Das River Continuum Concept ist ein Modell zur Einteilung von Fließgewässern, das neben der Klassifizierung einzelner Gewässerabschnitte nach dem Vorkommen von Leitorganismen auch die Geomorphologie nutzt. Es bietet über die reine Einordnung von Lebensgemeinschaften hinaus auch eine Erklärung für deren Abfolge im Verlauf des Gewässers sowie über weitere vorraussagbare und tatsächlich beobachtbare biologische Eigenschaften des Gewässers. Entwickelt wurde das Konzept 1980 durch eine amerikanische Forschungsgruppe um Robin L. Vannote.
Hintergrund
Das River Continuum Concept basiert auf der Idee, nach der ein Fließgewässer als offenes Ökosystem betrachtet wird, welches in dauernder Interaktion mit dem Ufer steht und sich im Verlauf von der Quelle bis zur Mündung stetig verändert. Grundlage für diese Veränderung des Gesamtsystems ist eine graduelle Änderung physikalischer Umweltbedingungen wie beispielsweise die Breite, die Tiefe, die Wassermenge, die Fließgeschwindigkeit, die Temperatur sowie der Entropiegrad des Gewässers. Nach der Hypothese sind die Lebewesen einem solchen kontinuierlichen System angepasst und bilden ihrerseits ein Kontinuum, bei denen die Lebensgemeinschaften über längere Flussbereiche mit den physikalischen Gegebenheiten in Einklang stehen und sich ein Gleichgewicht zwischen Produzenten organische Materials (primär Pflanzen) und Konsumenten desselben einstellt. Entlang des Flussverlaufs kommt es zu einer Veränderung im Verhältnis zwischen der Produktion und dem Verbrauch (Respiration) des Materials.
Die Einteilung des Fließgewässers
Die Einteilung des Fließgewässers nach dem River Continuum Concept lässt eine grobe Zuordnung in drei Abschnitte zu, die auf alle Fließgewässer anwendbar ist. Demnach lassen sich Bäche gegenüber mittleren Flüssen und großen Flüssen abgrenzen.
Der Bachbereich ist im Oberlauf sehr schmal und meistens von einer starken Ufervegetation gesäumt. Diese verhindert das Durchdringen von Sonnenlicht und damit die Produktion von organischem Material mittels Photosynthese in dem Gewässer, zugleich liefert sie jedoch große Mengen an pflanzlichem Material, das in den Fluss fällt (allochthones organisches Material). In diesem Abschnitt überwiegt also die Respiration gegenüber der Produktion und das Verhältnis beträgt P:R<1. Hier spielen Lebewesen eine große Rolle, die das meist grobe pflanzliche Material zerkleinern, sowie Organismen, die zerkleinertes Material sammeln und nutzen. Hinzu kommen Weidegänger und Räuber. In diesem Bereich ist außerdem die größte Diversität an organischem Material zu erwarten. Vollständig abgebaut werden hier allerdings nur Kleinstpartikel, größere und schwerer abbaubare Bestandteile driften weiter flussabwärts.
Im weiteren Verlauf des Gewässers nimmt die Bedeutung des Ufers als Lieferant organischen Materials zunehmend ab und die Produktion innerhalb des Gewässers wird wichtiger (autochthones organisches Material). Das Verhältnis der Produktion zur Respiration wird größer und beträgt P:R>1. Der Anteil an Zerkleinerern nimmt entsprechend ab, da das pflanzliche Material hier in Form von Algen vorliegt. Größer wird der Anteil der Sammler und auch der Weidegänger, der Räuberanteil bleibt unverändert.
Im letzten Abschnitt liegt im Fluss sehr viel partikuläres Material vor, außerdem findet weitere Produktion durch Photosynthese statt, die jedoch durch trübende Schwebstoffe auf den obersten Bereich des Gewässers beschränkt wird. Hier überwiegt wieder die Respiration, und das Verhältnis beträgt wiederum P:R<1. Die Lebensgemeinschaft besteht in diesen Flussbereichen fast ausschließlich aus Sammlern sowie einem weiterhin unveränderten Anteil an Räubern.
Das Kontinuum
Die kontinuierlichen Veränderungen über die Strecke des Gewässers lassen sich an verschiedenen Faktoren belegen. Wie oben beschrieben beginnt der Fluss mit einem anfangs sehr stark von außen beeinflussten System, in dem vor allem organisches Material verbraucht wird. Danach geht er über in ein System mit starker Eigenproduktion organischen Materials, das tagesperiodisch abhängig vom Sonnenlicht variiert. Der letzte Bereich ist zwar wenig abhängig von außen, aber trotzdem sehr stark von Abbauprozessen geprägt. In einem durchgehenden System ohne Störungen, etwa durch Zuflüsse, kann diese Entwicklung bei allen Flusssystemen betrachtet werden, wobei Variationen durch jahreszeitliche Rhythmik der Umweltfaktoren (vor allem der Temperatur) möglich sind. Die Partikelgröße des organischen Materials sowie seine Diversität nehmen zudem im Laufe des Flusses immer weiter ab.
Lebensgemeinschaften und Ernährungstypen
Die kontinuierlichen Veränderungen der Eigenschaften innerhalb des Fließgewässers bedingen vor allem eine spezifische Zusammensetzung der Organismen in den unterschiedlichen Abschnitten des Gewässers. Wichtig ist dabei der Anteil der vier wichtigen Ernährungstypen, die als Zerkleinerer, Sammler, Weidegänger bzw. Grazer und Räuber bezeichnet werden. Mit Ausnahme der Räuber ernähren sich alle diese Organismen direkt von pflanzlichem Material und zersetzen dieses dadurch. Sie werden Saprobier genannt.
Die Zerkleinerer sind Organismen, die grobes organisches Material wie Laub in Teile zerkleinern. Sie nutzen Material mit Größen über einem Millimeter (Grobpartikuläres Material) sowie dessen Aufwuchs (Pilze, Mikroorganismen) als Nahrung, lassen zugleich aber auch viel Material zurück. Typische Zerkleiner mitteleuropäischer Gewässer sind Flohkrebse, Wasserasseln, verschiedene Eintagsfliegen- und Steinfliegenlarven.
Als Sammler werden Organismen bezeichnet, die durch Reusen- oder andere Sammelstrukturen in der Lage sind, partikuläre Schwebstoffe aus dem Wasserstrom zu fischen oder vom Sediment aufzunehmen, von denen sie sich ernähren. Die Partikelgrößen liegen dabei zwischen 0,5 und 50 Mikrometer (Ultrafeinpartikuläres organisches Material bis Feinpartikuläres Material). Zu dieser Gruppe gehören die Larven der Kriebelmücken, viele Zuckmückenlarven, Fadenwürmer und viele weitere Tiergruppen.
Die Weidegänger grasen den Aufwuchs größerer Strukturen im Wasser ab, etwa von Steinen, Holzstücken oder größeren Wasserpflanzen. Hierzu gehören etwa die Schnecken, die Lidmückenlarven und ebenfalls viele Zuckmückenlarven. Räuber sind schließlich Organsismen, die sich von anderen Tieren ernähren, darunter etwa die Libellenlarven sowie verschiedene Käfer.
Aufgrund der oben beschriebenen Veränderung des vorhandenen organischen Materials ändern sich im Flussverlauf natürlich auch die Anteile dieser Gruppen an den Lebensgemeinschaften. Im Oberlauf und der Bachregion gibt es aufgrund der groben Pflanzenstoffe ein Übergewicht an Zerkleinerern und auch an Sammlern, Weidegänger machen einen kleinen Anteil aus. Im Mittellauf erhöht sich der Anteil der Weidegänger und vor allem der Sammler, während die Zerkleinerer deutlich zurückgehen und schließlich vollständig verschwinden. Im Unterlauf gibt es fast nur noch partikuläres Material, wodurch die Sammler den größten Teil ausmachen. Der Anteil der Räuber bleibt in allen Abschnitten weitgehend konstant und ändert sich nur in der Artenzusammensetzung, da diese nicht von der Größe des organischen Materials abhängig sind sondern von der Verfügbarkeit von Beutetieren.
Ressourcen und Stabilität des Systems
Einen wesentlichen Punkt des Konzepts macht die Betrachtung der Ressourcennutzung des organischen Materials und der darin enthaltenen Energie im Fließgewässer aus. An jeder Stelle im Fluß wird Energie eingebracht in Form von organischem Material, sie wird genutzt, gespeichert und teilweise an flußabwärts gelegene Stellen weiter gegeben. Die vorhandene Energie stellt zugleich den limitierenden Faktor des Systems dar und das System ist bestrebt, diesen möglichst effizient und verlustfrei zu nutzen. Freie Ressourcen ermöglichen es neuen Arten, sich in der Lebensgemeinschaft zu etablieren, so dass diese im Modell auch schnell wieder genutzt werden. Dieses Prinzip ist nicht nur für das Ökosystem Fluß wichtig sondern gilt für jedes andere System gleichermassen. Hier spielt es jedoch eine größere Rolle, da nicht verbrauchte Ressourcen an einer Stelle durch den ständigen Weitertransport verloren gehen. Nach dem Rver Continuum Concept wird entsprechend postuliert, dass in einem Fluß ein konstanter starker Zwang zur optimalen Ressourcennutzung und zu einer zeitlich gleichmäßigen kontinuierlichen Nutzung besteht.
Der zeitliche Aspekt dieser Kontinuität läßt sich vor allem an der Tagesperiodik und der jahreszeitlichen Periodik erkennen. Im Verlauf des Tages wechseln die Lebensgemeinschaften vor allem aufgrund des erhöhten Fraßdrucks am Tag (Fische jagen vor allem optisch) und der Änderungen abiotischer Faktoren wie der Temperatur und dem Licht. Dabei ist die größte tagesperiodische Veränderung der Faktoren im Mittellauf festzustellen, hier existiert auch das größte Spektrum verschiedener Tierarten (Artendiversität), die die unterschiedlichen Bedingungen optimal nutzen können.
Aufgrund der durch diese gleichmäßige Nutzung der Ressourcen vorhandenen Konstanz, die eine sehr hohe Stabilität des Systems bei Störungen und Schwankungen bedingt. Zudem gibt es keine ökologische Entwicklung des Systems (Sukzession) und Veränderungen des Systems sind nur von außen durch geologische Veränderungen wie eine Veränderung des Einzugsgebietes, Veränderung des organischen Inouts oder geologischer Erdbewegung möglich. Auch nach diesen Veränderungen kommt es jedoch wieder zu einem Fließgleichgewicht und einem veränderten, aber optimal funktionierenden Flußsystem.
Entwicklung und Anwendung des Konzepts
Die erste Vorstellung des umfassenden Konzeptes fand 1980 im Rahmen eine zweitägigen Kogresses des Stroud Water Resesarch Center statt, dessen Leiter Robin Vannote war. Es war das Ergebnis einer mehrjährigen Studie, die von der Rockefeller Stiftung bezahlt wurde. Die Veröffentlichung der Hypothese erfolgte im gleichen Jahr unter dem Titel "The River Continuum Concept" in der Zeitschrift Canadian Journal of Fisheries and Aquatic Sciences. Das Konzept baute auf auf Arbeiten weiterer amerikanischer Limnologen wie Ruth Patrick, die den ökosystemaren Aspekt des Fließgewässers herausgestellt hat, sowie Luna Leopold, der sich mit den physikalischen Veränderungen des Gewässers auseinander setzte. Die wesentliche Ergänzung der Arbeitsgruppe von Vannote war die Ergänzung und Erklärung der Lebensgemeinschaften in diesem System. Vannote selbst schilderte die Ausgangslage wie folgt:
- "In those days, most people studied a square meter of water to death." (Quelle: [1])
Die Forschung erfolgte also immer nur an kleinen Teilstücken der Gewässer und diese wurden nur ausgesprochen selten in ihrer Gesamtheit als Fließgewässer betrachtet.
Nach ihrer Veröffentlichung fand das River Continuum Concept sehr schnell die Akzeptanz der Fachwelt und wurde zum favourisierten Modell zur Beschreibung der Lebensgemeinschaften in Fließgewässern. Hier löste es die klassische Gliederung der Gewässer in Fischregionen, die von Robert Lauterborn zwischen 1916 und 1918 anhand der Lebensgemeinschaften im Rhein entwickelt wurde, sowie die Einteilung in die Lebensräume Krenal, Rhithral und Potamal von Joachim Illies in seiner Veröffentlichung "Versuch einer allgemeinen biozönotischen Gliederung der Fließgewässer" (1961) ab.
In der Praxis wird das River Continuum Concept heute vor allem zur ökologischen Beurteilung von Fließgewässern und deren Störungen eingesetzt. So kann nach einer Untersuchung der Biozönosen in einem Flußlauf die Artenzusammensetzung bestimmt und mit dem Idealfall nach den River Continuu,m Concept verglichen werden. Vor allem ein Übergewicht oder ein Fehlen von Ernährungstypen kann Aufschluß über eine eventuell vorhandene Störung geben.
Literatur
- Vannote RL, Minshall GW, Cummins KW, Sedell JR, Cushing CE (1980): The River Continuum Concept,Canadian Journal of Fisheries and Aquatic Sciences 37(1): 130-137. Volltext
- Lampert W, Sommer U: Limnoökologie, Georg Thieme Verlag Stuttgart 1993