Anthroposophie
Die Anthroposophie (wörtlich Die Weisheit vom Menschen) ist eine von Rudolf Steiner (*1861, †1925) begründete weltweit vertretene spirituelle Weltanschauung mit europäischen Wurzeln. Der Begriff ist nicht zu verwechseln mit Anthropologie (wörtlich Lehre vom Menschen).
Allgemeines
Die Anthroposophie versteht sich als eine christliche und humanistische Methode der Bewusstseinsentwicklung. Im Gegensatz zur von Helena Blavatsky (*1831, †1891) begründeten Theosophie, welche das bestehende Christentum ablehnte und indische mit westlichen okkulten Lehren verband, versteht sich ihre Grundlage als ein erkenntniswissenschaftlich fundiertes Konzept der menschlichen Individualität. Sie beinhaltet Elemente des Gnostizismus, des Rosenkreuzertums, einen umfassenden Evolutionsbegriff sowie ein differenziertes Konzept der Wiederverkörperung und des Schicksals. Dieses Konzept unterscheidet sich von vielen östlichen Ansätzen.
Die Anthroposophische Bewegung ist soziologisch, weltanschaulich-religiös und politisch sehr heterogen. Die Interpretation von Steiners Werk ist aufgrund der verschiedenen Themengebiete und des großen Umfangs (28 Schriften und ca. 5900 Vorträge) innerhalb der Anthroposophie nicht einheitlich.
Bereiche
Rudolf Steiner wurde aus vielen Lebensbereichen um Hilfe gebeten und so entstanden durch seinen Rat:
in der Pädagogik | die Waldorfschulen |
in der Medizin | die Anthroposophisch erweiterte (Schul-)Medizin |
in der Landwirtschaft | der Biologisch-dynamische Landbau |
in der Politik | die Dreigliederung des sozialen Organismus |
in der Religion | die Christengemeinschaft (die nicht direkt zur Anthroposophie gehört, aber aus ihr entstanden ist) |
Als Zentrum der Anthroposophischen Gesellschaft wurde das Goetheanum erbaut.
In Zusammenarbeit mit der Ärztin Ita Wegman entwickelte Steiner medizinische und pharmazeutische Grundlagen für die Anthroposophische Medizin, die in Deutschland als „besondere Therapierichtung“ neben Homöopathie und Phytotherapie gesetzlich anerkannt und von den Krankenkassen teilweise erstattet wird. Die Bewegung befürwortet eine rationale, auf den individuellen Menschen hin orientierte Medizin unter Einbezug potenzierter Heilmittel. Das medizinische Konzept anthroposophisch ausgerichteter Mediziner basiert u.a. auf entsprechend zubereiteten mineralischen, pflanzlichen und tierischen Heilmitteln. Diese können aufgrund einer „evolutionären Verwandtschaft“ mit dem Menschen therapeutisch verwendet werden.
Die Impulse zur Dreigliederung der Gesellschaft in Wirtschaftsleben, Geistesleben und Rechtsleben führten in den 1970er Jahren zur Begründung von eigenständigen Freien Hochschulen und basisdemokratischen Bewegungen, an denen zum Beispiel der Künstler Joseph Beuys maßgeblich beteiligt war. Auch Joseph Beuys' Initiative zur Gründung der Partei der Grünen (Die Grünen) geht auf diesen eigenständigen Impuls zurück.
Lehre (Auszug)
Laut der anthroposophischen Lehre existiert der Mensch in vier ineinandergreifenden Ebenen, die auch als Wesensglieder bezeichnet werden:
- Der physische Leib (Körper)
- Der Ätherleib oder Lebensleib
- Der Astralleib und
- Das Ich
Diesse Verbindung mache den Menschen nach Steiners Lehre zu einem im Geiste wurzelnden Wesen. Die Menschheit als Ganzes bilde ein viertes Naturreich der Erde. Zum Tierreich gehöre nur die Summe der ersten drei genannten Leiber, denn Tiere verfügten über eine nicht selbstbewusste Körperseele. Das Pflanzenreich lebe im Physischen mit dem Lebensleib (Äther). Die Bestimmung der Wesensglieder sei damit jedoch nicht erschöpft. Prinzipiell gliedere sich das Wesen des Menschen in Leib, Seele, Geist. Zum leiblichen Wesen gehörten demnach die einfachen Leiber von Physis, Lebensleib und Astralleib. Das seelische Wesen gliedere sich in Empfindungsseele, Verstandesseele und Bewusstseinsseele. Der Mensch schreite in seiner Entwicklung sowohl individuell wie auch als Gattungswesen in einem Vergeistigungsprozess von Leib und Seele fort. Dieser Prozess führe zu einer Differenzierung des Geistes.
Steiners Beschreibung einer Dreigliederung des menschlichen geistigen Wesens in Geistselbst (auch Manas genannt), Lebensgeist (auch Buddhi genannt) und Geistesmenschen (auch Atman genannt). Der Astralleib und die Empfindungsseele verbinde sich zum empfindenden Seelenleib und die sog. Bewusstseinseele verbinde sich mit dem Geistselbst zur geisterfüllten Bewusstseinsseele. Daraus ergebe sich eine Gliederung in 7 Teile des irdischen Menschen:
- Der physische Körper
- Der Äther- oder Lebensleib
- Der empfindende Seelenleib
- Die Verstandesseele
- Die geisterfüllte Bewusstseinsseele
- Der Lebensgeist
- Der Geistesmensch
Im Schlaf erhalte der Ätherleib den physischen Leib und regeneriere so die Körperorgane. Nach dem Tod löse sich der Ätherleib innerhalb weniger Tage auf. Er bilde währenddessen die Basis für die Lebensrückschau der Seele, mit deren Essenz sie die nachtodliche Seelenwelt betritt und anschließend das Geisterland bis zu einer Wiederverkörperung des Geistes in der physischen Welt bewohnt. Diese zyklische Reinkarnation sei durch das individuelle Schicksal notwendig und vom Leben des Menschen bestimmt (siehe auch Karma und Reinkarnation).
Das Ziel der Anthroposophie ist es, durch Meditation, Selbsterziehung, Beobachtung und Offenheit auf einer lebenslangen 'Suche', höhere Bewusstseinsebenen zu erreichen. Der Mensch und die gesamte Welt (also auch die geistige Welt) befänden sich demnach in beständiger Entwicklung (Evolution). Damit verbunden ist ein individuell auszugestaltender anthroposophischer Schulungsweg, dessen Grundzüge in den Werken Rudolf Steiners beschrieben ist.
Die Lehre der Wiedergeburt der menschlichen Seele. Die zyklische Wiedergeburt der Seele um vergangenes Karma (in vergangenen Leben gelegte Ursachen) abzuarbeiten und um sich evolutionsmäßig weiter zu entwickeln.
Die Lehre von "Ursache und Wirkung" und die Zwillingslehre der "Reinkarnation". Jede Handlung ruft eine ihr entsprechende Wirkung hervor. Diese kommt auf ihren Ausgangspunkt, der verursachenden Person zurück. In der Regel wird dies als "negativ" oder "positiv" erfahren, ist aber letztlich nur die in der ursprünglichen Handlung liegende Charakteristik, die vom Menschen entsprechend empfunden wird. Da alles in der Natur miteinander verbunden und gegenseitig ineinandergreift, werden auch andere Personen und Wesen von den Taten eines Einzelnen beeinflusst. Dies ruft demenstprechende Rückwirkungen hervor. Wenn Disteln gesät werden, können nicht Rosen geerntet werden. Somit liegt im Gesetz von Karma eine tiefgehende Ethik. Karma ist kein Fatalismus, da der Mensch immer einen freien Willen besitzt.
Philosophische Basis
Steiners Erkenntnisse entstammen nach eigenen Angaben einer ihm seit seiner Kindheit bewussten und methodisch vertieften geistig-übersinnlichen Schau. Zu den von Rudolf Steiner besonders geschätzten Persönlichkeiten gehören Goethe, Johann Gottlieb Fichte, Max Stirner und Ernst Haeckel, deren Ansichten individuell ausgelegt werden. Steiner: Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschen zum Geistigen im Weltall führen möchte. Die philosophische Basis der Anthroposophie findet sich in Steiners Hauptwerken Wahrheit und Wissenschaft und Die Philosophie der Freiheit. Dieses Werk befasst sich mit der Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant und dem Neokantianismus sowie in Weiterentwicklung des wissenschaftsmethodischen Ansatzes von Goethes Phänomenologie auch mit einem auf seelischer Beobachtungserfahrung gründenden ontologischen Monismus.
Hierzu gehört eine Freiheitsethik genannte Form der Lebenswertung, in deren Zentrum der Gedanke einer aus Erkenntnis und Liebe handelnden und gesellschaftsbildenden Individualität steht. Kernpunkt sei hierbei, dass Erfahrung ihren Anspruch von Objektivität aus dem Denken bezieht, dass seiner selbst gewahr wird. Dieser Vorgang wird als Ergebnis einer Synthese von Wahrnehmung und Begriff verstanden.
Rudolf Steiner hierzu:"Nun darf aber nicht übersehen werden, daß wir uns nur mit Hilfe des Denkens als Subjekt bestimmen und uns den Objekten entgegensetzen können. (...) Das Denken ist jenseits von Subjekt und Objekt. Es bildet diese beiden Begriffe ebenso wie alle anderen. 1) (...) Das Subjekt denkt nicht deshalb, weil es Subjekt ist; sondern es erscheint sich als ein Subjekt, weil es zu denken vermag. 2) (...) Das Denken ist somit ein Element, das mich über mein Selbst hinausführt und mit den Objekten verbindet. Aber es trennt mich zugleich von ihnen, indem es mich ihnen als Subjekt gegenüberstellt." :§9 (Rudolf Steiner, Philosophie der Freiheit, Dornach 1992, S. 60)
Einfacher ausgedrückt:
- Das Denken des Menschen ist selbst beobachtbar und bildet erst den sog. "Ich"-Begriff. Dieser steht den Dingen und Objekten gegenüber, welche der Mensch, ebenso wie sich selbst, benennt.
- Das Denken des Menschen (seine höheren geistigen Funktionen) kann den "Ich"-Begriff genauso zum Gegenstand seiner Betrachtungen machen wie die Begriffe von den Objekten (Ich kann über mich nachdenken, wie über den Baum.)
Rudolf Steiner bezeichnet den Wahrnehmungsbegriff als einen Inhalt, der sich darin erschöpft, dass er bewusst wird. Das Objekt als Gegenstand ist demnach das Produkt der Synthese aus Wahrnehmung und Begriff. Hieraus folgert Steiner, dass Wirklichkeit ein Produkt von und nicht eine Bedingung für Erkenntnisprozesse ist. Diese Ansicht bildet die Grundlage für Steiners späteren Anspruch, "exakte wissenschaftliche Beobachtungen" über die "geistige Welt" anstellen zu können.
Außerhalb der Anthroposophie wird dieser methodologische Ansatz kaum wahrgenommen. Rudolf Steiner befasste sich zunächst im Rahmen der Theosophischen Gesellschaft mit diesem Ansatz und gründete später die Anthroposophische Gesellschaft. Spätere philosophische Kritiker argumentieren, dass Steiner Kants Werke nicht verstanden habe und betrachten seine Philosophie als Rückschritt in die Denkmodelle der mittelalterlichen Scholastik.
Kritische Auseinandersetzung
Seit ihrem Bestehen hat die Anthroposophie als "Wissenschaft vom Übersinnlichen" nicht nur eine große Anhängerschaft, sondern auch eine ebenso aktive Gegnerschaft. Dabei sind der Streitpunkt meist die nicht materiell belegbaren Lehren Steiners. Nachvollziehen könne die Erkenntnisse Steiners nur jeder Mensch für sich allein und ein Nachweis könne nur für sich selbst erbracht werden. Dieser Forderung, sich auf die Anthroposophie einzulassen- um sie zu verstehen, kann derjenige nicht folgen, der Übersinnliches ohne sofortige Belege nicht gelten lässt. In der heutigen Zeit ist eine solche Forderung eine Zumutung für den wissenschaftlich geschulten und skeptisch eingestellten Menschen und er kommt ihr in der Regel nicht nach.
Anthroposophie als Geheim-wissenschaft
Die Anthroposophie fußt auf Rudolf Steiners Werk. Er wird als ihr Begründer und bis heute maßgeblicher Esoteriker verstanden. Der Begriff Geheimwissenschaft ist eine von Steiner verwendete Bezeichnung für seine eigene Lehre der Dinge, deren Erkenntnis über das bloße Verstandesdenken hinausgeht, also die "Wissenschaft vom Übersinnlichen". Geheim weil die Dinge für das normale Auge versteckt seien. An H. Blavatskys Secret Doctrine Geheimlehre anknüpfend, stelle diese Geheimwissenschaft einen Kern seiner Werke aus der frühen theosophischen Phase (1902-10) dar. Anthroposophen gehen davon aus, dass positivistisch und materialistisch geprägte Betrachter diese Komplexität nur bedingt wahrnehmen können. Ebenfalls erschwert auch die kritische Binnenbetrachtung von Steiners Lehren und seiner Werke durch Anthroposophen eine durchgängige Auslegung seiner Lehre. Kritikern wird oft entgegnet, Steiners Werke seien von der Kritik selbst nicht hinreichend verstanden oder der Beurteiler verfüge nicht über die erforderlichen Urteilsgrundlagen.
Ein Ziel seiner Geheim- oder Geisteswissenschaft ist nach Steiner die Ausbildung und Förderung der moralischen und geistigen Entwicklung und die Zusammenarbeit von Menschen, die an ihr interessiert seien. Die anthroposophische Schulung wird als moderner und Jedermann zugänglicher Weg zur Entwicklung höherer geistiger Fähigkeiten beschrieben. Ab einer nicht näher benannten Stufe wird seine Lehre von Anthroposophen auch als Ausdruck eines übersinnlichen Wahrnehmungsvermögens verstanden. Eine sog. „Richtigkeit“ seiner übersinnlichen Wahrnehmungen könne ein Schüler Rudolf Steiners demnach mit einem sog. „Evidenzerlebnis“ feststellen, welches im Zusammenhang mit der Wahrnehmung auftrete. Durch Vergleich mit Aussagen vorgeblich vertrauenswürdiger Quellen übersinnlicher Wahrnehmung sei eine Überprüfung ebenfalls möglich. Hierzu nennt Steiner unter anderem die von ihm selbst dokumentierten Schilderungen, insbesondere Beschreibungen der Weltentstehung und -entwicklung bis in früheste Zeiten, Schilderungen von Reinkarnation, Karma und vorgeburtlicher sowie nachtodlicher Vorgänge. Die Beschreibung "höherer Wesensglieder" des Menschen und ihr Zusammenwirken sowie umfangreiche Ausführungen zur Christologie seien ebenso zu berücksichtigen wie seine Beschreibungen über geistige Wesenheiten der Hierarchienlehre und Engellehre oder Naturgeister. Steiners Geisteswissenschaft wird auch von einigen Philosophen des 19. Jahrhunderts als ein Produkt der Phantasie, welches einen nicht überprüfbaren Anspruch auf Gültigkeit erhebe, gewertet. (siehe auch Universalienstreit).
Steiner nennt den von ihm beschriebenen Schulungsweg selbst wissenschaftlich, da dieser, richtig ausgeführt, jederzeit mit wachem Bewusstsein begleitet werde. Vertreter des seit der Renaissance gültigen Wissenschaftsbegriffes halten Steiners Behauptung, die Weiterentwickelbarkeit des Erkenntnisvermögens fuße auf der „wissenschaftlichen Erforschung des Geistigen“, für unhaltbar. Sie sprechen Rudolf Steiner eine erkenntnistheoretisch fundierte Wissenschaftlichkeit ab. Kritiker vermeiden dabei nach Ansicht von Anthroposophen seine Auseinandersetzung mit seinem eigenen erkenntniswissenschaftlichen Ansatz, den er als notwendige Voraussetzung seiner Geisteswissenschaft bezeichnete. Rudolf Steiner selbst war es hierdurch nicht gelungen, viele der Geistes- und Naturwissenschaftler seiner Zeit von der Existenz der von ihm beschriebenen Phänomene zu überzeugen.
Anthroposophie und Christentum
Das Christentum der Anthroposophie enthält viele gnostische Elemente, die teilweise in den Apokryphen niedergeschrieben sind und damit nicht von den Amtskirchen anerkannt werden. Christus ist für die Anthroposophie eine der höchsten Gottheiten (siehe Hierarchienlehre). Er nimmt in der Trinität den Platz des Sohnes ein. Sein Opfer für die Erde sei es gewesen, sich mit den Menschen und ihrem Planeten zu verbinden um ihnen weitere geistige Entwicklung zu ermöglichen. So habe er sich für drei Jahre im Menschen Jesus inkorporiert und in ihm den irdischen Tod erlitten. Durch das Opfer dieses hohen Sonnenwesens, sei die geistige Entwicklung des Menschen und der Erde in eine dem "Weltenplan" entsprechende Richtung ermöglicht worden. Die Auferstehung bezeichnet Steiner als das "Mysterium von Golgatha", welches aber nicht als Auferstehung des Fleisches gewertet, sondern als volkommene Gestalt des gekreuzigten Wesens gesehen wird. Christus wurde nach der Anthroposophie zum Ich der neu werdenden Erde. Ihre Aura verändere sich ständig und betrete dadurch einen Weg der Vergeistigung, bei dem ihr der zukünftige Mensch helfen soll. Die Wiederkunft Christi geschehe stufenweise, als ätherischer, astraler und kosmischer Christus. Steiner sah in Jesus von Nazareth einen hochstehenden jüdischen "Eingeweihten", der während der Jordan-Taufe den Christus-Geist in sich aufgenommen habe. Siehe auch: Christengemeinschaft
Die Amtskirchen, deren Glauben auf dem Auferstehungsgedanken und der Erlösung durch Sündenvergebung beruht, distanzieren sich von Steiners Reinkarnationslehre. In der Anthroposophie steht die Erlösung nicht am Ende eines einzigen, sondern am Ende einer Reihe vieler Leben. Erlösung stelle sich ein, wenn sich der Mensch durch viele Verkörperungen hindurch zu dem wahren Menschen, einem Wesen, dass einen eigenen Platz in den himmlischen Hierarchien einnimmt, entwickelt habe.
Wiederholt wurde sowohl von Anthroposophen als auch von anthroposophisch orientierten Theologen das Gespräch mit der evangelischen und katholischen Kirche gesucht.
Anthroposophie und Rassismus
Der Rassismus-Streit bei der Bewertung der Rudolf-Steiner-Bewegung wird durch eine Anzahl von Zitaten ausgelöst, in denen Rudolf Steiner Menschen-Rassegedanken mit seiner Menscheitsentwicklungslehre verbindet. Viele Anthroposophen halten diese Zitate für aus dem Kontext gerissen und überbewertet, zumal diese vornehmlich aus einer Zeit stammen, in der Rassenbezeichnungen wie z.B. "Neger" im deutschsprachigem Raum durchaus gesellschaftsfähig waren. Kritiker sorgen sich um die ihrer Meinung nach wertenden und selektiven Äußerungen aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus, die von der derzeitigen Anthroposophie nicht hinreichend revidiert würden.
Rudolf Steiner formulierte bereits im Jahre 1900 als Funktionär der Theosophischen Gesellschaft Rassentheorien, die er unter anderem in seinem Buch Aus der Akasha-Chronik veröffentlichte. Diese entsprechen weitgehend der Hierarchisierung von Rassen, wie sie auch in der Schriften der Helena Blavatsky niedergelegt sind. Steiner gliedert die Menschheitsentwicklung in unterschiedliche Zeitepochen, die von je einer "Wurzelrasse" dominiert waren: der "polarischen Wurzelrasse", der "hyperboräischen Wurzelrasse", "Lemuriern", "Atlantiern", der "arischen-" (nicht zu verwechseln mit dem nationalsozialistischen Begriff "Arier") oder "nachatlantischen Wurzelrasse", welche die gegenwärtige Entwicklungsphase (seit etwa 7000 v. Chr.) repräsentiert. Die hierarchische Gliederung der verschiedenen Rassen habe ergeben, dass in der vergangenen Menschheitsentwicklung die weniger entwickelten, die "minderwertigen Rassen" ausstarben um Platz für die höher entwickelten "Wurzelrassen", wie z.B. die "nachatlantische-Wurzelrasse" zu machen. Die Entstehung verschiedener Rassen sei für die Erdenentwicklung nötig gewesen, damit sich Menschenseelen mit bestimmten Aufgaben und Fähigkeiten in bestimmten Kulturen inkarnieren könnten um dort wichtige Impulse zu ermöglichen oder aufzunehmen.
Zitat: "Der Mensch ist Mensch dadurch, daß (...) dieses Ich sich im Laufe der aufeinanderfolgenden Inkarnationen weiter entwickelt durch verschiedene Menschengemeinschaften, durch Völker und Zeiträume hindurch, bis die Erde am Ziel ihrer Entwickelung angelangt sein wird" (Rudolf Steiner, Das Geheimnis des Todes, Dornach 1999, S. 203)
Der Rassenbegriff Steiners sei nach Ansicht seiner Vertreter jedoch gegenüber dem des faschistischen Rassismus grundlegend anders motiviert. Während der Rassenbegriff des Nationalsozialismus aus der materialistischen Evolutionstheorie Darwins abgeleitet sei, versteht Steiner die "Wurzelrassen" nicht als ethnische Zuordnung, sondern als in große Zeitepochen von mehreren tausend Jahren einzuordnende menschliche Entwicklungsstadien. So sei z.B. die nachatlantische Wurzelrasse zu den Anfängen der nachatlantischen Kulturepochen noch prägend. Steiner sehe für die gegenwärtige fünfte nachatlantische Kulturepoche die leiblichen Rassenunterschiede und insbesondere Höher- und Minderwertigkeiten einzelner Rassen als überwunden an. Er sehe die Bedeutung der Rassen seit Tausenden von Jahren schwinden, da die typischen Eigenschaften bestimmter Rassen immer mehr abnähmen und die zukünftige Menschenmission rassenübergreifend sein würde.
Zitat:"Es ist von einer ganz besonderen Wichtigkeit, daß gerade in unserer Zeit in unbefangner Weise auch gesprochen wird über dasjenige, was wir die Mission der einzelnen Volksseelen der Menschheit nennen, weil die nächsten Schicksale der Menschheit in einem viel höheren Grade als das bisher der Fall war, die Menschen zu einer gemeinsamen Menschheitsmission zusammenführen werden." (Steiner in Kristiania 7. Juni 1910, GA 121, S.13)
Die menschliche Zugehörigkeit bezieht sich bei Steiner nicht auf die physische Rasse, sondern auf die Volksseele. Zitat: "...es vererbten sich Rassenmerkmale in der atlantischen Zeit und bis herein in unsere nachatlantische Epoche. Wir werden sehen, wie in unsere Zeit die Volksmerkmale das sind, was die Rassencharaktere wieder auseinander bringt, was sie wieder auszulöschen beginnt. (...) Die Rassen sind entstanden und werden einmal vergehen, werden einmal nicht mehr da sein." (Vortrag Kristiania 10. Juni 1910; GA 121, S.75/76)
Dennoch legte Steiner wert darauf, dass die Rassen, die ja erst in ferner Zukunft aufhören würden zu existieren, um in ihrer Kultur wirken zu können, an ihrem angestammten Platz blieben.:"Die Negerrasse gehört nicht zu Europa, und es ist natürlich nur ein Unfug, daß sie jetzt in Europa eine so große Rolle spielt." (Steiner-Gesamtausgabe Bd. 349, S. 53)
Im Hinblick auf solche Zitate hat die anthroposophische Bewegung heute noch viel Aufklärungsbedarf. Ein erster Schritt in dieser Richtung wurde 1991 vom Waldorflehrer und Verleger Arfst Wagner in seinem Buch "Anthroposophen und der Nationalsozialismus" (siehe Literatur) unternommen. Inzwischen sind zwar andere gefolgt, dennoch gibt es von Seiten der Anthroposophen bis heute keine einhellige Erklärung dazu.
In der Diskussion um den Rassenbegriff Rudolf Steiners solle nach Meinung der anthroposophischen Gesellschaft auch berücksichtigt werden, dass Steiner bereits Ende des 19. Jahrhunders als scharfer Kritiker des Antisemitismus sowie seiner völkischen und alldeutschen Vertreter auftrat. Dies trug ihm die erklärte Feindschaft dieser Gruppen ein (Siehe hierzu bei Ravagli). Sein Denken stimme mit den heutigen Forderungen nach ethnischem Pluralismus überein:
So wie die Abgründe zwischen den einzelnen Nationen immer mehr und mehr verschwinden, so wie sich die einzelnen Teile der verschiedenen Nationen immer mehr und mehr verstehen, so werden sich auch andere Gruppenseelenhaftigkeiten abstreifen, und immer mehr wird das Individuelle des einzelnen Menschen in den Vordergrund treten. - So können wir sagen, innerhalb der Entwickelung der Menschheit verliert immer mehr und mehr der Begriff, worin sich die Gruppenseelenhaftigkeit am meisten ausdrückt, an Bedeutung, nämlich der Rassenbegriff. Deshalb ist es notwendig, dass diejenige Bewegung, welche die anthroposophische genannt wird, in ihrem Grundcharakter dieses Abstreifen des Rassencharakters aufnimmt, dass sie nämlich zu vereinigen sucht Menschen aus allen Rassen, aus allen Nationen und auf diese Weise überbrückt diese Differenzierung, diese Unterschiede, diese Abgründe, die zwischen den einzelnen Menschengruppen vorhanden sind.
Rudolf Steiner 1916 in: "Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit - Goethe und die Krisis des 19. Jahrhunderts" (GA 117), S. 151 f
Anthroposophie und Antisemitismus
Die Kritik Steiners an dem vom U.S.-Präsidenten Woodrow Wilson initiierten Selbstbestimmungsrecht der Völker begründet sich auf der Ausgrenzung von Minderheiten innerhalb von ethnisch einheitlichen Nationalstaaten. Diese Kritik war durch Steiners Auseinandersetzung mit der Neuordnung Europas und seines Heimatsstaates Österreich geprägt, in dem er - aus einer niederösterreichischen Familie stammend - in der Kranj (heutiges Kroatien) aufwuchs. So richtet sich Steiner gegen eine Ausgrenzung der Juden als Minderheit innerhalb eines ethnisch einheitlichen Nationalstaates. So wie er ethnische Schranken und nationale Grenzen generell als anachronistisch betrachtete, betrachtete er die Idee des Judentums als ethnische Sondergruppe insbesondere in seiner zionistischen Spielart als rückschrittlich.
Das Judentum begreift Rudolf Steiner nicht als Rasse, sondern als eine auf religiöser und nationaler Einheit basierende Gemeinschaft, die sich selbst ausgrenzt. Diese habe dadurch eine isolierte Kultur begründet. Zitat: "Das Judentum als solches hat sich aber längst ausgelebt, hat keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens, und daß es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte, dessen Folgen nicht ausbleiben konnten." (Steiner-Gesamtausgabe Bd. 32, S. 152)
Damit war dennoch Steiners deutliche Ablehnung des Antisemitismus verbunden. Zitat: "Mit Schaudern erkennt man, was der Antisemitismus in den Gemütern edler Juden angerichtet hat. Der Antisemitismus ist nicht alleine für die Juden eine Gefahr, er ist es auch für die Nichtjuden. Jede unbestimmte Haltung ist von Übel." ( Steiner 1901; GA 31,S.409).
Steiner belegte im Jahre 1922 einen der ersten 10 Plätze auf der durch die NSDAP geführten Liste der "zu erschiessenden prominenten Persönlichkeiten" und überlebte mehrere Tötungsversuche.
Im Nationalsozialismus wurde die Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland am 1. November 1935 ein erstes Mal verboten. Tatsächlich gaben sämtliche Zweigleiter Steiners mit jüdischer Abstammung ihre Ämter in dieser Zeit ab. Auch ein Großteil der jüdischen Mitglieder trat aus der deutschen Landesgesellschaft aus. Link Das Verbot wurde auf Intervention Heß' bald wieder aufgehoben. Das Regime schwankte zwischen dem Verbot der Gruppierung und den Verlockungen der Gleichschaltung und des Nutzens der Anthroposophie als "deutsche Weltanschauung" und Ersatz für das Christentum. Im KZ Dachau wurden sogar biologisch-dynamische Kräutergärten angelegt. Mit der Gefangennahme des Fürsprechers Heß 1941 wurden sämtliche anthroposophischen Einrichtungen auf deutschem Gebiet bis 1945 verboten.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg mussten sich Anthroposophen vielfach mit Vereinnahmungsversuchen auseinandersetzen. So wurde der Priester und ehemalige SS-Angehörige Werner Georg Haverbeck in den 1950er Jahren aus der Christengemeinschaft ausgeschlossen. Er veröffentlichte später das als revisionistisch-chauvinistisch umstrittene Buch Rudolf Steiner als Anwalt für Deutschland. Der jüngste Fall eines solchen Vereinnahmungsversuches spiegelt sich in einem Rundbrief des NPD-Aktivisten Horst Mahler wieder. Mehr dazu im Artikel Waldorfschule.
Ausgrenzung als Sekte
Die Lehre der Anthroposophie, besonders von Reinkarnation und Karma, wird von vielen christlichen Kirchen nicht anerkannt - nur die Christengemeinschaft (deren Priester bei der Gründung Steiner um Rat ersuchten) erkennt die Anthroposophie an. Andere neue religiöse Bewegungen sowie der Buddhismus, der Hinduismus und das sikhistischen Yoga und der Radhasoami-Weg arbeiten ebenfalls mit dem Konzept der Wiederverkörperung und sind weltweit durchaus vertreten.
Eine Zuordnung der Anthroposophie als Sekte im Sinne der Schaffung von Sonderwirklichkeiten und sozialer Isolierung ihrer Mitglieder, manipulierende Mitgliederwerbung oder jugendgefährdene Aktivitäten bzw. finanzielle Ausbeutung der Mitgleider oder das Schaffen persönlicher Abhängigkeiten ist nicht festzustellen. Eine gewisse elitäre Grundhaltung, nach der ein Weg der einzig gangbare sei, haftet beinahe allen spirituellen Denkschulen, insbesondere auch der katholischen Amtskirche an. Sektenvorwüfe an die Adresse der anthroposophischen Bewegung stammen zumeist aus den Reihen stark konfessionell oder agnostisch geprägter Beobachter.
Die Bewegung findet keine Erwähnung in den Sektenberichten der Kirchen bzw. der kommunalen Trägerschaften im Zusammenhang mit gesellschaftlich geächteten Vorgehensweisen. Es gibt keine Berichte über manipulative Mitgliederwerbung oder ähnliches Sektenverhalten (siehe „Abschlussbericht der Enquete-Kommission Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ (http://www.bundestag.de/ftp/exe_arch/13_10950.exe) oder Sektenbericht der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport 2002)
Siehe auch
Weblinks
- Web der Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltung mit Volltextsuche in der Gesamtausgabe
- Forum für Anthroposophie, Waldorfpädagogik und Goetheanistische Naturwissenschaft
- Internetportal Anthroposophie (deutschsprachig)
- Die Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland
- Das Goetheanum - Freie Hochschule für Geisteswissenschaft und Sitz der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft in Dornach / Schweiz
- Sociedade Antroposófica no Brasil (portugiesisch, englisch)
- Das Monatsmagazin Info3 über Spirituelles und Zeitfragen
- Diskussionsgruppe über Anthroposophie
Waldorfschulen
- http://www.waldorfschule.info/
- Prominente Waldorfschüler Liste von Oliver Pocher über F.A. Porsche und BDI-Chef M.Rogowski, bis hin zu Michael Ende.
Cyber-Anthroposophen und anthroposophische Blogs
- Die Egoisten.de - Anthroposophie, Kunst und Literatur.
- Der Ego.Blog von Michael Eggert.
- Der Leib.Blog von Jens R. Prochnow.
- Quellen zu den Themen Schöpfung, Weltbild der Antike, des Mittelalters und der Anthroposophie.
- Unabhängiges Forum zu Steiner und Anthroposophie
Kritisch
- http://www.waldorfcritics.org Waldorf schools are an activity of Anthroposophy, a cult-like religious sect following the occult teachings of R. Steiner
- Sammlung von Artikeln der Schweizer "Aktion Kinder des Holocaust" zum Thema Antisemitismus und Anthroposophie
- War Rudolf Steiner ein "völkischer Antisemit? fragt sich Antisemitismus.net
- Kritische Anmerkungen zur Anthroposophie Rudolf Steiners
- Forum: Über Anthroposophie, Homöopathie und andere Sekten Hinweis: Umstritten, enthält sehr heftige Angriffe u.A. auf die Anthroposophie in oft unsachlichem Stil
- Die skeptische Ecke über Anthroposophie
- Artikel über die Unterschiede zwischen Anthroposophie und katholischer Kirche.
- Ist die Anthroposophie eine Wissenschaft? Sehr kritische Untersuchung von Sven Ove Hansson, Philosoph am königlichen Institut für Technologie in Stockholm, übersetzt von Marcus Hammerschmitt.
- Was Anthroposophie nicht ist Eine Antwort auf Hansson.
Literatur
Anthroposophische Schriften
- Eine Liste der Werke Rudolf Steiners
- Heisterkamp, Jens: Was ist Anthroposophie? Eine Einladung zur Entdeckung des Menschen. Verlag am Goetheanum, Dornach 2000
- Kiersch, Johannes: Die Waldorfpädagogik - Eine Einführung in die Pädagogik Rudolf Steiners, Neuausgabe 2. Auflage, Freies Geistesleben. ISBN 377251247X
- Wagner, Arfst: Anthroposophen und Nationalsozialismus, Flensburg 1991, ISBN 3-926841-32-X
- Ravagli, Lorenzo: Unter Hammer und Hakenkreuz. Der völkisch-nationalsozialistische Kampf gegen die Anthroposophie. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2004, ISBN 3-7725-1915-6
- Bader, Hans-Jürgen, Ravagli, Lorenzo: Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit. Anthroposophie und der Rassismusvorwurf, Verlag Freies Geistesleben 2003.
Befürwortende oder neutrale Standpunkte
- Binder, Andreas: Wie christlich ist die Anthroposophie? Standortbestimmungen aus der Sicht eines evangelischen Theologen, Stuttgart : Urachhaus, 1989, ISBN 3878386117
- Kniebe, Georg: Anthroposophie und christliche Kirchen - Ein Gespräch?. Stuttgart : Urachhaus, 1992, ISBN 3878389477
- Hellmich, Achim und Teigeler, Peter (Hrsg.): Montessoripädagogik, Freinetpädagogik, Waldorfpädagogik - Konzeption und aktuelle Praxis. Beltz Verlag, 1999. ISBN 3407252188
- Kriele, Martin: Anthroposophie und Kirche. Erfahrungen eines Grenzgängers. Herder Verlag 1996 ISBN 3451239671
Aus kritischer Sicht
- Baumann-Bay, Lydie und Andreas: Achtung, Anthroposophie! Ein kritischer Insider-Bericht. Zürich : Kreuz Verlag, 2000, ISBN 3268002552.
- Bierl, Peter: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister : die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik. Hamburg : Konkret Literatur Verlag, 1999, ISBN 3-89458-171-9