Dietrich Bonhoeffer

deutscher evangelisch-lutherischer Theologe, Vertreter der Bekennenden Kirche
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Dietrich Bonhoeffer (* 4. Februar 1906 in Breslau; † 9. April 1945 im KZ Flossenbürg) war ein deutscher evangelisch-lutherischer Theologe, profilierter Vertreter der Bekennenden Kirche und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus.

Leben

1906-1932

Dietrich Bonhoeffer wurde in Breslau als das sechste von acht Kindern geboren. Sein Vater war Karl Bonhoeffer, einer der führenden Psychiater und Neurologen seiner Zeit. Seine Mutter Paula Bonhoeffer, geborene von Hase, war eine Lehrerin aus einer Familie evangelischer Theologen und Künstler. Bonhoeffer wuchs in einer großbürgerlichen Familie auf, die stets mindestens fünf Hausbedienstete hatte. Die Mutter unterrichtete die Kinder daheim und führte alle zum Abitur. 1911 zog die Familie nach Berlin um, weil der Vater einen Ruf auf einen für ihn eingerichteten Lehrstuhl an der Universität Berlin erhalten hatte.

1923 bestand Bonhoeffer mit 17 Jahren am Berliner Grunewald-Gymnasium (heutiger Name: Walther-Rathenau-Oberschule Berlin) das Abitur. Auch sein Bruder Klaus Bonhoeffer und sein späterer Schwager Hans von Dohnanyi legten dort ihre Prüfung ab. Danach nahm Bonhoeffer in Tübingen das Studium der Theologie auf. Der Entschluss dazu hing wohl mit dem Tod seines zweitältesten Bruders Walter im 1. Weltkrieg zusammen, den er bewusst erlebte. Seine Familie wurde von seinem Studienfach überrascht, unterstützte ihn aber in seinem Vorhaben.

Im Studium wurde Bonhoeffer bereits mit der Theologie Karl Barths konfrontiert, den er neben Adolf von Harnack zu seinen prägendsten Lehrern zählte. 1927 mit 21 Jahren promovierte er in Berlin summa cum laude mit der Dissertation "Communio Sanctorum". 1928 wurde er Vikar in der deutschen evangelischen Kirchengemeinde von Barcelona, 1929 Assistent an der Berliner Universität, wo er sich 24-jährig mit der Schrift "Akt und Sein" habilitierte. Es folgte ein Jahr am Union Theological Seminary in New York. Dort lernte er in den Kirchengemeinden Harlems praktische Pastoralarbeit kennen und erlebte die Folgen der Weltwirtschaftskrise, die besonders die Afroamerikaner und Farmer traf. Obwohl er der US-amerikanischen Theologie skeptisch gegenüberstand, beeinflusste ihn das "social gospel" stark.

Nach seiner Rückkehr bekam er 1931 eine Lehrposition an der Berliner Universität und wurde im November 1931 ordiniert.

1933-1939

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde in Bonhoeffers Familie sehr kritisch wahrgenommen. Sein Vater Karl sagte dazu sofort: "Das bedeutet Krieg." Am 1. Februar hielt Bonhoeffer den Radiovortrag "Wandlungen des Führerbegriffes". Die Übertragung wurde aufgrund ihrer unmissverständlichen Kritik am nationalsozialistischen "Führerprinzip" abgebrochen.

Im April 1933 veröffentlichte Bonhoeffer den Aufsatz "Die Kirche vor der Judenfrage". Als einer der Ersten nahm er hier entschieden gegen den Antisemitismus des Hitlerstaates Stellung und entwarf schon im Ansatz ein Widerstandsrecht gegen das Unrecht des totalen Staates. Während die meisten evangelischen "Bekennenden Christen - darunter 1933 auch noch Karl Barth und die Jungreformatorische Bewegung - später nur die Kirchenmitgliedschaft von Christen jüdischer Herkunft verteidigten, trat Bonhoeffer für das gesamte verfolgte Judentum ein und verlangte von der Kirche, nicht nur den Staat verantwortlich zu machen und den Opfern der staatlichen Gewalt zu helfen, sondern auch "dem Rad selbst in die Speichen zu fallen", also der Staatsgewalt aktiv zu widerstehen. Wann dieses nötig werde, sei aber nur von einem Konzil zu entscheiden.

Danach engagierte sich Bonhoeffer im Pfarrernotbund und nutzte seine Auslandskontakte, um die Ökumene rechtzeitig über die innerdeutschen kirchlichen Konflikte zu informieren und von einer Anerkennung der nationalsozialistischen Kirchenpolitik abzubringen. Am 17. Oktober zog er nach England, wo er im südlichen Londoner Vorort Forest Hill (England) Pfarrer zweier deutschsprachiger Kirchengemeinden wurde. Hier lernte er auch den anglikanischen Bischof von Chichester, George Kennedy Allen Bell kennen, der in der Ökumenischen Bewegung hervorragende Arbeit leistete und nun einer seiner engsten Freunde und Partner im Kirchenkampf wurde. Für einige Monate arbeitete auch Franz Hildebrandt, den er seit 1927 kannte, mit ihm in London. Er war wie Bonhoeffers Schwager Gerhard Leibholz, nach 1945 Verfassungsrechtler, jüdischer Abstammung und von der Judenverfolgung betroffen.

1934 bildete sich infolge der Zuspitzung des innerevangelischen Konflikts um den Arierparagraphen die "Bekennende Kirche". Auf der Gründungssynode in Wuppertal-Barmen am 1. Juni verfasste Karl Barth die Barmer Theologische Erklärung, die einstimmig angenommen wurde. Martin Niemöller wurde zum Vorsitzenden des "Bruderrats" gewählt. In den folgenden Monaten ging es vor allem um die organisatorischen Konsequenzen des Bekenntnisses: Besonders die lutheríschen Landeskirchen von Thüringen, Schleswig-Holstein, Lübeck, Sachsen sowie den Kirchenprovinzen in (Alt-)Preußen waren aufgrund ihrer staatskirchlichen Tradition nicht fähig und willens, ihrer Gleichschaltung entschlossen Widerstand zu leisten. Dort gewannen nach Synodalwahlen Bischöfe und Juristen die Führungsämter, die den Deutschen Christen angehörten.

Am 15. April 1935 kehrte Bonhoeffer nach Deutschland zurück, nachdem er kurzzeitig eine Indienreise zu Mahatma Gandhi erwogen hatte. Er übernahm nun die Ausbildung angehender Pastoren im Predigerseminar Zingsthof, das später nach Finkenwalde (bei Stettin) umzog. Einer seiner ersten Studenten dort war Eberhard Bethge, der spätere Briefpartner und Biograf. 1937 wurde das Predigerseminar vom Staat geschlossen, illegal aber weitergeführt. Ferner übernahm Bonhoeffer die Vikarsausbildung für die Bekennende Kirche in Köslin und Groß-Schlönwitz, später Sigurdshof.

1938 ergaben sich erste Kontakte zu Wilhelm Canaris, Hans Oster, Karl Sack und Ludwig Beck (siehe auch Liste der Beteiligten des Aufstandes vom 20. Juli 1944). In dieser Zeit war Bonhoeffer aktiv in der Ökumenischen Bewegung aktiv; sein Bestreben war, die christlichen Kirchen weltweit zum Einsatz gegen die laufenden Kriegsvorbereitungen zu bewegen. Aufgrund dieser Aktivitäten lernte er hohe kirchliche Würdenträger in ganz Europa kennen.

Am 10. März 1939 brach Bonhoeffer zu Gesprächen u. a. mit George Bell nach London auf. Am 2. Juni folgte er einer zweiten Einladung in die USA, schlug aber bereits am 20. Juni die Bitte seines Gastgebers Smith-Leiper aus, einen Lehrstuhl in Harlem zu übernehmen, da er seine Rolle im heraufziehenden Krieg im Widerstand in der Heimat sah. So kam er am 27. Juli wieder nach Berlin und suchte nun Kontakte zur Spionageabwehr.

1940-1945

Nachdem die Gestapo am 17. März 1940 die Predigerseminare Köslin und Sigurdshof schloss, und am 14. Juli eine von Bonhoeffer geleitete Freizeit polizeilich aufgelöst wurde, führte er Gespräche mit Hans Oster und seinem Schwager Hans von Dohnanyi über eine "Unabkömmlichkeitsstellung" (UK-Stellung) für Abwehraufträge. Seine aus der Ökumenischen Bewegung bestehenden Kontakte sollte Bonhoeffer für die Verschwörer nutzen, um mit den Alliierten Verhandlungen einzuleiten. Bonhoeffer war also nicht an der Planung der Attentate selbst beteiligt, sondern diente als Verbindungsmann, offiziell im Auftrag der Abwehr.

Die nun in Gang kommende systematische Judenverfolgung und andere Grausamkeiten der Regierung bewegten Bonhoeffer zu einer Neubewertung der Situation. In Dietrich Bonhoeffers Elternhaus trafen sich eine Reihe von Gegnern des Nationalsozialistischen Regimes, die teilweise hohe Positionen innerhalb der Abwehr oder der Wehrmacht inne hatten; diese Personen beabsichtigten, Hitler durch ein Attentat umzubringen. Bonhoeffer schloss sich diesem Widerstandskreis nach langem Bedenken an. Die Frage des Tyrannenmordes (Darf ein Christ gegen das Gebot "Du sollst nicht Morden" verstoßen?) beschäftigte ihn zutiefst; seine Gedanken zu dieser Fragestellung finden sich im Buch Ethik wieder, an dem er vor allem im September und Oktober 1940 in Klein-Krössin arbeitete. Am 30. Oktober wurde er der Abwehrstellung München zugeordnet, stand also im Dienst des NS-Staates - bei gleichzeitigem Rede-, Schreib- und Veröffentlichungsverbot. Ab dem 17. November hielt er sich im Kloster Ettal auf.

1941/42 unternahm er - u. a. mit Helmuth von Moltke für die deutsche Spionageabwehr und zugleich den internen Widerstandskreis - Reisen nach Norwegen, Schweden und in die Schweiz. In Sigtuna und Stockholm traf er am 31.Mai/1. Juni 1942 mit George Bell zusammen und übergab ihm geheime Dokumente über den Kreis der Widerständler und ihre Ziele für die britische Regierung. Damit verbunden war die Bitte um eine öffentliche Erklärung der Alliierten, zwischen Deutschen und Nazis nach Kriegsende zu unterscheiden. Auf diese Weise hoffte der Kreisauer Kreis die Erfolgsaussicht des geplanten Hitlerattentats zu steigern. Der britische Aussenminister Anthony Eden liess Bell jedoch wissen, dass eine Unterstützung des Widerstandes oder auch nur eine Antwort nicht im nationalen Interesse Großbritanniens läge.

Am 17. Januar 1943 verlobte Bonhoeffer sich mit Maria von Wedemeyer (*1924 †1977). Am 13. März und 21. März wurden aus der Gruppe um Canaris, Oster und Klaus Bonhoeffer Anschläge auf Adolf Hitler verübt, die fehlschlugen.

Am 5. April wurde Dietrich Bonhoeffer auf Grund eines zufälligen Aktenfundes bei seinem Schwager Hans von Dohnanyi wegen "Wehrkraftzersetzung" verhaftet und im Untersuchungsgefängnis der Wehrmacht in Tegel gefangen gehalten. Das gegen ihn eingeleitete Strafverfahren wurde von höheren Beamten, die Verbindungen zu Widerstandskreisen hatten, nach Kräften aufgehalten, so dass bis zu Bonhoeffers Tod keine weiteren förmlichen Verfahrensschritte (z.B. Anklageschrift) mehr vollzogen wurden.

Am 20. Juli 1944 unternahm Graf Schenk von Stauffenberg einen weiteren Attentatsversuch auf Adolf Hitler. Dieser überlebte knapp. Bei den nachfolgenden intensiven Verhören der Gestapo konnte Bonhoeffer und anderen Mitverschwörern keine Beteiligung daran nachgewiesen werden.

Am 21. Juli verfasst er den Text "Stationen auf dem Wege zur Freiheit". In den vier Versen "Zucht", "Tat", "Leiden" und "Tod" entfaltet Bonhoeffer eine Perspektive für das christliche Leben. Für ihn ist klar, dass das Geheimnis der Freiheit nur entdeckt werden kann, wenn man sich selbst zu bescheiden vermag. Unerlässlich ist seiner Meinung nach auch die rechte Tat ("Nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen."); hier äußert sich sein Widerspruch zu vor allem innerevangelischen Versuchen, die Kirche durch Rückbesinnung - und wie er meint Beschränkung - auf altkirchliche Traditionen wieder zu stärken. Der Satz "Nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit", wendet sich u. a. gegen die Alpirsbacher Bewegung und die Berneuchener Bewegung, zu der u. a. die Michaelsbruderschaft gehört, denen er vorwarf, nicht genug zu tun. In diesem Kontext ist auch sein Ausspruch "Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen" zu verstehen. Im vorletzten Vers der "Stationen" bekräftigt er, dass die Leidensbereitschaft unverzichtbar ist. Schließlich entfaltet er den "Tod" nach christlichem Verständnis als Durchbruch zur Freiheit

Ein interner Streit führte aber am 22. September zum Aktenfund in Zossen. - Zur Aufbewahrung von Akten gab es in Widerstandskreisen zwei Ansichten. Zum einen meinten manche, dass Akten, die die Widerstandstätigkeit belegten, aufbewahrt werden müssten, um den Alliierten nach für sie erfolgreichem Krieg nachzuweisen, dass es in Deutschland schon lange Opposition gegen Hitler gab und auf welche Personen die Sieger sich nun verlassen könnten; so etwa Hans von Dohnanyi (siehe dort). Demgegenüber meinten Bonhoeffer u. a., dass um der Sicherheit der Widerstandskämpfer willen keinerlei Dokumente aufbewahrt werden dürften.

Aus Sorge um seine Familie verzichtete er am 5. Oktober auf eine mögliche Flucht; er befürchtete Sippenhaft. Am 8. Oktober geriet Bonhoeffer in die Hände der Gestapo und kam nun in den Gestapo-Keller Prinz-Albrecht-Straße


Vom 17. Januar 1945 datiert Bonhoeffers letzter Brief an seine Eltern. Und am 7. Februar wird er in das KZ Buchenwald verlegt. Er lernt dort den britischen Mitgefangenen Payne Best kennen. Bevor Bonhoeffer am 8. April in das KZ Flossenbürg gebracht wurde, trug er Payne besondere Grüße an Bischof Georg Bell auf, falls er seine Heimat erreichen sollte, und sagte zum Abschied: "Das ist das Ende - für mich der Beginn des Lebens". (tell him that this is for me the end, but also the beginning - with him I believe in the principle of our Universal Christian brotherhood which rises above all national hatreds and that our victory is certain - tell him, too, that I have never forgotten his words at our last meeting.) [DBW 16,468]

Das Todesurteil

Am 5. April 1945 ordnete Adolf Hitler die Hinrichtung aller noch nicht exekutierten "Verschwörer" des 20. Juli 1944 an und damit auch die Dietrich Bonhoeffers. Ein SS-Gericht, oft fälschlich als Standgericht bezeichnet, verurteilte daraufhin neben Dietrich Bonhoeffer Walther-Wilhelm Canaris, Hans Oster, Karl Sack, Theodor Strünck und Ludwig Gehre am 8. April 1945 zum Tode durch den Strang. Der Prozess war ein reiner Scheinprozess, um dem Mord das Mäntelchen des Justizförmigen umzuhängen; die Prozessakten gegen Bonhoeffer, die bei einem Bombenangriff auf Berlin verbrannt waren, lagen nicht vor. Ankläger war Walter Huppenkothen, der zuvor bereits in einem flüchtigen Standgericht den halb besinnungslos auf einer Bahre liegenden Dohnanyi, den Schwager Dietrich Bonhoeffers, zum Tode verurteilen ließ. Richter über Bonhoeffer war Otto Thorbeck, Inhaber der Chefrichterstelle beim SS- und Polizeigericht in München (schon 1941 aus dem regulären Justizdienst ausgeschieden), der als Vorsitzender amtierte (er wurde übrigens 1956 wegen des Flossenbürgverfahrens vom BGH freigesprochen - Text des Urteils unter Links). Beisitzer waren der Kommandant des KZ Flossenbürg Max Koegel und eine weitere unbekannte Person. Verteidiger waren nicht anwesend, Zeugen wurden nicht vernommen. Die "Verhandlung" fand ohne Protokollführer statt; eine "neue" Akte wurde nicht angelegt.

Zur Erniedrigung der Angeklagten und Belustigung des SS-Personals mussten sich alle zur Hinrichtung bestimmten zuvor völlig entkleiden und nackt zum Galgen gehen. Der Lagerarzt beobachtete die Szene und berichtete später, Bonhoeffer habe völlig ruhig und gesammelt gewirkt, sich von allen Mithäftlingen verabschiedet und ein kurzes Gebet gesprochen.

Dietrich Bonhoeffer wurde in der Morgendämmerung des 9. April 1945 durch Erhängen hingerichtet.

Vergangenheitsbewältigung

Am 15. September 1945 erstattete Adolf Grimme, der zum Widerstand der Roten Kapelle gehört hatte, Anzeige gegen den NS-Richter Manfred Roeder wegen Beteiligung an den Urteilen gegen Dietrich Bonhoeffer, Hans von Dohnanyi und 49 Mitglieder der Roten Kapelle. Das Verfahren wurde jedoch - sehr umstritten - eingestellt.

Das Todesurteil gegen Bonhoeffer und andere Widerstandskämpfer galt bis in die 90er Jahre offiziell als rechtsgültig, so dass seinen Verwandten z.B. keine Entschädigungen als Verfolgten des Naziregimes zugesprochen wurden. Erst durch einen Bundestagsbeschluss wurden NS-Unrechtsurteile für nichtig erklärt und damit auch Bonhoeffer formell für unschuldig erklärt.

Ob er dies gewollt hätte, bleibt allerdings sehr fraglich. Denn er nahm die Konsequenz seines Widerstands, den Tod als Rechtsbrecher im Sinne des Staatsgesetzes, bewusst an. Er sah sich nicht als "unschuldig", sondern nahm seinen Tod als Folge seines Handelns aus Gottes Hand: "Wer das Schwert nimmt, kann (wird) durch das Schwert umkommen." (Mt. 26, 52) Seine "Ethik" erklärt ausdrücklich, dass ein Christ im Gehorsam gegen Jesus Christus wagen muss, Sünde auf sich zu nehmen: ja dass er in die Lage kommen kann, um der Liebe und Wahrheit willen alle Gebote zu übertreten, lügen, betrügen, stehlen und sogar morden zu müssen.

Wie wenig das in Bonhoeffers Kirche verstanden wird, zeigt die Tatsache, dass die Berlin-Brandenburgische Landeskirche seinen Namen in der Kanzelabkündigung zum 20. Juli 1945 verschwieg. Zudem hieß es in der Empfehlung an die Pfarrer, Christen könnten den Anschlag "niemals gutheißen, in welcher Absicht er auch ausgeführt sein mag. Aber unter denen, die haben leiden müssen, waren Ungezählte, die einen solchen Anschlag niemals gewollt haben." Als echter christlicher Märtyrer galt nur Paul Schneider, der an der Seite von Juden ins KZ und die Gaskammer gegangen war, aber keinen politischen Widerstand geübt hatte. Diese Trennung in gute und böse Märtyrer wurde von denselben Amtsträgern vollzogen, die Hitler großenteils begeistert zugejubelt hatten, ihre Kirchenglocken zu seinem Geburtstag läuten ließen und diese dann als Munition für den Krieg stifteten. So protestierten auch einige Bielefelder Pastoren 1948 gegen Straßenbenennungen nach Bonhoeffer, "weil wir die Namen unserer Amtsbrüder, die um ihres Glaubens willen getötet sind, nicht in eine Reihe mit politischen Märtyrern gestellt wissen wollen." Darauf antwortete der Vater Karl Bonhoeffer:

"Mein Sohn hätte an sich gewiß nicht den Wunsch gehabt, daß Straßen nach ihm benannt werden. Andererseits bin ich überzeugt, daß es nicht nach seinem Sinn wäre, sich von den aus politischen Gründen ums Leben Gebrachten, mit denen er jahrelang im Gefängnis und KZ zusammen gelebt hat, zu distanzieren."

Er verzichtete darauf, Einspruch gegen die Straßenbenennung zu erheben.

Dietrich Bonhoeffer hatte seine Wahl in voller individueller Verantwortung getroffen, weil die Kirche seiner Zeit nicht zu einem rechtzeitigen Widerstand bereit und fähig gewesen war. In seinen Gefängnisbriefen schrieb er ein stellvertretendes Schuldbekenntnis für die Kirche nach Hitler und entwarf die Vision einer zukünftigen Kirchengestalt ohne staatliche Priviligien an der Seite der Armen und Verfolgten.

Während diese Vision in Deutschland und Mitteleuropa weithin unbeachtet blieb, ist sie in den Armuts- und Befreiungsbewegungen der Ökumene außerhalb Europas aufgegriffen und teilweise umgesetzt worden: etwa in Südafrika noch während des Apartheidregimes oder den Basisgemeinden Brasiliens und Mittelamerikas.

Theologie

Bonhoeffers zentrales Thema sind Jesus Christus und die in ihm begründete Kirche: Kirche als Leib Christi, die sich zusammensetzt als die Gemeinde der Christus Nachfolgenden; Kirche als eine von Gott zur Solidarität mit der Welt beauftragte Gemeinschaft. Auch wenn Bonhoeffer individuelle Frömmigkeit und ethisches Handeln des Einzelnen bedenkt, tut er das dennoch vor dem Hintergrund des Eingebettet-Seins des Einzelnen in die christliche Gemeinschaft. Die Religionskritik des 19. Jahrhunderts ist für Bonhoeffer in seinem Nachdenken über Christus als dem Grund der Kirche gegenwärtig: Die Fragen nach der Wahrheit theologischer Sätze und Fragen nach der Übereinstimmung mit dem Leben bestimmen seine Theologie. Bonhoeffer sehnt sich nach der Begegnung der Wahrheit und der Wirklichkeit in Christus. Bonhoeffers Werk sperrt sich von diesen Grundüberlegungen her in eine Einordnung in die klassischen Disziplinen evangelischer Universitätstheologie.

Der Mittelpunkt, um den sich Bonhoeffers Theologie entwickelt, ist Jesus Christus, der einzige Erlöser, in dem das Wunder der Menschwerdung Gottes geschieht. Von diesem Mittelpunkt her ergänzen und bedingen sich theologisches Nachdenken, spirituelle Tiefe und ethisches Verantwortungsbewusstsein. Das Verlassen dieses Mittelpunktes –sei es im Dialog mit Religionen und Weltanschauungen, sei es im täglichen Leben- bedeutet die Aufgabe des Christ-Seins. Doch braucht nicht nur der Radius einen Mittelpunkt, sondern der Mittelpunkt braucht auch einen Radius. Bonhoeffer sieht die Gefahr des Christomonismus und des Fundamentalismus, wenn kein oder nur ein kleiner Radius um den Mittelpunkt zugelassen wird. Deshalb sagt er 1944: „Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“ Sie ist da für die Welt, nicht als bloßer Selbstzweck. Christ-Sein besteht im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Das geistliche wie geistige Wahrnehmen der Mitte ist die Grundlage christlicher Existenz.

Das Charakteristikum seiner Theologie, intensive und gleichzeitig extensive Ausrichtung des christlichen Lebens, ermöglicht Bonhoeffer eine sowohl weltliche wie auch kirchliche Theologie. Dieses weite Spektrum lädt zu sehr unterschiedlichen Interpretationen seines Werkes ein und macht Bonhoeffer zum Kronzeugen durchaus unterschiedlicher theologischer Schulen und Denkrichtungen.

Bonhoeffer verweist die Theologie einerseits auf ihren Bezug zur Kirche: Theologie ist für ihn betendes Denken, Denken auf Knien. Andererseits geht er so weit wie kaum ein anderer vor ihm: Er skizziert in den Briefen aus dem Gefängnis ein Programm vom religionslosen Glauben und der weltlichen Rede von Gott. Im Fragment seiner „Ethik“ verwirft Bonhoeffer das jahrhundertelang vorherrschende Denkmodell der „Zwei-Reiche-Lehre“: Hier Kirche, da die Welt; hier Evangelium, da Gesetz. Er konstatiert dagegen: „Je ausschließlicher wir Christus als den Herrn bekennen, desto mehr enthüllt sich die Weite seines Herrschaftsbereiches…Alles wäre verdorben, wollte man Christus nur für die Kirche aufbewahren…Christus ist für die Welt gestorben und nur mitten in der Welt ist Christus Christus. Seit Gott in Christus Fleisch wurde und in die Welt einging, ist es uns verboten, zwei Räume, zwei Wirklichkeiten zu behaupten: Es gibt nur diese eine Welt.“ Der fromme, glaubende Bonhoeffer ist aufgrund dieser Erkenntnis immer auch der weltliche Bonhoeffer. In der Gegenwart ist der Glaubende gefragt. Bonhoeffer hebt in seinem Denken nicht nur das Nebeneinander-Stehen der beiden Räume und Wirklichkeiten auf. Er befreit auch die jetzige Welt von ihrem herabgeminderten Status des Vorläufigen. Das „Vorletzte“ ist „Hülle des Letzten“, die Welt ist Hülle Gottes. Wenn dem so ist, kommt der gläubige Mensch nur durch die Welt zu Gott, nicht an der Welt vorbei. Auch hier bricht Bonhoeffer mit alten theologischen Mustern, die den Wert des Natürlichen und die Eigenständigkeit des Diesseitigen abqualifizieren. So kann Bonhoeffer auch den Kritikern wie Ludwig Feuerbach, Karl Marx oder Sigmund Freud etwas entgegensetzen, die den christlichen Glauben als illusionär und auf ein Jenseits vertröstend kritisierten. Glauben an Gott gibt es, so Bonhoeffer, nur im Diesseits. Gott ist Mitte und Grund der Welt. Der pure „Jenseits-Gott“ ist das Wesenskonstitutive der „Religion“. Eine solche Religion wird von Bonhoeffer abgelehnt; der Mensch kann und muss religionslos, weltlich von Gott reden: Christus kam in die Welt und so lässt sich nur weltlich von Gott reden. Die Welt ist Hülle Gottes, so lässt sich nur verhüllt, eben weltlich von Gott reden.

Da der Christ nun in die Welt gestellt ist, ist er ebenfalls vor Entscheidung gestellt. Der Christ macht sich durch Tun aber auch durch Unterlassen schuldig. Bonhoeffer nimmt sich nun in besonderer Weise dem Gedanken der Rechtfertigung des Sünders durch Gott an. Und das, was dem Einzelnen zuteil wird, gilt auch für die Gemeinschaft der Glaubenden, der Kirche. Die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, und die Bereitschaft, dadurch Schuld auf sich zu nehmen, führen nur dann nicht zur Verzweiflung, wenn sich der glaubende Mensch und auch die Gemeinde der „teuren Gnade“ Gottes gewiss sein können. „Teure Gnade“ ist aber nur zu erhalten im strengen Gehorsam gegenüber Christus. Die Rechtfertigung des Sünders geschieht nur in der Nachfolge Jesu Christi. Auch hier ist wieder zu erkennen, dass das Bewegen im Radius um den Mittepunkt Jesus Christus nur möglich ist in engen Bezug auf diese Mitte hin. Und so wie der einzelne Christ der Rechtfertigung durch Gott bedarf, so bedarf es auch die Kirche als die Gemeinschaft der Glaubenden. Auch sie steht in der Welt um Entscheidungen zu fällen und sich gegebenenfalls schuldig zu machen durch ihr Tun oder ihr Unterlassen. Aber auch sie kann und darf nicht vor den Entscheidungssituationen weglaufen, wenn sie um die teure „Gnade Gottes“ weiß. Die vorfindliche Kirche beschäftigt Bonhoeffer in verschiedenen Veröffentlichungen. Er leidet an ihr und er ist mit ihr solidarisch. In Anlehnung an [Hegel]]s Wort „Gott als Gemeinde existierend“ spricht Bonhoeffer von „Christus als Gemeinde existierend“ Gott tritt in seiner Offenbarung aus sich heraus, er ist nicht frei vom Menschen, sondern frei für den Menschen. Kirche ist gleichwohl „Offenbarungsform“ wie auch „ein Stück Welt“ (Dissertation „Sanctorum Communio“) So wie „Christus der Mensch für andere ist“ folgt für Bonhoeffer dann: „Kirche ist immer nur Kirche für andere“. 1931 schreibt Bonhoeffer in seiner Habitilation „Akt und Sein“: „Gott ist da; d.h. nicht in ewiger Nichtgegenständlichkeit, sondern mit aller Vorläufigkeit ausgedrückt, habbar, fassbar in der Kirche.

Wird heute die Aufspaltung zwischen persönlicher Frömmigkeit, gemeindlichem Leben und universitärer Theologie beklagte, so kann der Ansatz Bonhoeffers hilfreich sein, diese Aufspaltung zu überwinden. Bonhoeffer verbindet Lehre und Leben; Denken, Reden und Tun. Theologie verliert dann ihre scheinbare Objektivität der normativen Sätze und gewinnt eine lebendige Subjektivität, die sich dann durchaus kontroverser Diskussion aussetzt. Glauben gewinnt dann aber auch an Glaubwürdigkeit. Das Problem „erfahrungslosen Redens von fremden Erfahrungen“ (Eugen Drewermann), das Mitteilen und Reden über etwas statt des Redens von sich und des Sich-Einbringens kann so überwunden werden. Möglich ist es allerdings nur bei strenger Konzentration auf die Mitte Jesus Christus, die dann zur Auseinandersetzung mit der Peripherie ermutigt und befähigt.

Werke

  • Dietrich Bonhoeffer Werke (18 Bände) Hrsg. Eberhard Bethge. Gütersloher Verlagshaus (1986-1999)

Biographien

  • Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Theologe - Christ - Zeitgenosse. Eine Biographie, ISBN 3-579-02272-5
    (Dies ist die Standardbiographie aus der Feder seines Freundes und des Ehemanns seiner Nichte Renate)
  • Eberhard Bethge, Renate Bethge, Christian Gremmels, Dietrich Bonhoeffer. Bilder aus seinem Leben, ISBN 3-579-02273-3
  • Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, ISBN 3-499-50236-4 (153 Seiten umfassendes TB)
  • Renate Bethge, Dietrich Bonhoeffer: Eine Skizze seines Lebens. Gütersloh Verlaghaus 2004. ISBN 3579071009
  • Renate Wind, Dem Rad in die Speichen fallen Beltz & Gelberg: 2001, ISBN 3407788053
  • Christian Gremmels, Hans Pfeifer, Theologie und Biographie. Zum Beispiel Dietrich Bonhoeffer, Chr. Kaiser: München 1983, ISBN 3-459-01478-4
  • Carl-Jürgen Kaltenborn, Dietrich Bonhoeffer, Union Verlag: Berlin 1985, 4. Aufl.
  • Wilhelm Landgrebe, Dietrich Bonhoeffer. Wagnis der Nachfolge, Brunnen Verlag: Giessen/Basel 1986, 6. Aufl., ISBN 3-7655-3129-4
  • Sabine Leibholz-Bonhoeffer, vergangen - erlebt - überwunden. Schicksale der Familie Bonhoeffer, Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 1983, ISBN 3-579-03961-X
  • Arno Pagel, Ein Sommer mit Dietrich Bonhoeffer und andere Begegnungen, Johannis: Lahr 1994, ISBN 3-501-01211-X

Literatur

  • Christian Feldmann, Wir hätten schreien müssen. Das Leben des Dietrich Bonhoeffer, Herder Freiburg 1998 ISBN 3451051656
  • Georg Huntemann, Der andere Bonhoeffer. Die Herausforderung des Modernismus, 1989, ISBN 3-41-712570-7
  • Günter Spendel, Justiz und NS-Verbrechen. Die "Standgerichtsverfahren" gegen Admiral Canaris u.a. in der Nachkriegsrechtsprechung in: Derselbe, Rechtsbeugung durch Rechtsprechung, 1983 ISBN 3-11-009940-3 S.89-115

Filme

Siehe auch: Bonhoeffer