Antideutsche Kritik

antinationale Radikale in Deutschland
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Antideutsche sind eine aus der autonomen Linken hervorgegangene Strömung, die sich diesen Namen als Reaktion auf den deutschen Nationalismus im Zuge der Wiedervereinigung gegeben hat.

Politische Grundposition

Von anderen linksradikalen Strömungen unterscheiden sich die Antideutschen wesentlich durch die folgenden Aussagen:

  1. Der Kapitalismus sei derzeit besser als seine mögliche Alternative, die in der Barbarei bestehe. Deshalb seien die Krieg der USA gegen Afghanistan und den Irak unbedingt zu unterstützen.
  2. Die Forderung nach unbedingter Solidarität mit Israel, was auch die volle Unterstützung für alle militärischen Maßnahmen einschließt. Die Schuld am Nahostkonflikt weisen die Antideutschen vollständig der palästinensischen Seite zu, die als völkisches Kollektiv danach trachteten, das Vernichtungswerk Hitlers fortzusetzen.
  3. Antikapitalismus sei in den meisten Fällen nur ein versteckter Antisemitismus, die meisten sozialen Bewegungen seien Teil einer "Antisemitischen Internationale".
  4. In Deutschland bestehe auch 60 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus eine Volksgemeinschaft unverändert fort, deren primäres Ziel es sei, den Massenmord an den Juden zu wiederholen, sobald sich dazu die Gelegenheit ergebe.

Andere Themen spielen im politischen Denken der Antideutschen praktisch keine Rolle. Dies gilt auch für die traditionell "linken" Themen Ökologie, Sozialabbau, Globalisierung, Massenelend, Hunger und Verschuldungskrise in der Dritten Welt, Flucht, Migration und Rassismus.

Einordnung in das politische Spektrum

Die von Antideutschen geäußerte Kritik richtet sich im Wesentlichen an das linksradikale Lager, dem sie entstammen, und hier besonders an die sogenannten Antiimperialisten. Dabei handelt es sich insofern um ein Kuriosum, als Antideutsche traditionell rechtsbürgerliche Positionen in formal und rhetorisch linker Gewandung vertreten. Die hiervon ausgehende Irritation erklärt das gemessen an ihrer zahlenmäßigen Stärke relativ große Aufsehen, das dieses Phänomen erregt.

  • So unterstützen die sog. Hardcore-Antideutschen ohne Einschränkungen die Politik der US-amerikanischen Neokonservativen, insbesondere in Bezug auf den Irak und den gesamten Nahen Osten.
  • Die Existenzberechtigung andere der Linken zugeordneter sozialer Bewegungen wie etwa der globalisierungskritischen Bewegung und der Anti-Atom-Bewegung wird von Antideutschen bestritten. Die in der globalisierungskritischen Bewegung populäre Forderung nach einer Regulierung der Finanzmärkte (z.B. Tobin-Steuer) gilt Antideutschen als "strukturell antisemitisch", d.h. sie nehmen an dass wer die Finanzmärkte kritisiere, dabei eigentlich immer an "den Geldjuden" denke.
  • Für die Friedensbewegung haben sich in antideutschen Publikationen Bezeichnungen wie „Friedensmob“ eingebürgert. Auch wurde ihr z. B. ein einem Antideutschen Flugblatt aus Bielefeld zum 8. Mai 2005 "Appeasement gegenueber dem antisemitischen Vernichtungswillen" vorgeworfen und das Ideal des Friedens als "leer und verlogen" bezeichnet.
  • Die unbedingte Unterstützung für die Politik des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon schließt ein, dass Kritik an den israelischen Sperranlagen im Westjordanland i.d.R. für grundsätzlich illegitim erklärt wird.
  • Die Annäherung an rechtsbürgerliche Positionen zeigt sich auch an der häufigen positiven Bezugnahme auf die Druckerzeugnisse der Springer-Presse (Die Welt, BILD), die früher von den sog. 68ern als einer der wichtigsten innenpolitischen Gegner gesehen wurde, sowie
  • Während linksradikale Gruppen traditionell die Diskriminierung von Migranten in Deutschland als zentrales Problem ansehen, äußern sich antideutsche Publikationen wie die Zeitschrift "Bahamas" zunehmend negativ über die Rolle von Migranten in der europäischen Gesellschaft. Multikulturalität und multikulturelle Gesellschaft werden von ihnen als Freiräume für gewalttätige und kriminelle Islamisten bewertet, wohingegen wie der ermordete Rechtspopulisten Pim Fortuyn zunehmend die Sympathie der Antideutschen genießt.[1]
  • Obwohl sie nominell Nationen und Nationalstaaten ablehnen, besteht eine ihrer wichtigsten Aktionsformen im Tragen von Nationalflaggen bei Demonstrationen. (siehe Bild)

Im Unterschied zur traditionellen Linken spielen Klassenkampf und Arbeiterbewegung in der Programmatik antideutscher Gruppen keine Rolle mehr, obwohl diese sich zumeist als Kommunisten bezeichnen. Das Proletariat habe ihrer Ansicht nach durch die Teilnahme an Faschismus und Nazismus den Anspruch auf einen besonderen emanzipatorischen Gehalt verloren. Diesen sehen Antideutsche stattdessen in der Politik der (kapitalistischen) Siegermaechte des 2. Weltkrieges und Israels.

Theoretische Vorbilder

Theoretisch orientiert man sich einerseits an der Kritischen Theorie und andererseits am französischen Poststrukturalismus, der jedoch von manchen Antideutschen abgelehnt wird. Häufig wird Antideutschen vorgeworfen, elitär zu sein, da sie durchaus komplizierte Theoriegebäude vertreten, die für Missverständnisse, aber auch Fehlschlüsse anfällig sind. Theoretisch knüpfen Antideutsche vor allem an Marx, die aufklärerischen Philosophen Kant und Hegel, und der daran erfolgten Kritik v.a. durch Adorno, Horkheimer und andere an.

Historische Entwicklung

Die Begriffsgeschichte

Markus Mohr und Sebastian Haunss gehen bei der Analyse der Begriffsgeschichte des Wortes „antideutsch“ auf „mehr oder minder explizit antideutsch motivierte Ideen und Gedanken“ zurück. So habe 1844 Karl Marx in seiner „Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ den „Krieg den deutschen Zuständen! Allerdings!“ gefordert. Heinrich Heine formulierte in“ Die schlesischen Weber“: „Deutschland, wir weben dein Leichentuch.“ Antideutsche Ideen habe auch Sebastian Haffner in den 1930er Jahren in seinen Büchern „Germany: Jekyll & Hyde“ und „Geschichte eines Deutschen“ entwickelt. Lord Robert Gilbert Vansittart habe allen Deutschen eine „pathologische Aggressivität“ unterstellt und sie als „die Störenfriede der Zivilisation seit Tacitus“ bezeichnet.
In der Neune Linken taucht erstmals auf der Titelseite des linksradikalen Untergrundblattes 883 aus Berlin in der 27. Ausgabe vom 14. August 1969 die Formulierung »Anti-deutsche Agitation« auf. Es „scheint dieser Begriff offenbar von der militant-antikommunistisch eingestellten Frontstadtbevölkerung den protestwilligen Studenten entgegen gehalten worden zu sein.“ So Mohr und Haunss.
Prägend für die 1980er war einer der „populärsten Song der Hamburger Punk-Band Slime“:
„Wo Faschisten und Multis das Land regiern,
wo Leben und Umwelt keinen interessiern,
wo alle Menschen ihr Recht verliern,
da kann eigentlich nur noch eins passiern:
Deutschland muss sterben, damit wir leben können,
Deutschland muss sterben, damit wir leben können,
Deutschland muss sterben, damit wir leben können,
Deutschland muss sterben, damit wir leben können.“

Die zentrale Botschaft dieses Liedes sei von Slime auch als eine „frontale Entgegensetzung“ zu der Inschrift auf dem Kriegerdenkmal am Hamburger Dammtorbahnhof „Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen“ entworfen worden. „Die Punks von Slime waren damals nicht allein in ihrer Wut auf das in vielerlei Hinsicht obszöne Kriegerdenkmal. Ihr völlig berechtigter Hass darauf, entsprach in jeder Note und Faser völlig dem Lebensgefühl einer damals entstehenden autonomen Jugend- und Subkultur, die auch in der seit Ende der 70er Jahre von Großbritannien in die BRD schwappenden Punkwelle wurzelte.“ Das Lied wurde immer wieder auf Demostrationen beim „Abspielen der Original-Version aufgrund des Vorwurfs der Verunglimpfung des Staates“ Anlass für Polizeieinsätze, mit nachfolgenden Gerichtsverfahren und entsprechenden Verurteilungen. Erst im Jahr 2000 sie in einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts „der Liedtext als »Kunst im Sinne dieses Grundrechts« ins „deutsche Kulturerbe mit aufgenommen“ (M./H.) aufgenommen worden.

Entstehung der antideutschen "Bewegung"

Die heute in der radikalen Linken diskutierten Inhalte des Begriffes „Antideutsch“ seien erst zu Beginn des Jahres 1989 einem Kreis namens „Radikale Linke“ markant geworden. Gebildet habe sich dieser Kreis im „Umfeld von in der Grünen Partei pleite gegangenen linken Grünen, Trotzkisten, Mitgliedern des Kommunistischen Bundes, der Zeitschrift konkret und anderen linksradikalen Gruppierungen ... Aus diesem Kreis, an dem auch Autonome der unterschiedlichsten Couleur beteiligt waren, wurde nach dem Fall der Mauer wesentlich eine Kampagne unter dem Motto „Nie wieder Deutschland“ vorangetrieben.“

Anstoß war der Zusammenbruch des Realsozialismus am Ende der 80er Jahre und die darauf folgende deutsche Wiedervereinigung. Die Befürchtung eines Wiedererstarkens des deutschen Nationalismus wurde in den frühen 90er Jahren durch zahlreiche Fälle von Gewalt gegen Nichtdeutsche bestätigt, so das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen und der Mordanschlag auf die Solinger Familie Genç. Zu diesen Ausbrüchen nationalistisch motivierter Gewalt kam die Zunahme staatlicher Repression gegen Migranten, so etwa die drastische Einschränkung des Asylrechts durch eine große Koalition aus CDU, FDP und SPD im Jahre 1994.

Die sich herausbildende antideutsche Strömung konzentrierte ihre Aufmerksamkeit ursprünglich stark auf die mögliche Gefährdung Polens und Frankreichs durch deutsches Großmachtstreben. Deutschland, so wurde befürchtet, könne Polen gegenüber territoriale Ansprüche erheben und in Frankreich Volksgruppenpolitik betreiben, die auf eine Abspaltung der Bretonen, Elsässer und anderer regionaler Sprachgruppen ziele.

Während solche Befürchtungen von weiten Teilen der autonomen Linken geteilt wurden, sorgte die Befürwortung des zweiten Golfkriegs von 1991 gegen den Irak erstmals für massive Zerwürfnisse. Eine Hauptrolle spielte hierbei die Hamburger Zeitschrift konkret, dessen Herausgeber Hermann L. Gremliza sich aus Gründen der Israelsolidarität vehement für den von der Regierung Kohl finanziell massiv unterstützten Krieg aussprach. Noch weiter ging der antideutsche Vordenker Wolfgang Pohrt, der in Ausgabe 03/91 von Gremlizas Zeitschrift gar den Einsatz der israelischen Atombombe gegen Bagdad forderte.

Den Krieg gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999 lehnten die Antideutschen ebenso ab, wie der größte Teil der Linken. Die Antideutschen beurteilten ihn als Wiederholung der Konstellation des 2. Weltkriegs, in dem Jugoslawien Opfer deutscher Aggression geworden war. Daraus leiteten sie die Forderung nach "bedingungsloser" Solidarität mit dem Regime von Slobodan Milošević ab, während viele andere linke und pazifistische Strömungen auch die Taten der serbischen Seite kritisierten. Dies führte zum Bruch zwischen Antideutschen und Antinationalen.

Gleichzeitig passte die massive Kriegsbeteiligung der früheren Westalliierten nicht zu dem von den Antideutschen gezeichneten Bild. Diese erklärten das Verhalten der USA damit, sie hätten sich nicht aus freien Stücken für den Krieg entschieden, sondern seien von Deutschland in diesen hineingetrieben worden. Zu dieser Argumentation gehörte auch eine weitestgehende Überschätzung der weltpolitischen Machtstellung Deutschlands. So schrieb die Jungle World, die USA seien die einzig verbliebene Macht, die in der Lage sei "Deutschland die Stirn zu bieten".

Nach der Al-Aqsa-Intifada

Nach Beginn der zweiten Intifada durch extreme palästinensische und islamistische Gruppen in Israel/Palästina kam es zu einer schroffen Polarisierung zwischen den eher traditionellen Linken auf der einen und den nunmehr als eigenständige Strömung erkennbaren Antideutschen auf der anderen Seite. Seitdem steht die Solidarität mit dem Staat Israel und die Kritik an antizionistischen Haltungen im Vordergrund des antideutschen Selbstverständnisses. Die Anschläge vom 11. September 2001 führten darüber hinaus zu einer vehementen Zurückweisung von einzelnen Theorie-Elementen des Antiimperialismus sowie antiamerikanischer Tendenzen innerhalb der Linken.

Während Frankreich aufgrund seines staatsbürgerlich und nicht völkisch definierten Nationsbegriffs ursprünglich das positive Gegenbild zu Deutschland darstellte, kühlte die antideutsche Frankreichliebe im Verlauf der Kriege gegen Afghanistan und Irak deutlich ab. Hauptgrund war die Haltung Frankreichs in Bezug auf den Irak und den israelisch-palästinensischen Konflikt. Von nun an wurden dieUSA neben Israel zum wichtigsten Bezugspunkt antideutscher Identität erhoben. Das Tragen der US-amerikanischen Nationalflagge gehört seit dieser Zeit zum Standard antideutscher Kundgebungen. Die negative Bewertung Deutschlands wurde zudem auf das gesamte "Old Europe" ausgeweitet. Diese abwertend gemeinte Benennung der europäischen kriegskritischen Staaten durch US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ging bald in den festen Sprachgebrauch antideutscher Publikationen über und erscheint dort stets als ein zu bekämpfendes. Der US-Armee bescheinigen Antideutsche dagegen, dass ihre Kriegseinsätze in Afghanistan und dem Irak Akte "tätigen Antifaschismus'" darstellten. Oberbefehlshaber George W. Bush wurde als "A Man of Peace" tituliert.[2]

Datei:Antideutsche.jpg
Antideutsche am 10. April 2005 in Buchenwald

Die Unterstützung des Afghanistan-Kriegs und der von den USA initiierten Irak-Kriege seit 1991 durch zahlreiche antideutsche Aktivisten, mehr noch aber der Vorwurf, dass die Kritik am Islamismus sich bei manchen Vertretern dieser Strömung in einem rassistischen Register abspiele, führte nach und nach zu einer Spaltung in zwei Lager, polemisch oft als „Softcore“- und als „Hardcore“-Antideutsche bezeichnet. Erstere sehen letztere dagegen häufig als Postantideutsche an, weil sie die Kritik an den Deutschen durch rassistische Positionen gegenüber Muslimen eingetauscht hätten. Viele Antideutsche sehen im Islam starke Tendenzen eines „Islamofaschismus“, der durch Muslime weder erkannt noch bekämpft werde. Dieser Standpunkt stößt bei vielen Antirassisten auf Unmut, einmal weil das Stilmittel grober Polemik weitverbreitet in antideutschen Publikationen ist, zum anderen auch weil sich hardcore-antideutsche Islamkritik oftmals inhaltlich den Positionen rechtspopulistischer und rechtsradikaler xenophober Bewegungen wie der Liste Pim Fortuyn oder des Vlaams Blok annähert. Prominentes Beispiel für diese Annäherung waren die Sympathiebekundungen für Pim Fortuyn durch Bahamas nach der Ermordung Theo van Goghs ([3]).

Insbesondere das Mitführen israelischer oder US-amerikanischer Nationalflaggen durch Vertreter der antideutschen Strömung führte auf Demonstrationen schon zu körperlichen Auseinandersetzungen mit anderen Linken. Dies wird folgendermaßen begründet:

  • Ein bürgerlich-demokratischer Rechtsstaat sei ein wesentlicher Fortschritt gegenüber fundamentalistischen oder nationalistischen Regimes.
  • Eine derartige nationalistische, fundamentalistische Ideologie sei Grundlage und Zweck sowohl der palästinensischen Hamas und PLO als auch der irakischen Guerillas als auch der Taliban als auch der UÇK. Arabischer Antisemitismus sei zu einer akzeptierten Meinung im Rahmen des Kulturalismus in Europa geworden.
  • Israel sei vor allem Opfer beständiger Aggression durch palästinensische Organisationen. Einige dieser arbeiteten während des Zweiten Weltkrieges mit den Nazis zusammen. Als solches habe Israel ein Recht sich mit rechtsstaatlichen Maßnahmen wie Kontrollen und Sicherungsanlagen zu verteidigen, nach Meinung vieler Antideutscher auch mit militärischen Mitteln wie z. B. gezielten Tötungen (außergerichtlichen Hinrichtungen) von des Terrorismus oder seiner Unterstützung verdächtigten Personen.
  • Die Kritik der europäischen Öffentlichkeiten und insbesondere der deutschen sei tendenziös, geschichtsvergessen im Jargon und arbeite teilweise mit bösartigen antisemitischen Stereotypen.

Zunächst trug der eskalierende Streit zwischen Antideutschen und Antiimperialisten zu einer deutlichen Schwächung der autonomen Linken bei. Allerdings erhielten die Antideutschen in den letzten Jahren regen Zulauf von Seiten junger Antifa-AktivistInnen, so dass sie sich bundesweit als eigene Bewegung etablieren konnten. In vielen Orten hat sich die anfängliche Hysterie wieder gelegt, viele arbeiten mit antideutschen Gruppen in Zweckbündnissen zusammen oder haben das Grundverständnis einer Solidarität mit Israel und einer Absage an völkischen Widerstand akzeptiert.

Extremismusforschung

Vergleichbar mit den Tendenzen innerhalb der Antideutschen, die ideologischen Vorraussetzungen zwischen rechter-, linker- und islamistischer Politik gleichzusetzten, vertreten auch Extremismusforscher des Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. (HAIT), wie etwa deren Referent und Autor Armin Pfahl-Traughber vom Verfassungschutz, die These, dass es eine „ideologische Schnittmengen zwischen rechtsextremen, linksextremen und islamistischen Akteuren in Deutschland“ gebe. Insbesondere im „Antiamerikanismus und Antizionismus“ sieht Pfahl-Traughber „programmatische Überschneidungen“. Im Gegensatz zu den von einigen Antideutschen vertretenen Positionen, hält er ein „Zusammenwirken von Islamisten und Rechtsextremisten“ für unmöglich, weil säkularer Nationalismus und religiöser Fundamentalismus unvereinbar seien und wechselseitige Feindbilder begründeten.

Publikationen

Vertreter der so genannten „Hardcore“-Antideutschen organisieren sich um die Zeitschrift Bahamas, während die gemäßigtere Variante sich eher lose an Zeitschriften wie der Phase 2 orientiert. Die Wochenzeitung Jungle World und die Monatszeitung Konkret dienen dagegen beiden Seiten als Plattform, lassen aber auch Gegner der Antideutschen zu Wort kommen.

Kritik und Kontroverse

Aufgrund ihrer Positionen, die überwiegend in diametralem Gegensatz zur übrigen Linken stehen, sind die Antideutschen Gegenstand beständiger heftiger Kontroversen. Zudem sind auch innerhalb der Strömung Zerwürfnisse und Spaltungen keine Seltenheit, wobei diese i.d.R. unter häufigem Einsatz von Antisemitismusvorwürfen ausgetragen werden.

Die im Folgenden referierte oder zitierte Kritik stammt überwiegend von Vertretern der radikalen Linken. Dies liegt in erster Linie daran, dass es sich bei der Kontroverse um antideutsche Positionen ganz überwiegend um eine innerlinke Auseinandersetzung handelt. Einige der genannten Autoren waren für die Entstehung einzelner antideutscher Politikkonzepte selbst sehr prägend. Die meisten Stellungnahmen entstammen dem von Gerhard Hanloser herausgegebenen Band „Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken“ (siehe Literatur).

Kern der Kritik ist die Feststellung einer Wendung der Antideutschen nach rechts, bzw. einer "Rückkehr in die bürgerliche Wertegemeinschaft" unter Aufgabe aller linker Essentials.

"Nationalfahnen gegen Nationalismus = Burger King gegen McDonalds"

Aus einem Interview mit dem israelischen Anarchisten Yossi Bartal:[4]

"USA- und Israelfahnen in einer Demonstration zu schwenken, weil du gegen Nationalismus und Rassismus bist, ist genauso dumm, wie Burger King Symbole auf einer Anti-McDonalds-Demo zu zeigen.

Leute, wie die von der Bahamas-Zeitung, nutzen ihren Philosemitismus, um ihren Rassismus gegen AraberInnen und ihre Islamophobie zu rechtfertigen. Ich verstehe nicht, warum solche Rassisten noch auf Anti-Nazi-Demos gehen – sie waren vielleicht früher Linke, aber das war Horst Mahler auch

Xenophobie und Rassismus bei "Bahamas"

Der Mord an Theo van Gogh durch einen jungen Islamisten motivierte die schon lange für ihre scharfen antiislamischen Attacken bekannte Zeitschrift "Bahamas" dazu, ihren Ton nochmals zu verschärfen. In einem "In Memoriam Theo van Gogh" überschriebenen Artikel spricht sich die Redaktion nicht nur in aller Deutlichkeit gegen eine multikulturelle Gesellschaft aus und lässt starke Sympathien für den ebenfalls ermordeten Rechtspopulisten Pim Fortuyn erkennen, sondern sie rekurriert indirekt auf die Stammtischparole vom "kriminellen Ausländer", indem sie von "Vierteln" schreibt, in die "Weiße" nachts den Fuß nicht mehr setzten. Das Antifa-nahe "Berliner Institut für Faschismus-Forschung und Antifaschistische Aktion e. V." merkt dazu an:

"Weiße" setzen sie zwar noch in Anführungszeichen, aber die Hautfarbe bestimmt für Bahamas dennoch: "Weiße" = "Aufklärung" (und das stimmt "verkehrt" sogar), dann bleibt für "finster und dumpf" noch Nicht-Weiß. (...) Mit CSU-"Aufklärer" Beckstein und der Glaubwürdigkeit in Person, Trittin, beklagen sie Buntheiten auf dem guten weißen deutschen Boden. "In jenen Vierteln", so Bahamas, "in denen nachts viele 'Weiße' den Fuß nicht mehr setzen" (sic!), fühle sich der Nicht-Weiße schon frech "zu Hause"![5]

Inflationärer Gebrauch des Antisemitismusvorwurfs

Der langjährige Jungle World-Autor Alfred Schobert kritisiert in der Graswurzelrevolution die Leichtfertigkeit, mit der antideutsche Autoren ungeprüfte Antisemitismusanschuldigungen in die Welt setzen, womit das Problem des Antisemitismus trivialisiert werde. Exemplarisch weist er dies im Fall der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy nach, die Thomas von der Osten-Sacken in der Jungle World mittels freier Assoziation zur Antisemitin stempelte, u.a. indem er von "jüdischem Finanzkapital" phantasierte, wo Roy tatsächlich den für die Katastrophe von Bhopal verantwortlichen Chemiekonzern Union Carbide kritisiert habe, sowie indem er, ohne jeglichen Anhaltspunkt unterstelle, mit Kritik an den USA seien eigentlich "die Juden" gemeint.

Solche Demagogie erschwere die Auseinandersetzung mit wirklichem Antisemitismus, was angesichts real vorhandener antisemitischer Tendenzen (Walser-Debatte) sehr bedenklich sei.[6]

Ähnlich das Urteil von Franz Schandl von der "Gruppe Krisis":

(...)der Schaden, den diese Kohorten aufgeputschter antideutscher Youngsters anrichten, ist nicht gering. Wenn sich der Spuk verzogen hat, könnte er in der Linken eine weitgehende Gleichgültigkeit gegenüber dem realen Antisemitismus zurücklassen, weil das Thema kaputtinszeniert wurde. [7]

Israel als Projektionsfläche für "Solidarisierungsfetischisten"

Scharfe Kritik an "solidarisierungswütigen Israelfreunden" übt der israelische Soziologe Moshe Zuckermann. In einem Beitrag Was heißt: Solidarität mit Israel? kritisiert er den ideologischen Blick auf Israel seitens der Antideutschen.

Diese missbrauchten Israel als "pure Projektionsfläche für eigene Befindlichkeiten". Ihre "bedingungslose Solidarität" sei eine Farce, "die die reale Tragödie in eine Narrenposse verwandelt".

Eingefordert wird von ihm u.a., die israelische Gesellschaft in ihrer geschichtlichen, politischen, sozialen und gesellschaftlichen Komplexität und Heterogenität wahrzunehmen. "Ideologisch durchwirkte Abstraktionen" seien kontraproduktiv. "Besonders unappetitlich" seien sie, so Zuckermann über das Israel-Bild der Antideutschen, wenn sie aus Deutschland kämen und die Juden beträfen.

In der Unterstützung der USA im Krieg gegen den internationalen Terror und dem Irak wird die Legitimation von Krieg und staatlichem Gewaltmonopol seitens der Antideutschen grundsätzlich kritisiert. „Nein zu Krieg“ und grundsätzliche Kritik am Staat wird als Basis jeder radikal linken Politik gesehen. Diese Kritik wird nicht nur aus generellem Pazifismus erhoben. Kritisiert wird diese From des Bellizismus u.a. in dem Beitrag Antideutsche Kriegsführung von Wolf Wetzel in: Krieg ist Frieden, sowie von der gruppe demontage aus Hamburg.

Die Bellizismuskritik geht dabei auf innerlinke Konfrontationen um den Zweiten Golfkrieg von 1991 zurück, als damalige Linke wie Enzensberger und Dan Diner sowie der Publizist Gremliza sich für viele Linke überraschend für einen Krieg gegen den Irak aussprachen.

Zitat Wetzel: Wenn im folgenden von ‚Antideutschen‘ die Rede ist, dann ist damit eine Positionierung gemeint, die sich eigentlich in Gegnerschaft zu Kapitalismus, deutschem Nationalismus und Imperialismus wähnt, aber – aufgrund außergewöhnlicher Umstände – davon absieht, um an der Seite der US-Alliierten etwas noch ‚Schlimmeres‘ zu verhindern. Im Zentrum vieler antideutschen Argumentationsfiguren steht deshalb die Begründung eines Ausnahmezustandes, der das eigentlich Richtige, sprich das eigene politische Handeln zugunsten einer Kriegsbefürwortung suspendiert, die mit den US-alliierten Kriegen gegen die ‚Achse des Bösen‘ zusammenfällt. Die Paradoxie, das ‚Schreckliche‘ für das ‚jetzt Richtige‘ auszugeben, ist nicht mehr originell. Sie ist bereits Geschichte - eingeführt vom Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza, als er dem US-alliierten Krieg gegen den Irak 1991 seine Zustimmung gab.

Relativierung der Geschichte

Kritisiert wird hier u.a. von Wolf Wetzel sowie Ulrich Enderwitz die Gleichsetzung der geschichtlichen Konstellation von 1945 auf heute. Die Befreier von 1945 könnten heute nicht die gleiche antifaschistische Position geltend machen. Hier wird den Antideutschen vorgeworfen, mit dieser Relativierung der Geschichte einen „imperialistischen“ Krieg gegen den Irak einerseits zu legitimieren und andererseits Widersprüche des postfaschistischen deutschen Subjekts auf ein Ersatzobjekt zu projizieren.

Affirmation des Kapitalismus

Für Gerhard Hanloser entwickelte sich die antideutsche Bewegung heute aus einer fehlgeschlagenen Selbstkritik von oftmals nationalistischen und populistischen Linken – insbesondere der K-Gruppen - zu einem affirmative turn, der die herrschenden Verhältnisse nicht mehr einer radikalen Kritik unterziehe. Er umschreibt diese Haltung mit einem ironischen Motto Vereinzelt euch, seid stark, individualistisch und konsumistisch, damit auch ihr euch nicht zum deutschen Volksgenossen eignet. Ex-Bahamas Initiator Bernhard Schmidt stellt vor diesem Hintergrund einen neoliberalen Rechtsruck bei der Bahamas fest.

Der Antisemitismusforscher Enderwitz sieht in aktuellen antideutschen Politikkonzepten den unternommenen Versuchs, unter dem Eindruck des weltweiten Bedrohungsszenariums Gesellschaftskritik durch die obsessive Bornierung auf Faschismus und Antisemitismus in eine Affirmation des Kapitalismus und seiner globalen, alias imperialistischen, Entfaltung umzufunktionieren.

Robert Kurz sieht die Grundlage der Affirmation der kapitalistischen Gesellschaft vor allem in der Denunziation jeglicher sozialer Bewegung insbesondere in Deutschland durch Etikettierung dieser Bewegungen als Volksbewegungen, was in „Hardcore“-antideutschen Kreisen als Synonym fuer voelkische Bewegungen gebraucht wird so wie in der unrealistischen Forderung nach „vermittlungsloser Feindschaft“ zum Kapitalverhaeltnis. Hinzu kommt, dass Vertreter der Antideutschen haeufig auch jeglichen linken Antikapitalismus als antisemitisch denunzieren.

Kritik am Kritikbegriff

Das Böse musste her, damit der Riss in der Biographie gekittet werden konnte (Ilse Bindseil). Kritisiert wird von Ilse Bindseil, dass auch die Antideutschen ebenso wie der Mainstream sich letztlich nicht mit den Konsequenzen von Auschwitz für die deutsche Gesellschaft und für die eigene Biographie beschäftigten. Sie sieht im moralischen Sektierertum der Antideutschen die Suche nach Flucht in die Unschuld der Nach-68er, die erkennen mussten, dass der Bruch mit der Generation sie nicht vor den Zuständen der Postfaschistischen-Gesellschaft schützt. Statt der Komplexität von Themen wie Auschwitz gerecht zu werden, bestehe, wie in der Gesamtgesellschaft auch, in diesem Teil der Gesellschaft der Hang zu unterkomplexen Reflexions- und Handlungsschemata, die letztlich vom Ausgangsproblem ablenkten und dieses nicht mehr transparent erscheinen ließen. Hanloser bemängelt daran anknüpfend eine Kritische Kritik, wie Marx sie kritisierte, die eine Selbstbespiegelung vermeintlich kritischer Geister darstelle. Kritik verkomme so als Habitus und setze sich mit Denunziation und Polemik gleich.

Überblick

Gruppen und Netzwerke

Kritik

Publikationen

English

Literatur

  • Joachim Bruhn: Was deutsch ist : Zur kritischen Theorie der Nation. Freiburg 1994. ISBN 3-924627-38-X.
  • Ulrich Enderwitz: Konsum, Terror und Gesellschaftskritik. Eine Tour d’horizon. 2005. ISBN 3-89771-437-X
  • Gerhard Hanloser (Hg.): „Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken“ - Zu Geschichte, Kritik und Zukunft antideutscher Politik. Münster 2004. ISBN 3-89771-432-9.
  • Patrick Hagen: Die Antideutschen und deren Rezeption.Ein Blick auf die Debatte der Linken über Israel. Magisterarbeit an der Universität Köln 2004
  • Robert Kurz: Die antideutsche Ideologie. Vom Antifaschismus zum Krisenimperialismus: Kritik des neuesten linksdeutschen Sektenwesens in seinen theoretischen Propheten. 2003. ISBN 3-89771-426-4
  • Wolf Wetzel: Antideutsche Kriegsführung. Ein Lehrgang für AnfängerInnen und Fortgeschrittene [8] in: Krieg ist Frieden. Über Bagdad, Srebrenica, Genua, Kabul nach .... 2002. ISBN 3-89771-419-1
  • Matthias Küntzel: Djihad und Judenhaß. Über den neuen antijüdischen Krieg. Freiburg, ca-ira Verlag, 180 S. 2002. ISBN 3-924627-06-1