Statuette des Cheops

Die Statuette des Cheops, auch Elfenbeinfigurine des Cheops oder Cheops-Statuette genannt, ist ein wertvolles archäologisches Artefakt, das 1903 von Sir William Matthew Flinders Petrie in Kom el-Sultan bei Abydos gefunden wurde.
Die kleine Sitzfigur ist bis heute die einzige dreidimensionale Darstellung des altägyptischen Königs (Pharao) Cheops (4. Dynastie), die tatsächlich vollständig erhalten ist. Ihre Datierung ist allerdings umstritten: während einige Ägyptologen das Kunstwerk als zeitgenössisch betrachten, sind andere Forscher von einer deutlich späteren Entstehungszeit überzeugt. Die Statuette zeigt König Cheops auf seinem Thron und gehört, neben den Sitzstatuen des Chephren und den Triaden des Mykerinos, zu den meistzitierten Kunstwerken, die mit den Regenten des Alten Reiches in Verbindung gebracht werden. Ihr Künstler ist unbekannt.
Beschreibung
Es handelt sich um eine etwa 7,5 cm große und ca. 2,6 cm breite, teilweise beschädigte Elfenbeinfigur mit glattpolierter, glänzender Oberfläche, die Cheops mit der Roten Krone von Unterägypten zeigt. Der König sitzt auf einem Thron mit niedriger Rückenlehne, in der linken Hand hält er einen Dreschflegel, die rechte Hand ruht mitsamt Unterarm auf dem rechten Bein. Die Füße sind gemeinsam mit dem Thronsockel weggebrochen. Einen Zeremonialbart besaß die Figur nicht. Auf der linken Seite von Cheops’ Knien ist der Horusname Medjedu erhalten, an der rechten Seite der Kniee ist der sehr knappe Rest des unteren Teils des Eigennamens in Kartusche als Chnum-Chuf sichtbar.[1][2][3]
Fundgeschichte
Das Artefakt wurde 1903 von Flinders Petrie in Kom el-Sultan bei Abydos in einem als „Magazin C“ beschriebenen Raum entdeckt. Dieser befindet sich in einer großen, stark verfallenen Tempelanlage des Gottes Khontamenti (in den Grabungsplänen als Gebäude K verzeichnet) im südlichen Grabungssektor.[2][1] In besagtem Magazin sollen sich noch Stuckreste weiterer Statuen aus Holz aus der selben Zeit befunden haben. Die Cheops-Figur war zunächst kopflos, Petrie schreibt diese Beschädigung einem Unfall während der Grabungsarbeiten zu.[1] Als Petrie die Bedeutung des Fundes erkannte, ließ er sämtliche Arbeiten einstellen und sprach demjenigen eine Belohnung zu, der den Kopf finden könnte. Drei Wochen später wurde der Kopf nach intensivem Sieben unter dem Raumschutt wiedergefunden. Heute ist die kleine Statue restauriert und wird im Ägyptischen Museum von Kairo in Raum 37 mit der Inventarnummer JE 36143 ausgestellt.[2][3]
Datierung
Viele Ägyptologen sind sich einig, dass die Statuette aus der Zeit Cheops’ stammt.[1][4] So war auch Petrie sicher, dass die Figur aus der 4. Dynastie stammen müsse. Andere Gelehrte, wie Zahi Hawass, sind hingegen überzeugt, dass es sich um eine künstlerische Reproduktion der 26. Dynastie handelt. Er begründet dies damit, dass kein Gebäude, das sicher aus der 4. Dynastie stammt, jemals in Kom el-Sultan oder Abydos ausgegraben wurde. Die Anwesenheit der Statuette sei daher widersprüchlich. Auch Petrie konnte bei seinen Grabungen keinen Hinweis auf ein Gebäude aus der Zeit der Cheops-Dynastie ausfindig machen, allerdings erklärte er dies mit einem Verweis auf die antiken Berichte der griechischen Geschichtsschreiber Herodot und Diodor, die behauptet hatten, Cheops habe die Errichtung von Gottestempeln und Schreinen seinerzeit verboten.[1][2]
Zahi Hawass kritisiert die Datierungsweise von Petrie und auch, dass so viele nachfolgende Ägyptologen die Datierung ungefragt übernehmen würden, obwohl die Widersprüche auffällig seien. Des Weiteren weist er darauf hin, dass das Gesicht des Cheops ungewöhnlich gedrungen und pausbackig ist und keinerlei emotionalen Ausdruck zeigt. Im Gegensatz zu Petrie und Margaret Alice Murray, welche das Gesicht der Figurine als „machtvoll“ und „furchteinflößend“ beschrieben (weshalb es ja so gut zu den griechischen Überlieferungen passe), fühlt sich Hawass an das Gesicht eines sehr jungen, womöglich minderjährigen Menschen erinnert. Hawass verglich die Gesichts-Stilistik mit den Statuen anderer, zeitgenössischer Könige wie Snofru, Chephren und Mykerinos. Die Gesichter der drei Könige sind von ebenmäßiger Schönheit, schlank und mit einem freundlichen Gesichtsausdruck - sie beruhen auf einem Schönheitsideal, das bewusst nicht der Realität entspricht. Besonders ein Kalksteinfragment des Königs Mykerinos erregte Hawass’ Interesse, da es zeitgenössisch ist. Obgleich bis heute kopflos, weist die Figur dieselbe Haltung auf wie die Cheops-Figurine, doch ihr Körper ist viel schlanker und die Ausarbeitung des Kunstwerks ist erheblich sorgfältiger. Das Aussehen des Cheops auf der Elfenbeinstatue wirkt stattdessen eher, als ob der Künstler nicht sehr viel Wert auf Professionalität und künstlerische Sorgfalt gelegt hätte. Und Cheops selbst hätte nie erlaubt, dass ein solch vergleichsweise minderwertiges Artefakt in seinem Palast oder sonstwo aufgestellt wird. Und schließlich, so argumentiert Hawass, passt auch die Gestaltung des Throns, auf dem die Figur sitzt, nicht zu den künstlerischen Gegenstücken des Alten Reiches: Im Alten Reich reichte die Rückenlehne eines Königsthrons bis in den Nacken des Herrschers. Ein abschließender Beweis, dass die Statue eine Reproduktion aus viel späterer Zeit sein muss, und der Hawass überzeugt, ist der sogenannte Nehenech-Dreschflegel in der linken Hand Cheops. Rundplastische Darstellungen von einem König mit so einem Dreschflegel als zeremonielles Insignium erscheinen zeitlich nicht vor dem Mittleren Reich. Zahi Hawass kommt daher zu dem Schluss, dass die Figur vielleicht als Amulett oder Talisman während der 26. Dynastie (oder später) an fromme Bürger und Touristen verkauft wurde. Die Anwesenheit der Figurine an ihrem Fundort würde sich daher mit einer funktionellen Rolle als Votivgabe erklären lassen.[3][2]
Zahi Hawass und William Stevenson Smith sind überzeugt, dass die Cheops-Statuette höchstwahrscheinlich eine Nachbildung einer lebens- oder überlebensgroßen Statue darstellt. Vermutlich befand sich das Original im unterägyptischen Memphis, was erklären würde, warum Cheops auf seiner Figurine die Rote Krone trägt. Dies würde auch eine Datierung in die 26. Dynastie untermauern: Zu dieser Zeit waren Hommages an das Alte Reich sehr populär, alte und vergessene Gottheiten wurden in Reliefs und Statuen porträtiert und Königsstatuen als Miniaturen hergestellt und als Glücksbringer oder Votivgaben verkauft. Es wurden sogar alte, vergessene oder verworfene Rangtitel des Alten Reiches wieder aufgegriffen und an hohe Beamte verliehen. Aus den Tempelruinen des Königs Taharqa sind Szenen in Reliefs erhalten, deren Bildprogramm eindeutig verschiedenen Wandbildern des Alten Reiches nachempfunden sind. Hawass schließlich meint, dass das Gesicht der Cheops-Statuette am ehesten den schwarzen Granitköpfen des Taharqa gleiche. Letztendlich weisen Smith und Hawass darauf hin, dass Figurinen von Königen des Alten Reiches während der Spätzeit als Massenware angefertigt wurden, dies wohl auch auf die Cheops-Figur zutreffe und die eher fahrlässige Gestaltung der Statuette somit wenig verwunderlich sei.[5][2]
Kunsthistorische Bedeutung
Wie bereits eingangs erwähnt, ist die Figurine das einzige rundplastische Artefakt, das Cheops vollständig porträtiert. Es wird oft und gern behauptet, dass die kleine Elfenbeinfigur die einzige erhaltene Statue des Cheops sei. Tatsächlich sind jedoch mehrere Alabaster- und Travertinfragmente von Sitzstatuen erhalten, die von George Reisner während seiner Ausgrabungen in Gizeh gefunden wurden. Auf ihren Sockeln war dereinst die vollständige Königstitulatur des Cheops eingraviert; heute sind die Namen nur noch in Fragmenten erhalten, ermöglichen aber dennoch eine sichere Zuweisung. Eines der Fragmente, das von einer kleinen Sitzstatue stammt, zeigt noch die Füße eines sitzenden Königs von ihren Knöcheln an abwärts. Rechts von ihren Zehen ist die Namenssilbe ...fu in einer Kartusche erhalten, sie kann leicht zum Kartuschennamen Chufu rekonstruiert werden.[6][2]
Der Palermostein berichtet auf seinem Fragment C-2 über die Erschaffung von zwei überdimensionalen Standstatuen für den König, die eine soll aus Kupfer gewesen sein, die andere aus purem Gold.[7][2]
Außerdem sind mehrere Köpfe von Statuen erhalten, die aufgrund ihrer Gesichtsstilistik teilweise Cheops zugesprochen werden. Die bekanntesten unter ihnen sind der „Brooklyner Königskopf“ aus Rosengranit[8] und der sogenannte „Münchener Königskopf“ aus Kalkstein.[9]
Literatur
- Abeer El-Shahawy, Farid S. Atiya: The Egyptian Museum in Cairo. A Walk Through the Alleys of Ancient Egypt. American University in Cairo Press, New York/Kairo 2005, ISBN 9771721836.
- Zahi Hawass: The Khufu Statuette: Is it an Old Kingdom Sculpture? In: Paule Posener-Kriéger (Hrsg.): Mélanges Gamal Eddin Mokhtar (= Bibliothèque d'étude, Vol. 97, 1). Institut français d'archéologie orientale du Caire, Kairo 1985, ISBN 2-7247-0020-1.
- Margaret Alice Murray: Egyptian sculpture. Greenwood Press, London 1970 (Neuauflage).
- Flinders Petrie: Abydos II. Egypt Exploration Fund, London 1903, (Online-Version).
- William Stevenson Smith, William Kelly Simpson: The Art and Architecture of Ancient Egypt (= Pelican history of art, Band 14). Yale University Press, New Haven 1998 (3. Ausgabe), ISBN 0300077475.
- Dagmar Stockfisch: Untersuchungen zum Totenkult des ägyptischen Königs im Alten Reich. Die Dekoration der königlichen Totenkultanlagen (= Antiquitates, Band 25.). Kovač, Hamburg 1994, ISBN 3-8300-0857-0.
- Die Hauptwerke im Ägyptischen Museum in Kairo. Offizieller Katalog. Herausgegeben vom Antikendienst der arabischen Republik Ägypten. Zabern, Mainz 1986, ISBN 3-8053-0640-7. ISBN 3-8053-0904-X, Nr. 28.
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e W.M. Flinders Petrie: Abydos II. S. 3, Tafel XIII, Obj. XIV.
- ↑ a b c d e f g h Zahi Hawass: The Khufu Statuette. S. 379–394.
- ↑ a b c Abeer El-Shahawy, Farid S. Atiya: The Egyptian Museum in Cairo. S. 49ff.
- ↑ Margaret Alice Murray: Egyptian sculpture. S.50–52.
- ↑ William Stevenson Smith, William Kelly Simpson: The Art and Architecture of Ancient Egypt. S. 398–405.
- ↑ Dagmar Stockfisch: Untersuchungen zum Totenkult des ägyptischen Königs im Alten Reich. S. 19 & 93.
- ↑ Thomas Schneider: Lexikon der Pharaonen. Albatros, Düsseldorf 2002, ISBN 3-491-96053-3. S. 100–102.
- ↑ Richard A. Fazzini, Robert S. Bianchi, James F. Romano, Donald B. Spanel: Ancient Egyptian Art in the Brooklyn Museum. Brooklyn Museum, Brooklyn (NY) 1989, ISBN 0-87273-118-9. S. ??.
- ↑ Sylvia Schoske, Dietrich Wildung (Hrsg.): Staatliche Sammlung Ägyptischer Kunst München (= Zaberns Bildbände zur Archäologie. Band 31). von Zabern, Mainz 1995, ISBN 3-8053-1837-5. S. 43.