Dieser Artikel befasst sich mit der Pest als Krankheit, andere Bedeutungen unter Pest (Begriffsklärung)
Die Pest (lat. pestis "Seuche") ist eine hochgradig ansteckende Krankheit. Erreger der Erkrankung ist das Bakterium Yersinia pestis. In großen Pandemien hat diese Krankheit immer wieder die Weltbevölkerung getroffen und damit die Geschichte der Menschheit beeinflusst. Für den Verlauf der Geschichte in Europa ist vor allem die Pestepidemie im 14. Jahrhundert prägend gewesen.

Übertragungsweg
- Am Morgen des 16. April trat der Arzt Bernard Rieux aus seiner Wohnung und stolperte mitten auf dem Flur über eine tote Ratte (...) Am selben Abend sah er aus dem Dunkel des Gangs eine dicke Ratte auftauchen, mit feuchtem Fell und unsicherem Gang. Das Tier blieb stehen, schien sein Gleichgewicht zu suchen, wendete sich gegen den Arzt, blieb wieder stehen, drehte sich mit einem leisen Schrei im Kreis und fiel schließlich zu Boden, wobei aus den halb geöffneten Lefzen Blut quoll...
Mit diesen Zeilen leitet der französische Literaturnobelpreisträger Albert Camus seinen 1947 erschienen Roman "Die Pest" ein. Wenn das Werk Camus auch fiktiv ist, so beschreibt er doch treffend das große Rattensterben, das einer Pestepidemie vorauszugehen pflegt. Flöhe, insbesondere aber der Rattenfloh Xenopsylla cheopsis spielen bei der Übertragung des Pesterregers eine große Rolle. Flöhe sind Parasiten, die von außen an ihrem Wirt schmarotzen, selber aber gelegentlich Parasiten in ihrem Innneren beherbergen und ihren Wirt mit diesem Parasiten infizieren können. Das Pestbakterium ist ein solcher Parasit. Wechselt der Rattenfloh von einem infizierten Nager - beispielsweise der Wanderratte oder der Hausratte - nach dessen Tod auf einen anderen Wirt über, ist er in der Lage, diesen mit dem Pestbakterium zu infizieren. Der Rattenfloh bevorzugt dabei als neuen Wirt wiederum Ratten, für die die Pesterkrankung ebenso tödlich ist wie für den Menschen. Fehlt es aber an Ratten, nimmt der Rattenfloh auch Menschen als neuen Wirt an und infiziert dann auch diese mit dem Pestbakterium (Zoonose) .
Die Frage, welche weiteren Floharten neben dem Rattenfloh an der Übertragung der Pest beteiligt sind, wurde seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts unter Naturwissenschaftlern und Medizinhistorikern kontrovers diskutiert. Mittlerweile besteht Konsens, dass etwa 30 Floharten sich als Überträger der Pestbakterien eignen, darunter auch der Menschenfloh ("Pulex irritans"). Das Pestbakterium kann darüberhinaus längere Zeit auch ohne tierischen Wirt überleben - beispielsweise in Erde, im Staub, im Kot oder in Tierkadavern - und von dort aus Krankheitsopfer infizieren.
Gelangt der Erreger im Menschen in den kleinen Blutkreislauf, dann entsteht die sekundäre Lungenpest mit hochinfektiösem blutigem Auswurf. Wer Kontakt mit einem darunter leidenden Patienten hat, kann sich direkt mit dieser sogenannten primären Lungenpest infizieren. Ist der Sprung des Pestbakteriums aus einer Nagerpopulation auf den Menschen erst einmal gelungen, dann ist dies sehr rasch der hauptsächliche Infektionsweg.
Wilde Nagetierpopulationen als Rückzugsgebiet des Pestbakteriums
Die Pestbakterien kommen auch heute noch in wilden Nagetierpopulationen - wie beispielsweise Präriehunde, Erdhörnchen und Murmeltiere - vor. Diese wilden Populationen sind die natürlichen Reservoire des Pestbakteriums, von dem aus gegelegentlich domestische Nager wie beispielsweise Ratten infiziert werden. Während in Europa und Australien keine infizierte Tierpopulationen bekannt sind, kommen solche im Kaukasus, Russland, in Südostasien, China, Süd- und Ostafrika, Mittel- und Südamerika sowie im Südwesten der USA vor. Nach Nordamerika gelangte der Erreger dabei über ein Handelsschiff während des Pestepidemie, die ab 1894 in Südostasien grassierte. Während nur sehr wenige Menschen in Nordamerika an der Pest erkrankten, infizierte der Erreger die amerikanische Eichhörnchenpopulation. Gelegentlich kommt es daher auch heute noch in Nordamerika zu Übertragungen von Tier zu Mensch. Meist sind es Jäger, die sich bei einem Nagetier anstecken; Norman F. Cantor verweist jedoch auch auf einen nordamerikanischen Fall aus den 1980er Jahren, bei dem eine Frau ein Eichhörnchen mit einem Rasenmäher überfuhr und sich dabei mit der Pest infizierte.
Der Pestausbruch in der indischen Stadt Surat im Jahre 1994, bestätigt daher die Aussage, die Camus bereits 1947 gegen Ende seines Romans "Die Pest" trifft:
- Während Rieux den Freudenschreien lauschte, die aus der Stadt empordrangen, erinnerte er sich daran, daß diese Fröhlichkeit ständig bedroht war. Denn er wußte, was dieser frohen Menge unbekannt war und was in den Büchern steht: Daß der Pestbazillus niemals ausstirbt oder verschwindet, sondern jahrzehntelang in den Möbeln und der Wäsche schlummern kann, daß er in den Zimmern, den Kellern, den Koffern, den Taschentüchern und den Bündeln alter Papiere geduldig wartet und daß vielleicht der Tag kommen wird, an dem die Pest zum Unglück und zur Belehrung des Menschen ihre Ratten wecken und erneut aussenden wird (...)
Medizinische Behandlung heute
Die medizinische Diagnostik und Behandlung der Krankheit basiert weitgehend auf den Forschungen und klinischen Beobachtungen eines Pestausbruchs, der Ende des 19. Jahrhunderts in der Mongolei begann. Der Bakteriologe Alexandre Yersin isolierte 1894 in Hongkong den Pesterreger. Die Ausbreitung der Pest konnte jedoch nur teilweise eingedämmt werden. 1896 erreichte sie Bombay, wo Masanori Ogata und Paul-Louis Simond nachwiesen, dass der Biss des Rattenflohs den Erreger vom Tier auf den Menschen überträgt. Sowohl in China als auch in Bombay wurde darüberhinaus der Charakter und Verlauf der Epidemie umfassend klinisch beschrieben. Damit war der Grundstein für ein wissenschaftliches Verständnis der Pestinfektion gelegt, die Dezimierung der Ratten wurde zur Vorbeugung von Pestausbrüchen betrieben. Ein wirksames Gegenmittel der Erkrankung beim Menschen war damit noch nicht gefunden. Die Grundlage hierfür war die Entdeckung des Penicillin 1928.
Heute wird die Pest mit Antibiotika behandelt, so dass bei frühzeitiger Erkennung gute Chancen auf Heilung bestehen. Eingesetzte Antibiotika sind beispielsweise Streptomycin und Chloramphenicol sowie Kombinationen aus Tetracyclinen und Sulfonamiden.
Darüberhinaus stehen Schutzimpfungen zur Verfügung, die allerdings nur drei bis sechs Monate wirken und nur gegen die Beulen-, nicht aber gegen die Lungenpest wirken. Die Autoren Eberhard-Metzger und Ries weisen jedoch auf die schlechte Verträglichkeit dieser Schutzimpfungen hin. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt diese Impfung daher nur Risikogruppen, zu denen beispielsweise Bauern, Landarbeiter und Jäger in Regionen zählen, in denen infizierte Nagetierpopulationen verbreitet sind.
Weitere Maßnahmen, um eine Pestepidemie einzudämmen, sind verstärkte Hygiene, Bekämpfung der Ratten und die Verhinderung des Transports von Ratten auf Schiffen. Da nach dem Tod der Ratten die Flöhe ihren Wirt wechseln, müssen die Menschen mit Insektiziden vor den Flöhen geschützt werden (New Scientist 2000).
Quarantäne und Meldepflicht
Die Pest gehört neben den Pocken, Cholera und hämorrhagischem Fieber (Ebola, Lassa u.a.) zu den vier Quarantäne-Krankheiten. Patienten, die daran erkrankt sind, müssen in speziellen Infektionsabteilungen abgeschirmt werden. Quarantäneregelungen für Schiff-, Luft-, Zug- oder Kraftfahrzeugverkehr sind im intenationalen Sanitätsreglement von 1971 [1] festgehalten. Ein Hinweis auf die Pest, die Erkrankung an oder der Tod durch Pest müssen nach dem Infektionsschutzgesetz [2] auch bei Verdacht namentlich gemeldet werden. Die Meldungen werden von den Gesundheitsämtern an die Landesgesundheitsbehörde und das Robert-Koch-Institut weitergeleitet. Das Robert-Koch-Institut meldet sie gemäß internationalen Vereinbarungen an die Weltgesundheitsorganisation.
Die Pest als biologische Waffe
Die Pest wird von der WHO als besonders gefährlich, unter den zwölf gefährlichten Biologischen Kampfstoffen eingestuft, das sogenannte "dreckige Dutzend". Neben der Pest werden auch Milzbrand-, Pocken-, Tularämie- und Rotzbakterien, Ebola- und Marburg-Viren genannt. Der erste historisch belegte Einsatz der Pest als biologische Waffe fand 1346 in der Hafenstadt Haffa statt, als der Tatarenführer Khan Djam Bek Pestleichen über die Mauern der Stadt Kaffa schleudern ließ und die Belagerten vor der Pest die Flucht ergriffen. In der modernen Kriegsführung wurde die Pest bisher nur ein einziges Mal als biologische Waffe eingesetzt, als Japan 1942 mit Pest infizierte Flöhe über China abwarf. Zur Zeit des Kalten Krieges beschäftigten sich russische Wissenschaftler mit der Entwicklung der Pest als biologischer Waffe. Wie der ehemalige russische Forscher für biologische Waffen Ken Alibek berichtete, gelang es Russland Ende der 1980er Jahre, die Pest in eine sprühfähige Form zu bringen und gegen Antibiotika resistent zu machen. In Deutschland beschäftigt sich das Robert-Koch-Institut mit den Gefahren der biologischen Kampfführung. Dort wurde auch die "Informationsstelle des Bundes für biologische Sicherheit" (IBBS) eingerichtet. Wie groß die Gefahr eines Angriffs mit bilogischen Kampfstoffen tatsächlich ist, ist sehr umstritten. Das IBBS rät, sowohl für die Bevölkerung insgesamt, als auch für Risikogruppen, nicht zu einer Impfung gegen die Pest in Deutschland.
Arten
Man unterscheidet vier Erscheinungsformen der Pest: Beulenpest, Pestsepsis, Lungenpest sowie die abortive Pest.
Beulenpest
Bei der Beulenpest, auch Bubonenpest genannt (lat. bubo "Beule"), erfolgt die Ansteckung gewöhnlich durch den Biss des Rattenflohs. Wenn ein Floh seinen Wirt wechselt und diesen beißt, überträgt er Bakterien und Krankheitskeime auf ihn. Der Name Beulenpest stammt von den stark geschwollenen Lymphknoten (Beulen) am Hals, in den Achselhöhlen und in den Leisten. Die Inkubationszeit liegt bei 2-6 Tagen, die Sterblichkeitsrate beträgt bei unbehandelten Patienten 75 Prozent.
Die Beulenpest verbreitet sich im Winter langsamer als im Sommer, da der Überträgerfloh bei Temperaturen unter 12 °C in eine Kältestarre fällt. Der epidemische Höhepunkt dieser Pestart war synchron des Reproduktionszyklus der Flöhe stets im Herbst.
Pestsepsis
Die Pestsepsis entsteht durch Infektion des Blutes. Dies kann sowohl durch Infektion von außen, zum Beispiel offene Wunden, geschehen, wie auch als Komplikation aus den beiden anderen Formen, zum Beispiel durch Platzen der Pestbeulen nach innen. Pestsepsis ist praktisch immer tödlich, in der Regel spätestens nach 36 Stunden.
Heute kann durch die Behandlung mit Antibiotika die Sterblichkeit deutlich gesenkt werden.
Lungenpest
Die Lungenpest kann sich im Verlauf der Beulenpest entwickeln, wenn die Erreger in die Blutbahn geraten (man spricht dann von einer sekundären Lungenpest), sie kann aber auch durch eine Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen werden (primäre Lungenpest). Die Krankheit verläuft heftiger, weil die Abwehrbarrieren der Lymphknoten durch direkte Infektion der Lunge umgangen werden. Die Inkubationszeit beträgt nur 1-2 Tage, die Sterblichkeitsrate liegt hier bei 95 Prozent.
Abortive Pest
Die abortive Pest ist die harmloseste Variante der Pest. Sie äußert sich meist nur als leichtes Fieber und leichte Schwellung der Lymphdrüsen.
Geschichte
Pest, Pocken und Milzbrand
Große Pandemien sind bereits aus der Bibel überliefert: die Pest gehört zu den Plagen, die in der biblischen Erzählung Ägypten heimsuchen, und sie löst auch das Massensterben der Philister aus, die sich der jüdischen Bundeslade bemächtigt hatten. Da jegliches Mittel zur Diagnostik sowie eindeutig verwertbare Augenzeugenberichte fehlen, ist nicht zweifelsfrei erwiesen, dass es sich bei den Pandemien, die uns aus der Zeit bis zum späten Mittelalter überliefert wurden, jeweils um einen Ausbruch der Pest handelt. Historiker nennen eine Vielzahl möglicher anderer Krankheiten. Das Spektrum reicht von Ebola-ähnlichen Krankheiten, Pocken, einer durch Kühe übertragene Milzbrand-Infektion bis zu Gonorrhoe. Was die Ansteckungswege und die Symptomatik betrifft kommen als Alternative zur Pest neben den Pocken eher Fleckfieber, Cholera und Typhus in Frage.
Letztendlich stammt das Wort Pest aus dem Lateinischen und bedeutet nichts anderes als Seuche. Es steht darüberhinaus für Unglück, Verderben, verderbliche Person oder Sache, Scheusal, Unhold, Qual, Leiden, Hungersnot. Die klassischen Texte, von der Aeneis, über die Ilias bis zur Bibel, bezeichnen daher alle großen Seuchen als Pest. Von den im nachfolgenden genannten Krankheitswellen sind viele Historiker jedoch der Überzeugung, dass Auslöser der Epidemien tatsächlich der Pesterreger war.
Antike bis Frühmittelalter
Die große Seuche im antiken Griechenland
Eine Seuche, der viele Menschen zum Opfer fielen, wurde bereits im antiken Griechenland um 430 v. Chr. von Thukydides ausführlich beschrieben. Thukydides berichtet ausführlich, wie die Krankheit, die jäh in einer entscheidenden Phase des Peloponessischen Krieges auftrat, im mit Kriegsflüchtlingen überbevölkerten Athen zu wüten begann.
- Die Körper lagen, während sie verendeten, einer über dem anderen; einige wälzten sich, nach Wasser lechzend, auf den Wegen, die zu den Brunnen führten, halb tot auf der Erde. Die geweihten Stätten, in denen man sich eingerichtet hatte, lagen voller Leichen, die Meschen waren da gestorben, wo sie sich hinbegeben haten. Vor einer solchen Entfesselung des Leids achteten sie, da sie nicht wußten, was aus ihnen würde, überhaupt nichts mehr, nicht göttliche, nicht menschliche Ordnung.
Perikles, der athenische Feldherr, starb an der Seuche ebenso wie eine große Anzahl anderer Athener. Diodorus schätzt, dass Athen damals ein Drittel seiner Bevölkerung verlor.
Zwei Jahre lang wütete die Epidemie in Athen und trug wesentlich zu Athens unerwarteten Niederlage im Peloponnesischen Krieg bei, den Athen gegen Sparta führte. Ob Auslöser dieser Seuche der Pesterreger war, ist heute nicht mehr beweisbar. Viele Historiker unterstellen, dass es sich bei dieser Seuche entweder um die Pest oder um die Pocken handelte. Da Thukykides jedoch die typischen Charakteristika wie die Pestbeulen und die schwärzlichen Flecken auf der Haut nicht beschrieb, werden von Historikern und Medizinern auch andere Erreger diskutiert und auch nicht ausgeschlossen, dass die Griechen von einer mittlerweile ausgestorbenen Krankheit heimgesucht wurde. Unabhängig davon, welche Krankheit es letztendlich war, war ihre Auswirkung - ein dramatischer Bevölkerungsrückgang, der Zusammenbruch des sozialen Gefüges, die fatalen wirtschaftlichen Konsequenzen und der Verfall der militärischen Stärke sowie der politischen Macht - vergleichbar mit den Auswirkungen späterer, eindeutig belegter Pestepidemien.
Die Pest im Römischen Reich
Auch das römische Reich wurde mehrfach von großen Pandemien getroffen. Die erste war die sogenannte "Antoninische Pest" zur Zeit des Kaisers Mark Aurel (161-180). Pestwellen mit tiefgreifenden Auswirkungen auf das römische Reich traten insbesondere in der Zeit zwischen 250 und 650 n. Chr. auf. Die "Justinianische Pest" zur Zeit Kaiser Justinians (527-565), die 542 in Konstantinopel ausbrach, hat wohl zum Misserfolg der Recuperatio Imperii beigetragen und gilt als die größte Pestepidemie der Antike in Europa. Auf den Schiffahrtswegen gelangte diese Seuche - die aufgrund der vor allem durch den zeitgenössischen Historiker Proskop von Cäsaria eindeutig beschriebenen Krankheitssymptomen unter Historikern weitgehend unumstritten dem Pesterreger zugeordnet wird - bis nach Illyrien, nach Tunesien, Spanien, Italien, dem heutigen Arles und breitete sich bis zum Rhein aus. 544 ließ Justinian zwar das Ende der Pestepidemie verkünden, doch brach sie 557 erneut aus, kehrte im Jahre 570 wieder zurück und trat bis zum Ende des 8. Jahrhunderts in etwa zwölfjährigem Rhythmus immer wieder in Erscheinung. Betroffen waren von diesen Ausbrüchen die Länder des westlichen Mittelmeers, das rheinische Germanien und etwa zwei Drittel von Gallien sowie Kleinasien, Syrien und Mesopotamien. Nicht alle Länder waren gleichstark betroffen; häufig grassierte die Pest zwei oder drei Jahre in einem bestimmten Gebiet und schwächte sich dann wieder ab.
In der Folge dieser Pandemien reduzierte sich die Bevölkerung des römischen Reiches um ein Viertel mit weitreichenden Auswirkungen. Die mit der Pest einhergehenden Nahrungsmittelknappheiten, das Absinken der Steuereinnahmen und die Unfähigkeit, genügend Soldaten aufzustellen, um die langen Grenzen des römischen Reiches zu verteidigen, trugen dazu bei, dass im Jahre 700 n.Chr. die östlichen und südlichen Küsten des Mittelmeers unter arabischer Vorherrschaft standen und das römische Reich auf Konstantinopel und einen Teil des Balkans begrenzt war.
Vom frühen Mittelalter an bis zum Ausbruch des sogenannten "Schwarzen Todes" in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts scheint Europa von der Pest weitgehend verschont geblieben zu sein.
Schwarzer Tod und mittelalterliche Pestepidemien
Der Begriff "Schwarzer Tod"
Mit der Bezeichnung "Schwarzer Tod" wird heutzutage die große Pestpandemie bezeichnet, an der im 14. Jahrhundert große Teile der Weltbevölkerung starben. Im Mittelalter selber wurde diese Bezeichnung nicht verwendet. Dänische und schwedische Chronisten des 16. Jahrhunderts verwendeten die Bezeichnung "schwarz" erstmals als Bezeichnung für den Pestausbruch ab 1347, um das furchtbare und schreckliche dieser Seuche zu betonen (schwarz wurde also nicht im Sinne einer Farbe verwendet).
Der deutsche Arzt J. F. K. Hecker griff 1832 diese Bezeichnung wieder auf. Unter dem Eindruck der gerade grassierenden Cholera fand sein Artikel "Der schwarze Tod" über die Pestepidemie 1348/1349 große Beachtung; er wurde 1833 ins Englische übersetzt und in den Folgejahren mehrfach neu gedruckt. "Black Death" - "Schwarzer Tod" bürgerte sich vor allem im englischsprachigen Raum daher als standardmäßige Bezeichnung der Pestpandemie des 14. Jahrhunderts ein.
Europa vor dem Ausbruch der Pest
Wie Norman F. Cantor in seinem Buch "In the Wake of the Plague" vermerkt, verdankt das mittelalterliche Europa das Entstehen politischer Einheiten, funktionierender Rechts- und Bildungssysteme sowie das Wachstum der Städte und die Ausweitung des Handels auch der Tatsache, dass ein Gebiet, das von Island bis Warschau, von Oslo bis Palermo reichte, in der Zeit von 800 bis 1300 eine klimatisch begünstigte Zeit erlebte, in der gleichzeitig große Krankheitsepidemien fehlten. In der Zeit von 900 bis 1300 vervierfachte sich die europäische Bevölkerung, mehr Land wurde urbar gemacht und für die landwirtschaftliche Produktion genutzt. Die am weistesten entwickelten Gebiete Europas lagen im südlichen England, im nördlichen Frankreich in den Tälern der Seine und der Loire, umfasste das Gebiet um Paris sowie das deutsche Rheintal, die nördlichen Hansestädte, sowie Flandern und die Niederlande und das nördliche Italien von der Poebene bis nach Rom. Dieses Kerngebiet war deutlich stärker bevölkert als das übrige Europa und in diesen Gebieten befanden sich auch die größten Städte. Die europäische Gesellschaft vor 1300 besaß wohlausgestattete Universitäten, errichtete beeindruckende gotische Kathedralen und erlebte eine künstlerische und literarische Blüte. Zwischen 1214 und 1296 behinderte kein größerer Krieg die Weiterentwicklung der Gesellschaft und die Grenzen dieses Europas war weder von den Arabern im Süden noch von den griechisch-orthodoxen Slawen im Osten bedroht.
Während Theologie und Philosophie an den Universitäten eine große Rolle spielten, wurde wenig Aufmerksamkeit den Naturwissenschaften gewidmet. Die wenigen chemischen Kenntnisse die man besaß, fanden nur in der Alchemie Verwendung, was man über Astronomie wusste, wurde für Astrologie und Wahrsagerei benutzt. Insbesondere das medizinische Wissen war sehr wenig entwickelt. Weder verstand man die Ursache von Krankheiten, noch hatte man irgendeine Vorstellung geeigneter Gegenmaßnahemen. Wie Norman Cantor feststellt, hatte die mittelalterliche Gesellschaft überwiegend nichtmedizinische Antworten zu den verherrenden Auswirkungen einer Pandemie - Gebet und Sühne, Quarantäne der Kranken, Flucht der Gesunden und die Suche nach Sundenböcken.
Krisenhafte Entwicklungen setzten schon vor dem Ausbruch der Pest ein. Ab 1290 kam es in weiten Teilen Europas zu langanhaltenden Hungersnöten. Untersuchungen über die Untersuchung von Weizenpreisen im englischen Norfolk lassen darauf schließen, dass es zwischen 1290 und 1348 neunzehn Jahre gab, in denen der Weizen knapp wurde. Für das französische Languedoc ergeben ähnliche Untersuchungen zwanzig Jahre zwischen 1302 und 1348, in denen Nahrungsmittelknappheiten bestanden. 1314 bis 1317 waren in ganz Nordeuropa Hungerjahre. Und im Jahre 1346 und 1347 herrschte Hunger in Süd- wie Nordeuropa.
Bereits 1339/1340 traten in Städten Italiens Seuchen auf, die zu einem deutlichen Anstieg der Sterblichkeit führte.
Ausbruch der Pandemie in Asien und Ausbreitung in Europa
Knapp sechshundert Jahre nach der letzten Pestepidemie in Europa, brach im Jahre 1331 die Pest offenbar in China aus und gelangte von dort allmählich nach Europa.
1338 oder 1339 erreichte sie die christliche Gemeinschaft der Assyrischen Kirche des Ostens von Issykkul am Balkaschsee. 1345 erkrankten die ersten Menschen in Sarai an der unteren Wolga auf der Krim, im Jahre 1346 wurden die ersten Einwohner von Astrachan Opfer dieser Krankheit. 1346 erreichte sie die Grenzen des damaligen Europas:
Die Tartaren belagerten die von Genuesern gehaltene Hafenstadt Kaffa (dem heutigen Theodosia) auf der Halbinsel Krim; mit ihrem Gefolge kam auch die Pest vor die Stadtmauern. Die Belagerer banden an der Pest Gestorbene auf ihre Katapulte und schleuderten sie in die Stadt. Auch wenn die Einwohner von Kaffa diese Leichname sofort ins Meer warfen, kam es zu Ansteckungen. Mit dem Vordringen der Pest nach Kaffa geriet die Krankheit in das weitverzweigte Handelsnetz der Genueser, das sich über die gesamte Mittelmeerküste erstreckte. Von Schiffen verbreitet gelangte die Krankheit 1347 nach Konstantinopel, Kairo und Messina auf Sizilien. Von dort aus breitete sie sich in den folgenden vier Jahren zuerst über den See-, dann auch über den Landweg über ganz Europa aus:
- Mit Schiffen, deren Besatzung infiziert war, gelangte der Krankheitserreger von Genua nach Marseille, von wo aus die Pest in Richtung Norden der Rhone folgte. Nach kurzer Zeit war sie in Languedoc und Montpellier, im August 1348 in Carcassonne und Bordeaux, in Aix und Avignon, wo sie sich sieben Monate hielt. Avignon war zu dieser Zeit eine der wichtigsten Städte Europas. Schon im März 1348 hatte sie Toulouse erreicht und im Mai Paris.
- Von Venedig aus gelangte die Pest über den Brenner nach Österreich. Zuerst kam der schwarze Tod nach Kärnten, dann in die Steiermark und erreichte dann erst Wien. Wien war die einzige Stadt, in der jeder Sterbende das letzte Sakrament erhielt.
- In Deutschland, Norwegen, Schweden und Irland trat die Pest erstmals im Jahre 1349 auf.
Um die Ansteckungsgefahr zu vermindern, wurden nach 1347 einlaufende Schiffe, auf denen man die Pest vermutete, für 40 Tage isoliert (Quarantäne, vom italienischen quaranta giorni = 40 Tage).
Die demographischen und politischen Auswirkungen des Schwarzen Todes
- ..So konnte, wer - zumal am Morgen - durch die Stadt gegangen wäre, unzählige Leichen liegen sehen. Dann ließen sie Bahren kommen oder legten, wenn es an diesen fehlte, ihre Toten auf ein bloßes Brett. Auch geschah es, dass auf einer Bahre zwei oder drei davongetragen wurden, und nicht einmal, sondern viele Male hätte man zählen können, wo dieselbe Bahre die Leichen des Mannes und der Frau oder zweier und dreier Brüder und des Vaters und seines Kindes trug...(Boccacio, Decamerone)
Man schätzt, dass etwa 20 bis 25 Millionen Menschen, rund ein Drittel der damaligen Bevölkerung Europas, durch den "Schwarzen Tod" umkamen. Jegliche Zahlen sind jedoch mit Vorsicht zu behandeln, da zeitgenössische Quellen die Anzahl der Toten eher zu hoch ansetzten, um den Schrecken und die Unbarmherzigkeit dieser Pandemie zum Ausdruck zu bringen. So schätzten beispielsweise die zeitgenössischen Chronisten unter dem Eindruck der ständig vorbeirollenden Leichenwagen die Anzahl der in Avignon Gestorbenen auf bis zu 120.000 Menschen, obwohl Avignon zu dieser Zeit nicht mehr als 50.000 Einwohner hatte.
Greifbarer als an diesen Zahlen wird die Verherrung der Pest an Einzelschicksalen: Der Chronist von Siena, Agnolo di Tura klagt, wie sich keiner mehr findet, der die Toten begräbt und er eigenhändig seine fünf Kinder beerdigen muß; John Clyn, letzter überlebender Mönch eines irischen Klosters in Kilkenny schreibt kurz vor seinem eigenen Pesttot die Hoffnung nieder, das wenigstens ein Mensch überleben wird, der die von ihm begonnene Pestchronik fortsetzen kann; den italienische Chronist Giovanni Villani ereilt der Pesttod so plötzlich, dass seine Chronik mit einem unvollendeten Satz abbricht. In Venedig sterben von 24 Ärzten 20; in London erliegen alle Zunftmeister der Schneider und Hutmacher der Seuche. Und kurz nach dem Pesttod des Erzbischofs von Canterbury erliegt auch sein designierte Nachfolger der Pest ebenso wie kurz darauf der nächste Amtsanwärter. In Frankreich stirbt ein Drittel der königlichen Notare und ein Drittel der in Avignon versammelten päpstlichen Kardinäle.
Der "Schwarze Tod" wütete nicht gleichmäßig in Europa, sondern ließ einige wenige Gebiet fast unberührt. Große Teile Polens und Belgiens sowie Prag blieben von ihm verschont, während er in anderen so stark zuschlug, dass ganze Landstriche weitgehend entvölkert wurden. Während Mailand der Heimsuchung durch die Pest entgeht, sterben in Florenz vier Fünftel der Bürger. Wie M. Vasold in seinem Artikel über die Auswirkung der Pest auf die deutsche Bevölkerung nachweist, blieb beispielsweise Süddeutschland weitgehend unberührt von der Pest. Hamburg und Bremen dagegen wurden ebenso massiv von der Pest getroffen wie beispielsweise Köln. Insgesamt war die Auswirkung auf die Bevölkerung in Deutschland erheblich geringer als in Italien und Frankreich.
Der tiefe Einschnitt in der Bevölkerungszahl, den die Pestepidemie auslöste, hatte zu Folge, dass es mehrere Jahrhunderte dauern sollte, bis Bevölkerungszahlen wie vor dem "Schwarzen Tod" wieder erreicht wurden. David Herlihy weist darauf hin, dass die Bevölkerungszahl in Europa erst in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhundert nicht mehr weiter abnahm, für fünfzig Jahre auf sehr niedrigem Niveau stagnierten und erst 1460 allmählich wieder anstiegen.
Die Reaktion der Ärzte
Die Ärzte standen in dieser Zeit der Epidemie jener rätselhaften Krankheit vollkommen ratlos gegenüber. Ein fundiertes Wissen hatten sie eher in der Astrologie, der den Hauptteil ihres Medizinstudiums beansprucht hatte. Medizinisch mussten sie aber auf das Wissen des spätantiken Hippokrates und seines Nachfolgers Galen zurückgreifen, nach dessen Lehren diese Infektion eine Fehlmischung der vier Körpersäfte: Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle war - das Prinzip der Ansteckung war dagegen der Galenschen Medizin unbekannt. Eine Ansteckung von Tier zu Mensch war gänzlich unvorstellbar. Stattdessen vermutete man, dass faul riechende Winde die Krankheit aus Asien nach Europa trug oder dass Dämpfe aus dem Erdinneren die Krankheit verursache.
Obskure Ratschläge machten die Runde. So sollten beispielsweise die Fenster nur nach Norden geöffnet werden, Schlaf zur Tageszeit war verboten, schwere Arbeit verpönt. Als gefährlich galten feuchtschwüles Klima und Südwind, die Luft über stehenden Gewässern aller Art. Die Pest würde durch die Schönheit junger Mädchen angezogen, hieß es. (Es starben tatsächlich mehr Frauen als Männer, mehr Junge als Alte).
Die medizinische Fakultät von Paris, von Philipp VI. im Oktober 1348 mit einer Untersuchung über die Ursache der Krankheit beauftragt, kam zu dem Schluß, dass die Pest durch eine am 20. März 1345 eingetretene ungünstige Dreierkonstellation aus Saturn, Jupiter und Mars, ausgelöst worden sei. Der Erklärungsansatz wurde europaweit als der wissenschaftlichste angesehen und in viele europäische Landessprachen übersetzt.
Viele Ärzte flohen vor der Pest. Wenn sie flohen, galten sie als feige, wenn sie blieben, als geldgierig. Die einzige ärztliche Pflicht im Angesicht der Pest war, Pestkranke zur Beichte aufzufordern. Das häufigste von den Ärzten angewandte Mittel gegen die Gefahren der Pest war das Verbrennen aromatischer Substanzen. Papst Klemens VI. verbrachte die Zeit des Pestausbruchs in Avignon zwischen zwei großen Feuern, die in seinen Gemächern entfacht wurde und die ihn möglicherweise wirklich vor einer Ansteckung bewahrten, da es ihn auch vor den Flöhen bewahrte.
Langfristig bewirkte die Pest, dass man sich allmählich von der Galenschen Medizin löste. Papst Klemens selbst sprach sich für eine Sezierung der Pestopfer aus, um die Ursache der Krankheit zu entdecken. Die direkte Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper durch anatomische Studien wurde mit größerer Intensität als vor der Pest fortgesetzt und damit der erste Schritt in Richtung moderner Medizin getan. Bis zu einer systematischeren Auseinandersetzung durch den Arzt Girolamo Fracastoro (1483-1533) mit dem Prinzip der Ansteckung sollte es jedoch noch fast 200 Jahre dauern.
Die Pest und die mittelalterliche Gesellschaft
Die unmittelbare Reaktion auf die Herausforderung durch die Pest
- Wir wollen darüber schweigen, dass ein Bürger den anderen mied, dass fast kein Nachbar für den anderen sorgte und sich selbst Verwandte gar nicht oder nur selten und dann nur von weitem sahen. Die fürchterliche Heimsuchung hatte eine solche Verwirrung in den Herzen der Männer und Frauen gestiftet, dass ein Bruder den anderen, der Onkel den Neffen, die Schwester den Bruder und oft die Frau den Ehemann verließ; ja, was noch merkwürdiger und schier unglaublich scheint: Vater und Mutter scheuten sich, nach ihren Kindern zu sehen und sie zu pflegen - als ob sie nicht die ihren wären (...) Viele starben, die, wenn man sich um sie gekümmert hätte, wohl wieder genesen wären. Aber wegen des Fehlens an ordentlicher, für den Kranken nötiger Pflege und wegen der Macht der Pest war die Zahl derer, die Tag und Nacht starben, so groß, dass es Schaudern erregte, davon zu hören, geschweige denn es mitzuerleben...
So schildert Boccacio den Einbruch der Pest in Florenz und die unmittelbare Reaktion der florentinischen Bevölkerung.
Viele der Menschen, welche die Pest als Gottesstrafe ansahen, fanden zu dieser Zeit den Trost in der Religion. Religiöse Bewegungen entstanden spontan im Gefolge oder in Erwartung der Pest - viele davon forderten das Monopol der Kirche auf geistliche Lenkung heraus. Bittgottesdienste und Prozessionen kennzeichneten den Alltag. Flagellanten, auch Geißlerzüge genannten, zogen durch die Städte. Der "Pestheilige" St. Rochus wurde intensiv verehrt, Pilgerfahrten nehmen zu. An vielen Orten zeugen Kirchen und andere Monumente wie so genannte Pestsäulen von der Angst der Menschen und ihrem Wunsch nach Erlösung von der Pest.
Andere Menschen versuchten jede Minuten ihres Lebens noch auszukosten. Mit Tanzen und Musik versuchte man der Pest zu entgehen. Der italienische Chronist Matteo Villani schrieb:
- Die Menschen, in der Erkenntnis, daß sie wenige und durch Erbschaften und Weitergabe irdischer Dinge reich geworden waren, und der Vergangenheit vergessend, als wäre sie nie gewesen, trieben es zügelloser und erbärmlicher als jemals zuvor. Sie ergaben sich dem Müßiggang, und ihre Zerrüttung führte sie in die Sünde der Völlerei, in Gelage, in Wirtshäuser, zu köstlichen Speisen und zum Glücksspiel. Bedenkenlos warfen sie sich der Lust in die Arme...
Eine funktionierende Wirtschaft konnte unter dem Einbruch einer Pestepidemie nicht mehr aufrechterhalten werden. Arbeitskräfte starben, flohen und nahmen ihre Aufgaben nicht mehr war. Vielen schien es sinnlos, die Felder zu bestellen, wenn der Tod sie doch bald ereilen würde.
Judenprogrome in Folge der Pest
Kirchliche und weltliche Macht verlor angesichts der Hilflosigkeit, mit der sie der Pestepidemie begegneten, ihre Autorität. Boccaccio schrieb dazu:
- In solchem Jammer und in solcher Betrübnis der Stadt war auch das ehrwürdige Ansehen der göttlichen und menschlichen Gesetze fast gesunken und zerstört; denn ihre Diener und Vollstrecker waren gleich den übrigen Einwohnern alle krank oder tot oder hatten so wenig Gehilfen behalten, dass sie keine Amtshandlungen mehr vornehmen konnten. Darum konnte sich jeder erlauben, was er immer wollte.
Boccaccios Zeilen in der Einleitung seines Decamerone galt nicht nur für Städte, die direkt von der Pest betroffen waren, sondern traf auch für die zu, die das Eintreffen der Pest befürchteten.
Unter dem Autoritätsverlust der weltlichen und kirchlichen Macht litten am meisten die, die zu den kulturellen Randbereichen der mittelalterlichen Gesellschaften zählten: Im Rahmen der Pest kam es zu schwerwiegenden Judenprogromen, weil man in ihnen die geeigneten Schuldigen fand. Anfangs versuchte zumindest ein großer Teil der geistlichen und weltlichen Herrschaft diese Progrome zu unterbinden.
Bereits 1348 bezeichnete der in Avignon lebende Papst Klemens VI. die Anschuldigung, die Juden würden durch das Vergiften von Brunnen die Pest verbreiten, als "unvorstellbar", da sie in Gegenden der Erde wüte, wo keine Juden lebten, und dort, wo sie lebten, sie selbst Opfer würden. Er forderte die Geistlichkeit auf, die Juden unter ihren Schutz zu stellen. Klemens VI. untersagte außerdem, Juden ohne Gerichtsverfahren zu töten oder sie auszuplündern. Die päpstlichen Bullen trugen jedoch wenig zum Schutz der Juden bei.
Bereits Anfang 1348 war das Gerücht aufgekommen, Juden träufelten Gift in Brunnen und Quellen: In Savoyen hatten jüdische Angeklagte sich unter der Folter solcher Vergehen für schuldig bekannt. Ihr Geständnis fand in ganz Europa rasch Verbreitung und war die Basis für eine Welle von Übergriffen vor allem im Elsaß, der Schweiz und Deutschland. Am 9. Januar 1349 wurde in Basel die gesamte jüdische Einwohnerschaft ermordet. In Straßburg versuchte die Stadtregierung, die ansässigen Juden zu schützen, wurde jedoch mit den Stimmen der Zünfte ihres Amtes enthoben. Die neue Straßburger Stadtregierung duldete dann das Massaker, dem im Februar 1349, als die Pest Straßburg noch gar nicht erreicht hatte, die Straßburger Juden zum Opfer fielen.
Maßgeblich an den Judenprogromen beteiligt waren die Flagellanten. Für Städte wie Freiburg, Augsburg, Nürnberg, Königsberg und Regensburg trifft zu, dass noch vor dem eigentlichen Ausbruch der Pest einziehende Flagellanten Teile der Bevölkerung aufhetzten, dann die jüdische Bevölkerung als Brunnenvergifter abgeschlachtet wurde und erst danach die Pest ausbrach.
Ebenso wie Papst Klemens VI. versuchte Kaiser Karl IV. die Juden zu schützen und sie in seinen Gebieten willkommen zu heißen. (Siehe hierzu die Goldene Bulle von 1356) Allerdings hatte er 1349, nicht mal ein Jahr nach den Übergriffen auf die Juden, für deren Schutz er als Kaiser verantwortlich war, Amnestien für viele deutsche Städte (etwa Esslingen, Reutlingen, Überlingen und Straßburg) erlassen, die die Juden vertrieben und sich an ihrem Besitz bereichert hatten. Auch im katholischen Spanien kam es zu Judenprogromen, die sich auch gegen konvertierte Juden richteten. Neben der Suche nach einem Sündenbock wird in der historischen Forschung die Habgier als Motiv für die Plünderungen und die Verfolgung der Juden, die zum Teil erhebliche Besitztümer hatten, angegeben.
Die langfristige Auswirkungen der Pest
Langfristig bewirkte die Pest einen tiefgreifenden Wandel in der mittelalterlichen Gesellschaft. Wie David Herlihy belegt, konnten die Generationen nach 1348 nicht einfach die sozialen und kulturellen Muster des 13. Jahrhunderts beibehalten. Der massive Bevölkerungseinbruch bewirkte eine Umstrukturierung der Gesellschaft, die sich langfristig positiv bemerkbar machte. So bezeichnete Herlihy die Pest als "die Stunde der neuen Männer": Die Entvölkerung ermöglichte einem größeren Prozentsatz der Bevölkerung den Zugang zu Bauernhöfen und lohnenden Arbeitsplätzen. Unrentabel gewordene Böden wurden aufgegeben, was in manchen Regionen dazu führte, dass Dörfer aufgegeben oder nicht mehr wiederbesiedelt wurden (sogenannte Wüstungen). Die Zünfte ließen nun auch Mitglieder zu, denen zuvor die Aufnahme verweigert worden war. Während der Markt für landwirtschaftliche Pachten zusammenbrach, stiegen die Löhne in den Städten deutlich an. Damit konnte sich eine große Anzal von Menschen einen Lebensstandard ermöglichen, der für sie vorher unerreichbar war.
Der deutliche Anstieg der Arbeitskosten sorgte dafür, dass manuelle Arbeit zunehmend mechanisiert wurde. Damit wurde das Spätmittelalter zu einer Zeit eindrucksvoller technischer Errungenschaften. David Herlihy nennt als Beispiel den Buchdruck: So lange die Löhne von Schreibern niedrig waren, war das handschriftliche Kopieren von Büchern eine zufriedenstellende Reproduktionsmethode. Mit dem Anstieg der Löhne setzten jedoch umfangreiche technische Experimente ein, die letztlich zur Erfindung des Buchdrucks durch Johann Gutenberg führten. Sogar die Weiterentwicklung der Feuerwaffe interpretiert Herlihy auch als Reaktion auf einen Mangel an Soldaten.
Die Rückkehr der Pest in den folgenden Jahren
Nachdem 1351 diese seit sechshundert Jahren erste Welle der Pest überstanden war, kehrte diese Krankheit alle neun bis zwölf Jahre wieder. Die zweitschlimmste Epidemie des ausgehenden Mittelalters bzw. der jungen Neuzeit erreichte Europa im Jahr 1400.
Die Pest als Epidemie hat sich als wesentlicher Faktor im Entstehen der Neuzeit erwiesen, indem sie der bereits taumelnden Gesellschaftsordnung des Mittelalters den letzten entscheidenden Stoß versetzte. Epochengleich mit dem Ende der großen Pestwelle von 1347 beginnt der Aufstieg der Hanse und der freien Städte, der Beginn der empirischen Wissenschaften und der Niedergang des Feudalismus - interessante Zusammenhänge lassen sich aufdecken.
Neuzeit
17. bis 19. Jahrhundert
Zu weiteren schweren Epidemien kam es 1665/66 in London mit etwa 99.000 Toten und 1678/79 in Wien zu der Zeit, als dort der sogenannte liebe Augustin lebte. Die letzte Pestepidemie trat in Europa im 18. Jahrhundert: Im Mai 1720 trat die Pest wieder in Marseille und in der Provence auf und verschwand erst wieder 1722. Zu weiteren Pestepidemien kam es in Europa nicht mehr.
Das Erlöschen der Pest in Europa wird in Zusammenhang damit gebracht, dass seit dem 16. Jahrhundert die Hausratte allmählich von der Wanderratte verdrängt wurde. Da die Wanderratte scheuer ist als ihre Vorgängerin, die Hausratte, kommt es weniger häufig zu direkten Kontakten zwischen Mensch und Tier, was eine Ansteckung mit pestinfizierten Flöhen reduziert. Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass sich der Pesterreger genetisch verändert hat. Auch die Fortschritte im Gesundheitswesen und die Verbesserung der Hygiene haben dazu beigetragen, dass Pestepidemien ausblieben
Die letzte Pandemie begann in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in Zentralasien und kostete während der nächsten 50 Jahre weltweit rund 12 Millionen Menschenleben. Während dieser Pestepidemie konnte der Erreger identifiziert und der Übertragungsweg erklärt werden.
Die Pest heute
Die Pest ist auch heute noch nicht besiegt: Von 1979 bis 1992 vermeldete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1451 Todesfälle in 21 Ländern. In den USA gab es beispielsweise 1992 13 Infektionen und 2 Todesfälle.
Die letzte größere Pestepidemie ereignete sich von August bis Oktober 1994 im indischen Surat. Die WHO zählte 6344 vermutete, 234 erwiesene Pestfälle und 56 Tote. Der dort festgestellte Pesterreger wies dabei bislang noch nicht beobachtete Eigenschaften auf. Er kennzeichnete sich durch eine schwache Virulenz und gilt aufgrund einige molekularbiologische Besonderheiten als neuartiger Erregerstamm.
Die Pest in Literatur und Kunst
Kaum eine andere Katastrophe prägte die kollektive Vorstellung von Machtlosigkeit, Untergang und Unglück in Europa so sehr wie die Pest.
Die frühesten Seuchenberichte stammen von antiken Geschichtsschreibern, wie von Thukydides, Lukrez und Homer.
Nach dem Wiedereinbruch der Pest in Europa beschäftigen sich Dichter und Künstler erneut mit der Seuche. Boccaccio schrieb das Decamerone vor dem Hintergrund der Pest, die 1348 in Florenz wütete. Sieben Damen und drei junge Männern beschließen in der Erzählung die Stadt Florenz zu verlassen und auf einem Landsitz zu verweilen, um der Pest zu entgehen. In einem bemerkenswertem Kontrast zu der Düsterkeit und Dramatik der Pestschilderungen stehen hierbei die erotisch-lustigen Geschichten, die sich die zehn Florentiner zur Unterhaltung erzählen. Sie finden einen Ausweg aus der Katastrophe in einem leichteren Leben. Die außergewöhnliche Situation der Pest gibt ihnen die Möglichkeit, in ihren Erzählubgen die mittelalterlichen Normen und Werte zu hinterfragen.
In Lübeck entstand 1350 unter dem Eindruck der verheerenden Pestseuche der Totentanz (Gemälde) in der neu erbauten Marienkirche.
In Wien entstand 1679 die - als solche heute oft gar nicht mehr erkannte - Pestballade O du lieber Augustin, alles ist hin. (vgl. Marx Augustin) die der Pest einen Galgenhumor entgegensetzt.
Edgar Allen Poe schuf 1842 die Erzählung Die Maske des Roten Todes, die eigentlich durch einen Zeitungsbericht über eine Choleraepidemie in Paris inspiriert ist, aber Ähnlichkeit zu anderen Pesterzählungen aufweist. Obwohl eine Krankheit (der Rote Tod, Red Death) das halbe Land dahinrafft, gibt der Herzog Prince Prospero, der auf sein Schloss geflüchtet ist, einen pompösen Maskenball. Die Rahmenhandlung, bei der man vor der Epidemie in den Hedonismus flieht, erinnert hier an Boccaccios Dekamerone, doch nimmt Poes Geschichte eine andere Wendung. Am Ende dringt der Rote Tod auch in das Schloss ein, und weil sich der Herzog nicht um sein Land gekümmert hat, wütet die Epidemie weiter.
Arnold Böcklin schuf zu diesem Thema 1889 in Italien das Bild Die Pest/Der Schwarze Tod, dass heute im Basler Kunstmuseum ausgestellt ist. Böcklin personifiziert die Pest in seinem Bild als fliegendes, blindes Monstrum, vor dem es kein Entrinnen gibt. Die Sense und die skelettartige Gestalt greifen auf eine mittelalterliche Todessymbolik zurück.
Albert Camus schrieb den Roman Die Pest (fr. La Peste) über einen neuzeitlichen Pestausbruch in der algerischen Stadt Oran (publiziert 1947). Darin findet ein Arzt trotz des Aussichtlosigkeit und Absurdität des Kampfes gegen die Pest Menschlichkeit und Solidarität. Die Pest wird hierbei oft als Allegorie auf den Nationalsozialismus interpretiert.
Bekannte Opfer der Pest
Die Pest forderte viele Millionen Menschenleben. Das sind unter anderem (chronologisch):
- Perikles, Herrscher von Athen, † 429 v. Chr.
- Claudius II., römischer Kaiser, † 270
- König Alfons XI. von Kastilien, † 1350
war der einzige regierende Monarch, der während der großen Pestepidemie in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts starb
- Margarethe I., Königin von Dänemark, Norwegen und Schweden, † 1412 in Flensburg
- Jan Žižka, Heerführer der Hussiten, † 1424
- Eduard I., König von Portugal, † 1438
- Johann Hunyadi, ungarischer Nationalheld, † 1456
- Alfons I., König von Portugal, † 1481
- Andreas Bodenstein, Reformator, † 1541 in Basel
- Hans Holbein der Jüngere, Maler, † 1543 in London
- Albrecht von Brandenburg Preußen, erster preußischer Fürst, † 1568 in Tapiau
- Tizian, italienischer Maler, † 1576 in Venedig im Alter von 99 Jahren
- Jean Bodin, französischer Staatsphilosoph und Hexentheoretiker, † 1596
- Peter Binsfeld, Weihbischof von Trier und Hexentheoretiker, † 1598
- Bernhard Textor, Theologe, † 1602 in Dillenburg
- Johannes Pistorius (d.J.), Theologe † 1608 in Freiburg im Breisgau
- Juana Inés de la Cruz, mexikanische Nonne und Dichterin, † 1695 in Mexiko-Stadt, nachdem sie sich als Krankenschwester infizierte
Weblinks
- Das jüdische Museum Göppingen beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Pest und Judenverfolgung.
- Merkblatt zur Pest vom Robert-Koch-Institut
Zitierte Werke
- Boccaccio; Il decamerone
- Albert Camus; Die Pest
- Matteo Villani; Cronica di Matteo Villani, I, Kapitel 4
- Thukydides hat in seinem Werk über den Peloponnesischen Krieg eine sehr ausführliche Beschreibung über die Seuche, die die Athener heimsuchte. Neben der Reclam-Übersetzung ist diese nachlesbar unter folgender englischsprachiger Website: Peloponnesischer Krieg
- Thukydides; Der Peloponnesische Krieg (Reclam), hrsg. von H. Vrestka und W. Rinner, Stuttgart 2000. ISBN 3-150-01808-0
Literatur
- Klaus Bergdolt; Der schwarze Tod in Europa Becksche Reihe ISBN 3-406-45918-8
- Norman F. Cantor: In the Wake of the Plague - The Black Death and the Word it made, London 1997, ISBN 0-7434-3035-2
- Claudia Eberhard Metzger, Renate Ries; Verkannt und heimtückisch - Die ungebrochene Macht der Seuchen, Basel 1996, ISBN 3-7643-5399-6
- Franz-Reiner Erkens; Buße in Zeiten des Schwarzen Todes: Die Züge der Geissler in "Zeitschrift für historische Forschung, 26. Band 1999, Berlin, S. 483-513
- David Herlihy; Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas, Berlin 1997, ISBN 3-8031-3596-6
- Kay Peter Jankrift Krankheit und Heilkunde im Mittelalter Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ISBN 3-534-15481-9
- William Naphy, Andrew Spicer Der schwarze Tod, Magnus Verlag, ISBN 3-88400-016-0
- Norbert Ohler; Sterben und Tod im Mittelalter Patmos Paperback, ISBN 3-491-69070-6
- Jacques Ruffié, Jean-Charles Sournia: Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit, Stuttgart 1987, ISBN 3-423-30066-3
- Barbara Tuchman: Der ferne Spiegel - das dramatische 14. Jahrhundert, Düsseldorf 1980, ISBN 3-546-49187-4
- Manfred Vasold: Die Ausbreitung des Schwarzen Todes in Deutschland nach 1348, in "Historische Zeitrschrift Band 277, 2003, S. 281-308