Kinderarmut in den Industrieländern

Armut von Personen eines vorgegebenen Altersrahmens; üblicherweise ab der Geburt bis zum 18. Geburtstag
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Unter Kinderarmut in den Industrieländern versteht man die materielle Armut von Minderjährigen in den industrialisierten Ländern.

Neben der materiellen Armut wird auch von Bildungsarmut gesprochen. Oftmals greifen der geringere Zugang zu materiellen und zu Bildungsressourcen ineinander und verstärken sich gegenseitig.

Einer Studie der UNICEF zufolge stieg in den letzten zehn Jahren (1995-2005) die Anzahl der Kinder in Armut in 17 von 24 OECD-Staaten und fiel in 7 Industrie-Staaten. Sechs davon hatten zuvor ein sehr hohes Niveau der Kinderarmut gehabt. Lediglich Norwegen kann beschrieben werden als Industriestaat, in dem die Kinderarmut sehr gering ist und kontinuierlich fällt.[1]

Kinderarmut geht oft mit schlechter Gesundheit und verzögerter emotionaler und kognitiver Entwicklung der betroffenen Kinder einher. Allerdings kann keinesfalls davon gesprochen werden, dass alle Kinder gleichermaßen negativ von Armutslagen im Elternhaus betroffen sind. Elterliche Ressource, Humanvermögen und kulturelles Kapital können dazu beitragen, dass sich Kinder trotz Armut gut entwickeln. Studien aus Dresden zeigen, dass Eltern sich of bemühen, ihre Kinder vor den Auswirkungen der Armut zu schützen [2]. Besonders Eltern, die selbst viel kulturelles Kapital (= eine hohe Bildung) haben, geben ihren Kindern trotz Armut Unterstützung in der Schule und planen für diese weiterhin gute Schulabschlüsse [3].

Auch Kinder, die in bestimmten kulturellen Milieus aufwachsen, die sich durch gegenseitige Hilfestellung und starke Familienwerte auszeichnen, scheinen vor den Auswirkungen der Armut weitgehende geschützt zu sein. Dazu zählen etwa Kinder von Minderheiten (wie etwa die vietnamesische Minderheit) oder auch Bauernkinder.

Kinderarmut wird gesellschaftlich sehr ernst genommen, einerseits aufgrund des Mitgefühls mit betroffenen Kindern, andererseits wegen der möglichen langfristigen Wirkungen auf die Gesellschaft. So wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass sich die durch langfristige Armut sich aufstauenden Emotionen von Wut, Hass und Verzweiflung sich in Kleinkriminalität und organisiertem Verbrechen ausdrücken können und langfristig Kosten beispielsweise für Gewalt- und Drogenbekämpfung nach sich ziehen können [4].

Definition von Kinderarmut in den Industrieländern

Generell wird Kinderarmut als materielle und relative Armut gemessen. Kinder gelten dann als arm, wenn sie in Haushalten leben, die lediglich über 50% (bzw. 60%) des Medians des jeweiligen gewichteten Nettoäquivalenzeinkommens Landes verfügen.[5]

In anderen Studien wieder werden diejenigen als arm bezeichnet, die von Sozialleistungen leben. Damit gelten alle die Kinder als arm, die Sozialgeld erhalten.

Eine neue Studie der Unicef bezieht jedoch neben der materiellen Situation fünf weitere Armuts-Dimensionen ein: Gesundheit, Bildung, Beziehung zu Eltern und Gleichaltrigen, Lebensweise und Risiken und die eigene Einschätzung der Kinder.[6]

Kinderarmut in Deutschland

Bundesland Anteil Kinder, die
Sozialgeld beziehen
Bayern 6,6%
Baden-Württemberg 7,2%
Rheinland-Pfalz 9,9%
Hessen 12,0%
Niedersachen 13,5%
Nordrhein-Westfalen 14,0%
Saarland 14,0%
Schleswig-Holstein 14,4%
Hamburg 20,8%
Thüringen 20,8%
Brandenburg 21,5%
Sachsen 22,8%
Mecklenburg-Vorpommern 27,8%
Sachsen-Anhalt 27,9%
Bremen 28,1%
Berlin 30,7%
Deutschland (insgesamt) 14%
Stand: Juni 2005 [7]

Untersuchungen von UNICEF zeigen, dass die Kinderarmut in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt deutlich schneller gestiegen ist als die Armutsrate in der übrigen Bevölkerung. Besonders schwierig ist die Situation für Kinder aus Zuwandererfamilien und Kinder von Alleinerziehenden[8]

Es fällt auf, dass es starke Unterschiede hinsichtlich der Kinderarmut gibt. Im reichen Bayern leben nur 6,6% der Kinder von Sozialgeld. Im armen Berlin müssen 30,7% der Kinder vom Sozialgeld leben.

Kinderarmut wird in Deutschland nicht immer als solche erkannt, zumal ihre Anzeichen und Auswirkungen anders aussehen als die aus den Medien wohlbekannten Bilder von Kinderarmut in der Dritten Welt. Sie wird im Bewusstsein der Öffentlichkeit oft den Eltern zu Last gelegt, und diese erfahren wenig Solidarität. [9]

Dem Kinderreport Deutschland 2007 zufolge sind in der Bundesrepublik Deutschland 14% der Kinder arm. Es wird geschätzt, dass knapp 6 Millionen Kinder in Haushalten wohnen, in denen die Eltern über ein für die Familie nicht existenzsicherndes Jahreseinkommen von insgesamt (höchstens) 15.300 Euro verfügen.[10][11] Dies sind ein Drittel der kindergeldberechtigten Eltern. Insgesamt verdoppele sich alle zehn Jahre in Deutschland die Zahl armer Kinder.

Mögliche Ursachen von Kinderarmut in Deutschland

  • Steuer- und Sozialsystem:
    • Das Deutsche Kinderhilfswerk sieht die Ursache für Kinderarmut in Deutschland im Steuer- und Sozialsystem, welches eine Kindergrundsicherung ausschließt.[12]
    • Auch die Studie der UNICEF zur Kinderarmut in Deutschland betonte "that the German taxtransfer system plays an important role in reducing the chances of poverty among children." [13]
Siehe auch: Grundfreibetrag (einkommensteuerliches Existenzminimum)
  • Kinderarmut wird oft auf Mütterarmut zurückgeführt [14].


Auswirkungen der Kinderarmut in Deutschland

Körperliche Auswirkungen der Kinderarmut in den Deutschland

Armut wirkt sich auf die Gesundheitschancen der Jungen und Mädchen aus.

Während der Schwangerschaft

Bereits in der Schwangerschaft haben arme Kinder schlechtere Chancen. Kinder armer Mütter kommen häufiger zu früh zur Welt als Kinder wohlhabenderer Mütter. Diese zu früh geborenen Kinder leiden im späteren Leben häufig (zu rund 30 Prozent) unter schweren Lernstörungen, Verhaltensauffälligkeiten und Intelligenzentwicklungsstörungen. Sie erhielten außerdem häufig eine nur unzureichende oder keine Frühförderung und entwicklungsunterstützende Therapie, die sie dringend benötigt hätten.[15] In der unteren sozialen Schicht rauchen 40% während der Schwangerschaft.[16].

Im späteren Leben

Auch im späteren Alter schädigt das Rauchen der Eltern die Gesundheit armer Kinder. In der unteren sozialen Schicht wird in drei von vier Haushalten mit Kindern unter sechs Jahren geraucht.[17]

Daten des Jugendgesundheitsdienstes in Köln (Abel, 1998) belegen, dass die Teilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen U8 und U9 ebenso wie die Inanspruchnahme von Therapien bei behandlungsbedürftigen Entwicklungsstörungen vom sozialen Status der Eltern abhängen. Eine weitere Untersuchung zur Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchung U9 zeigte, dass die Teilnahmequote von Kindern aus Familien ohne eigenes Einkommen bei 27 Prozent lag, wohingegen sie insgesamt 61 Prozent betrug.[15] Arme Kinder werden nicht selten Opfer vom Umweltverschmutzung. UBA-Chef Andreas Troge berichtete, dass sie besonders Autoabgas- und Nikotin-Vergiftungen erlitten, die auf ihre ärmlichen Wohnviertel zurückzuführen seien[18] (siehe dazu auch: Umweltgerechtigkeit).

Arme Kinder verunglücken häufiger als nichtarme Kinder. Sie haben doppelt so häufig Verkehrsunfälle und erleiden doppelt so häufig Verbrühungen wie Kinder aus wohlhabenden Familie. Selbst bei den tödlichen Unfällen sind arme Kinder überrepräsentiert[15](siehe auch: Kindersicherheit).

Nach Angaben von Prof. Dr. Klaus Peter Strohmeier, Professor an der Ruhr-Uni Bochum, sind 80% der Jugendlichen in den bürgerlichen Vierteln Bochums gesund. In den Großsiedlungen sind es nur 10 bis 15 Prozent. Als Krankheiten, die mit Kinderarmut einhergehen, nennt er vor allem Übergewicht und motorische Störungen.[19] Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte fordert, dass die Kinderarmut in Zukunft entschieden bekämpft werden solle. Der Präsident des Verbandes, Dr. Wolfram Hartmann sagte: "Entwicklungsstörungen, Übergewicht, Drogenkonsum, lückenhafter Impfschutz und chronische Krankheiten: die gesundheitlichen Schäden, die eng mit Kinderarmut verbunden sind, sind dramatisch"[20]

Kinderarmut und Ernährung

Arme Kinder ernähren sich oft ungesünder als reiche. So nehmen sie mehr Fleisch und weniger Obst und Gemüse zu sich [21]. Als Konsequenz leiden sie häufiger unter Vitaminmangel, Müdigkeit, Konzentrationsproblemen und Übergewicht.[8]

Gesundes Essen ist zu teuer [22]
Lebensmittel konventionalle Lebensmittel Bio-Lebensmittel
450 g. Vollkornbrot 45 Cent 80 Cent
100 g. Früchtemüsli 45 Cent 37 Cent (sic! tatsächlich billiger als das konventionelle)
1,5 Liter Apfelsaft 70 Cent 1,64 Euro
1,5 Liter Mineralwasser 20 Cent 20 Cent
500 g Gemüse 50 Cent 75 Cent
550 g Obst 1 Euro 93 Cent (sic!)
500 g Spaghetti 30 Cent 79 Cent
500 ml Frischmilch 30 Cent 40 Cent
200 ml Joghurt, fettarm 20 Cent 36 Cent
80 g Käse (45% Fett) 50 Cent 64 Cent
100 g Wurst 1 Euro 99 Cent (sic!)
125 g Schweinefleisch 1,25 Euro 72 Cent (sic!)
40 g Butter 12 Cent 21 Cent
35 g Sonnenblumenöl 4 Cent 13 Cent
35 g Marmelade 8 Cent 13 Cent
160 g Kuchen 1,30 Euro 98 Cent (sic!)
Summe 8,39 Euro 10,04 Euro
Tagessatz einer ALG2 Empfängerin mit einem Kind 7 Euro 7 Euro
Fehlende finanzielle Mittel ~20% ~43%
http://www.ugb.de/e_n_1_145959_n_n_n_n_n_n_n.html


Ein Reporter des Magazins Planet Wissen liess sich von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) die Tagesration für eine 35-jährige Frau und ein zehnjähriges Kind zusammenstellen. Selbst in einem sehr günstigen Supermarkt bezahlte er 8,39 Euro, um die empfohlenen Lebensmittel einzukaufen. Würde man Bioprodukte bevorzugen käme man sogar auf mindestens zehn Euro. Eine 35-jährige Frau, die ALG2 bezieht, hätte jedoch zusammen mit ihrem Kind nur rund sieben Euro zur Verfügung.[22]

Kognitive und intellektuelle Auswirkungen der Kinderarmut in Deutschland

Viele Kinder aus benachteiligten Wohnvierteln weisen bereits bei der Einschulung Defizite bei Feinmotorik, Grobmotorik und Sprachfähigkeit auf [8] In Deutschland haben Kinder aus Familien, die lange in Armut leben, haben einen 9 Punkte geringeren IQ als Kinder aus nie verarmten Familien. [23]. Wohlgemerkt geht es hier um durchschnittliche Werte. Die IQs beider Gruppen sind normalverteilt, das heisst sie folgen der Form einer Glockenkurve. Der Scheitelpunkt der Glockenkurve jedoch liegt bei niemals arm gewesenen Kindern bei 100 und bei in Armut lebenden Kindern bei 91. Es gibt also sowohl sehr intellligente arme Kinder als auch sehr wenig intelligente reiche Kinder. Über den IQ eines einzelnen in Armut oder Reichstum lebenden Kindes sagen diese Ergebnisse nichts aus. Wohl aber sagen sie aus, dass unter armen Kinder der Prozensatz der Kinder, die Gefahr laufen in der Schule zu versagen stark erhöht ist.

Ähnliche Unterschiede in der Intelligenz zwischen armen und niemals arm gewesenen Kinder zeigten sich auch in den USA [24]. Studien zeigen, dass sich der niedrige IQ von Kindern aus armen Familien vor allem durch Umweltfaktoren erklären lässt. Während in der Mittelschicht die Intelligenz zu einem großen Teil vererbt wird, lässt sich der niedrige IQ der Kinder aus verarmten Bevölkerungschichten vor allem durch mangelnde Förderung, schlechte Ernährung und schlechte Schulen erklären [25] (siehe dazu auch: Intelligenz). In Den USA hat es bereits Anstrengungen gegeben, dies zu ändern. Es hat sich gezeigt, dass die Intelligenzentwicklung mit speziellen Programmen förderbar ist (siehe unten, zum Beispiel bei Milwaukee Project und Abecedarian Early Intervention Project).

Leider gibt es in Deutschland nur wenige solcher Programme.

Bildungsbenachteiligung

Es besteht eine Wechselwirkung zwischen Armut und Bildungsarmut, bzw. Bildungsbenachteiligung.

Seelische Auswirkungen der Kinderarmut in Deutschland

Auswirkungen auf die Lebenschancen

Die Auswirkungen der Armut auf die Lebenschancen sind verschiedenartig. Es wäre falsch, von einer einheitlichen Lebenssituation armer Kinder auszugehen. Armut wirkt dort am zerstörerischsten, wo sie von langer Dauer ist und mit Bildungsarmut der Eltern, Arbeitslosigkeit und dem Leben in benachteiligten Stadtteilen einhergeht. Die negativen Konsequenzen der Armut können ausbleiben. vor allem dann, wenn die Armutsepisode nur von kurzer Dauer ist, die Armut nicht mit Bildungsarmut oder Arbeitslosigkeit einhergeht und die Familie sozial integriert ist.[26]

 
Dorothea Lange, 1936: Eine Mutter zu Zeiten der Great Depression

Dass Armut sogar positive Auswirkungen auf den weiteren Lebensverlauf haben kann deutet sich in den Forschungen von Glen Elder an, der den Lebensweg von Kindern, die zur Zeit der großen Depression in Armut lebten nachverfolgt hat. Die Kinder wurden zu sozial angepassten Erwachsenen mit starken Familienwerten und – und damit hätte keiner gerechnet – sie waren beruflich erfolgreicher als Personen aus Familien, die nie arm gewesen waren.[27]

Armut wirkt sich mehrheitlich jedoch negativ auf das Wohlergehen von Kindern aus. Sie geht meistens mit Bildungsarmut und sozialer Benachteiligung einher.

Entkommen aus der Armutsfalle: Kinder spanischer Gastarbeiter

Spanien war noch in den 1970er Jahren eine Diktatur unter der Herrschaft des Francisco Franco. Wegen dieser Situation kamen viele Spanier nach Deutschland, um hier eine bessere Zukunft zu finden. Die Masse der spanischen Einwanderer war relativ ungebildet und stammte aus den benachteiligsten Gegenden des Landes. Das Franco-Regime hatte das Bildungssystem gerade in diesen Gegenden wenig entwickelt, die Schulen boten nicht ausreichend viele Plätze für die Kinder. Da ihre Familien arm und oft ungelernt waren und sie die Sprache nicht sprachen, hatten die Kinder spanischer Migranten mit den typischen Gastarbeiterproblemen zu kämpfen. Heute jedoch sind sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen und besetzen ähnliche Berufspositionen wie Deutsche. Erklärt werden kann dieser erstaunliche Aufschwung mit der starken Selbstorganisation der spanischen Einwanderer und einer gezielten Bejahung der vollen Integration in das einheimische Schulsystem – in Deutschland zum Teil durchgesetzt gegen die Behörden, die Sonderklassen bilden wollten [28] Dies führte zu guten Schulabschlüssen, frühen Erfolgen bei der Vermittlung von Lehrstellen und entsprechenden Berufserfolgen[29]. Kaum ein spanischer Schüler verlässt die Schule ohne Abschluss [30]. Beachtenswert ist, dass die beruflichen und schulischen Erfolge der Spanier nicht mit einem Verlust ihrer kulturellen Identität einhergehen. Viele Spanier betrachten sich nach wie vor als ethnische Spanier, sie schicken mehr Geld in ihre Heimat als Migranten anderer Herkunftgruppen. Sie planen häufiger, in ihre Heimat zurückzukehren, als dies zum Beispiel Türken tun [31].

Erfolgreich trotz Armut: Die Kinder der vietnamesischen Vertragsarbeiter

Arme Bevölkerungsgruppen werden oft einseitig als Problem betrachtet. Dass dies nicht zwangsläufig so ist, zeigt zum Beispiel ein Blick auf die vietnamesische Bevölkerungsgruppe in Ostdeutschland. Obwohl diese Bevölkerungsgruppe in Armut lebt und die meisten Eltern nur eine geringe formale Bildung haben, erwiesen sich ihre Kinder als erfolgreich in der Schule. Vietnam gilt als „Preußen Asiens“. Fleiß und Familienehre spielen hier eine große Rolle. Eine wichtige Motivation für vietnamesische Kinder sich zu bilden ist die Familienehre. Die Kinder haben den Wunsch es zu etwas zu bringen, um dadurch die Ehre ihrer Familie zu steigern. In der vietnamesischen Kultur gilt es dagegen als schändlich, das Gesicht zu verlieren. Doch genau dies würde durch ein Versagen in der Schule passieren. Deswegen versuchen junge Vietnamesen, dies um jeden Preis zu vermeiden.[32],[33],[34]

Kinderarmut in anderen Ländern

Kinderarmut in der Schweiz

Trotz wirtschaftlichen Wachstums gibt es auch in der Schweiz Armut. 2005 waren rund 237’000 Personen auf staatliche Unterstützung angewiesen. Die Sozialhilfequote lag somit bei 3,3 Prozent. Auf dem Land war die Sozialhilfequote niedriger als in der Stadt. Das Sozialhilferisiko ist stark von der Familienform abhängig. Besonders gefährdet sind Kinder und Jugendliche, die mit einem Elternteil oder in kinderreichen Familien aufwachsen. Kinder und Jugendliche sind besonders häufig arm. Sie sind unter den Sozialhilfe beziehenden Personen mit einem Anteil von 31 Prozent deutlich übervertreten. Ihr Anteil an der Bevölkerung beträgt nur 21 Prozent. Überdurchschnittlich oft geraten Alleinerziehende in Armut: Fast 17 Prozent der Haushalte mit nur einem Elternteil bezog 2005 Sozialhilfe.[35]

Kinderarmut in Österreich

Österreich gibt im Vergleich zu anderen OECD Ländern erheblich mehr zur finanziellen Unterstützung von Familien mit Kleinkindern aus. Dies führt zu einer vergleichsweise geringen Kinderarmut und dazu, dass viele Frauen für mehrere Jahre aus dem Beruf aussteigen, um Hausfrau und Mutter zu werden [36].

Kinderarmut in Großbritannien

In Großbritannien hat sich die Anzahl der Kinder in armen Haushalten (weniger als 60% des Durchschnitteinkommens) von 12% 1979 auf 26% im Jahr 1996 mehr als verdoppelt und ist seitdem wieder leicht rückläufig. 2004 lebten noch immer 21% in Armut. Berechnet man die Wohnungskosten mit ein, dann stieg die Zahl der Kinder in Armut von 14% 1979 auf 35% 1996 und sank dann wieder auf 28% im Jahr 2004. [37]

Kinderarmutsrate in Großbritannien
(Kinder in Haushalten mit weniger
als 60% des Durchschnittseinkommens)
Jahr Insgesamt nach Abzug der
Wohnungskosten
1979 12% 14%
1995-1996 26% 35%
2003-2004 21% 28%
http://www.theyworkforyou.com/wrans/?id=2005-06-20a.807.h

Wohlfahrtsstaatliche Leistungen sind in Großbritannien vorrangig als Absicherung von Not- und Krisensituationen konzipiert. Nicht eine allgemeine Unterstützung von Familien, sondern gezielte armutsverhindernde Maßnahmen für Bedürftige kennzeichnete die Sozialpolitik bis in die 1980er. In den 1990ern wurde der hohe Anteil von Alleinerziehenden, die zu einem großen Anteil nicht erwerbstätig waren, zu einer der Hauptursachen für Armut – Großbritannien hatte eine der EU-weit höchsten Armutsrate von Kindern in Einelternfamilien. [38]

Tony Blair hatte (nach eigenen Angaben) das Ziel, die Kinderarmut innerhalb von 1999 bis 2005 um ein Viertel zu senken, bis 2010 zu halbieren und in einer Generation (bis 2020) zu beenden [38][39].

Die Arbeits-, Steuer- und Familienpolitik setzte die Bekämpfung der Kinderarmut als wichtigstes Ziel. Sie fokussierte, vor allem seit der Wahl von New Labour in 1997, auf Transferleistungen für Kinder in Familien mit niedrigem Einkommen und zielte zudem auf eine Erhöhung der Beschäftigungsrate alleinerziehender Mütter. Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf war ein dazu untergeordnetes Ziel. Eine schrittweise Abschaffung der ehebezogenen Transferleistung (Married Couples Allowance) und ein Ausbau des Kindergeldes, ergänzt durch ein einkommensabhängiges zusätzliches Kindergeld (Child Tax Credit), erhöhten die Transferleistungen für Kinder erheblich. Mütter wurden zu einer arbeitsmarktpolitischen Zielgruppe, allerdings in großem Maße für geringfügige Beschäftigung im Niedriglohnbereich. Kinderbetreuungsplätze wurden zwar in großer Zahl, aber im Umfang von wenigen Stunden pro Woche, zur Verfügung gestellt. [38]

Ein kindbezogener Gesetzesentwurf (Children´s Bill) legte Entwicklungsziele für Kinder und vielfältige Maßnahmen zu deren Erreichung fest. Neue, in Grundschulen unterzubringende Zentren sollten die Early Excellence und die Sure Start Programme in ein Programm zusammenfügen, im Interesse einer präventiven Armutsbekämpfung. [38]

Es gelang Blair nicht wie geplant, bis 2005 die Kinderarmut um ein Viertel zu senken, doch konnten bedeutende Fortschritte gemacht werden. Rund 700,000 Kinder konnten aus der Armut befreit werden. 3,4 Millionen leben noch in Armut. [40].

Nach der Studie der UNICEF von 2005 zur Kinderarmut in reichen Staaten sank die Kinderarmut zwischen 1995 und 2005 in Großbritannien um 3,1% und damit stärker als in allen anderen OECD-Staaten.

Staatliche Maßnahmen bleiben weiterhin vorrangig auf einkommenschwache Haushalte ausgerichtet. Kritisch gesehen wird dabei eine fehlende Ausrichtung auf soziale Mischung, da besserverdienende Eltern die Kinderbetreuung privat organisieren. [38]

Noch immer leben viele Kinder in Armut. Das ist besonders in Schottland der Fall. Im schottischen Craigmillar leben 59.6% der Kinder in Armut[41].

Kinderarmut in den USA

Nach Angaben des Armutsberichts des Amts für Volkszählungen vom August 2005 ist in den USA die Zahl der Menschen mit Einkommen unterhalb der Armutsgrenze 2004 zum vierten Mal in Folge angestiegen. 12,7 Prozent der Bevölkerung oder 37 Millionen Menschen seien arm. Dies ist ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr von 0,2 Prozentpunkten. Der Anstieg sei vor allem auf den höheren Anteil von Weißen zurückzuführen. Als arm gilt eine vierköpfige Familie, wenn sie weniger als rund 19.310 Dollar im Jahr ausgeben kann. Für Alleinstehende liegt die Grenze bei etwa 9.650 Dollar.

Wie in allen Industrieländern sind Kinder in den USA die Gruppe, die am häufigsten arm ist. Jedoch mit abnehmender Tendenz.

Schon seit den 1990er Jahren gibt es in Amerika nicht mehr die Sozialhilfe, wie wir sie kennen. 1992 wurde die so genannte Family Cap in New Jersey eingeführt. Frauen, die schwanger werden, während sie staatliche Unterstützung bekommen, bekommen keine zusätzliche staatliche Unterstützung für das weitere Kind. Heute haben 22 Bundesstaaten der USA Family Caps.[42] Der Personal Responsibility and Work Opportunity Act (PRWORA) von 1996 regelte die staatliche Sozialfürsorge neu und fasste bisherige Wohlfahrtsleistungen zu einem einzigen Programm, dem Temporary Assistance for Needy Families (TANF), zusammen und setzte enge Zeitgrenzen, insbesondere eine auf das Gesamtleben bezogene Maximalgrenze von fünf Jahren, für aus Bundesmitteln finanzierte Sozialhilfe [43]. Nach zweijährigem Bezug müssen Fürsorgeempfänger, um weiter Leistungen zu erhalten, mindestens 30 Wochenstunden Arbeitsdienst in öffentlichen Arbeitsprogrammen leisten [44]. Diese mit Arbeitsverpflichtung verknüpfte Sozialfürsorge wird auch als Workfare bezeichnet. Die Sozialleistungen können dabei, pro Stunde betrachtet, auch unter dem Mindestlohn liegen. Die Reform führte lauf Kritikern zu einer Zunahme der Beschäftigungszahlen, jedoch nicht zu einer Zunahme der sozialen Mobilität. Viele andere ehemalige Sozialhilfeempfänger erweisen sich in den Worten des Ökonomen Paul Samuelson zudem als »nicht beschäftigungsfähig und schlechter dran ohne kontinuierliche Sozialhilfe«. Zu ihnen zählen vor allem wenig gebildete Niedriglohnarbeiter ohne Arbeitserfahrung, soziale Problemfälle, geistig Behinderte, Drogenabhängige. Für andere dagegen hat sich die Lage gebessert. [45]

Befürworter der Reformen weisen darauf hin, dass durch TANF und die Family Cap die Anzahl armer Kinder abgenommen habe[46] Kritiker wiesen schon früh darauf hin, dass diese Abnahme der Kinderarmut vor allem durch eine Zunahme der Abtreibungen zu erklären sei und nicht dadurch, dass die Eltern in die Lage versetzt worden wären für ihre Kinder zu sorgen[47]. Allein zwischen 1992 und 1996 brachten in New Jersey Frauen, die Sozialhilfe bezogen, 14057 weniger Kinder zur Welt, als stastitisch bei gleich bleibender Geburtenrate zu erwarten gewesen wäre, bei 1429 mehr Abtreibungen als zu erwarten. [42]

Kinderarmutsrate verschiedener
ethnischer Gruppen in den USA
Jahr Insgesamt Afroamerikaner Hispanics
1996 20,5% 39,9% 40,3%
2001 16,3% 30,2% 28,0%
http://www.acf.hhs.gov/programs/ofa/annualreport5/chap09.htm

Resilient trotz Armut: Die Kinder der Boat People

Als „Boat People“ wurden in den 1970er und Anfang der 1980er Jahre vietnamesische Flüchtlinge bekannt, die nach dem Vietnamkrieg aus Angst vor dem neuen kommunistischen Regime mit seinen Arbeits- und Umerziehungslagern mit Booten über das südchinesische Meer flohen. Viele dieser Flüchtlinge suchten eine bessere Zukunft in den USA. Sie besaßen oft nicht mehr als die Kleidung, in der sie ankamen und sprachen kein Englisch. Über die Hälfte der Eltern hatte nur fünf Jahre lang oder kürzer die Schule besucht. Diese Flüchtlinge lebten oft in den schlimmsten Wohngegenden der großen Städte und arm wie sie waren, konnten sie sich keine privaten Schulen leisten, sondern mussten mit den unterfinanzierten öffentlichen Vorlieb nehmen. Ihr Versagen schien vorprogrammiert. Um so erstaunter war die Wissenschaft, als sie bei allen Leistungstest besser abschnitten als Kinder aus der Mittelschicht.

Nathan Caplan, Marcella H. Choy und John K. Whitmore gingen der Frage nach, warum das so war.

Eines der auffälligsten Ergebnisse der Studie war, dass Kinder mit vielen Geschwistern sich als leistungsstärker erwiesen, als Kinder mit wenigen Geschwistern oder gar Einzelkinder. Um das zu verstehen muss man die Rolle verstehen, die die Familie in der vietnamesischen Kultur spielt. Die deutsche oder auch die amerikanische Kultur sind individualistisch orientiert. Das heißt - verkürzt ausgedrückt - dass es dem Individuum vor allem darauf ankommt, seine eigenen Wünsche zu erfüllen. Die vietnamesische Kultur dagegen ist eher als kollektivistisch zu betrachten. Das heißt die Wünsche des Individuums sind weniger wichtig, als die Bedürfnisse der Familie als Gruppe.

Von älteren Geschwistern wird erwartet, dass sie ihren jüngeren Geschwistern bei den Hausaufgaben helfen. Davon profitieren die Kinder gewaltig. Sie lernten von ihren Geschwistern nicht nur Fakten, sondern auch akademische Strategien und Werthaltungen. Oft waren auch jüngere, noch nicht schulpflichtige Kinder, anwesend. Auch sie schienen spielerisch zu lernen, indem die ihre Geschwister beobachteten.

Es konnte nachgewiesen werden, dass für die Kinder der Boat People Bildung ein wichtigerer Wert war, als für die Kinder der weißen Amerikaner. Die Eltern, welche in vielen Fällen nicht die Chance auf eine gute Bildung gehabt hatten, wollten, dass es ihre Kinder mal besser hätten. Sie hielten Bildung für sehr wichtig[48],[49],[50](siehe auch: Resilienz (Psychologie und verwandte Disziplinen), für eine ausführlichere Beschiebung der Studie siehe: Armut: resiliente Ethnien).

Landkinder in den USA

Laut Elder sind Kinder verarmter Bauernfamilien trotz der Armut schulisch erfolgreich und gut integiert. Elder und Conger sehenfolgende Gründe:

  • starke intergenerationale Bindungen
  • Sozialisation in produktive Rollen
  • starkes Engagement der Eltern
  • Engagement der Kirchen, der Schulen und der ländlichen Gemeinschaft [51]

Studien zur Kinderarmut in den Industrieländern

Empirische Studien

UNICEF-Studien

Teilstudie zu Deuschland: Miles Corak, Michael Fertig and Marcus Tamm: A Portrait of Child Poverty in Germany

Zusammenfassung der deutschen Situation: UNICEF-Bericht zur Situation der Kinder in Industrieländern: Deutschland nur Mittelmaß

Studie der Arbeiterwohlfahrt

Hauptartikel: AWO-Studie

World-vision-Studie

Aus einer Studie, die vom Kinderhilfswerk World Vision finanziert wurde und für die 1.600 Kinder befragt wurden, geht hervor, dass sich Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern sich schon im Alter von 8 bis 11 Jahren für den Rest ihres Lebens benachteiligt fühlen. Es handelt sich um die erste umfassenden Milieustudie von Kindern dieser Altersgruppe. Der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann kommentierte: Die schlechten Startchancen "prägen alle Lebensbereiche und wirken wie ein Teufelskreis. Wie ein 'roter Faden' zieht sich eine Stigmatisierung und Benachteiligung dieser Kinder durch das ganze Leben hindurch". Des Weiteren belegte die Studie, dass Kinder aus sozial schwachen Schichten häufig auf sich allein gestellt seien. Da der Rückhalt, Anregungen oder gezielte förderung fehle, sei der Alltag dieser Kinder häufig einseig aus Medienkonsum ausgerichtet. Die Mitautorin der Studie, Sabine Andresen, stellte zudem heraus, dass die Klassengesellschaft keine neue Entwicklung sei. Erschreckend sei aber, wie sich in einem reichen Land wie Deutschland die Armut von Kindern «eklatant» auf ihre Biografien auswirke. Die Forscher stellten fest, dass viele Eltern mit der Erziehung überfordert seien. Deswegen müssten alle Bereiche der Gesellschaft helfen, die Kinder stark zu machen. [52]

Kinderreport Deutschland

Der Kinderreport Deutschland wird kontinuierlich vom Deutschen Kinderhilfswerk herausgegeben.

Hauptartikel: Kinderreport 2007

Wissenschaftler

Eine Reihe von Wissenschaftlern forschte über "Kinderarmut in den Industrieländern". Dazu gehören:

  • Pierre Bourdieu (Forschungen über arme Kinder in Frankreich)
  • Christoph Butterwegge (Forschungen über arme Kinder in Deutschland)
  • Anthony Chang (Forschungen über die Kinder chinesicher Einwanderer in den USA)
  • John Chang (Forschungen über die Kinder chinesicher Einwanderer in den USA)
  • Nathan Caplan (Forschungen über die Kinder vietnamesicher Einwanderer in den USA)
  • Marcella Choy (Forschungen über die Kinder vietnamesicher Einwanderer in den USA)
  • Robert Cohen (Forschungen über Kinderarmut in den USA in den 1930er Jahren)
  • Glen Elder (Forschungen über Kinderarmut in den USA und England)
  • Cristóbal Fernández (Forschungen über hispanische Kinder in den Armenviertel amerikanischer Städte)
  • Daniel Patrick Moynihan (Forschungen über Armut von schwarzen Kindern in den USA)
  • Lutz Leisering (Forschungen über arme Kinder in Deutschland)
  • Oscar Lewis (Forschungen über eine "Kultur der Armut" in Lateinamerika und den USA)
  • Martin Seligman (Forschungen über Armut und erlernte Hilflosigkeit)
  • Jon Turteltaub (Forschungen über Kinderarmut in den USA und Europa; Der Soziologe Jon Turteltaub ist nicht identisch mit dem an Kinderamrut interessierten Drehbuchautor gleichen Namens. Letzterer setzt sich zwar auch gegen Kinderarmut ein, forscht aber nicht darüber)

Versuche, die Konsequenzen der Kinderarmut abzumildern

Etablierung von Kinderrechten

Von Kinderschutzorganisationen wir die verfassungsmäßige Verankerung von Kinderrechten eingefordert. Zudem sollten alle Industrieländer die Kinderrechtskonvention der UN vollständig anerkennen. Dies ist bislang nicht der Fall, auch die Bundesrepublik Deutschland erkennt die Kinderrechtskonvention nicht vollständig an.

Materielle Transfers

Infrastrukturleistungen

  • Betreuungs- und Bildungsangebote für sozial benachteiligte Familien: mehr Kindertagesstätten, Ganztagsschulen und Horte, mehr Sozialpädagogen, Schulpsychologen und betreute Freizeitangebote [14]
  • eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Sinne einer Arbeitsintegration der Eltern (insbesondere alleinerziehender Mütter) als eine Behebung einer Ursache von Kinderarmut: Ausbau von Ganztagsschulen und Förderung von Betriebskindergärten und familienfreundlichen Arbeitszeitmodellen [14]
Jahr Anzahl
der Tafeln
Jahr Anzahl
der Tafeln
1994 4 2001 300
1995 35 2003 320
1996 70 2004 400
1997 90 2005 540
1998 100 2006 657
1999 210 2007*) > 700
2000 270 *)Stand: Mai 2007

Suppenküchen und Tafeln

Eine Suppenküche oder Volksküche ist eine öffentliche Essensausgabe für Bedürftige, gratis oder gegen geringes Entgelt. Früher gab es dort vor allem Suppe bzw. Eintopf, daher der Name Suppenküche. Die berühmteste Suppenküche heißt Die Arche – Christliches Kinder- und Jugendwerk. Tafel ist die Bezeichnung für eine gemeinnützige Hilfsorganisation, die qualitativ einwandfreie Lebensmittel, die im Wirtschaftskreislauf nicht mehr verwendet und ansonsten vernichtet werden würden, an Bedürftige verteilt. Die Anzahl der Tafeln stieg in den letzten Jahren stark an. In Deutschland gibt es über 700 Tafeln, die in der Regel mit ehrenamtlichen Helfern verwertbare Lebensmittel einsammeln, die von Herstellern oder dem Handel als unverkäuflich aussortiert wurden.

Kompensatorische Erziehung

Unter kompensatorische Erziehung versteht man eine Erziehung mit dem Ziel, die Leistungen von Kindern aus sozial schwachen Familien zu steigern. Es gibt verschiedene Programme kompensatorischer Erziehung. Zum Teil sind diese sehr erfolgreich, zum Teil vollkommen erfolglos:

  • 21st Century Community Learning Centers – Programm der amerikanischen Regierung. Die Kinder werden nach der Schule von Pädagogen und Sozialarbeitern betreut. Sie erhalten Hilfestellung bei den Hausaufgaben und können an sportlichen und künstlerischen Aktivitäten teilnehmen.
Erfolge: keine. Die akademischen Leistungen der Schüler besserten sich nicht.


  • Early Excellence Centre – an Head Start angelehntes Programm kompensatorischer Erziehung in Großbritannien und Deutschland. Es werden Kindertagesstätten geschaffen und Eltern geschult.
Erfolge: umstritten. Das Programm wurde bis jetzt nicht evaluiert.
  • Fast ForWord – ein Computerprogramm, das armen Kindern helfen soll, besser lesen zu lernen.
Erfolge: keine. Es konnte kein Nutzen des Programmes nachgewiesen werden.
  • Hawaii Healthy Start – ein staatliches Programm in Hawaii. Mütter aus der Unterschicht wurden von geschulten Familienhelferinnen besucht und über Erziehung beraten.
Erfolge: keine. Die Kinder wurden gleich oft misshandelt und mussten gleich häufig in Pflegefamilien untergebracht werden wie Kinder aus der Kontrollgruppe.
  • Head Start – das erste Programm kompensatorischer Erziehung und eines der größten und teuersten.
Erfolge: Das Programm wird von einigen Wissenschaftlern als erfolgreich angesehen, von anderen wieder als erfolglos.
Für weitere Informationen siehe: Head Start


Erfolge: teilweise erfolgreich. Die Kinder lasen besser als nicht geförderte Kinder aus ähnlichen Verhältnissen. Sie lasen jedoch schlechter als der Durchschnitt der Gleichaltrigen.

(Für Referenzen zu den Programmen siehe die jeweiligen Artikel.)

Zur Wirksamkeit früher Hilfen bei armen Kindern

Es gibt kaum deutsche Forschungsbefunde, doch amerikanische Forschungsbefunde geben Anlass zu vorsichtigem Optimismus.[53] Allerdings ist die Wirksamkeit der Interventionsprogramme an einige Voraussetzungen gebunden:

  • Möglichst frühzeitige Interventionen
  • Möglichst große Intensität der Intervention. Dies setzt allerdings große Kooperation der betroffenen Familie voraus.
  • Ermöglichung von Schutz und Sicherheit und verlässlichen Beziehungen zu (erwachsenen) Bezugspersonen
  • Mehrdimensionaler Ansatz: finanzielle, soziale und emotionale Unterstützung; konkrete Hilfen in der Alltagsgestaltung; Beratung und Unterstützung in Fragen des förderlichen Zusammenlebens mit dem Kind/den Kindern.
  • Die Angebote sind auf die jeweiligen Möglichkeiten und Bedürfnisse des Kindes und der Familie individuell zuzuschneiden.
  • Kontinuität der Maßnahmen insbesondere über die biographischen Übergänge wie den Eintritt in den Kindergarten oder in die Schule hinweg.[53]
  • Eine längerfristige Wirkung der Förderung der Kinder durch Programme wie Head Start entsteht nur bei gleichzeitiger Verbesserung der Familiensituation und der Beziehungen zur Nachbarschaft. [54]

Selbsthilfe der Betroffenen

HIPPY ist ein Programm, bei dem Migranteneltern mit ihren Kindern Deutsch üben und diesen so helfen, aus der Armutsfalle zu entkommen.

Andere Maßnahmen, um sozial schwachen Familien zu helfen

Im Rahmen des New York City School Voucher Experiment wurden an einkommensschwache Familien Bildungsgutscheine verteilt. Mit diesen Gutscheinen konnten sie sich Bildung an einer privaten High-School ihrer Wahl und außerdem Nachhilfe kaufen. Da es mehr Bewerber als Gutscheine gab, musste eine Lotterie veranstaltet werden, um die Gutscheine auszuteilen. Der Rest der Familien bildete die Kontrollgruppe.

Nach vier Jahren wurden die Gutscheingruppe und die Kontrollgruppe verglichen:

  • Bei Weissen, Hispanics und Asiaten gab es zwischen den Gruppen keinen Unterschied in den Matheleistungen und Leseleistungen
  • Schwarze Schüler aus der Gutschein-Gruppe schnitten bei den Leseleistungen etwas besser ab als schwarze Schüler aus der Kontrollgruppe. Bei den Mathematik-Leistungen gab es keinen Unterschied.

Gutschein-Experimente in Washington, D.C. und Dayton, Milwaukee scheinen das Ergebnis zu bestätigen. Deswegen sehen viele Wissenschaftler Bildungsgutscheine nicht als geeignetes Mittel an, um die Schulleistungen benachteiligter Gruppen zu verbessern.[55], [56], [57]

Politische Reaktionen

Kritik an der Behauptung einer Kinderarmut

Der konservative Soziologe Paul Nolte hat die Behauptung aufgestellt es gäbe keine Kinderarmut in Deutschland. Er sagte: "Wir nennen Armut, was eigentlich nur Ungleichheit ist". Die Unterschicht sei nicht wirklich arm, sondern nur verwahrlost.[53] Er ist der Meinung, nicht Armut wäre das Hauptproblem der Unterschicht, sondern der massenhafte Konsum von Fast Food und TV.[58],[22] Dies wurde von Hans Weiß, Professor für Sonderpädagogik an der Pädagogische Hochschule Ludwigsburg als diskriminierend kritisiert, weil es die vielfältigen, auch ökonomischen und sozialstrukturellen Bedingungen der Entstehung von sozialer Benachteiligung, Verarmung und Deklassierung vernachlässige und die Schuld auf den Betroffenen schiebe (blaming the victim). Restriktive materielle Bedingungen können, besonders wenn sie lange anhalten, zu soziokultureller Dysfunktionalität führen, wie umgekehrt dysfunktionale Verhaltensweisen die Auswirkungen von Armut auch für Kinder verstärken. Dies wird "Teufelskreis der Armut" genannt. [53]

Darstellung in dokumentarischen Werken, Kunst und Literatur

Dokumentarische Werke

  • Jacob August Riis: „Children of the Poor“ (1892) – Journalistische Aufarbeitung
  • Eli Reed: America's children: Poorest in the Land of Plenty (1988) – Dokumentarfilm
  • Glen Elder: Children of the Land: Adversity and Success in Rural America (2000) - wissenschaftliche Studie über das Leben und die Erfolge armer Landkinder

Lyrik

  • Erich Kästner; bspw.: "Legende, nicht ganz stubenrein"; "Weihnachtslied, chemisch gereinigt" [60] (~1928)

Romane

Satire

  • Jonathan Swift: A modest proposal for preventing the Children of poor People from being an burden to their parents or country (Ein bescheidener Vorschlag, wie man die Kinder der Armen daran hindern kann, ihren Eltern oder dem Lande zur Last zu fallen;[61][62] Satire, 1729)
  • Monty Python: Four Yorkshiremen, Text

Spielfilm

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. UNICEF-Report: Child Poverty in Rich Countries 2005 (PDF)
  2. Nietfeld/Becker (1999): Harte Zeiten für Familien. Theoretische Überlegungen und empirische Analysen zu Auswirkungen von Arbeitslosigkeit und sozio-ökonomischer Deprivation auf die Qualität familialer Beziehungen Dresdner Familien, Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 19: 369-387
  3. Becker, rolf (1998): Dynamik rationaler Bildungsentscheidungen im Familien und Haushaltskontext. Eine empirische Untersuchung zum Bildungserfolg ostdeutscher Jugendlicher in Armutslagen; Dresden: technische Universität: Manuskript
  4. Auf dem Weg in den "Suppenküchen-Staat"? Immer mehr Kinder in Deutschland leben in armen Verhältnissen, www.3sat.de, September 2006
  5. Zur Definition siehe beispielsweise Kinderarmut in Deutschland und der OECD, Michael Fertig, Ringvorlesung „Sozialreformen und soziale Gerechtigkeit“, 6. Juli 2005 (abgerufen am 25. November 2007)
  6. UNICEF-Bericht zur Situation der Kinder in Industrieländern: Deutschland nur Mittelmaß Studie zur Situation der Kinder_in Industrielaendern 2007 (PDF)
  7. Vgl. ZEFIR-Datenpool: Leistungsempfänger/-innen von Sozialgeld nach SGB II im Alter von unter 15 Jahren im Juni 2005 (abgerufen am 25.11.2007)
  8. a b c UNICEF Deutschland: „Ausgeschlossen“ – Kinderarmut in Deutschland
  9. Christoph Butterwegge: Kinderarmut in einem reichen Land (PDF), Vortrag beim Kinderschutz-Forum „Entmutigte Familien bewegen (sich) – Entwicklungsmöglichkeiten in Risikosituationen“, veranstaltet von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutz-Zentren in Köln, 13. September 2006 (abgerufen am 22. November 2007)
  10. tagesschau.de vom 15.11.2007: Jedes sechste Kind lebt in Armut
  11. Netzeitung: Deutschland bei Familienarmut Spitze, 15. November 2007
  12. Forderungskatalog des Detuschen Kinderhilfswerks [1]
  13. Miles Corak, Michael Fertig and Marcus Tamm: A Portrait of Child Poverty in Germany (PDF)
  14. a b c Kinderarmut bekämpfen? Ein bisschen Mut braucht's schon (abgerufen am 19. November 2007)
  15. a b c Trabert, Gerhard: Kinderarmut: Zwei-Klassen-Gesundheit in Deutsches Ärzteblatt 2002; 99: A 93–95, Ausgabe 3 vom 18.01.2002
  16. Rauchen und soziale Ungleichheit – Konsequenzen für die Tabakkontrollpolitik
  17. Frauen mit Kindern rauchen häufiger als Kinderlose
  18. Kinderarmut in Deutschland
  19. http://www.boeckler.de/cps/rde/xchg/SID-3D0AB75D-FC61B0A5/hbs/hs.xsl/163_63578.html
  20. Kinder- und Jugendärzte: Kinderarmut bekämpfen
  21. Mielck, A. (Hrsg.): Krankheit und soziale Ungleichheit. Opladen: Leske + Budrich
  22. a b c Larissa Kessner: Gesund essen - Eine Frage des Geldes? in UGB-Forum 2/07, S. 89-92 (download am 25.11.2007)
  23. [http://www.ejh.de/uploads/tx_templavoila/sozialgipfel-kl.pdf Armut heißt: „Es gibt nichts mehr.“: Dokumentation des Jugendsozialgipfels vom 11. November 2006] Download am 30.11.1007
  24. The Effects of Poverty on Children Download am 30.11.2007
  25. New Thinking on Children, Poverty & IQ Download am 30.11.2007
  26. Leisering, Lutz (1983): Armut im Sozialstaat. Diplomarbeit + Ders. (1993): Secondary poverty in the welfare state. Bremen: Univ. Bremen, Zentrum für Sozialpolitik + Ders. (1998): The dynamics of modern society: poverty, policy and welfare. Bristol: Policy Press + Ders. (1999): Time and poverty in western welfare states : united Germany in perspective. Cambridge (u.a.): Cambridge Univ. Press
  27. Elder, Glen H. (1974): Children of the Great Depression. Chicago: University of Chicago Press S. 160
  28. Breitenbach. B. von (1982): Italiener und Spanier als Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, München/Mainz, S. 120f., Thränhardt, D. (2000): Einwanderer-Kulturen und soziales Kapital, in: Ders. /Uwe Hunger (Hg.), Einwanderer-Netzwerke und ihre Integrationsqualität in Deutschland und Israel, Münster/ London, S.32 f.
  29. Breitenbach. B. von (1982): Italiener und Spanier als Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, München/Mainz
  30. Gut angekommen
  31. http://egora.uni-muenster.de/pol/personen/thraenhardt/bindata/05.12.2006_Spanische_Einwanderer_schaffen_Bildungskapital.pdf
  32. http://www.taz.de/dx/2005/12/06/a0080.1/text
  33. Weiss, Karin & Dennis, Mike (Hrsg.) (2005): Erfolg in der Nische? Vietnamesen in der DDR und in Ostdeutschland. Münster: LIT Verlag
  34. Weiss, K. & Kindelberger, H. (im Druck): Zuwanderung und Integration in den neuen Bundesländern – zwischen Transferexistenz und Bildungserfolg - Freiburg: Lambertus.
  35. http://www.tagi.ch/dyn/news/schweiz/765660.html
  36. Berufstätige Mütter in Japan, Irland und Österreich benötigen Unterstützung, meinen OECD Experten
  37. Child Poverty [2]
  38. a b c d e Siebter Familienbericht der Bundesregierung, Abschnitte II.3.3.4 „Das Beispiel: Vereintes Königreich“ und Abschnitt II.3.4 „Vergleichende Bewertung“, Unterabschnitt „Vereinigtes Königreich“
  39. The facts about poverty in the UK
  40. Scots lead fight on child poverty
  41. http://news.scotsman.com/topics.cfm?tid=554&id=960212007 Children trapped in poverty miss out on basics
  42. a b Teresa Malcolm: New Jersey "family cap" increases abortion rate in National Catholic Reporter vom 20. Nov 1998
  43. Die Sozial-und Gesundheitspolitik der Clinton-Administration. Kapitel V.: Die Verabschiedung der Sozialhilfereform 1995/96, Söhnke Schreyer, Bundeszentrale für politische Bildung bpb, Auszug aus: U.S.A., Aus Politik und Zeitgeschichte (B 44/2000) (abgerufen am 12. November 2007)
  44. Der Einfluss von Religion auf Arbeitsfelder amerikanischer ‚Jugendhilfe’ und seine Charakterisierung, André Richter, Dissertationsschrift, Dortmund, 2003, Seite 259 (PDF; abgerufen am 12. November 2007)
  45. Thomas Fischermann: Stolz ohne Stütze in DIE ZEIT, 10. August 2006
  46. Child Poverty and TANF
  47. Preston, Jennifer. “With New Jersey Family Cap, Births Fall and Abortion Rise.” The New York Times, November 3, 1998 und Family Cap Provisions and Changes in Births and Abortions
  48. Nathan Caplan et al. (1989): The Boat People and Archivement in America: A study of family life, hard work, and cultural values. University of Michigan Press
  49. David W. Haines (Hrsg.) (1989): Refugees and immigrants: Cambodians, Laotians and Vietnamese und America. Rowman&Littlefield Publishers
  50. Nathan Caplan et al. (1992): Indochinese Refugee Families and Academic Archievement, In: Scientific American, Ausgabe Februar 1992; S. 18-24
  51. Glen H. Elder, Rand D. Conger (2000): Children of the Land: Adversity and Success in Rural America. University of Chicago Press ISBN-13: 9780226202662
  52. World Vision (Hrsg.): „Kinder in Deutschland 2007.“ - 1. World Vision Kinder-Studie
  53. a b c d Hans Weiß: Armut als Entwicklungsrisiko – Möglichkeiten der Prävention (PDF) - Download am 25.11.2007
  54. Handbuch, das die Ergebnisse des Projektes Sozialpädagogische Familienhilfe in der Bundesrepublik Deutschland von 1994 bis 1997 zusammenfasst: Handbuch, Kapitel 9.4.2 Welche Bedeutung hat die Familie für das kindliche Wohlergehen, was ist elterliche Erziehung?
  55. Mayer, Daniel P., Paul E. Peterson, David E. Myers, Christina Clark Tuttle, William G. Howell. “School Choice in New York City After Three Years: An Evaluation of the School Choice Scholarships Program.” Mathematica; February 19, 2002.
  56. Krueger, Alan and Pei Zhu. "Another Look at the New York City School Voucher Experiment." American Behavioral Scientist, vol 47, no. 5, April 2003, pp 658-699.
  57. Peterson, Paul E. and William G. Howell. “Latest Results from the New York City Voucher Experiment.” November 3, 2003
  58. Paul Nolte: Das große Fressen: Nicht Armut ist das Hauptproblem der Unterschicht. Sondern der massenhafte Konsum von Fast Food und TV in DIE ZEIT Nr.52, 17.12.2003
  59. Georg Büchner: „Der Hessische Landbote“ (online im Projekt Gutenberg)
  60. Erich Kästner: "Weihnachtslied, chemisch gereinigt" online (Text und Melodie)
  61. a b Vgl. Textauszüge in Paul Stänner: Von der Kultur der Armut (RTF-Datei, ca. 1,8 MB), SWR2, Feature am Sonntag, Manuskipt der Sendung vom 11.03.2007
  62. Jonathan Swift: Ein bescheidener Vorschlag, wie man verhindern kann, dass die Kinder der Armen ihren Eltern oder dem Lande zur Last fallen, und wie sie vielmehr eine Wohltat für die Öffentlichkeit werden können., BR-Online (Schulfernsehen online), Sprache und Literatur, 14.9.2007