Zum Inhalt springen

Fauvismus

Diese Seite befindet sich derzeit im Review-Prozess
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 12. März 2011 um 19:02 Uhr durch Rigo 1963 (Diskussion | Beiträge) (Die Struktur der Bewegung: + wikilink). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Deckblatt des Katalogs des Salon d’Automne, Grand Palais, Paris, 1905

Fauvismus ist eine in der Kunstgeschichte gebräuchliche Sammelbezeichnung für eine zentrale Bewegung der französischen Avantgarde, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts von einer heterogenen Gruppe von Malern hervorgerufen wurde. Die Gruppe selbst lehnte die von Louis Vauxcelles im Salon d’Automne von 1905 geprägte und zunächst abschätzig gemeinte Namensgebung „Fauves“ ab.

Die Hauptvertreter der neuen und zunächst geschmähten Bewegung waren Henri Matisse, André Derain und Maurice de Vlaminck, der sich Raoul Dufy, Albert Marquet, Kees van Dongen, Othon Friesz und Georges Braque anschlossen.[1] Aufgrund unterschiedlicher Zuordnungskriterien werden auch Henri Manguin und Charles Camoin, noch seltener auch Jean Puy und Louis Valtat, zu den „Fauves“ gezählt, neueren Tendenzen zufolge ebenfalls Georges Rouault.[2]

Der Fauvismus verfügt weder über eine eigene Theorie noch über ein programmatisches Manifest. Vom Post-Impressionismus angeregt strebten die „Fauves“ eine Erneuerung der Malkunst an und definierten ein neues System gegenständlicher Malerei. Eines ihrer Anliegen war, der Farbe autonomen Charakter zu verleihen, sie von der Zeichnung zu lösen, verbunden mit neuen Überlegungen zur Darstellung des Raumes.[1][3][4] Dies wurde in den Bildwerken durch ein elementares Zusammenspiel der Farben und Formen ausgedrückt. Die Bewegung wurde 1907 vom Kubismus, zu dem einige ihrer Vertreter wechselten, abgelöst. Durch die Arbeiten der „Fauves“ beeinflusst, wurde die Farbe zum individuellen Ausdrucksmerkmal des modernen Künstlers.

Begriff

Ausstellung des Salon d’Automne in Paris, 1905

Der Begriff Fauvismus leitet sich her von dem französischen Wort fauves, den wilden Bestien.[5] Als eine kleine Gruppe von Malern unter der Führung von Henri Matisse und André Derain 1905 zum ersten Mal in einer Ausstellung des Salon d'Automne im Saal VII ihre Bilder zeigte, rief Louis Vauxcelles, der Kritiker der Avantgarde im Gil Blas, als er zwischen den Malereien eine weibliche Büste in florentinischer Art des Bildhauers Albert Marque (1872–1939) sah: „Tiens, Donatello au milieu des fauves.“ („Sieh da, Donatello unter den wilden Bestien.“)[6] Neben Matisse und Derain zeigten auch Albert Marquet, Henri Manguin, Othon Friesz, Jean Puy, Louis Valtat, Maurice de Vlaminck, Charles Camoin und Kees van Dongen ihre Werke.[4] Die Formulierung wurde berühmt durch die Aufnahme in einen Artikel in Gils Bas vom 17. Oktober, in dem Vauxcelles über das Gemälde La femme au chapeau (Frau mit Hut) von Matisse, eines der umstrittensten Bilder des Salons, schrieb, sie erleide „das Schicksal einer christlichen Jungfrau, die im Zirkus den wilden Bestien (Fauves) vorgeworfen wird.“ Im selben Artikel wiederholte er die im so bezeichneten „Cage aux fauves“ – dem Käfig der wilden Tiere – getroffene Äußerung: „Donatello chez les fauves.“[3][7]

Durch den Artikel Vauxcelles’ im Gil Blas vom 17. Oktober wurden Maler in der Öffentlichkeit miteinander verbunden, die nie daran gedacht hatten, als eine geschlossene Gruppe aufzutreten. Die erste Ausstellung der Maler, die nun als „Fauves“ bezeichnet wurden, fand vom 21. Oktober bis zum 20. November 1905 in einem kleinen Laden, Rue Victor-Massé 25, statt, der von Berthe Weill und ihrer Schwester geführt wurde. Die Maler, die in dieser Ausstellung vertreten waren, sind: Camoin, Derain, Dufy, Friesz, Manguin, Marquet, Matisse und Vlaminck.[3] Die Gruppe selbst lehnte die Namensgebung ab. Der Ausdruck wurde von den Malern der Bewegung für so wenig zutreffend gehalten, dass sie ihn vor 1907 nicht gebrauchten. Sie hatten nicht das Bedürfnis, sich einen Namen geben zu müssen.

Am 4. November 1905 veröffentlichte die Zeitschrift Illustration eine ganze Reihe von Reproduktionen nach den Bildern von Matisse, Derain, Manguin, Puy und Valtat. In dieser Reihe von Reproduktionen tauchten auch Werke von Georges Rouault auf, die ebenfalls im Herbstsalon von 1905 vertreten waren.

Die Bezeichnung Fauvismus war – wie zuvor für den Impressionismus und später den Kubismus – zufällig, kam von außen und nicht von seinen Urhebern, war der Ausdruck einer Schockwirkung auf die Zeitgenossen. Das von Vauxcelles geprägte Wort belastete das Schicksal dieser neuen Malerei schwer und verfälschte deren Verständnis. In dem Wort „Fauve“ steckte unbewusst die zu dieser Zeit noch lebendige Ideologie, die den übermäßigen Farbenreichtum verurteilte und der Zeichnung und Bildgestaltung den Vorrang gab. Die Farbe galt noch im Sinne Ingres’ als „tierischer Teil der Kunst“.[1]

Charakterisierung

Drei Hauptgruppen, zu denen noch der holländische Einzelgänger van Dongen kommt, tragen zur Bildung des „Fauvismus“ bei:[8]

  • die Schüler Gustave Moreaus und der Académie Carrière: Henri Matisse, Albert Marquet, Charles Camoin, Henri Manguin und Jean Puy.
  • die Gruppe aus Chatou: André Derain und Maurice de Vlaminck.
  • das bekehrte Trio aus Le Havre von impressionistischer Herkunft: Othon Friesz, Raoul Dufy und Georges Braque.

Noch in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde den Historikern vorgeworfen, dass über Inhalt und Grenzen des Fauvismus so verschiedenartige Aussagen getroffen werden, sogar die Existenz des Wortes von seinem Namen abhängig zu machen. [1] Die folgende Charakterisierung des Fauvismus wurde den Büchern Der Fauvismus - Ursprünge und Entwicklung von Marcel Giry und Fauvismus von Jean Leymarie entnommen.

Jean Leymarie hebt die folgenden Punkte zur Charakterisierung des Fauvismus hervor:

  • Gleichwertigkeit von Licht und Raumgestaltung durch die Farbe.
  • Entflammung des Bildes als reine Fläche ohne Modellierung und ohne Illusion des Helldunkels.
  • Reinheit und Einfachheit der Mittel.
  • Völlige Übereinstimmung zwischen dem Ausdruck (expression) und dem Dekorativen, dem inneren Gehalt, durch die ordnende Komposition.

Der Fauvismus entstand aus dem Willen junger Maler, die Malkunst zu erneuern und etwa ab 1905 in ihren Werken ein neues System gegenständlicher Malerei zu definieren, jedoch folgte man keiner festen Theorie. Meist werden die Werke durch ihre leuchtenden Farben charakterisiert; die neuen Überlegungen zur Darstellung des Raumes, die weit wichtiger sind als die Intensität der Farbtöne, bleiben oft unbeachtet. [1]

In dem Sujet Landschaftsmalerei wurden die grundlegenden Ziele des Fauvismus entwickelt. Im Fauvismus wird die Natur nicht als Gegenstand der Kunst betrachtet, sondern als Ort, an dem subjektive Impulse, geistige und gefühlsmäßige Spannungen des Malers wirken. Zeichnung und Farbe müssen sich mit größter Freiheit der äußeren Erscheinungswelt gegenüber ausdrücken. Das Problem der räumlichen Darstellung lösen die Fauves auf logische Weise, wobei sie sich vom Naturalismus abwenden. An die Stelle der Raumillusion tritt ein durch Empfindungsvermögen und Phantasie gestalteter poetischer Raum. Dieser Raum drückt sich bildnerisch durch ein Zusammenspiel reiner, gleichmäßig gesättigter Farben aus. Die Farbe wird zu einem subjektiven, die Leidenschaft des Malers enthaltenen Äquivalent des Raumes und seiner grundlegenden Bestandteile.[1] Form und Gehalt fallen in den fauvistischen Bildwerken zusammen, verändern sich aber durch gegenseitige Einwirkung. So liegt der Ausdruck (expression) in der farbigen Oberfläche, die der Beschauer als Ganzes erfaßt. Der Fauvismus, als spontane Reaktion auf die Farbe, ist die „Stoßwirkung“ eines Eindrucks auf die Sinne, gebändigt von einer Synthese als Verdichtung der Eindrücke und der Grundforderung der Ökonomie des Bildaufbaus. Die höchste Steigerung der Farbe genügt nicht, um den Fauvismus zu charakterisieren. „Das ist nur das Äußere“, sagt Matisse erklärend; „der Fauvismus ist dadurch entstanden, daß wir die nachahmenden Farben abgelehnt und mit den reinen weit stärkere Wirkungen – deutlichere, gleichzeitige Reaktionen – erzielt haben, abgesehen von der Leuchtkraft der Farben.“[8]

Einige „Fauves“ sind von dem Willen beseelt mit der Vergangenheit, insbesondere dem Impressionismus und Realismus zu brechen und nicht von einem Vorbild abhängig zu werden.[1]

Historische Eingliederung

Die literarische Haltung Gides, der aus Unmut über den Symbolismus die Kunst des Schreibens erneuern will, entsprach der Reaktion der Fauves. So wendeten sie sich gegen die Unproduktivität der offiziellen Kunst und die Auswüchse des sich im Anekdotischen verlierenden Symbolismus in der Malerei.[1]

Der Raumbegriff der Fauves stützt sich auf eine Philosophie des Raumes, die mit einer Philosophie der Beziehung zwischen Subjekt und Welt (Objekt) identisch ist, in diesem Falle der Philosophie Nietzsches und Bergsons.[1] Die Fauves fühlen sich von der Gedankenwelt Nietzsches angezogen. Man kann sagen, dass die Verherrlichung des Lebens, der freudige Individualismus Nietzsches zu jener Zeit als eine Reaktion gegen den Pessimismus und die Morbidität des Fin-de-siécles empfunden wird. Was etwa Jules de Gaultier über Also sprach Zarathustra sagt, könnte Teil eines Manifestes des Fauvismus sein[1]: „Diese ist eine Lust, ein neuer Appetit, eine neue Gabe, Farben zu sehen, Klänge zu vernehmen und Gefühle zu empfinden, die bisher weder gesehen, noch vernommen oder empfunden wurden.“[9]

Malerei

Auf die jungen Maler der Jahrhundertwende in Paris drangen mehr Einflüsse und Gegenströmungen ein, als in der ganzen Geschichte der europäischen Malerei jemals zu gleicher Zeit in einer einzigen Stadt wirksam waren.[6] Die populäre Kunst jener Zeit war eine sonderbare Mischung von akademischem „poetischem Realismus“ à la Bouguereau und solchen Fin-de-siècle Erscheinungen wie der Art Nouveau. Der offizielle Akademiestil repräsentierte die letzten Phasen von Neoklassizismus und Realismus. Im Gegensatz zu solch populärer Malerei stand ein wichtiger Teil der französischen Malkultur in den ersten Jahren des Jahrhunderts, die schon zur Tradition gewordene Avantgarde. Ihre beiden Hauptströmungen sind der Impressionismus und Neoimpressionismus, des Weiteren der Symbolismus, Cloisonismus, Synthetismus und die Arbeiten van Goghs und Cézannes. Der zentrale Aspekt innerhalb der Avantgarde jener Tage war es, den durch den Impressionismus hervorgerufenen zerfließenden Bildeindruck zu festigen. Die Einheit der nicht-illusionistischen Bildfläche beherrschte das Wollen der Avantgarde.

So waren die Arbeiten der führenden Köpfe Anhalts- und Konfrontationspunkte für die jungen Maler. In diesen Werken erkannten sie, so etwa bei van Gogh und Gauguin, dass die flächige Behandlung der Farbe in den Vordergrund trat, die dem Zerfließen impressionistischer Werke entgegengestellt wurde. Bei den Divisionisten hingegen war es die Farblogik und Farblehre Chevreuls, basierend auf der sich im Auge des Betrachters vollziehenden additiven Farbmischung, mittels derer man dem Zerfließen entgehen wollte. Signac, der Theoretiker, Fortsetzer und Proselyt der Bewegung, veröffentlichte in der Revue Blanche vom Mai bis Juli 1898 alle Kapitel seines aufsehenerregenden doktrinären Werkes: Von Eugène Delacroix zum Neoimpressionismus. Der beherrschende Einfluss war damals der Cézannes, jedoch weniger im Hinblick auf die reine Farbe, sondern als ein Beispiel für die Struktur des Bildes und die Energie seiner Durchführung.[8]

Entwicklung, Höhepunkt und Ende

Der Lehrer Gustave Moreau

Der Lehrer, von dem einige „Fauves“ später immer wieder mit Verehrung und Dankbarkeit sprachen, war Gustave Moreau. Moreau verbrachte ganze Morgen im Gespräch mit seinen Schülern, und immer wieder führte er sie in den Louvre. André Suarès schreibt: „Er hat das Verdienst gehabt, zu verstehen, was ihm entgegengesetzt war und das ihn am heftigsten hätte abstoßen müssen. Er war der sicherste Führer, der weiseste Mentor.“ So schrieb Roger Marx in der Revue encyclopédique vom 25. April 1896: „Alle, die ihre Individualität entwickeln wollen, haben sich um Moreau geschart.“[3] Der Ausspruch Moreaus, „Ich bin die Brücke, über die einige von ihnen gehen werden“, erlangte so Berühmtheit.[10]

Die Studien von Matisse

Vue de Saint-Tropez
Henri Matisse, 1904
Öl auf Leinwand
35 × 48 cm
Musée Léon-Alègre, Bagnols-sur-Cèze

Link zum Bild
(bitte Urheberrechte beachten)

Für die Entwicklung des Fauvismus war der Werdegang Matisse' entscheidend. Matisse begann ab etwa 1897, sicherlich jedoch nach dem Tode Moreaus 1898, Pissaro zu besuchen. Dieser, das moralische Gewissen und der künstlerische Führer seiner Zeit, der noch die direkte Lehre Corots empfangen, die Entwicklung Cézannes und Gauguins erlebt und die Versuche Seurats unterstützt hatte, war damals auch offen für die Anfänge von Matisse, gab ihm unvergessliche Ratschläge. Matisse begann Gemälde zu schaffen, in denen sich der Beginn des Ausbruchs der Farbe äußerte und bis 1901 steigerte.

Fotografie Camille Pissarro, 1900

Der Korsika-Aufenthalt (1898) deutet bereits seine ersten fauvistischen Schritte an. Matisse hatte schon die expressive Funktion der Farbe betont, jedoch in diesem Zusammenhang noch nicht ihre raumbildende Funktion ausgewiesen. Er untersuchte in den Jahren 1900-1903 die Struktur der Formen, das, was er le dessin compris nennt, die Zeichnung, die das Wesen des Objekts zum Ausdruck bringt, in Verbindung mit dem dessin d’aplomb, der Zeichnung, die die Stabilität des Objektes ausdrückt.[1] Nach einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Neoimpressionismus gelangte Matisse dazu, die Farbe von der Vormundschaft der Kontur zu erlösen und den Bildraum aus Beziehungen kontrastierender Farbpläne zu konstruieren. Mit dem Bild Vue de Saint-Tropez (Sicht auf Saint-Tropez), ausgestellt 1904 im Salon d'Automne, leitete er den Fauvismus ein.[1] Es entspricht den zwei oder drei Werken, die Derain Ende des Jahres 1904 oder Anfang des Jahres 1905 malte. So ist die frühe Reife Derains, dem jüngsten der Fauves, in jener Zeit derart auffallend, dass Picasso ihm ohne zu Zögern die Vaterschaft des Fauvismus zugesprochen hatte.

Henri Matisse im Mai 1933, Fotografie von Carl van Vechten

Die im Herbstsalon von 1904 von Matisse gezeigten Arbeiten regten Friesz an, sich der Bewegung anzuschließen.

In seiner divisionistischen Komposition Luxe, calme et volupté[Bild 1] (1904–1905) entdeckte Matisse den Widerspruch zwischen der „linearen, skulpturhaften Plastizität“ und der „Plastizität der Farben“. Die malerische Aussage findet weniger in reinen Farben Ausdruck, als in einer lyrischen Vision der Erscheinungswelt und einer nichtillusionistischen, plastischen Definition des Raumes.[1] Matisse selbst hatte dieses Stadium – wie auch Derain –, nachdem er es überwunden hatte, später streng beurteilt und wie Pissarro die Grenzen und das Sterile einer „zu formelhaften Doktrin für den Aufbau der Farben“ gesehen, die, auf einfachen „Eindrücken der Netzhaut“ beruhend, nur ihre „rein physische Ordnung“ bezwecke.[8] Paul Signac nahm die Absage Matisse’ an den Neoimpressionismus sehr persönlich.

Als Matisse im Jahre 1905 bei den Unabhängigen Luxe, calme et volupté ausstellte, wechselte nun auch Dufy seine Richtung. Die beiden Maler aus Le Havre, Friesz und Dufy, verzichteten nunmehr gänzlich auf ihren frühen Impressionismus und folgten Matisse. Dufy äußerte hierzu: „Vor diesem Werke habe ich die Lebensberechtigung der neuen Malerei verstanden, und der impressionistische Realismus verlor seinen Reiz für mich angesichts dieses Wunders, Zeichnung und Farbe rein imaginativ zu behandeln.“

Die Schule von Chatou

Man hat Chatou das Argenteuil des Fauvismus genannt, denn in diesem kleinen Vorort hatte sich die Verbindung der drei Pioniere der Bewegung, Matisse, Derain und Vlaminck, die letzteren in Chatou ansässig, vollzogen.

Im Jahre 1901, während eines Besuchs der Gedächtnisausstellung für van Gogh in der Galerie Alexandre Bernheim (später Bernheim-Jeune), hatte Derain Matisse, der sie etwas später in Chatou besuchte und den er zuvor bereits während seiner Studien im Louvre kennenlernte, seinem Freund Vlaminck vorgestellt. Diese oft erwähnte historische Begegnung bezeichnet keineswegs genau die Geburt des Fauvismus, bildete aber eine seiner wichtigsten Keimzellen und wohl die auffallendste, so dass man gelegentlich auch von einer Schule von Chatou spricht.[8] So erinnerte sich Matisse: „Aufrichtig gesagt, hat die Malerei Derains und Vlamincks mich nicht erstaunt, denn sie war meinen eigenen Versuchen ähnlich.“[3]

In der Haltung Matisses und Vlamincks standen sich die beiden Pole des Fauvismus gegenüber, aus denen er einerseits seine Kraft und Geschlossenheit zog, andererseits jedoch seine heterogene Struktur behielt. Der erstere dachte, man müsse dem Instinkt entgegenarbeiten, während Vlaminck bemüht war, mit allen Sinnen zu malen, ohne an den Stil zu denken. Matisse jedoch übernahm das klassische Erbe und hatte nie den Einfluss anderer abgelehnt, denn die Persönlichkeit des Künstlers bestätigte sich für ihn nur durch den Kampf mit den gegensätzlichen Ideen und dem redlichen Sieg über sie. Für Vlaminck hingegen war die Malerei nicht eine ästhetische Erfahrung, sondern eine Gärung der Säfte, eine „Eiterung, ein Abszeß“.[8] So bildete sich, mit Derain als Bindeglied zweier so gegensätzlicher Naturen, die grundlegende Dreiheit des Fauvismus. Im Herbst 1904 kehrte Derain, der seit 1901 Militärdienst zu leisten hatte, aus dem „Soldatenleben“ zurück, und damit wurde der Austausch zwischen Matisse und der wiederhergestellten Truppe aus Chatou, die die Farbe wie „Dynamitpatronen“ verwendete, überaus lebhaft. So zeigt das Bild Restaurant de La Machine à Bougival[Bild 2] von Vlaminck seine Vorlieben für die Grundtöne Gelb, Rot und Blau.

Die Werke Derains während dieser gemeinsamen Schaffensperiode waren zum Teil noch unter dem Einfluss van Goghs und der Neo-Impressionisten entstanden. Jedoch zeigt Bords de rivière, Chatou[Bild 3] (Flussufer, Chatou) bereits die Suche nach einer Synthese der Form, mit Hilfe derer nicht die Wirklichkeit abgebildet, sondern ein Äquivalent für sie geschaffen werden soll.[1] In La Seine au Pecq (1904) deutete sich nun ein freier Stil an, der deutlich den fauvistischen Bestrebungen zugewandt ist.

Matisse und Derain in Collioure

Bateaux de pêche à Collioure
André Derain, 1905
Öl auf Leinwand
38,2 × 46,3 cm
The Museum of Modern Art, The Philip L. Goodwin Collection, New York

Link zum Bild
(bitte Urheberrechte beachten)

Der kleine Hafen Collioure am Mittelmeer wurde für Matisse und Derain, was für Cézanne Gardanne war, und was Céret für Braque und Picasso werden sollte. Wenn Céret, nach dem Wort Salmons, das „Mekka des Kubismus“ ist, so wurde der Fauvismus in Collioure geboren, und dort vollzieht sich der Übergang vom Post-Impressionismus zu jener neuen Art, die im nächsten Herbstsalon Skandal erregen sollte.[8]

Sind die ersten Arbeiten in Collioure noch divisionistischen Überlegungen zugewandt, kam es nun zu einer Begegnung mit dem Werk Gauguins. In dem nahegelegenen Corneilla-de-Conflent sahen die beiden bei Daniel de Monfried, dem treuesten Freund Gauguins, die noch unbekannten Werke aus Ozeanien, in denen sie eine Bestätigung ihres Wegs zur „subjektiven Farbe“ erkannten.

Die letzten Werke von Collioure zeigen von nun an den Weg zu jener Übersteigerung, die das Wesen des Fauvismus bestimmen wird. Als Übergang entstand eine neue Mischung von Divisionismus und flacher Farbe. Die Pinselschrift ist dünn und flüssig, fast aquarellartig in ihrer Leichtigkeit, so etwa in La sieste[Bild 4] von Matisse und Bateaux de pêche à Collioure von Derain.

Die divisionistische Sichtweise wurde nun gänzlich in Frage gestellt, da sie in völligem Widerspruch zu dem von Matisse und Derain entwickelten Verhältnis von Künstler und Natur stand. Da im Werk Gauguins die grundlegende Idee die flache Farbe ist, die, „die Zerstreuung der Lokalfarbe im Lichte“ überwindet, indem sie dem Licht ein anderes Äquivalent überordnet, die „Übereinstimmung stark farbiger Flächen“, hob Matisse hervor, „kann er nicht zu den Fauves gerechnet werden, denn ihm fehlt der Aufbau des Raumes durch die Farbe, die bei ihm Ausdruck des Gefühls ist.“[1] Zwar wird Gauguins Rolle als Vorläufer deutlich, jedoch auch die Reinigung, die seine Nachfolger erreicht hatten. So ist in den fauvistischen Werken die schon bei Gauguin stark verminderte Illusion des Raumes, der Masse und der Materie völlig aufgehoben. Damit verschwindet jede Spur der alten malerischen Perspektive, die warme Töne für den Vordergrund und kühle für die bläuliche Ferne verwendete, und die auch die Impressionisten zu überwinden trachteten. Ohne Kontur in strahlenden Farben nebeneinandergesetzt, bilden die Farben teppichartig die Oberfläche und lassen jene reine Harmonie entstehen, die Matisse einen „geistigen Raum“ genannt hatte.[8] Hierbei wird die Bedeutung des Lichts als ein Element der Wirklichkeit, das das Objekt modelliert, reduziert. An die Stelle des Lichtraums tritt ein aus dem Gefühl des Künstlers entstandener Farbraum und an die Stelle der deskriptiven Wiedergabe der Formen setzte der Fauve das, was Maurice Denis als „Noumen der Bilder“ bezeichnete und was man heute Zeichen nennen könnte.

Nach Paris zurückgekehrt, ging Matisse an die Figur und malte in wenigen Tagen La femme au chapeau (Frau mit Hut). Es gibt nun keine Rangordnung mehr zwischen Figur und Umraum, alles ist bedeutsam und gleichwertig, wird dem Gesamtrhythmus durch eine Folge von Farbflächen eingefügt, frei nach dem Vorbild der Aquarelle Cézannes.

Die Struktur der Bewegung

Während der „fauvistischen“ Jahre waren die „Fauves“ paarweise unterwegs und tauschten sich so untereinander aus: Vlaminck und Derain in Chatou, Matisse und Marquet in Paris, Marquet und Dufy in Sainte-Adresse, Trouville und Le Havre, Friesz und Braque in Antwerpen, Dufy und Friesz in Falaize und Le Havre, Matisse und Derain in Collioure, Dufy und Braque in L’Estaque.[3] Die Gruppe der Fauves entwickelte sich aus freundschaftlichen Beziehungen.[11] Was sie jedoch vor allem verband, war das leidenschaftliche Bekenntnis zur Farbe und zur Verwendung bestimmter Mittel, um sie zur Geltung zu bringen. Der Fauvismus verfügt jedoch nicht über dieselbe einheitliche Methode wie der programmatische Impressionismus oder der Neoimpressionismus.[3]

Die heterogene Struktur der Bewegung zeigt sich im Vergleich ihrer Vertreter. Jeder von ihnen sagte: „Farbe“, und jeder meinte damit etwas anderes. Andererseits wiederum ist allen gemeinsam, dass sie in ihren tiefen Krisen in Cézannes Werk Hilfe suchen.[3] Weitere Unterschiede untereinander zeigen sich etwa im Vergleich der Bilder Dufys zu denen von Matisse und Derain. Bei Dufy sind Form und Strich zunehmend unabhängig voneinander, im Gegensatz zum von Derain zur visuellen Verankerung seiner Farbfelder angestrebten Masseneffekt, und zu Matisse, der durch den Strich die Form bis zum äußersten spannt.[4] Dufys Gemälde Les affiches à Trouville[Bild 5] (Plakate in Trouville) aus dem Jahre 1906 ist noch näher an dem Werk Marquets orientiert. Der „Fauvist auf Samtpfoten“ Marquet äußerte sogar später, dass seine Anwesenheit im berühmten „Käfig“ (Saal VII) von 1905 viel eher einem Zufall als malerischen Gründen zu verdanken war: die fünf Landschaften, die er dort ausstellte, waren unter dem grauem Himmel von Paris gemalt. Mehr als van Gogh und die Impressionisten war es Manet, der einen entscheidenden Einfluss auf ihn ausübte. Marquets Ansichten von Paris – etwa Le Pont Saint-Michel[Bild 6] – fügen dem Fauvismus jedoch eine ganz besondere Note hinzu.[4] Friesz war vor allem an einer koloristischen Orchestrierung interessiert – etwa in La régate à Anvers[Bild 7] (Regatta in Antwerpen), kehrte jedoch 1908 wieder zu einer von der Zeichnung dominierten Malerei zurück.[4] Van Dongen, der mit zwei Werken – Torso[Bild 8] und Das Hemd – im berühmten Saal VII beim dritten Herbstsalon von 1905 vertreten war, schloss sich zwar den „Fauvisten“ an, jedoch war sein Torso viel weniger fauvistisch als zum Beispiel die im gleichen Saal ausgestellte La femme au chapeau von Matisse und verdeutlicht sofort die lebenslange Gegensätzlichkeit der beiden Maler.[4]

Louis Valtat, Henri Manguin, Jean Puy und Charles Camoin wurden in den wenigen Jahren, während denen die Bewegung in der Öffentlichkeit wirkte, häufiger als in den folgenden Jahrzehnten genannt. Sie stehen am Rande des Fauvismus als Maler, die unter sich verwandter als mit den anderen Fauves erscheinen. In diesem Zusammenhang ist die Rolle Rouaults die eines völligen Außenseiters,[3][1][8][4] der dennoch in neuerer Literatur gelegentlich zu den Fauves gerechnet wird.[2]

Höhepunkt

Das Jahr 1906 krönte den Triumph und die Verbreitung des Fauvismus durch den Anschluss Braques und seine Wirkung auf das Ausland. Der Herbstsalon von 1906 versammelte die vollständige Gruppe der Fauves in ihrer höchsten Entfaltung, in der sich ihre wesentlichen Grundsätze zeigten.[8]

Le bonheur de vivre
Henri Matisse, 1906
Öl auf Leinwand
174 × 238 cm
The Barnes Foundation, Merion, Philadelphia

Link zum Bild
(bitte Urheberrechte beachten)

Derains Bilder aus London, dessen Aufenthalt in der britischen Hauptstadt von Vollard angeregt wurde, der unter dem Eindruck der Arbeiten des Herbstsalons von 1905 die berühmte Reihe Monets in einem anderen Geiste erneuert sehen wollte, sind einige der geglücktesten Werke des Fauvismus.[8] Es entstanden Werke in zwei deutlich unterscheidbaren Richtungen: in breitem Pinselstrich und im Nebeneinander kolorierter Massen. Die Brücke von Charing Cross[Bild 9] ist ein Beispiel für die erste Richtung. In Die Westminsterbrücke, die Derain unter allen Londoner Bildern für den Herbstsalon 1906 ausgewählt hatte, weil sie das Ergebnis dieser Zeit zusammenfasst, vollzieht sich eine neuartige und meisterhafte Synthese von Lautrec und Gauguin.[8] Derain ist neben Matisse der führende Künstler der „Fauves“. Seine Werke erweisen sich ein halbes Jahrhundert nach ihrer Entstehung als eine Reihe von Meisterwerken, die sich den klassischen Werken des Impressionismus gleichwertig anschließen. Er besaß in der französischen Malerei der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts neben Matisse die stärkste künstlerische Intelligenz.[3]

Das Gemälde Le bonheur de vivre (Die Lebensfreude) von Matisse bildet, vor den Les Demoiselles d'Avignon, das erste wahrhaft monumentale Werk der Malerei des 20. Jahrhunderts. Matisse überwand hier die abendländische Alternative, die Linie und Farbe trennt, indem sie der ersteren eine intellektuelle, der Farbe eine erregende Rolle zuspricht und die Kunst als die Mimik entweder der äußeren oder der inneren Welt ansieht.[8]

Ende

Anlässlich eines dritten Aufenthaltes Braques in L’Estaque im Sommer 1908, den auch Dufy für einige Zeit teilt, verzichtete Braque auf die fauvistische Palette und baute in einer gedämpften Skala von Grau, Ocker und Grün seine ersten Landschaften und Stillleben aus facettenartigen Flächen auf, vor denen Louis Vauxcelles zum ersten Mal das Wort Kuben aussprach. Dass die beiden gegensätzlichen Bewegungen solidarisch sind und untrennbar den Pulsschlag der modernen Kunst implizieren, zeigt sich in Braque, der nacheinander und ohne Vorbehalte, „fauvistisch“ und „kubistisch“ gemalt hatte.[8]

So löste sich ab 1907 die Einheit der Bewegung unter dem Vorstoß des von Picasso und Braque eingeleiteten Kubismus auf, an dessen Entstehung Matisse und Derain nicht unbeteiligt waren. Nach dem Zerfall der Bewegung, da sich auch Derain 1907 vom Fauvismus abwandte, gewann Matisse große internationale Bedeutung, wurde sein Einfluss vor allem in Deutschland und in den nordischen Ländern wirksam, auch bedingt durch die Veröffentlichung des ästhetischen Programms Notizen eines Malers in der Grand Revue vom Dezember 1908, das ins Deutsche und Russische übersetzt wurde, und 1909 in der deutschen Zeitschrift Kunst und Künstler erschien. Diesem Aufsatz kommt für die Bewegung der „Fauve“ nachträglich eine programmatische Bedeutung zu.[3] 1929 sprach sich Matisse in seinen Gedanken und Aussprüchen über den Fauvismus aus: „Der Fauvismus erschütterte die Tyrannei des Divisionismus. Es läßt sich in einem allzu ordentlichen Haushalt, einem Haushalt von Tanten aus der Provinz, nicht leben. Also bricht man in die Wildnis auf, um sich einfachere Mittel zu schaffen, die den Geist nicht ersticken.“[3]

Rezeption

Erste Reaktionen

Neben Vauxcelles, dessen Wort von den Fauves abschätzig gemeint war, schrie auch Camille Mauclair, der Kritiker des Figaro, unter Verwendung eines Zitates von John Ruskin laut auf : „Ein Farbkübel ist über den Kopf des Publikums ausgeschüttet worden!“ Und im Journal de Rouen konnte man aus der Feder eines gewissen Nicolle lesen: „Was man uns da zeigt, hat – die verwendeten Materialien einmal ausgenommen – mit Malerei nichts zu tun: Blau, Rot, Gelb, Grün, lauter grelle Farbkleckse, die völlig zufällig aneinandergefügt wurden – primitive und naive Spielereien eines Kindes, das sich mit dem Farbkasten vergnügt, den es geschenkt bekam.“[4]

Die Aufnahme beim Publikum als „gemischt“ zu bezeichnen, ist zu wohlwollend. Viele Besucher regten sich auf und es gab sogar Versuche, Matisse' Gemälde La femme au chapeau zu zerstören. Michel Puy warf den zeitgenössischen Literaten gar vor, dass sie die Aussage der „Fauves“ nicht zur Kenntnis genommen hätten; mit Ausnahme André Gides, der in jener „Verrücktheit der Farben“ ein „Ergebnis bestimmter Theorien“ gesehen hatte. Maurice Denis hingegen äußerte sich in der Zeitschrift L’Ermitage vom 15. November eher positiv, wenn auch verblüfft, und vermutet zu Unrecht bei Matisse eine vorgefasste theoretische Haltung, erkennt jedoch dessen wesentliche Vorzüge an: „Das ist Malerei außerhalb jeder Zufälligkeit, der reine Vorgang des Malens [...] Das ist wahrhaft das Suchen nach dem Absoluten.“ Élie Faure, der große französische Kunsthistoriker, schrieb im Vorwort des Ausstellungskatalogs: „Wir müssen die Vorurteilslosigkeit und die Bereitschaft zeigen, eine völlig neue Sprache zu verstehen.“[3]

Kunsthistorische Einordnung

Die Farbe war jahrhundertelang nur die Ergänzung der Zeichnung; Raffael, Mantegna und Dürer, wie fast alle Maler der Renaissance, bauten das Bild in erster Linie durch die Zeichnung auf und fügten alsdann die Lokalfarbe hinzu. Von Delacroix bis van Gogh, nicht zu vergessen die Impressionisten, die den Weg frei machten, und durch Cézanne, der den entscheidenden Impuls gab und die farbigen Massen einführte, kann man verfolgen, wie der Farbe immer mehr Beachtung geschenkt wurde.[8]

Eine erste expressionistische, mit symbolischen und Jugendstilelementen vermischte, Welle erschien bereits zwischen 1885 und 1900 als Reaktion gegen den Impressionismus und den objektiven Ordnungswillen Cézannes und Seurats.[8] Ihre Vertreter waren van Gogh, Gauguin, Lautrec, Ensor, Munch und Hodler. Die innere Angst der Künstler befreite sich nicht nur durch eine Steigerung der Farbe, sondern auch durch expressive Formen und die Betonung spannungsgeladener Linien. Eine zweite expressionistische Welle, weit wuchtiger als die erste, zeigte sich so in Frankreich bereits durch die Beiträge Rouaults, im Frühwerk Picassos, im Schaffen des Fauvismus überhaupt und in Deutschland mit der Gründung der „Brücke“.[8]

Der Fauvismus hatte nur eine kurze Lebensdauer, jedoch hängt der Beitrag des Fauvismus auf die europäische Malerei nicht von seiner kurzen Dauer ab. Der Fauvismus hat, zum ersten Mal in der Geschichte der abendländischen Malerei, die Farbe, vor allem die ungebrochene Farbe, in den Mittelpunkt der Gestaltung gestellt und damit die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Farbe an sich innerhalb der Malerei aufgewiesen. Die stärkste farbige Wirkung wird nicht mit den buntesten Farben, sondern mit der reichsten Vision der Farbe geschaffen. So verdeutlichen gerade die fauvistischen Werke, dass Buntheit mit beseelter Farbigkeit nichts zu tun hat.[3]

Die Fauvisten hatten von der Kunst nicht die Veränderung der Gesellschaft erwartet, die sie mit ihren Ungerechtigkeiten und auch ihren schönen Seiten akzeptieren. Sie hatten auch nicht geglaubt, dass man die Malerei zerstören müsse, wie die Dadaisten gefordert hatten, sondern befanden im Gegenteil, dass man sie weiterentwickeln müsse.[4]

Position zum deutschen Expressionismus

Eine neuere Tendenz der Kunstkritik innerhalb einer generellen Standortbestimmung der europäischen Malerei zwischen 1900 und 1910 ist die, den Fauvismus und die Bewegung der Dresdner Brücke mit dem Expressionismus zu assoziieren. Andererseits gibt es sogar Meinungen, die jeglichen Unterschied zwischen Fauvismus und Brücke verneinen, mit der Begründung, eine solche Unterscheidung beruhe auf nationalistischen, rassistischen Überlegungen und auf Konkurrenzdenken.[1] Jedoch traten bereits in den Anfängen der Dresdner Brücke Unterschiede zum Fauvismus zutage, so in der jeweiligen Auffassung von Leben und Kunst. Die von der nordischen Kunst geprägten Maler bezogen ihre Inspiration aus den alten nordischen Themen von zwanghaften Besessenheiten, unbewussten Trieben, Träumen und Alpträumen. Sie hatten auch Kierkegaard als Quelle und dessen Auffassung von Angst, in der er nicht nur eine Grundprägung des Menschen sah, sondern die für ihn auch die ganze Natur prägte. Sie waren im Bereich der Malerei beeinflusst von den Arbeiten Munchs, die ganz im Gegensatz stehen zu der Malweise Cézannes.[4]

Für die Fauves wirkten die Farben auf die Netzhaut; als Söhne Newtons und Chevreuls interessierte sie das Sonnenspektrum. Für die Expressionisten dagegen waren Farben symbolisch und mythisch, wirkten auf die Seele und sind zu bewerten vor dem Hintergrund von Goethes Auffassungen von der Farbenlehre und der Metaphysik.[4] So fand der deutsche Expressionismus gerade in Zeiten gesellschaftlicher Krisen und geistiger Ratlosigkeit besondere Beachtung. Bei ihm schreit die Farbe, gerät außer Rand und Band. Der Fauvismus hingegen stand unter der Herrschaft der Farbe und gab sich ihr mit freudiger Bejahung hin.

Nachwirkungen und Einflüsse

In Frankreich wurde der Fauvismus vom Kubismus abgelöst, und in Deutschland waren es beispielsweise die expressionistischen Maler, vor allem die Mitglieder des Blauen Reiters, die von den Fauves angeregt wurden. Kandinsky und Jawlensky waren im historischen Herbtsalon von 1905 reich vertreten, jedoch nicht im „Käfig der Wilden“, sondern in der, von Diaghilew organisierten, russischen Sektion. Unter dem Zeichen Matisse’ fiel die „fauvistische Periode“ Kandinskys und Jawlenskys. Matisse hatte im Winter 1908/09 in Berlin bei Cassirer ausgestellt und war zwischen 1908 und 1910 dreimal in Deutschland. Gefördert durch das Beispiel Matisse’ und des Fauvismus festigte sich der Stil der „Dresdner Brücke“. So war Matisse allein das Gleichgewicht des sich entfaltenden Kubismus zu verdanken, dessen Gegenpol er bildete.[8] 1908 gründete Matisse eine private Schule, die „Académie Matisse“. Dort unterrichtete er von Januar 1908 bis 1911 und hatte schließlich 100 Schüler aus dem In- und Ausland. Nachdem er 1908 München besuchte, gründete Kandinsky die „neue Vereinigung“ Münchner Künstler im Jahre 1909. Der Besuch Matisse’ wurde 1910 wiederholt.[8] Die Kunst der Fauves wirkte sich auch auf die Maler der russischen Avantgarde wie Kasimir Malewitsch und Natalia Gontscharowa aus. Sie beeinflussten ebenfalls einige holländische Künstler, womöglich auch den italienischen Futuristen Umberto Boccioni. Für Maler wie Pierre Bonnard, Fernand Léger, Robert Delaunay, Frank Kupka und Roger de La Fresnaye wurde die Farbe zum wichtigsten bildnerischen Ausdrucksmittel. Ferner könnte man den Fauvismus auch als einen Wegbereiter der abstrakten Malerei ansehen, da die Fauves den hierfür letzten Schritt, auf den Bezug zum Objekt völlig zu verzichten, nicht vollzogen[1] - da auf diese Weise wie Matisse, wie auch Picasso, betonte, die Abstraktion nur imitiert werde[6].

Literatur

  • Jean-Paul Crespelle: Fauves und Expressionisten. (Les Fauves). Bruckmann, München 1963.
  • Jean-Paul Crespelle: Matisse und seine Freunde. Les Fauves. Hamburg 1966. (Katalog der Ausstellung 25. Mai bis 10. Juli 1966, Kunstverein Hamburg).
  • Bernard Denvir: Fauvismus und Expressionismus. (Originaltitel: Fauvism and Expressionism. übersetzt von Karlheinz Mahr), Knaur-Taschenbücher Band 447, München/Zürich 1976, ISBN 3-426-00447-X.
  • Gaston Diehl: André Derain. (Originaltitel: Derain. übersetzt von Helga Künzel), Südwest, München 1967 / Bonfini Press, 1977.
  • Jean-Louis Ferrier: Fauvismus – Die Wilden in Paris, Editions Pierre Terrail, Paris, 1992, ISBN 2-87939-053-2.
  • Henri Matisse, Jack D. Flam (Hrsg.): Über Kunst, (übersetzt von Elisabeth Hammer-Kraft). Diogenes-Taschenbuch 21457, Zürich 1993, ISBN 3-257-21457-X.
  • Marcel Giry: Der Fauvismus. Ursprünge und Entwicklung. (Originaltitel: Les fauves. aus dem Französischen übersetzt von Gunhilt Perrin). Edition Popp / Office du livre , Würzburg/Fribourg 1981, ISBN 3-88155-088-7.
  • Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus. Büchergilde Gutenberg, Zürich 1961.
  • Jean Leymarie: Fauvismus, Albert Skira Verlag, Genève, 1959, aus dem Französischen von Karl Georg Hemmerich.
  • Renata Negri: Matisse und die Fauves. (Originaltitel: Matisse e i Fauves. aus dem Italienischen übersetzt von Carola Dietlmayer). In: Galerie Schuler. Schuler, München 1973, ISBN 3-7796-5008-8.
  • Heinrich Neumayer: Fauvismus. (Zeit und Farbe; Bd. 2). Verlag Rosenbaum, Wien 1956.
  • Patricia Rochard (Hrsg.): Die Explosion der Farbe. Fauvismus und Expressionismus 1905 bis 1911, [eine Ausstellung im Alten Rathaus der Stadt Ingelheim, 26. April bis 28. Juni 1998] / Internationale Tage Ingelheim. [Veranstalter Boehringer Ingelheim], Schmidt, Mainz 1998, ISBN 3-87439-459-X (Ausstellungskatalog) / ISBN 3-87439-456-5 (Buchhandelversion).
  • Kristian Sotriffer: Expressionismus und Fauvismus. Verlag Anton Schroll & Co. Wien 1971.
  • Denys Sutton: André Derain. Phaidon-Verlag, Köln 1960.

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l m n o p q r Marcel Giry, Der Fauvismus: Ursprünge und Entwicklung, Edition Popp, Würzburg 1981, S. 7 ff.
  2. a b Sabine Rewald: Heilbrunn Timeline of Art History. Department of Nineteenth-Century, Modern and Contemporary Art, The Metropolitan Museum of Art, abgerufen am 9. März 2011.
  3. a b c d e f g h i j k l m n Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus, Büchergilde Gutenberg, Zürich, 1961, S. 14 ff.
  4. a b c d e f g h i j k Jean-Louis Ferrier: Fauvismus – Die Wilden in Paris, Editions Pierre Terrail, Paris, 1992, ISBN 2-87939-053-2, S. 9 ff.
  5. wörtlich: den Raubtieren.
  6. a b c Jack D. Flam, Matisse – Über Kunst, op.cit.
  7. Au centre un torse d’enfant d’Albert Marque. La candeur de ce buste surprend au milieu de l’orgie des tons purs: Donatello chez les fauves.
  8. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s Jean Leymarie: Fauvismus, Albert Skira Verlag, Genève, 1959, S. 14 ff.
  9. Jules de Gaultier, De Kant á Nietzsche, Mercure de France, Januar 1900, S.104
  10. Je suis le pont, sur lequel certains de vous passeront.
  11. Lionel Richard: Fauvismus – Künstlerlexikon. Lexikon des Expressionismus, Somogy Paris, abgerufen am 9. März 2011.

Abbildungen

  1. Henri Matisse: Luxe, calme et volupté, 1904/05, Öl auf Leinwand, 86 cm x 116 cm, Musée d’Orsay, Paris
  2. Maurice de Vlaminck: Restaurant de La Machine à Bougival, 1905, Öl auf Leinwand, 60 cm x 81 cm, Musée d’Orsay, Paris
  3. André Derain: Bords de rivière, Chatou, 1904, Öl auf Leinwand, 74 cm x 123.8 cm, Museum of Modern Art, Sammlung Mr. and Mrs. William S. Paley, New York
  4. Henri Matisse: La sieste, 1905, Öl auf Leinwand, 59 cm x 72 cm, Privatsammlung, Zürich
  5. Raoul Dufy: Les affiches à Trouville, 1906, Öl auf Leinwand, 65 cm x 81 cm, Musée National d'Art Moderne, Paris
  6. Albert Marquet: Le Pont Saint-Michel, 1908, Öl auf Leinwand, 65 cm x 81 cm, Musée de Peinture et de Sculpture, Grenoble
  7. Othon Friesz: La régate à Anvers, 1906, Öl auf Leinwand
  8. Kees van Dongen: Torso, 1905, Öl auf Leinwand, 92 cm x 81 cm, Privatsammlung,
  9. André Derain: Charing Cross Bridge, 1906, Öl auf Leinwand, 80.3 cm x 108.3 cm, National Gallery of Art, Sammlung Mrs. John H. Whitney, Washington