Lebenslange Freiheitsstrafe

Freiheitsentzug als eine gesetzlich vorgesehene Strafe für ein Verbrechen
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Die lebenslange Freiheitsstrafe ist in vielen Staaten die höchste Strafe, die ein Richter im Strafrecht aussprechen kann. Insbesondere in Europa hat sie sich mit Ausnahme weniger Staaten wie Portugal und Kroatien nach Abschaffung der Todesstrafe durch die Europäische Menschenrechtskonvention als höchste strafrechtliche Maßregel etabliert.

Geschichte

Im Sanktionsrecht der Antike und des Mittelalters spielte Freiheitsentzug als Strafe nur eine untergeordnete Rolle. Zu lebenslanger Haft wurden gewöhnlich nur Täter verurteilt, die eigentlich hingerichtet werden sollten, aber vom jeweiligen Herrscher begnadigt wurden oder – bei Inquisitionsprozessen – ihre Lehren bzw. ihren Glauben aus Angst vor dem Tode widerriefen.

Deutsches Strafrecht

Voraussetzungen

Die Strafgesetze ermöglichen in der Regel eine lebenslange Haftstrafe, wenn eine vorsätzliche Straftat zum Tod eines Menschen führt. Zwingend vorgeschrieben wird sie nur für wenige Taten, die aufgrund ihrer Verwerflichkeit besonders herausstechen: Mord (§ 211 StGB), der besonders schwere Fall des Totschlags (§ 212 Abs. 2 StGB), Völkermord (§ 6 Abs. 1 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VStGB) und Kriegsverbrechen gegen Personen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB).

Bei bestimmten rechtswidrigen Handlungen kann eine lebenslange Gefängnisstrafe, aber auch ein in der Rechtsnorm festgelegtes alternatives Strafmaß (meist Freiheitsstrafe nicht unter 10 Jahren) ausgesprochen werden. Darunter fallen vor allem Qualifikationstatbestände, die gegenüber dem Grundtatbestand den (wenigstens leichtfertig verursachten) Tod eines Menschen beinhalten und die Strafe infolgedessen verschärfen. Für bestimmte Taten wurde dafür ein eigener Paragraph geschaffen: Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge (§ 176b StGB), Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178 StGB), Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB) und Brandstiftung mit Todesfolge (§ 306c StGB). Bei anderen wird die Strafmaßerhöhung in einem gesonderten Absatz aufgeführt: Erpresserischer Menschenraub (§ 239a Abs. 3 StGB), Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie (§ 307 Abs. 3 StGB), Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion (§ 308 Abs. 3 StGB), Missbrauch ionisierender Strahlen (§ 309 Abs. 4 StGB), Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer (§ 316a Abs. 3 StGB) und Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr (§ 316c Abs. 3 StGB). Auch das Völkerstrafgesetzbuch sieht solche Fälle vor, und zwar bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 Abs. 3 VStGB), Kriegsverbrechen gegen Personen (§ 8 Abs. 4 VStGB) und - nur für den Fall des vorsätzlich herbeigeführten Todes - Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden (§ 11 Abs. 2 VStGB) bzw. Mittel (§ 12 Abs. 2 VStGB) der Kriegsführung.

Schlussendlich lässt der Gesetzgeber die lebenslange Freiheitsstrafe alternativ auch für bestimmte Taten im Bereich des Friedensverrats, Hochverrats und der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates zu, und zwar bei Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80 StGB), Hochverrat gegen den Bund (§ 81 StGB), dem besonders schweren Fall des Landesverrats (§ 94 Abs. 1 StGB), Verrat illegaler Geheimnisse (§ 97a StGB) und dem besonders schweren Fall der friedensgefährdenden Beziehungen (§ 100 Abs. 2 StGB).

Mit Ausnahme des Mordes und der Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch verjähren alle der obengenannten Straftaten nach 30 Jahren.

Realisierung

Der Begriff der lebenslangen Freiheitsstrafe wird in § 38 Abs. 1 StGB eingeführt. Dort wird sie als Ausnahme der zeitigen Freiheitsstrafe dargestellt, da ihre Dauer eben nicht auf eine bestimmte Anzahl von Monaten oder Jahren, sondern auf ein ganzes Leben festgelegt ist. Liegt ein gesetzlicher Milderungsgrund vor, so tritt an ihrer Stelle eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren (§ 49 StGB). Im Jugendstrafrecht findet sie keine Anwendung, dort beträgt die Höchststrafe 10 Jahre. Laut Statistischem Bundesamt saßen 2003 insgesamt 2080 zu lebenslanger Haft verurteilte Personen in deutschen Gefängnissen (einschließlich Sicherungsverwahrte).

Trotzdem muss dem Verurteilten die Möglichkeit eingeräumt werden, irgendwann die Freiheit wiederzuerlangen. Dies gebieten nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juni 1977 das Rechtsstaatlichkeitsprinzip und die Menschenwürde. Aufgrund dieser Forderung wurden in § 57a StGB Bedingungen für eine vorzeitige Freilassung auf fünfjährige Bewährung festlegt:

  • 15 Jahre Freiheitsentzug müssen verbüßt sein.
  • Die Freilassung kann unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden. Das Gericht hat auf der Grundlage des Gutachtens eines Sachverständigen hat zu entscheiden, ob davon ausgegangen werden kann, dass der Strafgefangene in der Freiheit keine weiteren Straftaten begeht.
  • Die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten darf keine weitere Vollstreckung gebieten. Hat das Gericht bei seinem Urteil über die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe eine solche festgestellt, so kann der Straftäter nicht mit einer vorzeitigen Entlassung nach 15 Jahren rechnen. Besondere Schuldschwere ist zu bejahen, wenn gegenüber vergleichbaren Taten ein deutlich höheres Maß an Schuld vorliegt - aufgrund der Tat (mehrfacher Mord, erbarmungslose Brutalität, höchst grausame bzw. qualvolle Behandlung des Opfers), der Motive (besonders nichtig) oder der Täterpersönlichkeit (abartige sexuelle oder gewalttätige Neigungen). Zwar darf der Verurteilte nach wie vor auf eine Freilassung hoffen, jedoch verlängert sich die Haftdauer im Durchschnitt auf 17 bis 23 Jahre.
  • Der Verurteilte muss einwilligen. Auf seinen Antrag trifft die Strafvollstreckungskammer ihre Entscheidung. Lehnt sie ab, so kann in der Regel alle zwei Jahre (Absatz 4) ein neuer Antrag gestellt werden, woraufhin erneut überprüft wird, ob die Voraussetzungen für eine Entlassung aus der Haft vorliegen.

Eine weitere Möglichkeit, die lebenslange Freiheitsstrafe auszusetzen, ist die Begnadigung durch den Bundespräsidenten (Art. 60 Abs. 2 GG) oder einen Ministerpräsidenten.

Auch Hafturlaub muss dem Gefangenen ermöglicht werden. Allerdings kann dies gemäß § 13 Absatz 3 StVollzG erst geschehen, wenn mindestens zehn Jahre im Gefängnis (einschließlich Untersuchungshaft etc.) verbüßt worden oder der Gefangene sich bereits im offenen Vollzug befindet.

Österreichisches Strafrecht

Österreich normiert in § 18 StGB die Freiheitsstrafe, die entweder auf bestimmte Zeit (höchstens zwanzig Jahre) oder auf Lebensdauer verhängt werden kann, wobei letzteres laut § 36 StGB bei Personen unter 21 Jahren ausgeschlossen ist. Der § 46 Abs. 5 StGB regelt die Möglichkeit einer bedingten Freilassung – 15 Jahre müssen im Gefängnis zugebracht worden sein; Person, Vorleben, Aussichten auf ein redliches Fortkommen und Aufführung während der Vollstreckung müssen zur Annahme verleiten lassen, dass der Täter in Freiheit keine strafbaren Handlungen begeht; die Schwere der Tat darf keine weitere Vollstreckung verlangen. Die Probezeit beträgt nach der Freilassung 10 Jahre (§ 48 Abs. 1 StGB). Jedoch wird nur für Völkermord (§ 321 StGB) zwingend eine lebenslange Haftstrafe verlangt, in anderen Fällen kann sie alternativ zu einer Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren ausgesprochen werden. Neben Mord (§ 75 StGB) sowie der Herstellung und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (§ 177a Abs. 2 StGB) trifft dies auf eine Reihe von Straftaten zu, wenn durch sie der Tod eines Menschen - Erpresserische Entführung (§ 102 Abs. 3 StGB), Schwerer Raub (§ 142 Satz 3 StGB), Vergewaltigung (§ 201 Abs. 3 StGB i. V. m. § 201 Abs. 1 StGB) und Schwerer sexueller Missbrauch von Unmündigen (§ 206 Abs. 3 StGB) – oder einer größeren Zahl von Menschen - Brandstiftung (§ 168 Abs. 3 StGB), Luftpiraterie (§ 185 Abs. 2 StGB) und Vorsätzliche Gefährdung der Sicherheit der Luftfahrt (§ 186 Abs. 3 StGB) - verursacht wird.

Schweizer Strafrecht

Das Schweizer Strafrecht ermöglicht gemäß Art. 35 StGB "lebenslängliches Zuchthaus" als höchste Strafe "wo das Gesetz es besonders bestimmt". Dies trifft konkret auf vier Tatbestände zu: Als Alternative zu einer Zuchthausstrafe von nicht unter zehn Jahren auf Mord (Art. 112 StGB) sowie Völkermord (Art. 264 StGB), als Alternative zu einer Zuchthausstrafe von nicht unter drei Jahren auf den besonders schweren Fall des Angriffes auf die Unabhängigkeit der Eidgenossen (Art. 266 Abs. 2 Satz 3 StGB) und alternativ zu einer frei wählbaren Zuchthausstrafe auf den besonders schweren Fall der Geiselnahme (Art. 185 Abs. 3 StGB). Ebenso wie in den deutschsprachigen Nachbarstaaten muss dem Gefangenen die Chance gegeben werden, irgendwann wieder ein Leben als freier Mann zu führen. Nach 15 Jahren kann er von der Behörde bedingt entlassen werden (Art. 38 Abs. 1 StGB). Bereits nach zehn Jahren können ihm gewisse Vollzugslockerungen gewährt werden, z.B. die Einweisung in eine freier geführte Anstalt oder die Beschäftigung außerhalb des Strafvollzugs, wobei Einzelheiten von den Kantonen geregelt werden. (Art. 37 Abs. 3 StGB)

Andere Staaten

In den USA dauert die lebenslange Freiheitsstrafe generell bis zum Tod des Verurteilten an. Wird der Täter von einem Bundesgericht verurteilt, so hat er keinerlei rechtlichen Anspruch auf eine Freilassung, allein der Präsident kann ihn begnadigen. In den einzelnen Bundesstaaten gelten hingegen unterschiedliche Regeln, vielerorts wird dem Verurteilten das Recht auf eine zweite Chance eingeräumt. Zumeist wird schon im Urteil eine Strafe verhängt, welche die lebenslange Haft mit einer Mindestverbüßungszeit verknüpft, nach der eine Freilassung erfolgen kann, z.B. "15 Jahre bis lebenslang" oder "25 Jahre bis lebenslang". Trifft dies nicht zu, so können in der Regel Regierungsbeamte eine Begnadigung aussprechen bzw. Amnestie gewähren. Eine Besonderheit des amerikanischen Strafrechts liegt in Verurteilungen, bei denen die ausgesprochene Haftdauer die Lebenserwartung des Täters übersteigt, beispielsweise eine 200-jährige Strafe.

Kritik

Immer wieder werden Stimmen von Verbänden und Rechtswissenschaftlern laut, auf die lebenslange Freiheitsstrafe komplett zu verzichten. Ähnlich wie bei der Todesstrafe untermauern Kritiker diese Forderung mit einer ganzen Reihe von Argumenten:

  • Sie widerspricht dem Resozialisierungsgedanken des Strafrechts (§ 2 Satz 1 StVollG ), denn der Verurteilte wird für die Dauer seines gesamten Lebens aus der Gesellschaft ausgegrenzt.
  • Der Täter wird auf eine unmenschliche, die Menschenwürde nicht angemessen berücksichtigende Weise bestraft. Laut § 3 Abs. 2 StVollG müssen schädliche Folgen des Freiheitsentzuges verhindert werden. Die lebenslange Freiheitsstrafe führt jedoch vor allem zu langfristigen psychischen Schäden: Soziale Fähigkeiten, das Selbstwertgefühl und die Selbstwahrnehmung gehen verloren, der Gefangene isoliert sich, sieht keine Perspektive mehr, vereinsamt und verkümmert.
  • Die Gesellschaft profitiert von der Vollstreckung lebenslanger Haft in keinster Weise, schwere Straftaten werden durch sie nicht vermieden. In Ländern, die sie abgeschafft haben, war kein Anstieg von Tötungsdelikten festzustellen.
  • Die lebenslange Freiheitsstrafe verhindert, dass der Täter Verantwortung für seine Tat übernimmt und seine Schuld aufarbeitet. Um dem hohen Strafmaß zu entgehen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als seine Tat zu leugnen oder umzuinterpretieren.
  • Eine vorzeitige Freilassung ist zwar in den meisten Staaten möglich, die Anwendung der entsprechenden Paragraphen jedoch zu willkürlich, die entsprechenden Bedingungen zu ungenau definiert. Insbesondere für die Verhängung einer "Besonderen Schwere der Schuld" gibt es keine einheitlichen Kriterien.