür als Kenner des deutschen Rechts geeignet zu sein, denn Japan hatte die deutsche Rechtskultur intensiv rezipiert, sodass davon auch Korea beeinflusst war. Vor Ort arbeitete er in einer Außenstelle des Justizministeriums der Vereinigten Staaten. Er gehörte einer Delegation an, die mit Fragen der Wiedervereinigung des Landes befasst war – ein Vorhaben, das immer unrealistischer wurde. Als die Vereinten Nationen – trotz Widerstands der Sowjetunion – beauftragt wurden, Wahlen für Gesamtkorea zu organisieren, unterstützte Fraenkel amerikanische Verbindungsoffiziere in der Zusammenarbeit mit US-Behörden und UNO-Stellen. An der Ausarbeitung des Wahlgesetzes für Gesamtkorea war Fraenkel maßgeblich beteiligt, später auch an der Ausarbeitung des südkoreanischen Wahlgesetzes. Ferner beriet er die Koreanische Nationalversammlung[24] in Verfassungsfragen. Nach Gründung der Republik Korea (15. August 1948) wurde Fraenkel Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft in Seoul und fungierte als Rechtsberater der Marshallplan-Kommission für Korea (Economic Cooperation Administration Mission to Korea). Zudem hielt Fraenkel einige Vorleseungen über Verfassungsrecht und Völkerrecht an der Staatlichen Universität Seoul. Im März 1946 erhielt er die Zulassung als Anwalt vor dem höchsten koreanischen Gericht.[25] Nach Ausbruch des Koreakrieges (25. Juni 1950) wurde Fraenkel nach Japan evakuiert. Dort stand er weiter in Diensten amerikanischer Behörden und war bis April 1951 mit Korea-Fragen befasst.[26] Für sein Engagement hinsichtlich der Wahlen in Korea erhielt Fraenkel den Meritorious Civilian Service Award, eine hohe Auszeichnung für Zivilisten in Diensten amerikanischer Militärs.[27]
Zurück in Deutschland
Politikwissenschaftler in Berlin
Ende April 1951 landete Ernst Fraenkel zusammen mit seiner Frau in Berlin. Im Auftrag der High Commission for Occupied Germany (HICOG) sollte er zunächst sechs Monate bleiben und vor allem Vorträge halten. Er begann sogleich eine rege Dozententätigkeit an der wiedereröffneten Hochschule für Politik, dessen Leiter Otto Suhr sich erneut um Fraenkel bemüht hatte. Vorträge hielt er ebenfalls am Institut für politische Wissenschaften (IfpW) der Freien Universität Berlin (FU Berlin) sowie an der dortigen juristischen Fakultät. Ab 1952 bot er zudem Veranstaltungen am historischen Institut der FU Berlin an. Seine Beauftragung wurde durch die HICOG zweimal bis 1955/1956 verlängert.[28]
Fraenkel trat zugleich als Redner in vielen gewerkschaftlichen Vortragsveranstaltungen auf, obwohl sein unmittelbar nach Ankunft in Berlin ausgesprochenes Angebot an den Landesbezirk des Deutschen Gewerkschaftsbunds, sich in den Reihen der Gewerkschaften zu engagieren, kühl abgewiesen worden war. Sein Verhältnis zu den Gewerkschaften und zur SPD, in die er nicht erneut eintrat, blieb deutlich distanzierter als in den Jahren der Weimarer Republik.[29]
Die FU Berlin berief ihn im Februar 1953 auf den neu eingerichteten Lehrstuhl Wissenschaft von der Politik, Theorie und vergleichende Geschichte der politischen Herrschaftssysteme. Dort prägte er in den 1950er und 1960er Jahren die Entwicklung der Politikwissenschaft mit. An seinem Lehrstuhl kümmert sich der US-Bürger Fraenkel vor allem um die Vermittlung eines positiven Bilds der Vereinigten Staaten, denn er registrierte zumindest untergründig das Fortwirken vieler Vorteile gegenüber diesem Land. In seinen entsprechenden politikwissenschaftlichen Seminaren nahm die amerikanische Verfassung stets einen besonderen Raum ein. Ordentlicher Professor wurde Fraenkel 1961, nachdem beamtenrechtliche Hürden ausgeräumt waren.[30]
An Bemühungen, die NS-Vergangenheit auszuarbeiten, beteiligte sich der Autor des Dual State nicht, obgleich Fraenkel Ende der 1950er Jahren ein entsprechendes Vorhaben zur Justiz im NS-Staat mit Helmut Krausnick, dem Leiter des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ), projektiert hatte. Das Vorhaben zerschlug sich. Stattdessen erschien 1968 in einer der Publikationsreihen des IfZ eine apologetische Abhandlung dieses Themas durch Hermann Weinkauff.[31]
Pluralismus und Studentenbewegung
In den 1960er Jahren entwickelte Fraenkel die Theorie des Pluralismus fort und positionierte sich dabei als Gründer des sogenannten Neopluralismus. Bei seinen Forschungen analysierte er insbesondere die Verhältnisse in den USA und der Bundesrepublik.[32]
Seit 1963 betätigte Fraenkel sich zudem als erster Direktor des von ihm wesentlich mitinitiierten John-F.-Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien, das durch seine interdisziplinäre Arbeitsweise rasch eine Führungsstellung auf dem Gebiet der Nordamerika-Forschung errang.[33]
Ab Mitte der 1960er Jahre beschäftigte sich Fraenkel kritisch mit der 68er-Studentenbewegung, die sich in Berlin vergleichsweise früh konstituierte und am Otto-Suhr-Institut an Einfluss gewann.[34] Fraenkel warf ihr demokratiefeindlichen Dogmatismus und SA-Methoden vor. Wie einige andere jüdische Wissenschaftler, z.B. Helmut Kuhn, zog Fraenkel auch eine erneute Emigration in Erwägung.[35] Er galt seinerseits bei den marxistisch inspirierten Aktivisten der Studentenbewegung als Wissenschaftler, der sich zu den bestehenden Verhältnissen affirmativ verhalte, es an Kapitalismus- und USA-Kritik fehlen lasse und keine praktischen Hinweise zur Überwindung der gegenwärtigen Gesellschaft gebe.[36]
Letzte Jahre
Fraenkel erlebte die Kritik der Studentenbewegung an seiner wissenschaftlichen Arbeit als Ausgrenzung. Die scharfen Worte, mit denen er auf ihre Aktionsformen und Revolutionshoffnungen reagierte, vergrößerte den Abstand zu den Studenten. Vermittlungsversuche, die beispielsweise sein Schüler Winfried Steffani unternahm, blieben ohne Erfolg. Den institutionellen Veränderungen der Universitäten durch die Hochschulreform konnte er wenig abgewinnen. Er fürchtete vielmehr den Aufstieg des wissenschaftlichen Mittelmaßes. Aus diesem Grund schloss er sich der Notgemeinschaft für eine freie Universität an.[37] Die Konflikte hatten Auswirkungen auf seine Gesundheit: Fraenkel erkrankte 1967 an Gürtelrose und laborierte an einer langwierigen Nervenentzündung. Zudem erlitt er mehrere Herzinfarkte und einen Schlaganfall. Danach folgte eine schwere Depression.[38]
1974 erschien die deutsche Übersetzung des Dual State. Fraenkel hatte sich lange gegen eine Übertragung ins Deutsche gewehrt, schließlich aber doch zugestimmt und dann an der Rückübersetzung intensiven Anteil genommen. Eine eingehende Rezeption dieser Studie in Deutschland erlebte Fraenkel jedoch nicht mehr.[39]

Fraenkels Enttäuschung über die Entwicklungen seit 1967 konnte nicht durch eine Gastdozentur an der von studentischen Unruhen unberührten Universität Salzburg (1969), die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Bern (1969), eine Festschrift zu seinem 75. Geburtstag (1973), die Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes (1973) oder die Würdigung mit der Ernst-Reuter-Plakette (1975) aufgewogen werden. Am 28. März 1975 starb Fraenkel, der 1971 wieder die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hatte, weil die zur Aufrechterhaltung der amerikanischen Staatsbürgerschaft notwendigen längeren USA-Aufenthalte zu aufwendig geworden waren. Fraenkels Leichnam wurde am 8. April 1975 dem Waldfriedhof Dahlem beigesetzt.[40] Die Grabstätte gehört zu den Ehrengräbern des Landes Berlin.
Werk
Der Doppelstaat
In den Jahren 1933 bis 1938 verarbeitete Fraenkel seine Erfahrungen im Dritten Reich und öffentlich zugängliches Material zu einer kritischen Studie des NS-Staates, die heute als Urdoppelstaat bezeichnet wird. Er veränderte sie nach seiner Emigration in die USA erheblich und veröffentlichte sie zum Jahreswechsel 1940/1941 unter dem Titel The Dual State. Der Autor unterschied in seiner Arbeit den Normenstaat, dessen Handeln sich an Gesetzen orientiere, vom Maßnahmenstaat, der sich an politischen Zweckmäßigkeitsüberlegungen ausrichte. Die deutsche Übersetzung erschien 1974 unter dem Titel Der Doppelstaat. Nach anfänglich zögerlicher Aufnahme gilt Der Doppelstaat mittlerweile als eine klassische Studie über den NS-Staat.
USA-Forschungen
Pluralismus und Demokratie
Bedeutung
Fraenkels Studie über den „Doppelstaat“ gehört zur Standardliteratur über das nationalsozialistische Deutschland.
Zusammen mit Eric Voegelin, Ferdinand Hermens und Arnold Bergstraesser prägte Fraenkel die deutsche Politikwissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Er gab ihr eine interdisziplinäre Ausrichtung und gilt als Vater der Pluralismustheorie in Deutschland. Diese hatte auch wesentlichen Einfluss auf die politische Philosophie des Grundgesetzes.
Veröffentlichungen
- Zur Soziologie des Klassenjustiz, 1927.
- „Chronik“, in: Die Justiz. Organ des Republikanischen Richterbundes 1931 bis 1933
- The Dual State, 1941 (deutsch: Der Doppelstaat)
- Das amerikanische Regierungssystem, 1960
- Deutschland und die westlichen Demokratien, 1964
- Gesammelte Schriften, Nomos Verlag, Baden-Baden 1999ff.
- Band 1: Recht und Politik in der Weimarer Republik. (hrsg. v. Alexander von Brünneck u.a.) 1999
- Band 2: Nationalsozialismus und Widerstand. (hrsg. v. Alexander von Brünneck) 1999
- Band 3: Neuaufbau der Demokratie in Deutschland und Korea. (hrsg. v. Gerhard Göhler unter Mitarbeit v. Dirk Rüdiger Schumann) 1999
- Band 4: Amerikastudien (hrsg. v. Hubertus Buchstein & Rainer Kühn unter Mitarbeit v. Cord Arendes, Peter Kuleßa) 2000
- Band 5: Demokratie und Pluralismus. (hrsg. v. Alexander von Brünneck u.a.) 2007
Weitere, zum Teil pseudonym veröffentlichte Texte:
- Hugo Sinzheimer, Aufbau. Jg. 11. 1945, Nr. 40 (5. Oktober 1945), S. 7
- Christentum, Marxismus, Judentum, Jüdische Revue. Mai 1937, S. 269.
- Die rechtsphilosophische Bedeutung des Mythos, Ebd., August 1937, S. 475.
- Mythos und Ratio, Ebd., Mai 1938, S. 291 / Juni 1938, S. 354 / Juli 1938, S. 418.
- [Fritz Dreher] Der Sinn illegaler Arbeit, Sozialistische Warte. Jg. 10. 1935, Nr. 11 (November 1935), S. 241
- [Max Gerber] Hitler und die Labour-Party, Ebd., Jg. 11. 1936, Nr. 4 (15. März 1936), S. 95
- [Max Gerber] Presse-Reform?, Ebd., Jg. 11. 1936, Nr. 20 (15. November 1936), S. 484
- [Conrad Juerges] Das Dritte Reich als Doppelstaat, Ebd., Jg. 12. 1937, Nr. 2,3 und 4 (15. Januar 1937)
Literatur
- Alexander von Brünneck: Ernst Fraenkel 1898-1975. Soziale Gerechtigkeit und pluralistische Demokratie. In: Kritische Justiz (Hrsg.): Streitbare Juristen. Eine andere Tradition. Nomos, Baden-Baden 1988, S. 415–425, ISBN 3-7890-1580-6
- Hubertus Buchstein, Gerhard Göhler (Hrsg.): Vom Sozialismus zum Pluralismus. Beiträge zu Werk und Leben Ernst Fraenkels. Nomos, Baden-Baden 2000, ISBN 3-7890-6869-1
- Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben. Campus, Frankfurt 2009, ISBN 978-3-593-38480-1 (Rezension bei H-Soz-u-Kult.)
- Robert Chr. van Ooyen, Martin H. W. Möllers (Hrsg.): (Doppel-)Staat und Gruppeninteressen. Pluralismus, Parlamentarismus, Schmitt-Kritik bei Ernst Fraenkel. Nomos, Baden-Baden 2009, ISBN 978-3832946692
- Alfons Söllner: Ernst Fraenkel und die Verwestlichung der politischen Kultur in der Bundesrepublik Deutschland (2002). In: Alfons Söllner, Fluchtpunkte. Studien zur politischen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, Nomos, Baden-Baden 2006, S. 201-223
- Michael Wildt: Die politische Ordnung der Volksgemeinschaft. Ernst Fraenkels "Doppelstaat" neu betrachtet. in: Mittelweg 36, 12. Jg. 2003, H. 2, S. 45–61
- Michael Wildt: Ernst Fraenkel und Carl Schmitt. Eine ungleiche Beziehung, (2003),(PDF-Datei, Abruf am 28. Dezember 2011)
Weblinks
- Literatur von und über Ernst Fraenkel im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Helmut Zenz: Ernst Fraenkel im Internet
- Peter Steinbach: Ernst Fraenkel – der Missionar, in: Der Tagesspiegel, 20. August 2000 (Abruf am 14. Juli 2012)
- Stichworte zum Lebenslauf von Ernst Fraenkel auf der Website des Deutschen Historischen Museums (Abruf 20. Juli 2012)
Einzelnachweise
- ↑ Angaben zur Familie und Schulzeit nach Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 20–29.
- ↑ Zu den Kriegs- und Revolutionserfahrungen Fraenkels siehe Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 29–43.
- ↑ Zum Studium und zum Referendariat Fraenkels siehe Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 44–55.
- ↑ Zu Fraenkels Aktivitäten nach Abschluss des Studiums bis zur Eröffnung der eigenen Kanzlei Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 57–60.
- ↑ Hierzu Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 63–65 und S. 73–75 und S. 77.
- ↑ Alexander von Brünneck, Hubertus Buchstein, Gerhard Göhler: Vorwort der Herausgeber zur Edition der Gesammelten Schriften von Ernst Fraenkel, in: Ernst Fraenkel: Gesammelte Schriften, Band 1, Recht und Politik in der Weimarer Republik, Nomos, Baden-Baden 1999, ISBN 3-7890-5825-4, S. 9–14, hier S. 10.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 86.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 101–103.
- ↑ Ernst Fraenkel: Der Sinn illegaler Arbeit (1935), Online-Ausgabe einer Neuauflage dieses Aufsatzes.
- ↑ Zu Fraenkels Aktivitäten der Jahre 1933 bis 1938 siehe Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 88–131.
- ↑ Vgl. die Informationen über diese Einrichtung auf der Website der New York Public Library.
- ↑ Zum Leben der Fraenkels in den USA bis Mitte 1941 siehe Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 129–163.
- ↑ Siehe die kurze Einführung im Guide to the American Federation of Jewish from Central Europe, Inc. Collection 1933–1951 auf der Website der Yeshiva University.
- ↑ Ladwig-Winters nennt hier die Selfhelp for German Emigrants (Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 176 und S. 366, Anmerkung 165), an anderen Stellen findet sich der mit Tillich verbundene Organisationsname Self-help of the Émigrés from Central Europe Inc.
- ↑ Zu den Aktivitäten Fraenkels in den Monaten nach seinem Studium siehe Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 164–178.
- ↑ Website der Organisation.
- ↑ Gerhard Göhler und Dirk Rüdiger Schumann: Vorwort zu diesem Band, in: Ernst Fraenkel. Gesammelte Schriften, Band 3, Neuaufbau der Demokratie in Deutschland und Korea, Nomos, Baden-Baden 1999, ISBN 3-7890-6105-0, S. 9–49, hier S. 12.
- ↑ Siehe zu dieser US-Einrichtung die knappen, in die Archivalien einführenden Hinweise auf der Webseite der National Archives .
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 191.
- ↑ Vgl. Gerhard Göhler und Dirk Rüdiger Schumann: Vorwort zu diesem Band, in: Ernst Fraenkel. Gesammelte Schriften, Band 3, Neuaufbau der Demokratie in Deutschland und Korea, Nomos, Baden-Baden 1999, ISBN 3-7890-6105-0, S. 9–49, hier S. 13–15.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 412.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 201–209.
- ↑ Zu Fraenkels Korea-Aufenthalt siehe Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 210–238.
- ↑ Homepage der Nationalversammlung.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 221.
- ↑ Gerhard Göhler und Dirk Rüdiger Schumann: Vorwort zu diesem Band, in: Ernst Fraenkel. Gesammelte Schriften, Band 3, Neuaufbau der Demokratie in Deutschland und Korea, Nomos, Baden-Baden 1999, ISBN 3-7890-6105-0, S. 9–49, hier S. 16 f.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 231.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 239 und S. 246–252.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009,S. 256–259.
- ↑ Fraenkel hätte einen Eid auf das Grundgesetz schwören müssen, was automatisch den Verlust der amerikanischen Staatsbürgerschaft nach sich gezogen hätte. 1961 war durchgesetzt, dass Fraenkel stattdessen nur zu geloben habe, seinen Amtspflichten gewissenhaft nachzukommen. Siehe hierzu Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 294.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 265–267.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 255 und S. 273–276.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 301.
- ↑ Zum Konflikt zwischen Fraenkel und der Studentenbewegung siehe Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 318–325; Rudolf Wolfgang Müller: „… wenn es morgens um 6 klingelte, war es der Milchmann.“ Ernst Fraenkel und die West-Berliner-Studentenbewegung; in: Hubertus Buchstein, Gerhard Göhler (Hrsg.): Vom Sozialismus zum Pluralismus, Beiträge zu Werk und Leben Ernst Fraenkels, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2000, S. 97–113, ISBN 3-7890-6869-1.
- ↑ Hartmuth Becker, Felix Dirsch, Stefan Winckler: Die 68er und ihre Gegner. Der Widerstand gegen die Kulturrevolution. Stocker-Verlag, Graz 2003, ISBN 3-7020-1005-X, S. 10.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 311.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 327–333 und S. 335 f.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S. 333.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009, S.325–327.
- ↑ Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Frankfurt 2009,S. 333–338.
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Fraenkel, Ernst |
| KURZBESCHREIBUNG | deutsch-amerikanischer Politikwissenschaftler |
| GEBURTSDATUM | 26. Dezember 1898 |
| GEBURTSORT | Köln |
| STERBEDATUM | 28. März 1975 |
| STERBEORT | Berlin |
- Emigrant aus dem Deutschen Reich zur Zeit des Nationalsozialismus
- Hochschullehrer (Freie Universität Berlin)
- Hochschullehrer (Deutsche Hochschule für Politik)
- Hochschullehrer (The New School)
- Politikwissenschaftler
- Geschichte der Politikwissenschaft
- Rechtswissenschaftler (20. Jahrhundert)
- Rechtsanwalt (Deutschland)
- Träger der Ernst-Reuter-Plakette
- SPD-Mitglied
- Person (Köln)
- Deutscher
- US-Amerikaner
- Geboren 1898
- Gestorben 1975
- Mann