Fahlberg-List

ehemaliges Chemieunternehmen in Magdeburg
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Fahlberg-List war ein traditionsreiches Unternehmen der Chemieindustrie in Magdeburg und gehörte zu den bedeutendsten Chemie- und Pharmaziebetrieben in der DDR. Es bestand von 1886 bis 1995 im Magdeburger Stadtteil Salbke und war weltweit der erste Produzent des Süßstoffes Saccharin.

Ehemaliges Verwaltungsgebäude von Fahlberg-List nördlich des Hauptportals, Baujahr 1894, im Jahr 2009
Fahlberg-List 1966
Blick von der rechten Elbseite auf Fahlberg-List, 1953

Geschichte

Saccharinproduktion 1886 bis 1903

Am 24. April 1886 gründeten Constantin Fahlberg und sein Cousin Adolf Moritz List als persönlich haftende Gesellschafter mit weiteren Gesellschaftern die Commanditgesellschaft Fahlberg-List Co. mit Sitz im damals noch selbständigen Salbke. Der ursprünglich als Teilhaber agierende Onkel Fahlbergs, Adolph List war vor Vertragsschluss 1885 verstorben.

Das Gründungskapital betrug rund 1,5 Millionen Mark und verteilte sich wie folgt: Dr. Constantin Fahlberg, Salbke, 617.000 Mark; Dr. Adolph Moritz List, Magdeburg, 150.000 Mark; Konsul Friedrich Jay, Leipzig, 272.000 Mark; Generalkonsul Albert de Liagre, Leipzig, 293.000 Mark; Kaufmann Georg August Simon, Leipzig, 163.000 Mark; Rechtsanwalt Dr. Ernst Weniger, Leipzig, 80.000 Mark; zwei Kommanditisten der Firma Liagre & Simon mit geringeren Beträgen. Im Aufsichtsrat waren Weniger, List, Jay und Simon, in der Direktion Dr. Paul Harrwitz, Leipzig, Kaufmann Carl Büchting (Inhaber des Kohlegroßhandels Ludwig August Schmidt, Magdeburg) und Hofrat Dr. Langbein, Leipzig: Hauptaktionär blieb Fahlberg mit 22,2 % (= 660.000 Mark, Stand 1909).[1]

Fahlberg hatte zuvor im Mai 1878 die Substanz Benzoesäuresulfinid und im Juni des gleichen Jahres eher zufällig deren intensiven süßen Geschmack entdeckt. Ab 1882 plante Fahlberg gemeinsam mit Adolph List senior die industrielle Herstellung des künstlichen, Saccharin genannten Süßstoffes. Pläne, die Saccharin-Fabrik in den USA zu errichten, wurden wegen hoher Lohn- und Materialkosten verworfen. Der Aufbau der Produktion in Leipzig, wo List lebte, scheiterten an befürchteter Geruchsbelästigung. Der Standort Salbke wurde wegen der günstigen Lage direkt zwischen Elbe und der von Magdeburg nach Leipzig verlaufenden Eisenbahnlinie gewählt. Östlich des Werksgeländes fließt die Elbe, westlich verlief die damalige Landstraße von Magdeburg nach Schönebeck (Elbe).

Am 9. März 1887 begann die Produktion im neu errichteten Werk. In den folgenden Jahren wurde das Werk regelmäßig erweitert. Bereits 1886 hatte man auch Grundstücke westlich der Landstraße erworben. Dort entstand ein Wohnhaus für Fahlberg. 1894 konnten Grundstücke nördlich des Haupttores in Richtung Salbke erworben werden. Dort wurde ein Verwaltungsgebäude errichtet. 1899 wurde das Gelände der südlich nach Westerhüsen hin gelegenen Zimmerei und Ziegelei H. Schrader erworben. Im gleichen Jahr entstand südlich des Haupteingangs ein technisches Verwaltungsgebäude.

Nach anfänglichen technischen Schwierigkeiten wurden 1894 30 t und 1901 bereits 170 t Saccharin produziert. Finanziell war das Unternehmen ein Erfolg. Geringen Löhnen standen hohe Saccharinpreise gegenüber. Um 1890 kostete Saccharin 150 Mark je Kilogramm. Fahlberg-List errang mehrere Auszeichnungen, so Medaillien auf der Internationalen Ausstellung 1888 in Ostende und auf der Bäckerei-, Konditorei- & Kochkunst-Ausstellung 1894 in Stuttgart. Später sank der Preis auf 15 Mark. Mehrere andere Produzenten drängten auf den Markt.

Saccharin begann sich als preisgünstige Alternative gegenüber dem Zucker durchzusetzen. Die erheblich größere Süßungskraft des Saccharins führte zu einem deutlichen Preisvorteil gegenüber Zucker. Zum Schutz der Zuckerindustrie wurde nach ersten Einschränkungen des Jahres 1898 am 7. Juli 1902 ein weitgehendes Saccharinverbot erlassen. Während die Konkurrenten ihre Saccharinproduktion ganz einstellten, stellte Fahlberg-List etwa drei bis fünf Tonnen jährlich für Diabetiker her.

Ausweitung der Produktpalette

Um der schwierigen Situation nach dem Saccharinverbot, das bis zum Ersten Weltkrieg bestehen bleiben sollte, zu begegnen, wurde eine Ausweitung der Produktpalette angestrebt. Zu diesem Zweck wurde die Fahlberg List & Co. in die Aktiengesellschaft Saccharin-Fabrik A.G. überführt.

Bereits seit 1899 war Fahlberg-List durch eine Lizenzvereinbarung mit der BASF berechtigt Schwefelsäure zu produzieren. 1901 war der Bau der Schwefelsäureanlage fertig gestellt, 1904 betrug die Monatsproduktion bereits 785 t. Nach anfänglichen Verlusten erbrachte die Schwefelsäure bald 70 % der Umsätze des Unternehmens. Mit der jetzt verfügbaren Schwefelsäure wurde auch – gegen den Widerstand Fahlbergs – das Chlorsulfonsäure-OTS-Verfahren in die Saccharinproduktion eingeführt. 1905 wurde Fahlberg aus dem Vorstand der Aktiengesellschaft abgewählt. 1907 verlor auch List seine führende Position, blieb jedoch in leitender Stellung im Unternehmen und war später Generaldirektor. Generaldirektor wurde 1907 Adolph Otto Viett. Als Forschungs- und Technikdirektor wurde der Chemiker August Klages gewonnen.

 
Nachruf auf Constantin Fahlberg in der Magdeburgischen Zeitung vom 17. August 1910

Die Schwefelsäureproduktion wurde in den folgenden Jahren noch weiter ausgebaut. 1909 wurde eine Kammeranlage mit 20 Kiesöfen errichtet. In 80 manuell beschickten Kies- und 12 mechanischen Röstöfen wurde nun Schwefelsäure produziert. Mit weiteren Erweiterungen 1918 und 1926/1927 wurde die Produktion modernisiert und die Kapazität deutlich ausgebaut. Die Arbeitsbedingungen waren durch schwere körperliche Arbeit gekennzeichnet. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 72 bzw. 84 Stunden musste der benötigte Schwefelkies von Elbkähnen zunächst per Hand entladen und zerkleinert werden. 31 Arbeitskräfte waren allein mit dem Antransport von Kies beschäftigt.

1912 erfolgte die Erweiterung um eine pharmazeutische Abteilung, die unter dem Markennamen Falima arbeitete. Die Pharmaproduktion gewann im Ersten Weltkrieg erheblich an Bedeutung. Es wurden unterschiedlichste Tabletten und Ampullen sowohl für die Human- als auch für die Tiermedizin hergestellt. Acetylsalicylsäure, besser bekannt als Aspirin, Chlorethyl für die Lokalanästhesie und Adrenalin gehörten zum Produktionsumfang. Mit der Produktion von Mianin ab 1922 konnten Abfälle der Saccharinproduktion sinnvoll genutzt werden. 1923 wurde das erste Röntgenkontrastmittel aus Bariumsulfat (Roebaryt) in den Handel gebracht.

Ab 1916 waren auch Farben im Produktiosprogramm. Es wurden Kaliummetabisulfit und Vanille hergestellt. Die bedingt durch den Ersten Weltkrieg aufkommende Zuckerknappheit bewirkte auch die Aufhebung des Süßstoffverbots. 1916 wurden bereits wieder 110 t Saccharin bei Fahlberg-List hergestellt, bis 1922 war der Absatz auf 540 t angestiegen. Etwa 75 % des Saccharins gingen in den Export.

August Klages wandte sich 1918 in der Forschungsarbeit der Entwicklung von Präparaten aus Quecksilber für den Pflanzenschutz zu. Eine am 29. Juni 1920 vom weiterhin in der Unternehmensleitung tätigen Adolf Moritz List verfasste interne Denkschrift wies auf eine prekäre Situation des Unternehmens, welches „am Abgrunde“ stehe, hin. Durch des starken Saccharinabsatz wurden jedoch seit 1917 deutlich erhöhte Dividenden ausgeschüttet.

Im Jahre 1921 wurden Pflanzenschutzmittel in das Produktprogramm aufgenommen. Vor allem Saatgutbeizen und Insektizide gegen Schädlinge im Obst-, Wein- und Rübenanbau entstanden. Besonders bekannt und nachgefragt war das von Klages entwickelte Germisan. Es kamen noch Produkte wie Carbolineum zur Holzimprägnierung, Rattengift und Kupfer-Spritzmittel hinzu. Gleichfalls 1921 wurde die Metallhütte Magdeburg GmbH hinzugekauft.

Im Jahr 1921 wurde auch der später als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus bekannt gewordene Kommunist Hubert Materlik in den Betriebsrat des Unternehmens gewählt, 1923 dann jedoch wegen seines politischen Engagements entlassen. Ähnlich erging es dem späteren Widerstandskämpfer Franz Rekowski der von 1926 bis 1928 im Unternehmen arbeitete. Nach dem Ersten Weltkrieg war der Kommunist Georg Heidler zeitweise Betriebsratsvorsitzender.

Inflation und Weltwirtschaftskrise

Eine schwere Krise brachte das Auftreten der starken Inflation der Jahre 1922/1923. Teile des Produktionssortiments wurden unrentabel, so insbesondere die Pharmasparte. Darüber hinaus gab es in zentralen Bereichen starke Nachfragerückgänge. Dies sowohl beim Saccharin, bei der Schwefelsäure und auch bei der erst 1921 erworbenen Metallhütte. Fahlberg-List gab eigenes Notgeld und Gutscheine heraus. Die Nachwirkungen der Krise führten auch zu einem deutlichen Rückgang der Beschäftigtenzahlen. Waren 1924 noch 1.229 Mitarbeiter beschäftigt ging die Zahl bis 1929 auf 539 Menschen zurück. Die Metallhütte wurde 1928 geschlossen.

Zur Überwindung der Probleme entschloss man sich, auch die Herstellung von Superphosphat, einem als Düngemittel verwendeten Stoff, aufzunehmen. 1926 erfolgte daher die Übernahme der Mitteldeutschen Superphosphatwerke GmbH mit Sitz in Zeitz / Rehmsdorf, die in Köthen und Dodendorf produzierte. Beide Produktionsstellen wurden als Zweigbetriebe weitergeführt. Auf dem zu Fahlberg-List benachbarten Gelände der Glashütte A. Grafe Nachf. in Westerhüsen wurde eine weitere Superphosphat-Fabrik errichtet. Der Bau wurde mit Finanzierung des Bankiers Moritz Schultze bewältigt. Schultze übernahm später die Aktienmehrheit des Unternehmens. Ende 1927 übernahm William Rasmussen, zuvor Generaldirektor der Superphosphat GmbH, die Funktion des Generaldirektors von dem seinen Abschied nehmenden List.

Die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre traf das Unternehmen erneut hart. Die Löhne der Arbeitnehmer wurden um 30% gekürzt. Wichtige Reparaturen unterblieben. Vor diesem Hintergrund ereignete sich am 28. April 1931 eine große Explosion auf dem Firmengelände bei der zehn Menschen starben. An Neuentwicklungen ist in dieser Zeit eine Tablette zur Wasserdesinfektion, die Hydrosept-Tablette, ein gegen Keuchhusten wirkendes Medikament und Brausewürfel in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen zu erwähnen. Produziert wurde auch Elbanit, ein Mittel zur Bekämpfung des Acker-Rettichs.

1932 erfolgte die Umbenennung der Saccharin-Fabrik A.G. in Fahlberg-List AG, da das Saccharin zwar noch produziert wurde, seine ursprünglich vorherrschende Stellung in der Unternehmensausrichtung jedoch verloren hatte.

Fahlberg-List im Nationalsozialismus

Fahlberg-List leistete einen Beitrag in Höhe von 2 Millionen Reichsmark[2] zum Unterstützungsfond für die Wahl Adolf Hitlers.[3] Nach dem Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft fand ab 1934 auch bei Fahlberg-List einmal im Monat ein Betriebsappell statt. Bei den angeordneten Wahlen zum Vertrauensrat wählten jedoch weniger als 50 % der Beschäftigten die von der Unternehmensführung vorgeschlagenen Kandidaten. Im März 1936 besuchte Robert Ley, Reichsleiter der Deutschen Arbeitsfront, Fahlberg-List. Im gleichen Jahr erhielt Fahlberg-List auch einen Rüstungsauftrag zur Produktion sogenannter Nebelsäure.

Vor allem gegen den auch weiterhin im Aufsichtsrat sitzenden Adolf Moritz List richteten sich ab 1937 antisemitische Angriffe. List, der sich selbst als Arier bezeichnet haben soll, und dessen Kinder der NSDAP angehörten, wurde insbesondere vom Klein-Aktionär Dr. Otto Emersleben aus Berlin-Zehlendorf als jüdisch angegriffen. List und auch Rasmussen mussten noch 1937 ihre Funktionen räumen. Nachfolger Rasmussens wurde Erich Katter. Ab 1939 war Gustav Gassner bis 1945 Leiter der biologischen Abteilung.

Fahlberg-List profitierte von der Arisierung jüdischer Unternehmen. 1938 erwarb man weit unter Wert die jüdischen Eigentümern gehörende Lackfabrik Kettner in Berlin-Tempelhof. Bemühungen, auch die Wiener Saccharinfabrik von Ignaz Kreidl zu erwerben, scheiterten jedoch.

In den Jahren 1932 bis 1941 erhielt Fahlberg-List laufend das GAU-Diplom als Auszeichnung für „hervorragende Leistungen“. Bereits Ende der 1930er Jahre ergaben sich zunehmende Probleme, dass benötigte Grundstoffe auf Grund von Devisenproblemen nicht in gewünschter Menge zu beschaffen waren und alternative Lösungen mit einheimischen Rohstoffen gesucht wurden. Auf Grund von Rohstoffengpässen ging die Produktion von Saccharin um 400 bis 500 kg pro Tag zurück, so dass die Nachfrage auf dem Inlandsmarkt nicht mehr vollständig befriedigt werden konnte und der Export unmöglich wurde. Die Zahl der Beschäftigten stieg von 881 im Jahr 1938 auf 1.187 Ende 1941 an. Fahlberg-List galt während des Zweiten Weltkriegs als Wehrmachtsbetrieb. Im Juli 1941 waren von Fahlberg-List 400 t Nebelsäure herzustellen. Darüberhinaus wurden unter anderem für die IG Farben WeichmacherTX und für den Kartoffelkäfer-Abwehrdienst des Reichsnährstands Kalk-Arsen hergestellt. Mit Rodax D4 brachte Fahlberg-List einen Ameisen-Fresslack in den Handel.

Unweit des Werks, nördlich vom Volkspark Westerhüsen, wurde während des Kriegs das Zwangsarbeiterlager Diana eingerichtet, in dem etwa 350 Zwangsarbeiter aus acht Ländern untergebracht waren. Das Lager wurde bis 1945 als Zwangsarbeiterlager betrieben, wobei die Häftlinge im Werk von Fahlberg-List arbeiten mussten. Etwa 600 Häftlinge und 60 Kinder verstarben an den Folgen der schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen.

Im Zuge der ab 1943 zunehmenden Bombenangriffe wurde damit begonnen, Betriebsteile oder wichtige Anlagen auszulagern. So wurden 1943 Produktionsanlagen und Güter nach Wolfenbüttel ausgelagert. 1944 erfolgte die Auslagerung eines Teils der Saccharin-Tabletten-Produktion in das Betriebsgelände der Firma Danneil & Co. nach Magdeburg-Sudenburg in die Braunschweiger Straße 44. Geräte, Rechenmaschinen, Schreibmaschinen, Unterlagen und auch fertige Produkte wie Germisan und Mianin wurden im Dezember 1944 und Januar 1945 nach Büden, Cochstedt, Osterweddingen, Staßfurt, Groß Santersleben, Schönebeck (Elbe)-Felgeleben, Barby, Stendal, Konzell-Streifenau, Sulzbach-Rosenberg, Wernigerode, Sudetengau, Seegensfelde, Schalding, Znaim, Hamburg und Rostock ausgelagert.

Am 20. Januar 1944 beabsichtigten anglo-amerikanische Luftstreitkräfte einen Luftangriff auf das Betriebsgelände von Fahlberg-List. Versehentlich wurde jedoch das deutlich weiter östlich gelegene Dorf Pechau angegriffen. 20 Einwohner Pechaus kamen bei diesem Angriff ums Leben. Obwohl Magdeburg durch Luftangriffe schwer zerstört wurde, hatte Fahlberg-List kaum Schäden zu verzeichnen. Am 13. April 1945 rückt US-amerikanische Truppen auf Salbke und Westerhüsen vor. Die Produktion bei Fahlberg-List wurde eingestellt. Hierdurch entstanden zum Teil Schäden an den Chemieanlagen. Da auf der östlichen Seite der Elbe erst am 5. Mai 1945 sowjetische Truppen einrückten und bis dahin dort noch deutsche Truppen standen, lag Fahlberg-List unmittelbar im Frontverlauf. Auch hieraus resultierten jedoch keine größere Schäden.

Aufbau nach dem Krieg

Die Werksleitung bemühte sich zunächst, die ausgelagerten Waren wieder auf das Werksgelände zurück zu holen, wobei jedoch zum Teil das Abhandenkommen von Gegenständen festgestellt werden musste. Die US-amerikanischen Besatzungstruppen wurden nach einiger Zeit durch britische Truppen abgelöst. Gemäß den Vereinbarungen der Alliierten übernahmen am 1. Juli 1945 sowjetische Truppen auch die Kontrolle über die westlichen Teile der Region Magdeburg. Mit den abziehenden Briten wurden auch Produktionsunterlagen, Patente, Apparaturen und die wissenschaftliche Bibliothek des Werks nach Gandersheim (Niedersachsen) abtransportiert. Auch Fachkräfte und leitende Mitarbeiter verließen so den Standort Salbke. Der Abtransport der Tablettenmaschinen wurde am 26. Juni 1945 von einem geschäftsführenden Ausschuss, der inzwischen gebildet worden war, verhindert. In einem Bericht vom 26. August 1945 wird die Betriebsfeuerwehr von Fahlberg-List neben nur zwei weiteren Betriebsfeuerwehren Magdeburgs als existierend geführt.

Aus einem im April / Mai 1945 gebildeten Betriebsrat und in Magdeburg verbliebenen Prokuristen wurde für die in der sowjetischen Besatzungszone bestehenden Betriebsteile eine neue Betriebsleitung gebildet. Werkleiter wurde Ernst Kauffold, technischer Direktor der bisherige Prokurist und Oberingenieur Carl Rohde, kaufmännischer Direktor Kurt Heerdt und Verkaufsdirektor Paul Schmidt. Nach dem Tod Rodes 1947 übernahm zunächst Maximilian Schwimmer und dann Alexander Steen die Funktion des technischen Direktors. Per Befehl der Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) Nummer 124 vom 30. Oktober 1945 wurde das Vermögen der Fahlberg-List AG beschlagnahmt. Ende 1945 waren bei Fahlberg-List in Magdeburg 765 Menschen beschäftigt. Ab dem 27. Juni 1947 wurde der Betrieb in Landeseigentum der Provinz Sachsen und ab dem 17. April 1948 in Volkseigentum übernommen. Das Unternehmen gehörte zum Verband der Industriewerke Sachsen-Anhalt und wurde ab dem 1. Juli 1948 gehörte Fahlberg-List zur Vereinigung Volkseigener Betriebe Organa. Die in der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR eingeführte Planwirtschaft galt auch für Fahlberg-List und bestimmte die wirtschaftliche Tätigkeit der nächsten vier Jahrzehnte.

Die in den westlichen Besatzungszonen befindlichen Niederlassungen, vor allem Wolfenbüttel, waren hiervon nicht betroffen und blieben im Eigentum der Fahlberg-List AG. Bis 1947 blieb Wolfenbüttel Zweigwerk, dann firmierte man als Dr. Goeze & Co. GmbH, ab 1950 schließlich als Fahlberg-List GmbH mit Sitz in Hamburg. 1970 kam das Unternehmen zur Ciba-Geigy AG.

In Magdeburg war der Saal der zum Werk gehörenden Casino-Gaststätte am 24. März 1946 Schauplatz der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED für die Stadt Magdeburg.

Im Werk selbst war man bemüht die Produktion wieder aufzunehmen. Bereits 1946 soll die Vorkriegsproduktions des Jahres 1936 erreicht worden sein.[4] Allerdings wurden erst am 6. Mai 1946 die ersten zwei Kontaktöfen und ein Schwefelkiesofen wieder in Betrieb genommen. Am 24. Mai 1946 begann die Schwefelsäureproduktion in großen Mengen. Die in der Kriegszeit schwierige Versorgung mit Schwefelkies war jetzt durch SMAD-Befehle sicher gestellt und erfolgte aus Elbingerode und Jugoslawien. Auch die Produktion von Arzneimitteln, Getreidesaatgutbeizen, Kaliummetabisulfit, Kalkarsen-Spritzmittel Kupferkalk, Sublimat wurde wieder aufgenommen. Die Gewächshäuser der Pflanzenschutzmittelforschung erhielten wieder eine Verglasung. Selbst neue Produkte wie Isopropylester und Carbanilsäureethylester zur Hemmung der Keimung von Kartoffeln wurden hergestellt. Auch eine zentrale Hochdruckdampfanlage für das Werk ging im August 1946 in Betrieb. Probleme bereiteten die ausbleibenden Kohlelieferungen aus dem Ruhrgebiet. Im Winter 1946/1947 zerstörte starker Eisgang auf der Elbe und ein Hochwasser im März 1947 die Anlagen des betriebseigenen Elbhafens.

 
Professor Ernst Schmitz im März 1949 bei der Besichtigung von Ausrüstungsgegenständen

Große Anerkennung brachte Fahlberg-List in dieser Zeit die in kürzester Zeit erfolgte Aufnahme der Produktion eines Heilmittels gegen die Syphilis. Die in der sowjetischen Besatzungszone grassierende Krankheit konnte, da Lieferungen von Medikamenten aus den westlichen Zonen ausblieben, nicht adäquat behandelt werden. Der 1945 aus Breslau geflohene Prof. Dr. Ernst Schmitz war seit 1945 bei Fahlberg-List tätig. Ihm gelang trotz der schwierigen Umstände die industrielle Herstellung des Salvarsan-Analogons. Das bei Fahlberg-List zunächst unter dem Handelsnamen Arsaminol und später als Neo-Arsoluin vertriebene Präparat wurde in großen Mengen hergestellt. Schmitz erhielt 1949 für seine Leistung den Nationalpreis der DDR 2. Klasse.

Gleichfalls 1946 wurde die Entwicklung von Pflanzenschutzmitteln auf der Basis von Lindan aufgenommen. Es entstanden diverse Neubauten auf dem Werksgelände. So wurde das Grundstück der Firma Brennerei und chemische Werke Tornesch GmbH erworben und die dort befindliche Bleitetraethyl 1946/1947 zur Produktion des für die Pharmaabteilung benötigten Glykoll umgebaut. Auf diesem an der Adresse Alt Westerhüsen 50 etwa einen Kilometer südlich des eigentlichen Hauptwerks gelegenen Gelände entstand die pharmazeutische Abteilung. Im Bereich der ehemaligen Metallhütte entstand das Ephedrin-Gebäude. Ab 1948 erfolgte eine Rekonstruierung der Schwefelsäureproduktion. Stückkiesöfen und kleine Röstöfen verschwanden und wurden durch LC 6-Öfen ersetzt. Die Gasreinigung wurde erneuert und gegen eine neue Anlage zur Entarsenierung ausgetauscht. Auch eine Heißgas-Elektrofiltration kam hinzu. Die Kiesentladung wurde stärker mechanisiert.

Um 1947 führte das Unternehmen ein neues Firmenlogo, drei ineinander verschlungene Dreiecke ein, die für die nächsten fünf Jahrzehnte zum Symbol des Betriebes. Die Bedeutung des Symbols ist nicht ganz klar, es wird jedoch angenommen, dass damit die drei großen Produktgruppen Agrochemie, Pharmazie und die chemisch-technische Produktion, wie Schwefelsäure etc. symbolisiert werden sollten.[5]

In den Jahren 1948/1949 entwickelte man das Kartoffelkeimhemmungsmittel Agermin sowie das Insektizid Arbitan. Zunächst erfolgte die Herstellung in einer Versuchsanlage. Damit begann die serienmäßige Herstellung von Keimhemmungsmitteln und Hexachlorcyclohexan-Insektiziden. Bereits 1940 hatte man eine Versuchsanlage für Kalkarsen-Spritzmittel in Betrieb genommen, die 1948 zur Großanlage erweitert wurde, da die Nachfrage wegen Kartoffelkäfer-Plagen die Produktion größerer Mengen erforderte.

Weitere wichtige Produkte dieser Zeit waren Kunstharzlackfarben, von denen 1949 120 t hergestellt wurden. In gleicher Menge wurden Lackkunstharze und Nitrolackfarben hergestellt. Für fototechnische Anwendungszwecke wurden etwa 250 t Kaliummetabisulfit. Es wurden bereits wieder 22800 t Schwefelsäure erzeugt. Die Saccharinproduktion belief sich auf 300 t. Ab 1950 wurde auch Falimint produziert.

Typische Erscheinungen der Planwirtschaft bestimmten nun auch die Wirtschaftsweise bei Fahlberg-List. So wurde unter der Parole „Mehr produzieren, gerechter verteilen, besser leben!“ 1949 die Verpflichtung abgegeben, den staatlichen Zweijahresplan in anderthalb Jahren zu erfüllen. Am 10. Dezember des selben Jahres wurde im Betrieb eine Konsumverkaufsstelle eröffnet. Bereits seit dem 1. September 1949 arbeitete, zunächst in provisorischen Räumlichkeiten, die neu gegründete Betriebsberufsschule "Heinz Kapelle" mit bald 360 Lehrlingen, die 1951 in ein neu errichtetes Gebäude im Stadtteil Westerhüsen zog.

Ab dem 1. Mai 1950 erschien die Betriebszeitung Schwefelofen. Sie wurde von der SED-Betriebsgruppe herausgegeben, vertrat die politischen Ansichten der Partei und erschien alle zwei Wochen zum Preis von fünf Pfennigen. Im Volksmund etablierten sich auch spöttische Bezeichnungen wie Schwafelofen oder Kachelofen.[6]

1953 übernahm Fahlberg-List das in Neue Neustadt ansässige, 1947 von einem Herrn Deutschmann gegründete Unternehmen Deuma. Die Deuma produzierte Deumacard, ein Mittel gegen Erschöpfungszustände. 1963/64 wurde die Produktion als Außenstelle des VEB Jenapharm in das Salbker Fahlberg-List-Werk verlagert.

Entwicklung ab 1976

Der in Magdeburg verbliebene Stammsitz wurde 1979 in das damals neu gegründete Kombinat Agrochemie Piesteritz eingegliedert und entwickelte sich zum bedeutendsten Hersteller für Arzneimittel in der DDR, der neben der Sowjetunion auch die Tschechoslowakei und Polen belieferte. Im Rahmen der Privatisierung durch die Treuhand kam es 1990 zu einer Umfirmierung in Chemische und Pharmazeutische Fabriken Fahlberg-List GmbH. Kurze Zeit später wurde der Pharmabereich von der Salutas Pharma GmbH, einem Tochterunternehmen der Hexal AG, aufgekauft.

1995 waren in dem 1993 neu errichteten Pharma- und Logistikzentrum in Barleben, nahe der A 2, 1.300 Mitarbeiter damit beschäftigt, 300 pharmazeutische Wirkstoffe und über 10.000 verschiedene Substanzen herzustellen.

Störfälle

Am Dienstag den 28. April 1931 kam es in der Abfüllanlage für Hora-Rattengift zu einer Explosion, bei der zehn Menschen starben. Es wird angenommen, dass beim Einfüllen von Kalisalpeter in eine Mischtrommel etwas daneben in ein Schutznetz fiel und später roter Phosphor dazu kam. Vermutlich hat der 38jährige Arbeiter Wilhelm Arlt beim Aufschlagen von Büchsen auf das Netz dann das gefährliche Gemisch versehentlich entzündet, worauf zunächst die ganze Mischtrommel und dann daneben befindliche zwei Kastenwagen mit Hora-Rattenpulver zur explosion kamen. Arlt und sechs junge Arbeiterinnen waren sofort tot. Drei weitere Frauen erlagen dann ihren Verletzungen. Noch bis in die 1990er Jahre bestand auf dem Friedhof Salbke eine Gemeinschaftsgrabanlage für die Opfer. Es wurde gemutmaßt, dass die zur Erhöhung der Wirksamkeit des Rattengifts erfolgten Zusätze von unter anderem 2 % rotem Phosphor mit zur Katastrophe beigetragen hätten.

Am 9. August 1988 kam es in Schönebeck zu einer Havarie. Die Lagerhalle der dort ansässigen Hermania, einem Betriebsteil des VEB Fahlberg-List, brannte aus. In der Halle lagerten 812 t Pestizide, die mit dem Löschwasser in die Elbe gelangten. Obgleich der Vorfall nicht öffentlich gemacht werden sollte, nahmen Mitarbeiter des Analytiklabors von Fahlberg-List sowie der Magdeburger Wasserbehörde Proben des Elbwassers von Schönebeck bis Boizenburg, um den Vorfall zu dokumentieren. Es wurde eine extrem hohe Konzentration verschiedener Pestizide festgestellt.[7]

Literatur

  • Herbert Rasenberger: Vom süßen Anfang bis zum bitteren Ende. Dr. Ziethen Verlag, Oschersleben 2009, ISBN 978-3-938380-06-2.
  • Leitung der SED-Betriebsparteiorganisation und Betriebsdirektor des VEB Fahlberg-List Magdeburg (Hrsg.): Von der kapitalistischen Saccharin-Fabrik zum sozialistischen VEB Fahlberg-List Magdeburg 1886-1986.

Einzelnachweise

  1. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Magdeburg, Report J53.
  2. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Magdeburg, Report J54 Nr. 2081.
  3. Rasenberger: Vom süßen Anfang bis zum bitteren Ende. Seite 44.
  4. Rasenberger: Vom süßen Anfang bis zum bitteren Ende. Seite 75.
  5. Rasenberger: Vom süßen Anfang bis zum bitteren Ende. Seite 88.
  6. Rasenberger: Vom süßen Anfang bis zum bitteren Ende. Seite 91.
  7. Brände und Explosionen brachten Gift und Tod. In: Berliner Zeitung vom 2. März 1994. Online abrufbar unter berlinonline.de

Koordinaten: 52° 4′ 18,4″ N, 11° 40′ 19,2″ O