Antiochia am Orontes oder Antiochien (altgriech. Vorlage:Polytonisch Antiócheia hē epì Oróntou, auch Vorlage:Polytonisch Antiócheia hē Megálē, "Antiocheia die Große"; lat. Antiochia ad Orontem) im antiken Syrien (heute Antakya in der Türkei). Sie ist die bekannteste mehrerer antiker Städte dieses Namens, die von verschiedenen Königen der Seleukidendynastie gegründet wurden.
Lage
Antiochias Lage in der Türkei |
Antiochia liegt am Fluss Orontes (arabisch Nahr al-Asi) rund 30 km vom Meer und seiner Hafenstadt Seleukia Pieria (im Mittelalter St. Simeon) entfernt. Im Osten ist sie von vier Bergen umgeben, im Westen durch den fischreichen Fluss.
Guibert von Nogent schreibt:
„Die Schönheit der Stadt Antiochia ist unvergleichlich, in der Erhabenheit ihrer Gebäude keiner zweiten gleich, sie ist anmutig gelegen, mit einem unvergleichlichen Klima, inmitten fruchtbarer Weingärten und reicher Feldern.“
Antike
Die Stadt wurde unter dem Namen Antigoneia am Orontes 307 v. Chr. von Antigonos I. gegründet. Nach dessen Niederlage gegen Seleukos I. wurde sie 300 v. Chr. an die heutige Stelle verlegt und in Antiochia am Orontes umbenannt. Den Namen erhielt die Stadt zu Ehren von Seleukos' Vater Antiochos. Die Stadt wurde zu einer der Hauptstädte des Seleukidenreiches und entwickelte sich zu einer der bedeutendsten Weltstädte der Antike. Einst wurden dort heilige Spiele ausgetragen, die mit den Olympischen konkurrierten. Antiochias Vorstadt Daphne war Ort eines bedeutenden Apollonheiligtums und eines berühmten Hains, der viele (heidnische) Pilger anzog und mindestens bis ins 6. Jahrhundert bestand. Antiochia lag am Schnittpunkt verschiedener Handelsrouten, was den Aufschwung der Stadt sehr beschleunigte. Nachdem 64 v. Chr. der seleukidische Rumpfstaat von den Römern beseitigt worden war, wurde Antiochia Hauptstadt der römischen Provinz Syria.
In römischer Zeit zählte Antiochia wohl bis zu 500.000 Einwohner und war eine der fünf wichtigsten Städte des Römischen Reiches. Die Stadt nahm aber auch in der Geschichte des Christentums einen bedeutenden Platz ein, siehe etwa Antiochenische Schule. Aus Antiochia stammte Nikolaus, einer der ersten sieben Diakone. Nach der Überlieferung versammelte sich in der St.-Petrus-Grotte die erste christliche Gemeinde um Paulus, Barnabas, Petrus und dann um die ersten Bischöfe der Stadt. Hier wurden die Jünger Christi erstmalig Christen (christianoi, siehe Apostelgeschichte) genannt. Mit der Etablierung der christlichen Kirche wurde Antiochia, das offenbar bereits um die Mitte des 4. Jahrhunderts recht weitgehend christianisiert war (siehe die Reaktion auf den Besuch Julian Apostatas), Sitz eines der ursprünglich drei, später fünf altkirchlichen Patriarchate, gemeinsam mit Rom, Konstantinopel, Alexandria und Jerusalem. Wie Rom berief es sich auf den Apostel Petrus als Gründerbischof, der nach kirchlicher Tradition erst später nach Rom ging und dort das Martyrium erlitt. Heute beanspruchen mehrere Kirchen die legitime Nachfolge dieses Patriarchats; siehe hierzu Patriarchat von Antiochia.
In der Spätantike blieb Antiochia, ungeachtet einiger schwerer Erdbeben sowie mehrerer Plünderungen durch die Sassaniden (253 oder 256 und 260 durch Schapur I., möglicherweise mit Hilfe des Überläufers Mareades) eine höchst bedeutende Stadt im (ost-)römischen Reich. So zählten die rhetorischen Schulen der Stadt im 4. Jahrhundert neben den Schulen Athens, Alexandrias und Konstantinopels zu den führenden des Reiches; mehrere bedeutende Lehrer sind namentlich bekannt, so etwa Ulpianus von Antiochia, Eusebius Arabs, Aedesius rhetor und sein Schüler Zenobius Rhetor sowie vor allem der berühmte Libanios. Auch der (neben Prokopios von Caesarea) bedeutendste spätantike Historiker Ammianus Marcellinus, ein Zeitgenosse des Libanios, stammte vermutlich aus Antiochia. Der Niedergang der Metropole begann erst im 6. Jahrhundert: Nach dem verheerenden Erdbeben von 526, dem nach Johannes Malalas bis zu 250.000 Menschen zum Opfer fielen, und der Einnahme und Zerstörung der Stadt durch den Sassanidenkönig Chosrau I. (540), der einen Großteil der Einwohner deportierte und bei Ktesiphon in einer eigenen Stadt („Chosrauantiochia“) ansiedelte, wurde die Stadt unter Kaiser Justinian I. neu aufgebaut (neuer Name Theoupolis, „Stadt Gottes“); sie umfasste nun aber nur noch einen Teil des früheren Areals. Ganz am Ende der Spätantike wurde Antiochia 638-41 durch die Araber erobert (siehe Islamische Expansion), womit auch hier das Mittelalter begann.
Mittelalter
Obwohl die große Zeit der Stadt vorbei war, war sie auch im Mittelalter nicht unbedeutend. Erst 969 wurde Antiochia durch den byzantinischen Kaiser Nikephoros II. zurückerobert, wodurch die Stadt einen gewissen Aufschwung nahm. 1070 war Peter Libellisios kaiserlicher Statthalter, Isaak Komnenos 1074-1078. Nach der byzantinischen Niederlage in der Schlacht von Manzikert (1071) ergriff dann der armenische Abenteurer Vasak die Macht, wurde aber 1076 oder 1080 durch byzantinische Soldaten getötet, und der ehemalige byzantinische General Philaretos Brachamios übernahm die Herrschaft. 1085 fiel die Stadt an den seldschukischen Sultan Malik Schah I.. 13 Jahre später wurde sie von den Kreuzfahrern erobert und nicht wie vereinbart an Byzanz zurückgegeben, sondern zur Hauptstadt des unabhängigen Fürstentums von Antiochien gemacht.
Während des 12. und 13. Jahrhunderts blieb Antiochia in der Hand der Kreuzfahrer, bis es 1268 durch die Mameluken unter Sultan Baibars endgültig erobert wurde. Baibars zerstörte die Stadt so schwer, dass sie nie wieder größere Bedeutung erlangte. Die gesamte christliche Bevölkerung wurde versklavt, was zu einem Verfall der Preise für Sklaven führte. Antiochia wurde schließlich zu einer unbedeutenden Kleinstadt. 1517 wurde sie Teil des osmanischen Reiches. Der griechisch-orthodoxe Patriarch von Antiochien residiert seit Ende des 14. Jahrhundert in Damaskus. Zur Geschichte in der Neuzeit siehe Antakya.
Antike Überreste und Umgebung
Da die moderne Stadt auf der durch Schwemmerde des Orontes mehrere Meter hoch verschütteten antiken Stadt liegt, sind praktisch keine antiken Überreste mehr zu sehen. Nur die eindrucksvolle Stadtmauer hat sich auf dem Berg über Antakya erhalten. Beeindruckend ist das 30 m große Eiserne Tor in der Parmenios-Schlucht. Kürzlich wurden auch die Grundmauern einer Neustadt außerhalb der Stadtmauern entdeckt.
Die Funde aus dem antiken Antiochia befinden sich heute im Archäologischen Museum von Antakya. Besonders bemerkenswert ist die sehr bedeutende Sammlung römischer Mosaike, die vor allem während der Ausgrabungen der Princeton University 1933–39 gefunden wurden.
Nur eine frühchristliche Kirche ist noch zu sehen, die St.-Petrus-Grotte, die etwas außerhalb an einem Berghang zu finden ist. Der Legende nach soll sie vom Apostel Petrus geweiht worden sein, der Bau ist jedoch wesentlich jünger.
Inmitten von zahlreichen Quellen, welche das Trinkwasser für die Stadt liefern, und riesigen Lorbeerbäumen liegt etwa fünf Kilometer entfernt die bereits erwähnte Vorstadt Daphne (heute Harbiye). Der Ort war während der Römerzeit ein Villenvorort und wurde nach der Nymphe Daphne benannt, welche sich, einer Sage nach, hier vor Apollon verstecken wollte und sich deshalb in einen Lorbeerbaum verwandelte. Aus diesem Grund wurden in Daphne in einem weithin berühmten Hain die Nymphen verehrt. Auch soll einst Kleopatra an diesem Ort geheiratet haben.
Oberhalb von Antiochia befindet sich im Gebirge ein monumentales Felsbild, Chairon genannt, das die Stadt vor Unheil beschützen sollte. Laut dem Chronisten von Antiochia, Johannes Malalas, errichteten die Bewohner der Stadt das Monument als Schutz vor einer Seuche unter Antiochos IV.
Literatur
- Gunnar Brands: Orientis apex pulcher – Die Krone des Orients. Antiochia und seine Mauern in Kaiserzeit und Spätantike. In: Antike Welt. Zabern, Mainz 35.2004,2, S. 10–16, ISSN 0003-570X.
- Glanville Downey: A history of Antioch in Syria. From Seleucus to the Arab conquest. Princeton 1961.
- Wolfram Hoepfner: »Antiochia die Große«. Geschichte einer antiken Stadt. In: Antike Welt. Zabern, Mainz 35.2004,2, S. 3–9, ISSN 0003-570X.
- Christine Kondoleon (Hrsg.): Antioch. The lost ancient city. Princeton 2000, ISBN 0-691-04933-5.
- J. H. W. G. Liebeschuetz: Antioch. City and imperial administration in the later Roman Empire. Oxford 1972 (Nachdruck 2003), ISBN 0-19-814295-1.
- V. Laurent, La chronologie des gouverneurs d'Antioche sous la seconde domination byzantine, Melanges de l'Université Saint-Joseph 38, 1962, 219-54.
- Hans Eberhard Mayer: Varia Antiochena. Studien zum Kreuzfahrerfürstentum Antiochia im 12. und frühen 13. Jahrhundert. (=Monumenta Germaniae historica - Studien und Texte 6). Hannover (Hahn) 1993, ISBN 3775254064.
- Richard Stillwell (Hrsg.): Antioch on-the-Orontes. Publications of the Committee for the Excavation of Antioch and its Vicinity.
- Band 1: George W. Elderkin: The excavations of 1932. Princeton 1934.
- Band 2: The excavations, 1933–1936. Princeton 1938.
- Band 3: The excavations, 1937–1939. Princeton 1941.
- Band 4,1: Frederick O. Waage: Ceramics and Islamic coins. Princeton 1948.
- Band 4,2: Dorothy B. Waage: Greek, Roman, Byzantine and Crusaders’ coins. Princeton 1952.
- Band 5: Jean Lassus: Les portiques d’Antioche. Princeton 1972.