Carl Schmitt
Carl Schmitt (* 11. Juli 1888 in Plettenberg, Westfalen; † 7. April 1985 in Plettenberg-Pasel) war ein deutscher Staatsrechtler und politischer Philosoph.
Schmitt ist einer der bekanntesten, aber auch umstrittensten deutschen Staats- und Völkerrechtler des 20. Jahrhunderts. Zwischen 1933 und 1936 hatte er sich als „Kronjurist des Dritten Reiches“ schwer kompromittiert. Auch war der Katholik privat und öffentlich als Antisemit hervorgetreten. Dennoch wird Schmitt heute vielfach als „jüngster Klassiker des politischen Denkens“ (Willms) bezeichnet. Sein Denken kreiste um Begriffe wie „Ausnahmezustand“, „Diktatur“ und „Großraum“. Er prägte geflügelte Sentenzen, wie „Freund-Feind-Unterscheidung“, „Hüter der Verfassung“ und „dilatorischer Formelkompromiss“. Seine Arbeiten streiften neben dem Staats- und Verfassungsrecht zahlreiche weitere Disziplinen, u.a. Politologie, Soziologie, Geschichtswissenschaft, Theologie, Germanistik und Philosophie.
Leben
Schmitt, Sohn eines Krankenkassenverwalters, entstammte einer katholisch-kleinbürgerlichen Familie, die aus Bausendorf/Eifel ins Sauerland gezogen war. Nach dem Studium (ab 1907) in Berlin, München und Straßburg wurde er 1910 in Straßburg mit der Arbeit Über Schuld und Schuldarten von Fritz van Calker promoviert. Im Frühjahr 1915 absolvierte er das Assessor-Examen. 1916 heiratete er Pawla Dorotic, eine vermeintliche Gräfin aus Serbien, die sich später als Hochstaplerin entpuppte. 1924 wurde die Ehe vom Landgericht Bonn annulliert. Ein Jahr später heiratete er seine Studentin Duska Todorovic, obwohl seine vorige Ehe kirchlich nicht aufgehoben worden war. Aus dieser Ehe ging sein einziges Kind, die Tochter Anima, hervor.
Bereits früh zeigte sich bei dem jungen Schmitt eine literarisch-künstlerische Ader. So trat er mit eigenen literarischen Versuchen hervor (Der Spiegel, Die Buribunken) und verfasste eine Studie über den bekannten zeitgenössischen Dichter Theodor Däubler (Theodor Däublers ‚Nordlicht’). In Straßburg wurde Schmitt ein Jahr nach dem Assessor-Examen (1916) mit der Arbeit Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen für Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht und Staatstheorie habilitiert. Nach einer kurzen Lehrtätigkeit an der Handelshochschule in München folgte er 1921 in kurzen Abständen den Rufen nach Greifswald (1921), Bonn (1921), Berlin (Handelshochschule 1928), Köln (1933) und wieder Berlin (Friedrich-Wilhelms-Universität 1933 - 1945). Der Habilitation folgten in kurzem Abstand weitere Veröffentlichungen, etwa Politische Romantik (1919) oder Die Diktatur (1921).
In Bonn hatte Schmitt einige Kontakte zum Jungkatholizismus, die sich in einem verstärkten Interesse an kirchenrechtlichen Themen äußerten. Dieses Interesse schlug sich in Schriften wie Politische Theologie (1922) und Römischer Katholizismus und politische Form nieder. 1923 erschien Schmitts erste explizit politische Schrift mit dem Titel Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus. Im Jahre 1928 legte er sein bedeutendstes wissenschaftliches Werk vor: die Verfassungslehre. Darin unterzog er die Weimarer Verfassung einer systematischen juristischen Analyse.
Im gleichen Jahr wechselte er an die Handelshochschule in Berlin, auch wenn das in Bezug auf seinen Status als Wissenschaftler einen Rückschritt bedeutete. Dafür konnte er im politischen Berlin zahlreiche Kontakte knüpfen, die bis in Regierungskreise hinein reichten. Für die Regierungskreise waren einige seiner polisch-verfassungsrechtlichen Theoreme, etwa das des Reichspräsidenten als „Hüter der Verfassung“ (1931) von großem Interesse. So entwickelte er gegen die herrschenden Ansichten die Theorie vom unantastbaren Wesenskern der Verfassung (in: Verfassungslehre). Andererseits näherte er sich aber auch reaktionären Strömungen an, indem er Stellung gegen den Pluralismus und Parlamentarismus bezog. Als akademischer Hochschullehrer war er aufgrund seiner Kritik an der Weimarer Verfassung stark umstritten. Die Weimarer Verfassung, so meine Schmitt, schwäche den Staat durch einen „neutralisierenden“ Liberalimus und sei somit nicht fähig, die Probleme der aufkeimenden Massendemokratie zu lösen. Die Parlamentarische Demokratie, so sein vernichtendes Urteil, sei eine "veraltete bürgerliche Regierungsmethode". In Berlin erschienen Der Begriff des Politischen (1928), Der Hüter der Verfassung (1931) und Legalität und Legitimität (1932).
Ab 1930 plädierte Schmitt für eine autoritäre Präsidialdiktatur und pflegt enge Bekanntschaften zu politischen Kreisen, etwa dem späteren preußischen Finanzminister Johannes Popitz. Auch zur Reichsregierung selbst gewann er Kontakt in Form von engen Beziehungen zu Mittelsmänner des Ministers und späteren Kanzlers Kurt von Schleicher. Trotz seiner Kritik an Pluralismus und Parlamentarischer Demokratie stand er vor der Machtergreifung 1933 den rechts- und linksextremen Umsturzbestrebungen ablehnend gegenüber. Er unterstützte vielmehr die Politik Schleichers, die darauf hinauslief, das "Abenteuer Nationalsozialismus" zu verhindern. 1932 war er auf einem vorläufigen Höhepunkt seiner politischen Ambitionen angelangt: Er vertrat er die Reichsregierung unter Franz von Papen zusammen mit Carl Bilfinger und Erwin Jacobi in dem Prozess um den sogenannten Preußenschlag vor dem Staatsgerichtshof. Nach dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 bewegte er sich auf die NSDAP zu. So bezeichnete er das Ermächtigungsgesetz Adolf Hitlers als "vorläufige Verfassung der deutschen Revolution" aus der eine neue politische Rechtsordnung hervorgegangen sei.
Im Jahre 1933 siedelte er nach Köln über, da er mit dem Ende der Weimarer Republik an Einfluss verlor. Hier vollzog er binnen weniger Wochen eine Wandlung in die Rolle eines Staatsrechtlers im Sinne der neuen nationalsozialistischen Herrschaft. So trat er am 1. Mai 1933 in die NSDAP ein. Schmitt hatte einen bedeutenden Einfluss bei der Formulierung des Reichsstatthaltergesetzes und wurde zum Preußischen Staatsrat ernannt. Zudem wurde er Herausgeber der "Deutschen Juristenzeitung" (DJZ) und Mitglied der Akademie für Deutsches Recht. Er erhielt sowohl die Leitung über die der Gruppe Universitätslehrer im NS-Juristenbund als auch die Fachgruppenleitung im NS-Rechtswahrerbund.
In seiner Schrift Staat, Bewegung, Volk: Die Dreigliederung der politischen Einheit (1933) legte Schmitt dar, dass „die deutsche Revolution legal“ sei und sich „formal korrekt in Übereinstimmung mit der früheren Verfassung“ befinde. Sie stamme aus „Disziplin und deutschem Ordnungssinn.“ Außerdem betonte er, der Zentralbegriff des nationalsozialistischen Staatsrechts sei "Führertum", unerlässliche Voraussetzung dafür rassische Gleichheit von Führer und Gefolge.
Für die Führung der NSDAP stellte er eine rechtliche Legitimation aus, indem er die Rechtmäßigkeit der "nationalsozialistischen Revolution" betonte. Dadurch, dass er juristisch und verbal für den Staat der NSDAP eintrat, wurde er von Zeitgenossen, insbesondere von politischen Emigranten (Waldemar Gurian), als "Kronjurist" des Dritten Reiches bezeichnet. Ob dies nicht eine Überschätzung seiner Rolle sei, wird in der Literatur allerdings kontrovers diskutiert.
Im Herbst 1933 wurde er aus "staatspolitischen Gründen" an die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin berufen und entwickelte dort die Lehre vom konkreten Ordnungsdenken. Damit konnte er seinen Ruf im System weiter festigen.
In Reaktion auf die Morde des NS-Regimes vom 30. Juni 1934 im Zuge der Röhm-Affäre rechtfertigte er die Selbstermächtigung Adolf Hitlers mit dem Argument, der „Führer“ schütze das Recht vor „dem schlimmsten Missbrauch“, wenn er „im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht“ schaffe. Der wahre Führer sei immer auch Richter, aus dem Führertum fließe das Richtertum. (Der Führer schützt das Recht, DJZ vom 1. August 1934, Heft 15, 39. Jahrgang, Spalten 945 - 950). Hier handelt es sich um das Zeugnis einer tiefgreifenden Perversion des Rechtsdenkens. Hier spricht kein Staatsrechtler mehr, sondern ein mit öffentlicher Standesvertretung betrauter Funktionär der NSDAP. Mit dem „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15. September 1935, das u.a. Beziehungen zwischen Juden und sogenannten Ariern unter Strafe stellte, begann für Schmitt eine neue Ära der Gesetzgebung: es trete "ein neues weltanschauliches Prinzip in der Gesetzgebung“ auf: "Hier stößt eine von dem Gedanken der Rasse getragene Gesetzgebung auf die Gesetze anderer Länder, die ebenso grundsätzlich rassische Unterscheidungen nicht kennen oder sogar ablehnen." (vgl. Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht, Bd. 3, 1936, S. 205). Trauriger Höhepunkt der Schmitt’schen Parteipropaganda war die im Oktober 1936 unter seiner Leitung durchgeführte Tagung „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“. Hier bekannte er sich ausdrücklich zum nationalsozialistischen Antisemitismus, und forderte, jüdische Autoren in der juristischen Literatur nicht mehr zu zitieren oder diese als Juden zu kennzeichnen. Zu dem System der industriell organisierten Vernichtung der europäischen Juden hat Carl Schmitt übrigens auch nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes niemals ein Wort gefunden; Auch war er nach 1945 nicht von seinem Antisemitismus abgerückt, wie die posthum publizierten Tagebuchaufzeichnungen zeigen (Glossarium. Aufzeichnungen 1947-1951, Berlin 1991).
1936 wurde Schmitt seinerseits Ziel von Attacken aus dem der SS nahestehenden Parteiblatt "Schwarzes Korps", das ihm seine frühere Unterstützung der Regierung Schleichers - eines Gegners Hitlers - sowie Bekanntschaften zu Juden vorwarf. Es entstand ein Skandal, im Zuge dessen er alle Ämter verlor. Er blieb jedoch bis zum Ende des Krieges Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin und behielt den Titel "Preußischer Staatsrat" bei.
Bis zum Ende des Nationalsozialismus verlegte er den Schwerpunkt seiner Arbeiten auf das unverfänglichere Völkerrecht, versuchte aber auch hier zum Stichwortgeber des Regimes zu avancieren. Das zeigt etwa sein 1939 entwickelter Begriff der "völkerrechtlichen Großraumordnung", den er als deutsche Monroe-Doktrin verstand. Dies konnte als Versuch verstanden werden, die Expansionspolitik Hitlers völkerrechtlich zu fundieren.
Nach der deutschen Kapitulation 1945 wurde Schmitt zeitweise verhaftet und in Nürnberg von Ankläger Robert M. W. Kempner verhört. Zu einer Anklage kam es jedoch nicht, weil eine Straftat im juristischen Sinne nicht sistierbar schien: „Wegen was hätte ich den Mann anklagen können?“, begründete Kempner diesen Schritt später. „Er hat keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, keine Kriegsgefangenen getötet und keine Angriffskriege vorbereitet.“
Daher konnte sich Schmitt wieder nach Plettenberg zurückzuziehen, wo er bereits weitere Veröffentlichungen, zunächst unter Pseudonym, vorzubereiten begann (etwa eine Rezension des Bonner Grundgesetzes, die in der "Eisenbahnerzeitung" erschien). Nach dem Kriege veröffentlichte Schmitt eine Reihe vielbeachteter Werke, u.a. Der Nomos der Erde, Theorie des Partisanen und Politische Theologie II, die aber nicht an seine Erfolge in der Weimarer Zeit anknüpfen konnten.
Da Schmitt sich nie ausdrücklich von seinem Wirken im so genannten Dritten Reich distanzierte, blieb ihm zu Lebzeiten eine Rehabilitation, wie sie vielen anderen NS-Rechtstheoretikern zuteil wurde (zum Beispiel Karl Larenz, Theodor Maunz und Otto Koellreutter), versagt. Auch ließ die rabiate Unterstützung des Antisemitismus der NS-Ideologie erhebliche Zweifel an der intellektuellen Qualität zumindest seiner in der NS-Zeit entstandenen Werke aufkommen.
Wirkung
Nach 1945 war Schmitt wegen seines Engagements für das „Dritte Reich“ verfemt. Dennoch hatte er zahlreiche Schüler, die das juristische Denken der frühen Bundesrepublik mitprägten, obwohl sie teilweise selbst belastet waren. Dazu gehören u.a. Ernst Rudolf Huber, Ernst Forsthoff, Werner Weber, Roman Schnur, Ernst Friesenhahn, aber auch der als politischer Publizist und Kanzlerberater bekanntgewordene Rüdiger Altmann oder der einflussreiche Publizist Johannes Gross. Auch jüngere Verfassungsjuristen, wie Ernst-Wolfgang Böckenförde oder Wolfgang Isensee wurden nachhaltig von Carl Schmitt beeinflusst. Heute erlebt sein Werk in der politischen Wissenschaft und Publizistik teilweise eine Renaissance, etwa wenn über seinen Einfluss auf die amerikanischen Neokonservativen („Neocons“) diskutiert oder der bewaffnete Terrorismus als „Partisanenstrategie“ analysiert wird. Zuletzt wurde auch das Werk Giorgio Agambens kontorvers diskutiert, der sich auf Begriffe von Michel Foucault, Carl Schmitt und Walter Benjamin stützt.
Die wissenschaftliche Dehnbarkeit der Begriffe Carl Schmitts und die in seinem Werk enthaltenen Angriffe auf den Liberalismus und die Prinzipien der Gewaltenteilung stoßen bis heute auf reges Interesse in rechtskonservativen Kreisen. Carl Schmitt wird neben Ernst Jünger, Arnold Gehlen und Martin Heidegger als intellektuelle Stütze des NS-Regimes gesehen.
Eines seiner bekanntesten Werke ist Der Begriff des Politischen, in dem er versuchte, dem Politischen klare Kriterien zuzuordnen, die es von anderen Gebieten menschlichen Handelns (Moral, Wirtschaft, Ästhetik) unterscheiden. Schmitt sah das Politische überall dort, wo eine existenzielle Unterscheidung zwischen Freund und Feind vorliegt. Die Bedeutung dieses Textes zeigt sich an der nie abgerissenen, bisweilen erbittert geführten wissenschaftlichen Auseinandersetzung über dieses Werk.
Werke (Auswahl)
- Über Schuld und Schuldart, 1911
- Gesetz des Urteils, 1912
- Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, 1914
- Politische Romantik, 1919
- Die Diktatur, Duncker & Humblot, Berlin 1921
- Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, 1922
- Römischer Katholozismus und politische Form, 1923
- Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 1923
- Die Diktatur des Reichspräsidenten, 1924
- Die Rheinlande als Objekt internationaler Politik, 1925
- Die Kernfrage des Völkerbundes, 1926
- Volksentscheid und Volksbegehr, 1927
- Verfassungslehre, Duncker & Humblot, Berlin 1928
- Hugo Preuss, der Staatsbürger und seine Stellung in der deustchen Staatslehre, 1930
- Hüter der Verfassung, 1931
- Legalität und Legitimität, 1932
- Die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, 1933
- Der Begriff des Politischen, Duncker & Humblot, Berlin 1932, Neuausgabe 1963
- Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, D&H, Berlin 1963
- Positionen und Begriffe im Kampf gegen Weimar-Genf-Versailles 1923 - 1939, 1939
- Völkerrechtliche Großaumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächt, 1939
- Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, 1950
- Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Ius Publicum Europaeum, Duncker & Humblot, Berlin 1950
- Ex Captivitae Salus. Erfahrungen in der Zeit 1945-47, 1950
- Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie, D&H, Berlin
- Hamlet oder Hekuba, 1956
- Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber und Gespräch über den neuen Raum, Berlin 1994, ISBN 3-05-002630-8
Gesamtes Werkverzeichnis:
- Alain de Benoist: Carl Schmitt. Bibliographie seiner Schriften und Korrespondenzen, Berlin 2003, ISBN 3-0500-3839-X
Dokumentation
Carl Schmitts berüchtigte Apologie des Röhm-Putsches vom 30. Juni 1934, mit dem Titel: "Der Führer schützt das Recht":
"Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als Oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft. 'In dieser Stunde war ich verantwortlich für das Schicksal der deutschen Nation und damit des deutschen Volkes Oberster Gerichtsherr' [Zitat:Hitler]. Der wahre Führer ist immer auch Richter. Aus dem Führertum fließt das Richtertum. Wer beides voneinander trennen oder gar entgegensetzen will, macht den Richter entweder zum Gegenführer oder zum Werkzeug eines Gegenführers und sucht den Staat mit Hilfe der Justiz aus den Angeln zu heben.
Das ist eine oft erprobte Methode nicht nur des Staats-, sondern auch der Rechtszerstörung. Für die Rechtsblindheit des liberalen Gesetzesdenkens war es kennzeichnend, daß man aus dem Strafrecht den großen Freibrief, die 'Magna Charta des Verbrechens' (Fr. von Liszt) zu machen suchte. Das Verfassungsrecht mußte dann in gleicher Weise zur Magna Charta der Hoch- und Landesverräter werden. Die Justiz verwandelte sich dadurch in einen Zurechnungsbetrieb, auf dessen von ihm voraussehbares und von ihm berechenbares Funktionieren der Verbrecher ein wohlerworbenes subjektives Recht hat.
Staat und Volk aber sind in einer angeblich lückenlosen Legalität restlos gefesselt. Für den äußersten Notfall werden ihm vielleicht unter der Hand apokryphe Notausgänge zugebilligt, die von einigen liberalen Rechtslehrern nach Lage der Sache anerkannt, von anderen im Namen des Rechtsstaates verneint und als 'juristisch nicht vorhanden' angesehen werden. Mit dieser Art von Jurisprudenz ist das Wort des Führers, daß er als 'des Volkes Oberster Gerichtsherr' gehandelt habe, allerdings nicht zu begreifen. Sie kann die richterliche Tat des Führers nur in eine nachträglich zu legalisierende und indemnitätsbedürftige Maßnahme des Belagerunsgzustandes umdeuten.
Ein fundamentaler Satz unseres gegenwärtigen Verfassungsrechts, der Grundsatz des Vorranges der politischen Führung, wird dadurch in eine juristisch belanglose Floskel, und der Dank, den der Reichstag im Namen des deutschen Volkes dem Führer ausgesprochen hat, in eine Indemnität oder gar einen Freispruch verdreht. In Wahrheit war die Tat des Führers echte Gerichtsbarkeit. Sie untersteht nicht der Justiz, sondern war selbst höchste Justiz. Es war nicht die Aktion eines republikanischen Diktators, der in einem rechtslosen Raum, während das Gesetz für einen Augenblick die Augen schließt, vollendete Tatsachen schafft, damit dann, auf dem so geschaffenen Boden der neuen Tatsachen, die Fiktionen der lückenlosen Legalität wieder Platz greifen können.
Das Richtertum des Führers entspringt derselben Rechtsquelle, der alles Recht jedes Volkes entspringt. In der höchsten Not bewährt sich das höchste Recht und erscheint der höchste Grad richterlich rächender Verwirklichung dieses Rechts. Alles Recht stammt aus dem Lebensrecht des Volkes. Jedes staatliche Gesetz, jedes richterliche Urteil enthält nur so viel Recht, als ihm aus dieser Quelle zufließt. Das übrige ist kein Recht, sondern ein 'positives Zwangsnormengeflecht', dessen ein geschickter Verbrecher spottet".
(Zitiert nach: C. Schmitt, "Positionen und Begriffe", Hanseatische Verlangsanstalt, Hamburg, 1940, S. 200 - 201).
Literatur
Biographie und Werk
- Paul Noack: Carl Schmitt. Eine Biographie, Berlin 1993, ISBN 3-54835581-1
- Norbert Campagna: Carl Schmitt. Eine Einführung, Berlin 2004, ISBN 3-93726200-8
- Reinhard Mehring: Carl Schmitt zur Einführung, Hamburg 2001, ISBN 3-88506332-8
- Hans-Christof Kraus: Carl Schmitt (1988-1985), in: Michael Fröhlich (Hg.): Die Weimarer Republik. Porträt einer Epoche in Biographien, Darmstadt 2002, ISBN 3-89678441-2, S. 326-337
- Helmut Quaritsch: Positionen und Begriffe Carl Schmitts, Berlin 1995, ISBN 3-42808257-5
- Helmut Quaritsch (Hg.): Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988, ISBN 3-42806378-3
- Hasso Hofmann: Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, 4. Aufl. Berlin 2002, ISBN 3-42810386-6
- Chantal Mouffe (Ed.): The Challenge of Carl Schmitt, London/New York 1999, ISBN 1-85984244-5
- Gopal Balakrishnan: The Enemy. An Intellectual Portrait of Carl Schmitt, New York 2002, ISBN 185984359-X
- Nicolaus Sombart: Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt - ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriachatsmythos, 1997, ISBN 3-596-11341-5
Einzelne Aspekte
Politische Theorie
- Reinhard Mehring (Hrsg.): Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen. Ein kooperativer Kommentar, Berlin 2003, ISBN 3-05003687-7
- Wolfgang Palaver: Die mythischen Quellen des Politischen. Carl Schmitts Freund-Feind-Theorie, Stuttgart 1998, ISBN 3-17015135-5
- Heinrich Meier: Carl Schmitt, Leo Strauss und 'Der Begriff des Politischen'. Zu einem Dialog unter Abwesenden, 2. Aufl. Stuttgart 1998, ISBN 3-47601602-1
- Hans-Georg Flickinger (Hrsg.): Die Autonomie des Politischen. Carl Schmitts Kampf um einen beschädigten Begriff, Berlin 1990, ISBN 3-52717718-3
- Gary L. Ulmen: Politischer Mehrwert. Eine Studie über Max Weber und Carl Schmitt, Berlin 1991, ISBN 3-52717065-5
- Bernd A. Laska: "'Katechon' und 'Anarch'". Carl Schmitts und Ernst Jüngers Reaktionen auf Max Stirner, Nürnberg 1997,
- David Dyzenhaus: Law As Politics. Carl Schmitt's Critique of Liberalism, Durham & London 1998, ISBN 0-82232244-7
- Heinrich Meier: Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie, 2. Aufl. Stuttgart/Weimar 2004, ISBN 3-47602052-5
Weimarer Republik
- David Dyzenhaus: Legality and Legitimacy. Carl Schmitt, Hans Kelsen and Hermann Heller in Weimar, Oxford 2000, ISBN 0-19829846-3
- Ellen Kennedy: Constitutional Failure. Carl Schmitt in Weimar, Durham 2004, ISBN 0-82233243-4
- Lutz Berthold: Carl Schmitt und der Staatsnotstandsplan am Ende der Weimarer Republik, Berlin 1999, ISBN 3-42809988-5
- Gabriel Seiberth: Anwalt des Reiches. Carl Schmitt und der Prozess 'Preußen contra Reich' vor dem Staatsgerichtshof, Berlin 2001, ISBN 3-42810444-7
- Wolfram Pyta / Gabriel Seiberth: Die Staatskrise der Weimarer Republik im Spiegel des Tagebuchs von Carl Schmitt, In: Der Staat 38 Heft 3 und 4, 1999, S. 423-488 und S. 594-610.
- Armin Adam: Rekonstruktion des Politischen. Carl Scmitt und die Krise der Staatlichkeit 1912-1933, Berlin 1992, ISBN 3-52717776-0
Drittes Reich
- Joseph W. Bendersky: Carl Schmitt. Theorist for the Reich, Princeton, New Jersey 1983, ISBN 0-69105380-4
- Andreas Koenen: Der Fall Carl Schmitt, Darmstadt 1995, ISBN 3-53412302-6
- Dirk Blasius: Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich, Göttingen 2001, ISBN 3-52532648-X
- Bernd Rüthers: Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, München 1988, ISBN 3-40632999-3
- Bernd Rüthers, Carl Schmitt im Dritten Reich, 2. Aufl., München 1990
- Felix Blindow: Carl Schmitts Reichsordnung, Berlin 1999, ISBN 3-05003405-X
- Helmut Quaritsch: Carl Schmitt. Antworten in Nürnberg, Berlin 2000, ISBN 3-42810075-1
- Raphael Gross: Carl Schmitt und die Juden, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-51829354-0
Bundesrepublik
- Dirk van Laak: Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993, ISBN 3-05003744-X
- Jan-Werner Müller: A Dangerous Mind. Carl Schmitt in Post-War European Thought, New Haven 2003, ISBN 0-300-09932-0
Weblinks
- Vorlage:PND
- Winfried Gebhardt: Carl Schmitt, Staatsrechtslehrer. Geschichte, Biografie & Werk, 1995. Aus: Biographisch-Bibliographisches Kirchelexikon
- Biografie beim LeMO
- Alexander Proelß: Nationalsozialistische Baupläne für das europäische Haus? John Laughland's "The Tainted Source" vor dem Hintergrund der Großraumtheorie Carl Schmitts, in forum historiae iuris, Erste europäische Internetzeitschrift für Rechtsgeschichte 2003
Personendaten | |
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NAME | Schmitt, Carl |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Staatsrechtler und Philosoph |
GEBURTSDATUM | 11. Juli 1888 |
GEBURTSORT | Plettenberg, Westfalen, Deutschland |
STERBEDATUM | 7. April 1985 |
STERBEORT | Plettenberg-Pasel, Westfalen, Deutschland |