Asperger-Syndrom

früherer Subtyp von Autismus
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Klassifikation nach ICD-10
F84.5 Asperger-Syndrom
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ICD-10 online (WHO-Version 2019)
Menschen mit Asperger-Syndrom entwickeln oft leidenschaftlich gepflegte Spezialinteressen. Dieser Junge beschäftigt sich mit Molekularstrukturen.

Als Asperger-Syndrom wird eine Störung innerhalb des Autismusspektrums bezeichnet, die vor allem durch Schwächen in den Bereichen der sozialen Interaktion und Kommunikation gekennzeichnet sind. Beeinträchtigt ist insbesondere die Fähigkeit, nonverbale und parasprachliche Signale bei anderen Personen intuitiv zu erkennen und intuitiv selbst auszusenden. Das Kontakt- und Kommunikationsverhalten von Asperger-Autisten erscheint dadurch „merkwürdig“ und ungeschickt und wie eine milde Variante des frühkindlichen Autismus (Kanner-Syndrom). Da ihre Intelligenz in den meisten Fällen normal ausgeprägt ist, werden sie von ihrer Umwelt jedoch nicht als Autisten, sondern höchstens als „wunderlich“ wahrgenommen. Weitere Kennzeichen des Asperger-Syndroms sind motorische und sensorische Auffälligkeiten, stereotype Verhaltensweisen und ausgeprägte Spezialinteressen, die gelegentlich mit einer Hoch- oder Inselbegabung zusammenfallen. Das Syndrom, das als angeboren und nicht heilbar angesehen wird, macht sich etwa vom vierten Lebensjahr an bemerkbar.[1]

Das Asperger-Syndrom ist oft nicht nur mit Beeinträchtigungen, sondern auch mit erheblichen Stärken verbunden, etwa in den Bereichen der Wahrnehmung, der Introspektion, der Aufmerksamkeit oder der Gedächtnisleistung. Die Frage, ob es als Krankheit oder als eine Normvariante der menschlichen Informationsverarbeitung einzustufen ist, wird darum sowohl von Asperger-Autisten und Angehörigen als auch von Forschern und Ärzten uneinheitlich beantwortet (siehe weiter unten).

Die Entdeckung des Asperger-Syndroms

Aufgrund seiner Nähe zum neurologisch Unauffälligen ist das Asperger-Syndrom in der Psychiatrie erst spät beschrieben und diskutiert worden. Die älteste Darstellung stammt von der russischen Kinderpsychiaterin Grunja Sucharewa, die dafür 1926 den Ausdruck „schizoide Psychopathie“ verwendete. Der österreichische Kinderarzt Hans Asperger bezeichnete es in seiner 1944 eingereichten Doktorarbeit als „autistische Psychopathie“; die Schrift erschien fast zeitgleich mit Leo Kanners grundlegendem Aufsatz über den frühkindlichen Autismus; es wird angenommen, dass beide Autoren zunächst nichts über die Arbeit des jeweils anderen wussten.[2] In der wissenschaftlichen Gemeinschaft weithin bekannt wurde das Asperger-Syndrom erst nach 1981, als die britische Psychiaterin Lorna Wing Aspergers Arbeit fortsetzte und das Syndrom nach ihm benannte. 1991 wurde das Asperger-Syndrom auch in das medizinische Klassifikationssystem ICD der Weltgesundheitsorganisation aufgenommen. Im DSM-IV, dem Klassifikationssystem der American Psychiatric Association, erscheint es seit 1994.[3][4] Weitere Pioniere auf dem Gebiet sind die in London forschende und lehrende Entwicklungspsychologin Uta Frith und ihr Schüler Tony Attwood.

Unterscheidung von Asperger-Syndrom und Hochfunktionalem Autismus (HFA)

Im englischsprachigen Raum werden beim frühkindlichen Autismus unterschiedlich schwere Formen unterschieden – darunter der Hochfunktionale Autismus (HFA), bei dem die Intelligenz nicht beeinträchtigt ist.[5] Die Unterscheidung zwischen HFA und Asperger-Syndrom ist noch nicht geklärt, und gelegentlich werden beide Begriffe synonym verwendet.

Viele Forscher sind der Frage nachgegangen, ob beide klar unterschieden werden können. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Gemeinsamkeiten weitaus größer sind als die Differenzen.[6] Die Mehrzahl der Forscher – darunter Christopher Gillberg[7] und Tony Attwood[8] – hält eine diagnostische Unterscheidung von HFA und Asperger-Syndrom darum für wenig hilfreich. Auch Lorna Wing schlug bereits 1991 vor, Autismus als nahtloses Kontinuum unterschiedlich schwerer Störungen zu beschreiben, wobei HFA und Asperger-Syndrom milde Ausprägungsformen bilden.[9] Viele Autoren sprechen heute darum von „Autismusspektrumsstörungen“ (ASS).[10] Da das Autismusspektrum beim Asperger-Syndrom nicht endet, sondern sich weit in die „Normalität“ hinein erstreckt, wurde für Erscheinungsbilder mit schwach ausgeprägten autistischen Persönlichkeitsmerkmalen und Verhaltensweisen der Begriff „Broader Autism Phenotype“ (BAP) – umgangssprachlich auch „Schattensyndrom“ – geprägt.[11]

Zu den Autoren, die zwischen HFA und Asperger-Syndrom weiterhin explizit unterscheiden, zählen u. a. Helmut Remschmidt[3] und das Forscherteam des Yale Child Study Center.[12]

Häufigkeit

Die Prävalenz des Asperger-Syndroms im Kindesalter variiert je nach den zugrunde gelegten Diagnosekriterien. Nach den DSM-IV- und ICD-10-Kriterien wird gegenwärtig auf 0,03 bis 0,085% geschätzt, nach den Kriterien von Gillberg und Gillberg beträgt die Häufigkeit 0,36 bis 0,48 %. Nach der Einschätzung von Tony Attwood werden 50% aller Kinder mit dem Syndrom erkannt. Die anderen 50% wären in der Lage, ihre Schwierigkeiten zu kaschieren oder erhielten andere Diagnosen.[13] Jungen sind achtmal so häufig betroffen wie Mädchen.[14] Repräsentative Untersuchungen zur Häufigkeit des Asperger-Syndroms im Erwachsenenalter liegen noch nicht vor.[1] Die Abweichungen neigen jedoch dazu, bis ins Erwachsenenalter fortzubestehen.[15]

Erscheinungsbild

Während die ersten Auffälligkeiten des frühkindlichen Autismus bereits in den ersten Lebensmonaten zu Tage treten, wird das Asperger-Syndrom erst nach dem dritten Lebensjahr manifest.[1] Allgemeine Kennzeichen sind eine qualitative Beeinträchtigung der sozialen Kommunikation und Interaktion, mangelndes Einfühlungsvermögen, sensorische, motorische und sprachliche Auffälligkeiten sowie ausgeprägte Sonderinteressen.[3]

Sensorik

Ähnlich wie Autisten haben auch Menschen mit Asperger – besonders Kinder – häufig ein Problem mit Reizüberflutung. Dies kann sich als Überempfindlichkeit gegenüber Licht, Geräuschen, Bewegung, Berührungs- oder Geschmacksreizen oder gegenüber bestimmten Texturen von Lebensmitteln äußern. Viele Asperger-Kinder mögen nicht im Arm gehalten werden oder auf einer Schaukel schaukeln. Andere reagieren überempfindlich auf Gesang oder Summen, auf Spritzwasser im Gesicht oder auf die Textur von Kleidungsstücken.[16]

Einen Ansatz zur Erklärung dieses Phänomens hat die Neurowissenschaft mit dem Modell der zentralen Kohärenz (siehe weiter unten) gefunden.

Motorik

Charakteristisch für das Asperger-Syndrom sind einige motorische Auffälligkeiten, die beim frühkindlichen Autismus – auch beim Hochfunktionalen Autismus – normalerweise fehlen. Dazu zählen eine ungelenkte und linkische Motorik, motorische Ungeschicklichkeit sowie grob- und feinmotorische Koordinationsstörungen.[3] Manche Kinder mit Asperger zeigen, wenn sie erregt oder ängstlich sind, motorische Manierismen, die auch für den frühkindlichen Autismus kennzeichnend sind, wie z. B. ein flatterndes Auf- und Abschlagen der Arme, Hände oder Finger.[17]

Sozialverhalten

Ebenso wie autistische Kinder nehmen Kinder mit Asperger-Syndrom nur selten und nur flüchtig Blickkontakt auf. Im Alltag besonders auffällig ist ihr mangelndes Einfühlungsvermögen und ihr Unverständnis für zwischenmenschliche Interaktionen und Situationen. Sie sind sozial isoliert und ecken aufgrund ihrer Verhaltensauffälligkeiten überall an.[3] Im Klassenverband werden sie häufig gehänselt, ausgegrenzt und gemobbt.[18] Im englischen Sprachraum bezeichnen viele Menschen mit Asperger ihr Anderssein scherzhaft als „Oops Wrong Planet syndrome“ (deutsch etwa: Hoppla-Falscher-Planet-Syndrom) und drücken damit ihr Gefühl aus, irrtümlich auf einem fremden Planeten gestrandet zu sein, dessen Regeln und Bewohner sie nicht verstehen.[19]

Hans Asperger hat beobachtet, das die betroffenen Kinder darüber hinaus auch zur „autistischen Selbstbeschau“ neigen; in Situationen, in denen anderen Kinder selbstvergessen „dahinleben“, stehen Asperger-Kinder sich selbst und ihren körperlichen Funktionen oft (kritisch) beobachtend gegenüber.[20]

Erwachsene mit Asperger-Syndrom leben oft zurückgezogen und haben wenige „tatsächliche“ Sozialkontakte. An deren Stelle treten häufig Kontakte über das Internet, z. B. in Asperger-Foren. Obwohl es einigen Menschen mit Asperger gelingt, eine stabile Partnerschaft aufzubauen und eine Familie zu gründen, ist es für andere aufgrund der mangelnden Empathiefähigkeit bereits schwierig, überhaupt Kontakt zu potenziellen Partnern aufzubauen. Oft werden die Anforderungen einer Partnerschaft auch als anstrengend empfunden. Entscheidend für die berufliche Entwicklung von Menschen mit Asperger ist die Frage, ob es gelingt, die Spezialinteressen – etwa im IT-Bereich – beruflich umzusetzen.[1]

Sprache

Im Bereich der sprachlichen Entwicklung zeigen sich beim Asperger-Syndrom deutlich andere Auffälligkeiten als beim frühkindlichen Autismus. Charakteristisch für den frühkindlichen Autismus ist eine generelle Sprachentwicklungsverzögerung. Damit verbunden sind Symptome wie z. B. Echolalie und eine Vertauschung der Pronomina. Selbst beim Hochfunktionalen Autismus sind die Artikulation, der verbale Ausdruck, die auditive Wahrnehmung, der Wortschatz und das verbale Gedächtnis gestört.[3]

Beim Asperger-Syndrom fehlen derartige Symptome. Die betroffenen Kinder entwickeln eine grammatisch und stilistisch hochstehende Sprache.[3] Die Beobachtungen hinsichtlich des Sprachbeginns gehen auseinander. Während z. B. Remschmidt feststellt, dass Asperger-Kinder früh zu sprechen beginnen[21], berichtet Attwood, dass fast die Hälfte dieser Kinder erst spät sprechen lernt, diesen Rückstand bis zum Alter von 5 Jahren aber aufholen.[22] Wie bereits Hans Asperger beobachtet hat, fallen betroffene Kinder regelmäßig auch durch eine ihrem Alter nicht entsprechende, erwachsene, pedantische Ausdrucksweise und eine unnatürliche Prosodie auf. Im englischen Sprachraum wird das Asperger-Syndrom darum umgangssprachlich auch als „Little Professor Syndrome“ bezeichnet.[23] Die Modulation ist oft monoton und undifferenziert und unterstützt z. B. keine Differenzierung zwischen ernst und humorvoll gemeinten Äußerungen. Oft sind Sprechgeschwindigkeit und die Lautstärke unangepasst oder ungewöhnlich; auch unflüssiges, ruckartiges Sprechen kommt vor.[24]

Viele Kinder und Erwachsene mit Asperger-Syndrom neigen dazu, unablässig und langatmig zu reden, meist über ihr Lieblingsthema, und missachten dabei oft vollständig, ob der Zuhörer an diesem Thema interessiert ist und das Gespräch mitträgt.[24] Einige Autoren halten dieses monologische, egozentrische Reden, in dem sich deutlich die Unempfindlichkeit von Asperger-Menschen für soziale Feinheiten offenbart, für einen der auffälligsten Züge des Syndroms.[25] Weitere Charakteristika sind eine sehr detailorientierte Erzählweise mit Schwierigkeiten, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden[1], abrupte und für den Zuhörer nicht nachvollziehbare Themenwechsel, das Wörtlichnehmen von Redewendungen, die Verwendung von Metaphern und Wortschöpfungen, die nur dem Sprecher geläufig sind, das Festhaften an Formulierungen, die wie auswendig gelernt oder wie aus einem Buch vorgetragen kingen[26], Selbstgespräche[27], das Nichterfassen von Nuancen (z. B. Ironie, Necken) und ungenaues Zuhören.[28]

Spezialinteressen

Das Interesse an anderen Menschen ist bei Menschen mit Asperger oft begrenzt. Typischerweise haben sie jedoch „Spezialinteressen“, die inhaltlich oder hinsichtlich ihrer Intensität ungewöhnlich erscheinen.[1] Diese Interessen liegen oft in technischen oder naturwissenschaftlichen Gebieten, wie IT, Mathematik, Physik, Biologie oder Astronomie; andere Betroffene beschäftigen sich leidenschaftlich mit Musik oder dem Auswendiglernen verschiedenartigster Fakten.[29] Viele pflegen im Laufe ihres Lebens mehrere Spezialinteressen, jedoch selten mehr als ein oder zwei zum selben Zeitpunkt.[30] Einige Menschen mit Asperger-Syndrom weisen eine Inselbegabung auf; wie oft dies vorkommt, ist jedoch noch nicht untersucht.[31]

Intelligenz

Während die Intelligenz beim frühkindlichen Autismus und selbst beim Hochfunktionalen Autismus regelmäßig beeinträchtigt ist, weisen Menschen mit Asperger-Syndrom meist eine normal oder sogar überdurchschnittlich ausgeprägte Intelligenz auf.[3]

Asperger-Syndrom und Genie

Hans Asperger schrieb schon 1968: „Es scheint uns, als wäre für gewisse wissenschaftliche oder künstlerische Höchstleistungen ein Schuss Autismus geradezu notwendig.“ Der irische Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie Michael Fitzgerald geht in seinen 2004 und 2005 veröffentlichten Büchern Austism and Creativity und The Genesis of Artistic Creativity der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Asperger-Syndrom und herausragenden Leistungen nach. Er untersucht anhand der biografischen Daten die Lebensläufe und Persönlichkeitsmerkmale unter anderem von Ludwig Wittgenstein, William Butler Yeats, Jonathan Swift, Hans Christian Andersen, Herman Melville, Immanuel Kant, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Erik Satie, Glenn Gould und Vincent van Gogh. Zum einen sieht er die Fähigkeit, sich intensiv auf ein Sachgebiet zu konzentrieren und endlose Leiden auf sich zu nehmen, ein schöpferisches Werk zu produzieren, als Stärke des Asperger-Syndroms an.[32] Zum anderen fördere die von Tradition und Kultur unberührte autistische Intelligenz die Kreativität[33]. Des weiteren sieht er einen engen Zusammenhang zwischen Autismus und Exzentrik.[34] Auch andere Persönlichkeiten, wie der Mathematiker Paul Erdös[35], sind mit dem Asperger-Syndrom in Verbindung gebracht worden.

Andererseits sind manche Kinder mit Asperger-Syndrom gerade dadurch auffällig, dass sie ihre Aufmerksamkeit nicht willentlich steuern können (siehe auch Exekutive Funktionen) und bei Aktivitäten, die sie nicht selbst gewählt haben – z. B. in der Schule –, in hohem Grade unkonzentriert sind, woraus sich selbst bei hoher Intelligenz erhebliche Lernschwierigkeiten ergeben können.[36] Wenn solche Konzentrationsschwierigkeiten vorliegen, ist das Asperger-Syndrom sogar mit ADHS zu verwechseln (siehe Differentialdiagnose).[37] Als Lernhindernis erweist sich tendenziell auch die für das Asperger-Syndrom typische Beeinträchtigung der zentralen Kohärenz: der Fähigkeit, zwischen Wichtigem und Unwichtigerem zu unterscheiden.

Ritualisierte Handlungen

Menschen mit Asperger sind oft darauf fixiert, ihre äußere Umgebung und Tagesabläufe möglichst gleichbleibend zu gestalten. Plötzliche Veränderungen können sie überfordern.[1][18]

Das Asperger-Syndrom im Erwachsenenalter

Tony Attwood berichtet, dass es manchen Menschen mit Asperger-Syndrom in der dritten oder vierten Lebensdekade gelinge, die Mechanismen der sozialen Fähigkeiten intellektuell zu erfassen und das „Rätsel des Sozialverhaltens“ damit zu lösen.[38]

Partnerschaft und Sexualität

Menschen mit Asperger-Syndrom können durchaus eine intime Beziehung und eine Lebenspartnerschaft eingehen. Gemeinsame Interessen sowie ähnliche Überzeugungen können ein Zusammenkommen fördern. Frauen schätzen an autistischen Männern oft ihre beruflichen und intellektuellen Fähigkeiten, ihren Sinn für soziale Gerechtigkeit und ihre zuweilen femininen Seiten. Probleme in der Partnerschaft ergeben sich aus der Vernachlässigung der sozialen Kontakte, dem Fehlen von Gesten der Zuneigung und einem Mangel an Aufmerksamkeit. Sensorische Wahrnehmungen können auch zu Problemen bei der Sexualität führen. Für den nichtautistischen Partner empfiehlt es sich, ein Netz von Freunden zu knüpfen um seine Isolation in der Beziehung zu verringern.[39]

Beruf

Für einen Menschen mit Asperger-Syndrom gibt es eine große Bandbreite von beruflichen Möglichkeiten. Oft führen Spezialinteressen der Kindheit und Jugend zu einem entsprechenden Beruf. Stärken im Beruf sind Toleranz, Ausdauer, Perfektionismus, technische Begabung, logisches Denken, Sinn für soziale Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Originalität. Defizite können bestehen bei der Teamfähigkeit, in der Fähigkeit zur Organisation und der sensorischen Wahrnehmung. Technische Spezialinteressen führen oft zu einem Beruf als Ingenieur oder Mechaniker, künsterische Interessen legen eine Laufbahn als Maler, Schriftsteller oder Musiker nahe. Der Sinn für soziale Gerechtigkeit begünstigt einen Beruf als Lehrer, Polizist oder Pfleger. Besonders geeignet sind Berufe in ruhiger Umgebung, z. B. Bibliothekar.[40]

Prognose

Nach Einschätzung von Tony Attwood ist für eine günstige Prognose die Diagnose in früher Kindheit von Vorteil. Hilfreich sei ein Mentor, der das Syndrom versteht und der Hilfestellungen geben kann. Im Laufe des Lebens erfassen autistische Menschen oft nach und nach die Regeln des sozialen Miteinanders, so daß die Unterscheidung zu nichtautistischen Menschen kaum noch wahrnehmbar ist. An die Stelle einer Diagnosekategorie tritt dann eine Persönlichkeitsvariante, die keiner Behandlung bedarf.[41]

Diagnostische Kriterien und Einschätzskalen

Diagnosekriterien

Diagnosekriterien werden vor allem von solchen Ärzten verwendet, die davon ausgehen, dass das Asperger-Syndrom von anderen autistischen Störungen nicht nur graduell, sondern auch qualitativ unterschieden werden kann. In der angelsächsischen Welt werden vorwiegend die Diagnosekriterien nach DSM-IV oder Gillberg und Gillberg verwendet. In Deutschland sind die Kriterien nach ICD-10 üblich.[42]

Gillberg und Gillberg (1989)

Die heute gebräuchlichsten Diagnosekriterien stammen von den schwedischen Kinderpsychiatern Christopher und Carina Gillberg:[43]

  • Soziale Beeinträchtigung
(mindestens zwei der folgenden Merkmale):
  1. Unfähigkeit, mit Gleichaltrigen zu interagieren
  2. mangelnder Wunsch, mit Gleichaltrigen zu interagieren
  3. mangelndes Verständnis für soziale Signale
  4. sozial und emotional unangemessenes Verhalten
  • Eingegrenzte Interessen
(mindestens eines der folgenden Merkmale):
  1. Ausschluss anderer Aktivitäten
  2. repetitives Befolgen der Aktivität
  3. mehr Routine als Bedeutung
  • Repetitive Routinen
(mindestens eines der folgenden Merkmale):
  1. für sich selbst, in Bezug auf bestimmte Lebensaspekte
  2. für andere
  • Rede- und Sprachbesonderheiten
(mindestens drei der folgenden Merkmale):
  1. verzögerte Entwicklung
  2. (oberflächlich gesehen) perfekter sprachlicher Ausdruck
  3. formelle, pedantische Sprache
  4. seltsame Prosodie, eigenartige Stimmmerkmale
  5. beeinträchtigtes Verständnis einschließlich Fehlinterpretationen von wörtlichen/implizierten Bedeutungen
  • Nonverbale Kommunikationsprobleme
(mindestens zwei der folgenden Merkmale):
  1. begrenzter Blickkontakt
  2. begrenzte Gestik
  3. unbeholfene oder linkische Körpersprache
  4. begrenzte Mimik
  5. unangemessener Ausdruck
  6. eigenartig starrer Blick
  • Motorische Unbeholfenheit
Mangelnde Leistung bei Untersuchung der neurologischen Entwicklung

ICD

In der ICD der Weltgesundheitsorganisation werden folgende Kriterien genannt:[44]

  • qualitative Abweichungen der wechselseitigen sozialen Interaktionen (wie beim Autismus)
  • ein eingeschränktes, stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Interessen und Aktivitäten
  • keine allgemeine Entwicklungsverzögerung (anders als beim Autismus)
  • kein Entwicklungsrückstand der Sprache (anders als beim Autismus)

DSM-IV

Im DSM-IV der American Psychiatric Association werden folgende Kriterien genannt:[45]

  • Qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion
(mindestens 2 der folgenden Merkmale):
  1. merkliche Beeinträchtigung mehrerer nicht-verbaler Verhaltensweisen, die die soziale Interaktion steuern, wie Blickkontakt, Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Gesten
  2. Beziehungen zu Gleichaltrigen werden nicht oder nicht so entwickelt, wie sie dem Entwicklungsstand entsprechen würden
  3. Mangel an spontaner Hinwendung zu anderen, um mit diesen Freude, Interessen oder Stolz über eine Leistung zu teilen (betroffene Kinder neigen z. B. nicht dazu, Dinge, die sie interessieren, anderen Menschen zu zeigen oder zu bringen)
  4. Mangel an sozialer oder emotionaler Gegenseitigkeit
  • Beschränkte repetitive und stereotype Verhaltens-, Interessen- und Aktivitätenmuster
(mindestens 2 der folgenden Merkmale):
  1. umfassende Beschäftigung mit einem oder mehreren stereotypen und beschränkten Interessenmustern, die entweder hinsichtlich der Intensität oder hinsichtlich des Gegenstandes abnormal sind
  2. offensichtlich starres Festhalten an bestimmten nicht-funktionalen Routinen oder Ritualen
  3. stereotype und repetitive motorische Angewohnheiten (z. B. Hand- oder Fingerbewegungen oder komplexe Bewegungen des ganzen Körpers)
  4. beharrliche Beschäftigung mit Objektteilen
  • Die Störung verursacht eine klinisch signifikante Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Bereichen.
  • Keine klinisch bedeutsame allgemeine Sprachverzögerung (z. B. Gebrauch einzelner Wörter im 2. Lebensjahr, kommunikative Sätze im 3. Lebensjahr).
  • Keine klinisch bedeutsame Verzögerung der Entwicklung der Kognition, der praktischen Fähigkeiten Fähigkeiten (self-help skills) und des Anpassungsverhaltens (außer soziale Interaktion), sowie – in der Kindheit – Neugier auf die Umgebung.
  • Die Störung erfüllt nicht die Kriterien einer anderen tiefgreifenden Entwicklungsstörung oder von Schizophrenie.

Einschätzskalen

Andere Ärzte gehen davon aus, dass sich das Asperger-Syndrom von anderen Autismusspektrumsstörungen nur graduell unterscheidet. Sie bevorzugen Einschätzskalen wie die von Tony Attwood entwickelte Australien Scale for Asperger’s Syndrom (ASAS)[46] und der von Simon Baron-Cohen im Autism Research Center in Cambridge entwickelte Autism Spectrum Quotient (AQ)[47].

Diagnose im Erwachsenenalter

Bei der Diagnose im Erwachsenenalter spielen weniger der Schweregrad als vielmehr die Lebensumstände eine Rolle. Bei guter privater und beruflicher Integration ist oft keine Diagnose und Therapie nötig. Bei Lebenskrisen, hervorgerufen etwa durch Arbeitslosigkeit oder Scheidung, kann eventuell zu einem späteren Zeitpunkt eine Diagnose notwendig werden.[48]

Differentialdiagnose und Komorbiditäten

Hochfunktionaler Autismus und Asperger-Syndrom müssen von folgenden anderen Störungsmustern abgegrenzt werden:

  • Schizoide Persönlichkeitsstörung. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Störungsmustern ist noch nicht hinreichend geklärt. Die für das Asperger-Syndrom typischen Spezialinteressen und die Neigung zu stereotypem Verhalten fehlen bei schizoiden und schizotpen Persönlichkeitsstörungen jedoch.[1]
  • Ebenso wie das Asperger-Syndrom können auch nonverbale Lernstörungen – wenn sie den Sprachgebrauch und die soziale Wahrnehmung beeinträchtigen – zu Kontaktproblemen und einem sozialen Rückzug führen.[3]
  • Insbesondere bei Frauen kann das Asperger-Syndrom auch mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung verwechselt werden; auch dort bestehen Schwierigkeiten bezüglich der Empathiefähigkeit und des Erkennens nonverbaler Signale. Die für das Asperger-Syndrom typischen Spezialinteressen und das ausgeprägt rationale Denken fehlen jedoch meist.[1]
  • Schizophrenie. Klassische schizophrene Symptome (wie Wahn, Halluzinationen und Denkstörungen) sind beim Asperger-Syndrom nicht zu beobachten. In etwa 5 Prozent der Fälle findet jedoch ein Übergang vom Asperger-Syndrom in eine schizophrene Erkrankung statt.[49]

Manchmal tritt das Asperger-Syndrom auch gemeinsam mit anderen Störungen auf (Komorbidität):

  • Zu den häufigsten komorbiden Störungen zählt die Depression, die meist durch Beeinträchtigungen im Privat- und Berufsleben mitbedingt ist.[1]
  • Einige Menschen mit Asperger-Syndrom erfüllen auch die Kriterien für eine Zwangsstörung oder eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung. Im Falle einer einfachen Zwangsstörung ist die Abgrenzung vom Asperger-Syndrom einfacher als im Falle einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung. Asperger-Syndrom und Zwangsstörung können aber auch gleichzeitig vorliegen.[14]
  • Wenn Konzentrationsschwierigkeiten vorliegen, wird das Asperger-Syndrom leicht mit ADHS verwechselt.[37] Beide Störungen können aber auch gemeinsam auftreten.[50]
  • Gelegentlich ist ein gemeinsames Vorkommen von Asperger-Syndrom und Tourette-Syndrom beschrieben worden. Wenn ein Asperger-Syndrom allein vorliegt, ist es vom Tourette-Syndrom jedoch gut zu unterscheiden.[3]
  • Wie Gillberg beschrieben hat, wird manchmal auch ein gemeinsames Vorkommen von Asperger-Syndrom und Anorexia nervosa beobachtet.[51]
  • Die Diagnose Atypischer Autismus (F84.1) wird gestellt, wenn die Kriterien weder für frühkindlichen Autismus noch für das Asperger-Syndrom passen, aber dennoch Charakteristika oder Probleme vorliegen, die dem Autismus-Spektrum zuzuordnen sind.[52]

Ursachen

Ursachen des Asperger-Syndroms wurden noch nicht nachgewiesen. Vermutet werden genetische Faktoren, die gemeinsam mit Entwicklungsstörungen neuronaler Strukturen und mit neuropsychologischen Ausfällen auftreten, woraus sich Einschränkungen im Bereich des nonverbalen Lernens ergeben.[3] Nicht-organische Ursachen, wie unsachgemäße Erziehung, Vernachlässigung oder Traumen, werden heute ausgeschlossen.[53]

Genetische Ursachen

Die Vermutung der Erblichkeit beruht u. a. auf der schon von Hans Asperger beschriebenen Beobachtung, dass Personen mit „autistischer Psychopathie“ fast immer mindestens einen Elternteil haben, der ähnliche Persönlichkeitsmerkmale aufweist. Auch die Verlaufsuntersuchung von Wolff[49] weist auf eine „familiäre Belastung“ hin. Während die genetische Verursachung beim frühkindlichen Autismus durch Familien- und Zwillingsuntersuchungen inzwischen nachgewiesen werden konnte, fehlen entsprechende Untersuchungen beim Asperger-Syndrom aber noch.[3] Vermutet wird eine Beteiligung der Chromosomen 1, 3 und 13.[54]

Hirnschädigung und Hirnfunktionsstörungen

Es ist auch vermutet worden, dass das Asperger-Syndrom – ebenso wie andere Formen des Autismus – durch eine Entwicklungsstörung neuronaler Netze verursacht ist, die zu einer Fehlverarbeitung komplexer Information führt. Ausgangspunkt dieser Überlegungen sind Untersuchungen, die zum Teil auf klinischen Stichproben beruhen und keine allgemein gültigen Schlussfolgerungen zulassen, da solche Stichproben naturgemäß stark selektiv sind.[3]

Neuropsychologische Ausfälle

Ein Forscherteam um Ami Klin hat sechs neuropsychologische Defizite identifiziert, die sich als gute Prädikatoren für das Asperger-Syndrom erwiesen. Es handelt sich um Ausfälle in der Feinmotorik, der visuomotorischen Integration, der visuellen Raumwahrnehmung, der nonverbalen Konzeptbildung, der Grobmotorik und im visuellen Gedächtnis.[12]

Um für psychiatrisch beschreibbare Symptome neuronale Entsprechungen identifizieren zu können, sind Neuropsychologen und Hirnforscher auf Modelle angewiesen, die zwischen beidem vermitteln. Ein umfassendes neurobiologisches Konzept konnte für das Asperger-Syndrom bisher noch nicht formuliert werden.[1] Folgende drei Modelle erscheinen in diesem Zusammenhang jedoch nützlich:

Theory of Mind (Empathie)

Der Ausdruck „Theory of Mind“ bezeichnet in der Psychologie und in den Kognitionswissenschaften ein Modell der Empathiefähigkeit. Gegenstand dieses Modells ist die Fähigkeit, sich einerseits vorstellen zu können, dass andere Menschen eigene Vorstellungen, Gedanken und Gefühle haben und andererseits die Fähigkeit, diese auch nachzuempfinden. Neurophysiologisch scheint die Theory of Mind mit verschiedenen Hirnarealen wie dem medialen präfrontalen Kortex [55], der Amygdala und der Fusiform face area im Temporallappen[56] zu korrelieren. Auch das Spiegelneuronen-System scheint für das Empathievermögen eine Rolle zu spielen.[57] Dass Kinder mit Asperger-Syndrom Defizite in Bezug auf diese neuronalen Funktionen haben, konnte bereits nachgewiesen werden. So haben sie z. B. Schwierigkeiten, den emotionalen Ausdruck von Gesichtern zu verstehen und zu differenzieren; sie betrachten das menschliche Gesicht und dessen Ausdruck wie ein Objekt.[58]

Zentrale Kohärenz (Ordnung der Wahrnehmung)

Ein weiterer Begriff, den die Neurowissenschaft beim Versuch, das Asperger-Syndrom zu erklären, heranzieht, ist die zentrale Kohärenz. Darunter versteht man in der Psychologie die Fähigkeit, einzelne Wahrnehmungselemente in einen Gesamtbedeutungskontext zu integrieren. Bei Menschen mit Asperger-Syndrom ist diese Fähigkeit beeinträchtigt. Ihre Wahrnehmung ist sehr detailorientiert und selektiv; den Gesamtzusammenhang zu erfassen, fällt ihnen schwer. Welche Hirnareale für diese Funktion verantwortlich sind, ist noch nicht bekannt.[1]

Exekutive Funktionen (Handlungssteuerung)

Unter exekutiven Funktionen versteht man in Hirnforschung und Neuropsychologie diejenigen mentalen Funktionen, mit denen Menschen ihr Verhalten steuern und planen. Beim Asperger-Syndrom sind diese Funktionen oft beeinträchtigt. Schwer fällt es den Betroffenen insbesondere, willentlich ihre Aufmerksamkeit zu steuern oder neu erlernte Verhaltensweisen anzuwenden. Ein wichtiges neuronales Korrelat für diese Funktion ist der präfrontale Cortex.[59]

Behandlung

Nicht jedes Asperger-Syndrom besitzt Krankheitswert oder muss behandelt werden.[1] Auch gibt es derzeit gar keine kausal wirksame Therapie. Möglich ist eine symptomatische Therapie, die sich auf verhaltenstherapeutische Ansätze (z. B. TEACCH, ABA) und die Einübung sozialer Fertigkeiten stützt. Mit den Behandlungsgrundsätzen für Menschen mit Asperger haben sich insbesondere Klin und Volkmar beschäftigt.[60] Auch eine Anpassung der äußeren Umgebung an die Schwierigkeiten der Patienten kann sinnvoll sein.[14] Wenn Symptome wie ausgeprägte Hyperaktivität und Unruhe, aggressives Verhalten, Schlafstörungen oder depressive Verstimmungen hinzukommen, werden auch Medikamente eingesetzt.[3]

Krankheit oder Normvariante?

Die Mehrzahl der Forscher – darunter Christopher und Carina Gillberg, das Wissenschaftlerteam des Yale Child Study Center und Helmut Remschmidt – beschreibt das Asperger-Syndrom als eine Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung des Gehirns. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt z. B. der britische Psychologe Tony Attwood, der das Syndrom nicht als Störung, sondern als eine Normvariante der Wahrnehmung und der Informationsverarbeitung begreift. Attwood gesteht ein, dass Asperger-Autisten in einem sozialen Umfeld, dessen Verhaltenregeln sie nicht zu befolgen vermögen, strukturell benachteiligt sind, betont jedoch, dass diese Normvariante des Denkens eine volle Daseinsberechtigung habe.[61] Von Attwood stammt auch der Ausdruck „neurologisch typisch“ (NT) als Bezeichnung für Menschen, die nicht autistisch sind. Während „NT“s emotional gesteuert seien und durch Intution lernen, seien Asperger-Autisten logisch gesteuert und lernen durch Instruktion. Hilfreicher als eine Diagnose und die Aufzeichnung der Mängel eines Asperger-Autisten sei es, dessen Stärken und Talente zu identifizieren.[62] Als Alternative zu klinisch konnotierten Bezeichnungen wie „Asperger-Patient“ oder „Asperger-Autist“ hat die amerikanische Pädagogin Liane Holliday Willey 1999 den Ausdruck „Aspie“ geprägt, eine (Selbst-) Bezeichnung, die vor allem die Fähigkeiten und Stärken von Menschen mit Asperger akzentuiert.[63]

Viele Menschen mit Asperger sind heute organisiert und fordern – u. a. auf Veranstaltungen wie dem Autistic Pride Day – die Entpathologisierung und die gesellschaftliche Anerkennung der autistischen Persönlichkeit. Der Kampfbegriff der Autismusrechtsbewegung – „Neurologische Vielfalt“ (neurodiversity) – bringt die Idee zum Ausdruck, dass eine untypische neurologische Entwicklung ein normaler menschlicher Unterschied sei, der ebenso Akzeptanz verdiene wie jede andere Variante des Menschseins.[64]

In den Vereinigten Staaten versprechen Personen wie der Homöopath Tinus Smits[65] und Organisationen wie HEAL[66] und die von den Schauspielern Jenny McCarthy und Jim Carey unterstützte Generation Rescue[67] andererseits, dass Autismusspektrumsstörungen durch eine geeignete Therapie nicht nur günstig beeinflusst, sondern vollständig geheilt und dass ihre Entstehung durch Prävention auch verhindert werden könne.

Forschungseinrichtungen

Zu den Einrichtungen, an denen Forschungsschwerpunkte für das Asperger-Syndrom bestehen, zählen das Yale Child Study Center der Yale University School of Medicine (Ami Klin), die Sektion für Psychiatrie und Neurochemie der Universität Göteborg (Christopher Gillberg, Carina Gillberg) und die Klinik für Kinder- und Jugendpsychotherapie der Philipps-Universität Marburg (Helmut Remschmidt).

Siehe auch

Literatur

Forschungsliteratur

Spezialthemen

  • Michael Fitzgerald: The Genesis of Artistic Creativity. Jessica Kingsley Publishers, London 2005.
  • Michael Fitzgerald: Autism and creativity.

Einführungs- und Ratgeberliteratur

  • Tony Attwood: Asperger-Syndrom. Wie Sie und Ihr Kind alle Chancen nutzen. Das erfolgreiche Praxis-Handbuch für Eltern und Therapeuten. 2. Aufl. TRIAS, Stuttgart 2005, ISBN 3-8304-3219-4.
  • Tony Attwood: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom. Alle Fragen - alle Antworten. TRIAS, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-8304-3392-7.
  • Martina Dude: Das Asperger-Syndrom: Beeinträchtigung sozialer Handlungskompetenz, Diplomarbeit, 2009
  • Genevieve Edmonds und Deab Worton: The Asperger Love Guide. Sage Publications Inc. 2005. ISBN 1-4129-1910-X
  • Valerie L. Gaus: Cognitive-Behavioral Therapy for Adult Asperger Syndrome (Guides to Individual Evidence Base Treatment), 2007, ISBN 1-59385-497-8 (Für Therapeuten geschrieben, aber allgemeinverständlich)
  • Isabelle Hénault: Asperger's Syndrome and Sexuality. Jessica Kingsley Publishers 2006.
  • Ole Sylvester Jørgensen: Asperger. Syndrom zwischen Autismus und Normalität. Diagnostik und Heilungschancen. Beltz, Weinheim und Basel 2002, ISBN 3-407-22112-6.
  • Dinah Murray: Coming out Asperger. Jessica Kingsley Publishers 2006.
  • Christine Preißmann: Psychotherapie und Beratung bei Menschen mit Asperger-Syndrom. Konzepte für eine erfolgreiche Behandlung aus Betroffenen- und Therapeutensicht. 2., vollst. überarbeitete und erweiterte Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-17-020757-8.
  • Regionalverband Mittelfranken Hilfe für das autistische Kind (Hrsg.): Asperger-Autisten verstehen lernen. Eine Handreichung (nicht nur) für Pädagoginnen und Pädagogen…mit praxiserprobten Lösungsansätzen. Emskirchen 2004 (online verfügbar).
  • Daniel Tibi: Wie macht sich das Asperger-Syndrom bemerkbar? Eine Kurzinformation. Edition Aspergia, Kiel 2005.

Erfahrungsberichte

  • Elisabeth Hughes: Asperger-Syndrom. Fluch oder Chance. Autorenpower Verlag, Ludwigshafen, 2007, ISBN 978-3-86743-179-8.
  • John Elder Robison: Schau mich an! Mein Leben mit Asperger, Fackelträger, 2008, ISBN 3771643775
  • Nicole Schuster: Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing. (M)ein Leben in Extremen. Das Asperger-Syndrom aus der Sicht einer Betroffenen. Weidler, Berlin 2007, ISBN 978-3-89693-483-3 (=Reihe: Autismus, Bd. 17).
  • Nicole Schuster: … bis ich gelernt habe, einen Kußmund zu machen. Körper und Körpersprache aus der Sicht einer Asperger-Autistin. eca-Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-940842-81-7
  • Daniel Tammet: Born on a Blue Day. A Memoir of Asperger's and an Extraordinary Mind, Hodder & Stoughton, London 2006, ISBN 0-340-89974-3. Dt. Ausgabe: Elf ist freundlich und Fünf ist laut. Ein genialer Autist erklärt seine Welt, Patmos Verlag, Düsseldorf 2007, ISBN 978-3-491-42108-0.
  • Liane Holliday Willey: Ich bin Autistin – aber ich zeige es nicht. Leben mit dem Asperger-Syndrom. Herder, Freiburg im Breisgau u.a. 2003, ISBN 3-451-05300-4.

Roman

  • Craig Lancaster: 600 Hours of Edward, Riverbend Publishing, 2009, ISBN 1606390139

Filme

Spielfilme:

Selbsthilfeorganisationen, Kontaktforen:

Anmerkungen und Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l m Das Asperger-Syndrom im Erwachsenenalter
  2. Christian Schanze: Psychiatrische Diagnostik und Therapie bei Menschen mit Intelligenzminderung, Stuttgart (Schattauer), 2007, ISBN 978-3-7945-2422-8, S. 160
  3. a b c d e f g h i j k l m n Helmut Remschmidt: Das Asperger-Syndrom. Eine zu wenig bekannte Störung?, in: Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 19, 12. Mai 2000
  4. Daniel Tibi: Wie macht sich das Asperger-Syndrom bemerkbar? Eine Kurzinformation
  5. Geprägt wurde der Ausdruck 1981 von einem amerikanischen Forscherteam: M. K. DeMyer, J. N. Hingtgen, R. K. Jackson: Infantile autism reviewed: A decade of research, in: Schizophrenia Bulletin, 1981, Band 7, S. 388-451
  6. R. Eisenmajer, M. Prior, S. Leekam, L. Wing, J. Gould, M. Welham u. a.: Comparison of clinical symptoms in autism and Asperger's disorder, in: Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 1996, Band 35, 1523–1531; J. Kerbeshian, L. Burd, W. Fisher: Asperger's syndrome: to be or not to be?, in: The BritishJournal of Psychiatry, 1990, Band 156, S. 721-725; J. Manjiviona, M. Prior: Comparison of Asperger Syndrome and High-Functioning Autistic Children on a Test of Motor Impairment, Journal of Autism and Developmental Disorders, Februar 1995, Band 25 (1), S. 23-39; S. Ozonoff, B. F. Rogers, S. J. Pennington: Asperger's syndrome: evidence of an empirical distinction from high-functioning autism, in: Journal of Child Psychology and Psychiatry, 1991, Band 32, S. 1107-1122; P. Szatmari, G. Bartolucci, R. Bremner: Asperger's syndrome and autism: comparison of early history and outcome, 1989, in: Develepmental Medicine & Child Neurology, Dezember 1989, Band 31(6), S. 709-720
  7. Christopher Gillberg: Asperger syndrome and highfunctioning autism, in: The British Journal of Psychiatry, 1998, Band 172, S. 200-209
  8. Tony Attwood:Asperger's syndrome: a guide for parents and professionals, 1998, S. 150
  9. Lorna Wing“ The Relationship Between Asperger's Syndrome and Kanner's Autism, in: U Frith (Hg.): U. Frith (ed.), Autism and Asperger Syndrome, Cambridge, Cambridge University Press, 1991, S. 93-121
  10. Z.B. Brenda Smith Myles, Terry Cooper Swanson, Jeanne Holverstott, Megan Moore Duncan (Hg.): Autism Spectrum Disorders: A Handbook for Parents and Professionals, 2003; Chantal Sicile-Kira: Autism Spectrum Disorders: The Complete Guide to Understanding Autism, Asperger's Syndrome, Pervasive Developmental Disorder, and Other ASDs, 2004
  11. Eric J. Masch, Russell A. Barkley: Child psychopathology, 2003, S. 434
  12. a b Ami Klin, Fred R. Volkmar, Sara S. Sparrow, Dante V. Cichetti, Byron P. Rourke: Validity and neuropsychological characterization of Asperger syndrome: convergence with non-verbal learning disabilities syndrome, in : The Journal of Child Psychology and Psychiatry, 1995, Band 36, S. 1127–1140
  13. Tony Attwood: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom S. 51
  14. a b c H. Remschmidt, I. Kamp-Becker: Das Asperger-Syndrom – eine Autismus-Spektrum-Störung, in: Deutsches Ärzteblatt, 2007, Band 104 (13), S. A 873-882
  15. www.psychiatrie-wissen.de: Asperger-Syndrom
  16. Asperger Sensory Overload
  17. Jan Johnston-Tyler: The Mom's Guide to Aspergers Syndrome: And Related Disorders, S. 239; Tony Attwood: The complete guide to Asperger’s syndrome, 2008, S. 43; Video
  18. a b Katja Carstensen: Das Asperger-Syndrom. Alltag, Schule und Beruf, 2009, S. 28
  19. z.B. WrongPlanet.net
  20. Asperger (1944), S. 115f
  21. Helmut Remschmidt: Autismus: Erscheinungsformen, Ursachen, Hilfen, 2008, S. 49
  22. Tony Attwood: Asperger-Syndrom. Wie Sie und Ihr Kind alle Chancen nutzen, S. 175
  23. The Little Professor Syndrome The New York Times Magazine
  24. a b Asperger (1944), S. 114; Ami Klin ua.: Asperger Syndrome, in: Byron Patrick Rourke (Hg.): Syndrome of nonverbal learning disabilities: neurodevelopmental manifestations, 1995, S. 93-118 (besonders S. 101); Ami Klin u.a.: Assessment Issues in Children and Adolescents with Asperger Syndrome, in: Ami Klin, Fred R. Volkmar, Sara S. Sparrow (Hg.): Asperger Syndrome (2000), S. 309-366 (besonders S. 323)
  25. Ami Klin, Sara S. Sparrow, Wendy D. Marans, Alice Carter, Fred R. Volkmar: Assessment Issues in Children and Adolescents with Asperger Syndrome, in: Ami Klin, Fred R. Volkmar, Sara S. Sparrow (Hg.): Asperger Syndrome (2000), S. 309-366; Digby Tantam: Asperger Syndrome in adulthood, in: Uta Frith: Autism and Asperger syndrome, 1991, S. 147-183
  26. Ole Sylvester Jørgensen: Asperger. Syndrom zwischen Autismus und Normalität. Diagnostik und Heilungschancen, 2002, S. 58
  27. Manche Asperger-Autisten führen Selbstgespräche, um ihre Gedanken zu ordnen, etwa um ein bereits geführtes Gespräch vollends zu verstehen oder um ein anstehendes Gespräch zu proben (Tony Attwood: Asperger-Syndrom. Wie Sie und Ihr Kind alle Chancen nutzen, S. 93f).
  28. James C. McPartland, Ami Klin: Asperger Syndrome, in: Adolescent Medicine Clinics of North America, 2006, Band 17, S. 771-788
  29. About Autism
  30. Dinosaurs 24/7: Understanding the Special Interests of Children with Asperger’s Syndrome
  31. Bernard Rimland schrieb 1978, dass unter den von ihm untersuchten Autisten etwa 10 Prozent Savants seien: Inside the Mind of the Autistic Savant, in: Psychology Today, August 1978, Band 12, S. 68-70
  32. Michael Fitzgerald:Autism and Creativity. S. 2,3
  33. Michael Fitzgerald:Autism and Creativity. S. 5,6
  34. Michael Fitzgerald:Autism and Creativity. S. 7
  35. Michael Fitzgerald: Did „The Man Who Loved Only Numbers“, Paul Erdos, have Asperger syndrome?, in: Nordic Journal of Psychiatry, 1999, Band 53 (6), S. 465-466
  36. Asperger (1944), S. 106, 199f
  37. a b ADHS oder Asperger-Syndrom?
  38. Tony Attwood:Asperger's syndrome: a guide for parents and professionals, 1998, S. 183
  39. Tony Attwood: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom, S. 362 bis 369
  40. Tony Attwood: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom S. 352 bis 358
  41. Tony Attwood: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom S. 399
  42. Tony Attwood: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom S. 52
  43. I. Carina Gillberg, Christopher Gillberg: Asperger syndrome-some epidemiological considerations: A research note, in: The Journal of Child Psychology and Psychiatry, Juli 1989, Band 30(4), S. 631–38
  44. F84.5 Asperger-Syndrom
  45. 299.80 Asperger's Disorder
  46. Australien Scale for Asperger’s Syndrom
  47. Take the AQ test (deutsche Sprachversion)
  48. Tony Attwood: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom. S. 68
  49. a b Sula Wolff: Loners. The life path of unusual children, London, New York, Routledge, 1995
  50. M. Roy, W. Dillo, S. Bessling, H. M. Emrich, M. D. Ohlmeier: Effective Methylphenidate treatment of an adult Aspergers Syndrome and a comorbid ADHD, in: Journal of Attention Disorders, 2009, Band 12, S. 381–385
  51. Christopher Gillberg, Maria Råstam, Carina Gillberg: Anorexia nervosa outcome: Six year controlled longitudinal study of 51 cases including a population cohort, in: The Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 1994, Band 33, S. 729–739
  52. Bernhard Blanz, Helmut Remschmidt, Martin Schmidt, Andreas Warnke: Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter: Ein entwicklungspsychopathologisches Lehrbuch, 2006, S. 82ff
  53. Tony Attwood: Asperger-Syndrom. Wie Sie und Ihr Kind alle Chancen nutzen, S. 175
  54. T. Ylisaukko-oja, T. Nieminen-von Wendt, E. Kempas u. a.: Genome-wide scan loci of Asperger syndrome, in: Molecular Psychiatry 2004, Band 9, S. 161–168
  55. Uta Frith: Mind blindness and the brain in autism, in: Neuron 2001, Band 20, S. 969–979
  56. S. Baron-Cohen, H. A. Ring, S. Wheelwright u. a.: Social intelligence in the normal and autistic brain: an fMRI study, in: European Journal of Neuroscience, 1999, Band 11, S. 1891–1898; K. Pierce, R. A. Müller, J. Ambrose, G. Allen, E. Courchesne: Face processing occurs outside the fusiform “face area“ in autism: evidence from functional MRI, in: Brain, 2001, Band 124, S. 2059–2073
  57. J. Bauer: Warum ich fühle, was du fühlst, Hamburg, Hoffmann und Campe, 2006; J. H. G. Williams, A. Whiten, T. Suddendorf, D. I. Perrett: Imitation, mirror neurons and autism, in: Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 2001, Band 25, S. 287–295
  58. Helmut Remschmidt, Martin H. Schmidt (Hg.): Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO, Bern, Huber, 1994, ISBN 3456842848
  59. J. M. Fuster: The prefrontal cortex: anatomy, physiology, and neuropsychology of the frontal lobe, Philadelphia, Lippincott Williams and Wilkins, 1997
  60. Ami Klin, Fred R. Volkmar: Treatment and intervention guidelines for individuals with Asperger Syndrome, In: Ami Klin, Fred R. Volkmar, Sara S. Sparrow (Hg.): Asperger Syndrome. New York, Guilford Press 2000, S. 340–366
  61. Tony Attwood: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom. Alle Fragen - alle Antworten, TRIAS, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-8304-3392-7; Carol Gray, Tony Attwood: Die Entdeckung von „Aspie“, 1999; vgl. Library of Parliament (Canada), Final Report on: The Enquiry on the Funding for the Treatment of Autism (2007): A. Definition of Autism
  62. Attwood: The complete guide to Asperger’s syndrome
  63. Liane Holliday Willey: Pretending to be Normal. Living with Asperger's Syndrome, 1999
  64. The Neurodiversity Movement (Wikiversity)
  65. Autismus-Webseite von Tinus Smits
  66. Webseite von HEAL
  67. Webseite von Generation Rescue