Adam Müller-Guttenbrunn (eigentl. Adam Müller; Pseudonyme Franz Josef Gerhold, Ignotus, Michl Vetter, Figaro, * 22. Oktober 1852 in Guttenbrunn/Banat im Kaisertum Österreich, heute Zabrani in Rumänien; † 5. Januar 1923 in Wien), war ein österreichischer Schriftsteller, Journalist, Bühnenautor, Theaterdirektor, Kritiker und Nationalrat. Er gilt als Integrationsfigur und Hauptvertreter der Literatur der Donauschwaben, sein Werk ist im antisemitisch-deutschnationalen Umfeld zu sehen.

Leben
Weg nach Wien
Müller-Guttenbrunn stammte aus dem Kreis der Banater Schwaben, einer deutschsprachigen Minderheit im Banat. Als uneheliches Kind eines Bauern und einer Wagnerstocher sowie als Angehöriger einer sprachlichen Minderheit war er in vieler Hinsicht sozial benachteiligt. Er besuchte deutschsprachige Schulen in Guttenbrunn und Temeswar und betätigte sich in verschiedenen Berufen.
Sein Scheitern am Temeswarer Piaristengymnasium führte Müller-Guttenbrunn auf die Einführung des Ungarischen als Unterrichtssprache im Zuge des Österreichisch-Ungarischen Ausgleichs zurück:
- Mitte der 60er Jahre bereitete die plötzliche Einführung der magyarischen Vortragssprache am Temeswarer Gymnasium meinem Studienfortgang ungeahnte Schwierigkeiten. Der Unterricht verwandelte sich mit einem Schlage in eine mechanische Abrichtung, wir plapperten unverstandene magyarische Sätze, wir beteten sogar magyarisch und sangen in der Kirche in dieser Sprache. Die Schule verlor infolge dieser Vorgänge jeden Reiz für mich, sie wirkte entsittlichend auf mich. (Der Roman meines Lebens, 1927)
1870 kam Müller-Guttenbrunn nach Wien, betätigte sich als Telegrafist in Linz und Bad Ischl, bildete sich als Autodidakt an der philosophischen Fakultät und verfasste Theaterstücke, die den Beifall des Burgtheater-Direktors Heinrich Laube fanden, der ihn protegierte. So konnte Müller-Guttenbrunn 1879 endgültig nach Wien übersiedeln.
Die Dezemberverfassung ermöglichte nicht nur eine nationale Selbstständigkeit der Ungarn, sondern machte Juden de jure zu gleichberechtigten Bürgern, die nun in viele Berufe vordrängten, die ihnen bisher verwehrt waren. Wien galt als Zentrum der Deutschsprachigen. Angehörige von deutschsprachigen Minderheiten aus der Peripherie der Donaumonarchie wie Müller-Guttenbrunn und viele Juden, die über das Jiddische leichter Zugang zum Deutschen als zum Ungarischen oder zu den slawischen Sprachen hatten, fanden sich daher in großer Zahl in Wien ein und machten sich gegenseitig Konkurrenz. Müller-Guttenbrunn versuchte sich, mit der alteingesessenen Wiener Bevölkerung zu verbünden, als Georg von Schönerer die deutsch-österreichischen Überfremdungsängste anheizte. Im Angesicht der rasanten Veränderungen entstand die Wunschvorstellung eines vergangenen, unversehrten Alt-Wien. In seiner Schrift Wien war eine Theaterstadt (1880), die gegen die Wiener Operette polemisierte und ihr das Wiener Volksstück von Ferdinand Raimund und Johann Nestroy entgegenhielt, beschwor Müller-Guttenbrunn eine scheinbar verlorene Zeit des Volkstümlichen im Strudel der Urbanisierung.
1883 begann seine journalistische Tätigkeit in der Deutschen Wochenschrift, ab 1886 leitete er das Feuilleton der Wiener Deutschen Zeitung. 1986 heiratete er seine Frau Adele, mit der er drei Söhne, Herbert, Manfred und Roderich, und eine Tochter, Eva, hatte.
Theaterdirektionen
Im Anschluss an nostalgische Theaterveranstaltungen anlässlich der Internationalen Ausstellung für Musik- und Theaterwesen 1892 in der Wiener Rotunde versuchte Müller-Guttenbrunn, seine konservativen Vorstellungen in die Tat umzusetzen. Er bemühte sich um eine „Erneuerung der Wiener Bühne im nationalen Geist“ (Deutsches Theater-Lexikon, 1953).
1893–1896 war Müller-Guttenbrunn Direktor des neu gegründeten Raimundtheaters. Er und sein künstlerischer Beirat Hermann Bahr verstanden das Theater als Sprechbühne mit klassischen Volksstücken, die ein Gegengewicht zur großbürgerlichen „Operettendekadenz“ darstellen sollten. Alexander Girardi, Eleonora Duse, Max Reinhardt, Louise Dumont und Adele Sandrock traten hier auf. Dass aufgrund seines Programms viele Erfolgsstücke und -autoren nicht gespielt werden konnten, war ein Hindernis für ein Theater, das sich zum Wesentlichen über die Abendeinnahmen finanzieren musste. Ein Reflex von Müller-Guttenbrunns kulturpolitischen Vorstellungen ist der Film Die Stadt ohne Juden (1924), in dessen Handlung die Theater nur noch Stücke von Ludwig Ganghofer und Ludwig Anzengruber aufführen.
1898–1903 führte Müller-Guttenbrunn das ebenfalls neu gegründete Kaiserjubiläums-Stadttheater. Dieses zweite Direktorat endete wie das erste mit einem wirtschaftlichen Fiasko.
Politische Tätigkeit
Müller-Guttenbrunn schrieb fortan unter dem Pseudonym „Ignotus“. 1897 wurde er Präsident der als national und antisemitisch eingestuften Deutsch-österreichischen Schriftstellergenossenschaft. In der Regierungszeit des Bürgermeisters Karl Lueger waren diese Zielsetzungen nichts Ungewöhnliches. Der Kaiser bekämpfte jedoch den Antisemitismus nach wie vor. 1919 trat Müller-Guttenbrunn für kurze Zeit als Angehöriger der Großdeutschen Vereinigung als Listenführer für den Wahlkreis I in den Nationalrat der neuen Republik Deutschösterreich ein.
Der Schwabendichter
Die Banater Schwaben waren keine Schwaben, obwohl sie so genannt wurden. Ihr Dialekt gehört zu den Fränkischen Sprachen, was sich an Müller-Guttenbrunns Dichtungen leicht erkennen lässt. Trotzdem wurde er zum „Schwabendichter“. Nach seinem Rückzug aus dem öffentlichen Leben widmete er sich in verstärktem Maß der Schriftstellerei und schrieb in den letzten fünfzehn Jahren seines Lebens vorwiegend Heimatromane. Eine Reise in seine Heimat im Jahre 1907 gab die Anregung für Spätwerke, die sich bevorzugt mit der deutschen Minderheit im Königreich Ungarn beschäftigen.
Die Anthologie Schwaben im Osten, die er 1911 in Heilbronn herausgab, vereinte zum ersten Mal Werke banatschwäbischer Autoren. Die Glocken der Heimat, ein Siedlerroman, der das Schicksal der deutschen Gemeinde Rudolfsgnad gestaltete, wurde mit dem Bauernfeld-Preis ausgezeichnet. Die Novelle Der kleine Schwab wurde in der Zwischenkriegszeit zur Schulbuchlektüre. Hauptwerk ist der Roman Der große Schwabenzug (1913), der die im 18. Jahrhundert aus Südwestdeutschland eingewanderten Donauländer zum Thema hat, für die sich der Name Donauschwaben eingebürgert hat. Rolf Bossert, der bekannteste deutsche Literat des Banats in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, parodierte später diesen Heimatroman.
Nachwirkung
Müller-Guttenbrunn erhielt auf dem Wiener Zentralfriedhof ein Ehrengrab.
Das Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus in Temeswar ist Sitz des Demokratischen Forums der Deutschen im Banat und des Deutschen Kulturzentrums. Der Temeswarer Literaturkreis vergibt einen Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturpreis. In Arad gibt es ein Müller-Guttenbrunn-Lyzeum.
In Baden-Württemberg, in Mosbach-Masseldorn, stehen zwei Gedenkstätten und eine Müller-Guttenbrunn-Schule. Eine weitere Müller-Guttenbrunn-Schule befindet sich in Fürth (Odenwald).
Werke
- Im Banne der Pflicht (Drama), 1876
- Des Hauses Fourchambault Ende. Schauspiel in 5 Aufzügen. Breslau: Schottlaender, 1881
- Wien war eine Theaterstadt. Wien: Graeser, 1885
- Das Wiener Theaterleben. Leipzig/Wien: Spamer, 1890
- Irma. Schauspiel in 4 Akten. Dresden: Pierson, 1891
- Dramaturgische Gänge. Dresden: Pierson, 1892
- Die gefesselte Phantasie. Gelegenheitsschrift zur Eröffnung des Raimund-Theaters. Wien: Konegen, 1893
- Im Jahrhundert Grillparzers. Literatur- und Lebensbilder aus Österreich. Wien: Kirchner & Schmidt, 1893
- Deutsche Culturbilder aus Ungarn. Leipzig: Meyer, 1896
- Die Magyarin. Erzählung aus dem ungarischen Räuber-Leben. Leipzig, 1896
- Das Raimund-Theater. Passionsgeschichte einer deutschen Volksbühne. Wien: Neue Revue, 1897
- Gärungen-Klärungen. Wiener Roman. Wien: Österreichische Verlagsanstalt, 1903
- Streber & Comp. Schauspiel in 4 Akten. Dresden: Pierson, 1906
- Die Dame in Weiß. Ein Wiener Roman. Wien: Konegen, 1907
- Götzendämmerung. Ein Kulturbild. Wien: Akademie Verlag, 1908
- Curort Baden bei Wien. Wien: Reisser, 1909
- Der kleine Schwab`. Abenteuer eines Knaben. Leipzig: Staackmann, 1910
- Die Glocken der Heimat. Roman. Leipzig: Staackmann, 1911
- Es war einmal ein Bischof. Roman. Leipzig: Staackmann, 1912
- Der große Schwabenzug. Roman. Leipzig: Staackmann, 1913
- Arme Komödianten. Ein Geschichtenbuch. Leipzig: Staackmann, 1913
- Die Ährenleserin. Erzählung. Temesvar, 1913
- Das idyllische Jahr. Ein Sommerbuch. Leipzig: Staackmann, 1914
- Altwiener Wanderungen und Schilderungen. Wien: Schulbücherverlag, 1915
- Völkerkrieg! Österreichische Eindrücke und Stimmungen. Graz: Moser, 1915
- Österreichs Beschwerdebuch. Einige Eintragungen. Konstanz, 1915
- Barmherziger Kaiser! Roman. Leipzig: Staackmann, 1916
- Kriegstagebuch eines Daheimgebliebenen. Eindrücke und Stimmungen aus Österreich-Ungarn. Graz: Moser, 1916
- Wiener Historien. Konstanz, 1916
- Joseph der Deutsche. Ein Staatsroman. Leipzig: Staackmann, 1917
- Meister Jakob und seine Kinder. Roman. Leipzig: Staackmann, 1918
- Das häusliche Glück. Ein Familienbild in 3 Akten. Leipzig: Staackmann, 1918
- Deutsche Sorgen in Ungarn. Studien und Bekenntnisse. Wien: Strache, 1918
- Österreichs Literatur und Theaterleben. Wien, 1918
- Sein Vaterhaus. Roman. Leipzig: Staackmann, 1919
- Dämonische Jahre. Ein Lenau-Roman. Leipzig: Staackmann, 1920
- Die schöne Lotti und andere Damen. Ein Geschichtenbuch. Wien: Wiener literarische Anstalt, 1920
- Auf der Höhe. Ein Lenau-Roman. Leipzig: Staackmann, 1921
- Aus herbstlichem Garten. 5 Novellen. Leipzig: Staackmann, 1922
- Altösterreich (Roman), 1922
- Erinnerungen eines Theaterdirektors, Hg. Roderich Müller-Guttenbrunn. Leipzig: Staackmann, 1924
- Der Roman meines Lebens. Aus dem Nachlass zusammengestellt von Roderich Müller-Guttenbrunn. Leipzig: Staackmann, 1927
- Wanderungen durch Altösterreich. Hg. Roderich Müller-Guttenbrunn. ÖBV, Wien/Leipzig, 1928
Literatur
- Ferdinand Ernst Gruber: Adam Müller-Guttenbrunn, der Erzschwab. Eine Studie, Leipzig 1921.
- Anna Gerstner: Adam Müller-Guttenbrunns Bemühungen als Theaterdirektor. Dissertation, Wien 1946.
- Richard S. Geehr: Adam Müller-Guttenbrunn and the Aryan Theater of Vienna, 1898-1903. The approach of cultural fascism. Göppingen: Kümmerle 1974. ISBN 387452227X
- Hans Weresch, Adam Müller-Guttenbrunn. Sein Leben, Denken und Schaffen, 2 Bände, Freiburg im Breisgau 1975.
- Alexandra Müller-Guttenbrunn: Leben und Werk Adam Müller-Guttenbrunns, unter besonderer Berücksichtigung seiner Arbeit als Feuilletonist, Diplomarbeit, Wien 1995
Weblinks
Personendaten | |
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NAME | Müller-Guttenbrunn, Adam |
ALTERNATIVNAMEN | eigentl. Adam Müller |
KURZBESCHREIBUNG | österreichischer Schriftsteller und Kulturpolitiker |
GEBURTSDATUM | 22. Oktober 1852 |
GEBURTSORT | Guttenbrunn/Banat |
STERBEDATUM | 5. Jänner 1923 |
STERBEORT | Wien |