Rote Khmer

maoistisch-nationalistische Guerillabewegung
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Die Roten Khmer (franz. Khmers rouges) waren eine Bewegung, die 1975 mit Guerillamethoden in Kambodscha an die Macht kam und sich zeitweise als maoistisch darstellte.

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Flagge der Roten Khmer

Ursprünge

Die Roten Khmer haben ihren Ursprung in der Kommunistischen Partei Kambodschas, die 1951 aus der indochinesischen KP entstanden ist. Die Unterdrückung der kambodschanischen Kommunisten durch König Sihanouk und danach General Lon Nol veranlasst viele der Parteimitglieder und -anhänger zur Flucht nach Nordvietnam, während eine sich aus der Bauernschaft rekrutierende Fraktion mit Hang zum Nationalismus, zu der sich auch der Student Pol Pot und andere spätere Khmer-Führer zählen, zurückbleibt und im Untergrund den Kampf aufnimmt.

Der Armeegeneral Lon Nol kommt am 18. März 1970 - während eines Auslandsaufenthaltes von Staatschef Prinz Sihanouk - durch einen von den USA unterstützten Putsch an die Macht und erhält von den USA umfangreiche Wirtschafts- und Militärhilfe.

Der Vietcong unterstützt die kleine Gruppe der kommunistischen Khmer-Partisanen, die sich schließlich "Rote Khmer" nennen. Der Vietcong nutzt den östlichen Teil des kambodschanischen Territoriums als Transportweg (Hồ-Chí-Minh-Pfad) und Rückzugsgebiet.

Mit Lon Nols Billigung versuchen Richard Nixon und sein Außenminister Henry Kissinger, Kambodscha vom Vietcong militärisch zu säubern. Indem sie den US-Krieg gegen das kommunistische Nordvietnam und den Vietcong auf kambodschanischen Boden ausdehnen, opfern die USA die Unabhängigkeit des letzten unabhängigen Staates Indochinas. Ihre Flächenbombardements fordern mindestens 200.000 Menschenleben, vornehmlich unter Zivilisten, und tragen dazu bei, einen großen Teil der Bevölkerung in die Arme der Roten Khmer zu treiben. Von amerikanischen B-52-Flugzeugen werden von 1968 bis 1973 mehr als 700.000 Tonnen Bomben und alleine 1973 doppelt soviele Bomben über Kambodscha abgeworfen wie über Japan während des gesamten Zweiten Weltkrieges.

Dass Vietnamesen und Amerikaner ihren Krieg letztlich nach Kambodscha tragen, erklärt den nationalistischen und wohl auch hasserfüllten Kurs der Roten Khmer somit zu einem gewissen Teil. Der kambodschanische Nationalismus hat seinen Ursprung jedoch nicht in den 70er Jahren, sondern in den Eroberungsfeldzügen der Vietnamesen und Siams (des heutigen Thailands) während der letzten 800 Jahre.

Sihanouk selbst flieht in die Volksrepublik China und arrangiert sich dort, von den Chinesen dazu gedrängt, mit den Roten Khmer, wo er einer Exilregierung unter deren Beteiligung vorsteht. Diese erobern in den nächsten Jahren weite Teile Kambodschas, so dass die Lon-Nol-Regierung zuletzt nur noch Phnom Penh unter ihrer Kontrolle weiß.

Schreckensherrschaft

Am 17. April 1975 wird Phnom Penh von den Roten Khmer eingenommen, die "Demokratische Republik Kampuchea" ausgerufen und der im Exil lebende Norodom Sihanouk als Staatsoberhaupt eingesetzt. Dieser trifft jedoch erst am 9. September 1975 in Kambodscha ein.

Die meisten Einwohner der Stadt freuen sich über das Ende der Kämpfe und sie begrüßen die einmarschierenden Truppen jubelnd. Ein großer Teil der Kämpfer besteht aus Kindersoldaten, die bei der Machtübernahme der Roten Khmer nichts anderes als die Schrecken des Krieges kennen. Schon zu Beginn der 70er Jahre haben zwölfjährige Knaben mit M 16-Schnellfeuergewehren gekämpft, die von Saigon an die Truppen Lon Nols geliefert worden sind.

Die Stimmungslage kippt jedoch schnell, als Pol Pot und die Roten Khmer mit der Errichtung eines Terrorregimes beginnen. Am 4. April 1976 wird Norodom Sihanouk wegen seiner Kritik am Kurs der Roten Khmer als Staatsoberhaupt abgesetzt und unter Hausarrest gestellt, Khieu Samphan zum neuen Staatsoberhaupt und Pol Pot als Regierungschef ernannt.

Geheimhaltung

Eine Eigenheit der kommunistischen Herrschaft in Kambodscha, die sie von den anderen kommunistischen Diktaturen unterscheidet, war die völlige Geheimhaltung von Partei und führenden Funktionären. Sie verbargen sich hinter einer vorgeblichen Organisation mit der Bezeichnung Angkar. Den ersten öffentlichen Auftritt absolvierte Pol Pot rund ein Jahr nach der Machtübernahme im März 1976 als "Arbeiter einer Kautschukplantage". Pol Pot ließ keine Biographie von sich veröffentlichen, es gab keine Textsammlungen von ihm; es wurden weder Skulpturen noch offizielle Portraits angefertigt. Es gibt nur wenige Fotos von ihm. Viele Kambodschaner erfuhren erst nach seinem Sturz von der Identität ihres Regierungschefs.

Utopie und Wirklichkeit

Den kommunistischen Utopien hängt Pol Pot schon als junger Mann an und tritt mit 18 in die KP Kambodschas ein und wenig später als Student in Paris in die KP Frankreichs. Seinen Vorstellungen zufolge ist neben der Korruption des Lon-Nol-Regimes gerade in der Dichotomie von Stadt und Land eine der Hauptursachen für die Armut Kambodschas zu sehen. Also glaubt er, das Bauerntum stärken und alles Städtische zerstören zu müssen und macht sich mit seinen bewaffneten Gefolgsleuten sogleich daran, diese kommunistische Utopie in seinem Land umzusetzen. Den verständlichen Widerstand der Bevölkerung bricht er mit brutaler Gewalt und steht damit in Kontinuität mit seinen ideologischen Vätern Lenin, Stalin oder Mao.

Die sofortige Deportation der Stadtbevölkerung auf die Reisfelder des Landes verwandelt das zuvor über 2 Millionen Einwohner zählende Phnom Penh binnen weniger Tage in eine Geisterstadt, ebenso werden die Provinzhauptstädte entvölkert. Auf diesem „langen Marsch“, der bis zu einem Monat dauert, sterben tausende Menschen (insbesondere Ältere und Kinder) aufgrund der Strapazen.

Bald ist jeder Überlebende zum Arbeiter gewandelt und gezwungen, eine schwarze Einheitskleidung zu tragen, die jede Individualität beseitigen soll. Die Sprecher der Roten Khmer verkünden allerdings den Beginn eines neuen revolutionären Zeitalters, in dem jede Form der Unterdrückung und der Tyrannei abgeschafft sei.

In den ersten Monaten dieser revolutionären Ära verwandelt sich das Land in ein gigantisches Arbeits- und Gefangenenlager. Arbeitszeiten von 12 Stunden oder mehr sind keine Seltenheit, und jeder Schritt der Arbeiter wird so überwacht, dass fast jeder um sein Leben fürchten muss. So kann auch, wer zu spät zur Arbeit kommt, wegen des Verdachts auf Sabotage hingerichtet werden.

Geld wird abgeschafft, Bücher werden verbrannt, Lehrer, Händler, beinahe die gesamte intellektuelle Elite des Landes wird ermordet, um den Agrarkommunismus, wie er Pol Pot vorschwebt, zu realisieren. Die beabsichtigte Verlagerung der Wirtschaftstätigkeit aufs Land bedingt deren vollständiges Erliegen, da auch Industrie- und Dienstleistungsbetriebe - Banken, Krankenhäuser, Schulen - geschlossen werden.

1976 stellt Pol Pot einen 4-Jahres Plan auf, der alle Klassenunterschiede beseitigen und das Land in eine blühende kommunistische Zukunft führen soll. Die landwirtschaftliche Produktivität Kambodschas soll verdreifacht werden, um durch Nahrungsexporte die benötigten Devisen zu erhalten. Doch dieses Ziel ist kaum zu erreichen, da die wirtschaftliche Infrastruktur größtenteils zerstört ist und die Landarbeiter zu einem großen Teil ohne Arbeitsgeräte dastehen.

Die Versorgung mit Nahrung bricht auch durch Fehlplanung und Misswirtschaft zusammen. Da lokale Führungskräfte Repressalien befürchten, fälschen sie die Ernteberichte. Der Ertrag wird dennoch abgeführt. Nahrungsmangel und Zwangsarbeit sowie fehlende medizinische Versorgung führen zum Tod Hunderttausender. Viele der verantwortlichen Führungskräfte werden wegen Sabotage des 4-Jahres-Plans inhaftiert und kommen hier ums Leben.

Massensäuberungen

Gleichzeitig werden Massensäuberungen durchgeführt. Wer im Verdacht steht, mit Ausländern zu kollaborieren, wird getötet. Nicht nur Pol Pot und die Roten Khmer machen Vietnamesen und andere Ausländer für die Misere Kambodschas verantwortlich. Die Vietnamesen sind nicht nur unbeliebt, weil sie den Krieg mit nach Kambodscha getragen haben, sondern auch weil sie - von den Franzosen zur Zeit des kolonialen Französisch-Indochina für Verwaltungsaufgaben ins Land geholt - für viele ein Symbol für die Fremdbestimmung des Landes darstellen.

Wer auch nur im Verdacht steht, eine Schulausbildung zu haben, oder aufgrund des Tragens einer Brille intellektuell aussieht, kann sofort getötet werden. Die „Bourgeoisie“ wird „abgeschafft“, und um ein „Bourgeois“ zu sein, reicht es oft, lesen oder eine Fremdsprache (vor allem Französisch) sprechen zu können. Wie unter Stalins Herrschaft werden auch unter der Diktatur der Roten Khmer massenhaft Oppositionelle wie Monarchisten und Anhänger des Lon-Nol-Regimes getötet, aber auch jene Kommunisten, welche kurz vor der Machtübernahme aus Vietnam nach Kambodscha zurückgekehrt sind.

Während der vierjährigen Schreckensherrschaft werden schätzungsweise 1,7 bis 2 Millionen Menschen in Todeslagern umgebracht oder kommen bei der Zwangsarbeit auf den Reisfeldern ums Leben (bei einer Gesamtbevölkerung von etwas mehr als 7 Millionen). Im berüchtigten „Sicherheitsgefängnis 21“ in Phnom Penh, das unter der Leitung des unter seinem Pseudonym bekannten Dëuch steht, überleben 7 von insgesamt 15.000-30.000 Gefangenen. Wer dort nicht an der Folter stirbt, wird auf den Killing Fields vor den Toren der Stadt umgebracht.

Berichte über die Gräueltaten der Roten Khmer sorgen in den ersten Jahren ihrer Herrschaft noch für Diskussionen. Die Berichte des Pater François Ponchaud, der als erster in seinem 1977 erschienen Buch „Cambodge - année zéro“ über die Massenmorde in Kambodscha schreibt, werden von westlichen Linken wie dem Medienkritiker Noam Chomsky als nicht objektiv dargestellt. Die Aufmerksamkeit, die den Berichten aus Kambodscha in der Presse zukomme, sei im Vergleich zu den Gräueltaten der US-Amerikaner in Kambodscha und in anderen Ländern übertrieben (s. Chomsky und Herman in The Nation [1]). Allerdings verwahrt sich Chomsky gegen die Vorwürfe, seine damalige Kritik käme einer Relativierung der Schreckensherrschaft der Roten Khmer gleich. Vielmehr sei seine Kritik als Widerlegung der Darstellung Kambodschas als ein sanftmütiges Land, das 1975 durch die Roten Khmer plötzlich in den Abgrund gestoßen wurde, zu sehen. Der belgische Menschenrechtsexperte François Rigaux meint, unter Ausblendung der Millionen Opfer, das Pol-Pot-Regime habe für die Menschenrechte in Kambodscha mehr unternommen als die westliche Welt.

Entmachtung

Am 25. Dezember 1978 marschieren die Truppen des wiedervereinigten Vietnam nach von den Roten Khmer initiierten Grenzzwischenfällen mit dem Ziel in Kambodscha ein, das Pol-Pot-Regime zu stürzen und eine pro-vietnamesische Regierung zu installieren. Dies geschieht schon am 8. Januar 1979, indem die "Einheitsfront für nationale Rettung" das Pol-Pot-Regime stürzt und als neuen Regierungschef Heng Samrin einsetzt, der drei Tage später die „Volksrepublik Kampuchea“ ausruft. Pol Pot zieht sich in den Untergrund zurück und Norodom Sihanouk geht neuerlich ins chinesische Exil.

Die darauf folgende Guerilla-Taktik der Roten Khmer sowie die ständige Lebensmittelknappheit führen zur Massenflucht von Kambodschanern nach Thailand. Als Pol Pot im Juni 1982 mit seinen Roten Khmer und zwei nicht-kommunistischen Gruppen - der „Nationalen Front für ein unabhängiges, neutrales, friedliches und kooperatives Kambodscha“ (FUNCINPEC) von Norodom Sihanouk, sowie der antikommunistischen „Khmer People's National Liberation Front“ des früheren Premierministers Son Sann - wieder unter der Leitung von Sihanouk, im malayischen Kuala Lumpur eine Exilregierung bildet, wird diese von der UNO anerkannt.

Im September 1989 ziehen sich die vietnamesischen Truppen aus Kambodscha zurück, Heng Samrin bleibt jedoch weiter an der Macht. Allerdings wird die Verfassung Kambodschas geändert, der Staat neuerlich umbenannt, diesmal in „Staat Kambodscha“, der Buddhismus wird zur Staatsreligion erklärt. Norodom Sihanouk kehrt 1990 nach Phnom Penh zurück, die Regierung Samrin wird durch die Aktionen der Widerstandsgruppen weiter geschwächt. Am 24. Juni 1991 unterzeichnen schließlich alle kambodschanischen Bürgerkriegsparteien einschließlich der Roten Khmer einen unter UNO-Vermittlung ausgehandelten Waffenstillstand. Vorsitzender der Übergangsregierung, des „Obersten Nationalrats“ wird Norodom Sihanouk.

1992 weigern sich die Roten Khmer allerdings, sich diesem Pariser Friedensabkommen entsprechend unter UNO-Aufsicht entwaffnen zu lassen. Der Bürgerkrieg flammt wieder auf. Wirtschaftssanktionen gegen die von den Roten Khmer kontrollierten Gebiete werden verhängt und Thailand schließt die Grenzen zu diesen Regionen.

Als im September 1993 unter Aufsicht der UNO die ersten freien Wahlen seit 20 Jahren abgehalten werden, werden diese von den Roten Khmer boykottiert. Wohl zählen die Roten Khmer noch an die 10.000 Kämpfer, bilden sie nach ihrem offiziellen Verbot im Juli 1994 eine Gegenregierung in der Provinz Preah Vihear und verschleppen bis 1995 Tausende von Zivilisten in ihre Konzentrationslager im unwegsamen Dschungel an der Grenze zu Thailand - gleichzeitig kommt es aber auch zu einem inneren Zerfall der Roten Khmer. Großzügige Angebote der Regierung ermöglichen es vielen Angehörigen und Führern der Roten Khmer, sich der Regierung unterzuordnen und sich großteils unbehelligt ein neues Leben aufzubauen. 1997 wird Pol Pot von den Roten Khmer, jetzt unter der Führung von Oung Choeun alias Ta Mok, dem wegen seiner Brutalität berüchtigten „Schlächter“ bzw. vormaligen Chef der Südwestzone des „Demokratischen Kampuchea“, aus seiner Führungsposition als „Bruder Nr.1“ verdrängt und als Verräter zu lebenslanger Haft verurteilt. Anfang März 1998 humpelt auch er, der einbeinige ehemalige buddhistische Mönch, in Begleitung vier seiner Getreuen über die Grenze zu Thailand, um sich dann den Behörden zu stellen. Seine Parteisäuberungen kosteten Zehntausende das Leben. Er ist gemeinsam mit dem unter dem Pseudonym Dëuch bekannten Kang Kek Leu (Kaing Kien Iev), dem ehemaligen Leiter des Folterzentrums von Tuol Sleng, der bislang einzige Rote Khmer, der – bis zu seinem Tod an Alterschwäche am 21. Juli 2006 im Militärkrankenhaus in Phnom Penh – im Gefängnis einsaß.

Pol Pot selbst stirbt am 15. April 1998 unter ungeklärten Umständen in Anlong Veng im Norden Kambodschas. Farbfotos zum Beweis für seinen Tod werden vorgelegt.

Am 25. Dezember 1998, genau 19 Jahre nach dem Einmarsch der Vietnamesen, stellen sich mit Ex-Staatschef Khieu Samphan und Chefideologe Nuon Chea zwei der letzten hochrangigen Führer der Roten Khmer, nach Pol Pot bzw. dessen Nachfolger Ta Mok die „Brüder Nummer Zwei und Drei“, den kambodschanischen Behörden und entschuldigen sich für die von ihnen begangenen Verbrechen. Am 6. Dezember 1998 kapitulieren die nach offizieller Lesart letzten Kampfverbände. Dabei wird auf dem Gelände des Tempels von Preah Vihear eine Übereinkunft zwischen Regierung und Roten Khmer ausgehandelt, ein Kontingent von 500 Khmer-Kämpfern samt Offizieren in die Nationalarmee zu übernehmen.

Gegenwart

Die Roten Khmer sind nach Angaben von Beobachtern immer noch im Untergrund von Kambodscha aktiv, stellen für den bestehenden Staat jedoch keine unmittelbare Gefahr mehr dar.

Das Rote-Khmer-Tribunal, ein Ad-hoc-Strafgerichtshof ursprünglich nach dem Vorbild des ICTY in Den Haag und des ICTR in Arusha geplant, nun aber nicht unter UN-Recht, soll in Kürze seine Arbeit aufnehmen – nachdem bereits im August 1979 in Phnom Penh ein Volkstribunal der provietnamesichen Regierung unter Berufung auf das Londoner Statut von 1945 Pol Pot, der unterdessen gestorben ist, und seinen Vizepremier und Außenminister Ieng Sary aufgrund ihrer Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt hatte. Hier allerdings reagierte die westliche Welt unter der Führung der USA noch anders: Mit diesem „Schauprozess“ und „Propaganda-Theater“ hätten die kambodschanischen Kommunisten von der militärischen Intervention Vietnams ablenken wollen.

Dieser Prozess wird allerdings nur für Angehörige der obersten Führungsriege angestrebt, da zu viele Politiker des heutigen Kambodscha, wie der derzeitige Ministerpräsident Hun Sen auf eine rote Vergangenheit blicken. Auch ist die Zeitspanne, die Gegenstand der Verhandlungen ist, auf die Eroberung und den Fall der Hauptstadt begrenzt, da sonst eventuell auch Amerika, China, Vietnam und vielleicht sogar die UNO auf der Anklagebank sitzen müssten.

Einige ehemalige Rote Khmer sind zum Christentum übergetreten, da sie sich hier mehr Vergebung erhoffen, so auch der vormalige Kommandant des Sicherheitsgefängnisses 21 in Phnom Penh, Dëuch, der einzige, der bislang öffentlich Reue zeigte. Wie unten noch gesagt wird, stammt allerdings ein Großteil der die Roten Khmer belastenden Dokumente aus seinem Sicherheitsgefängnis.

Einige noch lebende Führungskader der Roten Khmer wie Nuon Chea, Khieu Samphan und Ieng Sary führen ein zurückgezogenes Leben in Pailin und geben vor, von nichts gewusst zu haben. Khieu Samphan hat seine Memoiren mit der Absicht veröffentlicht, das kambodschanische Volk davon zu überzeugen, dass er an den Massakern nicht beteiligt gewesen sei, das Land als Staatspräsident nur nach außen hin vertreten und erst vor kurzem die Wahrheit über die Greueltaten während des Regimes seiner Mitstreiter erfahren habe. Im Falle einer Anklage wolle er sich von dem französischen Anwalt Jacques Vergès vertreten lassen, den er aus seiner Studentenzeit in Paris noch kenne und der auch die Verteidigung u.a. von Klaus Barbie und Carlos übernommen hatte. Ieng Sary hat sich schon 1996 plötzlich zum Demokraten gewandelt und ist für den Fall, dass man ihm Straffreiheit zusichere, auch bereit, vor einer Historikerkommission auszusagen. Hier wird wohl von einer Kommission ausgegangen, ähnlich der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika. Dies entspricht jedoch nicht dem aktuellen Plan für Verfahren, bei denen die Hauptschuldigen verurteilt werden sollen.

Viele Kambodschaner sind allerdings vollauf mit ihrem täglichen Überlebenskampf beschäftigt. Die Stabilität des Landes will zudem niemand gefährdet sehen. So stehen die Chancen für Männer wie Khieu Samphan und Nuon Chea nicht schlecht, ihr Leben „unbescholten“ beenden zu können.

Gesichert ist jedoch das Beweismaterial. Die Akribie der Roten Khmer und die nach dem Einmarsch der Vietnamesen „notwendig“ schnelle Flucht Dëuchs ermöglicht es, die Verbrechen der Roten Khmer aufgrund von etwa 500.000 Seiten Dokumentationsmaterial nachzuzeichnen. 8000 Massengräber konnten lokalisiert werden. So sind von den hier angegebenen 1,5 Millionen Toten, die die Protagonisten des Terrorregimes verantworten sollen, „nur“ 31% durch Hinrichtungen oder Folter bedingt - der Rest ergibt sich aus den direkten Folgen von Unterernährung, Zwangsarbeit, fehlender medizinischer Versorgung usw.

Die kambodschanische Nationalversammlung ratifizierte am 4. Oktober 2004 ein Abkommen mit den Vereinten Nationen, welches das Rote-Khmer-Tribunal ermöglicht. Seine Durchführung war anfangs fraglich gewesen, unter anderem da sich die USA weigerten, sich an den auf 65 Mio. US-Dollar geschätzten Kosten zu beteiligen. Mittlerweile ist es den UN-Mitgliedstaaten aber gelungen, das Tribunal finanziell zu sichern. Auch der Streitpunkt, woher die Richter kommen sollen, konnte beigelegt werden. Anders als am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien wird die Mehrheit der Richter kambodschanisch sein und kambodschanisches Recht gelten. Um jedoch Bestechung und ähnliches zu verhindern, soll das Urteil nur gültig sein, wenn mindestens ein ausländischer Richter zustimmt.

Literatur

  • Hans Christoph Buch: Blut im Schuh. Schlächter und Voyeure an den Fronten des Weltbürgertums. Frankfurt/Main: Eichborn Verlag 2001.
  • Kiernan, Ben: The Pol Pot regime: race, power and genocide in Cambodia under the Khmer Rouge, 1975-79. Yale University Press, New Haven and London. Silkworm Books, Chiang Mai, Thailand 1997. ISBN 9747100436
  • Ariane Barth, Tiziano Terzani, Anke Rashatusavan, Holocaust in Kambodscha, Rowohlt TB-V., Rnb. November 1982, ISBN 3499330032
  • Patrick Raszelenberg, Die Roten Khmer und der Dritte Indochina-Krieg, Mitteilungen des Instituts für Asienkunde Hamburg Nr. 249, Hamburg 1995. ISBN 388910150X
  • Manfred Rohde, Abschied von den Killing Fields - Kambodschas langer Weg in die Normalität, Bouvier Verlag, Bonn 1999. ISBN 3416028872
  • Harry Thürk, Der Reis und das Blut , Brandenburgisches Verlagshaus, Berlin 1990,ISBN 3327009961
  • Francois Bizot "The Gate", Vintage, London 2004, ISBN 0099449196
  • Howard J. DeNike/John Quigley/Kenneth J. Robinson (eds.): Genozide in Cambodia: Documents from the Trial of Pol Pot and Ieng Sary. Philadelphia: University of Pennsylvania Press 2000.
  • Tom Fawthrop/Helen Jarvis: Getting Away with Genocide - Cambodia's Long Struggle against the Khmer Rouge (2004).
  • People's Revolutionary Tribunal held in Phnom Penh for the Trial of the Genocide Crime of the Pol Pot-Ien Sary Clique. Phnom Penh 1988.
  • Serge Thion: Genocide as a Political Commodity. Paper presented at Raphael Lemkin-Symposium organized by the Schell Center for International Human Rights at Yale Law School, Februar 1992.
  • Loung Ung: Der weite Weg der Hoffnung, Fischer Verlag, Frankfurt 2002, ISBN 3596152879

Filme

Siehe auch