Erasmus von Rotterdam

niederländischer Humanist
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Erasmus (Desiderius) von Rotterdam (* 27. Oktober 1465 [oder 1469] in Rotterdam; † 12. Juli 1536 in Basel) war ein bedeutender Humanist.

Hans Holbein der Jüngere: Erasmus von Rotterdam, 1523

Leben

Der holländische Philologe und Philosoph Erasmus Desiderius von Rotterdam wurde als Sohn eines Goudaer Priesters und seiner Haushälterin, einer Arzttochter, zwischen 1464 und 1469 in Rotterdam geboren. Sein Taufname lautete bereits Erasmus. Den Beinamen Desiderius fügte er später hinzu. Er war einer der bedeutendsten und einflussreichsten Repräsentanten des europäischen Humanismus. Er gilt als Vorreiter der Reformation, die er als Theologe durch seine kirchenkritische Haltung und vor allem durch eine seiner historisch-kritischen Exegese verpflichteten theologischen Schriften vorbereitete. Durch sein Eintreten für relative Religionsfreiheit nahm er eine humanistische Position jenseits des katholischen wie auch des lutherischen Dogmatismus ein. Ihn als Verteidiger "religiöser Toleranz" zu bezeichnen, ist insofern missverständlich, weil er selbst stattdessen die Begriffe Frieden und Konkordanz verwendet[1] (tolerantia nur für die Wahl des Geringeren von zwei Übeln, was bei Konflikten religiöser Doktrinen nicht vorliegt) und ernsthafte Irrlehren sollten auch seiner Meinung nach unterdrückt werden, ggf. auch durch Anwendungen der Todesstrafe.[2]

 
Erasmus-Epitaph im Basler Münster

Als Augustiner-Chorherr wurde er im April 1492 zum Priester geweiht und verließ im folgenden Jahr im Dienst des Bischofs von Cambrai das Kloster, das er später nie mehr betrat. Dann studierte er 1495 bis 1499 in Paris, lebte von 1506 bis 1509 in Italien und hielt sich zwischenzeitlich in den Niederlanden und England auf. Von 1514 bis 1529 lebte er in Basel, um seine Schriften in der Werkstatt seines späteren Freundes Johann Froben drucken zu lassen. Als sich die von Johannes Oekolampad betriebene, an Zwingli angelehnte Reformation auch dort durchsetzte, ging er 1529 nach Freiburg im Breisgau, kehrte jedoch 1535 zurück und verstarb in Basel am 12. Juli 1536. Seine Überreste ruhen an seinem Epitaph im Basler Münster. Teile seines Nachlasses sind im Historischen Museum Basel ausgestellt.

Werk

Als Textkritiker, Herausgeber (Kirchenväter, Neues Testament) und Grammatiker begründete er die neuzeitliche Philologie. Auf ihn geht die heute übliche Aussprache, insbesondere die Betonung des Altgriechischen zurück. Die korrekte Aussprache ist heute umstritten und wohl nicht mehr zweifelsfrei klärbar, obschon es eine in der Wissenschaft weitgehend akzeptierte Rekonstruktion gibt. Vgl. Altgriechische Phonologie

Mit seiner Satire Lob der Torheit, die er seinem Freund Thomas Morus widmete, entgegnete er 1509 mit Spott und Ernst tief verwurzelten Irrtümern und trat für vernünftige Anschauungen schriftstellerisch auf.

1516 veröffentlichte er eine kritische Edition des griechischen Neuen Testaments, Novum Instrumentum omne, diligenter ab Erasmo Rot. Recognitum et Emendatum., mit einer Latein-Übersetzung und Kommentar. Er widmete sie Papst Leo X. und nutzte dabei wiederentdeckte Manuskripte. Nach dem Erfolg der Erstausgabe nannte er das Werk von der zweiten Auflage (1519)an schlicht Novum Testamentum. Es wurde von den Übersetzern der King James Bibel benutzt und diente auch Luther als Ausgangstext für seine deutsche Bibelübersetzung. Der Text wurde später bekannt als textus receptus. Erasmus besorgte drei weitere, jeweils bedeutend überarbeitete Auflagen 1522, 1527 und 1535.

1515 schrieb er Die Erziehung des christlichen Fürsten (Institutio Principis Christiani), die er als neuernannter Rat des Fürsten dem späteren Karl V. widmete. Das Werk sieht in christlich-moralischen Lebensgrundsätzen des Regierungsoberhauptes die wichtigste Voraussetzung für eine friedliche, segensreiche Politik. Es war bei den zeitgenössischen Fürsten sehr beliebt. Ferdinand I. soll es auswendig gelernt haben.

1517 erschien Die Klage des Friedens, in der Erasmus während des erbarmungslosen Machtkampfes um die Oberherrschaft in Italien dem Friedenswillen eine Stimme verlieh. Das Werk wurde eigentlich für einen Friedenskongress verfasst, der dann nicht stattfand, wie überhaupt die Kriegslust nicht dadurch eingedämmt wurde, obwohl das Werk schon zu seinen Lebzeiten immer wieder aufgelegt und in alle europäischen Sprachen übersetzt wurde. Erasmus hat darin eine dezidiert pazifistische Position vertreten. Entsprechendes hat er auch in seinen theologischen Werken gelehrt und als erster die damals allgemein anerkannte Lehre vom „gerechten Krieg“ abgelehnt. Heute gilt Erasmus als erster Pazifist der Neuzeit. Der Gelehrte lehnte Kriege mit einer Ausnahme ab: Nur wenn das gesamte Volk sich für einen Krieg ausspreche, sei er legitim.

 
Postumes Bildnis des Erasmus von Rotterdam, Süddeutschland, frühes 17. Jh.

1524 veröffentlichte er Vom freien Willen, ein Werk, mit dem der Bruch mit Luther besiegelt wurde. Während Erasmus die These aufstellte, Gott habe dem Menschen einen Rest von freiem Willen, zwischen dem Guten und dem Bösen zu wählen, belassen, der freilich nur mit Gottes Gnade wirksam werden könne, argumentierte Luther mit der Erbsünde und der Allmacht Gottes, durch die notwendig alles vorausbestimmt wäre.

In seinem 1528 herausgegebenen Dialogus Ciceronianus trat Erasmus für eine individuell gestaltete Lebensweise ein, die sich nicht nur an antiken Vorbildern orientieren sollte. Wegen seiner feinen Ausdrucksweise genossen seine Briefe in Europa große Aufmerksamkeit.

1533, zwei Jahre vor seinem Tod, versuchte Erasmus mit der Schrift De sarcienda ecclesiae concordia noch einmal, die zerstrittenen Glaubensparteien zu befrieden. In den grundlegenden Glaubensfragen wäre man einig, war Erasmus überzeugt, weniger Wichtiges, die Adiaphora, könne man den einzelnen Gläubigen und ihren Gemeinden frei stellen. In den von Kaiser und Fürsten initiierten Religionsgesprächen versuchten bedeutende Theologen bis ins 16. Jahrhundert hinein, die Konfessionen auf der erasmischen Grundlage wieder zusammenzuführen. Sie blieben erfolglos. 1536 schrieb Erasmus sein letztes Werk, De puritate ecclesiae christianae, eine Auslegung von Psalm 14, die er einem einfachen Leser, einem Zöllner, mit dem er sich auf einer seiner vielen Reisen angefreundet hatte, widmete. Sein Einfluss war bis in das Zeitalter der Aufklärung in Europa von überragender Bedeutung. Seine Colloquien und sein Benimmbuch De civilitate wurden in den Schulen gelesen. Auch Täufer und Spiritualisten, z. B. Sebastian Franck, beriefen sich auf ihn. Erasmus wandte sich gegen kirchliche Missstände, die Veräußerlichung der Religion und den Dogmenzwang. Er hat sich besonders um die Bibelexegese verdient gemacht, in der er die Grundlagen für die reformatorische Theologie legte. Sein schlechter Ruf, er habe vor allem auf die ethisch-moralische Seite der Religion Wert gelegt, beruht auf einem kleinen Frühwerk von 1503, dem Enchiridion militis christiani (Handbuch des christlichen Streiters), das zu seiner Zeit sehr beliebt war und in der Forschung lange als ein Hauptwerk von Erasmus galt. Zunächst der Reformation gegenüber offen, wandte sich der Humanist von ihr ab, als er Martin Luther in einem unüberbrückbaren Gegensatz zur römisch-katholischen Kirche sah. Sie war auch die Ursache für seinen Streit mit Ulrich von Hutten.

In Basel begegnete Erasmus von Rotterdam 1524 erstmals Johannes a Lasco, dem späteren Reformator Frieslands, der zu einem seiner Lieblingsschüler wurde. Welch hohes Ansehen der Humanist bereits zu Lebzeiten genoss, zeigt die Tatsache, dass er als katholischer Priester in der Zeit heftigster konfessioneller Auseinandersetzungen im protestantischen Basler Münster beigesetzt wurde.

Kritik

Verhältnis zum Judentum

Der Antisemitismus von Erasmus[3] ist ein lange eher verdrängter Aspekt der Geschichte des Humanismus in Europa.[4] Es finden sich irritierende Formulierungen in Briefen von Erasmus und nicht nur im Zusammenhang der damaligen Pfefferkorn-Reuchlin-Auseinandersetzung. Erasmus sagt beispielsweise über den Apostaten Johannes Pfefferkorn, dieser „(...) hätte doch nur völlig Jude bleiben sollen oder wie er an seiner Vorhaut beschnitten sei, auch an seiner Zunge und beiden Händen beschnitten werden sollen.“[5]. Oder: „Jenes Volk mit seinen schauererregenden Geschichten verbreitet, wie ich sehe, nichts als Dunst durch seinen Talmud, die Kabbala, (...). Ich fürchte, dass (...) jene einst schon unterdrückte Pest wieder ihr Haupt erheben könnte.“[6].

Der Antisemitismus des Erasmus richtete sich nicht nur gegen den getauften Juden Pfefferkorn als Einzelnen, sondern gegen die ganze „Judenbrut“, die er als Mittler des Satans und auch als Verbündete der aufständischen Bauern verketzerte.

Erasmus blieb damit trotz seines Kampfes für relative Religionsfreiheit und Bildung in seiner Einstellung zum Judentum lebenslang den Vorurteilen seiner Epoche verhaftet. Sein „tiefgründiger Judenhass“ hinterlasse damit, so Guido Kisch, einen „bedenklichen Makel“[7] an seinem Charakterbild.

Ehrung

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Logo der Erasmus-Universität Rotterdam

Nach Erasmus ist das Erasmus-Programm zur Förderung des Auslandsstudiums innerhalb der Europäischen Union benannt. Ihm zu Ehren wurde eine Büste in der Walhalla aufgestellt.

In Basel sind der Erasmusplatz und das Erasmushaus nach ihm benannt. In Rotterdam tragen die Erasmus-Universität, die Erasmusbrücke und die Erasmuslinie der Rotterdamer U.-Bahn den Namen des größten Sohnes der Stadt.

Im Stadtteil Lütten-Klein in Rostock gibt es das Erasmus - Ganztagsgymnasium.

Werke

  • Enchiridion militis Christiani. (1503)
  • Encomium Moriae. Lob der Torheit (1511)
  • Institutio Phillip Grundmann. «Die Erziehung des christlichen Fürsten», (1515)
  • Die Klage des Friedens (Querela pacis). (1517) Übersetzt und herausgegeben von Kurt Steinmann. Insel-Verlag, 2001. ISBN 345834487X
  • Vom freien Willen (De libero arbitrio). (1524) Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, 1998. ISBN 3525340079
  • Dialogus Ciceronianus. (1528)

Literatur

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Altes Vorsatzbild mit einem Holzstich des Erasmus
  • Bentley-Taylo, David: My dear Erasmus. – Fearn: Christian Focus Publ., 2002
  • Christ-von Wedel, Christine: Erasmus von Rotterdam. Anwalt eines neuzeitlichen Christentums – Münster: Lit., 2003
  • Faluday, György: Erasmus von Rotterdam. – Frankfurt am Main: Societäts-Verlag, 1973
  • Halkin, Léon E.: Erasmus von Rotterdam. – Zürich: Benziger, 1989
  • Huizinga, Johan: Erasmus. – Reinbek: Rowohlt, 1993 – Neuauflage
  • Kisch, Guido, Erasmus und die Jurispudenz seiner Zeit. Studium zum humanistischenn Rechtsdenken. Basler Studien zur Rechtswissenschaft 56, S. 69–89, Basel 1960
  • Kisch, Guido: Erasmus´ Stellung zu Juden und Judentum. In: Philosophie und Geschichte. Eine Sammlung von Vorträgen und Schriften aus dem Gebiet der Philosophie und Geschichte Nr. 83/ 84, Tübingen 1969: 5–39
  • Meissinger, Karl August: Erasmus von Rotterdam. Gallus-Verlag, Wien, 1942
  • Obermann, Heiko A. Wurzeln des Antisemitismus. Christenangst und Judenplage im Zeitalter von Humanismus und Reformation, Berlin 1981
  • Schultz, Uwe: Erasmus von Rotterdam. Der Fürst der Humanisten – München: Deutscher Taschenbuchverlag, 1998
  • Zeller, Susanne: Juan Luis Vives (1492–1540), (Wieder)Entdeckung eines Europäers, Humanisten und Sozialreformers jüdischer Herkunft im Schatten der spanischen Inquisition, Freiburg i. Br. 2006 (a)
  • Zeller, Susanne: Der Humanist Erasmus von Rotterdam (1469–1536) und sein Verhältnis zum Judentum. In: Kirche und Israel 21/ 2006, H. 1, S. 17–28
  • Zweig, Stefan, Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam, Frankfurt/ M. 2003, 19. Aufl.
Nachweise
  1. Vgl. Klaus Schreiner, Gerhard Besier: Toleranz, Geschichtliche Grundbegriffe, hg. Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck, 7 Bde., Stuttgart 1972-92, Bd. 6, 445-605, 473; Mario Turchetti: L'Une question mal posée: Erasme et la tolerance. L'idée de sygkatabasis, Bibliothèque d'Humanisme et Renaissance 53 (1991), 379-95; István Bejczy: Tolerantia: A Medieval Concept, in: Journal of the History of Ideas 58/3 (1997), 365-384, 176ff
  2. Belege bei Bejczy 1997, 377
  3. Eine umfassende Studie dazu liegt vor mit Shimon Markish: Erasmus and the Jews, übers. A. Olcott, Chicago: University of Chicago Press 1986
  4. Zum weiteren Kontext siehe auch Heiko Augustinus Oberman: Wurzeln des Antisemitismus. Christenangst und Judenplage im Zeitalter von Humanismus und Reformation, Berlin 2. A. 1981
  5. Erasmus: Löwen 2./ 3. Nov. 1517
  6. Erasmus: Löwen 13.3.1518
  7. Kisch 1969: 38f.
Quellen
Wikisource: Desiderius Erasmus Roterodamus – Quellen und Volltexte (Latein)
Commons: Desiderius Erasmus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Über Erasmus