Schleifendiuretika

Gruppe harntreibender Medikamente
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Schleifendiuretika sind eine Gruppe von harntreibenden Medikamenten, die an der Henleschen Schleife (einem Teil des harnbildenden Systems der Nieren) wirken. Sie sind über kurze Zeit stark wirksam und werden deswegen auch high ceiling diuretika genannt. Bei entsprechender Flüssigkeitssubstitution ist es möglich, einen Harnfluss von 35 bis 45 Liter pro Tag zu erreichen. Chemisch handelt es sich bei den Schleifendiuretika um verschiedenartige Substanzen, die alle den gleichen Wirkmechanismus haben. Durch Hemmung eines Transportproteins in den Nierenkanälchen kommt es zu verringerter Wiederaufnahme von Ionen aus dem Primärharn und damit infolge der Veränderung des osmotischen Drucks zur vermehrten Wasserausscheidung.

Vertreter und chemischer Aufbau

 
Strukturformeln diverser Schleifendiuretika

Schleifendiuretika können chemisch unterschieden werden in Sulfonamidderivate und Nicht-Sulfonamidderivate. Zu den Sulfonamidderivaten zählen Furosemid (Lasix®), Bumetanid (Fordiuran®) und Piretanid (Arelix®). Torasemid (Torem® oder Unat®) ist ein Pyridinsulfonylharnstoffderivat. Azosemid (Luret®) ist ebenfalls ein Sulfonamid, allerdings ohne Carboxylgruppe.

Etacrynsäure (Hydromedin®) hingegen ist eine halogenierte Phenoxyessigsäure, mit angehängten Keton- und Methylengruppen. Die Methylengruppe geht eine Bindung mit Cystein ein und bildet dadurch die aktive Form des Arzneistoffs. Ein weiterer Vertreter ist Etozolin (Elkapin®).

Bei den Quecksilber-Diuretika (z. B. Novasurol®) handelt es sich um organische Quecksilberverbindungen, die jedoch heute aufgrund ihrer hohen Toxizität nicht mehr verwendet werden.

Pharmakologie

Wirkmechanismus

 
Transportprozesse im dicken aufsteigenden Teil der Henle-Schleife die von Schleifendiuretika beeinflusst werden.

In der Niere werden Stoffwechselendprodukte aus dem Blut ausgefiltert und mit dem Urin ausgeschieden. Dabei werden zuerst etwa 180 bis 200 Liter Primärharn produziert, der dann im darauffolgenden System aus Tubuli, Henle-Schleife (nach Friedrich Gustav Jakob Henle) und Sammelrohre durch Reabsorption von Wasser konzentriert wird, bis nur noch etwa 1 bis 1,5 Liter Endharn oder Sekundärharn übrigbleiben. Weiterhin werden wichtige Stoffe wie Glucose, Aminosäuren und Elektrolyte zurück in den Blutkreislauf eingebracht.

Schleifendiuretika wirken im dicken aufsteigenden Teil der Henle-Schleife, dem Hauptort der Salzabsorption, in dem bis zu 25 % des ausgeschiedenen Natriums wieder ins Blut aufgenommen (resorbiert) werden. Diese Wiederaufnahme der Natriumionen erfolgt mithilfe eines Transportproteins, dem Na+K+2Cl-Symporter (Cotransporter). Er befindet sich auf der apikalen (dem Urin zugewandten) Seite der Tubuluszellen und transportiert neben Natrium auch Chlorid- und Kaliumionen in die Tubuluszelle. Treibkraft ist der aktive Transport von Natrium aus der Zelle heraus ins Blut durch die Natrium-Kalium-Pumpe, da dies ein Konzentrationsgefälle zwischen Tubuluszelle und dem Harn innerhalb des Tubulus aufbaut. Außerdem bewirkt dieser Transport, dass das Zellinnere elektrisch negativ geladen ist. Diese negative Ladung treibt die Resorption durch passiven Transport von Magnesium- (Mg2+) und Calciumionen (Ca2+) in Zwischenräumen zwischen den Tubuluszellen an. Da die Wand des Tubulus hier undurchlässig für Wasser ist, erfolgt eine relative Verdünnung des Urins.

Schleifendiuretika wirken nun, in dem sie den Na+K+2Cl-Symporter reversibel hemmen. Natrium kann nicht zurückabsorbiert werden, weshalb der Harn sehr konzentriert bleibt. Dies führt durch Osmose zu vermehrter Wasserausscheidung. Da nun auch keine negative Membranspannung aufgebaut werden kann, verbleiben Calcium- und Magnesiumionen im Urin und gehen dem Körper verloren.

Zu beachten ist die „postdiuretische Natriumretention“, welche nach Absetzen des Medikaments eintritt. Hierbei werden die natürlichen Gegenregulationsmechanismen (sympathikoadrenales und Renin-Angiotensin-Aldosteron-System) bezüglich Wasser- und Natriumionenverlust in Gang gesetzt und die glomeruläre Filtrationsrate und somit auch das Harnvolumen reduziert.

Indikationen

Die Indikationen für Schleifendiuretika sind ähnlich denen anderer Diuretika. Hauptsächlich werden sie in der Behandlung des akuten Lungenödems und andererweitig lokalisierter, durch Herz-, Nieren- und Leberinsuffizienz verursachter Ödeme verwendet. Durch die starke Auswaschung von Calcium werden sie außerdem in der Behandlung von Hypercalcämie verwendet.

Weitere Indikationen sind akutes Nierenversagen, um den Wasserhaushalt noch eine gewisse Zeitlang kontrollieren zu können, Hyperkaliämie und als forcierte Diurese bei Vergiftungen mit Anionen (insbesondere Bromid, Fluorid und Iodid). Gleichzeitig sind große Volumina von Elektrolytlösungen nötig, um den Verlust von Natrium und Chlor auszugleichen.

Aufgrund ihrer starken Wirksamkeit sind Schleifendiuretika vorsichtig einzusetzen. Bilanzierung des Wasserhaushalts und adäquate Substitution von Elektrolyten sind vor allem bei Patienten mit Störungen des Elektrolyt- oder Säure-Base-Gleichgewichtes (z. B. Leberzirrhose) indiziert, da die Kompensationsfähigkeit besonders schlecht ist.

Kontraindikationen

Die Kontraindikationen sind die gleichen wie die der meisten anderen Diuretika. Dazu gehören Natrium- und Kaliummangel sowie Hypercalcurie (vermehrte Calciumausscheidung im Harn), da diese noch verstärkt werden, ebenso Hypovolämie, also Mangel an zirkulierendem Wasservolumen. Da zuviel Calcium im Urin die Bildung von Nierensteinen begünstigt, dürfen Schleifendiuretika bei bereits bekannten Nierensteinen nicht angewendet werden. Ebenso ist die Anwendung bei Anurie, wenn also gar kein Harnfluss mehr vorhanden ist, kontraindiziert.

Vertreter der Sulfonamidderivate dürfen bei bekannter Allergie gegen andere Sulfonamide nicht angewendet werden.

Pharmakokinetik

Alle Schleifendiuretika können sowohl oral (in Tablettenform) als auch peroral (als Infusion) verabreicht werden. Die orale Aufnahme ist fast so vollständig wie die perorale. Sie wirken sehr schnell, abhängig von der Darreichungsform innerhalb von fünf Minuten (intravenös) und einer halben Stunde (oral). Ihre maximale Wirkung erreichen sie nach etwa zwei Stunden, und sie hält zwischen sechs und acht Stunden an. Die Halbwertszeit ist abhängig von der Nierenfunktion. Zwei Drittel werden in den Nieren sowohl durch glomeruläre Filtration als auch tubuläre Sekretion ausgeschieden, das restliche Drittel wird in der Leber in die Galle abgegeben und letztlich über den Stuhl ausgeschieden. Ihre Verstoffwechselung in der Leber ist gering. Stoffwechselendprodukte von Furosemid und Etacrynsäure wurden identifiziert. Es ist jedoch unbekannt, ob sie eine diuretische Wirkung entfalten. Torasemid hingegen hat zwei aktive Stoffwechselendprodukte, M1 und M3.

Da sie ihre Wirkung auf der luminalen Seite des Tubulus entfalten, müssen sich die Schleifendiuretika, um wirksam zu werden, im Primärharn befinden. Ihre starke Bindung an Plasmaproteine hemmt jedoch die glomeruläre Filtration. Als schwache organische Säuren werden sie jedoch im proximalen Tubulus sezerniert. Dies kann jedoch durch andere organische Säuren, wie nichtsteroidale Antirheumatika(NSAID) oder Probenecid, oder bei manchen Nierenerkrankungen vermindert werden, was letztendlich die Wirksamkeit beeinträchtigt.

Nebenwirkungen

Durch die starke Wirkung der Schleifendiuretika ist eine regelmäßige Kontrolle der Elektrolytkonzentration im Serum notwendig, um – insbesondere bei Langzeitanwendung – Hypovolämie infolge zu starker Entwässerung mit daraus resultierendem Schwindel, Kopfschmerzen, Kollapsneigung und orthostatischer Hypotonie zu verhindern. In schweren Fällen kann es Dehydratation und Exsikkation kommen.

Die erhöhte Ausscheidung von Kalium (K+) und Protonen (H+) kann zu hypokalämischer metabolischer Azidose führen, ein Zustand, der durch Gabe von Kalium und Behandlung der Hypovolämie behoben werden kann. Hyponaträmie tritt zwar seltener als bei Thiazid-Diuretika auf, aber wenn Patienten infolge der Hypovolämie zu große Mengen Wasser zu sich nehmen, kann dies einen verminderten Natriumspiegel im Blut zur Folge haben. Infolge der Hypovolämie wird außerdem verstärkt Harnsäure im proximalen Tubulus reabsorbiert, was zu erhöhtem Harnsäurespiegel im Blut (Hyperurikämie) und damit zu Gichtattacken führen kann. Weiterhin führt die Langzeitanwendung häufig zu verringertem Magnesium und Calcium im Blut (Hypomagnesiämie bzw. Hypocalciämie).

Bei allen Schleifendiuretika können Hörschäden in den hohen Frequenzen bis Taubheit durch Hemmung des Na+K+2Cl-Symporters auftreten, da kein Kaliumgradient aufgebaut werden kann (Ototoxizität). Dieser Effekt tritt abhängig von der Dosis und im Allgemeinen nur während der Behandlung auf, nur bei der Verwendung von Etacrynsäure können die Schäden bleibender Natur sein.

Bei den Sulfonamid-Derivaten kann es in Patienten mit Überempfindlichkeit gegen Sulfonamide zu allergischen Reaktionen kommen, die sich durch Hautausschlag, Eosinophilie und in seltenen Fällen interstitieller Nephritis auszeichnen. Nach Absetzen der Stoffe verschwinden diese Effekte wieder. Bei Etacrynsäure tritt diese Überempfindlichkeit infolge der anders gearteten chemischen Struktur nicht auf.

Wechselwirkungen

Der von Schleifendiuretika verursachte Kalium- und Magnesiummangel verstärkt den Effekt von Digitalisglykosiden. Da Glucocorticoide und Abführmittel ebenfalls die Kaliumausscheidung erhöhen, wird bei einer Verwendung mit Schleifendiuretika die Entstehung einer Hypokalämie begünstigt. Die Wirkung von Salicylaten, Theophyllin, curareartiger Muskelrelaxanzien und anderer blutdrucksenkender Medikamente wird verstärkt, ebenso wie die giftige Wirkung auf Herz und Nervensystem von Lithium, da die Ausscheidung vermindert und somit letztendlich der Lithiumspiegel im Blut erhöht ist.

Der blutzuckersenkende Effekt von antidiabetischen Medikamenten wird vermindert. Die blutdruckerhöhende Wirkung von Adrenalin und Noradrenalin wird abgeschwächt, da das verringerte Blutvolumen ihrem Effekt entgegenwirkt. Andere oto- und nephrotoxische Arzneimittel, wie zum Beispiel Aminoglykoside und Cisplatin können die schädliche Wirkung auf das Gehör verstärken.

Da Schleifendiuretika die Niere anregen Prostaglandine zu synthetisieren und dies zum diuretischen Effekt beiträgt, diese Synthese aber durch nichtsteroidale Antirheumatika behindert wird, schwächen diese die diuretische und antihypertensive Wirkung der Schleifendiuretika ab. In ansonsten normalen Patienten ist dieser Effekt nur geringfügig wahrnehmbar, bei Patienten mit Nierenversagen und solchen mit Leberzirrhose tritt er jedoch verstärkt auf.

Geschichte

Als erste verwendete Schleifendiuretika können Quecksilberverbindungen betrachtet werden. Ihre harntreibende Wirkung wurde 1919 eher zufällig als Nebeneffekt des damals gegen Syphilis verwendeten Arzneimittels Novasurol entdeckt[1]. Ihre häufige Verwendung führte jedoch zu zahlreichen Fällen von Quecksilbervergiftung. Trotzdem waren organische Quecksilberverbindungen für die nächsten vierzig Jahre der Standard in der Behandlung von Ödemen. Ihre fehlende orale Verfügbarkeit, die Giftigkeit und die rasche Toleranzentwicklung schränkten ihre Nutzbarkeit jedoch stark ein. Eine weniger giftige Alternative war das 1924 von Hoechst entwickelte Mersalyl, das bis weit in die 50er Jahre verwendet wurde, da es wesentlich effektiver als das später entdeckte Chlorothiazid war.

Mit dem zunehmenden Verständnis der Harnbildung begann die Suche nach effektiveren und ungiftigeren Arzneimitteln. Die Forscher von MSD synthetisierten ausgehend von Chlorothiazid Etacrynsäure. Hoechst synthetisierte 1959, ausgehend von der Struktur von Sulfonamyl, erstmals Furosemid.

Quellen

Literatur

  • Bertram G. Katzung: Basic and Clinical Pharmacology. Mcgraw-Hill Professional. 9th Edition, 2004, ISBN 978-0071410922
  • Donald W. Seldin (Hrsgb.), Gerhard Giebisch (Hrsgb.): Diuretic Agents: Clinical Physiology and Pharmacology. Academic Press. 1st edition, 1997, ISBN 978-0126356908
  • Craig, Stitzel: Modern Pharmacology with Clinical Applications. Lippincott Raven, 6th Edition, 2003, ISBN 978-0781737623

Einzelnachweise

  1. Comroe, J. H., Jr.: Exploring the Heart. Discoveries in Heart Disease and High Blood Pressure.. W W Norton & Co, 1987, ISBN 978-0393017083