Rudolf von Scheliha
Rudolf von Scheliha (* 31. Mai 1897 in Zessel, Schlesien, † 22. Dezember 1942 in Berlin) war ein deutscher Diplomat und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus.
Bis 1933
Rudolf von Schelihas Vater war ein schlesischer Gutsbesitzer, seine Mutter war eine Tochter des preußischen Finanzministers Johannes von Miquel.
Scheliha meldete sich nach dem Abitur 1915 als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg und wurde für seinen Einsatz mit dem Eisernen Kreuz erster und zweiter Klasse sowie dem Silbernen Verwundetenabzeichen ausgezeichnet.
Nach Kriegsende nahm er ein Studium der Rechtswissenschaft in Breslau auf; im Mai 1919 wechselte er an die Universität Heidelberg, wo er dem Corps Saxo-Borussia beitrat, einer schlagenden Studentenverbindung. Dort kam von Scheliha in Kontakt mit republikfreundlichen und antitotalitären Kreisen; für die Vereinigung Heidelberger Verbindungen wurde er in den AStA gewählt und wandte sich dort mit anderen Corpsstudenten vehement gegen die antisemitischen Ausschreitungen seitens der Studentenschaft.
Im Anschluss an sein Examen 1921 wurde er zunächst Referendar am Kammergericht, später Mitarbeiter des Auswärtigen Amts und übernahm in den folgenden Jahren Aufgaben in den Auslandsvertretungen von Prag, Konstantinopel (heute Istanbul), Angora (heute Ankara), Kattowitz und Warschau; 1927 erfolgte die Ernennung zum Legationssekretär. Im selben Jahr vermählte er sich mit Marie Louise von Medinger.
1933 bis 1942
Einige Monate nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler 1933 wurde Scheliha als Diplomat Mitglied der NSDAP.
Von 1932 bis 1939 war er Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Warschau. Dort knüpfte er Kontakte zu polnischen Adeligen und Intellektuellen, die er nach Beginn des Polenfeldzugs zum Teil aufrecht erhielt und so für Nachrichten über NS-Verbrechen an das Ausland nutzen konnte.
Ab September 1939 wurde Scheliha zum Leiter einer „Informationsabteilung“ im Auswärtigen Amt ernannt, die ausländischen Presse- und Rundfunkmeldungen über deutsche Besatzungspolitik in Polen propagandistisch begegnen sollte. Dadurch konnte er NS-Beamte dazu befragen und den Wahrheitsgehalt der Auslandsberichte prüfen. In dieser Position protestierte er häufig bei NS-Dienststellen gegen deutsche Verbrechen in Polen. Auch verhalf er Polen und Juden zur Flucht ins Ausland.
Er legte heimlich eine Sammlung von Dokumenten über die Grausamkeiten der Gestapo und insbesondere über die Vernichtung der Juden in Polen an, die auch Fotographien von neu eingerichteten Vernichtungslagern enthielt. Dieses Dossier zeigte er im Juni 1941 der polnischen Gräfin Mankowska, die ihn in Berlin besuchte, um diese Deatils über sie der polnischen Widerstandsbewegung und den Alliierten bekannt zu machen.
Im Herbst 1941 lud Scheliha auch seinen polnischen Freund Graf Bninski unter dem Vorwand nach Berlin ein, dieser solle Propagandaschriften für das Auswärtige Amt gegen polnische Widerständler verfassen. Ulrich Sahm hält es in seiner 1990 erschienen Biografie über Scheliha für wahrscheinlich, dass dieser Bninski bei dieser Gelegenheit Material für eine umfassende Dokumentation der deutschen Besatzungsverbrechen weitergab. Diese im Januar 1942 vollendete Schrift wurde unter dem Titel The Nazi Kultur in Poland von polnischen Widerständlern verfasst, auf Mikrofilm festgehalten und unter hohem persönlichen Risiko der Beteiligten bis 1945 nach Großbritannien geschmuggelt. Sie gilt als einer der detailliertesten Berichte über den begonnenen Holocaust in Osteuropa aus der Kriegszeit.[1]
Im Februar 1942 beendete Scheliha seine Versuche, Exilpolen als Helfer für deutsche Propaganda vorzuschlagen und auszugeben, um diese und sich nicht noch mehr zu gefährden. In diesem Frühjahr reiste er mehrmals in die Schweiz und übermittelte ihm bekannt gewordene Informationen über die Aktion T4 und die „Endlösung der Judenfrage“ zur Weitergabe an die Aliierten, darunter Predigten des Bischofs Graf von Galen gegen die Ermordungen von Geisteskranken, Informationen über den Bau und Betrieb weiterer Vernichtungslager und Hitlers Befehl zur „Ausrottung“ der europäischen Juden.[2]
Im Herbst 1942 versuchten in Moskau ausgebildete deutsche Exilskommunisten, mit Scheliha direkten Kontakt aufzunehmen, um über ihn kriegswichtige Nachrichten aus dem Auswärtigewn Amt zu erhalten. Die Gestapo beobachtete Scheliha seit langem wegen seiner unverhohlenen kritischen Einstellung gegen die NS-Politik in Polen und suchte eine Gelegenheit, ihn auszuschalten. Diese ergab sich mit der Enttarnung verschiedener westeuropäischer und anderer Berliner Widerstandsgruppen, die von einer Gestapo-Sonderkommission als „Rote Kapelle“ zusammengefasst wurden.
Am 29. Oktober wurde Scheliha mit Ilse Stöbe, einer anderen Hitlergegnerin und Mitarbeiterin des Auswärtigen Amtes, als einer der ersten angeblichen Mitglieder der Roten Kapelle von der Gestapo festgenommen und wegen Landesverrats angeklagt. Tatsächlich hatte er zu diesem Widerstandskreis um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack keinen Kontakt gehabt und nicht für die Sowjetunion spioniert. In der Anklage wurde ihm jedoch von Sowjets bezahlte Spionage vorgeworfen. In den Vernehmungen wurden er und Ilse Stöbe gefoltert. Beide bestätigten daraufhin die konstruierten Vorwürfe, auch um anderen Kontaktpersonen das Leben zu retten.
Das Reichskriegsgericht verurteilte Rudolf von Scheliha am 14. Dezember 1942 wegen angeblichen Landesverrats zum Tode; acht Tage später, am 22. Dezember, wurde er im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee durch den Strang hingerichtet.
Aus den letzten Tagen und Minuten vor dem Tod sind folgende Äußerungen Schelihas zuverlässig überliefert:
- Ich habe keine Schuld an dem, wofür ich angeklagt bin, ich habe keinerlei Geldbeträge angenommen, ich sterbe reinen Herzens.
Historische Würdigung
In der westdeutschen Geschichtsschreibung wurde Scheliha bis 1990 als sowjetischer Spion angesehen. Am 20. Juli 1961 bedachte das Auswärtige Amt in Bonn elf seiner als Widerstandskämpfer hingerichtete Mitarbeiter mit einer Gedenktafel, darunter Albrecht Graf von Bernstorff, Ulrich von Hassell, Adam von Trott zu Solz und Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg. Rudolf von Scheliha wurde darauf nicht erwähnt, da ihm weiterhin Weitergabe von Informationen an die Sowjetunion zurt Last gelegt und diese als Verrat betrachtet wurde.
Erst neuere Forschung zur Roten Kapelle, besonders die Biografie von Ulrich Sahm, erreichte eine Revision dieser Einschätzung. Daraufhin urteilte das Kölner Verwaltungsgericht im Oktober 1995, dass von Scheliha nicht wegen Spionage, sondern in einem Scheinverfahren wegen seiner Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zum Tode verurteilt worden sei.
Am 21. Dezember 1995 wurde in einer Feierstunde mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts eine Zusatztafel mit der Inschrift „Rudolf von Scheliha 1897-1942“ angebracht.
Literatur
- Ulrich Sahm: Rudolf von Scheliha 1897-1942. Ein deutscher Diplomat gegen Hitler, Verlag C.H. Beck, München 1990, ISBN 3406347053
- Gert Rosiejka: Die Rote Kapelle. „Landesverrat“ als antifaschistischer Widerstand. - mit einer Einführung von Heinrich Scheel. ergebnisse, Hamburg 1986, ISBN 3-925622-16-0
- Gerhard Kegel: In den Stürmen unseres Jahrhunderts. Ein deutscher Kommunist über sein ungewöhnliches Leben. Dietz: Berlin 1984
Weblinks
- Vorlage:PND
- GDW-Biographie
- Biographie des Deutschen Historischen Museums
- Bericht in der F.A.Z. über Fritz Kolbe, der auch auf v. Scheliha eingeht.
- The Nazi Kultur in Poland von Rudolf von Scheliha und Johann von Wühlisch
Personendaten | |
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NAME | Scheliha, Rudolf von |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Diplomat und Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus, Mitglied der "Roten Kapelle" |
GEBURTSDATUM | 31. Mai 1897 |
GEBURTSORT | Zessel, Schlesien |
STERBEDATUM | 22. Dezember 1942 |
STERBEORT | Berlin |
- ↑ Susanne Kienlechner (Shoa.de): The Nazi Kultur in Poland. Rudolf von Scheliha und Johann von Wühlisch. Zwei Deutsche Diplomaten gegen die nationalsozialistische Kultur in Polen.
- ↑ Gerd R. Ueberschär: Für ein andees Deutschland. Der deutsche Widerstand gegen den NS-Staat 1933-1945. Fischer TB, Frankfurt am Main 2006, ISBN3-596-13934-1, S. 139