Die deutsche S-Mine (Abkürzung für Schrapnellmine, Splittermine oder Springmine, auch bekannt als Bouncing Betty) ist die bekannteste Vertreterin aus der Minenklasse der Springminen innerhalb der Antipersonenminen. Die S-Mine wurde im Dritten Reich in den 30er Jahren entwickelt und von den deutschen Streitkräften im Zweiten Weltkrieg häufig eingesetzt.

Die S-Mine war für den Einsatz im offenen Gelände gegen ungepanzerte Infanterieeinheiten gedacht. Nach Auslösung durch Tritt oder Stolperdraht und kurzer Verzögerung wird der Minenkörper der Mine bis etwa Hüft- oder Kopfhöhe in die Luft geschleudert, wo er mit Splitterwirkung explodiert. Der tödliche Umkreis ist größer als bei einer herkömmlichen Tretmine, und im Gegensatz zur Tretmine, die meistens nur den Auslösenden verletzt, richtet sich die Wirkung der Springmine gegen eine ganze Personengruppe.
Es wurden zwei Versionen hergestellt, die ihre Namen nach dem Jahr der Einführung in die Wehrmacht erhielten: die S.Mi.35 und die S.Mi.44. Bei der S.Mi.44 handelt es sich um eine Vereinfachung des Vorgängermodells (Zünderaufnahme nicht mehr zentral, nur noch ein Detonator, Zündung der Sprengladung über einen Zugdraht) [1] [2].
Die S-Mine wurde ab 1935 produziert und stellte ein Schlüsselelement in der Verteidigungsstrategie des Dritten Reiches dar. Bis zur Produktionseinstellung im Gefolge der deutschen Niederlage 1945 wurden 1,93 Millionen S-Minen hergestellt [3]. Diese Minen fügten den gegnerischen Streitkräften schwere Verluste zu und verlangsamten deren Vorstöße in von Deutschen gehaltene Gebiete. In der Anfangsphase des Krieges, dem Sitzkrieg, wurden französische Vorstöße sogar abgewiesen. [4]
Das Konzept der S-Mine war tödlich, erfolgreich und wurde in der Folge von allen Kriegsparteien bzw. in der Nachkriegszeit nachgeahmt.
Verwendung im zweiten Weltkrieg
Die ersten alliierten Streitkräfte, die auf die S-Mine trafen, waren französische Soldaten, die im Rahmen des sogenannten Sitzkrieges zwischen dem 7. und 11. September 1939 Erkundungsvorstöße in die kohlereiche Saarregion unternahmen. Die Wirkung der S-Mine war beinahe im Alleingang dafür verantwortlich, dass die französischen Vorstöße eingestellt wurden [5]. Die S-Mine bewies damit in den Augen der deutschen Führung ihre Leistungsfähigkeit. Aufgrund ihrer Erfahrungen gaben die Franzosen der Mine den Spitznamen der stille Soldat.
Das Dritte Reich verwendete die S-Mine häufig im Zuge der Verteidigung von besetzten Gebieten und der Heimat während der alliierten Invasionen von Europa und Nordafrika. Zum Beispiel verlegte die deutsche 10. Armee 23.000 dieser Minen als Teil der Verteidigungsvorbereitungen für die alliierte Invasion von Italien [6]. S-Minen wurden an den Stränden der Normandie in Vorbereitung auf die erwartete Invasion (Operation Overlord) verlegt. Später dienten sie auch zur Verteidigung in Nordfrankreich und an der deutschen Grenze. S-Minen wurden typischerweise in Kombination mit Antipanzerminen verlegt, um den Vormarsch sowohl von Infanterie als auch Panzerkräften zu verhindern oder zu verzögern [5].
Während der alliierten Operationen in Europa gaben amerikanische Infanteristen der Mine den zynischen Spitznamen Bouncing Betty. Die S-Mine verfügte über eine große psychologische Wirkung auf alliierte Soldaten. In seinem Buch Mine Warfare on Land (Minenkrieg an Land) beschreibt Oberstleutnant Sloan die S-Mine als die „wahrscheinlich gefürchtetste Vorrichtung, auf die alliierte Soldaten während des Krieges stießen“.
Die Produktion der S-Mine wurde nach dem Ende des zweiten Weltkrieges eingestellt. Es gibt keine verlässlichen Informationen gefunden, was mit den verbliebenen Beständen geschah. Es kann jedoch angenommen werden, dass die Mehrzahl im Rahmen der deutschen Entwaffnung nach der Kapitulation vernichtet wurden. Wahrscheinlich wurden einige Minen zur Untersuchung und zum Reverse Engineering durch die Alliierten aufbewahrt.
Die ursprünglichen deutschen Herstellerangaben besagen, dass die S-Mine für eine Lebenserwartung von zwei bis sieben Jahren nach der Verlegung konstruiert war. Der enthaltene Sprengstoff stellt jedoch bis zum heutigen Tag eine Gefahr dar, auch der Zünder kann noch gänzlich funktionsfähig sein. Sprengstoff wie Zünder können zudem durch Korrosion und chemische Veränderungen noch weitaus empfindlicher geworden sein.
Beschreibung
Die S-Mine bestand aus einem etwa 13 cm hohen Topf aus Stahlblech mit einem Durchmesser von 12 cm (S.Mi.35) bzw. 10 cm (S.Mi.44). In diesem befand sich der eigentliche Minenkörper, der Rand des Topfes ist an seinem oberen Ende durch Bördeln an den Minenkörper gepresst und die Fuge mit einer Dichtmasse verstrichen.
Der Minenkörper setzte sich aus einem Deckel, einem Boden und dem mit vorgeformten Splittern (zunächst rund 360 Stahlkugeln, im Lauf des Krieges auch Stahlschrott und Stahlkerne aus Infanteriegeschossen) gefüllten Doppelmantel zusammen. Der Innenraum des Minenkörpers wurde mit 280 Gramm gegossenem oder pulverförmigem TNT befüllt.
Durch den Minenkörper führte senkrecht ein Standrohr (bei der S.Mi.35 zentral, bei der S.Mi.44 seitlich versetzt), das an seinem oberen Ende die Aufnahme (Außen- und Innengewinde) für den Zünder aufwies. Im Standrohr selbst befand sich ein pyrotechnischer Verzögerungssatz, der zu der Treibladung im Zwischenraum zwischen Topfboden und dem Boden des Minenkörpers (S.Mi.35) bzw. im unteren Bereich des Standrohres (S.Mi.44) führte.
Weiterhin führten drei (S.Mi.35) bzw. ein (S.Mi.44) Zündkanäle durch den Minenkörper. In der S.Mi.35 befanden sich in den drei Zündkanälen ebenfalls pyrotechnische Verzögerungssätze, in der S.Mi.44 ein Anzündhütchen und ein Abreißzünder, der über eine Stahldraht mit dem Topf verbunden war. Beim Verlegen der Mine wurden in die Zünderaufnahmen jeweils Sprengkapseln eingesetzt.
Das Gesamtgewicht der S-Mine betrug ungefähr 4 kg [1].
Verwendung
S-Minen wurden standardmäßig mit dem S-Minenzünder 35 (S.Mi.Z.35, für die S.-Mi.35) bzw. dem S.Mi.Z.44 (für die S.Mi.44) als Druckminen ("Tretminen") ausgelegt, sie konnten mit dem Zugzünder 35 (Z.Z.35), dem Zug- und Zerschneidezünder 35 (Z.u.Z.Z 35, jeweils für die S.Mi.35) bzw. dem Zugzünder 42 (Z.Z.42) oder dem S.Mi.Z.44 (für die S.Mi.44) als Drahtminen (Auslösung über "Stolperdraht") eingesetzt werden oder vor den eigenen Stellungen durch manuelle Auslösung über einen Zugdraht oder durch elektrische Zündung mit Glühzündstück 28 als Beobachtungsmine dienen.
Durch den Einsatz von Adaptern konnten auf eine S-Mine zwei (z.B. zwei Zugzünder) oder auch insgesamt drei (zwei Zugzünder und ein Druckzünder) Zünder aufgeschraubt werden, so dass die Verwendungsbreite erhöht wurde [2].
Funktion
- Durch Auslösen des Zünders (Druck auf den Druckzünder, Zug am Draht beim Zugzünder oder entweder Zug am Draht oder Nachgeben des Drahtes beim Zug- und Zerschneidezünder) wurde das Anzündhütchen angestochen und erzeugte einen Feuerstrahl, der durch das Standrohr auf den Verzögerungssatz (Zündschnur) gelangte. Der Verzögerungssatz brannte in ca. 4,5 Sekunden durch und zündete die Treibladung. Diese trieb den Minenkörper senkrecht aus dem Topf nach oben. (Die Verzögerung sollte vermeiden, dass bei einer Druckzündung der Auslösende noch auf der Mine steht und den Ausstoß und damit die volle Wirkung der S-Mine verhindert.)
- Bei der S-Mine 35 wurden durch die abbrennende Treibladung die drei Verzögerungssätze in den Zündkanälen entzündet, die nach kurzer Brennzeit (0,2 - 0,4 Sekunden) die Sprengkapseln und damit die Mine zur Detonation brachten. Die S.Mi.35 hatte dann eine Höhe von 0,7 bis 1,5 Metern erreicht. Bei der S-Mine 44 wurde nach dem Ausstoß des Minenkörpers der Stahldraht gespannt, von diesem in einer Höhe von 0,8 Metern den Abreißzünder ausgelöst, der über die Sprengkapsel die Mine zur Detonation brachte [2].
- Bei der Detonation der S-Mine in der Luft wurden die Splitter weitgehend horizontal mit großer Geschwindigkeit (bis zu 1.000 m/s) radial um den Detonationspunkt weggeschleudert.
Aus den deutschen Unterlagen geht hervor, dass die S-Mine im Umkreis von 20 m tödliche, bis zu 100 m "... wirkungsvolle Treffer gegen lebende Ziele aller Art ... " verursachen konnten, amerikanische Ausbildungshandbücher warnten vor Verlusten in bis zu 140 m Entfernung von der detonierenden Mine.[7].
Aufbau S-Mine 35 mit S.Mi.Z.35
- Druckstifte
- Sicherungsbolzen mit Sicherungsmutter und Abzugsring (wird nach der Verlegung entfernt)
- Äussere Feder des Schlagbolzens
- Innere Feder des Schlagbolzens
- Schlagbolzen
- Zündhütchen
- Verschlussschraube des Zündkanals
- Stahlkügelchen der Splitterfüllung
- Zündkanäle für die Sprengkapseln
- Sprengkapsel
- Verzögerungssatz (etwa 0,5 s) der Sprengkapsel
- Verzögerungssatz (etwas 4,5 s) der Treibladung
- Treibladung (Schwarzpulver)
- Füllschraube (Verschluss der Füllöffnung für die Sprengladung)
- Wasserfeste Versiegelung
- Sprengladung (280 g TNT)
Räumen (Aufspüren, Sichern und Entschärfen)
Die S-Mine besteht hauptsächlich aus Metall, so dass sie leicht von Metalldetektoren aufgespürt werden kann. Solch teure und unhandliche Ausrüstung stand jedoch während des zweiten Weltkrieges nur selten den vorrückenden Infanterieeinheiten zur Verfügung, die Mine musste daher im Einsatz durch vorsichtiges und sorgfältiges Tasten von Hand gefunden werden. Der Infanterist stocherte dazu mit einer Minensuchnadel oder ähnlichem Gegenstand (z. B. Messer) schräg vor sich in den Boden. Hierbei war wichtig, in einem flachen Winkel zu stochern, der nicht unbeabsichtigt den Druckzünder (Auslösekraft des S.Mi.Z 35 nur etwa 60 N ) betätigte.[7]
Sobald die S-Mine entdeckt war, konnte sie freigelegt und gesichert werden, indem in das Loch für den Sicherungsbolzen (der die Mine beim Verlegen sicherte) ein passender Stift, zum Beispiel eine Sicherheitsnadel, eingeführt wurde. Sofern die Mine mit einem Stolperdraht oder einem elektrischen Zünddraht versehen war, konnte dieser durchgeschnitten werden. Beim Zug- und Zerschneidezünder 35 durfte das Durchschneiden der Drähte aber erst nach dem Sichern des Zünders erfolgen, da dieser auch bei nachlassenden Zug auslöste.
Die Mine konnte nach dem Sicherung vorsichtig ausgegraben und der/die Zünder abgeschraubt werden. Zum Entschärfen der Mine wurden dann noch die Sprengkapseln entfernt.[7]
Aufgrund weiterer Vorrichtungen (z.B. Schutz der Minen gegen Aufnehmen durch einen zusätzlichen Sprengsatz mit Entlastungszünder unter der S-Mine) war das manuelle Räumen von S-Minen immer ein tödliches Risiko, das auch noch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges viele Opfer gefordert hat. Heutzutage werden bei der Kampfmittelbeseitigung aufgefundene verlegte S-Minen aus Sicherheitsgründen grundsätzlich durch berührungsfreies Anlegen einer Schlagladung vor Ort gesprengt.
Nachbauten
Die S-Mine stellte eine äußerst erfolgreiche Konstruktion dar. Da die Mine einen effektiven, tödlichen, furchterregenden Ruf erworben hatte, wurde sie bald von verschiedenen Ländern in der ganzen Welt in gleicher oder funktionsgleicher Form nachgebaut.
Die finnische Armee erwarb das S.Mi.35-Modell nach dem Winterkrieg. Dies war Teil eines größeren Abkommens über militärische Hilfe zwischen den beiden Nationen. Die finnischen Streitkräfte erzielten große Erfolge beim Einsatz der S-Mine, doch die Kosten hierfür waren beträchtlich. Während des Fortsetzungskrieges versuchten die Finnen, eine eigene Version der Mine herzustellen. Dabei hatten sie jedoch keinen Erfolg [3].
Die amerikanische M-1939 bouncing mine wurden nach dem Muster der S-Mine konzipiert. Die Amerikaner waren beeindruckt von der Rolle, die die S-Mine beim Zurückschlagen der französischen Offensive in der deutschen Saarregion zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gespielt hatte. Nach dem Krieg entwickelte die US-Armee die M16-Minenserie auf der Grundlage der erbeuteten Konstruktionspläne der S-Mine [8].
Die Sowjetunion gründete ihre OZM-Landminenserie ebenfalls auf der S-Mine. Die sowjetischen Minen waren in ihrem Innern weit einfacher aufgebaut. Statt mit Kugeln oder Metallsplittern gefüllt zu sein, verfügte die OZM-4 über ein solides Gehäuse, das selbst als Splittermantel dient. Bei der OZM-72-Springmine war das Gehäuse mit Stahlbolzen gefüllt, eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche S-Minen-Konstruktion. Beide Minen werden noch immer in Russland hergestellt, elektronische und elektrische Zünder und Sensoren ergänzen die eigentliche Mine.
Andere Nationen, die Eigenkonstruktionen auf der Grundlage der S-Mine hervorgebracht haben, sind zum Beispiel die Volksrepublik China und Italien.
Einzelnachweise
- Heeres-Dienstvorschrift H.Dv. 220/4 c (Ausbildungsvorschrift für Pioniere) "Anleitung für Bedienung und Einsatz der S-Mine 35" vom 01.03.1942
- Merkblatt 29a/22 "S-Mine 44 mit S-Minenzünder 44" vom 18.05.1944
- Heeres-Dienstvorschrift H.Dv. 220/4 b (Ausbildungsvorschrift für Pioniere) "Minen und Minenzünder" vom 10.09.1942
- ↑ a b H.DV. 220/4b - Ausbildungsvorschrift für die Pioniere (A.V.Pi.) Teil 4b: Minen und Minenzünder vom 10.9.44
- ↑ a b c Lone Sentry: TM-E 30-451 Handbook – Handbuch der US-Armee, Eintrag zu den SMi-35-und SMi-44-Minen sowie anderen deutschen Minen
- ↑ a b jaegerplatoon.net: Finnish Army 1918-1945 Informationen über die S-Mine mit besonderem Augenmerk auf ihren Einsatz bei finnischen Operationen
- ↑ Major William C. Schneck - The Origins of Military Mines [1]
- ↑ a b Lieutenant-Colonel C.E.E. Sloan, Mine Warfare on Land, Brassey’s, London, 1986. ISBN 0080311962
- ↑ Klaus H. Huebner, Long Walk Through War: A Combat Doctor's Diary, Texas A&M University, College Station, 1987. ISBN 9780890963203
- ↑ a b c US Army Field Manual FM 5-31, 1943
- ↑ Lieutenant-Colonel John Ingraham & Col. Dalton Jones. Technical Intelligence Bulletins 8(5), 2003. [2]
Weblinks
Englisch:
- Technical Intelligence Bulletins Sept - Oberstleutnant John Ingraham & Oberst Dalton Jones. Einzelheiten zur Beziehung zwischen der S-Mine und späteren amerikanischen Konstruktionen.
- STEINER: SMi-35 – Japanische Internetseite mit Abbildungen des US-Militärs und Diagrammen der SMi-35.
- Weapons of the Italian Campaign – Einzelheiten zum Gebrauch der S-Mine und anderer Waffen während der alliierten Befreiung Italiens.
- lexpev.nl - Technisches zu S-Mine 35, S-Mine 35 Üb und S-Mine 44