Jean Ziegler

Schweizer Soziologe, Politiker und Sachbuch- und Romanautor
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Jean Ziegler (* 19. April 1934 als Hans Ziegler in Thun, Schweiz) ist ein Schweizer Soziologe, Politiker und Sachbuchautor. Von 1967 bis zu seiner Abwahl 1983 und erneut von 1987 bis 1999 war er Genfer Abgeordneter im Nationalrat für die SP. Von 2000 bis 2008 war er UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung – zuerst im Auftrag der Menschenrechtskommission, dann des Menschenrechtsrats – sowie Mitglied der UN-Task-Force für humanitäre Hilfe im Irak. Am 26. März 2008 wurde Ziegler in den Beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrats gewählt, wo er gemäss Losentscheid für ein Jahr Einsitz nahm. Ziegler erhielt trotz des Widerstands der USA die meisten Stimmen aller sieben Kandidierenden, nämlich 40 von 47. Er ist ausserdem im Beirat der Bürger- und Menschenrechtsorganisation Business Crime Control.

Biografie

Jean Ziegler ist Sohn eines deutschsprachigen protestantischen Amtsrichters. Während seines Studiums der Rechtswissenschaften trat er dem schweizerischen Zofingerverein bei und galt als überzeugter Antikommunist, was er zurückweist und als Unsinn bezeichnet[1]. Nach eigenen Aussagen wurde er durch einen zweijährigen Afrika-Aufenthalt als UN-Experte unmittelbar nach der Ermordung des kongolesischen Staatschefs Patrice Lumumba und das dort gesehene Elend zu einer radikalen Änderung seiner Grundauffassungen bewegt.

Ziegler war persönlich befreundet mit Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir sowie mit Che Guevara, welchen er bei dessen Besuch in der Schweiz begleitete. Als er überlegte, nach Kuba auszuwandern, sagte ihm eigenen Aussagen zufolge Che Guevara: „Der Kopf des Monsters ist hier. Hier ist dein Platz, hier musst Du kämpfen.“ Ziegler blieb in der Schweiz, studierte fortan Soziologie, trat vom Protestantismus zum Katholizismus über und verwendete anstelle des Deutschen die französische Sprache.

Bis zu seiner Emeritierung im Mai 2002 war Ziegler Professor für Soziologie an der Universität Genf sowie ständiger Gastprofessor an der Sorbonne in Paris.

In seinen Sachbüchern kritisierte Ziegler die historische Rolle der Schweiz mehrfach, unter anderem wegen ihres Verhaltens in der Zeit des Nationalsozialismus. Er warf den politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen jener Jahre vor, durch den Waren- und Kapitalverkehr mit dem Deutschen Reich über Geldwäsche und Handel mit Gold den Zweiten Weltkrieg verlängert zu haben. Ebenso kritisierte er aber auch die Sowjetunion für ihren Einmarsch in Afghanistan.

Wegen massiver Kritik an Schweizer Politik, Wirtschaft, Finanzplatz sowie deren Institutionen in seinen Publikationen wurde er immer wieder als „Landesverräter“ angegriffen und von mehreren Instituten und Privatpersonen, zum Teil erfolgreich, zivil- und strafrechtlich belangt. Die Verurteilungen zu Schadensersatzleistungen brachten ihn an den Rand des wirtschaftlichen Ruins.

Seit September 2000 war Jean Ziegler UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. In dieser Funktion verfasste er neben jährlichen allgemeinen Berichten und Empfehlungen Länderberichte zu Niger (2002), Brasilien (2003), Bangladesch, den Palästinensergebieten (2004), Äthiopien, der Mongolei (2005), Guatemala, Indien, dem Libanon und Niger (2006), Kuba und Bolivien (2007)[2]. Er forderte unter anderem ein fünfjähriges Moratorium auf landwirtschaftlich erzeugte Biotreibstoffe, ein provisorisches Bleiberecht für Hungerflüchtlinge und einen Verhaltenskodex für nichtstaatliche Akteure – insbesondere Unternehmen – bezüglich des Rechts auf Nahrung[3].

Das Bevölkerungswachstum als Ursache für Hunger bezeichnet Ziegler als „kompletten Blödsinn“, da die Weltlandwirtschaft 12 Milliarden Menschen ernähren könne.[4] Seiner Ansicht nach dient die Erklärung des Welthungers als Folge von „Überbevölkerung“ dazu, das schlechte Gewissen zu beruhigen.[5]

Politische Haltung

Ziegler gilt als Globalisierungskritiker. Er bezeichnet sich selbst als Kommunist im Sinne der Redewendung von Karl Marx „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen". Die Pariser Kommune von 1871 sieht er nach dieser Redewendung als „einzigen kommunistischen Staat, den es je gegeben hat“ an. Staaten im damaligen Ostblock wie die Sowjetunion ordnet er aufgrund ihrer Politik hingegen als „Terrorstaaten“ ein, Kubas Politik lobt er allerdings im Hinblick auf Ernährung, Gesundheit und Bildung der Bevölkerung. Probleme mit der Menschenrechtssituation in Kuba wolle er nicht unter Tisch kehren, erachtet andere Probleme aber als wichtiger für die Weltgemeinschaft[6].

Unternehmen – besonders multinationalen Konzernen – wirft er vor, zwecks Profitmaximierung unethisch zu handeln, jede Verantwortung für Menschenrechte oder Umweltschutz abzulehnen und so wesentlich für den Welthunger mitverantwortlich zu sein. Konzerne übten ferner beträchtlichen Einfluss auf die Politik aus und bedrohten damit die Demokratie. Ziegler bezeichnet Hungertod als Mord.[4]

Insbesondere in der US-amerikanischen Politik unter George W. Bush sah Ziegler eine Politik, die an Konzerninteressen und der „Oligarchie des amerikanischen Finanzkapitals“ ausgerichtet gewesen sei. Dies sei der Grund, weshalb die USA weltweit menschenrechtsverletzende Regimes – als solche sieht Ziegler u. a. Russland unter Wladimir Putin wegen des Tschetschenien-Krieges und Israel wegen der Besetzung der Palästinensergebiete – unterstützten und die Teilnahme am Kyoto-Protokoll und das Verbot von Anti-Personen-Minen abgelehnt hätten. Den Irakkrieg und den weltweiten Krieg gegen den Terror sieht Ziegler als Maßnahmen im Interesse US-amerikanischer Erdölkonzerne.

Kritik an Ziegler

Neben der Ablehnung, die Ziegler auf Grund seiner Kritik an der weltweiten Globalisierungs- und Wirtschaftspolitik erfährt, wird er insbesondere von Seiten der Organisation UN Watch, die eine „unfaire Behandlung Israels durch die Vereinten Nationen“[7] beklagt, kritisiert. Nachdem Ziegler 2004 in einem Länderbericht zu den Palästinensischen Autonomiegebieten geschrieben hatte, Israel behindere den Zugang der palästinensischen Bevölkerung zu ausreichender Ernährung, wurde ihm von UN Watch vorgeworfen, er kritisiere fast ausschließlich die Vereinigten Staaten, Israel und einzelne Konzerne, würde demgegenüber jedoch in zahlreichen Ernährungskrisen gar nicht oder nur „mit diplomatischen Samthandschuhen“ agieren.[8]. Als Ziegler 2008 von der Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey für einen Sitz im beratenden Ausschuss des UN-Menschenrechtsrats nominiert wurde, versuchte UN Watch das zu verhindern. Neben anderem wurde ihm die Unterstützung des Holocaustleugners Roger Garaudy und Antisemitismus vorgeworfen. Aufgegriffen wurde die Kritik unter anderem von der norwegischen Fortschrittspartei[9], sowie der südafrikanischen Partei Demokratische Allianz[10]. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Jüdischen Weltkongresses kritisierte Ronald Lauder die Ernennung Zieglers und bezeichnete ihn als „selbsterklärten Menschenrechtsaktivisten“, der vor allem als „Unterstützer von Diktatoren wie Colonel Khaddafi in Libyen, Robert Mugabe in Simbabwe und Fidel Castro in Kuba“ bekannt sei[11]. Der französische Journalist Luc Rosenzweig, ehemaliger Chefredakteur der Tageszeitung Le Monde, bezeichnete Ziegler als „al-Gaddafi und Castro zu Dank verpflichtet[12], beziehungsweise als „Anbeter“ (adorateur) Castros und „Pantoffellecker“ (lêcheur de babouches) al-Gaddafis[13].

Ehrungen und Auszeichnungen

Schriften

(Auswahl)

  • Der Hass auf den Westen: Wie sich die armen Völker gegen den wirtschaftlichen Weltkrieg wehren, Bertelsmann, September 2009, ISBN 3570011321
  • Das Imperium der Schande. Der Kampf gegen Armut und Unterdrückung, Bertelsmann, 2005, ISBN 3570008789; dazu: Polar-Rezension
  • Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher, Bertelsmann, München 2003, ISBN 3570006794
  • Die Schweiz, das Gold und die Toten. Goldmann 2002, ISBN 3442127831
  • Wie kommt der Hunger in die Welt? Ein Gespräch mit meinem Sohn, Bertelsmann, München 2002, ISBN 3570300595
  • Wie herrlich, Schweizer zu sein. Goldmann 2002, ISBN 3442150035
  • Die Barbaren kommen. Kapitalismus und organisiertes Verbrechen, Goldmann 1999, ISBN 3442150299
  • Das Gold von Maniema. Knaus 1996, ISBN 3813500322
  • 'Der Sieg der Besiegten. Unterdrückung und kultureller Widerstand, Hammer 1992, ISBN 3872943820
  • Die Schweiz wäscht weißer. Die Finanzdrehscheibe des internationalen Verbrechens, Droemer Knaur 1992, ISBN 3426048574
  • Genossen an der Macht. Von sozialistischen Idealen zur Staatsräson, Athenäum 1988, ISBN 3-610-08505-3
  • Das Schweizer Imperium. rororo 1986, ISBN 3499174960
  • Die Lebenden und der Tod. Ullstein 1986, ISBN 3548351549
  • Gegen die Ordnung der Welt. Befreiungsbewegungen in Afrika und Lateinamerika, Hammer 1986, ISBN 3872942727
  • Afrika: Die neue Kolonisation. Luchterhand 1980, ISBN 347288017-1, Titel der Originalausgabe: Main basse sur l'Afrique, Éditions du Seuil, 1978, (vergriffen)
  • Vorwort in James H. Hatfield: Das Bush-Imperium. Wie George W. Bush zum Präsidenten gemacht wurde, ISBN 3-9265-2942-3

Einzelnachweise

  1. Der Bund, 17. März 2009: «Alles, was ich im Leben gelernt habe, habe ich in Thun gelernt»
  2. Publikationen Zieglers auf Righttofood.org
  3. SF Tagesschau, 16. Oktober 2007: Ziegler beklagt «schizophrene Haltung»
  4. a b c d „Dass ich hier bin, ist ein reines Wunder“, Tagesanzeiger, 17. März 2009
  5. Ziegler, Wie kommt der Hunger in die Welt?, S. 19–26
  6. Die Welt: "Ein Wahlzettel macht nicht satt", 20. Januar 2006
  7. UN Watch: Mission & History
  8. UN Watch: Blind to Burundi – Jean Ziegler's Neglect of the World's Food Emergencies, Oktober 2004
  9. UN Watch: Brief der Fremskrittspartiet an die Schweizer Botschaft, 26. März 2008
  10. http://www.businessday.co.za/articles/world.aspx?ID=BD4A734510
  11. http://www.worldjewishcongress.org/news/wjcnews/wjn_archives/2008/03/wjcn_080331_rslswiss.html
  12. http://www.causeur.fr/peut-on-precher-la-vertu-dans-un-bordel,2205
  13. http://www.causeur.fr/le-socialisme-suisse-un-oxymore-devastateur,843
  14. a b „Jean Ziegler - Reise gegen den Hunger “, 3sat, eingesehen am 17. März 2009
  15. „Jean Ziegler“, eingesehen am 17. März 2009
  16. „Jean Ziegler reçoit le Prix littéraire des droits de l'homme “, lalibre.be, 3. Dezember 2008
  17. „Jean Ziegler erhält Landespreis für Zukunftsforschung“, Salzburger Nachrichten, 20. November 2008
  18. http://www.righttofood.org/new/PDF/ZIEGLER.pdf

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