Die Europäische Kommission ist ein supranationales Organ der Europäischen Union. Im politischen System der EU nimmt sie vor allem Aufgaben der Exekutive wahr. Sie hat jedoch auch noch weitere Funktionen, insbesondere besitzt sie das alleinige Initiativrecht für die EU-Rechtsetzung.

Die Mitglieder der Kommission (umgangssprachlich als EU-Kommissare bezeichnet) werden von den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten ernannt und vom Europäischen Parlament bestätigt. Sie sind in ihren Entscheidungen unabhängig und sollen nur die gemeinsamen Interessen der Union, nicht die ihrer jeweiligen Herkunftsstaaten vertreten. Ihre Amtszeit entspricht der fünfjährigen Legislaturperiode des Europäischen Parlaments. Sitz der Kommission ist Brüssel.
Aufgaben
Als Organ ist die Kommission bislang in Art. 211 ff. EGV sowie Art. 124 ff. EAV verankert. Sie übernimmt im Wesentlichen Funktionen der Exekutive und ist insofern mit der Regierung eines Nationalstaats vergleichbar. So sorgt sie mithilfe ihres Beamtenapparats für die korrekte Ausführung der europäischen Rechtsakte (also Richtlinien, Verordnungen, Entscheidungen), setzt den EU-Haushalt um und führt die beschlossenen Förderprogramme durch.[1]
Allerdings nimmt die Kommission auch noch weitere Aufgaben wahr: Insbesondere besitzt sie im Bereich der Legislative der Europäischen Gemeinschaft das alleinige Initiativrecht, das heißt, nur sie kann den formalen Vorschlag zu einem EU-Rechtsakt machen und diesen dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament unterbreiten. Rat und Parlament können die Vorschläge der Kommission zwar abändern und erweitern, sie können aber nicht von sich aus ein Rechtsetzungsverfahren einleiten. Auch wenn das Verfahren bereits läuft, hat die Kommission noch einen gewissen Einfluss auf seine Entwicklung: So kann sie zu den von Rat und Parlament beschlossenen Änderungen positiv oder negativ Stellung nehmen, wodurch sich jeweils die zur Verabschiedung erforderlichen Mehrheiten in diesen beiden Institutionen verändern. Allerdings kann die Kommission ein einmal eingeleitetes Rechtsetzungsverfahren nicht mehr gegen den Willen von Rat und Parlament abbrechen.
Eine besondere Funktion hat die Kommission bei dem Erlass von Durchführungsbestimmungen zu den EU-Rechtsakten. Diese sind dem EG-Vertrag zufolge Aufgabe der Mitgliedstaaten; aufgrund der hohen Komplexität vieler Regelungen sind diese dabei jedoch auf das Fachwissen der Kommission angewiesen. Daher hat sich das Komitologie-Verfahren etabliert, in dem Vertreter der nationalen Regierungen unter Beteiligung von Kommissionsbeamten die nötigen Durchführungsmaßnahmen beschließen.
Ferner kommt der Kommission eine besondere Rolle als „Hüterin der Verträge“ zu: Sie achtet darauf, dass die Mitgliedstaaten die europarechtlichen Verpflichtungen, die sie mit dem EU-Vertrag und dem EG-Vertrag eingegangen sind, auch einhalten. So überprüft sie beispielsweise im Rahmen der Beihilfekontrolle, ob Subventionen der Mitgliedstaaten gegen die Regelungen zum Europäischen Binnenmarkt verstoßen; die Mitgliedstaaten müssen sich solche Subventionen daher von der Europäischen Kommission genehmigen lassen. Bei Rechtsverstößen der Mitgliedstaaten kann die Kommission ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof einleiten.
Vor allem in den Bereichen Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit agiert die Kommission auch als Vertreterin der EU auf internationaler Ebene. So repräsentiert sie die EU-Mitgliedstaaten beispielsweise in der Welthandelsorganisation und handelt die dort geschlossenen Übereinkommen aus.
Kaum Kompetenzen hat die Kommission bisher in der sogenannten zweiten und dritten Säule der EU, also der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS). Die wesentlichen Entscheidungen werden hier allein vom Rat der Europäischen Union getroffen, der in diesen Feldern auch ein eigenes Initiativrecht besitzt.
Zusammensetzung
Die Europäische Kommission besteht aktuell aus 27 Mitgliedern, die umgangssprachlich als EU-Kommissare bezeichnet werden. Seit der EU-Erweiterung 2004 entsendet jeder der Mitgliedstaaten je einen Kommissar, die alle gleichberechtigte Mitglieder des Kollegiums sind. Jedem Kommissar ist ein bestimmtes politisches Ressort zugeordnet, einer der Kommissare nimmt als Präsident der Europäischen Kommission eine Leitungs- und Sprecherfunktion ein. Entschlüsse werden aber nach dem Kollegialprinzip gefasst. Die Mitglieder der Kommission dürfen während ihrer Amtszeit keiner anderen Berufstätigkeit nachgehen und keine Weisungen von einer Regierung oder einer anderen Stelle entgegennehmen (Art. 213 EG-Vertrag).
Die Kommission wird grundsätzlich alle fünf Jahre binnen sechs Monaten nach der Europawahl neu besetzt (Art. 214 EG-Vertrag). Dabei nominiert zunächst der Europäische Rat mit qualifizierter Mehrheit den Kommissionspräsidenten, der üblicherweise, jedoch nicht zwingend, derjenigen europäischen Partei angehört, die bei der Europawahl gewonnen hat. Anschließend benötigt der Kommissionspräsident ein Zustimmungsvotum des Europäischen Parlaments.
Danach schlagen die Regierungen der Mitgliedstaaten jeweils einen Kommissar aus ihrem Land vor; die gesamte Liste wird schließlich vom Europäischen Rat in Absprache mit dem designierten (gewählten, aber noch nicht im Amt befindlichen) Präsidenten mit qualifizierter Mehrheit angenommen. Dabei werden die Vorschläge der Regierungen üblicherweise ohne Weiteres übernommen. Die Kommissare entstammen daher meistens denjenigen Parteien, die in ihrem jeweiligen Land die Regierung bilden. Anschließend befragt das neu gewählte Europäische Parlament diese Kandidaten ausführlich und gibt eine Stellungnahme ab, bei der sie die Kommission (nicht jedoch einzelne Kommissare) annehmen oder ablehnen kann. Nach Zustimmung des Parlaments wird die Kommission vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit ernannt. Anschließend verteilt der Komissionspräsident die Ressorts und ernennt einen oder mehrere Vizepräsidenten unter den Kommissaren. Die Ressortverteilung kann der Kommissionspräsident dabei auch später jederzeit wieder verändern.
Nach der Ernennung der Kommission kann das Europäische Parlament diese jederzeit durch ein mit Zweidrittelmehrheit getroffenes Misstrauensvotum zum Rücktritt zwingen (Art. 201 EG-Vertrag). Die Ernennung einer neuen Kommission läuft in diesem Fall nach demselben Verfahren ab, wobei die Amtszeit der neu ernannten Kommission nur bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode des Parlaments dauert.
Nach dem Vertrag von Nizza, der derzeit gültig ist, muss ab der Europawahl 2009 die Zahl der EU-Kommissare kleiner sein als die der Mitgliedstaaten, es könnte künftig also nicht mehr jedes Land einen eigenen Kommissar stellen. Der Vertrag von Lissabon, der sich derzeit im Ratifikationsverfahren befindet, sieht dagegen keine Verkleinerung der Kommission mehr vor (siehe auch unten.
Derzeit befindet sich die EU-Kommission Barroso im Amt, die am 22. November 2004 für eine Amtszeit von fünf Jahren antrat. Die aktuellen Kommissare und ihre Ressorts sind (Stand: Oktober 2009):
Die Farben weisen auf die Zugehörigkeit zu europäischen politischen Parteien bzw. auf die ungefähren politischen Richtungen hin:
Richtungen | Anzahl der Kommissare |
---|---|
EVP (konservativ) | 9 |
ELDR (liberal) | 11 |
SPE (sozialdemokratisch) | 6 |
parteilos (?) | 1 |
Arbeitsweise
Die Regelungen zur Organisation der Kommission sind in ihrer Geschäftsordnung festgehalten.[2]
Die Sitzungen des Kommissionskollegiums finden meist einmal wöchentlich am Mittwochvormittag in Brüssel statt; die Kommissare können aber auch zusätzliche Termine vereinbaren. In den Wochen, in denen das Europäische Parlament Plenarsitzungen in Straßburg abhält, tagt auch das Kommissionskollegium dort.[3] Die Sitzungen werden vom Kommissionspräsidenten geleitet, bei dessen Abwesenheit von einem der Vizepräsidenten der Kommission. Sie sind nicht öffentlich, es werden aber Protokolle davon publiziert.[4]
In den Sitzungen werden Beschlüsse mit einfacher Mehrheit gefasst, bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Kommissionspräsidenten. Die meisten Beschlüsse werden allerdings außerhalb der Sitzungen im sogenannten schriftlichen Verfahren getroffen, bei dem alle Kommissionsmitglieder einen Vorschlag schriftlich vorgelegt bekommen und dieser als gebilligt gilt, wenn nicht innerhalb einer bestimmten Frist Einwände mitgeteilt werden. Bei weniger bedeutenden Fragen kann die Kommission Entscheidungen auch an einzelne Kommissare oder an Mitarbeiter der Generaldirektionen delegieren. Dabei gilt allerdings in jedem Fall das Kollegialitätsprinzip, Beschlüsse werden also formal immer von der Kommission als Ganzes getroffen.[5]
Der Kommission unterstehen verschiedene Generaldirektionen, die ähnliche Funktionen wie die Ministerien auf nationaler Ebene erfüllen. Anders als bei Ministerien decken sich jedoch die Ressorts der Kommissare nicht genau mit denen der Generaldirektionen, sodass teilweise einem Kommissar mehrere Generaldirektionen zugeordnet sind oder eine Generaldirektion mehreren Kommissaren zuarbeitet. Für die interne Verwaltung gibt es sogenannte Dienste, etwa den Juristischen Dienst und den Übersetzungsdienst, die organisatorisch den Generaldirektionen gleichgestellt sind. Für die Durchführung bestimmter Gemeinschaftsprogramme kann die Europäische Kommission darüber hinaus auf sogenannte Exekutivagenturen zurückgreifen, die jeweils nur für bestimmte Tätigkeiten und auf einen bestimmten Zeitraum eingerichtet werden. Insgesamt beschäftigt die Europäische Kommission rund 23.000 Beamte.[1]
Jedes Kommissionsmitglied verfügt darüber hinaus über einen eigenen Mitarbeiterstab (das sogenannte Kabinett) aus sechs bis neun politischen Beamten. Die Kabinettchefs bereiten die Sitzungen des Kollegiums vor und stimmen sich bereits untereinander ab: Bei den sogenannten „A-Punkten“ (A items) herrscht Einigkeit unter den Ressorts, sie sind ohne größere Beratung beschlussfähig. Die sogenannten „B-Punkte“ (B items) dagegen bedürfen eingehender Diskussion im Kollegium.
Für die Koordinierung zwischen den verschiedenen Ressorts, die Organisation der Sitzungen und die Veröffentlichung der Beschlüsse wird der Kommissionspräsident von einem Generalsekretär unterstützt. Das Generalsekretariat der Europäischen Kommission hat dabei den gleichen organisatorischen Rang wie die anderen Generaldirektionen und Dienste.
Die Kommission besitzt zudem Auslandsvertretungen, die sogenannten Delegationen der Europäischen Kommission. Diese übernehmen Funktionen wie die Außendarstellung von EU-Politiken, das Erstellen von Analysen für die Kommission sowie gegebenenfalls Verhandlungen im Rahmen eines vorgegebenen Mandats. Außerdem hat die Kommission Vertretungsbüros in allen EU-Mitgliedstaaten.[6]
Die internen Arbeitssprachen der Europäischen Kommission sind Englisch, Französisch und Deutsch. In der täglichen Arbeit kristallisiert sich mittlerweile eine eindeutige Präferenz zu Gunsten des Englischen heraus. Entscheidungen über Vorlagen werden jedoch weiterhin nur dann getroffen, wenn die Unterlagen wenigstens auf Deutsch, Englisch und Französisch vorhanden sind.[7]
Veränderungen durch den Vertrag von Lissabon
Der Vertrag von Lissabon, der sich derzeit im Ratifikationsverfahren befindet, soll verschiedene Veränderungen für die Europäische Kommission bringen.
Zum einen würden die Politikbereiche erweitert, in denen die Kommission tätig wird. Insbesondere würde die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, die bislang noch ausschließlich dem Rat der EU unterliegt, in den Bereich der regulären Gemeinschaftsrechtsetzung übergeführt werden, sodass die Kommission hier dieselben Kompetenzen hätte wie in anderen Feldern. Außerdem sollen die Ämter des Außenkommissars und des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zusammengelegt werden, sodass auch im Bereich der GASP eine bessere Verzahnung zwischen Kommission und Rat entstehen soll. Der neue Hohe Vertreter wäre zugleich Außenkommissar und Vizepräsident der Kommission. Er würde künftig unter Zustimmung des Kommissionspräsidenten vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit gewählt und vom Europäischen Parlament zusammen mit den übrigen Kommissionsmitgliedern bestätigt (Art. 17 EU-Vertrag); anders als die anderen Kommissionsmitglieder könnte er jedoch auch jederzeit wieder vom Europäischen Rat entlassen werden (Art. 18 EU-Vertrag).[8] Durch den Aufbau eines neuen Europäischen Auswärtigen Dienstes sollen seine außenpolitischen Handlungsmöglichkeiten gestärkt werden. Außenpolitische Entscheidungen würden aber weiterhin nur einstimmig vom Rat getroffen werden.
Außerdem wurde im Zuge der Vertragsreform viel über eine Verkleinerung der Kommission diskutiert, um deren Handlungsfähigkeit auch nach der EU-Osterweiterung zu gewährleisten. Der Vertrag von Lissabon sah ursprünglich vor, dass ab 2014 nur noch zwei Drittel der Mitgliedstaaten einen Kommissar stellen sollten. Diese Maßnahme stieß allerdings vor allem bei einigen kleineren Ländern auf Kritik und galt als einer der Gründe, weshalb das erste Referendum, das in Irland über den Vertrag abgehalten wurde, scheiterte. Daher beschloss der Europäische Rat im Dezember 2008, die Verkleinerung der Kommission nicht in Kraft treten zu lassen. Diese Modifizierung des Vertrags erfordert jedoch eine erneute Vertragsänderung, die ihrerseits von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden müsste. Dies könnte im Zuge der Vertragsanpassungen geschehen, die für den EU-Beitritt Kroatiens notwendig sind, welcher für 2010 oder 2011 erwartet wird.[9]
Schließlich soll auch die Rolle des Kommissionspräsidenten gestärkt werden. Er besäße nun ausdrücklich eine Richtlinienkompetenz in der Kommission und könnte auch selbstständig einzelne Kommissare entlassen (Art. 17 Abs. 6 EU-Vertrag).[8] Beim Ernennungsverfahren des Kommissionspräsidenten muss der Europäische Rat nun ausdrücklich das Ergebnis der Europawahl „berücksichtigen“; ansonsten ändert sich das Verfahren nicht. Allerdings spricht der neue Vertrag nun davon, dass der Europäische Rat den Präsidenten „vorschlägt“ und das Parlament ihn „wählt“ (Art. 17 Abs. 7 EU-Vertrag), während nach dem alten Vertrag der Rat den Präsidenten „ernennt“ und dafür die „Zustimmung“ des Parlaments benötigt (Art. 214 EG-Vertrag).
Geschichte
Die drei Kommissionen bis 1967
Die Europäische Kommission hat ihren Ursprung in der Hohen Behörde, die im Rahmen des Pariser Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1952 geschaffen wurde, jedoch auch schon als Kommission bezeichnet wurde. Die Hohe Behörde hatte ihren Sitz in Luxemburg und besaß sehr weitgehende eigene Entscheidungsrechte für den Bereich der Montanindustrie. Lediglich in bestimmten Fällen – insbesondere, wenn Entscheidungen der Hohen Behörde auch Auswirkungen auf andere Sektoren gehabt hätten – benötigte sie die Zustimmung des Ministerrats.[10]
Die Hohe Behörde setzte sich aus neun Mitgliedern zusammen, von denen acht von den sechs EGKS-Staaten ernannt wurden und das neunte von den übrigen acht kooptiert wurde.[11] Entscheidungen wurden mit einfacher Stimmenmehrheit getroffen. Die Hohe Behörde wählte ihren Präsidenten selbst; der erste Präsident war Jean Monnet, der geistige Urheber des Schuman-Plans, der zur Gründung der EGKS geführt hatte.[12]
Mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) 1958 wurden zwei neue Kommissionen eingerichtet, die nun auch offiziell diesen Namen trugen. Die Struktur der neuen Kommissionen war im Wesentlichen der Hohen Behörde nachempfunden, wobei die Euratom-Kommission nur aus fünf Mitgliedern bestand. Allerdings hatten die Mitgliedstaaten nun deutlich größeren Einfluss: Sie ernannten alle Kommissionsmitglieder und auch den Kommissionspräsidenten selbst, und die Kommissionen besaßen ohne Zustimmung des Ministerrats kaum noch eigene Entscheidungsmöglichkeiten.[13] Zum ersten Präsidenten der EWG-Kommission wurde Walter Hallstein ernannt, der als außenpolitischer Staatssekretär unter Konrad Adenauer von deutscher Seite wesentlich zur Gründung der Gemeinschaften beigetragen hatte.
Während der sechziger Jahre kam es zu heftigen Konflikten über den Einfluss, den die EWG-Kommission auf die weitere Entwicklung der europäischen Integration haben würde. Während der französische Staatspräsident Charles de Gaulle mit den sogenannten Fouchetplänen die Kommission vollends dem Ministerrat unterordnen wollte, strebte Walter Hallstein eine Stärkung der Kommission durch die Einführung finanzieller Eigenmittel der an, die die Kommission von den jährlich neu ausgehandelten Mitgliedsbeiträgen der Staaten unabhängig machen sollte.[14] Diese Konflikte trugen mit zur Krise des leeren Stuhls 1965/66 bei, in der sich Frankreich gegen die übrigen Mitgliedstaaten durchzusetzen versuchte. De Gaulles Pläne scheiterten schließlich, doch auch Hallstein konnte seine Ziele nicht durchsetzen; vielmehr wurden im Luxemburger Kompromiss 1966 die Kompetenzen der Kommission leicht beschnitten.[15] Auf Druck Frankreichs kündigte Hallstein 1967 an, nicht für eine neue Amtszeit kandidieren zu wollen.[16]
Mit Hallsteins Rücktritt fiel auch eine erste Strukturreform der drei Gemeinschaften zusammen, deren Institutionen nun zusammengelegt wurden. Am 1. Juli 1967 wurden daher die Hohe Behörde der EGKS und die Kommissionen von EWG und Euratom im Rahmen des EG-Fusionsvertrages zur Europäischen Kommission verschmolzen. Die neue Kommission war nun für alle Politikbereiche der Europäischen Gemeinschaften zuständig.
Europäische Kommissionen bis 1967 | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|
EGKS | EWG | EURATOM | ||||
Nr. | Hohe Behörde | Amtszeit | Kommission | Amtszeit | Kommission | Amtszeit |
1. | Monnet | 1952–1955 | ||||
2. | Mayer | 1955–1958 | ||||
3. | Finet | 1958–1959 | Hallstein I | 1958–1962 | Armand | 1958–1959 |
4. | Malvestiti | 1959–1963 | Hirsch | 1959–1962 | ||
5. | Del Bo | 1963–1967 | Hallstein II | 1962–1967 | Chatenet | 1962–1967 |
6. | Coppe | 1967 |
Die Europäische Kommission ab 1967
Obwohl auf dem Gipfel von Den Haag 1969 doch noch die von Hallstein geforderte Einführung von EG-Eigenmitteln beschlossen wurde, verlor die Europäische Kommission in den siebziger Jahren an Einfluss auf den Integrationsprozess. Die wesentlichen Initiativen gingen nun vom Europäischen Rat aus, während die Kommission immer mehr zum nur ausführenden Organ wurde. Auch das 1977 von Kommissionspräsident Roy Jenkins angestoßene Europäische Währungssystem konnte sich erst durchsetzen, nachdem der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt und der französische Präsident Valéry Giscard d'Estaing die Idee aufgegriffen und zu ihrer eigenen gemacht hatten.[17]
Erst nach der Überwindung der sogenannten Eurosklerose-Krise 1984 konnte sich die Europäische Kommission wieder stärker in den Integrationsprozess einbringen. Zur Schlüsselfigur wurde der Franzose Jacques Delors, der 1985 zum Kommissionspräsidenten ernannt wurde und dieses Amt bis 1995 einnahm. Delors initiierte das Binnenmarktprojekt, mit dem sich die Mitgliedstaaten in der Einheitlichen Europäischen Akte 1986 dazu verpflichteten, den Europäischen Binnenmarkt zu vollenden. Hierzu entwickelte die Kommission ein umfangreiches Arbeitsprogramm, das bis 1993 umgesetzt wurde.[18] Zudem schlug die Kommission den sogenannten Delors-Plan vor, der die Grundlage für die 1992 im Vertrag von Maastricht vereinbarte Europäische Währungsunion legte.
Die folgenden EU-Vertragsreformen von Amsterdam 1997 und Nizza 2001 brachten der Kommission keine zusätzlichen Befugnisse, regelten jedoch ihre Zusammensetzung und innere Funktionsweise neu. So wurden die Kompetenzen des Kommissionspräsidenten bei der Auswahl und Aufgabenverteilung der Kommissare gestärkt. Außerdem wurde erstmals über eine Verkleinerung der Kommission diskutiert: Durch die Erweiterungen der EG war sie bis 1995 auf zwanzig Mitglieder angewachsen, da die fünf größten der 15 Mitgliedstaaten jeweils zwei Kommissare stellen durften. Durch die geplante EU-Osterweiterung sollten noch einmal weitere Mitglieder hinzukommen. Um bei diesem Wachstum die Handlungsfähigkeit der Kommission zu erhalten, einigte man sich im Vertrag von Nizza darauf, dass ab 2005 jeder Mitgliedstaat nur noch einen Kommissar stellen sollte; ab dem 27. Mitglied sollte die Zahl der Kommissare kleiner sein als die der Staaten.[19]
Die auf Delors folgenden Kommissionspräsidenten konnten dessen Impulse für eine aktivere Rolle der Europäischen Kommission nicht fortsetzen. Vielmehr kam sie zunehmend in das Blickfeld der öffentlichen Kritik an der vielfach als bürgerfern und undemokratisch verstandenen EU. Gegen Ende ihrer Amtszeit geriet die Kommission Santer (1995-1999) zudem in eine Korruptionsskandal um die Kommissarin Edith Cresson, die einen befreundeten unqualifizierten Mitarbeiter eingestellt hatte.[20] Nachdem das Europäische Parlament daraufhin mit einem Misstrauensantrag drohte, trat die Kommission am 16. März 1999 geschlossen zurück.
Auch Santers Nachfolger Romano Prodi (1999-2004) und José Manuel Durão Barroso (seit 2004) gelten vielfach als eher schwache Kommissionspräsidenten.[21] Die Ernennung der ersten Kommission Barroso war zudem von einem weiteren Konflikt begleitet, da der von Italien vorgeschlagene Kommissar Rocco Buttiglione vor der Bestätigung der Kommission durch das Europäische Parlament durch umstrittene Äußerungen über Homosexualität und Frauenrollen auffiel. Das Parlament drohte daraufhin, der Kommission die Zustimmung zu versagen. Schließlich verzichtete Buttiglione auf das Amt.[22]
Europäische Kommissionen der EG / EU seit 1967 | ||
---|---|---|
Nr. | Kommission | Amtszeit |
1. | Rey | 1967–1970 |
2. | Malfatti | 1970–1972 |
3. | Mansholt | 1972–1973 |
4. | Ortoli | 1973–1977 |
5. | Jenkins | 1977–1981 |
6. | Thorn | 1981–1985 |
7. | Delors I | 1985–1989 |
8. | Delors II | 1989–1993 |
9. | Delors III | 1993–1995 |
10. | Santer | 1995–1999 |
11. | Prodi | 1999–2004 |
12. | Barroso | seit 2004 |
Einzelnachweise
- ↑ a b Vgl. Seite der Europäischen Kommission auf der Homepage der Europäischen Union.
- ↑ Vgl. Beschluss der Kommission zur Änderung ihrer Geschäftsordnung mit komplettem Text der Geschäftsordnung im Anhang, 15. November 2005.
- ↑ Vgl. Europäische Kommission: Die wöchentlichen Sitzungen der Kommission
- ↑ Übersicht über die Protokolle der Kommissionssitzungen auf der Homepage der Kommission.
- ↑ Vgl. Europäische Kommission: Wie fasst die Kommission ihre Beschlüsse?
- ↑ Vgl. die Homepage der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin und der Vertretung der Europäischen Kommission in Wien.
- ↑ Europa-digital, 28. Juni 2009: Cornelia Brüll: Die Sprachpraxis in den Organen der Europäischen Union.
- ↑ a b Vgl. Vertrag über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon.
- ↑ EurActiv, 12. Dezember 2008: Erneute Abstimmung über Lissabon-Vertrag an EU-Beitritt Kroatiens geknüpft.
- ↑ Vgl. Gabriele Clemens u.a., Geschichte der Europäischen Integration, Paderborn 2008, S. 102f.
- ↑ Vgl. Gabriele Clemens u.a., Geschichte der Europäischen Integration, Paderborn 2008, S. 104.
- ↑ Vgl. Gerhard Brunn, Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, Bonn 2004, S. 85.
- ↑ Vgl. Gabriele Clemens u.a., Geschichte der Europäischen Integration, Paderborn 2008, S. 132 und 135.
- ↑ Vgl. N. Piers Ludlow, "A supranational Icarus: Hallstein, the early commission and the search for an independent role", in: Antonio Varsori (Hrsg.), Inside the European Community: actors and policies in the European integration 1957-1972, Baden-Baden 2006.
- ↑ Vgl. Gerhard Brunn, Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, Bonn 2004, S. 147.
- ↑ Vgl. Gerhard Brunn, Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, Bonn 2004, S. 174.
- ↑ Vgl. Gerhard Brunn, Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, Bonn 2004, S. 221-223.
- ↑ Vgl. Gerhard Brunn, Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, Bonn 2004, S. 239f. und 251f.
- ↑ Vgl. Gabriele Clemens u.a., Geschichte der Europäischen Integration, Paderborn 2008, S. 243.
- ↑ Vgl. Gerhard Brunn, Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, Bonn 2004, S. 303f.
- ↑ Vgl. z. B. Salzburger Nachrichten, 18. Juni 2009: Nur ein schwacher Präsident ist ein guter Präsident.
- ↑ Süddeutsche Zeitung, 30. Oktober 2004: Rocco Buttiglione: "Ich biete meinen Rückzug an".